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Category 12: Typography
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BMW Magazin, D zzzzzzzzzzzzzzz
BMW Magazin, Hoffmann und Campe Corporate Communication, D, Silver Award
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Wempe Magazin, D zzzzzzzzzzzzzzz
Wempe Magazin, Hoffmann und Campe Corporate Publishing, D, Judges‘ Special Recognition
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12 Typography 15 Fotos: Timo Volz
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Das Steuerspiel der Großen steuerflucht Aggressiv wie nie zuvor weichen internationale Großunternehmen Zahlungen an den Fiskus aus. Ihren Anteil zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben einzutreiben wird in Zeiten der Digitalisierung immer schwieriger. Von luK As GrAsBerGer , Journalist in Berlin
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s wirkt wie ein Spiel, doch es geht um Milliarden: Beim Wettrennen um immer höhere Profite suchen internationale Konzerne auch nach jedem Steuerschlupfloch. Dafür durchleuchten sie Besteuerungsabkommen zwischen verschiedenen Ländern, die eigentlich verhindern sollen, dass Gewinne doppelt besteuert werden. Doch mit immer raffinierteren Modellen nutzen die Konzerne die internationalen Verträge, um letztlich gar keine oder kaum Steuern zu zahlen. Alles vollkommen legal. Beispiele gefällig? Der Internet-Gigant Google nutzt laut der Nachrichtenagentur Bloomberg ein beliebtes Modell mit dem netten Namen „Double Irish with a Dutch Sandwich“: Schaltet ein Kunde, etwa aus Saudi-Arabien, Australien oder Italien, eine Anzeige bei Google, überweist er das Geld dafür an eine irische Tochter. Von dort fließt es in Form von Patentgebühren zunächst weiter an eine Briefkastenfirma in den Niederlanden, die ganz ohne Angestellte auskommt. In Irland wird das Geld nicht besteuert, weil es ja innerhalb der EU weitergereicht wird, in Holland greift der Fiskus nicht zu, weil dort Einnahmen aus Patentgebühren steuerfrei sind. Von den Niederlanden geht das Geld dann an eine zweite irische Google-Tochter, die zwar ihren Firmensitz auf der Grünen Insel hat, ihren Steuersitz aber in der Karibik. Und dort, auf den Bermudas, gibt es erst gar keine Unternehmenssteuern. Die irischen Firmen sind das Brot und die niederländische der Käse: Fertig ist das Steuervermeidungs-Sandwich. Googles größter Konkurrent Apple macht es ähnlich. Nur das Modell der wertvollsten Firma der Welt klingt noch verrückter: An der Spitze der Auslandsniederlassungen steht die Apple Operations International. Offizieller Firmensitz ist Irland; die Bankkonten sind jedoch in den USA, und die Vorstandssitzungen werden in Kalifornien abgehalten. Während das US-amerikanische Recht den Steuersitz danach festlegt, wo die Firma offiziell registriert ist, schaut Irland darauf, wo ein Unternehmen tatsächlich geführt wird. Apples Auslandstochter fällt so zwischen alle Stühle und hat in den letzten fünf Jahren erst gar keine Steuererklärung abgegeben – bei einem Umsatz von 30 Milliarden US-Dollar zwischen 2009 und 2012. Besonders pikant: Demnächst will Apple über Dividenden und den Rückkauf von Aktien rund 100 Milliarden US-Dollar an die Aktionäre ausschütten. Dafür hat das Unternehmen genug Reserven, nur das Geld liegt bei den Auslandstöchtern. Würde es Apple für die Dividendenzahlungen in die USA holen, müsste das Geld nachversteuert werden. Die Lösung: Der Technologiekonzern leiht sich einfach 17 Milliarden US-Dollar am Kapitalmarkt. Ähnlich aggressiv geht dem Grünen-Finanzexperten Sven Giegold zufolge in Deutsch-
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land der US-Konzern Starbucks vor. Bis zu drei Millionen Euro jährlich enthalte die US-Kaffeekette den Steuerbehörden hierzulande vor, so die Recherchen Giegolds, die er gemeinsam mit seinen Parteikollegen aus dem Bayerischen Landtag unlängst veröffentlichte. Dank Buchungstricks und geschickter Verlagerung von Gewinnen verdiente Starbucks in Deutschland nämlich nie Geld. Dabei setzt auch die Kaffeehauskette die drei gebräuchlichsten Instrumente der Steuervermeidung ein: Lizenzen, Fremdfinanzierung und konzerninterne Verrechnung. Zum Ersten zahlt jede deutsche Starbucks-Filiale für die Nutzung der Marke und die Konzernsteuerung Lizenzgebühren an die Starbucks-Holdinggesellschaft in den Niederlanden, wo, wir erinnern uns, solche Einnahmen praktisch nicht besteuert werden. Des Weiteren leihen sich die örtlichen Kaffeeläden von der niederländischen Mutter Geld und können so Zinsaufwendungen geltend machen. Beide Mechanismen schmälern den versteuerbaren Gewinn und helfen, die Profite in fiskalisch günstigere Länder zu verlagern. Zudem bezog Starbucks nach Giegolds Nachforschungen Kaffee von einer Schwester in der Schweiz und zahlte dafür einen Gewinnaufschlag von 20 Prozent. Die geschickte Verschiebung von Gewinnen in Niedrigsteuerländer und die Verbuchung von Verlusten in Hochsteuerländern führte dazu, dass Starbucks 2011 in Deutschland bei einem Umsatz von 117 Millionen Euro ein Minus von 5,3 Millionen auswies. Im Februar 2013 legte OECD-Generalsekretär Angel Gurría eine Studie vor, die minutiös die Mechaniken der Steuervermeidung schildert. Das System der Doppelbesteuerungsabkommen nutzten Unternehmen zunehmend, um eine doppelte Nichtbesteuerung zu erreichen, kritisierte Gurría. Jahr für Jahr entgehen den EU-Staaten eine Billion Euro durch die vollkommen legale Steuervermeidung. In einer Zeit, in der Regierungen und Bürger an allen Ecken und Enden zum Sparen gezwungen seien, „müssen aber alle Steuerzahler, ob Privatleute oder Unternehmen, ihren Anteil zahlen“. Auch im Bundesfinanzministerium empfindet man die zunehmend aggressive Steuergestaltung einiger Multis als „nicht tragbar“. „Die Globalisierung braucht Regeln“, sagte Ressortchef Wolfgang Schäuble beim G20Gipfel in Moskau. Bis Juli soll die OECD den 20 größten Industrie- und Schwellenländern einen Aktionsplan vorlegen. Aber kann das wirklich gelingen? Experten wie Wolfgang Schön, Direktor des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht, zeigen sich „verhalten optimistisch“. Die Chance, auf europäischer Ebene voranzukommen, sei derzeit günstig. In der Wirtschafts- und Finanzkrise strebten die EU-Staaten – bei allen Turbulenzen, sich über die Kreditmärkte zu finanzieren – wieder nach einer soliden Besteuerungsgrundlage. Auch der Finanzfachmann Markus Meinzer vom Tax Justice Network (TJN) hofft auf die Politik: „Der politische Handlungsdruck ist höher als jemals zuvor.“ Und der Wiesbadener Wirtschaftsprofessor Lorenz Jarass macht einen Meinungsumschwung aus: Endlich nehme eine breitere Mehrheit wahr, dass die Praktiken der Konzerne nicht nur das Steueraufkommen schmälerten, sondern auch kleinere Betriebe benachteiligten, die ihre Steuern voll zahlten. Wie massiv das Ungleichgewicht bei den Steuereinnahmen zulasten der Normalbürger mittlerweile ausfällt, hat Jarass mit seinem Kollegen Gustav Obermair in einer Studie für die Hans-Böckler-Stiftung herausgearbeitet. Die tatsächliche bezahlte Steuer- und Sozialabgabenbelastung von Lohneinkommen lag demnach im vergangenen WAcht die politiK Auf?_
Fotos: Kristoffer Tripplaar/Sipa USA; Xinhua/Sipa USA; Don Ryan/AP Photo
TITEL
Eine Billion Euro kosten die ganz legalen Steuertricks der Konzerne die EU-Staaten Jahr für Jahr. Doch jedes Land beharrt weiter auf den eigenen Steuersparmodellen, um Kapital anzulocken.
GooGle-ZentrAle in montAin vieW in KAlifornien; Appleceo tim cooK Bei presseKonferenZ in sAn fr Ancisco; securit y vor stArBucKs-filiAle in oreGon: Alle spielen mit und verschieben ihre Gewinne zwischen den weltweiten Standorten so, dass möglichst wenig Steuern zu zahlen sind.
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mehr Steuergerechtigkeit aber letztlich nicht weit genug geht. „Mit der Steuervermeidung verhält es sich wie mit einem Luftballon: Wenn man an zwei Seiten drückt, formt er sich an der anderen Seite umso mehr aus.“ So helfe der Jarass-Vorschlag zwar, die Steuerflucht über Lizenz- und Patentgebühren und angebliche Fremdfinanzierung zu verhindern, nicht aber Manipulationen bei konzerninternen Verrechnungspreisen. Bei solchen Manipulationen kauft etwa ein Autokonzern – im „Hochsteuerland“ Deutschland ansässig – Motoren bei einer Tochter in einem Staat mit niedrigen Steuersätzen zu Mondpreisen ein. Die scheinbar hohen Kosten drücken die heimische Steuerlast. Die hohen Gewinne der Tochtergesellschaft werden im Niedrigsteuerland veranlagt. Ein wichtiges Feld für den Fiskus: Laufen doch 60 Prozent des Welthandels mittlerweile konzernintern ab. Um dieses Spiel durchschaubar zu machen, verlangen Experten, aber auch SPD und Grüne eine sogenannte länderbezogene Berichtspflicht. Nach der Idee des „Country-by-Country-Reporting“ würden Großkonzerne als Ganzes in den Blick genommen und dazu verpflichtet, Daten zu den Geschäften aller Auslandstöchter offenzulegen. Sie müssten erklären, wie viele Mitarbeiter sie in welchem Staat haben und was die Betriebsmittel dort Auch DAX-Konzerne nutzen die weltweiten wert sind; offenlegen, wie hoch die Gewinne jeweils sind und wie Möglichkeiten der Steuergestaltung. Und die viel Steuern darauf gezahlt werden. Die aufgeschlüsselten Bilanzen würden den Steuerbehörden weltweit ein komplettes Bild liefern. Politik scheint überfordert. „Da würde dann etwa ein Missverhältnis zwischen der Zahl der Angestellten und den Erträgen auffallen“, sagt Meinzer. „Wenn wirtschaftliche Aktivität wirklich stattfindet, dort, wo die etwa die niederländische Tochter eines Multis 50 Prozent der Gewinne ausWerte geschaffen werden. Der Fiskus müsse sich – verein- weist, aber nur zehn Prozent der weltweiten Mitarbeiter stellt, könnte man facht gesagt – den Zugriff direkt sichern, bevor Abzugs- sich dieses Unternehmen herauspicken und eine größere Betriebsprüfung möglichkeiten wie über Scheingeschäfte mit Namenslizen- durchführen.“ Für Banken hat dies das EU-Parlament kürzlich durchgesetzt, zen überhaupt geltend gemacht werden können. Ansetzen ebenso beschlossen EU-Rat und -Parlament im April eine solche Berichtspflicht könnte er beim sogenannten EBIT, dem Gewinn vor Zin- auch für Rohstoff- und Forstunternehmen. „Der Versuch, das Country-bysen und Steuern. Damit würde die Bemessungsgrundlage Country-Reporting auf alle Großunternehmen auszuweiten, blockiert bislang verbreitert: Zins- wie Lizenzzahlungen an ausländische die Bundesregierung“, kritisiert Giegold, der für die Grünen im EU-Parlament Mütter oder Tochtergesellschaften könnten – unabhängig sitzt. „Hier steht Deutschland auf der falschen Seite.“ Auch der Vorschlag, Konzerne als Einheit zu besteuern, kommt nicht wirvom Hauptsitz des Konzerns – stets an der Betriebsstätte als Gewinn versteuert werden. „Dies wäre einfach und lich voran. Dabei würden die Gewinne eines internationalen Konzerns nach einem Umlageschlüssel auf die einzelnen Länder aufgeteilt werden. Doch die umgehungsresistent machbar“, betont Jarass. Eine Idee, mit der sich auch TJN-Mann Meinzer grund- Staats- und Regierungschefs können sich auf EU-Ebene nicht auf verbindliche sätzlich anfreunden kann, die dem Kämpfer der NGO für Schritte einigen. Der Einstieg in das Modell – eine gemeinsame Körperschaftssteuerbemessung – werde auf die lange Bank geschoben, konstatiert Giegold. Für die Geheimniskrämerei der Steueroasen – Voraussetzung für legale Steuervermeidung von Konzernen wie für den Steuerbetrug Vermögender gleichermaßen – gebe es nach dem Widerstand von Österreich und Luxemburg nun eine weitere Frist, diesmal bis Ende 2013. Giegolds Fazit: Nach den großen Worten zur Eindämmung der Steuervermeidung „hat längst das Zurückrudern begonnen“. Max-Planck-Forscher Schön wundert die steuerpolitische Zersplitterung kaum: „Das Ganze ist ein internationales Steuerspiel, in dem auch die einzelnen europäischen Staaten strategische Interessen verfolgen.“ Im Steuerwettbewerb agierten die Staaten mittlerweile selbst wie Konzerne: Durch Innovationen und Spezialisierungen strebe jeder nach seinem eigenen Vorteil – der Mehrwert müsse dabei nicht einmal fiskalischer Natur sein. Viele Länder, von den Niederlanden bis Großbritannien, hätten etwa eine Niederbesteuerung Jahr bei durchschnittlich 45 Prozent. Von den Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögensanlagen hingegen gingen lediglich 22 Prozent an den Fiskus. Speziell Großunternehmen hätten viele Möglichkeiten, Gewinne legal am Fiskus vorbeizuschleusen, sagt Jarass. Geld, das dem Staat dann fehlt. Dank der raffinierten Konstruktionen liegt die Auslandssteuerquote von US-Multis im einstelligen Bereich. 1,9 Prozent Steuern auf die außerhalb der USA erzielten Gewinne zahlte etwa Apple laut letztem Jahresbericht. Beim Suchmaschinenkonzern Google lag dieser Anteil bei drei Prozent, wie der US-Steueranalyst Martin E. Sullivan ausgerechnet hat. Der Wiesbadener Ökonom Jarass hat diesen „Optimierungen zulasten des normalen Steuerzahlers“ den Kampf angesagt. Sein Maßnahmenkatalog setzt vor allem auf ein Prinzip: Steuern dort zu erheben, wo die
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Foto: François Lenoir/Reuters
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A m AZon-europAZentr Ale in luxemBurG: Versteuert wird in der Oase.
für Patentverwaltungs-Gesellschaften eingeführt. Steuerpolitik wird hier zur Standortpolitik, bei der es um den Zufluss neuer Technologien, die Ansiedlung von Forschung und Entwicklung geht. Die Kernfrage, wer was an welchem Ort besteuern darf, ist sensibel: Zum einen ist fiskalische Selbstbestimmung für die Staaten Ausdruck nationaler Souveränität. Zum anderen könne es tückische Wechselwirkungen mit sich bringen, wenn man die Besteuerungsrechte international neu ordnet, sagt Schön. In Deutschland sieht man es kritisch, die Gewinne des Versandhändlers Amazon nicht besteuern zu können, da es hierzulande keine Betriebsstätte gibt. Die Europazentrale sitzt im Nachbarland Luxemburg. „Wenn aber Volkswagen massenhaft Autos nach China exportiert, dann wird der Gewinn aus diesem Export auch nicht im Reich der Mitte besteuert, weil dort dieselben Regeln gelten“, erläutert der Steuerexperte. „Kann man nun aus deutscher Sicht einen Weg finden, den Buchverkauf von Amazon zu besteuern, ohne dass die Chinesen sagen: Dann wollen wir auch eure Autoverkäufe besteuern?“ Erschwert wird ein internationaler Konsens zudem dadurch, dass Konzerne zunehmend weniger mit greifbaren Gütern, sondern mit geistigem Eigentum handeln. Wo Wissen der Wert ist, lassen sich kostbare Patente, Markenrechte, Lizenzen fast nach Belieben in Niedrigsteuerländer verschieben. Die Gestaltungsmöglichkeiten für IT-Firmen wie Google oder Apple als auch der Wettbewerb zwischen einzelnen Ländern hätten damit eine neue Dimension erreicht, betont Schön. Ein Problem, dem sich auch eine OECD-Arbeitsgruppe widmet. Steuerexperte Jarass glaubt hier kaum an eine internationale Lösung: „In Zeiten, in denen Kapital und digitale Güter in Sekunden um den Globus wandern und Kapitaleigentümer häufig unbekannt sind, sollte alles, was in einem Land erwirtschaftet wurde, auch dort besteuert werden.“ Dies sei auch bei digitalen Gütern möglich – um etwa die Mehrwertsteuerpflicht durchzusetzen, wenn Privatkunden aus dem Internet eine Nutzungslizenz für eine Textverarbeitungssoftware herunterladen. „Hier kann der Fiskus über die Zahlungsströme zugreifen“, sagt Jarass. Dass nationale Alleingänge eine Signalwirkung entfalten können, zeige das Beispiel der Zinsschranke, die einem neue BrAnchen schWer GreifBAr_
zu starken Herunterrechnen der Steuerpflicht über konzerninterne Kredite einen Riegel vorschieben soll. Hier seien andere EU-Länder Deutschland schließlich gefolgt. Dass wichtige Schlachten im Kampf gegen Steuerflucht auch hierzulande gewonnen werden können, glauben auch die Steuerexperten von ver.di. Sie listen auf, was die deutsche Politik ganz ohne langwierige internationale Abstimmung tun könnte, um höhere Unternehmenssteuereinnahmen zu generieren. Sabine Reiner vom Ressort Wirtschaftspolitik verweist auf die „Steuersenkungsorgie der letzten zehn bis 15 Jahre“, die zu Milliarden an Steuerausfällen geführt habe. Hier gebe es Spielraum für Erhöhungen, auch für eine Ausweitung der Gewerbesteuern. „Steuern müssen wieder viel stärker am Ort der Wertschöpfung ansetzen, nicht am steuerlich klein gerechneten Gewinn.“ ver.di verlangt auch eine stärkere Transparenz für deutsche Großkonzerne: „Multis wie Daimler oder VW haben alle Töchter in Steueroasen. Was sie genau dort treiben, weiß niemand“, sagt Reiner. In der Tat: Auch die DAX-Konzerne spielen mit im internationalen Steuerspiel. Laut dem „Manager-Magazin“ besitzen sie 2500 Beteiligungen in Steuerparadiesen. Und der „Spiegel“ berichtete kürzlich, wie zahlreiche deutsche Unternehmen Belgien als Steueroase entdeckt haben. Dort können Firmen bei einer Erhöhung des Eigenkapitals fiktive Zinsen von der Steuer absetzen. Es wird also so getan, als ob für die Kapitalerhöhung ein Kredit aufgenommen wurde. Tatsächlich fallen die Zinsen aber gar nicht an. Eine belgische VW-Tochter soll so 2012 auf einen Gewinn von 153 Millionen Euro überhaupt keine Steuern gezahlt haben. Und einer BASF-Tochter soll es laut „Spiegel“ mit einer Eigenkapitalerhöhung auf acht Milliarden Euro gelungen sein, auf einen Gewinn von fast 255 Millionen Euro nur 10,8 Millionen Euro Steuern zu zahlen. Die Konzerne wehren sich gegen den Vorwurf der Trickserei. Unrecht haben sie damit nicht: Schließlich halten sie sich ja an die nationalen Steuergesetze. Was sie tun, ist vollkommen legal und mit Blick auf den Profit sogar höchst rational. Ändern können das nur diejenigen, die die Gesetze gemacht haben. ■
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Verlorene Milliarden
tAt sÄc h li c h e s t e u e r e i n n A hm e n im v e rG le i c h Z u r sc h Ät Z u n G vo n 20 0 8 in Milliarden euro Konjunkturbereinigt Bedingt durch Steuerrechtsänderungen
steuerreformen In den vergangenen 15 Jahren hat die Politik kräftig die Steuern gesenkt. Dadurch fehlen dem Staat jetzt jährlich rund 45 Milliarden Euro.
2012
–8,8
2011
–4,8 –41,8
2010
–36,5
–31,6
2009
–33,0
–31,3
–15,8
Von Achim truGer , Professor für Volkswirtschaftslehre an der hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin 0
–10
–20
–30
–40
–50
–60
–70
Quellen: Bundesministerium der Finanzen, Berechnungen des IMK
A
nfang Mai war es mal wieder so weit. Nach Veröffentlichung der jüngsten Steuerschätzung waren überall Rekordmeldungen zu lesen: 2013 werde der Staat so viel Geld einnehmen wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. In den zwei Jahren zuvor hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zudem beim Kassensturz regelmäßig verkünden können, dass er ja viel mehr Geld hat als noch vor Kurzem gedacht. Also alles bestens mit den Steuereinnahmen? Über die regelmäßig vorgetragene Geschichte vom Geldregen für den Staat darf man zwei Dinge nicht vergessen: Erstens sind in einer nominal wachsenden Wirtschaft jährliche Rekordeinnahmen der Finanzämter völlig normal. Erst fünfmal fiel in der Geschichte der Bundesrepublik das Steueraufkommen geringer aus als im Vorjahr – entweder weil die Steuern gerade gesenkt worden waren oder weil die Wirtschaft in einer schweren Krise steckte. Und zweitens: Im Frühjahr 2008, also kurz vor der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, prognostizierten die Steuerschätzer dem Staat noch ganz andere Einnahmen. Die Lücke zwischen den damaligen Erwartungen und den tatsächlich eingenommenen Steuern beläuft sich inzwischen auf mehr als 200 Milliarden Euro, allein im Jahr 2012 waren die Einnahmen um über 45,5 Milliarden Euro geringer als vor der Krise erwartet. Die Krise hat die deutschen Staatseinnahmen also stark in Mitleidenschaft gezogen. In den ersten beiden Jahren 2009 und 2010 dominierten dabei vor allem die konjunkturellen Effekte. Weil die Wirtschaft 2009 drastisch geschrumpft war, nahm der Staat auch deutlich weniger ein als zuvor geschätzt. Doch 2011 und 2012 drehte sich das. Seither hat die Lücke eine ganz andere Ursache: die Steuersenkungen aus den Konjunkturpaketen sowie dem Bürgerentlastungs- und dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Im vergangenen Jahr klaffte somit im Vergleich zur Steuerschätzung vom Mai 2008 eine strukturelle Einnahmelücke von 36,5 Milliarden Euro. Auch mehr als vier Jahre nach Ausbruch der Krise haben sich die Steuereinnahmen bei Weitem noch nicht von der großen Rezession
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erholt. Die Politik der Steuersenkungen spielte dabei eine wesentliche Rolle. Und die hat mittlerweile eine Tradition von fast 15 Jahren. Schon vor der Krise hat die Politik die Staatsfinanzen erheblich geschwächt. Einen starken Anteil daran hat auch die damalige rot-grüne Bundesregierung. Die Steuerreform 2000 schlug mit Senkungen der Einkommensteuer und einer großen Unternehmenssteuerreform kräftig zu Buche. Zu einem großen Teil kam das wohlhabenden Haushalten zugute. Beispielsweise wurde der Spitzensteuersatz schrittweise von 53 auf 42 Prozent gesenkt oder die Besteuerung von Kapitalerträgen aus der Einkommensteuer herausgelöst. Mit der Abgeltungssteuer greift jetzt nur noch ein günstiger Satz von 25 Prozent, während Lohneinkünfte voll besteuert werden. Insgesamt lagen die Einnahmeausfälle während der Kanzlerschaft Gerhard Schröders von 2001 bis 2005 zwischen 24 und 43 Milliarden Euro pro Jahr. Auch in diesem Jahr rissen sie noch ein Loch von schätzungsweise 50 Milliarden Euro in die Staatskasse. Die Große Koalition schlug zunächst einen anderen Kurs ein. Per saldo verbesserten die in den Jahren 2006 und 2007 beschlossenen steuerpolitischen Maßnahmen die Haushaltslage erheblich, wenn auch nicht gerade auf sozial gerechte Art – vor allem wurde 2007 die Mehrwertsteuer erhöht. Wäre es dabei geblieben, wären durch die Große Koalition die vorausgegangenen Steuerausfälle etwa zur Hälfte wieder ausgeglichen worden. 20 Milliarden Euro an Steuerausfällen wären geblieben. Allerdings beschloss die Große Koalition in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise eine Reihe auch steuerpolitischer Maßnahmen, viele davon mit andauernder Wirkung. So wurde die Einkommensteuer in zwei Schritten um etwa sechs Milliarden Euro jährlich gesenkt, die alte Pendlerpauschale wieder eingeführt (2,5 Milliarden Euro jährlich) und das sogenannte Bürgerentlastungsgesetz und damit die weitgehende steuerliche Abzugsfähigkeit der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung von der Einkommensteuer (etwa neun Milliarden Euro jährlich) verabschieimmer Weiter GesenKt_
e i n n A hm e - m i n u s du rc h s t e u e r r e f o r m e n in Milliarden euro ROT-GRÜN SchWARZ-ROT SchWARZ-GeLB GeSAMT
2013 2012 2011 2010 2009
det. Mehrere befristete Maßnahmen bei den Unternehmenssteuern schlugen ebenfalls kräftig zu Buche. Im Ergebnis wurden damit seit 2010 die Steuermehreinnahmen der Großen Koalition fast wieder aufgezehrt. Die schwarz-gelbe Koalition hat die Lage der öffentlichen Haushalte gegen den einhelligen Rat fast aller Experten dann durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz erneut erheblich verschärft; die Einnahmeausfälle betragen jedes Jahr etwa neun Milliarden Euro. Gegenwärtig belaufen sich die steuerreformbedingten Ausfälle aller drei Regierungen auf rund 45 Milliarden Euro jährlich; der Spitzenwert lag 2011 sogar bei 53 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das durchschnittliche gesamtstaatliche Haushaltsdefizit von 2000 bis 2012 lag bei knapp 46 Milliarden Euro. Ohne die Steuerausfälle hätte es in vielen Jahren rein rechnerisch also überhaupt kein Haushaltsdefizit gegeben; Deutschland hätte den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht verletzt, und der öffentliche Schuldenstand könnte um über 480 Milliarden Euro und damit in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 18 Prozentpunkte geringer sein. Während die öffentlichen Haushalte mit einer strukturellen Unterfinanzierung kämpfen müssen, wird in den kommenden Jahren zudem immer mehr die Schuldenbremse greifen. Makroökonomisch ist das ein extrem riskanter Kurs. Denn aufgrund der immensen Aufkommenslücken durch die Steuersenkungen der vergangenen Jahre droht nun eine strikte Sparpolitik bei den Ausgaben. Diese dürfte auch negative Folgen für Wachstum und Beschäftigung haben. Sicher ist zudem, dass die Bürger Einschnitte bei der Versorgung mit öffentlichen Gütern, Dienstleistungen und bei der sozialen Sicherheit treffen werden. Dass Bundestag und Bundesrat also parallel zu dauerhaften Steuersenkungen die Schuldenbremse beschlossen haben, war daher ökonomisch und staatspolitisch mehr als fahrlässig. Schon allein aus diesen Gründen wäre es makroökonomisch, aber letztlich auch haushaltspolitisch vernünftig gewesen, auf die Schuldenbremse im Grundgesetz zu verzichten.
2008
Die Reformen haben nicht nur den Staatshaushalt enorm belastet, sondern auch den ohnehin schon bestehenden Trend zu einer zunehmenden Schieflage der Einkommens- und Vermögensverteilung weiter verschärft. Zwar schlugen die Erhöhung des Kindergeldes und das Schließen einiger Steuerschlupflöcher positiv zu Buche. Durch die starke Absenkung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer, die steuerliche Bevorzugung des Faktors Kapital im Rahmen der Abgeltungssteuer, die Senkung der Erbschaftsteuer und die wiederholten kräftigen Entlastungen für die Unternehmen wurden insgesamt jedoch reiche Haushalte und Unternehmen überproportional entlastet. Die Erhöhung der Umsatzsteuer im Jahr 2007 traf dagegen gerade die Bezieher geringer und mittlerer Einkommen. Aber darf man denn überhaupt über Steuerausfälle und verteilungspolitische Schieflage lamentieren? Haben die Reformen denn nicht Wachstum und Beschäftigung angekurbelt? Immerhin war unGleichheit verstÄrKt_
2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000
–60
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–10
Quellen: Bundesministerium der Finanzen, Berechnungen des IMK
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dies ihr erklärtes Ziel. Dafür spricht schon theoretisch wenig. Auch die praktischen Erfahrungen waren entmutigend. Es ist frappierend, dass die Phase großzügiger Steuersenkungen im Rahmen der Steuerreform 2000 identisch ist mit der langen Stagnationsphase der deutschen Wirtschaft, während der Aufschwung 2006 und 2007 genau in eine Phase deutlicher Steuererhöhungen fällt. Offensichtlich haben die Steuersenkungen nicht den erhofften Wachstumsschub gebracht. In Wirklichkeit waren sie sogar kontraproduktiv, denn sie führten eine drastische Sparpolitik auf der Ausgabenseite herbei. Diese schwächte Wachstum und Beschäftigung empfindlich. Der Grund für die derzeit scheinbar sprudelnden Steuereinnahmen liegt vor allem darin, dass sich Deutschland sehr schnell von der globalen Wirtschaftskrise erholt hat. Nach einem drastischen Einbruch 2009 erholten sich vor allem die Exporte rasant und zogen die deutsche Wirtschaft aus der Krise. Zudem war die Krise auf dem Arbeitsmarkt vor allem durch Kurzarbeit, flexible Arbeitszeitkonten und kluges Krisenmanagement von Staat, Gewerkschaften und Arbeitgebern überbrückt worden. Noch 2010 hatte damit aber niemand gerechnet, entsprechend pessimistisch waren die Steuerschätzer damals. Für die öffentlichen Haushalte war das unerwartet hohe Wachstum sehr positiv. Die geringere Arbeitslosigkeit ging mit geringeren Zahlungen an Arbeitslosenunterstützung sowie höheren Sozialbeiträgen einher. Am deutlichsten machte sich der Aufschwung jedoch beim Steueraufkommen bemerkbar. So wurden die Aufkommensprognosen und das tatsächliche Aufkommen sukzessive nach oben korrigiert. Die Erfolgsmeldungen waren geboren. Im Jahr 2012 lag das Gesamtaufkommen der Gebietskörperschaften nach der Steuerschätzung um 60 Milliarden Euro über dem 2010 erwarteten Wert, aber doch 45,5 Milliarden Euro unter dem, was 2008 – also vor der großen Rezession – erwartet worden war.
K A pi tA l e n t l A s t e t Von 2000 bis 2010 veränderte sich die Steuerbelastung von…
Deutschland 2000 2010 Arbeit
–4,3 %
Konsum
+3,1 % –23,3 %
Kapital
2000 2010 EU-15 Arbeit
–3,6 %
Konsum
–1,8 %
Kapital
–8,9 %
Quelle: Institut für Wirtschaftsforschung Wien
s t e u e r e i n n A hm e n i n de u t sc h l A n d 2013 in Milliarden euro/Schätzung des IMK Gemeinschaftliche Steuern Lohnsteuer1 Veranlagte einkommensteuer1 Nicht veranl. Steuern v. ertrag2 Abgeltungsteuer3 Körperschaftsteuer2 Steuern vom Umsatz4 Zölle Bundessteuern energiesteuer Stromsteuer Kernbrennstoffsteuer Kraftfahrzeugsteuer Luftverkehrsabgabe Tabaksteuer Branntweinsteuer5 Versicherungsteuer Solidaritätszuschlag Sonstige Ländersteuern erbschaftsteuer Grunderwerbsteuer Sonstige Gemeindesteuern Gewerbesteuer Grundsteuern Sonstige Kassenmäßige Steuereinnahmen insgesamt Bund Länder Gemeinden eU
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437,5 157,1 40,0 14,5 8,4 19,5 198,1 4,4 99,3 39,3 6,5 1,4 8,3 1,0 14,1 2,1 11,4 13,8 1,5 14,6 4,4 7,8 2,5 56,4 43,2 12,2 1,0
Abweichungen in den Summen durch Rundung 1) Beteiligungsverhältnis: Bund 42,5 %, Länder 42,5 %, Gemeinden 15 % 2) Beteiligungsverhältnis: Bund 50 %, Länder 50 % 3) Beteiligungsverhältnis Bund 44 %, Länder 44 %, Gemeinden 12 % 4) Bund 4,45 % für Arbeitslosenversicherung, vom Rest: Bund vorab 5,05 % für Rentenversicherung, vom Rest: Gemeinden vorab 2,2 %, vom Rest: Bund 49,7 % 5) einschl. Alcopopsteuer Quellen: Bundesministerium der Finanzen, Statistisches Bundesamt, Berechnungen des IMK
612,2 258,9 240,9 83,7 28,8
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In Deutschland ist die These weit verbreitet, dass wir „über unsere Verhältnisse“ leben und uns mit den Staatsschulden an kommenden Generationen versündigen. Die Richtung ist dabei klar: Der Staat gibt immer mehr aus. Die Lösung liegt dann nahe: Die Politik muss sparen. Allerdings entbehrt diese Analyse jeder Grundlage. Wenn man die Staatsausgaben zum BIP ins Verhältnis setzt, zeigt sich, dass diese Ausgabenquote seit Mitte der 1990er Jahre fällt. Die einzige Ausnahme bildet der kurze Sprung der Ausgaben im Rahmen der Konjunkturpakete in der Finanz- und Wirtschaftskrise. Gänzlich ad absurdum geführt wird die These von einer unsoliden Ausgabenpolitik des deutschen Staates gerade im internationalen Vergleich. So war die staatliche Ausgabenentwicklung in den zehn Jahren vor der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise extrem zurückhaltend: Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der gesamtstaatlichen Ausgaben für die Jahre 1999 bis 2012 liegt in Deutschland bei nominal 1,7 Prozent. Real – also bereinigt um die Inflationsrate – sind die deutschen Staatsausgaben sogar nur um 0,8 Prozent pro Jahr gewachsen. Der Durchschnitt der alten EU-Länder liegt mit einem nominalen Wert von 3,4 Prozent knapp doppelt so steuerpolitiK ursAche der defiZite_
hoch. Auch verzeichnete in diesem Zeitraum kein anderes entwickeltes Land mit Ausnahme von Japan ein niedrigeres Staatsausgabenwachstum als Deutschland. Dabei müsste der Staat eigentlich dringend investieren. Damit eine Volkswirtschaft florieren kann, ist sie auf eine gut funktionierende Infrastruktur angewiesen. Dazu zählt neben Straßen oder der Wasserversorgung auch ein gutes Bildungssystem. Davon haben auch die Unternehmen etwas. Die Vorleistung der öffentlichen Hand erhöht das unternehmerische Produktionspotenzial und senkt die Kosten. Fallen die staatlichen Investitionen zu gering aus, wird sich dies langfristig negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Gerade auch im Bildungsbereich können zu geringe öffentliche Investitionen negative Auswirkungen haben. Ist etwa das Lernumfeld von Kindern – also in erster Linie Schulen, zu denken ist aber auch an Kindertageseinrichtungen – in einem schlechten Zustand, hat dies Folgen für die Leistung der Schüler und die Effektivität des
Dass Bundestag und Bundesrat parallel zu dauerhaften Steuersenkungen die Schuldenbremse beschlossen haben, war ökonomisch und politisch mehr als fahrlässig. Unterrichts. Zu nennen sind hier etwa der Zuschnitt von Klassenräumen, der Lärmpegel, die Beleuchtung, die Akustik und vieles mehr. Zudem können unterlassene Investitionen gravierende Umweltprobleme und damit auch Kosten hervorrufen. Ein Beispiel ist die Abwasserkanalisation, bei der undichte Leitungssysteme etwa zur Verunreinigung des Grundwassers führen. Bedacht werden muss in Bezug auf die öffentliche Investitionstätigkeit, dass gerade mit Blick auf die zwischenzeitliche Unterlassung von Ersatzinvestitionen – das heißt, wenn etwa Schäden bei Straßen nicht rechtzeitig beseitigt werden – die Kosten im Laufe der Zeit noch steigen. Doch in Deutschland entwickeln sich die öffentlichen Investitionen seit Beginn der 1970er Jahre im Verhältnis zum BIP rückläufig. Das ist zwar ein allgemeiner internationaler Trend, aber im Vergleich war der Rückgang in Deutschland wesentlich stärker ausgeprägt. 2012 wies die deutsche staatliche Investitionsquote mit nur 1,5 Prozent des BIP nach Österreich den zweitniedrigsten Wert der Länder des Euroraums auf. Der Euroraum-Durchschnitt ohne Deutschland lag – trotz zuletzt krisenbedingter Kürzungen in vielen Ländern – bei immerhin 2,3 Prozent des BIP. Ein wesentlicher Grund für die geringen Investitionen sind die Konsolidierungsbemühungen: Wenn zum Beispiel Gemeinden oder Landkreise ihre Ausgaben beschränken müssen, tun sie das am ehesten, indem sie nötige Investitionen etwa in die Schulgebäude einfach unterlassen. Auch bei den öffentlichen Bildungsausgaben, die überwiegend durch die Bundesländer getätigt werden, steht Deutschland im OECD-Vergleich schlecht da. Zwar kompensieren die hohen Privatausgaben im Rahmen des dualen Systems zum Teil die gerin-
gen öffentlichen Ausgaben, aber auch öffentliche und private Ausgaben zusammen liegen noch deutlich unter dem OECD-Durchschnitt: Würden die deutschen Bildungsausgaben auf den Durchschnittswert angehoben, dann müssten etwa 25 Milliarden Euro mehr ausgegeben werden. Wollte man die Spitzenreiter einholen, wären rund 70 Milliarden Euro notwendig. Der Bedarf an zusätzlichen öffentlichen Investitionen im ökonomischen Sinne ist also sehr groß. Verschärfend kommt hinzu: Die öffentliche Verwaltung hat in den letzten beiden Jahrzehnten einen gewaltigen Schrumpfungsprozess durchlaufen, und die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst sind weit hinter der ohnehin schon schwachen gesamtwirtschaftlichen Lohnentwicklung zurückgeblieben. Zur Korrektur dieser Fehlentwicklungen müssten sicherlich auch noch erhebliche Mittel veranschlagt werden. Hinzu kommen berechtigte Wünsche nach einer Aufstockung sozialer Leistungen. Insgesamt lässt sich mittelfristig ohne Übertreibung durchaus ein Ausgaben- und damit auch Finanzbedarf in einer zwei- bis dreistelligen Milliardensumme ausmachen. Am scheideWeG_ Natürlich kann eine Finanzierungslücke solchen
Ausmaßes nicht von heute auf morgen geschlossen werden. Durch eine mittelfristige Anhebung der Steuern für sehr wohlhabende Haushalte und Unterehmen würde man aber bereits die wesentlichsten Schritte in die richtige Richtung gehen. Die Sicherung der staatlichen Handlungsfähigkeit stellt dabei auch in Zeiten der Schuldenbremse im Wesentlichen kein ökonomisches, sondern ein politisches Problem dar. Wer einen leistungsfähigen Sozial- und Investitionsstaat haben möchte, kann diesen theoretisch auch realisieren. Die zentrale Frage ist, ob es gelingen kann, die politische Zustimmung zu den dafür notwendigen höheren Steuern zu gewinnen. Bislang schien die deutsche Finanzpolitik in einem Teufelskreis gefangen: Verschlechterungen von staatlichen Leistungen minderten die Bereitschaft, Steuern zu zahlen, die Finanzausstattung des Staates sank durch Steuersenkungen – öffentliche Leistungen wurden auf diesem Weg immer weiter gekürzt, und die öffentliche Hand verlor an Handlungsfähigkeit und Zustimmung. Wünschenswert wäre es, aus dem pessimistischen in ein optimistisches Szenario auszubrechen und einen Tugendkreis aufzubauen: Ein hohes öffentliches Leistungsniveau zusammen mit einer als gerecht empfundenen Staatsfinanzierung stärkt die Bereitschaft, durch Steuern zur Finanzierung öffentlicher Leistungen beizutragen, und ermöglicht damit wiederum das hohe Leistungsniveau. Die deutsche Steuer- und Finanzpolitik steht damit letztlich an einem Scheideweg. Gelingt es, die strukturelle Unterfinanzierung durch sozial gerechte Steuererhöhungen zu beheben, dann liegen die Sicherung der staatlichen Handlungsfähigkeit und die zentralen Zukunftsinvestitionen in greifbarer Nähe. Werden die notwendigen steuerpolitischen Schritte unterlassen, kann man nur noch auf anhaltendes großes Konjunkturglück hoffen. Bleibt dieses aber aus, ist eine Fortsetzung der langjährigen Entstaatlichungspolitik mit allen wirtschaftlichen und sozialen Folgen vorprogrammiert. ■
Mitbestimmung 6/2013
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Mitbestimmung, Hans-Böckler-Sti ung, D, Award of Excellence, Typography
Rheingauer Wirtschaftsforum 2012
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www.rheingauer-wirtschaftsforum.de
Rheingauer Wirtschaftsforum 2012 Wirtschaft gestaltet Gesellschaft Sabine Altmann / Dr. Petra Bock / Prof. Dr. Rolf D. Cremer / Dagmar Döring / Christian Hecker / Prof. Dr. Dr. h. c. Brun-Hagen Hennerkes / Prof. Dr. Dr. Gerald Hüther / Emmerich Müller / Florian Rentsch / Andrea Riedmann / Stefanie Schütt / Rosely Schweizer / Prof. Jan Teunen
Hrsg. Dagmar Döring
Rheingauer Wirtscha sforum 2012, Lekkerwerken GmbH, D, Award of Excellence, Typography
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Rheingauer Wirtscha sforum 2012, Lekkerwerken GmbH, D, Award of Excellence, Typography
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Rheingauer Wirtschaftsforum 2012 Wirtschaft gestaltet Gesellschaft
Hrsg. Dagmar Dรถring
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Inhalt
5
Inhalt
7 vorwort Dagmar Döring / Initiatorin Rheingauer Wirtschaftsforum 11
grusswort Florian Rentsch / Hessischer Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung
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vermögenserhalt über generationen Emmerich Müller / Partner des Bankhauses Metzler
Vielfalt als Chance
Beispiele aus der Praxis: Blick in die Zukunft
Herausforderungen in der globalisierten Welt
Unternehmer als Vorreiter einer neuen Kultur
29 vielfalt als chance einer neuen
39 von der industriellen ökonomie
57 neue märkte – neue konsumenten –
77 Die Zerbrechlichkeit des Guten –
unternehmenskultur
zur wissensökonomie
neue wettbewerber
Dr. Petra Bock / Autorin und Leiterin der
Christian Hecker / Geschäftsführer
Andrea Riedmann / KPMG AG,
Über Familiengeist und Wirtschaftskraft
Dr. Bock Coaching Akademie Berlin
Bene Deutschland GmbH
Partnerin im Bereich Audit
Prof. Jan Teunen / Teunen Konzepte GmbH
Stefanie Schütt / KPMG AG, 33 ohne frauen hat wirtschaft
45 gelebte werte im
keine zukunft
familienunternehmen
Rosely Schweizer / Ehem. Vorsitzende des
Prof. Dr. Dr. h. c. Brun-Hagen Hennerkes /
Beirats der Oetker Firmengruppe und Vorsitzende
Stiftung Familienunternehmen
des Kuratoriums der Käte Ahlmann Stiftung 51
demokratie im unternehmen
Segmentleitung Familienunternehmen
89 Von der Ressourcennutzung
zur Potenzialentfaltung 67 gaige kaifang: marktwirtschaft,
freies unternehmertum und gesellschaftlicher wandel – das beispiel china
Sabine Altmann / Wagner & Co. Solartechnik
Prof. Dr. Rolf D. Cremer / Präsident der EBS
GmbH, Entrepreneur des Jahres 2011
Universität für Wirtschaft und Recht, Wiesbaden
Prof. Dr. Dr. Gerald Hüther / Neurobiologe, Universität Göttingen und Mannheim /Heidelberg
100 Referenten 108 Impressum
Rheingauer Wirtscha sforum 2012, Lekkerwerken GmbH, D, Award of Excellence, Typography
12 Typography 24 Grußwort
11
Grußwort Florian Rentsch / Hessischer Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung
Wir erleben, wie sich wirtschaftliche Grenzen mit hoher
und Technologiepolitik zu einem Schwerpunkt meiner
Geschwindigkeit auflösen. Räumlich durch die Globa-
Arbeit machen. Denn ich bin der festen Überzeugung,
lisierung, aber auch zwischen den Branchen. In jedem
dass wir die großen gesellschaftlichen Herausforderun-
Auto können wir erleben, wie klassische Industriepro-
gen der Zukunft nur mithilfe von technologiebasierten
duktion und IT einander durchdringen. Wer das heutige Lösungsansätzen meistern können. Wirtschaftsleben verstehen und das Kommende antizipieren will, muss deshalb einen interdisziplinären
Dies gilt gerade für die Energiewende. Sie wird nicht
Blickwinkel einnehmen. Genau das tut das Rheingauer
gelingen, wenn wir die Energieversorgung durch die
Wirtschaftsforum.
ausufernde Subventionierung alternativer Energien maßlos verteuern. Vielmehr müssen wir effizientere
Nicht die geringste der Fragen, denen es sich stellt,
Wege gehen, neue Technologien zu unterstützen, etwa
ist die nach einer neuen Unternehmenskultur. Nun ist
durch Forschungsförderung. Ansonsten belasten wir
gesellschaftliches und soziales Engagement von Unter-
die Unternehmen, die in Deutschland produzieren, mit
nehmen nichts Neues. Im Gegenteil: Es ist so alt wie
einem einseitigen Wettbewerbsnachteil – und treiben
die Industrialisierung. Nachhaltigkeit gab es schon im
sie damit aus dem Land. Es ist grotesk, dass man uns
19. Jahrhundert – nur nannte man sie damals »Weit-
diese kurzsichtige Politik als »nachhaltig« verkaufen will.
sicht«. Ohne sie gäbe es heute nicht die vielen traditionsreichen Familienunternehmen. Relativ neu aber
Das Problem der Standortkosten trifft leider nicht nur
ist, dass soziale und ökologische Verantwortung sei-
energieintensive Branchen. Ich sage ganz klar: Die
tens der Gesellschaft angemahnt wird. Unternehmen
Finanztransaktionssteuer halte ich für eine falsche
müssen sich heute an hohen Ansprüchen messen las-
Symbolpolitik. Die Hoffnung auf Steuereinnahmen
sen – und das geschieht völlig zu Recht, wie ich meine. sowie die vermeintliche Beteiligung der Verursacher Ich sage aber auch: Mit ebensolcher Berechtigung
an den Kosten der Krise vernebelt den Blick auf den
sollten sie dann aber von der Gesellschaft Akzeptanz
massiven Schaden, den diese Steuer für den Finanz-
erwarten können.
platz Frankfurt anrichten kann. Der Finanzplatz Frankfurt trägt erheblich zur Stärke unseres Wirtschafts-
Da sehe ich allerdings Nachholbedarf. Denn in Euro-
standorts bei. Er ist ein wichtiger Arbeitgeber für
pas Wirtschaftsmotor haben leider auch diffuse Ängste
Hessen – und ich möchte nicht, dass diese Arbeits-
Konjunktur. Dass wir eine Zukunftsbranche wie die
plätze eine Flugstunde weiter nach London abwan-
Pflanzenbiotechnologie durch politischen und gesell-
dern. Dafür werde ich mich in meinem Amt einsetzen.
schaftlichen Widerstand aus dem Land getrieben haben, ist mehr als bedauerlich. Statt saturierter Wachstumsskepsis brauchen wir ein Klima der Aufgeschlossenheit gegenüber Naturwissenschaften, Technologie und Industrie. Wir brauchen ein Klima des Fortschritts und nicht des Rückschritts. Ich werde deshalb die Industrie-
Florian Rentsch
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Vermögenserhalt über Generationen
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»Private Banking ist seit jeher die Kunst, jene Risiken zu steuern, die den langfristigen Vermögenserhalt bedrohen. «
Private Banking und demografische Entwicklung
hinwegtäuschen, dass es immer elementare Risiken
Private Banking ist seit jeher die Kunst, jene Risiken
Konjunktur- und Börsenphasen, sondern auch »echte«
zu steuern, die den langfristigen Vermögenserhalt
Krisen existenzieller Natur, die den Vermögenserhalt
bedrohen. Vor diesem Hintergrund ist das demogra-
gefährden. Ein aktives Risikomanagement muss des-
fische Problem, die Überalterung unserer Gesellschaft,
halb in jedem Fall den Kern der Vermögensverwaltung
keines, welches das Geschäftsfeld Private Banking vor
im Rahmen des Private Banking bilden – nur so lässt
neue, unbekannte Herausforderungen stellt. Im Pri-
sich das wichtigste Ziel, der langfristige Vermögens-
lungen gehört deshalb unbedingt zum Rüstzeug für
vate Banking müssen keine innovativen Programme
erhalt, erreichen. Das heißt: bei einem Anlagehorizont
ein aktives Risikomanagement. Da sich die Krisen der
mit besonderen Lösungen für eine alternde Klientel
von mindestens zehn Jahren eine positive Performance
Vergangenheit jedoch nicht eins zu eins auf die Zukunft vationszyklus entsteht ein Boom. Da aber der Umgang
vorbereitet werden. Denn die meisten Kunden von
nach Abzug aller Kosten, Steuern und der Inflationsrate.
übertragen lassen, geht es im aktiven Risikomanage-
mit diesen Innovationen erst gelernt werden muss,
gab und auch weiter geben wird – nicht nur schwache
Dampfmaschine, das Automobil, der Elektromotor oder das Internet. Gerade zu Beginn eines neuen Inno-
ment ebenso darum, die gegenwärtige Situation zu
gehen die stürmischen Entwicklungen oft einher mit
Lebensalter erreicht, sind vielfach selbst Unternehmer,
Definition Risikomanagement
analysieren und sich ein Bild über mögliche Krisen-
Fehlinvestitionen und -entwicklungen. Die Krise am
die entweder einen eigenen Betrieb aufgebaut oder –
Risikomanagement bedeutet, planvoll mit möglichen
szenarien der Zukunft zu machen.
Neuen Markt im Jahre 2001 ist ein bekanntes Beispiel
weit häufiger – das Unternehmen bereits selbst von
Gefahren umzugehen, sie zu analysieren, zu bewerten
ihren Vorfahren übernommen haben. Das demografi-
und ihnen mit Weitsicht zu begegnen, bevor daraus
Grund für das Entstehen von Krisen ist, dass es keine
sche Problem ist bei Familienunternehmern schon sehr
Probleme entstehen. Auf Vermögen bezogen gäbe es
Wirtschaftsentwicklung ohne Übertreibungen, keinen
früh präsent, da das eigene Alter und damit das Nach-
allerdings ohne Risiken – in jeder Asset-Klasse – keine
Boom ohne Rezession gibt. Ein erster Erklärungsansatz die Weltwirtschaftskrise von 1929
folgeproblem immer auf ihrer Agenda stehen. Darüber
Chancen. Dabei ist die Ansicht darüber höchst individu-
dafür setzt beim menschlichen Handeln an. Der Mensch
Die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland war niemals
hinaus haben sie in ihrem Leben selbst Erfahrungen
ell, welche Risiken noch tragbar sind und welche Chan-
verhält sich oft nicht objektiv und rational – und wenn
stetig, vielmehr war sie durch eine Reihe schwerer
viele Menschen gleichermaßen irrational handeln,
Krisen und Strukturbrüche gekennzeichnet, die sich
Metzler Private Banking haben bereits ein höheres
mit dem Auf und Ab von Wirtschaftszyklen und -krisen cen damit »erkauft« werden sollen. Ein aktiver Risiko-
dafür.
Risikoanalyse der Vergangenheit:
sammeln können und wissen, dass stark tradingorien-
manager muss deshalb immer darauf bedacht sein,
kommt es zu Fehlentwicklungen. Der Mensch ist eben
auch auf die privaten Vermögen beträchtlich auswirk-
tiertes Handeln nur wenig dazu geeignet ist, Vermögen
Chancen und Risiken sorgfältig abzuwägen – im Sinne
nicht der viel gepriesene »Homo oeconomicus«. Wenn
ten. Vor allem die Zeit zwischen den beiden Welt-
aufzubauen oder gar nachhaltig zu erhalten. Zudem
des Kunden und des langfristigen Vermögenserhalts.
Menschen Investitionsmöglichkeiten oder Preise kol-
kriegen hatte mit Hyperinflation und Weltwirtschafts-
lektiv falsch einschätzen, kommt es zu Preisblasen,
krise katastrophale Folgen für viele private Vermögen.
hat Lebenserfahrung ihre Risikosensibilität geschärft.
Risikoanalyse als erster Schritt des Risikomanagements
die früher oder später platzen müssen. Beispiele dafür
Hyperinflation und die Weltwirtschaftskrise in den
Banking-Kundenberatern und -Kunden ist somit recht
sind die Tulpenkrise zwischen 1634 und 1637 oder
unruhigen Zeiten der Weimarer Republik stehen für
ähnlich und erleichtert Gespräche auf Augenhöhe. In
Die Risikoanalyse ist der erste Schritt des Risikomana-
die japanische Immobilienkrise in den 1990er-Jahren.
zwei Risiken, die auch heute jedes Vermögen bedrohen:
diesem Sinne ist Private Banking ein demografiefester
gements im Private Banking: Während Chancen die
Ein zweiter Ansatz konzentriert sich auf externe Ein-
Geschäftszweig.
Möglichkeit bieten, das Vermögen weiter auszubauen,
flüsse, die das wirtschaftliche Handeln beeinflussen –
bis zu ihrem Höhepunkt am 20. November 1923 gigan-
können Risiken das eigene Vermögen verkleinern oder
beispielsweise, wenn sich die Rahmenbedingungen
tische Werte. Musste man 1914 für einen US-Dollar
Die besondere Aufgabe des Risikomanagements im Private Banking
im schlimmsten Fall sogar vernichten. Die grundlegen-
ändern, sei es durch Gesetze, durch die Einführung
noch 4,20 Mark ausgeben, waren es am Schluss rund
de Risikoanalyse beginnt am besten mit einem Blick
eines anderen Wirtschaftssystems oder durch Kriege.
4,2 Billionen Mark. Alles Vermögen, das nicht in Sach-
zurück. Denn viele Konstellationen der Vergangenheit
Beispiel dafür ist die Weltwirtschaftskrise 1929. Ein
Die beeindruckenden Zahlen über den Vermögens-
können sich in ähnlicher Form in der Zukunft wieder-
dritter Erklärungsansatz sind Innovationen, die das
krise war die erste globale Wirtschaftskrise der indus-
bestand in Deutschland dürfen jedoch nicht darüber
holen. Eine sorgfältige Bewertung historischer Entwick-
Wirtschaftswachstum stimulieren, zum Beispiel die
trialisierten Welt. Der Börsenkrach an der New Yorker
Der Wissens- und Erfahrungshorizont von Private-
Inflation und Deflation. Die Hyperinflation vernichtete
werte investiert war, ging verloren. Die Weltwirtschafts-
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Vielfalt als Chance
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