njb edition abenteuer (2013)

Page 1

edition: abenteuer Das neue Heft der Nachwuchsjournalisten in Bayern e.V.


Was ist der NJB?

Der NJB ist ein Netzwerk junger Journalisten und Starthilfe in den Journalismus. Unser Anliegen: Berufseinsteiger verknüpfen und Qualitätsjournalismus fördern. In seinem 25-jährigen Bestehen hat der NJB zahlreiche Partnerschaften aufgebaut, von denen die Mitglieder bis heute profitieren. In preisgünstigen Seminaren lernen NJBler Podcasting, Rhetorik oder Videojournalismus. Recherchereisen und Infoabende gewähren den Jungjournalisten Einblicke in die Medienwelt. Beim Tutoratsprojekt in Kooperation mit dem Presseclub München können sich Berufseinsteiger ein Jahr lang von einem Profi begleiten lassen. Ein weiterer großer Vorteil des NJB: Für 15 Euro erhalten Mitglieder einen Presseausweis.

Mitglied werden!

Möchtest du dich journalistisch weiterbilden? Neue Medien kennenlernen? Einen Presseausweis? Dich mit Journalisten austauschen? Wichtige Medienleute kennenlernen? Recherchereisen unternehmen? Dann ist der NJB das Richtige für dich! Die Mitgliedschaft kostet jährlich 30 Euro für unter 26-Jährige und 50 Euro ab 26 Jahren. Auf njb-online.de kannst du dich anmelden.

Newsletter?

Im regelmäßigen NJB-Newsletter erhältst du alle Termine und Neuigkeiten des NJB. Zum Abonnieren schicke eine kurze Mail an:

njbnewsletter+subscribe@googlegroups.com

Mitschreiben?

Hast du Lust, für die NJB editionen zu schreiben? Nur zu. Wir sind gespannt auf aufregende Reportagen, enthüllende Berichte oder neue Textideen! Melde dich bei:

natalie.mayroth@njb-online.de


edition: abenteuer Das neue Heft der Nachwuchsjournalisten in Bayern e.V. Ausgabe eins | Oktober 2013

Ein Abenteuer wartet. Verpatzte Interviews. Händeschütteln. Herzklopfen. Hoffentlich ist kein Fleck auf dem Hemd? Mediale Aufmerksamkeit. Peinliche Fragen. Große Auftritte. Erleichterung. Journalist sein kann ganz schön aufregend sein. Und der Weg dorthin in dieser vielbesagten Medien-Krise noch mehr. Und was ist nun der Königspfad? Querfeldein durchs Medien-Dickicht, mit Plan geradewegs nach oben, oder schlängelnd von Job zu Job? Wir haben Leute auf ihren Streifzügen durch den Journalismus getroffen - vom Blogger über den Youtubber und Schreiberling bis zum Filmemacher. Danke an die Unterstützer, Layouter, Autoren, dass dieses Heft zustande gekommen ist – und natürlich: an die Leser. Caroline von Eichhorn Marc R. Hofmann Natalie Mayroth Isabel Steffens


4


INHALT edition: abenteuer von Seite eins bis einundsechzig

Eigentliches Lebensziel: ausschlafen: Philipp Walulis

06-11

Ich bin mein eigener Chefredakteur: Tilo Jung

12-15

Leute in den Orbit ziehen: Martin Eiermann

16-19

Werkzeug Datenjournalismus: Lorenz Matzat

20-23

Ein guter Schnitt: Anke Eberhardt

24-39

KSK: Schutzschild vieler Freier

30-33

Ich bin ein Mix & Match aus Männerbildern: Fabian Hart

34-37

Moderieren ist Lego in groß: Sebastian Winkler

38-43

Früher war auch nicht alles besser: Dr. Bernhard Goodwin

44-45

Zu zweit auf 12qm in Brasilien: Lisa Altmeier und Steffi Fetz

46-49

Die drei Funktionen des Filmemachens : Matthias Zuber

50-55

TViva Colonia: Der NJB auf Exkursion

56-57

Ein NJB-Mitglied stellt sich vor: Marcel Vogt

58-59

Ein NJB-Mentor stellt sich vor: Karsten Lohmeyer

60-61


6


von Caroline von Eichhorn

Wie wird man Grimme-Preisträger? Philipp Walulis, 33, hat es geschafft. Er hat mit seiner Sendung »Walulis sieht fern« (damals noch TELE 5) gegen die heute-show (ZDF) und Stromberg (ProSieben) gewonnen. Dabei wollte er eigentlich Lokomotivführer werden.

»Mein eigentliches Lebensziel: ausschlafen«

7


Foto: Gert Krautbauer

Nein, überhaupt nicht. Weder durch Vorbildleistung noch durch aktives Einwirken der Eltern ist es zu diesem Medienkäse gekommen. Es war meine Entscheidung.

8

Wolltest du schon immer ins Fernsehen? Ich war ja erst beim Radio. Das Schöne am Fernsehen gegenüber dem Radio ist, dass man auch auf visueller Ebene Witze machen kann. Da stößt man im Radio schnell an Grenzen. So gesehen war das Fernsehen eine logische Entwicklung. Aber wolltest du schon immer ins Radio? Nein, auch nicht. Was war als kleiner Junge dein Traumberuf? Ich wollte Lokomotivführer oder Richter werden. Dann habe ich bei Radio Energy ein Praktikum gemacht und alles kam anders. Was machen deine Eltern? Haben sie dich in der Berufswahl beeinflusst?

Wenn nicht deine Eltern – wer hat dich dann beeinflusst? Mich beeinflusst, was mir Spaß macht. Als ich beim Münchner Studentenradiosender M94.5 mit Parodien angefangen habe, hat das Spaß gemacht und war auch noch erfolgreich. Und da hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es toll ist, Satire zu machen. Wenn man auch Geld dafür bekommt, ist das natürlich noch schöner. Was viele nicht wissen: Deine Satire-Sendungen auf M94.5 waren noch viel lustiger als »Walulis sieht fern«. Hat es dir wehgetan, Ironie wegzunehmen, damit die Formate massentauglicher werden? Nein. Das war auch keine aktive Entscheidung. Es hat sich so entwickelt. Wenn man alles mit Ironie zupflastert, dann verstehen es viele Leute nicht. Außerdem finde ich es feige, sich immer hinter Ironie zu verstecken und nicht klar Stellung zu beziehen. Bei einigen Themen ist es wichtig zu sagen: »Das finde ich scheiße, was da gemacht wird, und diese Aussage ist nicht ironisch!« Ich


bin inzwischen dazu übergegangen, Ironie weniger, dafür aber gezielter einzusetzen. Ist es deine tiefere idealistische Absicht, die Fernsehlandschaft mit deiner Kritik zu ändern oder geht es dir wirklich nur um Spaß? Ich glaube, dass es gar nicht funktioniert, das Fernsehen bewusst zu ändern. Denn medienkritische Sendungen schauen sich auch medienkritische Menschen an, die ihre Ansichten bestätigt haben wollen. Aber wir freuen uns natürlich schon, wenn wir ein paar Leute erreichen, denen wir mit unserer Sendung unauffällig zwei, drei kritische Aspekte unterjubeln, so dass sie darüber nachdenken. Dennoch bringt es überhaupt nichts, belehrend aufzutreten. Wir versuchen, eine gute Mischung aus Heiterkeit und Tiefgang zu finden. Woher kommt das schlechte Fernsehen: von den Machern oder den Zuschauern? Das ist so ein typisches HenneEi-Problem. Klar – die Sendungsideen sind von den Machern. Aber wenn keiner zuschaut, wird die Sendung abgesetzt. Das ist ein unlösbares Problem. Dennoch muss man sich als Fernsehmacher den Trends aussetzen. Derzeit ist zum Beispiel Scripted Reality wieder out. Man würde

sich als Medienkritiker zu viel Einfluss zusprechen, wenn man meint, dass man alles steuern könne. Du hast gesagt, du hättest mit deinen Satire-Formaten angefangen, um die klassische Arbeitswoche zu umgehen. Wie viel und wann arbeitest du am liebsten? Ich versuche seit der Schulzeit, nur im zweistelligen Bereich aufzustehen. Das ist mein eigentliches Lebensziel: ausschlafen. Ich habe gemerkt: Vormittags, so von 11 bis 14 Uhr, kann ich am besten schreiben. Am Nachmittag kann ich eher die Gedanken schweifen lassen und mir lustige Sachen überlegen. Die wirren Gedanken des Nachmittags aufzuschreiben, das klappt dann wieder vormittags besser. Und wie viel ich arbeite? In der Vorbereitung einer neuen Staffel von »Walulis sieht fern« habe ich eine Sechs-TageWoche und bin nur zum Schlafen zu Hause. Was vermisst du im deutschen Fernsehen? Generell finde ich es nicht so schlecht. Es ist für alle etwas da. Es ist nur eine Frage des Suchens. Wer nur einfach den Fernseher anmacht, wird enttäuscht. Ich würde mir aber noch mehr gut gemachte, fesselnde deutsche Fiktion wünschen, die über ei-

9


nen fürchterlichen Sat.1-Fun-FunMovie-Movie hinausgeht. HBO aus den USA zum Beispiel ist ein ganz toller Sender. Wie viel schaust du fern? In der Vorbereitung der Staffel schaue ich etwa einen halben Tag fern – das ist aber beruflich. Ich würde wahnsinnig werden, wenn ich privat so viel Mist schauen müsste.

10

Wohin geht das deutsche Fernsehen? Werden die Sendungen immer dümmer? Nein, ich glaube, das Fernsehen geht nur in zwei Richtungen. Da gibt es dieses Hintergrund-Gedudel-Fernsehen, das die Leute nach der Arbeit einschalten, um sich ohne geistige Anstrengung

beschallen zu lassen. Und dann gibt es das bewusste und intelligente Fernsehen. Das wird man auch nicht mehr linear sehen, sondern eben dann, wenn man Zeit dafür hat. Kannst du dir einen anderen Beruf als Fernsehmacher vorstellen? Einen anderen Beruf? Schwierige Frage. Was könnte ich denn noch machen? Ich kann noch Parkett verlegen. Caroline hat in München und London Design, Kunst und Politik studiert und die Journalistenschule ifp besucht. Sie arbeitet für den Bayerischen Rundfunk und die Süddeutsche Zeitung.


11


Foto: Natalie Mayroth

von Natalie Mayroth

»Ich bin mein eigener Chefredakteur«

12

Ob Peer Steinbrück, Jürgen Trittin oder Katja Kipping – vor Tilo Jung, 27, ist kein Politiker mehr sicher. Im Februar ging er auf YouTube mit der Interviewreihe »Jung & Naiv – Politik für Desinteressierte« an den Start. Fünf Jahre lang durchlief er nach seinem Abitur beim Nordkurier verschiedene Stationen, bis es ihn nach Berlin zog und er in die Social-Media-Welt zu StudiVZ gelangte. Um an bessere Technik zu gelangen, finanzierte sich Tilo zunächst über Crowdfunding. Von Beschnitt hält das Gelegenheits-Model nicht viel. Seine Gespräche sind uncut. Egal ob Politiker oder Experte, bei seinen Interviews begegnet er seinen Partnern am liebsten frech mit Hand in der Hosentasche und wünscht sich Antworten, die auch eine 14-Jährige versteht. Seit September flimmert Jung auch zur Primetime über die Monitore des TV-Senders »Joiz«.


Jeder sucht sich im Netz seinen Platz, warum ist Politik deine Nische? Ich habe keine Spezialität. Bei »Jung & Naiv« wollte ich politische Gespräche führen. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, nach der Wahl nicht mehr über Politik zu reden. Wir haben zur Web-Konferenz Republica auch sechs Folgen »Republica für Desinteressierte« gedreht, die nicht primär den Fokus Politik hatten. Es ist gerade im Augenblick der Fall, dass wir über Politik reden, bis es mir zu langweilig wird oder ich schon jeden interviewt habe. Gerade bevor du angerufen hast, habe ich die 88. Folge online gestellt. Aber Anlass für deinen PolitikTalk waren doch sicher die anstehenden Wahlen dieses Jahr? Sie wurden zum Thema, weil ich die letzten Jahre frustriert war. Ich bin von der deutschen Medienlandschaft sehr enttäuscht. Ich wollte ein Zeichen setzen und es anders machen. Dass meine Videos so erfolgreich sein würden, war mir nicht klar. Was regt dich auf? Den Bürgern wird Politikverdrossenheit vorgeworfen. Aber das Problem sind nicht die Menschen, sondern die Massenmedien. Sie wollen nicht mehr erklären, wie Politik funktioniert, etwa warum wir Waffen ins Ausland zu Diktatoren schicken. Es kommt hinzu,

dass die Sprache der Politiker in den Medien übernommen wird. Es wird gar nicht mehr übersetzt. Sie reden in einer Sprache miteinander. Die Wähler sind völlig irrelevant geworden. Der Wahlkampf ist das beste Beispiel. Ist das Problem nicht, dass keiner mehr Position beziehen will? Hauptaufgabe eines Journalisten ist es, eine Haltung zu haben. Das beste Handwerk nützt sonst nichts. Wie ist deine Haltung? Die kann sich jeder selbst auslegen. Man sollte sich nicht labeln lassen, damit macht man es anderen zu einfach. Der eine denkt, ich sei ein Liberaler, der andere hält mich für einen Linken oder Konservativen. Das muss ich nicht befeuern. Man muss auch nicht überall eine Haltung vertreten, aber da, wo man meint, dass Bullshit herrscht, sollte man das sagen.

Braucht es nach den Bundestagswahlen noch »Jung & Naiv«? Auf jeden Fall. Ich finde den Wahlkampf sehr störend. Er überhöht so vieles. Es werden auch von anderen Medien gute Formate produziert, doch durch Sendungen wie das Kanzlerduell bestimmen die Massenmedien, wo es langgeht – dabei haben wir kein Zweiparteiensystem.

13


Aber zwei sehr dominante Parteien. Dank der Medien. Wenn so über die Vergangenheit der SPD und CDU der letzten 30 Jahre berichtet werden würde wie über die der Grünen aktuell, hätte man wahrscheinlich eine ganz andere politische Stimmung. Wenn man die Spendenaffäre der CDU, die erst 15 Jahre her ist, mal wieder hochholen würde, anstatt der Pädophilie-Debatte. Es wirkt für mich gesteuert, wenn eine Woche vor der Wahl noch einmal die Grünen gebasht werden.

14

Du arbeitest als freier Journalist, kannst du davon leben? Mittlerweile kann ich von »Jung & Naiv« leben, da wir einen Fernsehsender haben, der uns bezahlt, und wir von Google gesponsort werden. Die Medienkritik schlägt aus zwischen jungem, naivem Erklärbär bis zu Revolutionär des Journalismus auf YouTube. Wie gehst du damit um? Kollegen unterstützen mich in allergrößter Form. YouTube bedankt sich, dass meine Videos so lang sind. Mit negativen Kritiken kann ich umgehen. Man fragt sich nur, warum manche Leute eine Folge ansehen und daraufhin eine Sendungskritik schreiben.

Warum sind deine Videos so lang? Es ist ein Gespräch und kein taktisch geführtes Interview, bei dem ich bei der zehnten Frage hammerhart werde. Ich will ein Gespräch führen, das sich natürlich entwickelt. Was mich bei anderen Medien an Interviews stört, ist, dass sie kürzen. Das mag auch aus Platzgründen geschehen. Aber sie entscheiden damit vorab, was wichtig ist. Ich möchte Informationen an die Hand geben, aber nicht entscheiden, was für den Zuschauer relevant ist. Für die Ausstrahlung im Fernsehen wird die Sendung jedoch auf 20 Minuten gekürzt. Machst du es dir nicht zu leicht mit deinen naiven Fragen? Das sind Stilmittel. Erreichst du damit deine Zielgruppe, »die Desinteressierten«? Ich habe keine Zielgruppe. Mir ist aufgefallen, dass besonders Leute, die interessiert sind, diese Sachen gucken. Vielleicht, weil sie eine andere Art von Wissensvermittlung haben wollen.


Ich weiß nicht, ob ich damit wirklich die Desinteressierten erreiche. Aber das Coverage über meine Sendung? Ist ja nicht nur in der Süddeutschen, sondern auch in politikfernen Magazinen. Tilo, du hast hochkarätige Persönlichkeiten interviewt. Stößt du deine Gesprächspartner mit deiner lockeren Art nicht vor den Kopf? Bis vor zwei Wochen war das nie ein Problem. Es gibt natürlich Politiker, die das Duzen komisch finden, sich daran aber schnell gewöhnen. Bei unserem Termin mit Wolfgang Thierse musste das Gespräch jedoch abgebrochen werden, weil ihm das nicht gefiel.

Du nimmst einen großen Platz in deinen Interviews ein. Geht es dir eigentlich nur um das Rampenlicht? Das ist die Figur von Tilo bei »Jung & Naiv«, sonst würde das Format nicht funktionieren. Abseits der Sendung bin ich eine andere Person. Siehst du in YouTube die Zukunft? YouTube ist einfach nur ein Distributionsmedium. Ob meine Inhalte um 20:15 auf ProSieben laufen oder auf YouTube – das macht für mich keinen großen Unterschied. Natalie widmet sich derzeit ihrer Magisterarbeit in Kulturwissenschaften. Sie lebt in München und Berlin. Als freie Redakteurin arbeitet sie für die Süddeutsche Zeitung sowie verschiedene Blogs.


von Marc R. Hofmann

sagt Martin Eiermann. Er ist 26 Jahre alt und hat in Harvard und an der LSE studiert, war stellvertretender Chefredakteur des Debattenmagazins The European und ist 2009 im LeichtgewichtsAchter für Deutschland bei den Ruderweltmeisterschaften in Polen angetreten. Im Moment promoviert der gebürtige Mainzer an der University of Berkeley in Soziologie und arbeitet als Auslandskorrespondent weiter für den European, den es seit Herbst 2012 nicht nur online, sondern auch gedruckt und in Farbe zu kaufen gibt.

»Es ist im Interesse der Medien, Leute mit den verschiedensten Biografien in ihren Orbit zu ziehen«

16


Foto: privat

wieder gerne: ein solches Studium ist finanzierbar. Mehr als 60% der Studenten in Harvard erhalten zumindest einen Zuschuss.

Hallo Martin, das ist ein ziemlich beeindruckender Lebenslauf. Wie hast du es so schnell so weit gebracht? Ich komme ursprünglich aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Mainz und bin dort groß geworden. Eigentlich schon langweilig normal. Während der Oberstufe war ich für ein Jahr in den USA und hab es nach meinem Abi mit viel Glück und etwas Verstand nach Harvard geschafft. Klingt toll, aber wie finanziert man das? Google sagt mir, dass du während deines Studiums gerudert hast. Der Sport hat sicher geholfen, angenommen zu werden. In den USA spielt außerschulisches Engagement eine große Rolle. Die Uni vergibt ihre Stipendien aber nicht sport- oder leistungsorientiert, sondern nur auf Basis der finanziellen Situation des Studenten und seiner Eltern. Darum sage ich zukünftigen Studenten immer

Zurück zum Journalismus. Was für Praktika hast du gemacht und vor allem wo? Während meines Studiums in Harvard habe ich die Sommer in Deutschland verbracht und Praktika beim Magazin Cicero und der Bundeszentrale für politische Bildung gemacht. Beim Cicero habe ich Alex Görlach kennengelernt, einen der späteren Gründer von The European. Er hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, nach dem Abschluss in Berlin mitzuarbeiten. Das fand ich sehr spannend und bin 2010 eingestiegen. Nun bist du zurück an der Uni, promovierst in Kalifornien. Wie geht das mit deiner Arbeit beim European zusammen? Ich arbeite weiter, allerdings auf stark reduzierter Basis. Darum bin ich jetzt auch nur noch Korrespondent oder »Editor-at-Large«, wie es so schön heißt. Man darf sich da keinen Illusionen hingeben, nicht alles lässt sich nur über Skype oder E-Mail abwickeln. Im Journalismus passiert sehr viel zwischen Tür und Angel, die persönliche Komponente ist extrem wichtig.

17


Bist Du vorher auf eine Journalistenschule gegangen oder hast ein Volontariat gemacht? Nein, ich hab nicht die klassische Journalistenschule durchlaufen, sondern bin ein Quereinsteiger. Journalismus ist für mich in gewisser Hinsicht wie ein Handwerk: Man lernt durch die Praxis. Das soll aber kein Plädoyer gegen Volontariate sein: Ich habe sicherlich Wissenslücken, die ein Volontär nicht hat – und andererseits habe ich wiederum Fachund Hintergrundwissen, dass man nur durch die redaktionelle Arbeit bekommt. 18

Wie siehst du deine Zukunft im Journalismus? Zurück in die European-Radaktion oder streckst du deine Fühler auch noch in andere Richtungen aus? Ich kann mir Journalismus immer gut vorstellen. Es ist ein Beruf, in dem man einen Sinn für sich finden kann; der jenseits der persönlichen Ebene eine gewisse gesellschaftliche Relevanz hat. Die andere Option ist eine Karriere in der universitären Forschung und Lehre – übrigens aus ähnlichen Gründen: Man produziert und verbreitet sinnvolles Wissen. Ich

bin im Moment in der komfortablen Situation, verschiedene Optionen zu haben. Was empfiehlst du Nachwuchsjournalisten, die vielleicht nicht ganz so viele Stationen im Lebenslauf haben? Es ist ein scheinbares Paradox, dass es auf der einen Seite nie einfacher war, selbst zu veröffentlichen und auf der anderen Seite selten so schwierig, einen richtigen Job zu ergattern. Daher ist jede Empfehlung von mir auch mit viel Kleingedrucktem behaftet. Klar, Eigeninitiative ist wichtig. Sich aktiv präsentieren und viel schreiben. Selbst, wenn es keiner liest. Wer schreibt, strukturiert seine Gedanken und feilt an einem eigenen Stil. Das klingt gut. Klappern gehört offensichtlich zum Handwerk. Ja, definitiv. Für manche Journalisten ist die eigene Marke inzwischen sogar wichtiger als das Medium, für das sie arbeiten – siehe Sascha Lobo oder Stefan Niggemeier. Das schafft natürlich nur eine verschwindend kleine Minderheit, aber trotzdem ist das kein Grund, den Kopf in den sprichwörtlichen Sand zu stecken.


Was mir Sorgen macht ist, dass es aufgrund der vielen unbezahlten Praktika viele junge Leute gibt, die zweifelsfrei eine Bereicherung für den Journalismus wären, aber sich diese erste Hürde finanziell nicht leisten können. Aber es ist doch im Interesse der Medien, die ganze Bandbreite in ihren Orbit zu ziehen. Wie sieht es mit der Bezahlung der Praktikanten beim European aus? Im Moment haben wir leider auch nicht die Finanzen, unsere Praktikanten zu bezahlen – wie viele in der Branche. Wir beschränken die Praktika aber normalerweise auf zwei Monate, weil es irgendwann unfair wird, jemanden ohne Bezahlung zu beschäftigen. Ich glaube aber, dass wir Praktikanten wirklich gute Perspektiven bieten können: Sie können in einem jungen Team schnell Verantwortung übernehmen und Sachen machen, die sonst außerhalb der Norm liegen. Außerdem haben wir schon viele ehemalige Praktikanten eingestellt.

Sollte Journalismus deutlich besser bezahlt sein, damit er auch für Leute mit BWL- oder Ingenieursstudium interessant wird? Na klar sollte Journalismus besser bezahlt werden! Vor allem im Einstiegsbereich. Aber Berufe, die ich für gesellschaftlich wichtig halte, sind nicht unbedingt die, die entsprechend honoriert werden – egal ob Journalist, Krankenschwester oder Lehrer. Hat das Auswirkungen auf deine Entscheidung für oder gegen den Journalismus? Finanzielle Sicherheit ist mir im Moment nicht so wichtig wie vielleicht in einer späteren Lebenslage. Jemand, der das aus rein finanziellen Erwägungen macht, hat erstens das Gehaltsniveau komplett falsch eingeschätzt und zweitens die falsche Motivation. Man macht die Arbeit ja auch, weil man an die demokratische Wirkung des Journalismus glaubt. Das ist natürlich eine relativ banale Phrase, aber sie hat immer noch einen wahren Kern. Ich will keinen Journalismus, in den man nur wegen der Kohle geht. In diesem Sinne: Lasst Euch Euren Idealismus nicht ausreden!

19


von Christoph Behrens

Lorenz Matzat ist Datenjournalist aus Berlin und Mitgründer der Agentur OpenDataCity | Die Datengestalter. Das Medium Magazin zeichnete ihn 2013 zum Newcomer des Jahres 2012 aus, unter anderem wegen einer Vorratsdatenanwendung für Zeit Online. Für Sueddeutsche.de schuf er den Zugmonitor, der Zugverbindungen in Echtzeit in Deutschland visualisiert.

»Datenjournalismus wird zum selbstverständlichen Baustein«

20


Foto: privat

Um Daten zu visualisieren, ist Fusiontables (http://www.google.com/ drive/apps.html#fusiontables) für den Anfang gut, etwa zum Kartieren. Auch Datawrapper (http:// datawrapper.de/) ist recht einfach zu benutzen.

Was macht ein Datenjournalist anders als seine Kollegen? Vom Handwerk her gar nichts, er muss genauso sorgfältig recherchieren und ausgewogen berichten. Die Werkzeuge sind das Neue. Wir können im Digitalen auf neuen Wegen in riesigen Datenbergen nach dem Besonderen suchen, nach Anhaltspunkten für Geschichten. Die lassen sich dann gleich, etwa per Visualisierung, durch die Daten erzählen. Muss ich dafür ein Mathegenie sein? Wir arbeiten viel mit Excel und Statistikprogrammen. Bei größeren Projekten programmieren wir selbst. Die Arbeit geschieht natürlich im Team, keiner muss alles können. Aber ein Händchen für Zahlen ist nicht verkehrt.

Ist es leichter geworden, an Daten von Behörden zu gelangen? Vor drei Jahren war es noch sehr schwer, viele haben gar nicht kapiert, was wir machen. Heute verstehen viele staatliche Stellen, dass man als Journalist Daten als Material haben möchte, dass sie einen journalistischen Wert haben. Heute verwenden wir alles, was uns über den Weg läuft. Man kann ja fast alles zählen und messen. Wo liegt der Mehrwert für den Leser? Er kann Zusammenhänge besser verstehen, bekommt eine neue Perspektive. Eins unserer Projekte ist zum Beispiel der Zugmonitor der Süddeutschen Zeitung. Anstatt einer langen Tabelle sehe ich da endlich mal die Komplexität. Es geht aber beim Datenjournalismus immer um eine Ergänzung, der klassische Journalismus wird dadurch nicht obsolet.

21


Wohin wird sich der Datenjournalismus in Zukunft entwickeln? Größere Redaktionen werden vermehrt Leute im Team haben, die etwas davon verstehen und mit den Tools arbeiten. Ich denke, Datenjournalismus wird einfach ein selbstverständlicher Baustein im Methodenkasten. Als Journalist kann es auf jeden Fall nicht schaden, sich mehr mit Zahlen auseinanderzusetzen. International treiben vor allem die großen Flaggschiffe – die New York Times oder der Guardian – die Entwicklung voran.

22

Welche Datenjournalismus–Projekte finden Sie derzeit am spannendsten? Ein cooles Projekt ist die Website »Land Matrix« (http://www.landmatrix.org/). Dort kann man sehen, wie Investoren in verschiedenen Ländern Grund und Boden aufkaufen, zum Beispiel für die Nahrungsmittelproduktion. Es ist sehr sinnvoll, das zu sehen. Eine NGO betreibt die Seite, es ist also eher eine Ressource für Journalisten als ein fertiges journalistisches Produkt. Als zweites fällt mir »Open Corporates« (http:// opencorporates.com/viz/financial/ index.html) ein: Das ist ein offenes

Handelsregister, das die internationalen Verflechtungen von Firmen anzeigt.

Christoph Behrens war auf der Kölner Journalistenschule und hat Bioingenieurwesen an der TU München studiert. Journalistische Stationen: Süddeutsche Zeitung, WDR, Focus Online, DER SPIEGEL. Gerade macht er seinen Master in Technikphilosophie.


23


von Isabel Steffens

CUT-Chefredakteurin Anke Eberhardt 端ber handgemachten Erfolg

Ein guter Schnitt:

24


25

Schneller, aktueller, interaktiver: Im Mediendschungel wimmelt und wuselt es. Nicht so bei CUT, einem Do-it-yourself-Magazin, das zweimal im Jahr als schwerer Wälzer auf dickem Papier daherkommt. »CUT – Leute machen Kleider« ist ein klassisches Print-Produkt ohne App oder Online-Community und damit eine gedruckte Oase der Entschleunigung – und gerade deshalb erfolgreich? »Unsere Leser sind Fans«, sagt Chefredakteurin Anke Eberhardt, 31. »Auch wenn wir sie nicht mit Instagram-Fotos bombardieren und jeden Tag zwölf Status-Updates auf Facebook posten.« 27.000 Exemplare werden pro Ausgabe gedruckt, der Preis liegt bei 9,50 Euro. Kein Schnäppchen – doch das Magazin rund ums Handarbeiten verkauft sich gut. Warum erklärt Anke Eberhardt im Interview.


26

Foto: CUT

Sie dachte einfach nur, da muss man was machen.

Anke, wie kam es zu der Idee, ein Do-it-yourself-Magazin herauszubringen? Meine Kollegin Lucie Heselich hatte 2009 ein gutes Gesp端r f端r den aufkommenden DIY-Trend. Sie ist Grafikerin, hatte 端berhaupt keine Magazinerfahrung.

Und dann habt ihr das Ding im Alleingang produziert? Mehr oder weniger. Wir erscheinen bei independent Medien-Design, das ist eine Design-Agentur, bei der Lucie und meine andere Kollegin, Marta Olesniewicz, arbeiten. Sie haben ihrem Chef von der Idee erz辰hlt und er hat das Potential darin gesehen. Ich mag die Geschichte gerne: Inzwischen sind wir zwar gut etabliert, aber am Anfang war das Heft selbst ein DIY-Projekt. Keiner der Macher hatte Magazinerfahrung.


27

Du selbst kommst aber aus dem Journalismus… Ja, ich schreibe frei für viele Magazine und habe als Freelancerin bei CUT angefangen. Zuerst habe ich auch bei ein paar Sachen den Kopf geschüttelt: Zum Beispiel gab es keinen Seitenplan. Das war alles kreatives Chaos – aber mit diesem Wunsch, der DIY-Kultur eine Plattform zu geben. Professionelle Medienmacher hätten sich so etwas vielleicht gar nicht getraut, gerade in Zeiten, wo es mit den Print-Auflagen bergab geht. Glaubst du, das war euer Vorteil?

Wir hatten schon Glück, dass sich der DIY-Trend inzwischen so ausgeprägt hat, wie man es sich am Anfang gar nicht hätte vorstellen können. Bei CUT habe ich das Gefühl, dass die Leser Fans sind. Ich glaube, das liegt daran, dass das Magazin einen Charakter hat, der nicht überprofessionell, sondern handgemacht ist. Das macht es wesentlich authentischer, als wenn man so ein Heft aus einer Riesenmaschinerie rausspucken würde. Aber im Nachhinein ist es natürlich einfach zu sagen, das hätte auch so funktioniert – inzwischen sind ja viele Magazine auf den Zug aufgesprungen.


Seit drei Ausgaben bist du Chefredakteurin. Ein Vollzeitjob? Nein, ein Vollzeitprojekt ist es bis heute nicht. Wir sind ein ganz kleines Team und jeder hat nebenbei noch andere Jobs. Das läuft alles über Motivation und den Willen, sich auch nach Feierabend und am Wochenende hinzusetzen.

28

Wie finanziert ihr dieses Herzensprojekt? Wir haben den Segen von independent Medien-Design, die CUT ganz klar als Aushängeschild sehen. Beim Anzeigenverkauf stockt es im Moment etwas. Das ist generell bei Nischenprodukten schwierig. Woran liegt das? Ich habe das Gefühl, dass sich Menschen in Marketingabteilungen meistens sehr aufs vermeintlich sichere Pferd verlassen und in konkrete Schubladen investieren. Da wird dann eben ein reines Frauenmagazin oder ein reines Modemagazin gebucht. CUT ist schwer greifbar: Irgendwie ist es ein Mode-DIY-Magazin, wir haben aber auch viel Design drin. Anzeigentechnisch ist auf jeden Fall noch Luft nach oben. Dafür hören wir von unserem Vertrieb, dass sich CUT am Kiosk mit am besten verkauft. Wir haben so gut wie keine Rückläufe. Auf unsere treue Leserschaft ist Verlass.

Lob gibt es ja nicht nur von den Lesern: Ihr habt schon diverse Auszeichnungen der eigenen Branche eingeheimst, zum Beispiel einen Lead-Award in der Kategorie Newcomermagazin. Wie wichtig ist euch die Anerkennung von Kollegen? So etwas ist natürlich immer schön. Vor allem, weil man in seinem Kämmerlein den Blick für die eigene Arbeit schon fast ein bisschen verliert. Aber natürlich arbeitet man auf solche Auszeichnungen nicht hin – wenn’s passt, dann passt’s. Wie sieht es bei CUT mit Internet und sozialen Medien aus? Das haben wir ehrlich gesagt ziemlich vernachlässigt. Wir haben eine Webseite, die wir bald relaunchen werden, einen Blog, der regelmäßig aktualisiert wird, und eine Facebook-Seite. Aber da muss mehr passieren. Es gibt wahnsinnig viele Möglichkeiten, die wir auch nutzen sollten. Zum Beispiel? Sinnvoll ist es, ergänzende Infos zum Download bereit zu stellen. Wir haben nicht immer den Platz, jeden Schnitt und jede Anleitung ins Heft zu bringen. Dann baut man einen QR-Code ein und den Rest gibt’s dann online.


Wird es irgendwann eine CUT-App geben? Wir werden auf jeden Fall die neue Webseite so optimieren, dass sie auch gut auf mobilen Geräten funktioniert. Es ist eben immer die Frage: Wie sinnvoll ist es für uns? Um News und Updates zu servieren, ist eine App natürlich super. Bei den Heftinhalten habe ich Zweifel. Mit vielen DIYProjekten wird man, realistisch betrachtet, sowieso zu Hause sein – mit einem Betoneimer in der Hand oder einer Schutzmaske auf dem Kopf. Außerdem wirkt es ja auch ganz anders. Wir sind kein Heftchen, sondern ein schwerer Wälzer mit dickem Papier und gutem Druck – den man sich auch ins Regal stellt. Was wünscht ihr euch für die Zukunft? Wir würden sehr gerne mehr Ausgaben machen. Wir liebäugeln auch immer noch damit, eine englischsprachige Variante zu machen. Unser Plan ist es, online mehr zu machen und auf lange Sicht gesehen noch präsenter zu sein.

Isabel hat Kommunikationswissenschaft und Medienpraxis studiert und volontiert derzeit in der Mediengruppe Münchner Merkur/tz.

29


von Marc R. Hoffmann

Schutzschild vieler Freier in Bedrängnis

Die KSK –


Wenn Journalisten, Autoren oder Künstler von der KSK sprechen, meinen sie damit nicht die Eliteeinheit der Bundeswehr, sondern ganz unmilitärisch die Künstlersozialkasse. Das Thema mag weniger spannend klingen als eine Patrouille durch Talibangebiet, spielt im Alltag freiberuflicher Reporter jedoch eine weitaus größere Rolle. Denn fürs Überleben brauchen die Freelancer keine kugelsichere Weste, sondern Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung – und die müssten sie ohne die KSK aus ihren Honoraren komplett selbst bezahlen. Dazu muss man wissen: In einem Angestelltenverhältnis zahlt der Arbeitgeber neben einem festen Gehalt auch annähernd die Hälfte der Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Deren Kosten sind gehaltsabhängig. Wer mehr verdient, zahlt auch mehr, im Gegensatz zur Privatversicherung sind dafür aber auch verheiratete Partner und Kinder kostenlos mitversichert. Die KSK bietet ihren Mitgliedern genau diese Leistungen. Die Freien – sie stellen heute die Mehrheit der journalistisch tätigen Kollegen – zahlen dann wie Festangestellte nur den Arbeitnehmeranteil und sind so trotzdem gesetzlich sozialversichert. Das KSK-Modell ist möglich, weil die »Verwerter« künstlerischer und publizistischer Leistungen, zum Beispiel Verlage, eine Pauschalabgabe an die Künstlersozialkasse leisten. Dafür müssen sie derzeit 4,1 Prozent aller an entsprechende Mitarbeiter gezahlten Honorare zusätzlich abführen. Da diese Summe jedoch nicht zur Absicherung der zirka 177.000 Versicherten ausreicht, muss der Bund

den Rest aus Steuermitteln zuschießen – zuletzt etwa ein Fünftel. Das Problem: Die Pauschalabgabe zahlen nur Unternehmen, die »regelmäßig« Leistungen Freischaffender in Anspruch nehmen. Viele Arbeitgeber wissen gar nicht, dass sie eigentlich abgabepflichtig wären oder sie versuchen, sich vor der Zahlung zu drücken. Die gesetzliche Rentenversicherung prüft daher im Auftrag der KSK, ob die Beiträge vorschriftsmäßig bezahlt werden. Allerdings ist sich die schwarz-gelbe Bundesregierung uneins darüber, wer die damit verbundenen Kosten ersetzt. Ein Gesetzentwurf, der die Rentenversicherung zu einer regelmäßigen Prüfung verpflichten sollte, wurde deswegen vorläufig gestoppt. Im Bundesarbeitsministerium befürchtet man deshalb, dass die Umlage für die ehrlichen Zahler in den nächsten Jahren deutlich angehoben werden muss. Ende September wurde schließlich eine Erhöhung auf 5,2 Prozent für 2014 verkündet. Doch es regt sich bereits Protest: In einer Online-Petition haben sich bis zum 6. August über 70.000 Unterzeichner für die Wiedereinbringung des Gesetzentwurfs in den Bundestag ausgesprochen. Damit die Künstlersozialkasse freie Journalisten auch in Zukunft in ihrem Beruf unterstützen kann, ohne durch ausufernde Pauschalen für die Unternehmen und den Steuerzahler unerschwinglich zu werden. Denn kämpfen müssen Freie für ihren Traumberuf ohnehin genug.

31


Die KSK: Geht’s auch ohne? In eigener Verantwortung: Freie Journalisten müssen ihre Absicherung selbst in die Hand nehmen. Am meisten schlägt dabei die Krankenversicherung zu Buche – für sie besteht in Deutschland Versicherungspflicht. Neben dem Eintritt in die KSK bestehen zwei Möglichkeiten:

32

Möglichkeit 1

Möglichkeit 2

Die Reporter bleiben bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse und zahlen zusätzlich den Arbeitgeberbeitrag. Das können jedoch leicht über hundert Euro sein. Ansonsten sind die Leistungen aller gesetzlichen Kassen auf einem ähnlichen Niveau und damit mit der KSK vergleichbar.

Sie wechseln in eine private Krankenversicherung. Deren Kosten sind für junge und gesunde Journalisten zumindest zu Beginn häufig niedriger als die Beiträge einer gesetzlichen Kasse, insbesondere, wenn Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag geleistet werden müssen. Außerdem bekommt man bei vielen Ärzten schneller einen Termin, weil sie höhere Behandlungspauschalen abrechnen können. Die Krux: Bestehen Vorerkrankungen oder wird man älter, steigen die Beiträge zur privaten Krankenversicherung – oder die Aufnahme wird gleich abgelehnt. Außerdem sinken die Beiträge auch bei geringerem Verdienst und in der Rente nicht und schließen weder Ehepartner noch Kinder mit ein. Marc R. Hofmann arbeitet als freier Journalist und studiert Politikwissenschaft an der LMU München. Im Rahmen von Praktika und freier Mitarbeit hat er u.a. für theguardian, tagesschau.de und Lübecker Nachrichten geschrieben.


33


von Caroline von Eichhorn

Er fängt Trends ein und gibt sie in seiner eigenen, lyrischen Form wieder: der wahrscheinlich bekannteste deutsche Modeblogger Fabian Hart, 30. In echt ist der gebürtige Baden-Badener nicht so unnahbar cool, wie er auf den Fotos im Internet guckt. Er erzählt mir vom Vollzeit-Bloggen, von Glaubwürdigkeit und Preisgabe.

»Ich bin ein Mix & Match aus Männerbildern«

34


Foto: Roman Raetzke

auch gekennzeichnet. Ich mache das nur mit einer Marke, die ich mag, und in der Gestaltung meiner Beiträge bin ich völlig frei.

Fabian, vor drei Monaten hast du für fünf Magazine gearbeitet. Jetzt schreibst du nur noch für deinen Blog. Was hat sich verändert? Nicht viel. Ich sitze genauso meine Stunden am Tag am Computer und schreibe, telefoniere und recherchiere. Der Unterschied: Ich bin jetzt eine One-Man-Show. Es gibt niemanden über mir, ich verantworte alles selbst. Das ist auf der einen Seite sehr befreiend. Auf der anderen Seite musst du ein gutes Bewusstsein für deine Themen entwickeln, weil niemand gegenliest und sagt: so geht es nicht. Wie ergeben sich aus dem Bloggen deine Aufträge? Ich mag den englischen Begriff Testimonial. Ich bin eine Art Fürsprecher für Marken, in denen ich mich wohlfühle und die meinen Stil verkörpern. Ich trage sie in ein paar meiner Beiträge, zum Beispiel wenn ich einen Musiker interviewe. Das findet nur am Rande statt und wird

Wie läuft das in der Praxis: Schreibst du die Marken an? Mode-Marken kommen auf mich zu. Klinken putzen ist nicht so mein Ding. Mit den meisten war ich schon in Kontakt, als ich noch für Magazine gearbeitet habe. Ich suche mir Klamotten aus, wie ein Redakteur oder Stylist. Die werden mir geschickt und ich schicke sie später, nach dem Shooting, wieder zurück. Dafür stelle ich so und so viel in Rechnung. 35

Was hast du mit deinem Blog noch vor? Ich möchte, dass er erfolgreich wird und sich finanziell lohnt. Mit Werbung? Total gerne. Ich finde das legitim. Ich begrüße auch neue Möglichkeiten wie Sponsorships und Advertorials. Sponsorships und Advertorials, findest du das nicht undurchsichtig? Klar, das ist die Verantwortung eines jeden Bloggers. Wenn ein 16-jähriges Mädchen einen Blog aufmacht und plötzlich begreift, dass ihre Meinung gehört wird, bekommt sie daraufhin vielleicht eine Flasche Champagner ge-


schenkt – darauf ist sie natürlich stolz und postet das. Doch sie merkt gar nicht, dass sie gerade ausgebeutet wurde. Das ist das Gleiche, wie wenn eine Praktikantin im Kopierraum begrapscht wird. Solche Dinge passieren, immer wieder. Aber dafür kann die Darstellungsform Bloggen nichts. Es ist auch eine Frage des Marken-Images. Wenn ich eine Marke auf einem Blog sehe, den ich nicht glaubwürdig finde, habe ich auch mit der Marke ein Problem. Von daher: Know your business!

36

Deine Texte sind sehr poetisch. Wie lange brauchst du für einen Beitrag? Einen Tag. Ich bereite meine Themen genau so gründlich vor wie für einen Printartikel. Das Entwickeln des Themas, das Bearbeiten der Bilder, Zusammenfügen, Schreiben, Headline, Subline, Vorspann - da steckt viel Arbeit drin. Bei Modebloggern denken viele in erster Linie an Klamotten. Was ist Mode für dich? Ich finde es die ursprünglichste und logischste Art, Mode so zu verstehen, dass sie unser Verhalten und unsere Denkart widerspiegelt. Das umfasst viel mehr als nur Klamotte.

Mode ist auch ein veraltetes Wort. Man hört viel öfter Trend, hip, cool. Ich sage gerne: das finde ich modisch. Das klingt ein bisschen wie von einem 60-Jährigen. Das mag ich! Siehst du dich als Journalist oder als Blogger? Ich sehe mich als Autor, der auch journalistisch arbeiten kann. Das fällt natürlich weg, wenn ich Texte schreibe, die eher Kurzgeschichte sind als Artikel. Auf der anderen Seite baue ich auch in journalistische Beiträge Worte ein, die lyrisch sind oder die es eigentlich nicht gibt. Gefährdet das Bloggen nicht den Journalismus, da die Plattformen mit objektiver Berichterstattung weniger werden? Ich finde es schwierig, dass man Blogs immer noch als unjournalistisch oder unglaubwürdig darstellt. Es gibt auch viele Printmagazine ohne Qualität. Kein Mensch würde darauf kommen zu sagen: Wir setzen die Praline oder das Schlüsselloch mit dem Zeitmagazin oder der taz gleich. Obwohl es Printmedien sind, würde sie niemand vergleichen. Blogs werden generalisiert und vereinheitlicht.


Es ist eine Frage der Zeit, bis Leute das Internet als vertrauensvolle Plattform empfinden und Qualitäten unterscheiden können: Wer schreibt? Wie schreibt er? Ist er vertrauenswürdig oder nicht? Ist es für den Leser nicht schwierig, bei der Masse an Blogs gut von schlecht zu unterscheiden? Klar, jeder hat eine Stimme im Netz. Jeder kann sie artikulieren und zu einer Publikation machen. Aber nur wenige Blogs halten sich. Ein Blog lebt auch von der ständigen Erneuerung, der Themenvielfalt, von den ständigen Updates. Wenn du das nicht lieferst, stirbt dein Blog. Nervt das ständige Aktualisieren nicht? Das musste ich beim Print auch. Und das Preisgeben? Ich gebe fast nichts von mir preis. Aber was ich so gelesen habe… in den Details kann man schon viel über dich herausfinden. Ja, aber das kontrolliere ich. Dennoch veröffentlichst du in deinen Blog-Einträgen sehr viele Gedanken und Bilder von dir – ein bisschen exzentrisch, wie man es aus der Modebranche kennt. Aber du bist auch wie ein Soldat, wenn du so gefühllos in die Kamera guckst. Willst du ein neues Männerbild vermitteln?

Nein. Aber ich möchte auch keine Extreme darstellen, also weder der exaltierte Fashion-Blogger, noch der Langweiler sein. Ich versuche aus allen Männerbildern ein Mix und Match zu kreieren, sodass ich nie wirklich einem entspreche, aber doch alle vereine. Das ist das Spiel, dass mich reizt. Egal ob jemand in Süddeutschland zu Hause geblieben ist oder in Berlin seine Agentur in der Kastanienallee eröffnet: Ich glaube, ich habe einen Code gefunden, der nicht in ein Schema passt, aber für viele verständlich ist. Denn das ist mir wichtig: Ich möchte verständlich sein. 37


38


von Natalie Mayroth

Etwas außer Atem schaute mir der fast zwei Meter große Rotschopf Sebastian Winkler entgegen. Der frischgebackene »Top 30 bis 30«-Journalist kam gerade vom Morgensport, als wir uns zum Skypen verabredet hatten. Der 30-Jährige schaffte es dieses Jahr gerade noch in die Auswahl des begehrten Nachwuchspreises der Fachzeitschrift Medium-Magazin. Nach seinem Volontariat beim ifp moderierte er bei on3 Südwild, bis ihm 2011 mit seinem eigenen Format »Die allerbeste Sebastian Winkler Show« der Sprung zum Bayerischen Fernsehen gelang. Heute arbeitet er als Radio- und TVModerator sowie Synchronsprecher.

»Moderieren ist für mich Lego in groß!«

39


Foto: Max Hofstetter

Du liebst die große Bühne. Wolltest du schon immer zum Fernsehen? Das Fernsehen find ich einfach toll. Meine drei Wünsche waren immer: Schauspiel, Moderation und Gesang. Radio und Fernsehen kombinieren eben sehr gut diese Elemente mit den Jobs, die ich machen möchte. Ich habe zwar bei Südwild gelernt, tiefere Gespräche zu führen, aber ich bin nicht der Polit-Talker.

40

Sebastian, man hört dich nicht nur im Radio, man sieht dich auch im Fernsehen. Was fasziniert dich am Moderieren? Ich finde beide Medien sehr cool. Im Radio kann man ohne Mimik oder Gestik »Kino im Kopf« erzeugen. Auch wenn du es gar nicht möchtest, kann ich durch gesprochenes Wort Gefühle und Bilder hervorrufen. Das finde ich spannend. Das Tolle beim Fernsehen ist, dass man auch einfach mal nichts sagen kann und es trotzdem eine Aussage ist. Ich habe mich aber nie bewusst für das Moderieren entschieden. Ich stand seit meiner Kindheit schon immer auf Bühnen, allein dadurch, dass mein Vater ein Theater hatte. Das hat mir immer Spaß bereitet. Für mich hat das Moderieren etwas Spielerisches: hinter der Kulisse stehen, warten bis die Türe aufgeht und die Scheinwerfer angehen. Das ist Lego in groß!

Du hast in einem katholischen Medienhaus volontiert. Hat dich das nachhaltig geprägt? Es hat sich vor allem auf meine »Ich will nur Spaß haben«-Attitüde ausgewirkt. Ich musste mich erst einmal zurückhalten und von Grund auf den Journalismus lernen. Meine Mutter, die bei der Kirche arbeitet, hatte mich damals auf ein Praktikum aufmerksam gemacht, das zu einem Volontariat wurde. Über das ifp kam ich dann zu Antenne Bayern. Du warst danach einige Jahre bei Südwild. War das Ende der Sendung ein einschneidender Moment für dich? Es war eine tolle Zeit aber nach vier Jahren bei Südwild war für mich keine große Herausforderung mehr dabei. Ich habe gemerkt, dass ich hier nicht weiterkomme. Hinter den Sachen, die ich mache, muss aber immer Herzblut stecken. Deshalb bin ich


ein Jahr vor dem Ende von Südwild ausgestiegen und habe erfreulicherweise die Chance zu meiner eigenen Show bekommen. Deine Sendung »Die allerbeste Sebastian Winkler Show« moderierst du nun schon seit 2011. Wird das nicht auch langweilig? Bisher noch nicht. Bei mir ist auch nicht jeder Gast Skater aus einer bayerischen Kleinstadt (er schmunzelt). Ich habe verschiedene Persönlichkeiten bei mir im Studio und ich kann hier viel mehr mit meinen eigenen Ideen und Wünschen auf die Sendung einwirken. Bisher bist du vor allem beim Bayerischen Rundfunk zu erleben. Möchtest du auch über den Weißwurstäquator hinaus? Ich weiß, wo ich herkomme und hingehöre, aber ich möchte weiter hinaus. Ich bin nie zufrieden, und neige zum Perfektionismus… Ich möchte auch weiter national ausgestrahlt werden. Die Sendung läuft nun seit zwei Jahren bei Einsfestival und auch im rbb. Ich fände es toll, wenn man sie auch in der ARD sehen könnte. Meinst du, deine Witze kommen andernorts genauso gut an? Ich denke nicht, dass meine Witze so bayerisch geprägt sind. Ich könnte auch woanders ganz gut funktionieren.

Du spielst bei deinen Moderationen mit viel Witz. Könntest du dich auf Papier genauso ausleben? Ich brauche Gestik, Mimik und Geräusche – davon leben meine Radiosendungen. Ich spiele gerne mit Soundeffekten, das brauche ich. Obwohl ich im DeutschLeistungskurs war, wäre das alleine von der Interpunktion her keine gute Idee. Ich muss rumhampeln – selbst wenn ich telefoniere, laufe ich immer umher. Du bist dieses Jahr vom medium magazin unter die »Top 30 bis 30« der Journalisten gewählt worden. Wie fühlt sich das an? Das war allerhöchste Eisenbahn, da ich nun schon 30 bin! Ich bin natürlich froh, dass sie noch auf mich aufmerksam geworden sind. Das ist der erste Preis, den ich gewonnen habe. Ich will nichts anderes als gutes Programm machen – wenn das mit einem Preis belohnt wird, spornt mich das umso mehr an. Wie sehen jetzt deine weiteren Ziele aus? Mein Traum sind Kulisse, Studio, Lichter und Publikum und dass ich mich mehr zwischen Schauspiel und Musik ausleben kann. Diese Show gibt es noch nicht, aber ich denke sie mir noch aus! Ich bin sehr ungeduldig, am liebsten würde ich ab Dezember »Wetten dass...?« moderieren, aber das ist nicht ganz realistisch.

41


42

Wolltest du dich bei der Sendung von Anfang an so sehr in den Vordergrund stellen? Natürlich sage ich als Rampensau nicht nein dazu, dass sich eine Show um mich drehen soll. Es war aber nicht mein Wunsch, die Sendung »Die allerbeste Sebastian Winkler Show« zu nennen. Ich möchte aber schon das Allerbeste aus dem deutschen Fernsehen holen, daran ist der Name mit Augenzwinkern angelehnt. Dass wir Häme für unsere vermeintliche Überheblichkeit einstecken müssten, war uns schon im Vorhinein klar. Auf der anderen Seite erzeugen wir so aber auch Aufsehen. Und wie äußert sich dein Rampensau-Dasein? Ich brauche es, vor Leuten zu stehen. Das ist ein Hochgefühl. Meine Redaktionsmitglieder haben es da schon ab und an schwer mit mir, wenn ich meine genauen Vorstellungen durchsetzen möchte. Ich bin aber kein unangenehmer Zeitgeist. Hast du Selbstdarstellungssucht? Ich würde es in meinem Fall einen Selbstdarstellungswunsch nennen. Den hat aber jeder Moderator!

Was hebt dich von den anderen jungen Talk-Formaten ab? Sei es jetzt Joko und Klaas, Krömer oder Raab – bei denen geht es oft um Schadenfreude und Witze auf Kosten anderer. Ich mag es gerne, Momente zu generieren. Mir geht es um den Menschen und nicht darum, mich zu profilieren. Das kann dann ruhig lustig und frech ausfallen. Mit Lady Bitch Reay hatte ich plötzlich eine sehr ernste Konversation über Depressionen. Wenn man erst 30 ist, braucht man dann schon ein Management? Ich glaube ja. Ich empfinde in meinem Alter schon das Gefühl, weiter kommen zu wollen. Viele Moderatoren sind erst nach 40 groß geworden, das muss aber nicht so lange dauern. Ich möchte mir schon meinen jugendlichen Charme erhalten. Es tut sich gerade was, dazu muss man aber auch in den Medien präsent sein. Ich bin viel mit meinen Jobs eingespannt, da würde mir auch die Zeit fehlen, mich um alles selbst zu kümmern. Radio, Fernsehen, Synchronsprechen – wofür schlägt dein Herz nun am meisten? Ich möchte nichts davon missen. Alles ist für sich genommen sein eigenes Highlight. So wie es jetzt ist, bin ich zufrieden.



Dr. Bernhard Goodwin ist Kommunikationswissenschaftler und Koordinator für den Master Journalismus an der Ludwig-MaximiliansUniversität in München. Er sagt, Journalisten waren schon immer weinerlich, wie pen, besonders bei Veränderungen. Die Digitalisierung hat eine große Veränderung mit sich von Anna Ellmann

»Früher war auch nicht alles besser – aber auf Papier gedruckt«

eigentlich alle Berufsgrup-

gebracht. Bernhard Goodwin erklärt, wie Medienunternehmen und Journalisten damit umgehen sollten.

Foto: privat

Die Frankfurter Rundschau, die DAPD: Beides sind Medienunternehmen, die in den letzten zwei Jahren insolvent gegangen sind. Ist ihr Scheitern ein

Zeichen dafür, dass die traditionellen Medien in der Krise stecken? Im Prinzip stecken die Medien immer in einer Krise. Der Markt der Medien ist von vielen Faktoren abhängig. Geht es der Wirtschaft gut? Wie hoch sind die Werbeeinnahmen? Krisen in der Medienwelt hat es schon immer gegeben. Aber natürlich kann es bei der fortschreitenden Digitalisierung der Medienlandschaft dazu kommen, dass einige Verlage zu sehr an einem antiquierten Geschäftsmodell hängen, das sich dann nicht mehr rechnet. Es handelt sich also um eine normale Entwicklung des Marktes? An die Innovation, dass die Verbreitung von Medien fast nichts mehr kostet, müssen sich die Medienunternehmen anpassen. Die Kunden zahlen für einen Internetanschluss, um an Informationen oder Nachrichten zu kommen. Weil die Medienunternehmen anfangs ihre Artikel auf den Websites kostenlos angeboten haben, erwarten die Internetnutzer das weiter. Es gibt auch durchaus Medienmacher, die mit einem Gratismodell Erfolg haben – siehe Spiegel Online.


Nicht bei allen funktioniert das Gratismodell. Immer mehr Medienmacher setzen auf Bezahlmodelle im Internet. Das heißt, Internetnutzer müssen bezahlen, um Artikel lesen zu können. Die Bild-Zeitung beispielsweise versucht es mit diesem System. Wird sich das durchsetzen? Ich bezweifle stark, dass das für die Bild der richtige Weg ist. Denn alles, was in irgendeiner Form eine Nachricht ist, kann nicht durch eine Bezahlschranke geschützt werden. Die Nachricht wird sich trotzdem verbreiten. Bezahlschranken funktionieren nur bei Special-Interest-Content, Unterhaltung oder Sport. Ein erfolgreiches Beispiel ist die Videostream-Seite Netflix in den USA. Es gibt aber auch noch andere Modelle, die eine Alternative zu der Leseschranke wären. Die taz fordert ihre Leser zum Beispiel auf, freiwillig etwas zu bezahlen. Und das funktioniert auch sehr gut. Ein Alternativmodell ist natürlich der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Die Bürger müssen Abgaben leisten, bekommen dafür aber ein tolles Nachrichtensystem und guten Journalismus. Es geht auch nicht darum, ob man die Tagesschau schaut, es ist nur wichtig, dass es sie gibt.

Die Medienunternehmen müssen sich der fortschreitenden Digitalisierung in unserer Zeit anpassen. Wie schaut es mit den Journalisten aus – wie wird sich die Arbeit der Journalisten verändern? Journalisten werden nicht mehr dafür da sein, für mich Nachrichten zu finden. Sie werden dafür da sein, Nachrichten auszusortieren. Das haben die Journalisten eigentlich auch schon die letzten 100 Jahre gemacht, aber das wird in der Zukunft noch wichtiger. Beim Aufkommen des Internets haben wir gedacht: »Juhu, jetzt gibt es keine Gatekeeper mehr, jetzt ist alles besser.« Nein, es ist alles schlechter. Die Journalisten müssen uns helfen zu entscheiden, was wichtig ist, damit wir nicht in der Nachrichtenflut des Internets ersticken. Ich könnte mir vorstellen, dass sich in diesem Bereich neue Geschäftsmodelle für Journalisten auftun.

Anna studiert in München Politik und macht Radio im Unterhaltungsressort bei M94.5. Weitere Stationen: Bayerischer Rundfunk, Mittelbayerische Zeitung, die Welt.

45


von Florian Christner

Ein Anruf bei Lisa Altmeier, 25, und Steffi Fetz, 26, die hinter der Internetseite »crowdspondent.de« stecken und sich in Rio de Janeiro auf die Suche nach spannenden Geschichten gemacht haben. Durch ihr Engagement wurden die beiden DJSlerinnen in die »Top 30 unter 30« des Medium-Magazins gewählt.

Zu zweit auf 12 qm in Brasilien

46

Hi Lisa und Steffi, bei euch ist es ja ziemlich laut im Hintergrund. Wo seid ihr gerade? Lisa: Wir sind in einem Café in Rio de Janeiro, das ist im Moment unser Arbeitsplatz. Die Lautstärke ist eigentlich ziemlich normal für Brasilien. Das Café hier ist ganz praktisch, weil wir in der Mittagspause ins Meer springen können (lacht). Naja, hauptsächlich abeiten wir hier, weil wir in dem 12-Quadratmeter-Zimmer, in dem wir wohnen, momentan keinen Internetzugang haben. Und Internet braucht ihr ja bei eurem Projekt »Crowdspondent« in Brasilien sehr dringend, oder? Steffi: Stimmt. Wir sind als persönliche Reporterinnen unserer Leser unterwegs. Das heißt, die Menschen in Deutschland schicken uns mit ihren Fragen und Tipps drei Monate lang durch das ganze Land. Das läuft alles online. Über unseren Blog, Facebook und Twitter. Und das klappt? Lisa: Ja. Als wir hier gelandet sind, sind wir sozusagen direkt in die großen Straßenproteste hineingeflogen. Damals haben uns viele Leute aus Deutschland geschrieben, weil sie wissen wollten, was hier los ist und warum die Brasilianer eigentlich auf die Straßen gehen. Wir waren also erst einmal sehr viel auf den Demos unter-


47

Foto: privat

wegs, sind mehrmals vor Militärpolizei und Tränengas geflohen. Aber nach kurzer Zeit hatten wir schon super-viele andere Themenvorschläge aus Deutschland. Was denn zum Beispiel? Steffi: Das ging von der hohen Kaiserschnittrate über Dirndltragende Brasilianer bis zum dortigen Schulsystem. In den vergangenen Wochen haben wir uns ziemlich viel mit einem Thema beschäftigt, das unsere FacebookThemenabstimmung gewonnen hat: Die Favelas von Rio de Janei-

ro, die sich gerade massiv verändern, weil immer mehr Touristen und Reiche sich dort einkaufen, um das große Geld zu machen. Lisa: Zu dem Thema haben wir auch unseren ersten eigenen Film produziert, eine 15-Minuten-Dokumentation. Wir waren tagelang in verschiedenen Favelas unterwegs, das ging auch bei den vielen Treppenstufen ganz schön in die Oberschenkel.


48

Wie seid ihr auf die Idee mit Crowdspondent gekommen? Steffi: Wir wollten als Auslandsjournalistinnen arbeiten und gleichzeitig etwas Neues wagen. Auf sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter sind wir schon länger unterwegs. Wir haben da oft so gute Tipps bekommen, dass wir dachten: Warum probieren wir nicht einfach mal das Extrem aus und verlagern unsere Redaktionskonferenz in die Crowd? Lisa: Uns ist außerdem aufgefallen, dass Auslandsjournalisten für den normalen Leser immer so verdammt weit weg wirken. Wir versuchen, den Leuten diese Auslandsthemen über uns als Personen und den direkten Kontakt zu uns näherzubringen. Wir nennen diese Herangehensweise unter uns Zwei immer »Der persönliche Scheiß«. Wir merken einfach, dass es gut funktioniert, wenn die Leute uns als ihre eigenen Reporter wahrnehmen und mitfiebern, wenn wir für sie unterwegs sind. Und warum habt ihr für eurer Experiment Brasilien ausgewählt? Steffi: Als wir uns letztes Jahr überlegt haben, wo wir Crowdspondent starten wollen, kamen wir ziemlich schnell auf Brasilien, weil es ein Land ist, in dem sich wahnsinnig viel verändert. Leider wird das von den deutschen Medien kaum abgebildet. Wir wussten natürlich, dass die Fußball-WM und die

Olympischen Spiele bald in Brasilien stattfinden werden und haben damit gerechnet, dass das diesen Veränderungsprozess noch verstärken wird. Wo und wie veröffentlicht ihr eure Geschichten eigentlich? Steffi: Wir probieren eigentlich alle Formen aus: Podcasts, Bilderstrecken, Reportagen und Filme. In erster Linie veröffentlichen wir die Sachen auf unserem Blog, www.crowdspondent.de. Wir haben aus Brasilien aber auch für sueddeutsche.de, zeit.de, das ZDF oder den Blog der Frankfurter Buchmesse berichtet. Seid ihr zufrieden mit der Resonanz? Lisa: Wir waren total überrascht, dass sich so viele Leute aus Deutschland und Brasilien bei uns gemeldet haben. Aber Zusatzaufträge von klassischen Medien zu kriegen, war schwieriger, mittlerweile haben wir aber auch einige neue Auftraggeber hinzubekommen. Prinzipiell ist es manchmal schwierig, gleichzeitig einen Blog zu betreiben, der total auf die Bedürfnisse der Crowd zugeschnitten ist, und klassischen Medien zuzuarbeiten. Aber letztlich konnten wir durch die Zusatzaufträge schon ein bisschen Geld dazu verdienen.


Ein gutes Stichwort: Geld. Wie finanziert ihr euren Aufenthalt in Brasilien noch? Lisa: Wir bekommen glücklicherweise ein Stipendium vom »Vocer Innovation Medialab«. Dort werden junge Journalisten mit neuen Ideen gefördert. Ohne dieses Stipendium hätten wir das alles wahrscheinlich gar nicht hingekriegt.

rechnet! Wir kriegen auf jeden Fall mit, dass die etablierten Journalisten neugierig auf uns und unsere Arbeit sind. In Rio de Janeiro haben wir zum Beispiel auch ein paar Tage beim Brasilien-Korrespondenten der ZEIT Couchsurfing gemacht. Der hatte über Twitter von uns erfahren. Das war Print trifft Online auf einer ganz neuen Ebene.

Und wie seid ihr auf den Namen »Crowdspondent« gekommen? Steffi: Wir müssen zugeben, dass wir diese gute Idee nicht selbst hatten. »Crowdspondent« ist ein Wortmix, der dafür steht, dass wir die Korrespondentinnen der Crowd, der Menschen, sind. Eingefallen ist das unserem Freund Johannes Wendt von der Journalistenschule. Super an dem Namen ist, dass er auch in Brasilien gut verstanden wird, was bei unserem Experiment natürlich wichtig ist.

Florian hat in München und Turku (Finnland) Geschichte und Politik studiert. Nach fünf Jahren als Volontär und Redakteur beim Starnberger Merkur betreut er seit 2009 die Kulturseiten der Wochenzeitung „Bayernkurier“.

Hat die Medienbranche denn etwas von eurem Projekt mitbekommen? Lisa: Wir haben mittlerweile schon sehr viele Interviews gegeben, übrigens auch brasilianischen Medien, nicht nur deutschen. Besonders gefreut hat uns, dass das Medium-Magazin uns auf die Liste der diesjährigen Top-Nachwuchsjournalisten bis 30 Jahre gesetzt hat. Damit hätten wir niemals ge-

49


von Caroline von Eichhorn

Matthias Zuber lebt einen Traumjob: Er jettet um die Welt und dreht Filme. Während die meisten Journalisten eine Festanstellung suchen, hat sich der DJS-Absolvent davon frei gemacht, um aufwendige Geschichten abseits des Mainstreams zu verwirklichen – auf Kosten der negativen Seiten des freien Journalistendaseins.

»Filmemachen? Im Prinzip muss man nur drei Funktionen beherrschen «


Foto: privat

keinen Einheimischen getroffen, der nicht mindestens eine sichtbare Narbe trug.

Matthias Zuber, du warst vor kurzem zum Filmen in Afghanistan. Ist das Land so gefährlich, wie man es sich vorstellt? Wir waren in der Gegend Mazar-i-Scharif und haben dort einen Einsatzkameratrupp begleitet. Wir waren fast immer mit Soldaten unterwegs und haben uns deshalb relativ sicher gefühlt. Es war meine erste Reise in diese Gegend und meine auch durch Medien »beheizten« Fantasien über den Zustand des Landes erwiesen sich als komplett untertrieben. Ich hatte zuvor keine wirkliche Vorstellung davon, wie »kaputt« das Land und die Menschen dort sind. Ich habe

Du warst auch schon auf den Philippinen bei Familien, die im Müll leben, in russischen Gefängnissen und in von Diktatoren geführten Kommunen in Chile. Die meisten Leute schrecken vor solch abenteuerlichen Reisen zurück. Wieso reist du so gerne auch in gefährliche Gebiete? Ich empfinde diese Arbeit nicht als gefährlich. Auf Reisen bin ich immer mit Menschen oder Mitarbeitern von Organisationen unterwegs, die sich in der jeweiligen Umgebung sehr gut auskennen. Da ich für die Filme meist länger vor Ort bin, erlaubt mir das, tief in die jeweilige Situation einzutauchen und eine ganze Menge Eindrücke zu sammeln. Auf die Philippinen zum Beispiel fahren die meisten Leute zum Tauchen. Mich reizt es viel mehr, ein Mädchen zu begleiten, das auf der Müllkippe lebt. Ich möchte ihr Leben nicht nur negativ darstellen, sondern auch die Qualitäten darin finden, ein Stück ihres Lebens miterleben und das im Film vermitteln.

51


52

Das ist für mich auch das unschlagbare Grundprinzip des so genannten Videojournalismus: näher dran sein. Da wir maximal zu zweit mit recht unscheinbarem Equipment unterwegs sind, werden wir wesentlich schneller in ein soziales Feld integriert. Aber lieber als den Begriff »Videojournalismus« mag ich den französischen Begriff «auteur«. Er stammt auch aus dem Filmbereich und ist Ausdruck für einen Autor, der seinen Film individuell und subjektiv gestaltet. Bei uns bedeutet das auch, dass wir von der Idee über die Dramaturgie auch die visuelle Seite – kamera- und schnitttechnisch – als genuines Ausdrucksmittel dieser subjektiven Haltung verstehen. Deshalb filmen wir selbst und schneiden selbst. Deine Filmbeiträge laufen in fast allen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie auch im österreichischen und schweizer Fernsehen. Wie verkaufst du deine Themen an so viele Redaktionen zugleich? Sonst predigt doch jeder, man solle persönlich in den Redaktionen antanzen. Ich versuche, für den Redakteur kurze, prägnante Exposés mit drei bis sieben Sätzen zu schreiben, damit der Redakteur die Geschichte schnell versteht. Dazu gibt es Hinter-

grundinformationen mit Fakten, Zahlen und Erklärungen, so dass die Redaktion nicht noch selbst recherchieren muss – und Fotos, damit sie sich ein Bild der Geschichte machen kann. Der Text selbst ist geschrieben wie eine Zeitungsreportage, so dass sich der betroffene Redakteur nicht durch die Worte quälen muss. Warum möchtest du dich nicht auf ein Format konzentrieren? Ich habe eine Zeit lang für das ARD-Magazin Kontraste gearbeitet und danach entschieden, dass ich nicht mehr nur Politik machen möchte. Die Möglichkeiten des emotionalen und subjektiven Erzählens sind in vielen Formaten nur sehr eingeschränkt möglich. Für mich ist das Spannendste die Geschichte und die Abwechslung. Manche Geschichten passen in die ZDF-Sportreportage, andere in Kultur-, wieder andere in Wirtschafts- oder Medien-magazine und ganz andere funktionieren nur als abendfüllende Kino-Dokumentarfilme. Ich mag den Wechsel. Er hält mich fit. Wenn ich immer das Glei-


che machen würde – nur Politik zum Beispiel – dann würde ich mir erzählerische und ästhetische Standards aneignen. Feste Muster sind langweilig für mich und den Zuschauer. Du arbeitest sehr frei, ohne geregelte Zeiten, bist dein eigener Boss. Wie schaffst du es, Deadlines einzuhalten und Arbeit und Freizeit zu trennen? Das ist sehr schwierig. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit sind bei mir fließend. Da ich Kinder habe, gibt es aber eine familiäre Grenze: Mit meinen Kindern ist es mir sehr wichtig, dass ein zeitlicher und physischer Raum abseits der Arbeit entsteht. Ansonsten ist es oft Arbeit und Freizeit zugleich. Zum Beispiel, wenn ich auf den Philippinen drehe. Es ist harte Arbeit und anstrengend – gleichzeitig ist es sehr spannend und ich mache Dinge, die viele Leute in ihrer Freizeit machen: Ich sammle Erfahrungen, lerne neue Orte und Leute kennen und kann manchmal nebenher sogar Tauchen gehen, wenn es die Deadline erlaubt. Du machst Filme in Eigenregie, wo andere ein 30-köpfiges Filmteam einsetzen. Wie bekommst du die vielen Rollen unter einen Hut?

Ich mache ja nicht alles komplett alleine. Manchmal habe ich einen Extra-Kameramann dabei, manchmal arbeite ich auch mit Sounddesignern oder Farb-Korrekteuren zusammen. Manchmal auch mit großem Team – je nach Anforderung. Mein eigenes Filmemachen unter einen Hut zu kriegen, finde ich nicht schwierig. Im Prinzip muss man nur drei Funktionen beherrschen: Ich muss eine Geschichte erzählen, die Kamera bedienen und schneiden können. Das ist gar nicht so viel. Zusätzlich dozierst du an acht Journalistenschulen in Deutschland Videojournalismus. Wird sich das VJ-Modell, das von vielen totgesagt wurde, doch noch durchsetzen? VJ als Auslaufmodell? Im Gegenteil: An der ARD/ZDF-Medienakademie sind in den letzten Jahren rund 100 VJs allein für den BR ausgebildet worden. Das geschieht einerseits aus Sparzwängen der Sender. Andererseits, weil sich Erzählhaltungen ändern. Aber es ist ja auch tatsächlich ineffizient, für einen Wetterbeitrag

53


vier Leute rauszuschicken – da reicht einer. Viele Geschichten lassen sich alleine oder zu zweit viel besser erzählen als mit Team. Wir haben vor Jahren einmal einen Film über sexuellen Missbrauch an geistig behinderten Menschen gemacht. Der wäre mit Team so nah nicht möglich gewesen.

54


55


von Björn Czieslik

Der NJB auf Medienexkursion am Rhein

56

TViva Colonia –

Der Dom, Karneval und aus bayerischer Sicht viel zu kleine Biergläser – das ist es, was viele mit Köln verbinden. Doch die Millionenstadt ist neben München, Hamburg und Berlin auch eine der größten deutschen Medienmetropolen. Mit dem WDR residiert die größte ARD-Anstalt am Rhein. Nur einen Katzensprung entfernt, am anderen Rheinufer, sitzt der private Marktführer, die Mediengruppe RTL Deutschland. Drumherum haben sich unzählige Produktionsfirmen angesiedelt, die Köln zur deutschen TV-Hauptstadt machen. Grund genug für die 17-köpfige NJB-Gruppe, Anfang Juni für drei Tage vor Ort selber zu erkunden, wie Köln tickt. Beim Deutschlandradio erfuhren wir in der Diskussion mit Christian Schütte, dem Redaktionsleiter des jungen Digitalprogramms DRadioWissen, dass sein Sender nicht bloß auf Wissenschaftsthemen abzielt, sondern den Hörern und Online-Nutzern das Wissen vermitteln will, um bei aktuellen Themen mitreden zu können. Am Abend waren wir als Studiozuschauer bei der »stern TV«-Livesendung dabei. Verblüffend war die Erkenntnis, wie viel kleiner ein Studio in der Realität ist, als es im Fernsehen wirkt. Moderator Steffen Hallaschka überzeugte während der Sendung durch Sympathie und Professionalität. Noch bis wenige Sekunden vor Ende der Werbeblöcke scherzte er mit den Zuschauern, um kurz darauf souverän die nächsten Beiträge anzukündigen.


Bei einem Besuch bei RTL Deutschland diskutierten wir mit RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger über Casting- und Coachingshows, Scripted Reality und die Bedeutung der Quoten. »Größter Fehler von Fernsehmachern ist, Programm nur für sich selber machen zu wollen«, erklärte Sänger. Das Ziel von erfolgreichem Unterhaltungsfernsehen sei, Masse zu erreichen – und das heißt bei RTL: ein Millionenpublikum. Dennoch ließen sich Erfolge nicht mit Sicherheit planen: »Programm machen kann man nur mit gut 50 Prozent Bauchgefühl«, so Sänger. Im Anschluss gab es noch einen Einblick in das virtuelle Studio, das in giftgrün gestrichen als Kulisse für »RTL aktuell« und Co. dient. Von RTL ging es zu ProSiebens Allzweckwaffe Stefan Raab. Obwohl »TV total« seine besten Zeiten hinter sich hat, füllt Raab das Studio problemlos mit einigen hundert, überwiegend jungen Zuschauern. Bei der Aufzeichnung erlebten wir auch, wie beim Fernsehen getrickst wird: Der angekündigte Auftritt der Band »Frida Gold« war bereits Tage zuvor aufgezeichnet worden – das falle dem Zuschauer zu Hause aber nicht auf, scherzte Raab: »Ich habe ja eh immer das Gleiche an.« Am letzten Tag reisten wir weiter nach Bonn zu Phoenix, dem Ereignis- und Dokumentationskanal von ARD und ZDF. Matthias Kröll, der technische Leiter von Phoenix, erklärte uns, wie es Phoenix schafft, Personal und Technik bei geringem Budget besonders effektiv einzusetzen: Die Sendeab-

wicklung und Live-Regie sind zusammengefasst – das ermöglicht es, innerhalb kürzester Zeit live auf Sendung zu gehen. Bei nur rund 90 Mitarbeitern sind auch die Moderatoren voll gefordert. Sie schreiben ihre Texte selbst und bedienen den Teleprompter per Fußpedal. Michael Kolz, der als stellvertretender Programmgeschäftsführer auch regelmäßig die Sendung »Der Tag« moderiert, genießt dennoch die »große Freiheit, die in den Mutterhäusern so nicht möglich wäre«. Ein Besuch bei der Deutschen Welle rundete unseren Besuch am Rhein ab. Der aus Steuergeldern finanzierte Auslandsrundfunk verbreitet in mehr als 30 Sprachen im Radio, Fernsehen und Online deutsche Themen ins Ausland beziehungsweise eine deutsche Sicht auf die Welt. Es hätte noch viel mehr in Köln zu sehen und erleben gegeben, doch drei Tage sind einfach zu kurz, doch mit den Einblicken der Reise lässt sich das Fernsehen künftig mit anderen Augen sehen. Björn Czieslik (czieslik.com) ist seit 2010 NJB-Mitglied und hat die Medienexkursion organisiert. Er arbeitet als freier Journalist in München, u.a. für turi2 und Radio Feierwerk

57


»Ich bin in jeden Winkel des Kampfjets gekrochen« Marcel Vogt, 1990 in München geboren, kümmert sich seit 2013 um die Finanzen der Nachwuchsjournalisten. Nach Stationen bei afk tv und Sport 1 studiert Marcel nun Kommunikations- und Informationswissenschaft in Lyon. Ein NJB-Mitglied stellt sich vor

58

Foto: Alexandra Bondi de Antoni


Foto: privat

Wenn ich nicht als rasender Reporter unterwegs bin, trifft man mich... ... beim Rumhängen mit Freunden, mit einem guten Buch irgendwo am Wasser, beim Spezialitäteneinkaufen in der Altstadt von Lyon oder beim Sport.

Mein erstes Mal beim NJB… ... war 2010 bei der IFA in Berlin. Da habe ich auf einen Schlag den halben Verein kennengelernt. Später habe ich mich um die Webseite gekümmert und seit 2013 bin ich Finanzreferent. In zehn Jahren möchte ich... ... ohne Übertreibung von mir sagen können, dass ich gut bin. Aber dafür muss ich mir noch eine Menge Wissen aneignen und am Stil arbeiten. In der Themenkonferenz kämpfe ich für... ... anspruchsvolle kulturelle Themen. Platz für Fotos. Kreativität, die der Sache dient und nicht selbstdarstellerisch ist.

Meine aufregendste Reportage war... ... im Inneren eines Kampfjets der Bundeswehr. Ich bin in jeden Winkel gekrochen und die Mechaniker haben mir erklärt, wie das Flugzeug gewartet wird. Der Einschlag eines Kieselsteins in der Frontscheibe reicht aus, um das ganze Kabinendach zu zerstören. Beeindruckend, mit welcher Genauigkeit die Mechaniker arbeiten. Vor allem, weil ich selber zwei linke Hände habe. Am liebsten will ich werden wie... ... niemand anderes. Ich will mit mir zufrieden sein. Aber meine Erwartungen an mich selbst entwickeln sich ständig, und deswegen will auch ich nicht aufhören, mich zu entwickeln. Mein Plan B zur Journalisten-Karriere... ... ist, an der Uni zu bleiben, der Psychoanalyse wieder auf die Sprünge zu helfen und sie vor dem Quantifizierungswahn zu retten.

59


Foto: privat

Karsten Lohmeyer ist Journalist, Buchautor und beim NJB Mentor und Referent. Er beschäftigt sich seit 1996 intensiv mit dem Internet, auch wenn er bis heute sein Geld hauptsächlich mit Print-Objekten verdient.

»Denkt digital«

60

Ich kam zum NJB, weil... ... ich gefragt wurde, ob ich nicht ein Seminar halten möchte – und ich sehr gerne mein Wissen an den Nachwuchs weitergebe und mir auch sehr viel Inspiration für meine eigene Weiterentwicklung durch diese Treffen hole. Ich liebe meinen Job, weil... ... es der geilste Job der Welt ist. Es gibt kaum einen Beruf, der so vielfältig und so interessant ist. Ich habe durch ihn fast die ganze Welt gesehen und unzählige interessante Menschen kennenlernen dürfen. Und das hört nicht auf. Ich liebe diesen Job, weil ich durch ihn meine Neugier auf Menschen und spannende Geschich-


ten stillen und meine Lust aufs Geschichtenerzählen ausleben kann. Und so schwer die Branche aktuell auch finanziell gebeutelt ist, gab es dank der Digitalisierung noch keine aufregendere Zeit für den Journalismus als jetzt gerade. Wenn ich nicht arbeite, dann... ... denke ich darüber nach, was ich noch arbeiten könnte. Scherz beiseite: Dann versuche ich, Zeit mit meiner Familie zu verbringen und gemeinsam mit meiner Frau durch die Welt zu reisen. Auf meinem Weg im Journalismus prägte mich... ... jeder einzelne Journalist, dem ich begegnet bin. Die Kollegen in der Lokalredaktion bei meinem ersten Praktikum, die Dozenten an der Deutschen Journalistenschule, die Kollegen beim Focus, der Abendzeitung, Burda, der Verlagsgruppe Milchstraße und allen anderen Stationen meines journalistischen Lebens. Mein größter Erfolg... ... ist mein Blog LousyPennies.de. Unglaublich, was das bewegt hat. Und meine größte Panne… ... war, als ich in meinem ersten Praktikum als 17-Jähriger bei der »Friedberger Allgemeinen« eine Veranstaltungsankündigung inklusive Ticket-Hotline schreiben sollte. Habe ich auch. Nur leider

war es statt der Ticket-Hotline unsere Privatnummer. Meine Mutter hatte richtig Spaß... Nachwuchsjournalisten rate ich … ... digital zu denken. Ihr werdet das Ende von Print in Eurer Karriere sicher noch erleben. Oder habt Ihr etwa noch Plattenspieler und Kassettenrekorder? Nutzt aber auch die Zeit, das Handwerk von »alten Print-Hasen« bei Tageszeitungen und Magazinen zu lernen. Denn auch wenn viele die digitale Welt (noch) nicht verstehen (wollen), verfügen sie über einen unschätzbaren journalistischen Wissensschatz. Diesen gilt es in die digitale Ära zu retten. Denn guter Journalismus hängt nicht von der genutzten Technologie ab.

61


Berufsziel Journalist/in

62

S

ie wollen alles lernen, was ein Journalist können muss? Sie sind engagiert und katholisch? Wir sollten uns kennenlernen! Als Volontär/in in der katholischen Presse oder im privaten Hörfunk sowie als Stipendiat/in der Studienbegleitenden Journalistenausbildung erhalten Sie eine Ausbildung in Presse, Hörfunk, Fernsehen und Onlinejournalismus. Weitere Infos unter www.ifp-kma.de.

Bewerbungsschluss Volontäre: 1. März Bewerbungsschluss Stipendiaten: 31. Mai


Impressum Herausgeber: Nachwuchsjournalisten in Bayern e.V. Der NJB ist eingetragen unter VR München 10 080 und als gemeinnützig anerkannt vom Finanzamt München www.njb-online.de Redaktion: Caroline von Eichhorn Marc R. Hofmann Natalie Mayroth Isabel Steffens Mitarbeit: Christoph Behrens Björn Czieslik Florian Christner Anna Ellmann Gestaltung: Jovana Reisinger jovanareisinger@aol.com

Umschlagfotografie: Natalie Kral nataliekral@yahoo.de Vorstand: Caroline von Eichhorn carolinevoneichhorn@njb-online.de Marcel Vogt marcel.vogt@njb-online.de Isabel Steffens isabel.steffens@njb-online.de Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitschrift, alle in ihr enthaltenen Abbildungen und Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jeglicher Nachdruck, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet. Ausgabe: Nr. 01/2013 Erscheinungsdatum: 16.10.2013

Fotografie: wenn nicht anders gekennzeichnet: Jovana Reisinger

Mit freundlicher Unterstützung von



Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.