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1705 Von St. Peter in den ganzen Kanton 1713 Die Verfassungsänderung zementiert den Status quo 36
from Baer: Weltgeist in Zürich. Ereignisse, Schauplätze und Lichtgestalten zur Zeit der Aufklärung
by NZZ Libro
Von St. Peter in den ganzen Kanton
Der barocke Neubau der St. Peterskirche ist der erste Bau nach reformierter Art in Zürich. Er wurde Vorbild einiger Kirchenbauten auf dem Land. Der Turm behielt sein mittelalterliches Aussehen.
Am 20. Juli 1699 entging Zürich knapp einer Katastrophe, als der Blitz in den Turm von St. Peter einschlug und dieser bis auf die Höhe der Wachtstube der Feuerwächter abbrannte und der Turmhelm in die heutige Thermengassestürzte. Hätte das Feuer auf das benachbarte Munitionslager des Zeughauses übergegriffen, wäre es zu einem Inferno gekommen. Der Turm wurde wieder gleich aufgebaut, aber die Kirche war in einem desolaten Zustand. Die Kirchgemeinde rang sich 1700 schliesslich zu einem Neubau durch.
Von der Gründung von St. Peter ist keine Urkunde erhalten. Erstmals schriftlich erwähnt wurde St. Peter 857, es handelte sich um eine frühkarolingische Kapelle mit einer Apsis. Die Forschung konnte nicht endgültig klären, ob diese Kapelle anstelle eines dem römischen Gott Jupiter geweihtenHeiligtums errichtet worden war.
Anfang des 13. Jahrhunderts wurde die Kapelle durch eine spätromanische Chorturmkirche ersetzt. Teile dieses Mauerwerks sind im Turm sichtbar. Das Kreuzrippengewölbe im Chor und einige übermalte Fresken sind ebenfalls von dieser Kirche erhalten geblieben. Das Langhaus wurde 1450 als spätgotische Kirche erneuert.
Turm und Feuerwächter
St. Peter ist die älteste Pfarrkirche von Zürich. Sie wurde wahrscheinlich alsErsatz für die zu klein gewordene St.Stephankirche im heutigen Selnaugebiet
Der Turm der St. Peterskirche überragt die Häuser an der Wühre. Unter der Uhr des Turms erkennt man eine astronomische Uhr, die diesen bis 1809 schmückte.
Das Langhaus von St. Peter ist der erste Kirchenneubau nach der Reformation in Zürich. Das barocke Konzept einer Halle mit Emporen in den Seitenschiffen verbindet sich mit klaren Renaissanceformen der farbigen Säulen und einer zurückhaltenden Stuckatur zu einem statisch ernsten Raum.
gebaut. Dass die Kirche ihrer Kirchgemeinde gehört, der Turm aber der Stadt, ist eine Besonderheit. Bereits im Richtebrief von 1304 beanspruchte die Bürgerschaft der Stadt für sich ein Verfügungsrecht über den Turm und die Glocken. 1340 setzte der Stadtrat einen Turmwächter für die mindere Stadt ein, 1363 kam die Ratsglocke hinzu und 1366 bis 1768 wurde die erste öffentliche Uhr der Stadt angebracht und der Stundenschlag in Zürich eingeführt.
Dass der Turm noch heute im Besitz der Stadt ist, beruhte lange Zeit auf Gewohnheitsrecht, erst nach der Auflösung des Stadtstaats Zürich im Jahr 1798 wurde der Besitz geregelt.
Neubau als reformierte Kirche
Die Kirchgemeinde begann 1705 wegen des schlechten Zustands und Platzmangels nach einer fünfjährigen Planungsphase mit dem Neubau des Langhauses. Am 18. Juli 1705 fand die Grundsteinlegung statt. Die Arbeiten kamen schnell voran, noch vor Weihnachten konnte im «Widder» Aufrichte gefeiert werden. Das neue Kirchenschiff erhielt eine Halle von sieben Jochen und wurde in ein mit hoher Rundung überwölbtes Hauptschiff und zwei Seitenschiffen mit abgeflachter Wölbung eingeteilt. Die Männer sassen auf aufgereihten Einzelstühlen, die Frauen auf Bänken mit abgetrennten Plätzen im Kirchenschiff, die Empore war den Männern vorbehalten.
Die neue St. Peterskirche war die erste Kirche der Stadt Zürich, die nach dem Prinzip der reformierten Kirche gebaut wurde. Diese eigenständige Kirchenbautradition manifestiert sich seit dem 17. Jahrhundert. Da die Verkündigung im Zentrum steht, soll der Raum möglichst wenig ablenken. Die Trennung zwischen Klerus und Volk wurde aufgehoben, weil Letzteres zum Handlungsträger innerhalb des Gottesdiensts wurde. Im St. Peter entstand zwischen Chor und Langhaus ein Kanzellettner. Der Zürcher Gipser Salomon Bürkli und Franz Schmuzer aus dem schwäbischen Wessobrunn waren für die Stuckaturen verantwortlich.
Die Glaslünette mit dem Schmiedeeisenkranz über der Eingangstür von St. Peter von innen gesehen.
Der Taufstein von 1598 wurde vor den Chorstufen aufgestellt. Nach einer Bauzeit von nur 17 Monaten fand der Einweihungsgottesdienst statt.
Renovationen im Sinn Breitingers
Die Renovation von St. Peter war ein Erfolg. Deshalb wagte man 1728, den Südturm des Fraumünsters auf Höhe des Dachs des Langhauses einzuebnen und den Nordturm vier Jahre später zu erhöhen.
Am 24. August 1763 steckte ein Blitz den Glockenturm des Grossmünsters in Brand. In der Folge wurde ein Abbruch und ein barocker Neubau im Stil der St. Peterskirche durch Gaetano Matteo Pisoni diskutiert. Johann Jakob Breitinger gehörte zu den Gegnern. Er liess die Fundamente untersuchen mit dem Resultat, dass die Kirche stabil sei. Breitinger warnte eindringlich, dass man die Zerstörung des mittelalterlichen Münstersspäter bereuen würde. Mit dieser Argumentation gelang es ihm, einen Meinungsumschwung herbeizuführen. Letztlich wurden nur die Türme einander angeglichen. Das Kircheninnere wurde barockisiert, bei den Renovationen im 19. und 20. Jahrhundert wurde der romanische Innenraum wiederhergestellt.
Bei der Kirche St. Peter entschied man sich Anfang der 1970er-Jahre zu einer umfassenden Renovation – ganz im Geist Breitingers –, den barocken Raum zu erhalten und nicht einer gotischen Kirche nachzuempfinden. So ist das Langhaus von St. Peter ein wichtiger Zeitzeuge des frühen 18. Jahrhunderts geblieben. •
Taufe zu St. Peter in Zürich,1751, Kupferstich von David Herrliberger. Die aristokratische Gesellschaft Zürichs wusste sich barock zu repräsentieren. Im kirchlichen Ritus hielt sie aber betont an puritanischer Strenge fest.
Die Verfassungsänderung zementiert den Status quo
Mit dem Aussterben der Zähringer erhob Kaiser Friedrich II. 1219 Zürich zur freien Reichsstadt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt trat auch der Zürcher Rat als Rechtspersönlichkeit in Erscheinung. In den folgenden Jahrhunderten weitete er seine Befugnisse sukzessive aus auf Kosten des Fraumünsters, dessen Äbtissin seit 1245 Fürstäbtissin war. Mit der Zunftrevolution von 1336 wurde das bis 1798 gültige Regiment eingeführt. Die Zunftrevolution verbot die Bildung von Zünften als politische Körperschaften, sie dienten als Berufsgilden. Ritter Rudolf Brun führte die Zunftrevolution an, er schuf das Amt des Bürgermeisters, das er diktatorisch ausübte.
Nachdem Hans Waldmann im 15. Jahrhundert mit seiner Verfassung einerseits den Staat modernisierte, veränderte er die Verfassung auch zu seinen Gunsten ab, was schliesslich zu seiner Verurteilung und zur Todesstrafe führte. In der Folge wurde 1498 die Macht des Zunftmeisterkollegiums beschränkt. Diese Verfassung blieb bis 1713 massgebend. Im 16. und 17. Jahrhundert entwickelte sich der Rat immer mehr zu einer Aristokratie weniger Familien.
Die Bürgerunruhen von 1713
1712, während des Zweiten und siegreichen Villmergerkriegs, hatte ein Weissgerber Felle für Trommelböden an einen Meister geliefert, hierfür wären aber die Pergamentbereiter zuständig gewesen. Streitigkeiten unter Handwerkern wegen unerlaubter Lieferungen an Dritte waren üblich, dieser Fall eskalierte jedoch, die Vorgesetzten der Gerwezunft konnten die Angelegenheit nicht schlichten. Nun hätten die 24 Zunftmeister, das heisst immer zwei pro Zunft, darüber befinden müssen. Stattdessen kam der Fall vor den Rat und dieser schützte den Weissgerber. Die Gerwezunft verlangte, dass die Rechtmässigkeit dieses Vorgehens überprüft werden sollte. Der Rat untersagte jedoch die Untersuchung. In der Folge witterten auch die übrigen Zünfte Rechtsbeugung, deren Ursache die Überheblichkeit der Zunftmeister sei. Diese würden durch das «Praktizieren» die Wahlen beeinflussen, was mit Höflichkeitsbesuchen, Einladungen zum Essen bis hin zu Geldgeschenken geschah. Besonders das Handmehr bei den Zunftmeisterwahlen wurde kritisiert, dieses würde die Abwahl von nicht genehmen Kandidaten verhindern. Die Reformer erwarteten, dass geheime Wahlen bessere Ergebnisse bringen würden. Nach Diskussionen führte der Rat am 13. Juni 1713 das heimliche Mehr für die Zunftmeisterwahlen ein.
Der Konflikt schwelte noch weiter, weil sich auch die Oberschicht durch die Reformen bedroht sah. Obmann Johann Heinrich Bodmer, Zunftmeister der Zimmerleuten, warf Bürgermeister David Holzhalb Bestechlichkeit vor. Am 2. Sep-
Die gedruckte Verfassung von 1713 (7. Geschworenenbrief) war die erste Verfassung des Stands Zürich, die gedruckt wurde. Sie wurde in dieser Form der Constaffel und den Zünften übermittelt, sodass die Bürger Einsichtnehmen konnten. Damit wurde erstmals Verfassungsöffentlichkeit geleistet.
Versammlung der Deputierten im Zunfthaus zur Schiffleuten am 15. September 1713. Kopie nach einer Zeichnung von Johann Melchior Füssli.
tember verlangte er, dass der gesamte Kleine Rat von einer Kommission untersucht werde. Die Untersuchung ergab, dass sich einzelne Räte tatsächlich aufgrund ihrer bescheidenen Gehälter für ihre Amtsdienste bezahlen liessen und auch Bestechungsgelder annahmen. Der Grosse Rat fällte äusserst milde Strafen und Obmann Bodmer erhielt für sein Verhalten einen obrigkeitlichen Verweis.
Dies wiederum liess Bodmer nicht auf sich sitzen und rief zum Aufstand auf. Gemässigtere Kreise der Reformbewegung konnten eine Volksversammlung auf dem Lindenhof einberufen, die am 8. September 1713 stattfand. Rund ein Viertel der Bevölkerung fand sich auf dem Lindenhof ein. Unter Führung von Johann Jakob Scheuchzer erreichte die Reformbewegung die Einsetzung einer Reformkommission, in die jede Zunft zwei Mitglieder delegieren konnte. Als diese vier Tage später ihre Arbeit aufnahm, wurden entgegen den Vorstellungen der Zünfte zwei Arbeitsgruppen gebildet, eine bürgerliche Kommission mit 26 Mitgliedern und eine Ehrenkommission mit 22 Räten. Scheuchzer leitete die bürgerliche Kommission. Die Abgeordneten trafen sich täglich. Aus den Forderungen, die durch die Zünfte in eigenen Versammlungen zusammengestellt wurden, erarbeitete die Kommission 115 Beschwerdepunkte, die in 14 Sachgruppen zusammengefasst waren, von der Kirche über das Schulwesen bis zur Zunftverfassung. Dabei zeigte sich deutlich, wie stark sich die Zunftmeister und Ratsherren von den gewöhnlichen Zünftern entfernt hatten.
Am 23. November versammelten sich die Zünfte zur Besprechung des Resultats. Dabei waren viel mehr Zünfter zum Nachgeben bereit, als die anfängliche Empörung erwarten liess. Als sich auch die eidgenössischen Stände für die Krise in Zürich zu interessieren begannen, wurde der Zürcher Rat nervös.
Am Meistertag vom 10. Dezember 1713 wurden die Zunftmeisterwahlen in geheimer Abstimmung durchgeführt. Zur Überraschung vieler Zeitgenossen wurden alle Zunftmeister im Amt bestätigt, aber Einzelne hatten ein schlechteres Wahlresultat als bei offenen Wahlen erzielt. Der Rat nutzte die Situation aus, führte kurze Nachverhandlungen und legte den Zünften am 13. Dezember die neue Verfassung mit einer ergänzenden Deklaration vor. Die Ernüchterung über das schlechte Resultat der Reformen war gross und die meisten Zünfte drohten mit der Verweigerung des Eids, nahmen die Reformvorschläge dennoch an, nachdem der Rat mit Gewalt gedroht hatte.
Das Erreichte erschien im Vergleich zu den Forderungen relativ gering, die geheime Wahl der Zunftmeister gegen das Praktizieren wurde eingeführt, das seit den Anfängen bestehende Anhörungsrecht der Gemeinde bei Bündnissen, Kriegen und Friedensschlüssen wurde schriftlich festgehalten. Die Kaufleute wollten eine eigene Zunft; seit der Verfassungsrevision von 1489 stand es ihnen frei, einer beliebigen Zunft oder der Constaffel beizutreten. Der Anteil der Kaufleute am Regiment machte 1713 27 Prozent aus. Ein Teil der Kaufleute hatte beträchtliche Vermögen erwirtschaftet und stand dadurch in Konkurrenz zu den traditionellen Magistratsfamilien, die zur Sicherung ihrer sozialen Stellung auf die staatlichen Stellen angewiesen waren. So wurde den Kaufleuten von den Reformern vorgeworfen, sie würden ihre wirtschaftlichen Interessen über das Wohl der Stadt stellen. So sei auch der Zweite Vill-
Die Zünfte leisten im Grossmünster dem Bürgermeister den Eid auf den Geschworenenbrief, Stich von David Herrliberger um 1750.
mergerkrieg kaufmännisch regiert worden. Die Schaffung einer Kaufleutenzunft wurde abgelehnt! Letztlich war die Reformbewegung aber zu heterogen, um genügend Druck für konkrete Reformen aufzubauen. Die Handwerker verfolgten andere Ziele als die konkurrierenden Familien der Oberschicht. Zürich verpasste somit die Gelegenheit, sich zu erneuern.
Scheuchzer haderte mit dem Regiment, und die Leitung der bürgerlichen Kommission brachte ihm mehr Missgunst als Dankbarkeit ein. Er dachte darüber nach, sich eine andere Wirkungsstätte zu suchen, wo er von Anfeindungen ungestört forschen konnte. Noch im selben Jahr wurde ein Lehrstuhl am Carolinum frei, doch Scheuchzer wurde übergangen. Zar Peter der Grosse berief den geschmähten Zürcher Gelehrten nach St. Petersburg, doch Scheuchzer lehnte ab. Um ihn in Zürich zu behalten, verbesserte die Stadt sein Salär. Aber erst 1729 konnte Scheuchzer am Carolinum naturwissenschaftliche Vorlesungen halten. Im Januar 1733 wurde er doch noch als Professor ans Carolinum berufen, starb aber fünf Monate später.
Die Verfassung von 1713 war die erste, die gedruckt wurde. Sie wurde den Zünften und der Constaffel übermittelt, wo die Bürger Einsicht nehmen konnte.
Die Zunftunruhen von 1777
Nach der Krönung von König Ludwig XVI. kam wiederum die Bündnisfrage mit Frankreich aufs Tapet. Obwohl die Zünfte seit 1775 über die Pläne informiert werden wollten, überzeugte Bürgermeister Johann Conrad Heidegger den Rat davon, den Verhandlungsprozess geheim zu halten, er wäre zu heikel, um die Bürgerschaft miteinzubeziehen. Auf Druck des Grossen Rats mussten am 26. Juni 1777 die Zunftmeister in ihren Zünften über das geplante Bündnis informieren. Vor vollendete Tatsachen gestellt, formierte sich eine Protestbewegung, 169 Personen, wovon 80 Prozent Handwerker waren, unterzeichneten eine Protestschrift, die verlangte, dass die Mitsprache im sogenannten Libell zum «Geschworenen Brief» genauer umschrieben werden sollte. Ein Wortführer war der redegewandte Rudolf Hofmeister, der am Weinplatz einen Krämerladen betrieb. Seine Überlegungen beruhten darauf, dass die Gemeinde der Gesetzgeber sei, weshalb in strittigen Fragen zwischen Rat und Bürgerschaft die Zünfte entscheiden sollten. Hofmeister gehörte der Saffranzunft an. Er wandte sich an den Stadtarzt Hans Caspar Hirzel, der ihn umstimmte. Die Hinhaltetaktik des Rats förderte jedoch die öffentliche Diskussion. Der Grosse Rat beschloss am 16. September, eine Kommission zu bilden, die den Unzufriedenen die Haltung der Regierung erklären sollte. In einer unverbindlichen Erklärung wurde den Zünften bei künftigen Bündnissen eine Bedenkzeit von acht Tagen eingeräumt. Am 27. September wurde der Text verlesen, in einigen Zünften kam es zu tumultartigen Szenen. Am 13. November diskutierte der Rat, wie die Situation beruhigt werden könnte; weder wollte der Rat nachgeben noch allzu hart gegen die Opposition vorgehen. Schliesslich wurden 31 Zünfter in das Rathaus vorgeladen und abgemahnt.
Mit Bangen wartete der Rat auf den kommenden Meistertag im Dezember, bei dem es legal und üblich war, Klagen vorzubringen. Die öffentliche Abmahnung hatte gewirkt, einzig in der Zunft zum Widder gab es noch einen Nachhall der Proteste. Damit hatte es der Zürcher Rat zum letzten Mal verpasst, sein System von innen heraus zu reformieren. Als 20 Jahre später die Franzosen einmarschierten, fiel das Ancien Régime in sich zusammen. •