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1698 Das neue Rathaus präsentiert sich selbstbewusst zwinglianisch

Das neue Rathaus präsentiert sich selbstbewusst zwinglianisch

Der Neubau des Rathauses drückt das neue Selbstverständnis der Stadtrepublik Zürich aus. Obwohl es prächtig sein sollte, wurde aus Geldmangel und zwinglianischer Bescheidenheit ein Gebäude nach einem Architekturkatalog gebaut.

Das erste Zürcher Rathaus wurde 1252 an der unteren Brücke neben dem allgemeinen Markt und dem Fischmarkt errichtet. 1398 baute man am selben Ort ein neues repräsentatives Rathaus. Es widerspiegelte das Zürcher Selbstverständnis einer durch territoriale Erschen Frieden nach dem Dreissigjährigen Krieg erhielt Zürich 1648 den Status der souveränen Republik, was ein grösseres Repräsentationsbedürfnis zur Folge hatte, dem das alte, baufällige Rathaus nicht mehr genügte. Der Neubau sollte die Manifestation

werbungen wachsenden Stadt (1350–1430) und als Vorort der Eidgenossenschaft. Das Gebäude war mit reichen Fassadenmalereien von Hans Asper verziert, die Landschaften und den Jahresverlauf darstellten. Unter den einzelnen Monaten hatte er die Fische des Zürichsees und der Limmat dargestellt – ausser während ihrer Laichzeiten; so war ersichtlich, wann welche Art Schonzeit hatte. Seit 1219 war Zürich freie Reichsstadt im Heiligen Römischen Reich; mit dem Westfälidieses aristokratischen Stadtstaats sein. Ende 1693 beschlossen die beiden Räte den Neubau, im März 1694 wurde mit dem Bau begonnen. Als ausführender Baumeister wurde Stadtbaumeister Hans Heinrich Holzhalb bestimmt.

Als Folge des Dreissigjährigen Kriegs hatte die Stadt 1642 begon-

nen, eine dritte Stadtbefestigung zu bauen. Dieses Bauwerk belastete die städtischen Finanzen stark und die Vollendung zog sich bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hin. Deshalb wählte man aus einem Katalog: Wahrscheinlich hatten die beiden massgebenden Werke der Architekturtheorie des 16. und 17. Jahrhunderts, eine venezianische Vitruv-Ausgabe Fra Giovanni Giocondos von 1511 und Joseph Furttenbachs «Architectura recreationis» in der Augsburger-Ausgabe von 1640 das Aussehen des Zürcher Rathauses massgeblich beeinflusst. Das neue Rathaus wurde auf den Fundamenten seines Vorgängers aus Sandstein dreigeschossig erbaut. Es erinnert an einen Palazzo, seine Fassade ist der Spätrenaissance verpflichtet. Die Nord- und Südseite sind dreiachsig, die Längsseiten neunachsig, dadurch prägen 72 Fensterfelder, wovon eines für das Portal verwendet wurde, das Aussehen. Das Portal wurde aus grauem, hell geädertem Richterswiler Marmor gefertigt, der Türrahmen hat einen Bogenabschluss. Die Türflügel wurden erst 1867 zurückversetzt. Über dem Portal thronen zwei Wappenlöwen mit ihren Hoheitszeichen Schwert und Palmwedel. Das ursprüngliche Portal hatte bis 1838 eine dreistufige Podesttreppe, die den barocken Eindruck verstärkt hatte.

Im Erdgeschoss befanden sich die Räume des Wächters, ein allegorisch geschmückter Saal und der Rechenrat, das eigentliche Finanzministerium. Das erste Geschoss gehörte den Räten. In der kleinen Ratsstube tagte der

Der Rathaussaal, 1833 von Hans Caspar Stadlergestaltet. Damals wurde der Zwischenboden entfernt. Hinter dem Ratspräsidium hängt der gestickte Wandteppich von LissyFunkDüssel, die ihn zwischen 1940 und 1945 nach einem Entwurf von Willi Dünner schuf, die Löwen sind aus reinen Goldfäden gestrickt. Die Decke ist noch original von 1697/98.

Johann Melchior Füssli malte zwei Tafeln, worauf er die Gattungen aller See- und Limmatfische systematisch auflistete, er bildete sie nahezu fotorealistisch ab. Jeden Fisch versah er mit einer Ziffer und führte im unteren Teil des Gemäldes die Schonzeiten nach Monaten geordnet auf.

Kleine Rat. Das Parlament, der Rat der 200, tagte in der Räth- und Bürgerstube. Die prächtige Ratslaube verband die beiden Haupträume. Im zweiten Geschoss befanden sich der obere Saal und die Wohnung des Grossweibels. Im Dachgeschoss waren zwei Gefängniszellen eingerichtet. Durch Umbauten im 19. und 20. Jahrhundert ging der ursprüngliche Grundriss verloren, obwohl man 1937/38 versuchte, einen Teil davon wiederherzustellen.

Die «Rathausfische» von Johann Melchior Füssli

Hans Erhard Escher wies im Jahr 1692 34 Fischarten im Zürichsee aus, im 21. Jahrhundert gibt es noch deren 24. Fische aus dem See und der Limmat blieben auch nach der Reformation und der Abschaffung der katholischen Fastentage bis ins 19. Jahrhundert Grundnahrungsmittel der Bevölkerung: vor allem Lachs, Maifisch und Neunauge, hablichere Familien assen auch Hecht und Barsch. Um den See vor Überfischung zu schützen, wurden Schonzeiten verfügt. Die ersten Fischereivorschriften wurden bereits 1370 erlassen, 1767 arbeiteten 104 Berufsfischer auf dem See. Mit dem Abriss des alten Rathauses ging auch Hans Aspers gemalte Fischereiverordnung verloren, weshalb der Zeichner, Kupferstecher und Radierer Johann Melchior Füssli den Auftrag erhielt, als Ersatz neue Tafeln zu schaffen. Diese wurden an der Wand zum Fischmarkt hin angebracht.

Johann Melchior Füssli besass eine Werkstatt und einen Verlag, David Herrliberger war sein wohl bekanntester Schüler. Zwischen 1709 und 1729 schuf Füssli für verschiedene Gesellschaften Neujahrsblätter. Sein Hauptauftraggeber aber war Johann Jakob Scheuchzer, für den er zwischen 1716 und 1718 dessen Helvetiae historia naturalis illustrierte. Sein wichtigstes Werk sind die 735 Zeichnungen zu Scheuchzers grandioser Physica sacra, die von 1731 bis 1735 entstanden. •

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