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1714 Johann Jakob Scheuchzer findet Gott in der Natur

Johann Jakob Scheuchzer findet Gott in der Natur

«Mit der Zierde und Kunst der Natur suchte ich die ehrwürdige Heiligkeit der Offenbarung zu verknüpfen.» So fasste Johann Jakob Scheuchzer 1735 im Vorwort seiner Kupferbibel den Versuch zusammen, mit naturkundlichen Argumenten den Gottesbeweis zu erbringen.

Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733) wuchs in Zürich als Sohn eines Stadtarzts auf. Von 1692 bis 1695 absolvierte er in Altdorf bei Nürnberg das Studium der Medizin und schloss es in Utrecht mit dem Titel eines Doktors der Medizin ab, um 23-jährig, wieder zurück in Zürich, Waisenhausarzt, Kurator der Bürgerbibliothek und Verwalter des Raritätenkabinetts zu werden.

Schon als Jugendlicher, noch im Familienkreis, empfand er, wie anregend es sein konnte, Berge zu besteigen und dabei ein offenes Auge für die Natur zu haben. 1694 hatte er bei seiner ersten Alpenreise die Rigi, den Pilatus und andere Voralpengipfel bestiegen. Er wollte nun systematisch den Schweizer Alpenraum erforschen und dessen Bewohner genauer ken-

Johann Jakob Scheuchzer, 1734 von Hans Ulrich Heidegger (1700–1747) gemalt. nenlernen. Dabei nahm er bei seinen Exkursionen als Erster regelmässig barometrische Höhenmessungen vor. Mit seinen Untersuchungen an Bergkristallen wurde er zu einem Mitbegründer der modernen Kristallografie, und seine Wetterbeobachtungen sollten den Beginn der meteorologischen Tätigkeit in der Schweiz bedeuten.

Bekannt wurde er jedoch vor allem mit seinen paläontologischen Arbeiten, in denen er sich intensiver mit den Fossilien, besonders jenen der Tiere, befasste. In seiner Abhandlung zur Fossilienkunde Piscium querelae et vindicae (1708) beschrieb er Versteinerungen als Zeugnisse der Sintflut, und mit dem 1709 erschienenen Herbarium diluvianum wurde er zum Begründer der Paläobotanik. Auf 14 Tafeln

Detail auseinem Kupferstich der Physica Sacra von Johann Jakob Scheuchzer. Scheuchzer glaubte, dass das Alte Testament eine sachliche Darstellung der menschlichen Geschichte und des natürlichen Lebens darstellte.

zeigte er darauf Pflanzenabdrücke von meist aus dem Karbon, Perm und Tertiär stammenden Pflanzen. Sie wurden so realistisch gezeichnet, dass mit den meisten Abbildungen eine Artbestimmung möglich war. Mit seinen zwischen 1706 und 1708 erschienenen Beschreibungen der Naturgeschichte des Schweizerlandes legte er den Boden zur Erforschung der Gebirge.

Zum grossartigen Schlusspunkt seiner «Vermessung der Schweiz» geriet seine 1712 entstandene Karte der Schweiz, die Nova Helvetiae tabula geographica, die mit ihren vier Blättern, zusammengesetzt 148x113 Zentimeter, wirklich gross ist, 1765 nochmals aufgelegt wurde und lange Zeit als die beste und gültige Karte der Schweiz galt. Ergänzt wurde die Karte mit einer mehrbändigen Naturgeschichte der Schweiz, in der die Oberflächengestalt, die Seen, Flüsse und Bäder, die Witterungsverhältnisse und die Fossilien beschrieben wurden.

Eine Verfassungsrevision für Zürich?

Nach dem kurzen und für Zürich erfolgreichen Zweiten Villmergerkrieg und dem darauffolgenden Vierten Landfrieden im Jahr 1712, der dieReligionskriege der Eidgenossenschaft definitiv beendet hatte, brachen in Zürich die Meinungsverschiedenheiten über die Aktualität der zürcherischen Zunftverfassung, die sich seit bald 400 Jahren kaum verändert hatte, erneut aus, denn das Bedürfnis der Menschen nach Wandel war zu wenig berücksichtigt worden. Zum scheuchzerschen Selbstverständnis gehörte die reformatorische Bereitschaft, mit persönlichem Einsatz für die Gemeinschaft tätig zu sein und sich auch politisch zu engagieren. So wurde er 1713 zum Haupt der Reformpartei gewählt, die versuchte, mit deutlich aufklärerischen Positionen in ihrem Reformprogramm den erstarrten Staat mit einer Verfassungsrevision zu beleben. In seinen zeitgeschichtlich-politischen Aufzeichnungen über das Jahr 1713 sah er in den Ereignissen noch optimistisch, «dass ein in der Unwissenheit unterhaltenes Volk die Augen öffnet, seine Freiheit aus allen Winkeln hervorsucht, viel darüber dicurierert, im Reden freymütiger wird, seine eigenen Fehler besseret, den blinden Gehorsam fahren lasset und auf die Regenten besser Achtung gibet, dadurch aber auch bey denen Regenten, wenn sie vollEi-

Scheuchzer sah in der Versteinerung, in Einklang mit der biblischen Überlieferung, die Überreste eines in der Sintflut ertrunkenen Menschen. Aberschon Georges Cuvier (1769–1832) identifizierte sie als Versteinerung eines Riesensalamanders.

Die Aufklärung erreicht Zürich Anfang des 18. Jahrhunderts. Die Kleinstadt wird zu einem gesellschaftlich-kulturellen Hotspot – zu einem eigentlichen Limmat-Athen, das viele Geistesgrössen hervorbringt und anzieht. Scheuchzer, Bodmer, Lavater, Füssli oder Pestalozzi prägen die neue Epoche der Vernunft und tragen ihre Ideen bis in die geistigen Hauptstädte Europas. Aber auch in Winterthur und auf der Landschaft werden die neuen Ideen leidenschaftlich diskutiert. Jedoch schafft es die Zürcher Aristokratie bis zum Einmarsch der Franzosen 1798 nicht, das mittelalterliche System der Zunfherrschaft zu reformieren. Die Autoren lassen Ereignisse, Schauplätze und Figuren dieser Zeit des Auf- und Umbruchs lebendig werden.

ISBN 978-3-907291-73-3

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