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Krieg und Revolten (1905/06

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Krieg und Revolten (1905/06)

Am 1. November 1894 trat Zar Nikolai II. (1868–1918) die Nachfolge seines Vaters an. Er zeigte wenig Neigung, seine Herrschaftspflichten wahrzunehmen und sich mit den Regierungsgeschäften zu befassen. Noch weniger interessierte er sich für die offensichtlichen Missstände im Land. Zudem billigte er, dass Rasputin, ein moralisch verkommener Bauer aus Sibirien im Gewand eines selbsternannten Wanderpropheten und Wunderheilers, sich mit Schwindel und Betrügereien zum Günstling von Zarin Alexandra aufschwingen und starken Einfluss auf sie nehmen konnte. Angeblich übte er eine übersinnliche, positive Wirkung auf die Gesundheit des jungen Thronfolgers Aleksei aus, der seit Geburt unheilbar an Hämophilie litt. So kam es, dass anstelle des Imperators die von Rasputin gelenkte Zarin Alexandra wichtige Regierungsentscheide fällte. Das Machtvakuum, das durch Nikolais weitgehende Absenz auf dem Zarenthron entstanden war, wussten nebst Rasputin auch andere Männer zu füllen, unter anderem Graf Sergei Witte (1849–1915), der seit 1892 Finanzminister und einer der wenigen ausserordentlich fähigen Männer im Zarenkabinett war. Unter anderem trieb er mit dem Bau der transsibirischen Eisenbahn den dringend nötigen Industrialisierungsprozess voran und führte für den Rubel den Goldstandard ein. Doch anstatt auf Wittes politische Fähigkeiten zu vertrauen, entliess der Zar den Deutschbalten, nachdem ihn Innenminister Wjatscheslaw Plehwe (1846–1904) denunziert hatte. Plehwe schlug sämtliche Unmutsäusserungen der streikenden Arbeiter, der um die Existenz kämpfenden Bauern und revolutionär gesinnten Studierenden mit eiserner Hand nieder. Auch gegen aussen plädierte er für eine aggressivere Politik. Aus reinen Prestigegründen wollte er den Nachbarstaat Japan in die Knie zwingen, man brauche «einen kleinen und siegreichen Krieg». Das Gegenteil von Prestigegewinn traf ein: Anstatt der Welt seine Grossmachtstellung zu demonstrieren, brachte der verlorene Krieg von 1904/05 dem Zarenregime einen herben Gesichtsverlust und legte seine militärische Schwäche bloss. Wittes Nachfolger als Innenminister, Petr Svjatopolk-Mirskij, versuchte vergeblich, das verlorene Vertrauen der breiten Bevölkerung in die Regierung zurückzugewinnen, zumal seine Reformvorschläge allzu zaghaft waren.

Anfang 1905 streikte in Sankt Petersburg ein Grossteil der Belegschaften der Industriebetriebe. Am 9. Januar 1905 zogen unter der Führung des Priesters Gapon rund 100000 unzufriedene Arbeiterinnen und Arbeiter mit Zarenbildern und Ikonen in Richtung des Winterpalasts in Sankt Petersburg. Sie wollten

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