Sustainable Switzerland (D)

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Special Nachhaltig handeln

Unternehmen

Nachhaltige Erfolgsprojekte

Klimapolitik

Verbieten oder überzeugen?

Grünstrom produzieren, Natur schützen

Balanceakt in den Bergen

Asteroideneinschlag in Superzeitlupe

Klima & Energie Die bisher getroffenen Massnahmen gegen den Klimawandel, die grösste Herausforderung der Menschheit, reichen nach Einschätzung von Experten bei weitem nicht aus, um die Erhitzung des Planeten aufzuhalten.

ELMAR ZUR BONSEN

Die Fakten liegen auf dem Tisch, auch die Technologien sind vorhanden: Wenn die Menschheit den Anstieg der Meeresspiegel, die Übersäuerung der Ozeane, massenhaftes Artensterben, Lebensmittelknappheit und die Zerstörung ganzer Ökosysteme noch abwenden möchte, ist eigentlich keine Zeit mehr zu verlieren. Ob das überall angekommen ist?

Die bisherigen Massnahmen der Länder zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen reichten nicht aus, warnt ein kürzlich veröffentlichter Bericht des Uno-Umweltprogramms Unep. Es drohe eine «katastrophale Erwärmung» von 3,1 Grad Celsius in diesem Jahrhundert im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter (1850 – 1900). Selbst wenn alle bestehenden Zusagen zur Emissionssenkung umgesetzt würden, käme es noch zu einem Temperaturanstieg um 2,6 Grad.

Höchststand bei Emissionen

Auch die Weltwetterorganisation (WMO) schlägt Alarm: Die globale Durchschnittstemperatur habe von Januar bis September dieses Jahres bei der Rekordmarke von 1,54 Grad über dem vorindustriellen Niveau gelegen, berichtete die Organisation zum Auftakt der Weltklimakonferenz in Baku (Aserbaidschan). Das Jahr 2024 werde wahrscheinlich das heisseste seit Beginn der Temperaturauf-

zeichnungen werden. Jeder Anstieg der Durchschnittstemperatur verstärke auch Klimaextreme, betonte WMO-Generalsekretärin Celeste Saulo. «Die rekordverdächtigen Regenfälle und Überschwemmungen, die Wirbelstürme, die plötzlich rapide gefährlicher werden, die tödliche Hitze, die unerbittliche Dürre und die schlimmen Waldbrände, die wir in diesem Jahr in verschiedenen Teilen der Welt erlebt haben, sind leider ein Vorgeschmack auf unsere Zukunft.»

Um Schlimmeres zu verhindern, hatte sich die internationale Gemeinschaft

im Pariser Klimaabkommen 2015 darauf verständigt, dass die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad Celsius bleiben und möglichst nur 1,5 Grad betragen soll. Dazu müsse der globale Treibhausgasausstoss bis 2030 um 42 Prozent und bis 2035 um 57 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 sinken, heisst es im «Emission Gap Report 2024» der Unep. In der alljährlichen Bestandsaufnahme, die wenige Wochen vor der Weltklimakonferenz veröffentlicht wurde, geht es um die Lücke zwischen den real zu erwartenden Emissionen von Treibhaus-

gasen in den kommenden Jahren und den Werten, die für ein Erreichen der Pariser Klimaziele notwendig wären. Unter dem doppeldeutig formulierten Titel des Reports «No more hot air, please!» (Bitte keine heisse Luft mehr!) legte Unep alarmierende Zahlen vor: Den Berechnungen zufolge wurden 2023 weltweit Treibhausgase mit einer Klimawirkung von 57, 1 Gigatonnen Kohlendioxid (Kohlendioxidäquivalenten) ausgestossen – ein Höchststand. Echtzeitdaten deuten nach Expertenangaben darauf hin, dass die Treibhausgaskonzentration auch im laufenden Jahr weiter zunimmt. Treibhausgase in der Atmosphäre, insbesondere CO2, sind einer der wichtigsten Faktoren für den weltweiten Temperaturanstieg. Bereits im vergangenen Jahr war für den Anstieg von 2021 auf 2022 ein Rekordwert an Emissionen mit einem Zuwachs um 1,2 Prozent verzeichnet worden. Von 2022 auf 2023 sei der Wert noch einmal um 1,3 Prozent gestiegen, so der Gap-Report. Zum Vergleich: In der Dekade vor der Corona-Pandemie stiegen die weltweiten Treibhausgasemissionen jährlich durchschnittlich «nur» um 0,8 Prozent. Wie schon in den Jahren zuvor entstanden 2023 die meisten Emissionen mit einem Anteil von 26 Prozent im Energiesektor, etwa bei der Stromerzeugung, gefolgt vom Transportbereich mit 15 Prozent sowie der Landwirtschaft und der Industrie mit einem Anteil von jeweils 11 Prozent.

Der Unep-Bericht zeigt, dass es ein technisches Potenzial für Emissionssenkungen von bis zu 31 Gigatonnen CO2-Äquivalente im Jahr 2030 und von 41 Gigatonnen im Jahr 2035 gibt – vor allem durch einen verstärkten Einsatz von Photovoltaik und Windenergie. Besonders in die Pflicht genommen wird die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20): Sie sollen ihre Anstrengungen intensivieren und mehr Geld in Klimaschutzmassnahmen investieren. Die Mitglieder der G20 seien noch nicht einmal auf Kurs, um die aktuellen nationalen Beitragsziele zu erfüllen, wird bemängelt.

Schleichender Prozess

Der Physiker und renommierte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber macht angesichts der fortschreitenden Erderwärmung noch auf einen anderen Aspekt aufmerksam: «Ich habe den Klimawandel mal als einen Asteroideneinschlag in Superzeitlupe bezeichnet. Das heisst, wir wissen, da kommt auf uns etwas zu, was die Hälfte der Erde zerstören könnte – aber es passiert so langsam, dass wir uns einfach an diese Bedrohung gewöhnen», sagte Schellnhuber in einem Interview. Nach seiner Einschätzung ist die 1,5-Grad-Grenze inzwischen nicht mehr zu halten. Die Frage sei vielmehr: «Wann erreichen wir die zwei Grad und wie weit überschreiten wir auch diese Leitplanke?»

Grosses Aufräumen nach den extremen Unwettern im Osten Spaniens. KEYSTONE

Google Schweiz neuer Main Partner

Nachhaltigkeit Als Vertreter der Tech-Branche und Pionier im Bereich «Sustainability Enablement» will das Unternehmen gemeinsam mit Sustainable Switzerland die nachhaltige Entwicklung in der Schweiz vorantreiben.

TINA BAUMBERGER / ELMAR ZUR BONSEN

Der Technologiekonzern Google unterstützt ganze Industriezweige mit datengetriebenen Lösungen für die nachhaltige Wende. So forscht das Unternehmen beispielsweise daran, wie Flugzeuge mittels KI-Technologien zukünftig weniger klimaschädliche Kondensstreifen ausstossen. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz, da Kondensstreifen bis zu 35 Prozent der Umweltbelastung durch den Flugverkehr verursachen. Bei einer Versuchsreihe hatten Piloten während der Flüge Höhen vermieden, in denen Kondensstreifen mit höherer Wahrscheinlichkeit auftreten. Dafür zogen sie Vorhersagen heran, die Google Research mit künstlicher Intelligenz aus Wetterdaten und Satellitenbildern ermittelt hatte. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend: Sie zeigten, dass die Kondensstreifen um 54 Prozent verringert werden konnten.

Nachhaltige Transformation

Jetzt stösst Google Schweiz zum Kreis der Main Partner von Sustainable Switzerland, einer Initiative des Unternehmens NZZ. «Nachhaltigkeit kann keiner allein schaffen», betont Christine Antlanger-Winter, Country Director von Google Schweiz. Partnerschaften seien daher ein wichtiger Teil der Nachhaltigkeitsstrategie bei Google und entscheidend, um die Herausforderungen zu meistern. «Umso wichtiger sind Plattformen wie Sustainable Switzerland, auf denen die Akteure zusammenfinden und gemeinsam über Lösungen sprechen. Technologie birgt ein enormes Potenzial für die Entwicklung von nachhaltigen Lösungen, die gesellschaftlich und wirtschaftlich akzeptiert sind, indem sie über den reinen Nachhaltigkeitsaspekt hinaus Mehrwert stiften», so Christine Antlanger-Winter. Mit rund 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 85 Nationen ist Zürich einer der grössten Forschungs- und Entwicklungsstandorte von Google weltweit.

«Der technologische Fortschritt im Bereich der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz ist ein Schlüsselfaktor für die nachhaltige Transformation in der Schweiz und weltweit», betont Felix Graf, CEO des Unternehmens NZZ. «Ich freue mich daher, dass Sustainable Switzerland mit Google einen führenden, global agierenden

In Zürich arbeiten rund 5000 Google-Beschäftigte aus 85 Nationen an Diensten wie Google Maps und YouTube und entwickeln Anwendungen zu künstlicher Intelligenz oder Cybersecurity mit.

Player aus der Tech-Branche als Main Partner gewonnen hat.» Wie bei den weiteren Main-Partnern umfasst auch die Partnerschaft mit Google Schweiz mehrere zentrale Elemente: Google

«Technologie birgt enormes Potenzial für die Entwicklung von nachhaltigen Lösungen.»

Schweiz ist Mitglied im Strategy Board von Sustainable Switzerland, einem Gremium, das die strategische Ausrichtung der Initiative steuert. Darüber hinaus publiziert Google Schweiz anhand

Neue Angebote, neue Partnerkategorien

Die Plattform Sustainable Switzerland entwickelt sich erfolgreich weiter. Im Mittelpunkt stehen Erfahrungsaustausch, Wissenstransfer und innovative Services für Unternehmen.

Das Netzwerk von Sustainable Switzerland NZZ hat sich in den letzten drei Jahren kontinuierlich erweitert und zählt inzwischen mehr als 150 Partner und Mitgliederfirmen. Während die Partner in ihren Bereichen strategisch an der Plattform mitwirken, beteiligen sich die Mitgliederfirmen im «Entrepreneur Club» vor allem am Erfahrungsaustausch. Letzteres geschieht über diverse Veranstaltungsformate, die von Sustainable Switzerland organisiert werden. Auch im Bereich der Wissensvermittlung ist die Plattform Sustainable Switzerland stark gewachsen. Seit ihrer Lancierung wurden mehr als 1500 Artikel, Videos und Best Practices veröffentlicht und über die verschiedenen Kanäle der Initiative in die Wirtschaft und Bevölkerung getragen, was sich in einer um 70 Prozent

gestiegenen, durchschnittlichen Verweildauer auf dem Portal sustainableswitzerland.ch widerspiegelt. In naher Zukunft strebt Sustainable Switzerland drei zentrale Weiterentwicklungen an: Erstens wird eine neue Partnerkategorie «Sustainability Partners» für Organisationen mit NGOoder NPO-Charakter eingeführt. Ziel ist es, die ähnlichen Ziel- und Interessengruppen gegenseitig zu stärken und damit die Reichweite und den Wissensaustausch innerhalb der Initiative weiter auszubauen. Wissenstransfer ist auch das Ziel der zweiten Weiterentwicklung: dem Ausbau der Bildungspartnerschaften mit Schweizer Hochschulen und Universitäten. Sustainable Switzerland will Brücken schlagen und den Austausch zwischen Wissenschaft und Unternehmens-

von Best-Practice-Beispielen seine Ziele im Hinblick auf ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) und Sustainable Development Goals (SDGs) auf den Kanälen von Sustainable Switzerland. Dazu zählen unter anderem der beschleunigte Übergang zur Kreislaufwirtschaft und die Vermeidung von einer Gigatonne CO2 durch die aktive Beteiligung der Nutzerinnen und Nutzer von Google-Produkten wie Google Maps oder Google Flights. Die Best-Practice-Beispiele für eine nachhaltige Unternehmensführung sollen andere Firmen inspirieren und aufzeigen, wie innovative Technologien und nachhaltige Geschäftspraktiken erfolgreich kombiniert werden können. Google Schweiz wird zudem Teil des Sustainable-Switzerland-Netzwerks, das sich aus den bestehenden Partnern –darunter BCG, BKW, BMW, Economiesuisse, Lidl, die Mobiliar, Swisscom, UBS, ETH Zürich und EPFL – sowie mehr als 100 KMU zusammensetzt.

Christine Antlanger-Winter Country Director von Google Schweiz PD

praxis fördern, als Netzwerk- wie auch als Content-Plattform. Wissenschaftliche Erkenntnisse sollen hier in wirtschafts- oder gesellschaftstaugliche Formate übersetzt und publiziert werden. Die dritte Weiterentwicklung ist der Aufbau eines Service-Bereichs, in dem Anbieter und Nutzer von praxisnahen Tools und Services zusammenfinden (s. Bericht Seite 14). Die Nutzergruppe besteht aus Unternehmen, die nach konkreten Hilfestellungen und Werkzeugen für die Umsetzung nachhaltiger Praktiken suchen. Exemplarische Beispiele solcher Tools und Services sind das CO2-Management-Tool der Mobiliar für KMU oder das Swiss Triple Impact Programm von B Lab, mit dem Unternehmen in drei Schritten eine wirkungsvolle Nachhaltigkeitsstrategie erarbeiten können.

Leserwettbewerb

Darüber hinaus ist das Netzwerk über Veranstaltungen auch für Nichtmitglieder zugänglich. Google Schweiz bringt sich in ausgewählten Formaten in diesen Dialog zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ein.

Forum in Bern

Beim diesjährigen Sustainable Switzerland Forum gewährte Christine Antlanger-Winter in einem Interview auf der Hauptbühne bereits interessante Einblicke in die Nachhaltigkeitsstrategie von Google. An der von Sustainable Switzerland NZZ organisierten Veranstaltung am 22. August im Berner Kursaal nahmen rund 750 Akteure aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft teil. Gemeinsam erörterten sie konkrete Schritte auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Schweiz. Im Themenbereich «Mobilität und Energie» sprach Hendrik Lang, Senior Vice President Strategy, Digitalisation and Cost Engineering, Purchasing and Supplier Network bei der BMW Group, über die entscheidende Rolle der Digitalisierung bei der Dekarbonisierung von Lieferketten. Zur Diskussion stand auch die Frage, ob Atomstrom eine Lösung sei, um die Klimaziele für 2050 erreichen und zugleich den Energiebedarf decken zu können. Irene Aegerter von der Stiftung für eine sichere Stromversorgung, die Nationalräte Jürg Grossen (GLP) und Roger Nordmann (SP) sowie Ständerat Thierry Burkart (FDP) erläuterten ihre unterschiedlichen Standpunkte in einer angeregten Debatte. Einfluss des Klimawandels Die Extremsportlerin und Bergführerin Evelyne Binsack machte im Themenstream «Alpiner Lebensraum & Biodiversität» anhand persönlicher Eindrücke deutlich, wie stark die Bergwelt sich bereits unter dem Einfluss des Klimawandels verändert hat. Im Bereich «Nachhaltige Unternehmensführung» wurde eine neue Studie zur «Sustainability Gap» bei Schweizer Firmen vorgestellt. Antje von Dewitz, CEO des Outdoor-Ausrüsters Vaude, zeigte praktische Wege auf, wie Unternehmen ihren Umsatz von Emissionen entkoppeln können. Spannende Vorträge und wertvolle Impulse stehen auch im kommenden Jahr wieder auf dem Programm – beim vierten Sustainable Switzerland Forum am 2. September 2025 in der Bernexpo.

4 × 2 Tagespässe für das Verkehrshaus der Schweiz in Luzern zu gewinnen.

Mit etwas Glück können Sie zwei Tagespässe für das Verkehrshaus der Schweiz gewinnen und die neue Nachhaltigkeitszone in der Ausstellung «Experience Energy!» entdecken. Die interaktive Ausstellung bietet einen spielerischen Zugang zum Thema und zeigt Wege und Möglichkeiten auf, wie eine nachhaltige Energieversorgung der Zukunft und ein schonender Umgang mit Ressourcen aussehen können, s. Bericht auf Seite 19. Mit dem Tagespass stehen Ihnen auch das Planetarium und das Filmtheater im Verkehrshaus der Schweiz offen.

Die Teilnahme an der Verlosung ist bis und mit 8. Dezember möglich. Scannen Sie dazu diesen QR-Code:

FOTOS: GOOGLE

Wie wir leben, was uns bewegt

Zahlen & Fakten Die Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen ist eine grosse Herausforderung, auch für die Schweiz. Es geht dabei um ganz unterschiedliche Aufgabenbereiche und Themenfelder – soziale, wirtschaftliche und ökologische.

52%

Recyclingquote Schweiz

Die Schweiz hat eine Recyclingquote von 52 Prozent erreicht – im europäischen Vergleich gehört sie damit zu den Spitzenreitern. Dem Bundesamt für Statistik zufolge wurden 2022 pro Person 350 Kilogramm Abfälle aus Haushalt und Gewerbe separat gesammelt und dem Recycling zugeführt. Dies entspricht 52 Prozent der gesamten Siedlungsabfälle. Dabei stellen Altpapier, Grünabfälle und Glas die grössten Anteile dar. Die Wiederverwertung von Wertstoffen schont Ressourcen, spart Energie und verringert die CO2-Belastung. Das Recycling hierzulande erreicht einen Umweltnutzen, der der jährlichen Umweltbelastung von 86 000 Personen entspricht.

Separat gesammelte Siedlungsabfälle (Recycling)

Sammelquoten Schweiz, in Prozent

528 000 000 - 8,8%

Brennstoff-Emissionen

Die CO2-Emissionen aus Brennstoffen (vorwiegend Heizöl und Gas) sind 2023 witterungsbereinigt gegenüber dem Vorjahr deutlich gesunken, und zwar nach Angaben des Bundesamts für Umwelt um 8,8 Prozent. Gegenüber 1990 lagen diese Emissionen sogar 41,7 Prozent tiefer. Die Abnahme ist vor allem auf die bessere Energieeffizienz von Gebäuden und den vermehrten Einsatz erneuerbarer Energien beim Heizen zurückzuführen. Die Anstrengungen der Kantone tragen wesentlich dazu bei. Insbesondere der Gasverbrauch ist 2023 das zweite Jahr in Folge deutlich zurückgegangen. Die Emissionen aus Treibstoffen (Benzin und Diesel) verblieben auf dem Niveau des Vorjahres.

Energetische Sanierungen

Zum vierten Mal in Folge verzeichnete das Gebäudeprogramm von Bund und Kantonen ein Rekordjahr: Rund 528 Millionen Franken an Fördermitteln wurden 2023 ausbezahlt. Das ist der höchste Betrag seit Bestehen des Programms und 25 Prozent mehr als im Vorjahr. Die 2023 dank Fördergeldern umgesetzten Massnahmen reduzieren über ihre Lebensdauer den Energieverbrauch des Schweizer Gebäudeparks um 11,2 Milliarden Kilowattstunden und den CO2-Ausstoss um rund 3,4 Millionen Tonnen. 26 560 Öl-, Gas- und Elektroheizungen wurden ersetzt, 87 Prozent davon durch Wärmepumpen. Gebäude sind für rund 40 Prozent des Energieverbrauchs der Schweiz und ein Viertel der CO2-Emissionen verantwortlich.

68

Umweltfreundlichste Länder

In der Rangliste der umweltfreundlichsten Länder der Welt belegt die Schweiz gemäss dem Environmental Performance Index (EPI) in diesem Jahr Platz neun. Der EPI wird alle zwei Jahre von Instituten der US-Universitäten Yale und Columbia veröffentlicht. Die Schweiz erreicht 2024 einen Indexwert von 68 Punkten. Spitzenreiter ist Estland mit 75,3 Punkten. Der EPI bewertet für jedes der 180 untersuchten Länder die ökologische Leistungsbilanz mithilfe von 58 Indikatoren zu zentralen Umweltthemen. Diese reichen von der Eindämmung des Klimawandels und der Luftverschmutzung über die Abfallwirtschaft bis hin zum Schutz der biologischen Vielfalt.

30 500 47,7%

Arbeitszeiten

2023 haben 47,7 Prozent der Arbeitnehmenden in der Schweiz von flexiblen Arbeitszeiten profitiert. Dies geht aus der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung des BFS hervor. Bezogen auf die Wirtschaftssektoren, sind flexible Arbeitszeiten allerdings sehr ungleich verteilt. Die höchsten Anteile verzeichnen die Branchen Information und Kommunikation (77,3 Prozent), Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (75,3 Prozent) und Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen (73,0 Prozent). Der Statistik zufolge arbeiten 26,5 Prozent der Erwerbstätigen regelmässig samstags und 15,8 Prozent regelmässig sonntags. Befristete Arbeitsverträge betreffen 8,6 Prozent der Arbeitnehmenden.

Umweltnutzen von Recyclingsystemen

Vergleiche des Dachverbands Swiss Recycle verdeutlichen, wie gross der Nutzen der Schweizer Recyclingsysteme für die Umwelt ist:

1 Tonne rezyklierte

„ Aluminiumverpackungen sparen so viele Umweltbelastungen ein, wie 30 500 Kilometer Autofahrt generieren.

„ Elektro- und Elektronikgeräte (inklusive Leuchtmittel) sparen so viele Umweltbelastungen ein, wie 247 500 Kilometer Zugfahrt mit der SBB generieren – das ist gleich 48 Mal das gesamte Schweizer Schienennetz.

Umweltrelevantes Verhalten

60 Prozent der Schweizer Bevölkerung haben 2023 angegeben, dass sie die Heiztemperatur immer oder meistens reduzieren, wenn ihre Wohnung mindestens zwei Tage leer steht. 70 Prozent achteten nach Angaben des Bundesamts für Statistik beim Kauf von kleineren Elektrogeräten immer oder meistens auf deren Energieverbrauch.

44 Prozent der Befragten gaben an, immer oder meistens Bioprodukte zu konsumieren. Rund 40 Prozent verzehren Nahrungsmittel aus biologischer Herstellung gelegentlich. Diese Zahlen bewegen sich im selben Rah-

Rangliste der 11 umweltfreundlichsten Länder

Nach dem Environmental Performance Index (EPI) im Jahr 2024

men wie bei der Vorgängerbefragung von 2019. Beim Verkehrsverhalten hingegen ist eine Zunahme der Personen zu verzeichnen, die nie das Flugzeug nehmen: 2019 waren es 20 Prozent, im vergangenen Jahr 26 Prozent. Was den Konsum von Fleisch beziehungsweise Fleischerzeugnissen (ohne Fisch) betrifft, standen diese Lebensmittel für 12 Prozent der Bevölkerung täglich auf dem Speiseplan, für 28 Prozent vier- bis sechsmal die Woche, für 43 Prozent einbis dreimal die Woche, für 11 Prozent seltener als einmal die Woche und für 6 Prozent nie.

160

Wasserverbrauch pro Tag

Herr und Frau Schweizer verbrauchen im Haushalt zum Trinken, Kochen, Waschen und Reinigen durchschnittlich 160 Liter Wasser pro Tag. Der gesamte Wasserverbrauch geht noch weit darüber hinaus. Wie eine vom WWF unterstützte Studie ergeben hat, liegt er bei rund 6100 Liter Wasser pro Person. Darin enthalten ist auch der Wasserverbrauch für die Produktion von Lebensmitteln, Kleidung und anderen Konsumgütern. Die Herstellung einer 800 Gramm schweren Jeans zum Beispiel verschlingt 8000 Liter Wasser. Verantwortlich dafür ist der wasserintensive Anbau von Baumwolle. Ein Liter Bier erfordert den Einsatz von 295 Litern Wasser.

„ Textilien und Schuhe sparen so viele Umweltbelastungen ein, wie 26 400 Flugkilometer oder etwa 4 Mal die Flugstrecke Zürich–New York generieren.

„ Batterien und Akkus sparen so viele Umweltbelastungen ein, wie 2652 Liter Heizöl generieren.

„ Weiss-/Stahlblech spart so viele Umweltbelastungen ein, wie 14 500 WCPapierrollen (FSC) erzeugen.

„ PET-Getränkeflaschen sparen so viel Energie ein, wie eine 12-WattEnergiesparlampe während 52 Jahren benötigt.

4 900 000

Holzernte gesunken

Im vergangenen Jahr sind in der Schweiz 4,9 Millionen Kubikmeter Holz geerntet worden. Das entspricht einem Rückgang von fast 6 Prozent gegenüber 2022. Die tiefere Holznachfrage spielte dabei eine wichtige Rolle. Laut der Forststatistik des Bundesamts für Statistik ging die Stammholzernte merklich zurück (–12 Prozent), ebenso wie die Ernte von Indus-trieholz (–1 Prozent) und von Stückholz zur Energiegewinnung (–5 Prozent). Das andere Energieholz-Sortiment (Hackholz) wuchs jedoch weiter (+5 Prozent) und nimmt an Bedeutung zu. Mittlerweile deckt es rund 30 Prozent der gesamten Holzernte ab. Der Anteil von Energieholz an der gesamten Holzernte hat sich den Angaben zufolge in den letzten 20 Jahren verdoppelt.

67,5

Top bei Innovationen

Die Schweiz ist nach dem Global Innovation Index (GII) 2024 mit einem Indexwert von 67,5 Punkten das innovativste Land der Welt. Dahinter rangieren Schweden (64,5 Punkte) und die USA (62,4). Der GII untersucht 133 Volkswirtschaften weltweit und wird von der Uno-Organisation für geistiges Eigentum vorgelegt. Wie sich gezeigt hat, gab es im vergangenen Jahr nach dem Boom von 2020 bis 2022 einen Abschwung beim Risikokapital und bei internationalen Patentanmeldungen. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung waren rückläufig.

Verbieten oder überzeugen?

Meinung Wer Klimapolitik im Eiltempo per Dekret betreiben will, weckt nur den Widerstand der Betroffenen. Wirkungsvoller ist ein austarierter Mix aus Anreizen, Massnahmen und guten Argumenten. Von Felix E. Müller

Der Weg vom Gipfel des Erfolgs bis in die Tiefen des politischen Jammertals war für die deutschen Grünen ziemlich kurz. Sie zogen als junge, frische, fortschrittliche Umweltpartei in die Regierung ein, sorgten dort ein gutes Jahr lang für wohlwollende Schlagzeilen, die insbesondere die beiden Spitzenpolitiker Annalena Baerbock und Robert Habeck betrafen. Doch dann war der Honeymoon plötzlich zu Ende: Als sauertöpfische Besserwisserpartei wurden die Grünen plötzlich in den Medien dargestellt, sie stürzten in den Umfragen kräftig ab und zogen die ganze AmpelKoalition mit in die Tiefe.

Auf der Suche nach den Ursachen für diesen Stimmungsumschwung stösst man auf einen Kipppunkt – um diesen Lieblingsbegriff der Klimapolitiker zu verwenden. Es handelte sich um den Tag, als der – demnächst ehemalige – Wirtschaftsminister Robert Habeck ein faktisches Verbot von Öl- und Gasheizungen innert weniger Monate ankündigte. Die Massnahme galt als willkürlich, sozial ungerecht und tief in die individuellen Lebensverhältnisse des einzelnen Bürgers eingreifend. Ganz sicher unterlief dem eigentlich begabten Kommunikator Habeck der Fehler, dass er diese einschneidende Massnahme schlecht erklärt und ungenügend begründet hatte. Er wurde in der Folge in den deutschen Boulevardmedien als Klimadiktator gebrandmarkt. Hätte Habeck noch etwas zugewartet, wäre ihm sicher ein Artikel aus dem Wissenschaftsmagazin «Science» auf den Schreibtisch geflattert, welcher die Ergebnisse einer Studie über Erfolgsfaktoren einer wirksamen Klimapolitik zusammenfasste. Die Untersuchung wurde vom Potsdamer Institut für Klimaforschung sowie vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change verfasst. Die Forscher untersuchten 1500 klimapolitische Massnah-

men der letzten 20 Jahre in zahlreichen Ländern und kamen zum ernüchternden Ergebnis, dass nur relativ wenige wirklich erfolgreich waren, wobei erfolgreich mit mindestens fünf Prozent Emissionsreduktion definiert wurde. Dies traf in Deutschland vor allem für drei Massnahmen zu: die Ökosteuerreform von 1999, die Einführung einer Schwerverkehrsabgabe 2005 und die Verbesserung der Qualität im Nahverkehr ab 2000. Es sind also Preisinstrumente als eine Form von Lenkungsmassnahmen sowie Anreize, die die besten Resultate brachten. Blosse Regulierung oder simple Subventionen hätten dagegen keine überzeugende und nachhaltige Wirkung

«Eine Bereitschaft, klimapolitische Massnahmen mitzutragen, besteht durchaus.»

gezeigt, bilanzierten die Forscher. Hinter dem Wort Regulierungen versteckt sich ganz einfach das Verbot. Wer Klimapolitik im Schnellzugtempo per Dekret betreiben will, der weckt ganz offensichtlich den Widerstand der Betroffenen. Ein Staat, der auf diese Weise ins Alltagsleben des Einzelnen eingreift oder ihm ungefragt Kosten auferlegt, wird mitansehen müssen, wie dies einen sogenannten Backlash auslöst. Klimaschutzmassnahmen werden dann aktiv bekämpft. Dabei besteht die Gefahr, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Dieses Reaktionsmuster erklärt ein scheinbares Paradox. In Umfragen nennen die Befragten immer wieder, dass die

«Ein falsches Bild von der Realität»

Erderwärmung ein grosses Problem sei. Im Sorgenbarometer der (seither untergegangenen) Credit Suisse von 2023 figurierte dieses Thema auf dem zweiten Platz der Liste. Eine Grundbereitschaft, klimapolitische Massnahmen mitzutragen, besteht also durchaus. Aber wenn von oben mit Vorschriften und Verboten operiert wird, dann treten viele Bürgerinnen und Bürger in den Streik. «So nicht!», sagen sie sich. Oder noch widerborstiger: «Denen zeige ich es bei nächster Gelegenheit!» Die deutschen Grünen dürften einen hohen Preis für Habecks unüberlegtes Vorgehen bezahlen. Sie haben viel zur Unpopularität der Regierung Scholz und zu deren vorzeitigem Ende beigetragen. Für die bevorstehende Bundestagswahl sollten sie sich besser sehr warm anziehen.

Den Forschern der von «Science» aufgegriffenen Studie ist klar, dass nur der richtige Mix von Massnahmen langfristig wirkungsvoll ist. Nicolas Koch, einer der Autoren, sagt: «Es reicht nicht, auf Subventionen oder Regulierungen allein zu setzen. Nur im Zusammenspiel mit preisgestützten Instrumenten wie etwa CO2- und Energiesteuer können Emissionen massgeblich gesenkt werden.» Das macht die Klimapolitik für die Verantwortlichen in den Exekutiven anspruchsvoll. Sie müssen mit viel Fingerspitzengefühl vorgehen und am besten klug austarierte Vorlagenpakete schnüren, die aus einem Mix von Steuerungsinstrumenten, Regulierungen, Subventionen und Anreizen bestehen. Und vor allem müssen sie viel erklären! Robert Habeck hat in Deutschland einen anderen Ansatz gewählt: Er ist mit einer Einzelmassnahme vorgeprellt, die aus einem Verbot bestand. Damit hat er der Klimapolitik einen Bärendienst erwiesen.

Meinung Das Drei-Säulen-Modell für eine nachhaltige Entwicklung hat unser Denken und Handeln über viele Jahre geprägt. Doch neuere Modelle bilden die Realität besser ab, so etwa der «Donut», der die planetaren Grenzen und die Grundbedürfnisse der Menschen hervorhebt. Von Ion Karagounis

Das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit ist in den 1990er Jahren aufgekommen und gilt seitdem vielen Menschen als Leitbild für ihr Handeln. Seine Aussage ist einfach: Das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung lässt sich dann erreichen, wenn ökologische, ökonomische und soziale Anliegen gleichzeitig und gleichwertig umgesetzt werden. Daran ist wenig auszusetzen – trotzdem ist das Modell inzwischen überholt, und zwar aus folgenden Gründen: Die tatsächliche Entwicklung in den letzten vier bis fünf Jahrzehnten widerspricht dem Ziel des Modells. Während die Wirtschaftsleistung ungebrochen wächst – seit 1980 hat sich das weltweite Bruttoinlandprodukt verzehnfacht –schwinden die natürlichen Produktionsgrundlagen stetig. So ist der weltweite Bestand an Wirbeltieren gemäss dem Living Planet Index des World Wildlife Fund (WWF) seit 1960 auf rund 30 Prozent des Ursprungwerts gesunken, auf einzelnen Kontinenten sogar noch stärker. Eine andere Zahl: Allein die Fisch-

bestände sanken weltweit zwischen 1970 und 2010 um rund 50 Prozent. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Während das Fazit bei der Dimension Wirtschaft positiv und bei der Dimension Umwelt negativ ausfällt, ist das Bild bei der Dimension Soziales weniger klar. Bei der Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse – genug Nahrung, sauberes Wasser – ist das Fazit positiv, hat doch die Zahl der Menschen, die in absoluter Armut leben, massiv abgenommen. Wenn es jedoch um die Teilhabe der Menschen an den politischen Entscheidungsprozessen geht, stellen wir mit dem Aufkommen von autokratischen Herrschaftsmodellen negative Tendenzen fest.

Weit problematischer ist jedoch, dass das Modell ein falsches Bild von der Realität vermittelt. Es geht davon aus, dass sich jede Dimension stetig entwickeln und damit wachsen kann – allein unter der Bedingung, dass die anderen zwei Dimensionen mitziehen. Für die Dimension Umwelt kann dies aber offensichtlich nicht zutreffen. Unsere Erde ist endlich, die natürlichen Ressourcen sind endlich und die Kapazität, schädliche Stoffe aufzunehmen und zu regenerieren, ist beschränkt. Unsere Umwelt und unsere Ressourcen können wir nur bewahren, schützen oder schonend nutzen, wir können sie aber nicht vermehren. Das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit gilt deshalb unter Fachleuten als überholt. Lieber sprechen sie heute von einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen und vom Modell der

Zerstörung derOzonschicht

ÖKOLOGISCHE OBERGRENZE

Klimawandel dVersauerung erOzeane

ÜBERLASTUNG

Netzwerke

Gleichstellung Geschlechter Wohnen Soziale Ge rec h t ig ke i t Plo i t i hcs e Vtre

dem Gesellschaft und Wirtschaft aufbauen. Hier ist ein Minimalniveau für alle Menschen anzustreben.

Einkommen undArbeit

GESELLSCHAFTLICHE GRUNDLAGE

Süsswasser entnahme umwandlung FlächenanBiodiversität Verlust Lu f tv e r s c hmu tzung

REGENERATIVEUND VERTEILENDEWIRTSCHAFT

Chemi s c h e Versch mut z u n g ffotskcitSdnu psohP gnutsalebroh

Das komplexere «Donut-Modell» orientiert sich an den planetarischen Grenzen. PD

«Donut-Ökonomie» (s. Grafik oben), in Anlehnung an das süsse Hefegebäck. Das Modell zeigt einen dicken hellgrünen Ring. Er steht für die Wirtschaft und den Platz, innerhalb der sie sich zu unserem Wohle weiterentwickeln kann. Begrenzt wird sie von einem äus-

Doch was sollen uns diese Modelle im Alltag kümmern? Häuser isolieren, von Verbrennern auf Elektroautos wechseln, Kohlekraftwerke durch Solaranlagen ersetzen – all das müssen wir tun, egal, welches Modell dahintersteckt. Dasselbe gilt für die die Beseitigung von Armut, Analphabetismus oder die Steigerung der Lebenserwartung bei möglichst guter Gesundheit. Trotzdem sind die Modelle und die Bilder, die bei ihrer Verwendung in unseren Köpfen entstehen, wichtig. Denn sie beeinflussen unser Denken und damit die Lösungen, die wir vorantreiben. Wer den neuen Modellen folgt, wird eher nach Lösungen suchen, die mit Limiten arbeiten, während Ansätze nach dem Drei-Säulen-Modell auch ein stetes materielles Wachstum zulassen. Ein einfaches Beispiel ist die Frage, wie wir in Zukunft immer mehr Menschen ernähren können. Der klassische Ansatz lautet: Wir brauchen mehr landwirtschaftliche Fläche oder einen höheren Flächenertrag. Eine Donut-kompatible Lösung sieht komplett anders aus: Wir müssen Foodwaste reduzieren und unsere fleischbasierte Ernährung durch eine weitgehend pflanzenbasierte ersetzen, da dies selbst bei steigendem Nährwert weniger Ressourcen verbraucht. Wasser Energie

seren, dunkelgrünen Ring, den planetaren Grenzen. Werden diese über längere Zeit überschritten, ist das Funktionieren der Wirtschaft gefährdet. Gegen innen ist das Modell von einem zweiten dunkelgrünen Ring begrenzt. Er repräsentiert das soziale Fundament, auf

Felix E. Müller ist freier Publizist und war der erste Chefredaktor der «NZZ am Sonntag».
Habeck und das Heizungsgesetz: Deutschlands grüner Wirtschaftsminister hat der Klimapolitik einen Bärendienst erwiesen. KEYSTONE

Geschlossener Kreislauf fürs Klimagas

Forschung Mit dem Reduzieren von CO2Emissionen ist der Kampf gegen die Klimakrise nicht zu gewinnen. Kohlendioxid muss auch eingefangen und gespeichert werden. Die EPFL geht mit einem einzigartigen Pilotprojekt voran.

SUSANNE WEDLICH

Das Problem ist klar: Treibhausgase in der Atmosphäre – allen voran Kohlendioxid – befeuern die Klimakrise. Das lässt nur eine Lösung zu: die sogenannte Netto-Null. Gemeint ist, dass unter dem Strich keine Treibhausgase mehr freigesetzt werden. Doch der Weg dorthin ist nicht einfach. Auf fossile Energieträger, die Quelle der schädlichen Emissionen, kann nicht sofort und vollständig verzichtet werden. Ausserdem wirken einmal freigesetzte Klimagase noch lange nach. Kohlendioxid kann über Jahrhunderte in der Atmosphäre verbleiben.

Neue Massstäbe setzen

Doch die Zeit drängt: Derzeit ist zu befürchten, dass die Welt ihre Klimaziele verfehlen wird. Um das noch zu verhindern, muss der Ausstoss von Klimagasen so weit wie möglich reduziert, aber gleichzeitig auch freigesetztes Kohlendioxid wieder gebunden werden. Dazu braucht es unterschiedliche Ansätze und Technologien – die jedoch noch nicht alle marktreif sind.

Die EPFL leistet hier Pionierarbeit und könnte mit einem Projekt zur energieeffizienten Abscheidung, Nutzung und Speicherung von Kohlenstoff innerhalb eines geschlossenen Systems buchstäblich neue Massstäbe setzen – ganz im Sinne einer nachhaltigen und kreislauforientierten Wirtschaft.

Konkret wird auf dem Campus EPFL Wallis ein sogenannter Demonstrator entstehen, dank einer Finanzierung durch eine EPFL-interne Initiative (s. Kasten). Es handelt sich dabei um ein Pilotprojekt für die Zusammenarbeit mehrerer EPFL-Forschungsgruppen, deren Arbeit sich ergänzt. Sie können hier neue Erkenntnisse und Ansätze simulieren, weiterentwickeln und, so die Hoffnung, teilweise zur Marktreife bringen. Ihr Ziel: bis zu einer Tonne CO2 pro Tag einfangen und verarbeiten.

Das Kohlendioxid soll punktgenau aus einer Industrieanlage und aus der Atmosphäre abgeschieden und gebunden werden («Carbon Capture»). Das Klimagas kann dann in synthetische Energieträger und Chemikalien mit hoher Wertschöpfung umgewandelt wer-

den. Eine weitere Option ist die kurzoder langfristige Speicherung, zum Beispiel kilometertief im Untergrund. Vor allem im Bereich Carbon Capture gibt es bereits ausgereifte Technologien, die kommerziell genutzt werden. Doch sie sind teuer und selbst energieintensiv, «also nicht besonders umweltfreundlich», sagt Professor Kumar Agrawal, Leiter des Laboratory of Advanced Separations und des Demonstrator-Projekts. «Unser Ansatz hat grosses Potenzial, weil er im Vergleich viel Energie spart.»

Mit seinem Team hat Agrawal Membranen aus Graphen für die Kohlendioxidabtrennung entwickelt. Dieser Werkstoff besteht aus Kohlenstoffmolekülen, die geometrisch wie Bienenwaben angeordnet sind – in Schichten, die nur ein Atom dick sind. Und er ist so interessant, weil er so variabel ist und ganz unterschiedliche Anwendungen hat. «Das sorgt gerade für viel Wirbel im Feld», konstatiert Agrawal.

Grossformatige Membrane

In einem ersten Schritt entwickelte der EPFL-Professor ein Verfahren zur Herstellung hauchdünner Graphen-Membranen, die weder brechen noch reissen. Der nächste Schritt bestand darin, die Membranen mit Löchern zu versehen, deren Grösse präzise kontrolliert werden kann. Nur dann bilden sie einen selektiven Filter, der einzig Kohlendioxid durchlässt.

Kleinere Demonstratoren haben gezeigt, dass dieser Carbon-CaptureAnsatz funktioniert: für Punktquellen und in geringerem Umfang auch für die Atmosphäre. Jetzt geht es wie bei anderen Ansätzen im Projekt um die Skalierung. «Im Moment stecken wir noch in der ersten Phase des Projekts bei der Produktion grossformatiger Membranen», sagt Agrawal. «Danach geht es an den Bau und die Inbetriebnahme des Demonstrators.» Ein Härtetest für die neuen Technologien mit engem Bezug zur Realität.

Dafür wird die Zusammenarbeit mit dem Enevi-Abfallsammelzentrum im Herzen des Wallis sorgen, in dem viel Müll verbrannt wird. «Die Anlage produziert bereits jetzt Wärme für die EPFL», sagt Agrawal. «Dabei entsteht

CO2, das wir mit unseren Membranen auffangen und nutzen wollen. So wird die Anlage insgesamt grüner und der ökologische Fussabdruck der EPFL kleiner.» Neben der CO2-Abscheidung ist auch die Technologie für die nachfolgende Umwandlung von Kohlendioxid in Methan einsatzbereit.

Die Speicherung von Kohlendioxid dagegen wird simuliert werden. Sie konnte bislang nur im Labor in einer Grössenordnung von wenigen Zentimetern berechnet werden. Es geht dabei unter anderem um die Wechselwirkungen zwischen dem Gestein und dem Gas in einer Tiefe von einem Kilometer, wo hoher Druck und Spannung herrschen. In der Praxis wären entsprechende Versuche zu kostspielig und zu komplex in der Überwachung.

Im Rahmen des Demonstrators wird es nun erstmals um Meter gehen. Mit real abgeschiedenem Kohlendioxid und einem einzigartigen Simulator. Dieser wird unter kontrollierten Bedingungen zeigen, wie sich verschiedene Strategien zur Einlagerung des Kohlendioxids oder auch Lecks in den Depots auswirken werden. Im Erfolgsfall könnten hier dank hochmoderner und hochauflösender Überwachung aussagekräftige 3D-Daten entstehen – die das gesamte Forschungsfeld entscheidend voranbringen.

Die Skalierung all dieser Technologien ist auch nötig, um Industriepartner von ihrer Tauglichkeit zu überzeugen. «Sie setzen ungern auf Ansätze, die sich nur im Labor bewährt haben», weiss Agrawal. «Das ist zu kleinteilig. Mit dem Demonstrator arbeiten wir zwar auch nur

im mittleren Massstab. Das reicht aber als Nachweis dafür, dass Ansätze auch kommerziell funktionieren können.»

Kommerzielle Nutzung

Das Interesse der Wirtschaft ist gross. Allein Agrawals Gruppe steht schon jetzt mit Unternehmen aus dem Maschinen- und Schiffbau, der Stahl- und Zementindustrie und nicht zuletzt mit Abfallentsorgern in Kontakt. Der Energieversorger Gaznat finanziert Agrawals Lehrstuhl. «Sie alle werden unsere Ergebnisse mit dem Demonstrator genau analysieren», betont Agrawal. »Unsere Industriepartner wünschen sich, dass wir Erfolg haben.»

Nachhaltig handeln

Schliesslich steht viel auf dem Spiel: Wir müssen die Klimakrise schnell und umfassend in den Griff bekommen. Der Demonstrator könnte zeigen, dass und wie eine geschlossene Lösung für die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von Kohlendioxid aussehen wird. Bewährt er sich, können diese Ansätze kommerziell genutzt werden – und zwar weltweit.

Emissionen der EPFL verringern

Die EPFL verfolgt eine ambitionierte Klima- und Nachhaltigkeitsstrategie. Dazu gehört die Initiative «Solutions4Sustainability» (S4S), die sich auf die eigenen Forschungs- und Innovationskapazitäten stützt, unter anderem in den Bereichen «Green Energy, Storage and Sustainability» (GESS) und «Carbon Capture, Utilisation and Storage» (CCUS). Mithilfe von Demonstrationsprojekten sollen nachhaltige Lösungen auf dem eigenen Campus entwickelt werden. Sie zielen darauf ab, die Energieabhängigkeit und die Kohlenstoffemissionen der EPFL zu verringern und darüber hinaus zu skalieren.

Sieben Projekte werden unterstützt, an denen insgesamt 26 Labors an drei EPFL-Standorten beteiligt sind. Sie sind in zwei Kategorien unterteilt: Fünf Projekte haben eine Laufzeit von je zwei Jahren, während zwei Grossprojekte auf je sechs Jahre angelegt sind. Eines davon ist «EnergyEfficient Carbon Capture, Usage & Storage for Sustainable and Circular Economy» (SusEcoCCus) unter der Leitung von Professor Kumar Agrawal. Hier stehen insgesamt neun Millionen Franken für die Entwicklung eines geschlossenen Kreislaufs zur Abscheidung, Nutzung und Speicherung von Kohlendioxid zur Verfügung.

EPFL-Professor Kumar Agrawal: «Unser Ansatz hat grosses Potenzial, weil er im Vergleich viel Energie spart.»
FOTOS: EPFL

Den ganzen Lebenszyklus im Fokus

Klima & Energie Bis 2030 will die BMW Group ihre CO2-Emissionen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg gegenüber 2019 um 40 Prozent je Fahrzeug reduzieren. Der Automobilkonzern setzt dazu ganz unterschiedliche Massnahmen in seinen Werken um.

ROBERTO STEFANO

Seit einigen Jahren setzt die Automobilindustrie verschiedene Strategien um auf ihrem Weg zur Klimaneutralität und damit im Kampf gegen den Klimawandel. Eine zentrale Massnahme, die von nahezu allen Anbietern realisiert wird, ist die Elektrifizierung der Fahrzeugpalette und die Reduktion respektive der Ersatz von Vehikeln mit Verbrennungsmotoren. Mit diesem Schritt erreicht die Branche eine massive Verringerung der Emissionen im Verkehrssektor, schliesslich stossen Elektrofahrzeuge im Betrieb nahezu kein CO2 aus. Werden die Automobile darüber hinaus mit Strom aus erneuerbaren Quellen wie Sonne oder Wind geladen, können die CO2Emissionen während des Betriebs nochmals zusätzlich gesenkt werden. Manche Autobauer gehen noch einen Schritt weiter. Sie beschränken die eingeleiteten Massnahmen nicht nur auf die Reduktion des CO2-Ausstosses im Betrieb der einzelnen Fahrzeuge, sondern versuchen, den Wert – unabhängig von gesetzlichen Vorgaben – auch für das gesamte Unternehmen zu verbessern. Schliesslich ergibt sich bereits in der Produktion der Fahrzeuge viel Einsparpotenzial. Welche unterschiedlichen Massnahmen unter anderem infrage kommen und wie diese konkret umgesetzt werden, zeigt ein Blick hinter die Kulissen der BMW Group.

Der Konzern mit Sitz in München verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs umfasst – und somit auch Produktion, Logistik, Recycling und die gesamte Wertschöpfungskette miteinschliesst. Auf diese Weise will der Hersteller bis 2030 die CO2-Emissionen in der Wertschöpfungskette gegenüber 2019 um 40 Prozent reduzieren und rund 200 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Dazu setzt das Unternehmen zahlreiche Initiativen an unterschiedlichen Standorten um. Die Wirkung der einzelnen Projekte ist sehr unterschiedlich, in der Gesamtheit sorgen sie für markante CO2-Reduktionen.

Werktransporte mit E-Trucks

So arbeitet der Autobauer derzeit beispielsweise an der teilweisen Elektrifizierung des Zulieferverkehrs rund um den Standort im ostbayrischen Regensburg. Dieser Schritt soll Einsparungen von bis zu 94 Tonnen CO2 pro Jahr ermöglichen. Dafür setzt das Unternehmen auf drei vollelektrische Sattelschlepper, die zu 100 Prozent mit Grünstrom betrieben werden. Zwei der drei Trucks kommen auf einer mit acht Kilometern relativ kurzen Strecke zwischen zwei Werken zum Einsatz und transportieren Hochvoltspeicher aus der E-Komponentenfertigung zum Fahrzeugwerk. Der dritte Truck wird auf einem kurzen, für E-Lkw besonders geeigneten Rundkurs zwischen zwei anderen Werken genutzt und absolviert täglich rund 30 Fahrten. «Die sauberen und leisen E-Lkw haben sich im Einsatz bewährt. Mittelfristig werden weitere folgen», so Andrea Pflügler, die als Planerin der Standortlogistik die Einführung der Elektrolastwagen begleitet hat. «Wir prüfen gerade, welche Routen des Schwerlastverkehrs in und um das Werk Regensburg sich ebenfalls für die Elektrifizierung eignen.»

Windenergie aus Pilotanlage

Ein Teil der für die Elektro-Lkw nötigen Energie könnte schon bald von den eigenen Dächern stammen, produziert durch «bewegungslose» Windenergiesysteme. Eine solche Anlage testen die Bayern derzeit an ihrem Standort im englischen Oxford. Das Energiesystem setzt auf eine Technologie, die Windkraft nutzt, um saubere Energie ohne sichtbare bewegliche Teile zu erzeugen. Das Werk im Nordwesten von London dient als Testumgebung für diese neuartige

In der Lackiererei des ostbayerischen BMW-Werks Dingolfing wird bereits ein innovatives Verfahren genutzt, das deutlich weniger Wasser und Energie verbraucht.

Technik, um ihr Potenzial zur Verbesserung der Energieeffizienz für alle Standorte zu evaluieren. Die Windenergieanlage ist so konzipiert, dass sie auf den vorherrschenden Wind ausgerichtet ist. Sie verfügt über flügelartige, vertikale Tragflächen, die einen Vakuumeffekt erzeugen und Luft hinter einem internen Propeller ansaugen, um sauberen Strom zu erzeugen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Windturbinen minimiert das blattlose Design Geräusche und Vibrationen, sodass Gebäude oder die Umgebung nicht gestört werden und die Vogelwelt nur minimal beeinträchtigt wird.

Noch befindet sich das Projekt in der Startup-Phase. «Dieser Pilot ist ein kleines, aber spannendes Projekt für die BMW Group und ergänzt unseren bestehenden Ansatz zum Bezug von erneuerbarem Strom aus dem nationalen Stromnetz. Wir freuen uns darauf, das Potenzial zur Erzeugung sauberer Windenergie an Standorten der BMW Group zu sehen», erklärt Urs Sambale, Projektmanager Nachhaltigkeitssteuerung im BMW-Group-Immobilienmanagement Europa.

Lackierereien umgerüstet

Eine deutlich grössere Wirkung, was die CO2-Emissionen betrifft, haben Anpassungen in der eigentlichen Produktion der Fahrzeuge – sei dies durch Umstellungen in den Lackierereien oder der Energieversorgung für die Wärmegewinnung in den einzelnen Werken. So werden allein durch die Umrüstung der Lackierereien auf Trockenabscheidung mit Kalksteinmehl insgesamt 5000 Tonnen CO2 und 17 Millionen Liter Wasser pro Jahr eingespart. Bei dem erwähnten Verfahren wird der Lacknebel, der in der Kabine nicht auf der Karosse landet, statt wie bisher mit Wasser neu mit Steinmehl aufgefangen. Zum einen reduziert dies den Wasserverbrauch deutlich. Zum anderen findet dieser Arbeitsvorgang zu 80 Prozent im Umluftbetrieb statt. Dadurch müssen nicht mehr 100 Prozent, sondern nur noch 20 Prozent der Luft temperiert und befeuchtet werden, was

hohe Energieeinsparungen zur Folge hat. So verringert sich der Heizenergiebedarf beispielsweise im Werk in Dingolfing (Bayern) – wo die neue Technologie bereits im Einsatz ist – um 13 000 Megawattstunden pro Jahr und damit der jährliche CO2-Ausstoss um mehr als 4000 Tonnen. Das Werk Regensburg, ebenfalls in Bayern, verbraucht jährlich 4400 Megawattstunden an Energie in Form von Erdgas weniger und vermeidet damit etwa 1150 Tonnen CO2

Wärme aus Biomassekraftwerk

Eine weitere Massnahme zur kontinuierlichen Reduktion des Energieverbrauchs und somit auch des CO2-Fussabdrucks konnte im Werk in Steyr in

Angriff genommen werden. Dieses wird neu vollständig auf Fernwärme umgestellt, wodurch für die Wärmegewinnung kein Erdgas mehr benötigt wird. Stattdessen wird das Werk vollständig mit Wärme aus einem nahe gelegenen Biomassekraftwerk beheizt.

Auf Biogas setzt auch die Produktionsstätte in Rosslyn (Südafrika). Diese bezieht ihren Strom aus einer 100 Kilometer entfernten Biogasanlage, die an eine grosse Rinderfarm gekoppelt ist. Damit werden bis zu 30 Prozent des Strombedarfs vor Ort abgedeckt. Das Methangas einer angrenzenden Mülldeponie wiederum nutzt das Werk in Spartanburg (USA). Mit Hilfe einer Kraft-Wärme-Kopplungsanlage deckt es damit bis zu 25 Prozent des eigenen

Energiebedarfs. 400 Solarmodule produzieren zudem jährlich weitere 135 Megawattstunden Grünstrom. Die Fabrik in Dingolfing schliesslich produziert mithilfe einer Kraft-Wärme-Kopplungsanlage annähernd die Hälfte ihres Strombedarfs selbst.

Bis spätestens 2050 CO2-neutral Die Liste der Massnahmen ist nicht abschliessend, doch es ist viel in Bewegung bei der BMW Group. Denn das Ziel ist klar: Bis spätestens 2050 will das Unternehmen sowohl den Energiebedarf als auch Lieferkette und Produktion bis hin zu den Nutzungs- und Entsorgungskreisläufen vollständig CO2-neutral abdecken.

FOTOS: BMW
E-Sattelschlepper: Die BMW Group setzt

ELMAR ZUR BONSEN

Den alpinen Lebensraum schützen und nutzen

Klima & Energie Es entspricht dem Zeitgeist, innovative Lösungen zu entwickeln, die sowohl wirtschaftlichen als auch ökologischen Interessen Rechnung tragen. Die BKW ist bei ihren Projekten bestrebt, die richtige Balance zwischen schützenswerter Berglandschaft und dem gestiegenen Bedarf an erneuerbarer Energie zu finden.

Gletscher schmelzen, Permafrost taut auf, ganze Hänge geraten ins Rutschen, Ökosysteme verschwinden. Es ist nicht mehr zu übersehen: Unter den Folgen des Klimawandels hat der Alpenraum besonders zu leiden. Nachhaltiges Umsteuern wird damit immer dringlicher. «Wenn wir nichts ändern, können wir den Klimawandel nicht abbremsen», betont Markus Balmer, Experte für Solarlösungen bei der BKW. Es geht ums grosse Ganze: die Nutzung fossiler Energie – vor allem Kohle und Gas – schnellstmöglich herunterfahren und dafür den Anteil CO2neutraler Energien, gewonnen aus Solaranlagen, Wasser- und Windkraft, deutlich erhöhen.

«Es ist wichtig, dass wir besonders in den Wintermonaten mehr klimafreundliche, einheimische Energie produzieren», sagt Balmer, Head of Solar Development & Energy Solutions Schweiz bei der BKW. Und warum sind dafür Photovoltaikanlagen ausgerechnet in den Alpen erforderlich? «Ganz einfach: Sie erzeugen im Winterhalbjahr oberhalb der Nebelgrenze rund dreimal mehr Strom als solche im Flachland.» Photovoltaikanlagen auch in höheren Lagen stellen damit ein probates Mittel dar, um die Energiestrategie des Bundes zu erfüllen und die ambitionierten Klimaziele zu erreichen.

Wachsender Strombedarf

Die Herausforderung ist allerdings gewaltig. Denn mit der zunehmenden Elektrifizierung durch Elektromobilität, Wärmepumpen und neue Technologien wird der Strombedarf in der Schweiz weiter zunehmen. Im Sommer lässt sich der Bedarf zwar dank Wasserkraft und dem Ausbau erneuerbarer Energiequellen im Mittelland decken. Es gibt sogar einen Überschuss. Doch im Winterhalbjahr sei die Schweiz auf Stromimporte angewiesen, so Balmer. Die eingekauften Energiemengen stammten oft aus fossilen Quellen, sind also überwiegend klimaschädlich und dazu teurer. Trotz dieser Ausgangslage stossen Pläne, grossflächige Photovoltaikanlagen in den Bergen zu installieren, häufig auf Widerstand, vor allem natürlich in den betroffenen Gemeinden. Auch Tourismusorganisationen und Umweltverbände fürchten den Eingriff in die Natur, warnen vor Schäden an Flora und Fauna. Und wie denkt die breite Bevölkerung darüber? Laut einer von der BKW in Auftrag gegebenen Studie zum alpinen Lebensraum befürworten heute fast drei Viertel der Befragten (73 Prozent) erneuerbare Energieprojekte in den Bergen. Beinahe zwei Drittel unterstützen zudem den Zubau von alpinen Solaranlagen. Zugleich möchten allerdings auch 93 Prozent der Befragten, dass die Natur- und Schutzräume in den Alpen möglichst umfassend erhalten bleiben, und 63 Prozent wollen, dass beim Bau von Energieanlagen die

Nachhaltig handeln

Eingriffe in die Natur minimiert werden. Markus Balmer und sein Team nehmen solche Bedenken ernst – und haben im Zuge ihrer Pionierarbeit eine inzwischen patentierte Standardlösung entwickelt, die den unterschiedlichen Interessen gerecht werden soll: hier die Sorge um schützenswerte Naturlandschaften, dort der steigende Bedarf an einer stabilen, CO2-neutralen Energieversorgung. Die innovativen Photovoltaikanlagen der BKW bestehen aus 60 Quadratmeter grossen Solartischen, die jeweils auf nur sechs Stützen stehen und – ein weiterer Clou – mit einem speziellen Klappmechanismus ausgestattet sind. Dieser stellt sicher, dass die Anlagen einen schneereichen Jahrhundertwinter in den Bergen unbeschadet überstehen. «Bei zu hohem Schneedruck klappt die untere Reihe der Solarpanele hoch und ent-

Alpiner Lebensraum als Eventlocation

Neben Technologien für die Weiterentwicklung und den Erhalt des alpinen Lebensraums entwickelt die BKW –sie ist auch Partnerin von Swiss-Ski –temporäre Lösungen für Schneesportevents, darunter die Ski-Weltcups in Wengen und Adelboden. Sie unterstützt damit auch deren nachhaltige Durchführung. Das von BKW kosten-

los angebotene Nachhaltigkeitstool liefert zudem für jeden Event übersichtliche Auswertungen, um in den Bereichen Energie, CO2-Emissionen, Wasser, Abfall, Mobilität, Beschaffung, Verpflegung und Sicherheit nachhaltig zu optimieren.

Weitere Informationen: bkw.ch/schnee

lastet so die Struktur. Zudem erlauben die weiten Stützenabstände von bis zu 7, 5 Metern und die grosszügigen Reihenabstände, dass Nutz- und Wildtiere innerhalb der Solaranlage gut zirkulieren können und dort auch Gras gedeihen kann», erläutert Balmer. Die grossen Tische mit wenigen Stützen tragen nach seinen Angaben dazu bei, die Baukosten zu mindern, ausserdem werden so die Eingriffe in die sensiblen Böden der Alpweiden reduziert.

Im Rahmen ihrer Energiestrategie «Solarexpress» verfolgt die BKW derzeit drei grössere Sonnenkraftprojekte in der Schweiz. Am Standort «Schattenhalb Tschingel Ost» im Berner Oberland baute das Unternehmen bereits eine Testanlage. Das Pilotprojekt wurde im August an einem steilen Sonnenhang in den Bergen fertiggestellt. Die modulare Bauweise ermöglichte eine schnelle und umweltschonende Montage, wie Balmer erläutert. Vorausgesetzt, das Projekt erhält in den nächsten Monaten eine Baubewilligung, werden hier auf einer Fläche von 9 Hektaren insgesamt 20 000 Module installiert. Sie sollen rund 14 Gigawattstunden Strom pro Jahr liefern.

Ausbau eines Skigebiets

Abgesehen von der Erschliessung effizienter erneuerbarer Energiequellen ist der Klimawandel im alpinen Lebensraum noch mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert. So stellt sich etwa die Frage, was Wintersportorte unternehmen können, um den für sie

wirtschaftlich so wichtigen Skibetrieb möglichst umweltverträglich zu gestalten. Auch hier sind innovative Lösungen gefragt, die eine Balance zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen ermöglichen. A und O ist eine durchdachte Projektplanung, wie die Modernisierung und der Ausbau der Galtbergbahn im Stubaitaler Skigebiet Schlick 2000 zeigen. Hier ging es darum, bereits bestehende Anlagen für den Skibetrieb und das Beschneien der Pisten energieeffizient und ökologisch sensibel zu erweitern. Ein Auftrag wie gemacht für die auf nachhaltige Lösungen spezialisierte AEP Planung und Beratung GmbH, eine Konzerngesellschaft der

BKW Engineering in Österreich. Kernstück des Projekts ist eine neue ZehnerKabinenbahn, die im vergangenen Jahr eröffnet wurde und einen alten Schlepplift ersetzt hat. Die Bahn verfügt über einen Direktantrieb, ist fast geräuschlos und spart bis zu neun Prozent Energie. Indem man die Trassenführung im Vergleich zum Schlepplift erheblich verlängerte, wurde der Bau mehrerer neuer Skipisten und Verbindungswege möglich – was die Attraktivität des Skigebiets erhöht hat.

Wasser aus dem Speichersee «Die Planung und Umsetzung solcher Anlagen ist ein äusserst komplexes Thema», berichtet Mario Seebacher, Fachbereichsleiter bei AEP. «Es müssen zeitgleich zahlreiche Bewilligungsverfahren bewältigt werden. Bedingt durch die vegetationsökologischen Aspekte sowie die Tier- und Wildökologie, sind derartige Projekte äusserst komplex und aufwendig. Das Landschaftsbild und der Lebensraum von Tieren dürfen kaum beeinträchtigt werden, erklärt Mario Seebacher. AEP kümmert sich beim Ausbau von Skigebieten daher auch um Renaturierungs- sowie Kompensationsmassnahmen. Bei neuen Projekten ist es laut Seebacher wichtig, alle Punkte zur Nachhaltigkeit schon in die Planung einzubeziehen. «Landschaft und Ressourcen sollen möglichst geschont werden», sagt er. So werde die Erdoberfläche nicht mehr einfach weggebaggert, sondern sorgfältig abgetragen und so wieder hergestellt, dass nach der ersten Vegetationsperiode die Eingriffe kaum noch feststellbar sind. Im Energiebereich setzt das Unternehmen auf die Nutzung von Solarstrom und Wasserkraft. «CO2-Neutralität muss das grosse Ziel sein», betont Seebacher. Ein Problem, vor dem heute sehr viele Skidestinationen der Alpen stehen: Schneesicherheit lässt sich in Zeiten der Erderwärmung praktisch nur noch gewährleisten, wenn technisch nachgeholfen wird. Für die Schneekanonen braucht es unter anderem ausreichend Wasser. Für die Beschneiung der Pisten am Galtberg hat AEP als Gesamtplaner den «Speicherteich Galtalm» angelegt, etwas unterhalb der Bergstation. Er fasst rund 35 000 Kubikmeter Wasser und ist rechtzeitig zur kommenden Wintersaison befüllt worden. «Für die Stromerzeugung und die Schneeproduktion eignen sich Speicherseen hervorragend», so Seebacher. «In der Höhe sind sie die nachhaltigste und effizienteste Lösung.» Gerade für Beschneiungsanlagen sei ein grosser Druck erforderlich. «Idealerweise wird der Speicher ohne Pumpbetrieb aus nahegelegenen Gerinnen gefüllt. Dies ist allerdings, bedingt durch die jeweilige Topografie beziehungsweise Geologie, nicht überall möglich.»

Markus Balmer (li.), BKW-Experte für Energielösungen, inspiziert die Testanlage im Berner Oberland. FOTOS: PD
Feierliche Eröffnung der neuen Galtbergbahn im vergangenen Dezember.

Gemüseproduzenten mit Weitblick und Visionen

Best Practice Die Familie Grob und Lidl Schweiz verbindet eine langjährige, verlässliche Partnerschaft. Der Produzent aus der Ostschweiz gilt als Pionier in Sachen Nachhaltigkeit: Die Gewächshäuser werden mit Geothermie beheizt, und den Strom liefert eine Photovoltaikanlage.

CHRISTINA HUBBELING

Der Weg ins thurgauische Schlattingen führt durch eine Bilderbuchschweiz. Schmucke Dörfer, hügelige Landschaften, Apfelbäume auf saftigen Wiesen, über die sich Nebelschwaden legen und für eine zauberhafte Morgenstimmung sorgen. Der Sommer ist längst vorbei. Doch kaum öffnet sich wie von Geisterhand die automatische Schleuse zu einem der Gewächshäuser, meldet sich die warme Jahreszeit schlagartig zurück. 21 Grad ist es hier drinnen, die Luftfeuchtigkeit liegt bei fast 70 Prozent. Ein Blätterwald voller grüner Stauden. Akkurat in Reih und Glied wachsen die Pflanzen dem Licht entgegen, während sich ihre langen Stängel zum Boden hin schlangenförmig winden, um dann mit ihrem Wurzelwerk in einem quaderförmigen Block aus organischen Fasern zu verschwinden.

Zwischen dem Blattgrün leuchten knallrote Kugeln. Links die Pingpongball-grossen Cherrytomaten, rechts die etwas grösseren Rispentomaten. Ob es sich bei den Cherrytomaten um diese besonders süsse Sorte handelt, die wir soeben im Gemeinschaftsraum der Firma Grob Gemüseanbau probieren durften? «Nein, diese Cherrytomaten sind eher säurebetont. Die ganz Süssen wachsen weiter hinten», erklärt Stefan Grob. Er führt den Familienbetrieb in dritter Generation und mit dem gleichen unternehmerischen Gespür wie sein Vater Hansjörg, der das Unternehmen gross gemacht hat.

Lieferant der ersten Stunde

Die Familie Grob verbindet eine langjährige Partnerschaft mit Lidl Schweiz: Seit der Gründung von Lidl Schweiz im Frühling 2009 beliefert die Familie Grob über die Handelsgesellschaft Stegro –zusammen mit zahlreichen anderen heimischen Produzenten – Lidl täglich mit frischen Produkten. Regionalität und Swissness geniessen bei Lidl Schweiz einen hohen Stellenwert. Die Grundlage sind langjährige, ehrliche Beziehungen mit Schweizer Produzenten wie der Familie Grob. So erzielt der Detailhändler mittlerweile über 50 Prozent des Umsatzes mit Schweizer Produkten.

Nicht nur Lidl Schweiz ist über die Jahre zu einer festen Grösse im Schweizer Detailhandel geworden. Auch Grob Gemüseanbau hat sich stetig weiterentwickelt: Als Lieferant der ersten Stunde konnte das Unternehmen in den vergangenen 15 Jahren zu einer stattlichen Grösse heranwachsen. Rund 100 Personen sind bei Grobs das ganze Jahr über fest angestellt. Im Sommer kommen nochmals etwa 160 temporäre Mitarbeitende dazu. Jährlich werden zwei Lehrlinge landwirtschaftlich, gemüsebaulich und kaufmännisch ausgebildet.

Im Einklang mit der Natur

Lidl Schweiz und die Familie Grob verbindet auch eine ganz ähnliche Wertehaltung: Wie der Detailhändler setzt sich der Gemüseproduzent mit innovativen Methoden dafür ein, dass der Betrieb stetig nachhaltiger wird. Grob Gemüseanbau nimmt in Sachen Nachhaltigkeit schweizweit eine Vorreiterrolle ein: Seine Gewächshäuser werden fast ausschliesslich mit alternativer Energie beheizt, die vor Ort produziert wird. Schon im Jahr 2006 hatte Hansjörg Grob die Idee, die Erdwärme zu nutzen. Daraus entstand ein absolutes Leuchtturmprojekt, das von visionärem Geist zeugt und landesweit einzigartig ist. Aber es sollte noch einige Jahre dauern, bis aus der Vision Realität werden konnte. Die definitive Bewilligung vom Kanton für den Betrieb seiner Geothermieanlage erhielt der findige Produzent schliesslich vor drei Jahren. Zwei Bohrlöcher, die bis 1100 Meter tief in die Erde reichen, waren nötig, um an das 62 Grad heisse Wasser aus dem Erdinnern zu kommen. Dieses wird hochgepumpt und die daraus gewonnene Wärme in einem grossen blauen Wärmespeicher gesammelt, um zur Beheizung der Treibhäuser genutzt zu werden. Durch die Umstellung auf Geothermie und die umfassende Nutzung der Prozesswärme des Betriebs kann Grob Gemüseanbau heute jährlich 1500 Tonnen CO2 einsparen. Der Thurgauer Produzent baut auf einer Gewächshausfläche von 7 ,5 Hektaren rund ums Jahr saisonal Tomaten, Salate, Gurken und andere Gemüsesorten an. Die aktuelle Tomatensaison ist

bald vorbei. Dann wird das 200 Meter breite und 200 Meter lange Tomatenhaus komplett geräumt, gereinigt und für den nächsten Zyklus, der Ende Januar beginnt, vorbereitet. «Die ausgedienten Tomatenstauden werden geschreddert und kompostiert», erzählt Stefan Grob. Fürs Bestäuben der neuen Pflanzen sind Hummeln zuständig, für die Bekämpfung von Schädlingen wie Raupen oder Läuse setzt man auf Nützlinge.

Der kritische Moment sei jeweils am frühen Morgen bei Sonnenaufgang. «Dann muss man gut aufpassen, dass sich kein Morgentau auf den Tomaten bildet, denn Feuchtigkeit kann Krankheiten verursachen», erklärt Stefan Grob. «Aus diesem Grund beginnen wir mit der Beheizung der Gewächshäuser, sobald die Sonne aufgeht.» Ein perfekter Tomatentag sehe so aus: «Von morgens früh bis abends spät Sonnenschein, bei einer maximalen Tagestemperatur von 21 Grad und einer Tiefsttemperatur in der Nacht von 13 bis 14 Grad.» Tomaten brauchen kühle Nächte für die Regeneration. Grobs bauen in ihren Gewächshäusern sowie im Freiland insgesamt mehr als 25 verschiedene Produkte für Lidl Schweiz an – von Gurken über eine Vielzahl von Salaten bis zu Wurzel- und Knollengemüse. Nüsslisalat, einst ein klassisches Winterprodukt, wird heute das ganze Jahr über produziert und geerntet, so auch die einst typische Sommerfrucht Tomate. (Ja, Tomaten zählen

streng botanisch gesehen zum Obst!) Auch Gemüse erfahren Trends. Zum Beispiel der Grünkohl, auch Kale oder Federkohl genannt, der vor einigen Jahren durch den Superfood-Hype und die gesunde Lifestyle-Küche berühmt geworden ist, ist heute nicht mehr so gefragt. Frei nach dem Sprichwort «Wer nicht wagt, der nicht gewinnt» beweisen die Grobs Unternehmergeist und Kreativität, indem sie immer wieder etwas Neues ausprobieren – mal lancieren sie ein neues Produkt, ein andermal eine innovative Verpackung. «Manchmal kommen die Neuerungen bei den Kundinnen und Kunden gut an, manchmal auch nicht», erzählt der Gemüseproduzent.

Gemeinsam weiter wachsen

«Wir brauchen Partner mit Weitblick, Mut und Pioniergeist», sagt Constantin Waldspurger, Geschäftsführer Einkauf von Lidl Schweiz. «Von Anfang an waren uns Partnerschaften auf Augenhöhe, wie wir sie mit der Familie Grob pflegen, ein zentrales Anliegen. Zusammen sind wir über die Jahre gross geworden.» Weitblick, Mut und Pioniergeist sind denn auch Eigenschaften, die Stefan Grob mit seinem Vater teilt. Grob junior hat klare Vorstellungen und Ideen, wie der Betrieb zukünftig im Sinne des Klimaschutzes verbessert werden kann. Das Stichwort heisst alternative Energiequellen: «Jedes Dach und auch einen Teil der Fassaden haben wir mit Sonnenkollektoren ausgestattet. Den überschüssigen Photovoltaikstrom wandeln wir in Wärme um, die wir wiederum für die Beheizung der Gewächshäuser verwenden.» Ziel sei es, eine negative CO2Bilanz zu erreichen und sich komplett eigenständig mit Strom zu versorgen. «Aktuell läuft das Bewilligungsverfahren für eine Biomassenverwertungsanlage. So können wir im Sinne der Kreislaufwirtschaft die anfallenden Bioabfälle für die Stromproduktion weiterverwerten.»

Lidl Schweiz ist sich als Detailhändler bewusst, für den Ausstoss von Treibhausgasen mitverantwortlich zu sein. «Klimaschutz ist deshalb über alle unsere Aktivitäten hinweg relevant –

von der Herstellung unserer Produkte bis zum Betrieb unserer Filialen», bemerkt Constantin Waldspurger und ergänzt: «Bis 2030 verfolgen wir die Vision einer fossilfreien Filialbelieferung, treiben langfristige Projekte für Recycling und Plastikreduktion voran und produzieren mit Photovoltaik einen Teil des Strombedarfs unserer Filialen selbst.» Mit grünem Strom wird auch das kleine Elektromobil betrieben, das eigenständig durch das Tomatenhaus surrt. «Als Vater macht es mich stolz, wenn ich sehe, dass mein Sohn unseren Familienbetrieb umsichtig weiterentwickelt und klare Visionen für eine nachhaltige Zukunft hat», sagt Hansjörg Grob. Sein allergrösster Stolz seien aber seine vier Enkelkinder. «Zu sehen, dass auf dem Hof eine neue Generation heranwächst, erfüllt mich mit Dankbarkeit», sagt der Senior. Um uns herum glänzen nachhaltig produzierte dunkelrote Schweizer Tomaten – bereit, geerntet und an Lidl Schweiz ausgeliefert zu werden. So schliesst sich der Kreislauf.

Nachhaltig handeln

Regionale Produkte

Lidl Schweiz startete bei Markteintritt mit 60 Schweizer Lieferanten –mittlerweile arbeitet der Detailhändler mit über 300 Schweizer Lieferanten zusammen. Von den insgesamt über 700 angebotenen Frischeprodukten, die hierzulande in den rund 185 Lidl-Filialen angeboten werden, stammen mehr als zwei Drittel aus der Schweiz. Das regionale Frischesortiment umfasst Früchte, Gemüse, Backwaren und Fleisch. Im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsstrategie setzt sich das Unternehmen für den Ausbau eines gesunden und klimafreundlichen Sortiments sowie für verantwortungsvolles Handeln in seinen Lieferketten ein.

Thurgauer Unternehmer mit Pioniergeist: Hansjörg und Stefan Grob im Gewächshaus ihres Vorzeigebetriebs.
FOTOS: PD
Constantin Waldspurger Geschäftsführer Einkauf, Lidl Schweiz

«Lust auf nachhaltige Produkte machen»

Interview Warum fällt es so schwer, die breite Mehrheit der Bevölkerung für eine Änderung ihres Konsumverhaltens zu gewinnen? Und worauf sollten Unternehmen achten? Antworten gibt Johanna Gollnhofer, Marketing-Professorin an der Universität St. Gallen.

Viele Menschen finden Nachhaltigkeit richtig und wichtig. Am Einkaufsregal greifen sie dann aber doch zu konventionellen Produkten. Woran liegt das?

Johanna Gollnhofer: Was Sie hier ansprechen, ist die berühmte «Attitude Behavior Gap»: Einstellung und tatsächliches Verhalten klaffen auseinander. Wir sehen das deutlich bei Befragungen: Viele Menschen geben zu Protokoll, dass sie Nachhaltigkeit und «grünen» Konsum positiv finden und für Umweltschutz eintreten. Andererseits zeigt sich, dass trotz Klimawandel weder der Fleischkonsum noch die Zahl der Flugreisen zurückgegangen ist. Im Gegenteil.

Ist den Konsumentinnen und Konsumenten möglicherweise nicht ganz klar, was Nachhaltigkeit bedeutet? Die Sache ist ja auch gar nicht so einfach. Nur ein Beispiel: Was ist nachhaltiger – eine Gurke, die in Plastik eingeschweisst ist, oder eine Gurke ohne Plastikverpackung? Nun, wer möglichst wenig Mikroplastik in den Meeren haben möchte, ist davon überzeugt, dass er sich nachhaltig verhält, wenn er die Gurke ohne Plastikverpackung kauft. Wer aber die Lebensmittelverschwendung nachhaltig reduzieren möchte, der nimmt lieber die in Plastik eingeschweisste Gurke, denn die hält sich länger. Schon bei dieser Frage deutet sich an, wie komplex das Thema ist. Auch die Experten sind sich nicht einig. Und wenn nicht einmal die Fachleute sich einig sind, wie können wir dann von den Endkonsumentinnen und -konsumenten erwarten, dass sie genau Bescheid wissen und beim Einkauf die richtige Entscheidung treffen?

Konsumentinnen und Konsumenten sind sicher nicht über einen Kamm zu scheren. Wo sehen Sie Unterschiede?

Wir unterscheiden zwischen drei Gruppen. Die erste nenne ich die «ÖkoFans», sie machen ungefähr 20 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten aus. Sie sind bereits überzeugt von nachhaltigen Produkten und kaufen alles ein, was nach Bio oder Nachhaltigkeit aussieht. Dann gibt es noch

die gegenteilige Gruppe, die sich überhaupt nicht für Nachhaltigkeit interessiert – das sind ebenfalls etwa 20 Prozent. Die übrigen 60 Prozent machen die sogenannte breite Masse aus. Sie wären gerne nachhaltig, aber wissen nicht genau, wie. Diese gilt es zu erreichen.

Es geht Ihnen, wie Sie in Ihrem Buch «Das 60%-Potenzial» schreiben, um eine «grüne Transformation» – auch beim Kaufverhalten. Wie kann das gelingen? Hier kommt für mich die Magie des Marketings ins Spiel. Sie kann viel zur grünen Transformation beitragen. Die zentrale Aufgabe lautet: Wir müssen der breiten Masse Lust auf umweltund ressourcenschonendere Produkte machen und zugleich negative Assoziationen loswerden.

Was meinen Sie genau?

Ein Beispiel: Steht auf einer CookieVerpackung «vegan» geschrieben, dann möchten das die meisten nicht kaufen, weil sie mit «vegan» unter anderem Verzicht in Verbindung bringen. Das Cookie an sich wollen sie aber haben, um sich etwas zu gönnen. Das passt dann nicht zusammen. Das Gleiche gilt für Produkte, auf denen «nachhaltig» steht – damit lässt sich bei der breiten Masse nicht viel gewinnen.

Welche Rolle kann das Marketing hier spielen? Seine Aufgabe ist es doch, den Konsum zu beflügeln – was im Zweifel zulasten der Umwelt geht. Grundidee des Marketings ist, zu verkaufen. Das gelingt, indem man auf die Bedürfnisse der Konsumenten eingeht –oder neue Bedürfnisse schafft, die vorher höchstens latent vorhanden waren.

Wie das funktioniert, macht Apple vor. Das Unternehmen redet uns alle zwei Jahre ein, dass wir unbedingt ein neues Smartphone brauchen. Das ist jedoch alles andere als ressourcenschonend. Es belastet die Umwelt zusätzlich. Deshalb treibt uns seit ein paar Jahren die Frage um: Was ist die Rolle von Marketing in einer nachhaltigen Gesellschaft? Der grösste Hebel, den wir schaffen können,

«Der erhobene Zeigefinger kommt ganz schlecht an.»

Was ist nachhaltiger: Die Gurke mit oder ohne Plastikverpackung zu kaufen? Die Grafik stammt aus dem Buch «Das 60%-Potenzial: Mit Marketing für grünen Konsum begeistern» von Johanna Gollnhofer und Jan Pechmann, Campus Verlag, 2024.

ist, die Endkonsumentinnen und -konsumenten für nachhaltigere Alternativen zu begeistern.

Wie kann das funktionieren? Es geht in erster Linie um Akzeptanz. Ein guter Ansatzpunkt wäre schon mal, in der Werbung für nachhaltige Produkte auf Negativbilder wie den sterbenden Eisbären und auf Aussagen wie «Wir haben nur eine Welt» zu verzichten. Die wirken kontraproduktiv, ebenso wie Appelle nach dem Muster «Lasst uns den Planeten retten!» Eine solche Kommunikation für nachhaltige Produkte spricht zwar Öko-Fans an, nicht aber die breite Masse. Die denkt sich: «Ich will nicht die Welt verändern, ich habe selbst genug Probleme.» Im Übrigen will sich auch niemand gerne etwas vorschreiben oder verbieten lassen. Der erhobene Zeigefinger kommt ganz schlecht an. Womit kann man denn eher bei Konsumenten punkten?

Wie wir wissen, rangiert Nachhaltigkeit bei den Kaufkriterien erst an vierter, fünfter Stelle. Entscheidender sind der Preis, die Qualität und der persönliche Lifestyle. Wir müssen die Konsumenten deshalb anders abholen – indem wir gezielt auf diese Kriterien eingehen. Viele Unternehmen tun sich schwer damit: Sie wissen zwar, dass sie mehr Akzeptanz für grüne Produkte schaffen müssen, geraten dabei aber in die Öko-Falle: Sie wählen für ihre Produkte oftmals grüne, blaue oder braune Farbtöne, welche für die Umwelt stehen sollen. Das mag Öko-Fans ansprechen, die breite Masse lockt man damit nicht. Die sagt sich: «Ich möchte ein Produkt, das zu mir passt, das auch ästhetisch ansprechend ist.» Haben Sie ein Beispiel? Spannend ist das Beispiel Magnum. Die Glace-Marke hat erst einmal 20 Jahre investiert, um ihre Eiscreme mit Vanillegeschmack vegan herzustellen. Zuerst hat man das Produkt in den typisch grünen Farben samt dem Schriftzug «vegan» kommuniziert, welches die Öko-Fans anspricht, nicht aber die breite Masse. Also

wurde die Kommunikation umgestellt: Das Grün verschwand und wurde durch ein leuchtendes Violett ersetzt. Ausserdem rückte der Schriftzug «vegan» in den Hintergrund. In den Vordergrund trat dafür das Erlebnis, das ich mit einem «Magnum» auf der Zunge spüre. Können Sie uns auch ein interessantes Beispiel aus der Schweiz nennen? Nehmen wir Weleda. Die DNA des Unternehmens ist seit jeher ausgeprägt grün und nachhaltig. Als der Umsatz mit Naturkosmetikprodukten nicht mehr so gut lief, wurde das Führungsteam ausgetauscht und durch Leitungspersönlichkeiten, die von Douglas und Nivea kamen, ersetzt. Diese beiden Marken stehen für Produkte, die die breite Masse ansprechen. Das sieht man nun auch in der Kommunikation von Weleda, die zuvor schon etwas angestaubt war. Jetzt werden die Produkte auf TikTok und in Zusammenarbeit mit Influencern lifestyliger kommuniziert, ausgerichtet an den Erwartungen der Konsumenten und weniger an einer bestimmten Ideologie. Was raten Sie Entscheidungspersonen in Unternehmen ausserdem? Heutzutage sieht man viele Unternehmen, die ihre Ziele zum Absatz nachhaltiger Produkte revidieren oder wieder zurückschrauben. Es fehle dafür schlicht die Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten, heisst es dann. Solchen Unternehmen rate ich, stärker das «60%-Potenzial» ins Visier zu nehmen und ihr Businessmodell zu überdenken. Und das beginnt schon bei der Preissetzung. Wenn jemand aus der Konsumentengruppe der 60 Prozent im Laden Tofuwürste in der einen Hand hält und St. Galler in der anderen, wird er sich, wenn das Fleisch günstiger ist, für das Fleischprodukt entscheiden. Aus Umfragen geht hervor, dass Menschen zu einem 50-prozentigen Preisaufschlag für nachhaltige Produkte bereit sind. Das deckt sich nur leider nicht mit der Realität.

Interview: Viktoria Stauffenegger

Johanna Gollnhofer zeigt auf, wie Marketing für «grünen» Konsum funktioniert.

Auswirkungen unseres Konsumverhaltens

Wissenschaft Wo soll er angesetzt werden, der lange Hebel gegen den Klimawandel? Eine Forschungsgruppe der ETH Zürich entwickelt Modelle und Methoden, die den Weg in eine ressourcenschonende Zukunft weisen.

FLAVIAN CAJACOB

In einer Zeit, in der Umweltbelastung und Ressourcenknappheit in den Fokus rücken, gewinnt das Konzept der Kreislaufwirtschaft zunehmend an Bedeutung. Expertinnen und Experten sind sich einig: Bei der Transformation von der linearen zur zirkulären Wirtschaft spielen die Konsumentinnen und Konsumenten neben Politik und Wirtschaft eine wichtige Rolle. Durch bewusste Kaufentscheidungen können Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nur ihren eigenen ökologischen Fussabdruck reduzieren, sondern auch Unternehmen zum Umdenken bewegen.

Strategien ableiten Um Entscheidungen fällen zu können, braucht es ein Fundament, bestehend aus Erkenntnissen und verlässlichen Fakten. Stefanie Hellweg, Professorin für ökologisches Systemdesign an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ), erarbeitet zusammen mit ihrem Team vom Institut für Umweltingenieurwissenschaften Instrumente und Methoden, die eine eingehende Bewertung von Produkten, Technologien und Verbrauchsmustern ermöglichen. Dies geschieht anhand von Modellen, die in erster Linie aufzeigen, wie sich Treibhausgasemissionen und Ressourcenverbrauch des täglichen Konsums auf die Umwelt auswirken.

Doch was bedeutet das genau? «Einfach gesagt, liefern wir Resultate, die aufzeigen, welche Auswirkung in welchem Ausmass das menschliche Verhalten auf die Umwelt hat», erklärt Hellweg. Wenngleich in der Praxis um einiges komplizierter, können Wirtschaft, Politik, aber auch jede und jeder Einzelne von den Resultaten konkrete Strategien oder Massnahmen ableiten, welche mithelfen, die ökologische Belastung zu minimieren.

Optionen aufzeigen

Die Schlüsselfrage lautet denn auch längst nicht mehr, ob eine Transformation hin zu global nachhaltigem Ressourcenverbrauch und ökologisch ver-

tretbarer Produktion notwendig ist, sondern, wie man diese erreichen kann –und das besser heute als morgen. Ein Hauptaugenmerk der Arbeit an der ETHZ gilt dahingehend den Rohstoffen, deren Produktion und Nutzung, sowie der Kreislaufwirtschaft, insbesondere, was die Vorteile und Auswirkungen von Stoffkreisläufen angeht.

Im Rahmen dessen werden Alternativen bewertet und umweltfreundliche Optionen aufgezeigt. Dass allein dadurch ein Umdenken in breiten Kreisen stattfindet, ist allerdings zu bezweifeln. Es braucht zusätzliche Anreizsysteme, sei es in Form von gesetzlichen Vorgaben, sei es in Form von Subventionen für neue Technologien. «Die Abkehr vom gewohnten Produktions- und Konsumverhalten ist für jeden Einzelnen mit einschneidenden Veränderungen verbunden», sagt Stefanie Hellweg (siehe auch Interview). «Werden wir jedoch den ökologischen Auswirkungen unseres Handelns bewusst, können wir unseren Teil zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen beitragen.»

Zusammenhänge beachten Als Grundlage für ihre Arbeit nutzen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter beispielsweise Datenquellen wie die Haushaltsbudgeterhebung des Bundes und verknüpfen diese mit maschinellem Lernen, um Konsummuster zu identifizieren. Diese werden dann bezüglich ihrer Umweltauswirkungen bewertet, um umweltfreundliche wie auch -schädigende Verhaltensmuster zu erkennen. Die Instrumente, welche Hellweg und ihre Kolleginnen und Kollegen entwickeln, finden in der Praxis Verwendung hinsichtlich Quantifizierung der Umweltauswirkungen von Konsumprofilen und Produkten des täglichen Gebrauchs. Letzteres kann in Form von Labels geschehen, an denen sich Händler oder Konsumentinnen und Konsumenten orientieren können. Konsum, der die Umwelt stark belastet, wird aufgrund der Faktenlage benannt, quantifiziert und kann im besten Fall vermieden werden – wenn denn der Entscheid zur Wahl einer ökologisch weniger bedenklichen Alternative ausfällt.

«Sowohl-als-auch

ist keine Option»

Im Blick auf eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft müssten Konsumentinnen und Konsumenten umdenken, so Prof. Stefanie Hellweg von der ETH Zürich.

Frau Prof. Hellweg, wie steht die Schweiz aktuell in Sachen Recycling da? Stefanie Hellweg: Im internationalen Vergleich nicht schlecht. Die Recyclingraten sind für viele Materialien bereits sehr hoch, und es wird viel unternommen, um die Quote weiterhin zu steigern. Das ist aber auch dringend nötig, denn als reiches Land verbrauchen wir sechsmal mehr Ressourcen und erzeugen das Zehnfache der Klimaauswirkungen von einkommensschwachen Staaten.

Häufig ist von Konsumentenseite zu hören, es mache keinen Sinn, als Einzelner Müll zu trennen, wenn der Nachbar, das Unternehmen von nebenan oder China nicht mitziehen. Was ist da dran?

Das stimmt nicht. Wir haben ausgerechnet, dass durch das aktuelle Recyclingsystem in der Schweiz jährlich mehr als 500 000 Tonnen CO2 eingespart werden. Allerdings reicht die Abfalltrennung bei weitem nicht als alleinige Massnahme für den Klimaschutz aus. ÖkobilanzStudien zeigen auf, dass das Wohnen, die Mobilität und die Lebensmittel die relevantesten Verbrauchsbereiche für Treibhausgasemissionen sind. Der Konsum privater Haushalte trägt erheblich zum Klimawandel, zum Verlust der biologischen Vielfalt und zu anderen Umweltauswirkungen bei.

Wo sehen Sie das grösste Potenzial, um den Kreislauf der Wiederverwertung weiter anzukurbeln?

Eine besonders wichtige und langfristige Rolle spielt der Konsumbereich «Wohnen» und somit die gebaute Infrastruktur. Gebäude tragen nicht nur während des Betriebs durch fossile Heizungen massgeblich zu den Klimaemissionen bei, sondern zunehmend auch durch die Herstellung der Baumaterialien und die dabei entstehenden Emissionen.

Das Team der ETHZ untersucht deshalb, wie die Auswirkungen von Gebäuden und Infrastrukturen auf das Klima verringert werden können. Auch hier gehe es darum, nicht bloss einzelne Bereiche anzuschauen, sondern das grosse Ganze im Auge zu behalten, erklärt Stefanie Hellweg. Mit Holz zu bauen, kann zum Beispiel Treibhausgasemissionen im Vergleich zu anderen Materialien einsparen. Insbesondere bei importiertem Holz kann es sich – je nach Herkunft und Waldbewirtschaftung –allerdings negativ auf die Biodiversität auswirken. Man dürfe also die Zusammenhänge nicht ausser Acht lassen, so Hellweg. «Im Grossen genauso wenig wie im Kleinen.»

Nachhaltig handeln

Kreislaufwirtschaft bedeutet in erster Linie, Abfälle zu vermeiden. Dies kann durch Konsumverzicht, durch vermehrtes Teilen von Produkten oder durch die Lebensdauerverlängerung von Konsumgütern geschehen. Ein sehr grosses Verbesserungspotenzial orte ich im bedarfsgerechten Einkauf von Lebensmitteln und dem Vermeiden von Lebensmittelverlusten. Auch beim konventionellen Recycling besteht noch Luft nach oben.

Gibt es weitere Beispiele? Am Beispiel der Wiederverwertung von Kunststoffen lässt sich das Potenzial ziemlich gut aufzeigen. Die durchschnittliche Recyclingquote aller Plastikabfälle beläuft sich heute auf gut neun Prozent. Würden wir alle rezyklierbaren Kunststoffprodukte mit derselben Konsequenz trennen und sammeln, wie wir dies bereits bei PET tun, könnten wir den Wiederverwertungsanteil auf 23 Prozent steigern. Es gibt aber eine grosse Herausforderung: Kunststoffe bestehen aus unglaublich vielen Bestandteilen. Ein Teil davon ist für Mensch und Umwelt potenziell schädlich. Die enorme Anzahl Zusätze, welche dann im Recycling vermischt werden, vermindert oft die Qualität des Rezyklats oder verunmöglicht

eine sichere Wiederverwertung gänzlich. Eine sortenreinere Verwendung und Trennung von Kunststoffen, geringere Chemikalienvielfalt, einheitlicheres Material- und Produktdesign und transparente Lieferketten würden mithelfen, die Qualität und damit die Verwendbarkeit des Rezyklats zu steigern.

«Kreislaufwirtschaft bedeutet in erster Linie, Abfälle zu vermeiden.»

Stefanie Hellweg Professorin für ökologisches Systemdesign an der

Grundlegend sind diesbezüglich eher Industrie, Wirtschaft und Politik gefordert. Doch zurück zu uns Konsumentinnen und Konsumenten: Wo sehen Sie hier das grösste Verbesserungspotenzial? Einerseits generell in der Bereitschaft, Abfälle zu vermeiden. Viele Güter in der Schweiz werden von den Konsumentinnen und Konsumenten gar nicht oder nur sehr wenig oder sehr kurz genutzt. Andererseits zeigen Studien, dass es bei jenen, die ihren ökologischen Fussabdruck bewusst durch Verzicht oder andere Massnahmen vermindern wollen, mitunter zu einem sogenannten Rebound-Effekt kommt.

Das bedeutet was? Was hier eingespart wird, wird dort ausgegeben. Wer etwa im Secondhandladen ein getragenes Kleidungsstück ersteht, tut Gutes und spart Geld, das er oder sie dann aber vielleicht doch noch für ein zusätzliches, neues Paar Jeans ausgibt. Dahingehend muss sicherlich ein Umdenken stattfinden. Denn «Sowohl-alsauch» ist mit Blick auf eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft keine Option.

So können wir die Kreislaufwirtschaft unterstützen

Es ist eigentlich ganz einfach. Zwölf praktische Tipps, die helfen, die Kreislaufwirtschaft im Alltagsleben zu unterstützen:

„ Kaufen Sie nur Produkte, die Sie wirklich (längerfristig) benötigen und die Ihnen wichtig sind.

„ Planen Sie Ihre Einkäufe gut, um Lebensmittelabfälle oder andere Abfälle (zum Beispiel Textilien oder Elektronikprodukte) zu reduzieren.

„ Wählen Sie beim Einkauf von Lebensmitteln und anderen Erzeugnissen die richtige Packungsgrösse, um Reste zu vermeiden.

„ Kaufen Sie Secondhandprodukte (zum Beispiel Textilien).

„ Wählen Sie bei nicht-verderblichen Produkten solche mit wenig oder ohne Verpackung.

„ Greifen Sie zu Mehrweg- und Nachfüllverpackungen statt zu Einwegverpackungen (und nutzen Sie Mehrwegverpackungen tatsächlich mehrfach).

„ Reparieren Sie defekte Geräte, anstatt sie wegzuwerfen. Nutzen Sie dafür Repair Cafés oder Anleitungen im Internet. Achtung: Dies gilt nicht für sehr alte Geräte mit hohem Energieverbrauch. Diese sollten ersetzt werden!

„ Funktionieren Sie alte Gegenstände um, zum Beispiel Gläser zur Aufbewahrung.

„ Nutzen Sie Mehrwegbehälter für auswärtigen Konsum (zum Beispiel für Take-away-Verpflegung).

„ Nutzen Sie Sharing-Angebote und Tauschbörsen in der Region.

„ Nutzen Sie Recycling-Möglichkeiten, auch unterwegs (zum Beispiel PET- oder Alu-Sammelstellen)

„ Trennen Sie Ihren Müll sorgfältig, um eine effektive Wiederverwertung zu ermöglichen.

Die Schweiz hat mit 127 Kilogramm jährlich europaweit den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Plastik. ADOBE STOCK
ETH Zürich

Nachhaltige Erfolgsprojekte von Unternehmen

ESG Die Partner von Sustainable Switzerland stellen vorbildhafte Beispiele für nachhaltiges Engagement vor. Sie leisten mit ihren innovativen Ansätzen

Kleine und mittelgrosse Unternehmen (KMU) sind ebenso wie Konzerne die wichtigsten Treiber für eine nachhaltige Entwicklung, weil ihr Hebel für Veränderung besonders gross ist im Vergleich zu Privathaushalten. Gemeinsames Ziel ist es, durch Innovationen und Optimierungen wirtschaftlich so zu prosperieren, dass die Lebensqualität der Menschen verbessert, natürliche Ressourcen geschont und Ökosysteme geschützt werden.

In der Unternehmenspraxis gibt es dafür längst zahlreiche Ansatzpunkte: So lassen sich die eigenen Produktionsprozesse optimieren, um die Verbräuche von Wasser, Energie und Rohstoffen zu reduzieren. Zentral ist der Umstieg auf «Grünstrom» aus erneuerbaren Energiequellen, um die Klimaziele, die sich die Schweiz gesetzt hat, erreichen zu können.

Zahlreiche Firmen haben auch begonnen, ihre Lieferketten im Hinblick auf Menschenrechtsfragen, Arbeitsbedingungen, Bezug von Ressourcen aus sogenannten Konfliktregionen und Umwelt-Compliance zu überprüfen – nicht zuletzt aufgrund verschärfter regulatorischer Vorgaben in der Schweiz und in der Europäischen Union. Durch Forschung und Entwicklung werden zudem

neue Produkte geschaffen, die langlebig und reparierbar sind und deren Bestandteile sich rezyklieren lassen – ein wichtiger Beitrag zur Kreislaufwirtschaft. Auch künstliche Intelligenz (KI) wird dabei eine Rolle spielen. Einen hohen Stellenwert haben nicht zuletzt Sensibilisierungsaktionen für Mitarbeitende: Sie fördern eine Unternehmenskultur, die Nachhaltigkeit wertschätzt und lebt. Diesen Kulturwandel befördern auch soziale Projekte für die Gesellschaft.

Gelebte Praxis

Unternehmen in der Schweiz zeigen heute schon vorbildhaft, wie Nachhaltigkeit auf vielen verschiedenen Ebenen umgesetzt und zu einer gelebten Praxis gemacht werden kann. Auch die Partner der vom Unternehmen NZZ ins Leben gerufenen Plattform Sustainable Switzerland haben solche Erfolgsgeschichten geschrieben – und sie schreiben weiter daran. Ihre Best Practices verdeutlichen, dass nachhaltige Unternehmensführung nicht trotz, sondern wegen der Transformation wirtschaftlichen Erfolg sichern kann.

Die

Mobiliar

Lokal für vernetzte Mobilität

Das Einzugsgebiet der Mobiliar Interlaken-Oberhasli ist weit und reicht bis zum Grimsel- und Sustenpass. Für die Fahrten zu den Kundinnen und Kunden setzt Generalagent Guido Wittwer zunehmend auf Elektrofahrzeuge. Fahrzeuge mit fossilen Energieträgern werden Schritt für Schritt verkauft. Als Ersatz kauft er jedoch nicht einfach neue Elektroautos, sondern spannt mit der Landi und dem Carsharing-Unternehmen edrive zusammen. So können die E-Autos von den Mitarbeitenden für Geschäfts- und Privatfahrten und von Dritten genutzt werden. Nur wenige Meter neben dem Bahnhof Interlaken-West ein Beitrag zur vernetzten Mobilität.

Im Zuge der Modernisierung des Geschäftshauses wurden bei der Generalagentur Interlaken-

Oberhasli ausserdem sechs Ladestationen für EAutos installiert. Elektroautos werden dabei mit Strom aus erneuerbaren Quellen aufgeladen. Gleichzeitig hat Wittwer die E-Bike-Flotte vergrössert sowie einen E-Scooter angeschafft, vorerst für Mitarbeitende geschäftlich und privat nutzbar. Neu gibt es auch einen Fahrradunterstand mit zehn Ladestationen.

Die Mobiliar Interlaken-Oberhasli ist nur eines von vielen Beispielen, wie Zukunftsfähigkeit lokal gelebt wird. Das dezentrale Netzwerk der Mobiliar mit 80 Generalagenturen und rund 160 Standorten in der Schweiz und in Liechtenstein bildet die Basis für nachhaltiges Handeln. Damit bleiben die Wege kürzer, Schäden werden durch das lokale Gewerbe erledigt und Arbeitsplätze bleiben in den Regionen.

BKW

Gebäudeautomation kommuniziert mit Stromnetz

Mit einer neuen Lösung macht die BKW das Gebäude zum verlängerten Arm des Stromnetzes. Dabei dienen steuerbare Anlagen wie Kältespeicher dem Netz nachhaltig als Reserve, wenn es ausser Balance gerät.

«Die Nutzung von Synergien stand bei der Zusammenarbeit im Fokus», sagen Bernhard Sax, CEO von pi-System, einer Konzerngesellschaft der BKW, und Martin Kauert, Experte Product & Ecosystem Development bei BKW Energy. Gemeinsam haben beide Bereiche eine einzigartige Lösung geschaffen: ein integrales Energiemanagement. Bei einem Ungleichgewicht sorgt es für Entlastung und leistet seinen Beitrag an die Netzstabilität. Das ist so nachhaltig wie langfristig, weil integrativ, gedacht. Die Energiewende gelingt nur, wenn alle Akteure einen

Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. Ein vereinfachtes Beispiel: Ein sonniger Tag im Sommer, die Solaranlagen laufen auf Hochtouren und beliefern das Stromnetz mit viel Energie. Auf Verbraucherseite ist der Strombedarf tief. Damit das Netz im Gleichgewicht bleibt, muss der Verbrauch ansteigen oder die Produktion gedrosselt werden. Wer jetzt eine Verbrauchsanlage hochfährt, trägt zur Netzstabilität bei und kann dafür finanziell entschädigt werden. Die meisten Unternehmen verfügen jedoch mit ihren Anlagen nicht über die nötige Leistung, um eigenständig am Regelenergiemarkt teilzunehmen. Mit dem BKW-Angebot Energy Powerflex werden kleinere Anlagen nachhaltig zu einem virtuellen Kraftwerk zusammengeschlossen, und Betreiber profitieren von attraktiven Erlösen auf dem Strommarkt.

So wirken Sie mit

Know-how

re n

Nicht mit uns. Nachhaltigkeit ist zu kompliziert? Mehr erfah

Sustainable Switzerland ist die Plattform für Nachhaltigkeit in der Schweiz – eine Initiative des Unternehmens NZZ mit starken Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft. Werden Sie Teil unseres Netzwerks und beschleunigen Sie mit uns die nachhaltige Entwicklung der Schweiz.

Informiert bleiben, eigene Best Practices veröffentlichen oder Unternehmenslösungen finden.

Netzwerk

Erfahrungen austauschen, Partnerschaften bilden oder eigene Lösungen im Netzwerk anbieten.

Unternehmen in der Schweiz

Ansätzen und Projekten einen wertvollen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele.

BCG

Pionierarbeit für die Kreislaufwirtschaft

Im linearen Wirtschaftsmodell werden viele der eingesetzten Ressourcen am Ende der Produktnutzung dem Wertstoffkreislauf entzogen. In einer Kreislaufwirtschaft wird dies weitgehend verhindert, indem sie wieder dem Kreislauf zugeführt werden. Ein geringerer Verbrauch natürlicher Ressourcen und weniger Abhängigkeit von Rohstoffen sind die Folge. Ein international anerkannter Standard, wie Kreislaufwirtschaft gemessen wird, existiert jedoch nicht. Hier hat Hilti in Zusammenarbeit mit der Boston Consulting Group (BCG) und deren Tochtergesellschaft BCG X Pionierarbeit geleistet: Mit «Circelligence» wurde Ende letzten Jahres erstmals eine Methode geschaffen, um den eigenen Kreislaufwert zu ermitteln. Die Fortschritte bei der Umsetzung des Kreislaufprinzips werden über die SAP Business Technology Platform® visualisiert. Damit lassen sich Materialien entlang der gesamten Wertschöpfungskette verfolgen.

Swisscom

Nachhaltig handeln

Ambitionen und Ziele unserer Partner

Zusammen packen wir’s: Die Partner der Plattform Sustainable Switzerland verfolgen konkrete Ziele auf ganz unterschiedlichen Feldern der Nachhaltigkeit. Was sie in den nächsten Jahren in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG) erreichen wollen und welche konkreten Ambitionen sie verfolgen, haben sie für uns auf den Punkt gebracht.

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Gemeinsam für nachhaltige Klimaziele

Die Kampagne «Resources Are Precious. Use your Brain. Rethink your Routines.», initiiert von ETH Sustainability und fachlich unterstützt durch die ETH-Abteilung Engineering und Systeme, hat ein starkes Zeichen für den bewussten Umgang mit Ressourcen gesetzt.

Hilti hat sich zum Ziel gesetzt, Standards für alle Industrien zu setzen, nicht nur für die Baubranche, sondern für alle Unternehmen, die auf das Prinzip Kreislaufwirtschaft umstellen. Ihren Ansatz «Reduzieren, Wiederverwenden, Recyceln» verfolgt Hilti auch bei ihrem Flottenmanagement, einem Service, den das Unternehmen als Erster in der Bauindustrie eingeführt hat. Am Ende eines Flottenmanagementvertrags holt Hilti Geräte, Batterien und Zubehör bei seinen Kunden kostenfrei ab. Dies bildet die Grundlage für Kreislaufwirtschaft. In Zukunft wird Hilti diese Initiativen weiter ausbauen und strebt im Rahmen der «Science Based Targets initiative» (SBTi) zudem eine signifikante Reduktion des CO2-Fussabdrucks bis 2032 und Netto-Null-Emissionen bis 2050 an. BCG unterstützt weltweit Unternehmen, mit Hilfe von Circelligence ihre Kreislaufinitiativen zu verbessern und durch höhere Effizienz mit weniger Ressourcen mehr zu erreichen.

Die Zukunft fährt elektrisch

Swisscom betreibt eine der grössten Firmenflotten der Schweiz und hat sich hohe Umweltziele gesetzt. Swisscom möchte bis 2035 Netto-Null nach der «Science Based Targets initiative» (SBTi) sein. Ein ambitioniertes Ziel, das beim führenden Telekommunikationsanbieter der Schweiz nur erreichbar ist, wenn in allen Bereichen daran gearbeitet wird. 50 Prozent der direkten CO2-Emissionen (Scope 1) stammen bei Swisscom aus der Mobilität. Daher wird bis 2030 die gesamte Fahrzeugflotte auf E-Mobilität umgestellt und somit sämtliche direkte Emissionen der Geschäftsfahrzeuge eliminiert. Dieses Ziel brachte auch Herausforderungen mit sich. Unter anderem waren Ladedauer und Reichweite der Fahrzeuge ein wichtiger Faktor für die Beschaffung der E-Autos. In den letzten Jahren gab es in der Elektromobilität grosse technische Fort-

UBS

schritte. Dadurch wurde die Reichweite der Fahrzeuge grösser, was für den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden essenziell wichtig ist. Dieses Jahr konnte Swisscom einen bedeutenden Meilenstein erreichen und über 1 200 Elektrofahrzeuge bestellen, 85 Prozent davon werden bis Ende 2024 bereits auf den Strassen im Einsatz sein. Im ersten Quartal 2025 werden alle Personenfahrzeuge bei Swisscom elektrisch unterwegs sein – und somit auch rund die Hälfte der direkten CO2-Emissionen im Bereich Mobilität bei Swisscom eliminiert. Dies bringt Swisscom der Erreichung ihrer ambitionierten Klimaziele einen grossen Schritt näher. Denn für Swisscom ist klar: «Die Zukunft fährt elektrisch.» Nur so ist es möglich, Worten auch Taten folgen zu lassen und verantwortungsvoll mit unserer Umwelt umzugehen.

Dekarbonisierung des Gebäudebetriebs

UBS strebt danach, die Umweltauswirkungen aus ihren betriebsgenutzten Gebäuden laufend zu reduzieren. Dafür setzt sich die Bank klare Ziele. Dazu gehört zum Beispiel die Minimierung der energiebezogenen direkten und indirekten Treibhausgasemissionen.

Die ETH setzt auf innovative Technologien, um die Wärme- und Kälteversorgung möglichst effizient und umweltfreundlich zu gestalten. Die Kampagne hat auch dazu umfassende Einblicke geboten und aufgezeigt, wie die ETH aktiv zur Erreichung ihrer Klimaziele beiträgt. Die Kampagne verdeutlichte, dass kleine alltägliche Handlungen grosse Auswirkungen haben können. Mit vereinten Kräften der gesamten ETH-Gemeinschaft kann ein entscheidender Beitrag zum Schutz unserer Ressourcen geleistet werden.

Vom 14. Oktober bis 8. November 2024 waren an den ETH-Standorten Zentrum und Hönggerberg sowie im E-Link Bus und auf digitalen Screens und Plakaten Aufrufe zu nachhaltigem Handeln zu sehen. Mit den Botschaften «Switch off», «Heat less» und «Reduce packaging» sollten die ETH-Angehörigen dazu animiert werden, in ihrem Alltag aktiv zur Reduktion von Energie- und Ressourcenverbrauch beizutragen. Ein zentrales Element der Kampagne ist die rezyklierbare Bodeninstallation vor dem ETH-Hauptgebäude, die während des gesamten Zeitraums auf die Dringlichkeit der Klimaziele aufmerksam machte. Zusätzlich informierte ein mobiler Infokubus über die Dekarbonisierungsmassnahmen der ETH, insbesondere in Bezug auf die Stromerzeugung und den Einsatz von Photovoltaikanlagen. Gegen Mitte der Kampagne wurde der Infokubus vom Zentrum auf den Campus Hönggerberg verlegt.

komplett auf Fernwärme umgestellt

„ Im Bereich Wärme hat UBS Projekte für den Ersatz von fossilen Heizsystemen initiiert und realisiert. Weiter wurde für eine Auswahl von Standorten eine KI-Softwarelösung eingesetzt, welche einen energieoptimierten Betrieb der Gebäude ermöglicht.

„ Bei der Strombeschaffung richtet sich UBS nach den RE 100-Anforderungen, einer Verpflichtung, 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen zu beziehen. Deren Einhaltung wird jährlich im Rahmen von ISO 14064-Audits und der Global

economiesuisse

Reporting Initiative extern geprüft. Jede von UBS verbrauchte Kilowattstunde Elektrizität wird somit aus erneuerbaren Stromquellen gedeckt und mit entsprechenden Herkunftsnachweisen zertifiziert (zum Beispiel Strom aus Wasserkraft).

„ Auf verschiedenen Gebäuden sind Photovoltaikanlagen installiert, welche durch Sonnenlicht Strom erzeugen. Dieses Jahr wurden weitere Installationen initiiert. Im nächsten Jahr wird das Potenzial für PV-Anlagen flächendeckend ermittelt, und es werden weitere mögliche Projekte auf Dächern von Gebäuden von UBS realisiert.

Die Dekarbonisierung des Gebäudebetriebs wird 2025 bei UBS weiter vorangetrieben, und Initiativen in den Bereichen Energie- und Wassereffizienz, Abfallmanagement, aber auch Biodiversität werden kontinuierlich geprüft und umgesetzt.

Schnelle Digitalisierung für den Klimaschutz

Hierbei wurden zwei Digitalisierungsgeschwindigkeiten untersucht – ein Szenario mit einer langsamen und eines mit einer schnellen Marktdurchdringung neuer Technologien und Anwendungen. Das Resultat: Der Einsatz aller untersuchten Anwendungsfälle könnte bis 2030 jährlich 7 bis 20 Prozent der bestehenden Klimalücke schliessen, was etwa dem Ein- bis Zweifachen der heutigen Emissionen des Kantons Thurgau entspricht. Das Digitalisierungstempo ist entscheidend für die Grösse des Hebels: Durch eine ambitionierte Digitalisierung könnten die Einsparungen im Vergleich zu einer Standard-Digitalisierung mehr als verdoppelt werden. Die Studie zeigt damit: Digitalisierung ist ein Imperativ für wirksamen Klimaschutz! BMW Werk

Bis zum Jahr 2030 will die BMW Group ihre globalen CO2-Emissionen je Fahrzeug über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg um 40 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 2019 senken. Ein aktueller Meilenstein auf diesem Weg ist die Umstellung der Energieversorgung des BMW Group Werks Steyr in Österreich. Ende September hat das Steyrer Motorenwerk vollständig auf Fernwärme umgestellt. Die Wärme für den Standort kommt aus dem rund einen Kilometer entfernten Biomassekraftwerk der Fernwärme Steyr. Dessen Wärmeenergie stammt aus nachwachsenden Ressourcen – Holzhackschnitzeln aus den umliegenden Wäldern. Bereits 2012 wurde das Werk Steyr erstmals an das Fernwärmenetz angeschlossen und die Versorgung seither kontinuier-

lich erweitert. Die finale Umstellung war eigentlich für den Jahreswechsel geplant, konnte jetzt aber bereits zweieinhalb Monate früher realisiert werden. Damit bezieht das Werk nach dem Strom auch seine Wärme im Regelbetrieb ausschliesslich aus 100 Prozent erneuerbaren Energiequellen. Zur symbolischen Energieumstellung hat kein Geringerer als Arnold Schwarzenegger den Erdgashahn endgültig abgedreht. Begleitet wurde der Star und Klimaschutzverfechter von Milan Nedeljkovic, Produktionsvorstand der BMW AG. Der verspricht: «Wir optimieren an all unseren Produktionsstandorten weltweit den CO2-Fussabdruck. Dazu nutzen wir innovative Technologien und lokale Potenziale für die Gewinnung von Energie aus fossilfreien Quellen.»

Die Schweiz hat sich richtigerweise ambitionierte Klimaziele gesetzt und peilt bis 2050 Netto-Null-Emissionen an. Der Weg zu diesem Ziel ist allerdings steinig. Um die Zwischenziele bis 2030 zu erreichen und auf dem langfristigen Kurs zu bleiben, muss unser Land in den nächsten sechs Jahren mehr CO2-Emissionen reduzieren, als dies in den letzten 34 Jahren der Fall war. Konkret müssen wir jährlich eine «Klimalücke» von circa 16 Millionen Tonnen CO2eq schliessen. Eine Herkulesaufgabe, zu deren Bewältigung wir alle verfügbaren Instrumente nutzen sollten.

Eine Studie von economiesuisse, accenture und digitalswitzerland hat in diesem Jahr untersucht, welchen Beitrag digitale Technologien an die bis 2030 nötigen Emissionsreduktionen leisten können.

«Digitalisierung darf kein Privileg sein»

Gesellschaft Der Zugang zur digitalen Welt ist unverzichtbar, doch viele Menschen – auch in der Schweiz – können sich die nötige Technik nicht leisten. Der Verein «Wir lernen weiter» hat bereits mehr als 12 500 Laptops an armutsbetroffene Personen verteilt.

ANJA RUOSS

Schon beim Betreten der Werkstatt von «Wir lernen weiter» in Merenschwand im Kanton Aargau hört man das leise Summen mehrerer Laptops, die, feinsäuberlich aufgereiht, aufbereitet werden. Gerade wird ein neues Betriebssystem installiert. Weiter hinten im Raum tauscht ein Mitarbeiter vorsichtig die Festplatte eines Laptops aus, während ein anderer die bereits fertig aufbereiteten Geräte sorgfältig für den Versand verpackt. Mehr als 12 500 Laptops haben diesen Prozess seit der Gründung von «Wir lernen weiter» im Frühjahr 2020 er-

folgreich durchlaufen. Die fertigen Geräte werden an armutsbetroffene Menschen in der Schweiz weitergegeben. Entstanden ist der Verein mitten in der Corona-Pandemie, als Gründer Tobias Schär bemerkte, dass vielen finanziell benachteiligten Menschen der Zugang zu digitalen Geräten fehlte –was ihre Bildungs- und Karrierechancen drastisch einschränkte. «Digitalisierung darf kein Privileg für Besserverdienende sein», betont der 30-Jährige. «Daher wollen wir allen Menschen in der Schweiz den Zugang zur digitalen Welt ermöglichen.» Um diesem Ziel gerecht zu werden, arbeitet der Verein eng mit Sozial-

Ausrangierte Laptops werden in der Werkstatt wieder gebrauchsfertig gemacht.

ämtern, Integrationsstellen und Hilfsorganisationen zusammen. Mehr als tausend Schweizer Gemeinden sind inzwischen Teil des Partnernetzwerks von «Wir lernen weiter». «Dadurch können wir sicherstellen, dass die Geräte wirklich bei denjenigen ankommen, die sie am dringendsten benötigen», sagt Schär.

Mehr als 3000 Lehrlinge ausgestattet

Die gebrauchten Geräte stammen aus Schulen, Gemeinden und Unternehmen aus der ganzen Schweiz. «Oft können diese Organisationen ihre alten Ge-

Laptops spenden

Privatpersonen, die einen Laptop an den Verein «Wir lernen weiter» übergeben möchten, können ihre Spende auf der Website des Vereins erfassen. Falls sich das Gerät für eine Wiederverwendung eignet, kann dieses entweder direkt zur Geschäftsstelle in Merenschwand oder per Post versendet werden. Wichtig ist, dass auch das passende Ladegerät zum Laptop geliefert wird. Unternehmen können sich direkt an den Verein wenden, um eine Übergabe oder Abholung der Ware zu organisieren, und auch defekte Geräte einsenden. Apple-Produkte sind weniger gefragt, da diese schwerer zu reparieren sind. Beliebt sind hingegen gängige Businessmodelle mit WindowsBetriebssystemen.

«Der Verein ist wie meine eigene Robin-Hood-

Geschichte, mit der ich zu einer besseren Schweiz beitrage.»

entkommen, aber er eröffne wichtige Chancen – und könne manchmal den entscheidenden Unterschied machen. «Es erfüllt mich sehr, ein soziales Problem zu lösen und finanzielle Ressourcen sinnvoll einzusetzen, um anderen zu helfen. Der Verein ist wie meine eigene Robin-Hood-Geschichte, mit der ich zu einer besseren Schweiz beitrage.» Der Verein erhebt pro Laptop einen einmaligen Unkostenbeitrag: Partner, die ausschliesslich Geräte beziehen, zahlen 250 Franken pro Laptop, während Partner, die auch gebrauchte Geräte zur Aufbereitung spenden, nur 150 Franken bezahlen. «Dieses nachhaltige Kreislaufkonzept ist sehr beliebt», sagt Schär. «Vor allem für Gemeinden und soziale Organisationen gibt es schweizweit keine Alternative, um armutsbetroffene Menschen so kostengünstig mit Laptops auszustatten.» Aufgrund dieser innovativen Lösung wurde der Verein mittlerweile von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) in deren Merkblatt zur digitalen Grundversorgung aufgenommen.

räte nicht selbst weiterverwenden, weil die Datenbestände professionell und kostenaufwendig gelöscht werden müssen», erklärt Tobias Schär. «Wir bieten hier eine nachhaltige, soziale und kostenfreie Lösung an.»

Das Team von «Wir lernen weiter», das mittlerweile aus vier fest angestellten Mitarbeitern besteht, löscht die Daten, prüft die Geräte auf ihre Funktionalität und installiert ein neues Betriebssystem. Besonders gefragt sind WindowsLaptops, da diese in vielen Schulen verwendet werden. Defekte Geräte werden zur Ersatzteilgewinnung genutzt. Dank dieser effizienten Prozesse konnte der Verein seine Kapazitäten erheblich steigern. «Allein in diesem Sommer haben wir 3000 Lehrlinge mit Laptops ausgestattet», berichtet Schär stolz. Dies sei ein Anstieg von rund 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. «Ohne einen Laptop ist es heute nahezu unmöglich, Zugang zu Bildung und beruflichen Chancen zu erhalten. Dieses Verständnis ist mittlerweile auch bei den Gemeinden und Sozialämtern gewachsen.» Eine Pinnwand zeugt von der Bedeutung ihrer Arbeit: Dankeskarten und Briefe zeigen, wie viel die Arbeit des Vereins bewegt. «Viele Menschen schreiben uns ihre erste E-Mail von ihrem neuen Laptop, um sich zu bedanken», sagt Tobias Schär lächelnd. Ein Laptop sei zwar keine Garantie, der Armut zu

Trotz seines Erfolgs steht der Verein vor einigen Hürden. «Das föderalistische Sozialsystem der Schweiz führt dazu, dass jede Gemeinde anders arbeitet», erklärt Schär. «Das macht es uns schwer, ein flächendeckendes Angebot aufzubauen.» Während in Kantonen wie Zürich bis zu 70 Prozent der Gemeinden mit dem Verein zusammenarbeiten, sei die Beteiligung in seinem Heimatkanton Aargau deutlich geringer.

Forderung nach politischer Unterstützung

Um eine landesweite Lösung zu schaffen, sieht Schär die Politik in der Verantwortung: «Unsere Arbeit ist Teil des Service Public», sagt er. «In unserer Nische sind wir systemrelevant, doch wir können das nicht allein stemmen. Um das Problem nachhaltig zu lösen, brauchen wir politische Unterstützung.»

Schärs grösstes Ziel ist es, den Zugang zu digitalen Geräten als Teil der Grundversorgung zu etablieren – und seinen Verein damit eines Tages überflüssig zu machen. Bis dahin zählt er auf die Unterstützung der Öffentlichkeit, sei es durch Laptopspenden, finanzielle Beiträge oder die Verbreitung seines Angebots.

Weitere Informationen: wir-lernen-weiter.ch

Nachhaltig handeln «Services» bei Sustainable Switzerland

Der Verein «Wir lernen weiter» ist nur einer von mehreren Anbietern, die im neuen Bereich «Services» von sustainableswitzerland.ch nachhaltige Dienstleistungen und praxisnahe Tools offerieren. Damit Strategien und Massnahmen auf den ESG-Gebieten Umwelt, Soziales und Governance effektiv geplant und umgesetzt werden können, braucht es Kompetenz und den Zugang zu den richtigen Services, Lösungen und Partnern. Der Bereich «Services» bildet eine zentrale Plattform, die die vielfältigen Angebote von Unternehmen,

Bildungseinrichtungen, Beratungsfirmen, Nichtregierungs- und Nonprofitorganisationen bündelt und dazu vertiefende, nützliche Informationen liefert. Das Angebot wird laufend erweitert.

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Seit der Gründung des Vereins im April 2020 setzt sich das Team um Gründer Tobias Schär (links) dafür ein, aus Elektroschrott neue Perspektiven zu schaffen. FOTOS: PD

Wo KMU der Zukunft Raum geben

Best Practice Wenig Zeit, wenig Mittel, wenig Möglichkeiten: Für KMU ist es oft schwierig, sich systematisch mit Zukunftsthemen auseinanderzusetzen. Hier setzt das «Mobiliar Forum» mit seinen Innovations-Workshops an. Fast 600 Firmen haben seit 2014 von dem kostenlosen Angebot profitiert.

MARTINA SCHÄFER

Eine Stoppuhr tickt. Stellwände sind mit Post-its wie bunte Kuchenstreusel übersät. Auf einem Tisch an der Wand türmen sich Lego, daneben stehen Töpfe mit Korken, Pompons, Stoffbändern und eine Kaffeemaschine. Kein Speed-Bastelkurs, sondern der Innovations-Workshop «Mobiliar Forum» ist an diesem Dienstag im Gange. In der ehemaligen Spinnerei in Emmenbrücke im Kanton Luzern arbeiten vier KMU an ihrer Weiterentwicklung: eine Agentur für Werbetechnik, eine Tourismusregion, ein Lebensberater und ein Unternehmen aus der Maschinenbranche. Bis zum Ende des Nachmittags müssen sie wissen, welche ihrer Ideen sie weiterverfolgen werden und wie sich diese Idee realisieren lässt.

Nachhaltig handeln

Mobiliar Forum

„ Kostenlose Innovations-Workshops der Mobiliar für KMU, gemeinnützige Organisationen, Gemeinden und Vereine – auch für Nicht-Kunden.

„ Über 400 Workshops mit fast 600 KMU wurden seit dem Start durchgeführt.

„ Grundlage der Workshops ist Design Thinking, kombiniert mit Ansätzen der Lean-StartupMethode.

„ Die Workshops dauern einen Tag für maximal vier Organisationen (je bis 4 Mitarbeitende) oder zweieinhalb Tage für jeweils eine Organisation (12 bis 16 Mitarbeitende).

„ Sie finden in unterschiedlichen Regionen statt und erfordern nur minimale Vorbereitung.

Daten und Anmeldungen: mobiliar.ch/mobiliarforum

Seit zwei Jahren bietet die Mobiliar an verschiedenen Orten in der Schweiz solche eintägigen Workshops an – kostenlos. Sie sind Teil ihres genossenschaftlichen Engagements. Die Themen heissen Innovation, Teamentwicklung und Veränderungsprozesse. Das eintägige Format läuft parallel zum zweieinhalbtägigen Workshop, mit dem die Mobiliar 2014 in Thun gestartet ist. Das Ziel: Schweizer KMU – etwa 600 000 sind es in der Schweiz – zu stärken und zukunftsfähig zu machen. Während im zweieinhalbtägigen Mobiliar Forum jeweils ein grosses KMU an Ideen arbeitet, sind es im eintägigen bis zu vier kleinere oder mittlere KMU. Nicht nur Unternehmen, auch Nichtregierungsorganisationen (NGO), Gemeinden und Vereine sind willkommen. Die nächste Weiterentwicklung steht schon in der Garage: ein VW-Bus, der die Workshops noch näher an die Teilnehmenden bringt. Ein Alarmton, nächste Sequenz. Das strenge Zeitregime lässt den Teams bewusst keinen Raum für Details. Moderatorin Katrin Mateo erklärt die nächste Aufgabe: Baut ein Skateboard. «Skateboard» heisst in der Lean-StartupMethodik der erste Schritt zum Endprodukt. Schon eine primitive Testversion –Brett mit vier Rädern – zeigt, ob eine Idee ins Rollen kommt. Den Teilnehmenden wird eingeimpft: Leidenschaft vor Perfektion. Und besser ist, laufend zu testen und zu verbessern, statt lange Konzepte im stillen Kämmerlein zu entwickeln. Denn das spart Zeit und Geld.

Neue Ideen vorgestellt

Diese Logik und die verschiedenen Aufgaben sind ungewohnt, fast unangenehm. Katrin Mateo und Fabrizio Laneve, der vonseiten der Mobiliar die Verantwortung trägt, spornen die Teams an und stellen Fragen, die manchmal ein bisschen weh tun. Zwischen den Entwicklungsschritten gibt es immer wieder kurze Zwischenstopps für gegenseitige Feedbacks. Offen, strukturiert und konstruktiv, so sind die Regeln. In der Schlussrunde stellen die vier Gruppen ihre Ideen und die ersten Umsetzungsschritte vor. Darunter ist so Unterschiedliches wie eine Magnetwand, um Prozessschritte abzubilden, eine Mitarbeiterbefragung und externe Kommunikationsmassnahmen. Kleine

«Der Workshop-Tag war für mich wie ein Weckruf.»

Schritte, die Grosses bewirken sollen. Und noch ein letztes Mal werden Ergänzungen und Gedanken ausgetauscht.

Zum Schluss kommt der grosse Applaus. Hat der Tag etwas bewirkt? «Er war für mich wie ein Weckruf», sagt Gerhard Quiring von der Quiring Beratung, der an seiner zweiten Laufbahn baut. «Jetzt habe ich den Mut, umzusetzen, was mir schon eine Weile durch den Kopf ging. Und weiss, wie ich es angehe.» Als Einzelfirma hat er als Sparringpartner einen pensionierten Unternehmerkollegen mitgebracht.

Hilfreiche Diskussionen

Sehr positiv beurteilt Odermatt auch den Austausch mit den anderen Unternehmen. «Ich fand die Diskussionen sehr spannend und hilfreich.» Trotz unterschiedlicher Branchen seien die Herausforderungen erstaunlich ähnlich. Die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicken. Sie verlassen das Mobiliar Forum mit einer Idee und ganz konkreten Umsetzungsschritten in der Tasche. Morgen geht die Arbeit richtig los – dann beginnt das Umsetzen.

Auch Patrick Odermatt von GF + Service + Maschinen GmbH ist zufrieden mit dem Resultat. Er leitet ein KMU mit neun Mitarbeitenden. «Wir haben uns heute auf die interne Kommunikation fokussiert, das hätten wir schon lange tun sollen. Diesen Tag für eine gedankliche Auszeit zu nehmen, hat sich sehr gelohnt. Im Arbeitsalltag ist sowas kaum möglich.»

«KMU entdecken bei uns ihr Potenzial»

Interview mit Fabrizio Laneve, Verantwortlicher Innovationsfähigkeit und Entwicklung im Gesellschaftsengagement der Mobiliar. Er betreut die Innovationsplattformen für KMU.

Mit welchen Methoden arbeiten die KMU in den Workshops?

Fabrizio Laneve: Basis ist das Design Thinking. Dazu kommen die LeanStartup-Methode und verschiedene weitere Elemente, die wir in den letzten elf Jahren auf KMU und Nichtregierungsorganisationen zugeschnitten haben. In einem kreativen Prozess entwickeln die Teilnehmenden nicht nur neue Ideen, sondern auch erste Prototypen. Dabei betrachten sie die Dinge konsequent aus Kundenperspektive. Wir arbeiten aber beispielsweise auch an der Haltung. Man kommt nirgends hin, wenn jede Idee mit «Ja, aber …» abgeschmettert wird. «Ja, und …» hingegen öffnet den Blick für Chancen. Es hat die Kraft, Potenziale zu entfalten und die Dynamik in einem Unternehmen zu verändern.

Wie hat sich das Mobiliar Forum seit dem Start verändert?

Wir haben seit 2014 sehr viel gelernt und die Formate weiterentwickelt. Im Schnitt haben wir im Mobiliar Forum in Thun und Lausanne 30 bis 40 Workshops pro Jahr gemacht, immer mit einem Unternehmen und jeweils rund einem Dut-

zend Mitarbeitenden. Das hat sehr gut funktioniert. Während der Pandemie haben wir eine digitale Variante eingeführt. 2022 kamen die eintägigen Workshops dazu, damit mehr und vor allem auch kleinere KMU von dem Angebot profitieren können. Die Nachfrage war von Anfang an gross und die Rückmeldungen äusserst positiv.

Wie sinnvoll ist es, dass mehrere KMU parallel an Ideen arbeiten? Wir stellen die Workshops bewusst so zusammen, dass die Teilnehmenden aus unterschiedlichen Branchen kommen. Damit sind sie selbst potenzielle Kundinnen und Kunden voneinander. Das Mobiliar Forum ist das einzige Innovationsformat, das so funktioniert. Auch bei den Feedbacks erreichen wir auf diese Art das beste Resultat: Es heisst, nachdem man mit acht Personen über eine Idee gesprochen hat, erfährt man nachher nicht mehr viel Neues. Das machen wir uns zunutze.

Wie geht es weiter?

Unser Fokus liegt auf den eintägigen, dezentralen Workshops über das

ganze Jahr verteilt und in verschiedenen Regionen der Schweiz. Mit unserem neuen, massgeschneiderten EVW-Bus können wir noch einmal andere Unternehmen und Organisationen ansprechen. Warum nicht eine Metzgerei, eine Schreinerei oder einen landwirtschaftlichen Betrieb in einem Berggebiet? Innovation braucht es überall, um zukunftsfähig zu sein. Im Bus haben wir das ganze Mobiliar Forum dabei. Vom Gemeindesaal bis zum Hinterzimmer eines Restaurants können wir jeden Ort für den Workshop einrichten. Jetzt laufen die ersten Tests. Für nächstes Jahr planen wir etwa 80 eintägige und 20 zweieinhalbtägige Workshops.

Sie haben in den Workshops schon viele KMU erlebt. Ihre wichtigste Erkenntnis? Wir fokussieren in den Workshops auf Ideen und was sich daraus machen lässt. Aber letztlich geht es immer um Menschen. Teams, deren Mitglieder sich untereinander schätzen und gegenseitig stärken, sind in der Regel auch die erfolgreichsten. Sie profitieren am meisten von ihrer Schwarmintelligenz.

Fabrizio Laneve (links), Verantwortlicher Mobiliar Forum, und Patrick Odermatt, Geschäftsführer der GF + Service + Maschinen GmbH. SASCHA MOETSCH, SERAINA KOLLER

Gemeinnützige Projekte unkompliziert fördern

Gesellschaft Auch in der Schweiz existieren Perspektivlosigkeit unter Jugendlichen, Armut und Umweltverschmutzung.

UBS Benefizia Suisse unterstützt Spenderinnen und Spender dabei, ihre Mittel wirkungsvoll für diese Herausforderungen einzusetzen.

STEPHAN LEHMANN-MALDONADO

«Mir geht es dann am besten, wenn ich anderen helfen kann», sagt die 15-jährige Anna*. Nach ersten Einsätzen in einer Apotheke hat sie ein Praktikum in einem Kinderhort abgeschlossen. Dabei entdeckte sie, wo ihre Talente liegen: «Ich kann die Welt mit den Augen anderer sehen. Deshalb würde es mich reizen, im sozialen Bereich zu arbeiten.» Anna kam im Primarschulalter aus China in die Schweiz und fühlte sich anfänglich fehl am Platz. Die schulischen Herausforderungen liessen sie an einer erfolgreichen beruflichen Zukunft zweifeln. Beinahe hätte sie resigniert, wenn sie nicht im richtigen Moment von LIFT erfahren hätte.

Gegen Jugendarbeitslosigkeit

Mehr als 4500 Jugendliche, fast 5000 Unternehmen und über 380 Schulen beteiligen sich schweizweit an dem gemeinnützigen Jugendprojekt. Es unterstützt Heranwachsende auf dem Weg in die Berufswelt und schafft Gelegenheiten, die eigenen Begabungen zu entdecken. Kernelement sind praktische Einsätze. Zwei bis drei Stunden pro Woche können Jugendliche in Unternehmen mit anpacken, begleitet durch LIFT. Die Angebotspalette reicht von der Apotheke über Schreinereien und Gärtnereien bis zu Garagen und Gastrobetrieben. Für jedes Talent ist etwas dabei. Klar, dass auch die Unternehmen profitieren: Sie können das Inter-esse für ihre Branche und den Nachwuchs fördern.

LIFT ist eines von vielen Programmen, die von UBS Benefizia Suisse unterstützt werden. UBS hat die gemeinnützige Unterstiftung Anfang 2024 ins Leben gerufen – mit einem klaren

Ziel: Spenderinnen und Spender sollen unkompliziert nachweislich wirkungsvolle Projekte verschiedener gemeinnütziger Organisationen in der Schweiz unterstützen können.

UBS engagiert sich bereits seit über 25 Jahren für gemeinnützige Zwecke, unter anderem mit der UBS Optimus Foundation, der UBS Philanthropy Foundation und als Pionierin im Corporate Volunteering. «Das Bedürfnis, Gutes zu tun, ist tief in den Menschen verankert», sagt Curdin Duschletta, Leiter Social Impact & Philanthropy Schweiz bei UBS. «Manche möchten zu Lebzeiten etwas in Bewegung bringen. Andere wollen darüber hinaus mit ihrem Nachlass Positives bewirken.» Wer einen Unterschied machen will, muss vielversprechende Projekte auswählen, ihre Wirkung evaluieren können und die richtigen Partner an der Seite haben. Dieser Prozess ist ohne entsprechendes Netzwerk oft schwierig zu

bewerkstelligen. «Das Projekt LIFT hat uns überzeugt, weil die Jugendlichen ihr Potenzial ausloten können und lernen, sich in der Erwachsenenwelt zurechtzufinden», sagt Curdin Duschletta. «Sie erhalten eine Chance, ausserhalb der Schule zu zeigen, was sie können. Und sie empfinden das LIFT-Programm nicht als pädagogische Intervention, sondern als ersten Schritt in die Berufswelt.»

Die UBS Optimus Foundation unterstützt weltweit sorgfältig selektierte Projekte in den Bereichen Bildung, Gesundheit sowie Klima und Biodiversität. Sie dient als Plattform für Kundinnen und Kunden, welche die drängendsten sozialen und ökologischen Probleme effektiv angehen wollen. Genau diese Arbeit will UBS Benefizia Suisse jetzt weiterentwickeln – und zwar mit Partnern und Projekten in der Schweiz. «Viele Kundinnen und Kunden haben uns gefragt, ob wir ihnen gemeinnützige Projekte in der Schweiz empfehlen können», sagt Duschletta. Die UBS Optimus Foundation unterstützt zwar seit langem auch hierzulande ausgewählte Projekte, insgesamt liegt der Fokus aber auf dem globalen Süden. «Jetzt möchten wir die Erfahrungen, die wir durch unser langjähriges gesellschaftliches Engagement als Bank hier in der Schweiz gesammelt haben, mit UBS Benefizia Suisse auch Kundinnen und Kunden zur Verfügung stellen.»

Obwohl UBS Benefizia Suisse neu am Start ist, baut sie auf Schweizer Organisationen, mit denen UBS schon seit vielen Jahren zusammenarbeitet – wie etwa LIFT, das Mentoringprogramm Rock Your Life und das Arbeitsintegrationsprogramm Powercoders. «In der Schweiz drückt der Schuh anderswo als im globalen Süden. Wir haben beispielsweise ein hervorragendes Ausbildungssystem. Trotzdem fallen manche Benach-

teiligte durch alle Maschen. Nun können wir gezielt Lösungen anbieten», erklärt Duschletta. Konkret will UBS Benefizia Suisse drei gesellschaftliche Herausforderungen angehen. Sie setzt sich für Chancengerechtigkeit durch Bildung ein – unabhängig von Herkunft und sozioökonomischen Verhältnissen. Mit ihrem Engagement für die Umwelt fördert sie Projekte, welche die natürliche Vielfalt von Tieren, Pflanzen und Lebensräumen erhalten und Massnahmen zum Klimaschutz umsetzen. Drittens beabsichtigt sie, die Lebensbedingungen von benachteiligten Menschen in der Schweiz zu verbessern und ihre Armut zu lindern. Sie sollen uneingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. «Wir beobachten aber auch, welche Themen unsere Kundschaft aktuell bewegen, und können uns vorstellen, uns in weiteren Bereichen zu engagieren», schliesst Duschletta.

Wandel mit System Egal, um welches Projekt es sich handelt –eines ist für Spenderinnen und Spender wichtig zu wissen: UBS Benefizia Suisse will nicht nur kurzfristige Symptome bekämpfen, sondern nachhaltige systemische Veränderungen bewirken. Jedes Projekt wird deshalb auf seine Wirksamkeit hin überprüft. So können sich Kundinnen und Kunden in professionell geführten Projekten engagieren – im Wissen, dass jeder gespendete Franken direkt der Sache zugutekommt. Alle Voraussetzungen sind erfüllt, damit UBS Benefizia Suisse noch viele Erfolgsgeschichten schreiben kann – wie jene von Anna, die dank LIFT-Einsätzen wieder Hoffnung schöpfen konnte. «Die Kontakte mit Erwachsenen und anderen Praktikantinnen haben mich sehr

bereichert», schwärmt sie heute. Sie habe gelernt, ihren Tag zu organisieren und eine Balance zwischen Praktikum, Schule und Prüfungen zu finden. Für Anna steht fest: «Ich werde meinen Weg gehen.»

* Name geändert

Nachhaltig handeln

In der Schweiz etwas bewegen

Wer eine innovative Möglichkeit sucht, sich philanthropisch zu engagieren und einen nachhaltigen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft und zum Schutz der Umwelt in der Schweiz zu leisten: Über UBS Benefizia Suisse können wirkungsvolle Projekte verschiedener Organisationen einfach und unkompliziert unterstützt werden. Interessentinnen und Interessenten können entweder eine allgemeine Spende tätigen oder sich für eines der drei thematischen Portfolios – Chancengerechtigkeit, Umwelt & Klima, Soziales – entscheiden. Ein Expertenteam teilt die Spenden denjenigen Projekten zu, welche diese am dringendsten benötigen.

Für weitere Informationen diesen QR-Code scannen:

Curdin Duschletta Leiter Social Impact & Philanthropy Schweiz bei UBS
Über UBS Benefizia Suisse können Spenderinnen und Spender auch gezielt Projekte für Chancengerechtigkeit in der Schweiz fördern.
FOTOS: UBS

So kommen KMU zum richtigen Nachhaltigkeits-Tool

Management Die stetig verschärften Nachhaltigkeitsanforderungen für Grosskonzerne erhöhen den Druck auf kleinere und mittlere Unternehmen, ein Nachhaltigkeitsmanagement zu implementieren. Damit verbunden ist oft auch der Einsatz einer Softwarelösung. Doch die Wahl des richtigen Tools ist alles andere als einfach. Umso wichtiger sind praxiserprobte Entscheidungshilfen von erfahrenen Experten.

ROBERTO STEFANO

Mit dem erhöhten Nachhaltigkeitsbewusstsein in Politik und Gesellschaft haben sich in den vergangenen Jahren auch die Ansprüche verändert, wie Unternehmen über ihre Aktivitäten in den Bereichen Umwelt, Soziales und Führung (ESG) rapportieren sollen. Genügten anfangs noch wenige, rudimentäre Auskünfte, sind in der Berichterstattung von heute neben finanziellen Kennzahlen und Markteinschätzungen in der Regel auch ausführliche Reportings mit messbaren Nachhaltigkeitswerten gefordert – zumindest bei den grossen Konzernen und Publikumsgesellschaften. In der Schweiz gilt für diese Firmen seit Anfang Jahr die Verordnung zur Klimaberichterstattung, die sie verpflichtet, nicht nur über finanzielle Belange Auskunft zu geben, sondern auch Einblick über die eigene Klimaauswirkung zu gewähren. Noch weiter gehen die EU-Vorschriften: Sie verlangen einerseits, dass das finanzielle Risiko offengelegt wird, dem ein Unternehmen aufgrund des Klimawandels ausgesetzt ist. Andererseits sollen auch die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf das Klima aufgezeigt werden.

Während die Klimaberichterstattung bei Grossunternehmen inzwischen zum Standard gehört, sind kleine und mittelgrosse Unternehmen (KMU) bisher weniger stark involviert. Doch die Folgen der neuen Vorgaben dürften sie als Zulieferer oder Geschäftspartner der «Grossen» je länger, je mehr zu spüren bekommen. «Regulierungen wie das Klima- und Innovationsgesetz in der Schweiz oder die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) werden immer mehr Unternehmen dazu zwingen, ESG-Aspekte in ihre Prozesse zu integrieren», erklärt Gina Obrecht, Business Development – Data Driven Sustainability bei Swisscom.

Umso mehr stellt sich für KMU inzwischen die Frage, wie sie die neuen Nachhaltigkeitsanforderungen bestmöglich erfüllen können und welche Unterstützung hierbei die Implementierung eines datenbasierten Nachhaltigkeitsmanagements und -reportings bietet. Diese fünf Aussagen helfen KMU bei der Wahl einer geeigneten Nachhaltigkeitslösung:

1. Nicht jedes KMU braucht eine ESG-Software – doch es werden immer mehr.

Das Thema «Nachhaltigkeit» wird zukünftig immer wichtiger werden – auch für KMU. Im Wettbewerb mit ihren Konkurrenten werden sie zunehmend Nachhaltigkeitskriterien erfüllen müssen, da letztere vermehrt auch Teil von Ausschreibungen sein werden. Der Grund ist einfach, schliesslich benötigen die Auftraggeber die entsprechenden Angaben, um im Rahmen der Scope3-Berichterstattung über die indirekten Emissionen in ihren Wertschöpfungsketten Auskunft zu geben. Der zunehmende Druck entsteht aber auch durch die Investorinnen und Investoren, Kundinnen und Kunden und selbst die Mitarbeitenden verlangen immer mehr Informationen über die Nachhaltigkeitsanstrengungen der Firmen. «Eine eigene ESG-Software kann helfen, Prozesse effizient zu gestalten, Berichte zu automatisieren und ESG-Aufgaben unabhängig von Beratern anzupacken», erklärt Obrecht. Ob ein KMU dazu eine eigene ESG-Software benötigt und wie umfangreich deren Anwendungsfelder sein sollen, hängt am Ende von der Grösse des Betriebes, den An-

forderungen und den Zielen des Unternehmens ab. Fest steht, dass sich auch ein KMU, angesichts der laufend zunehmenden Nachhaltigkeitsregulierung, früher oder später mit dieser Frage auseinandersetzen muss.

2. Eine professionelle ESG-Software kann teuer sein – doch oftmals reicht ein einfacheres Tool.

Viele Softwarelösungen haben sich ursprünglich an den Bedürfnissen der Grossunternehmen orientiert, die von den Nachhaltigkeitsregulationen betroffen sind. Solche Tools bieten umfangreiche Funktionen wie Automatisierung, Integration von Daten aus verschiedenen Quellen und unterschiedliche Module für das CSRD-Reporting, das CO2- und ESG-Management oder die Überwachung der Lieferkette. Für KMU sind solche Lösungen schnell eine Nummer zu gross und schiessen über das Ziel hinaus. Inzwischen gibt es jedoch erste Tools, die sich speziell auf zukunftsorientierte KMU fokussieren. Sie helfen den Unternehmen, ihren Fussab-

druck pragmatisch zu erfassen oder ermöglichen eine Planung des Absenkpfades. «Bei Bedarf lassen sich die Lösungen zudem ausbauen, um beispielsweise den Anforderungen der GRI (Global Reporting Initiative) oder des CSRDReporting gerecht zu werden», ergänzt Res Witschi, Leiter Corporate Responsibility bei Swisscom.

3. Die Wahl eines Nachhaltigkeits-Tools ist nicht ohne –doch mit diesen fünf Schritten sollte es klappen:

Das folgende Vorgehen hilft Unternehmen in der Praxis:

„ Standortbestimmung: In der ersten Phase geht es darum, den aktuellen Stand des Nachhaltigkeitsmanagements zu erfassen und vorhandene Daten ausfindig zu machen. Zudem sollte klar sein, welche Kennzahlen für das KMU relevant sind.

„ Ziele definieren: Jetzt sind vom KMU klare Ziele im Nachhaltigkeitsbereich gefragt. Möchte es CO2-Emissionen

messen und reduzieren, die Lieferkette nachhaltiger gestalten oder das Reporting automatisieren? Zur Erleichterung dieser fundamentalen Aufgabe hat Swisscom eine funktionale Architektur entwickelt, welche die Firmen dabei unterstützt, die richtigen Fragen zu stellen, um die Anforderungen an eine Softwarelösung zu definieren und zu priorisieren.

„ Tool auswählen: Auf Basis der Ziele und des vorhandenen Budgets wird eine passende Lösung gewählt. Ein KMU sollte darauf achten, ein Tool zu wählen, das flexibel skalierbar ist und in der Bedienung die Anwendenden nicht überfordert.

„ Implementierung: Nach der Auswahl des Tools beginnt die Umsetzung des Projekts. Dazu gehört auch, dass die Mitarbeitenden geschult und die Prozesse, wenn nötig, angepasst werden.

„ Monitoring und Reporting: Nun folgt die eigentliche Arbeit mit der Anwendung, die sich an den strategischen Zielen und den Marktanforderungen des KMU orientiert. Als Faustregel gilt: Je mehr Einfluss das Unternehmen auf ökologische und soziale Faktoren hat, desto mehr Ressourcen sollten in das Nachhaltigkeitsmanagement fliessen. Das Monitoring und das Reporting der Initiativen wird vom Tool unterstützt.

4. Das Nachhaltigkeitsmanagement erfordert Aufwand –doch dieser lohnt sich, nicht nur wegen der Kennzahlen.

Allein schon aufgrund der erwähnten regulatorischen Vorgaben kann eine ESG-Software sinnvoll sein. Darüber hinaus fördert ein professionelles Nachhaltigkeitsmanagement in vielen KMU noch grosses Potenzial zu Tage – sei dies in der Optimierung der Prozesse,

der Ressourceneffizienz, der Reduktion des Energieverbrauchs und der Abfälle sowie der nachhaltigen Beschaffung. KMU haben den Vorteil, dass sie aufgrund ihrer Grösse sich oft flexibel und schnell an die neuen Gegebenheiten anpassen können.

5. Datenbasiertes Nachhaltigkeitsmanagement ist ein komplexes Themengebiet –doch dank der langjährigen Expertise von Swisscom gelingt die Umsetzung leichter.

Dank einer über 25-jährigen Erfahrung im Bereich Nachhaltigkeit, kombiniert mit einem umfangreichen Daten- und ICT-Knowhow, kann Swisscom ihren Kundinnen und Kunden bei der automatisierten Erfassung von CO2- und weiteren ESG-Daten zur Hand gehen und sie bei der nachhaltigen Optimierung ihrer Geschäftsprozesse unterstützen. Swisscom hat sich zum Ziel gesetzt, ihren Kundinnen und Kunden dabei zu helfen, jährlich eine Million Tonnen CO2 einzusparen. Dazu setzt das ICTUnternehmen auf smarte Lösungen wie Cloud- und IoT-Technologien (Internet of Things) oder Work-Smart-Anwendungen. Diese helfen den Firmen, ihren CO2-Fussabdruck zu senken. Etwa ein Viertel dieser Einsparungen wird durch neue, innovative Ansätze ermöglicht, die im Bereich datenbasierte Nachhaltigkeit entwickelt werden.

Darüber hinaus profitieren die Kunden von den Erfahrungen des ICT-Anbieters auf dem Weg zu Netto-Null. «Auf der Suche nach der besten Softwarelösung für unsere eigenen Zwecke haben wir eine Vielzahl von Tools geprüft», erklärt Gina Obrecht. Dieses Wissen werde nun an Unternehmen weitergegeben, die auf der Suche nach Nachhaltigkeitslösungen seien. Ausserdem veröffentlicht Swisscom jährlich den «Sustainability Software Radar», in dem über 240 Tools im europäischen und im schweizerischen Markt analysiert wurden. In dieser umfassenden Analyse werden Herausforderungen, Chancen und Trends im datenbasierten Nachhaltigkeitsmanagement beleuchtet, um Unternehmen den Weg zu mehr Nachhaltigkeit zu ebnen.

Nachhaltig handeln

Softwarelösungen im Check

Der «Sustainability Software Radar», eine 36 Seiten umfassende Publikation von Swisscom und Atlantic Ventures, richtet sich vor allem an ESG-Manager und Chief Information Officer (CIOs). Er analysiert die mehr als 240 relevanten Softwareanbieter und deren Lösungen, liefert Einblicke in Marktentwicklungen und Lösungsanforderungen und hilft Entscheidungsträgern in Unternehmen bei der Planung eines datengestützten Nachhaltigkeits- und Carbon-Managements.

Für weitere Informationen diesen QR-Code scannen:

Gestiegene Nachhaltigkeitsanforderungen: Immer mehr KMU halten Ausschau nach geeigneten Softwarelösungen. FOTOS: SWISSCOM
Gina Obrecht Business Development – Data Driven Sustainability bei Swisscom
Res Witschi Leiter Corporate Responsibility bei Swisscom

«Wir müssen umdenken und Mutiges wagen»

Interview Zwar hat der Umweltschutz die Chefetagen der Unternehmen erreicht, doch vom guten Willen zum nachhaltigen Wirtschaften ist es noch ein weiter Weg. Simone Pedrazzini, Leiter von Quantis Schweiz, betont: Der erste Schritt zu einem grünen Geschäftsmodell ist ein unvoreingenommener wissenschaftlicher Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette.

«Wir müssen die Wechselwirkungen zwischen der Wertschöpfungskette eines Unternehmens und der Umwelt vertieft verstehen», betont

Emissionen, Biodiversität, Rohstoffbeschaffung: Wie können Unternehmen ihren ökologischen Fussabdruck besser verstehen?

Simone Pedrazzini: Den ökologischen Fussabdruck zu verstehen bedeutet, das grosse Ganze zu betrachten. Es ist vergleichbar damit, sich ein Bild vom Mond zu machen: Wir beginnen nicht damit, die Mondoberfläche mikroskopisch zu untersuchen. Zunächst fällt uns vielleicht auf, dass einige Bereiche dunkler und andere heller sind. So identifizieren wir die Hotspots und entscheiden anschliessend, welche Aspekte wir genauer unter die Lupe nehmen wollen. Für Unternehmen reicht es daher nicht, sich nur auf lokale Aktivitäten zu konzentrieren. Sie müssen über den Tellerrand hinausblicken und alle Bereiche einbeziehen –von der Produktion über die Logistik bis hin zur Rohstoffbeschaffung. Die Erfahrung zeigt, dass vor allem die Rohstoffbeschaffung die Umwelt stark belastet. Und wir wissen: Man kann nur das managen, was man auch messen kann. Deshalb sollten wir uns darauf konzentrieren, das zu messen, was wirklich wichtig ist.

Empfehlen Sie dieses Vorgehen allen Branchen?

Auf jeden Fall. Unternehmen aus der Lebensmittel-, Mode- und Kosmetikbranche arbeiten bereits seit vielen Jahren mit diesem Ansatz. Warum? Sie verkaufen ihre Produkte direkt an die Endverbraucher, die oft sensibel auf Umweltthemen reagieren. Ausserdem sind diese Branchen untrennbar mit der Landwirtschaft verbunden – man denke nur an die Produktion von Agrarrohstoffen, den Baumwollanbau oder die Inhaltsstoffe bestimmter Kosmetika. Um die komplexe Wertschöpfungskette bis hin zur Landwirtschaft nachhaltig auszurichten, bedarf es fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden. Mittlerweile bemühen sich jedoch auch andere Branchen – so die Uhren- und Pharmaindustrie sowie die Finanzbranche – um ein ganzheitliches Verständnis ihres Fussabdrucks. Was sind die grössten Herausforderungen für Unternehmen, die ihren ökologischen Fussabdruck quantifizieren wollen?

Unabhängig von der Branche sehe ich drei Herausforderungen: die Daten, die Digitalisierung und den Blick über den CO2-Ausstoss hinaus. Idealerweise sollte eine Firma auf alle relevanten Daten seiner Zulieferer zugreifen können – das ist jedoch oft kaum möglich. Deshalb verfolgen wir hier einen pragmatischen Ansatz und nutzen beispielsweise Kennzahlen, die speziell für bestimmte Branchen relevant sind. Zweitens besteht im digitalen Zeitalter die Gefahr, dass man Lösungen auf dem Markt entdeckt und glaubt, man könne mit einem Klick den gesamten Fussabdruck erfassen. Tatsächlich erfordert es jedoch intensive Arbeit, bis eine digitale Lösung die komplexe Realität präzise abbildet.

Drittens neigen manche Unternehmen dazu, sich ausschliesslich auf Treibhausgasemissionen zu konzentrieren. Es bringt jedoch wenig, den CO2-Ausstoss zu senken, wenn dadurch der Wasserverbrauch steigt oder die Biodiversität gefährdet wird.

Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren unterwegs zu einem nachhaltigen Wandel?

Wir arbeiten mit dem Denkrahmen der planetaren Grenzen. Vereinfacht gesagt gibt es neun planetare Grenzen, vom Klimawandel über die Biosphäre bis hin zum Wasserverbrauch und der Ozeanversauerung. Das Ziel ist, menschlichen Aktivitäten so zu steuern, dass die Kapazitäten unseres Planeten nicht überschritten werden. Eine Voraussetzung dafür ist, dass wir die Wechselwirkungen zwischen der Wertschöpfungskette eines Unternehmens und der Umwelt tiefgehend verstehen. Es reicht jedoch nicht aus, lediglich ein Nachhaltigkeitsteam zu gründen oder Initiativen zu starten – alle Geschäftsbereiche und Funktionen müssen einbezogen werden. In jeder Phase gilt es, ehrlich zu sich selbst sein: Das «business as usual» ist kein tragbares Szenario. Kleine, positive Veränderungen genügen nicht. Es braucht ein radikales Umdenken und mutige Schritte. Schliesslich sollten alle Stakeholder gemeinsam an einem Strang ziehen.

«Statt linear immer mehr Güter – und somit Abfälle –zu produzieren, sollten wir auf regenerative Systeme hinarbeiten.»

Wie unterstützen Sie Unternehmen bei der Suche nach nachhaltigen Lösungen? Zuerst evaluieren wir den ökologischen Fussabdruck eines Unternehmens und verschaffen uns ein wissenschaftlich fundiertes Verständnis des Status quo – dies war ursprünglich unsere Kernkompetenz. Anschliessend begleiten wir es in die Transformationsphase. Dabei legen wir besonderen Wert darauf, die richtigen Anreize und Hebel für Veränderungen zu setzen. Unser Ziel ist es nicht, lediglich beeindruckende Präsentationen zu liefern, sondern das Unternehmen in Zusammenarbeit mit internen und externen Stakeholdern nachhaltig voranzubringen.

Jedes börsenkotierte Unternehmen hat klare Wachstumsziele. Wie passen diese mit den planetaren Grenzen zusammen?

Eines ist klar: Unsere Wirtschaft ist nicht nachhaltig. Gemäss dem Ansatz der planetaren Grenzen müssen wir uns als Gesellschaft neu ausrichten. Mindestens sollte jedes Geschäftsmodell hinterfragt werden. Ein einfaches Beispiel: Ich muss keinen Fotokopierer besitzen, um Kopien zu machen. Es reicht, die Dienstleistung bei Bedarf zu nutzen. Statt linear immer mehr Güter – und somit Abfälle –zu produzieren, sollten wir auf regenerative Systeme hinarbeiten. So können wir qualitativ statt quantitativ wachsen.

Können Sie uns eine konkrete Erfolgsgeschichte nennen? Zusammen mit dem Schokoladenproduzenten Barry Callebaut haben wir eine Methode entwickelt, um zu bewerten, wie sich der Kakaoanbau auf den CO2-Fussabdruck auswirkt. Dabei kombinieren wir GPS-Daten, Satellitenbilder und betriebliche Daten auf innovative Weise. Besonders spannend war es für uns, mit der Coop-Gruppe ein transformatives Programm für eine ganzheitliche Klimastrategie auszuarbeiten. Angesichts der Produktvielfalt von Coop war es eine Herausfordung, den Überblick zu behalten. Darüber hinaus unterstützen wir den World Business Council for

Sustainable Development bei der Verbesserung von Methoden, um die Auswirkungen von Unternehmen auf Natur und Biodiversität zu reduzieren. Jedes Unternehmen existiert nur, solange es Gewinne erwirtschaftet. Was bringt es ihm, nachhaltig zu wirtschaften? Früher gaben sich viele Unternehmen aus Marketinggründen einen grünen Anstrich. Heute müssen Unternehmen jedoch aus handfesten Gründen ein nachhaltiges Geschäftsmodell entwickeln, da die Umweltgesetzgebung weltweit immer restriktiver wird. Hinzu kommen operative Risiken, etwa durch den Klimawandel. Wir unterstützen Unternehmen dabei, die drängendsten Risiken zu identifizieren und sie wirksam abzufedern und zu vermeiden.

Interview: Stephan Lehmann-Maldonado

Nachhaltig handeln

Pionier des Umweltresearchs

Am Anfang von Quantis stand eine Idee: Unternehmen mit wissenschaftlichen Methoden darin zu unterstützen, ihre Umweltrisiken zu reduzieren. Quantis startete 2006 als Spin-off der ETH Lausanne (EPFL) und fasste innert weniger Jahre auf verschiedenen Kontinenten Fuss. Seit zwei Jahren gehört Quantis zur Boston Consulting Group (BCG), was den Spezialisten für Umweltresearch die Türen bis ins Topmanagement der Grosskonzerne geöffnet hat. Bis heute unterstützt Quantis globale Unternehmen dabei, ihren ökologischen Fussabdruck besser zu bestehen und ihn wirksam zu reduzieren. Quantis-Schweiz-Chef Simone Pedrazzini hat das Unternehmen seit den Anfangsjahren mitgeprägt.

Simone Pedrazzini Managing Director von Quantis Schweiz
Simone Pedrazzini. ADOBE

Das Verkehrshaus der Schweiz in Luzern bietet neu einen «Nachhaltigkeitsdialog» an: Über Fragen und Antworten können individuelle, wissenschaftlich fundierte Verhaltenstipps abgerufen werden.

Experience Energy!

Klima & Energie Das Verkehrshaus der Schweiz in Luzern zeigt nicht nur Züge, Autos, Schiffe und Flugzeuge. Besucherinnen und Besucher können sich auch spielerisch über Energie und Nachhaltigkeit informieren.

MARIUS LEUTENEGGER

Mehr als eine Million Eintritte hat das Verkehrshaus der Schweiz in Luzern im vergangenen Jahr verzeichnet. Seit April 2023 lohnt sich der Besuch nicht nur für Verkehrsinteressierte. Denn im neu eröffneten House of Energy lädt die interaktive Dauerausstellung «Experience Energy!» das Publikum dazu ein, sich mit dem komplexen und spannenden Themenkreis Energie und Nachhaltigkeit zu beschäftigen. «Wir hören oft, dass dies doch eigentlich kein Thema für das Verkehrshaus sei», sagt Alexander Manuzzi, Teamleiter Energie. Dabei sei die Ausstellung eigentlich eine logische Entwicklung. «Energie als Antriebsform beleuchteten wir bereits seit langer Zeit in unseren vier Hallen», sagt er. «Doch wir merkten: Das ist ein Thema, das wir gebündelt in seiner ganzen Vielfalt zeigen wollen. Gerade weil es in der heutigen Zeit so wichtig für die ganze Gesellschaft ist.» Die Ausstellung beschränkt sich denn auch nicht mehr auf Antriebsformen, sondern beschäftigt sich mit Energie und Nachhaltigkeit in einem grossen, vielschichtigen Kontext.

Breites Themenspektrum

«Experience Energy!» besteht aus fünf verschiedenen interaktiven Themenzonen. Im Bereich «Energiewissen» werden die Grundlagen vermittelt und die Zusammenhänge mit dem Klimawandel aufgezeigt. Bei «Wohnen und Alltag» dreht sich alles um Energie in den eigenen vier Wänden, während beim Thema «Energiesysteme» das Bereitstellen, Verteilen, Speichern und Nutzen von Energie thematisiert wird. Zudem können die Besucherinnen und Besucher hier einen Eindruck von der Energiezukunft 2050 gewinnen. Die «Netzleitstelle» wiederum zeigt die Schweiz und ihre Position im internationalen Stromnetz und vermittelt spannendes Wissen zur nationalen Energiebereitstellung.

«‹Experience Energy!› versteht sich als Berührungspunkt zwischen Wissenschaft und Bevölkerung», erläutert Ale-

Interaktive Touchscreens laden zum Mitmachen ein.

xander Manuzzi. «Das Thema ist alles andere als einfach zu verstehen. Es existiert viel Halbwissen und es wird viel mit Schlagworten hantiert, die nicht immer mit Inhalt gefüllt sind.» Die Zeiten, in denen man Erdöl in Fässer abgefüllt und bis zur Verwendung irgendwo gelagert hat, sind vorbei; Energiebereitstellung, -transport, -speicherung und -nutzung sind sehr viel komplexer geworden. Wissenschaft, Forschung und Technik entwickeln sich in rasantem Tempo weiter. Alexander Manuzzi: «Das wird sich künftig auch in der Ausstellung widerspiegeln, denn sie wird stets den neuesten wissenschaftlichen Errungenschaften angepasst und weiterentwickelt.»

Bevölkerung sensibilisieren

Seit dem 18. Oktober – dem Start der Energy Days 2024 im Verkehrshaus –ist bereits ein weiteres Gebiet dazugekommen: der Nachhaltigkeitsbereich. Er wurde in Zusammenarbeit mit Sustainable Switzerland, einer Initiative des Unternehmens NZZ, und weiteren Partnern entwickelt. «Das Verkehrshaus

und Sustainable Switzerland haben eine grosse Gemeinsamkeit», betont Tina Baumberger, Marketing & Communications Manager bei Sustainable Switzerland. «Das Vermitteln von faktenbasiertem Wissen steht für beide im Zentrum ihrer Arbeit.» Das Verkehrshaus sei deshalb der ideale Partner, um die Vielfalt rund um das Thema Nachhaltigkeit der Bevölkerung näherzubringen. «Ziel ist es, unsere Wissensinhalte im Verkehrshaus erlebbar zu machen, die Bevölkerung für das Thema Nachhaltigkeit zu sensibilisieren und aufzuzeigen, welche Fortschritte es auf diesem Gebiet in der Schweiz gibt.»

Ganz ähnlich formuliert es Alexander Manuzzi vom Verkehrshaus: «Sustainable Switzerland und das Verkehrshaus der Schweiz verfolgen dasselbe Ziel: die breite Bevölkerung objektiv und faktenbasiert darüber zu informieren, was es mit den heute so oft gehörten Begriffen Nachhaltigkeit und Energiewende eigentlich auf sich hat; dass es nicht darum geht, sich überall einzuschränken, sondern darum, sich und sein Verhalten so zu verändern, dass auch die folgen-

den Generationen gut leben können.»

Im Zentrum des neuen Nachhaltigkeitsbereichs steht der interaktive «Emission Explorer», mit dem Besucherinnen und Besucher mittels Fragen und Selbsteinschätzungen ihren persönlichen CO2Fussabdruck ermitteln können. Er ist ein Resultat der Initiative «Energy Science for Tomorrow» (ES4T), welche die ETH Zürich, die EPFL, das Paul Scherrer Institut (PSI), die Empa und das Verkehrshaus mit finanzieller Unterstützung des ETH-Rats gemeinsam eingegangen sind. «Der Emission Explorer gibt zudem einen Einblick in die systemischen Emissionen – jene Emissionen, die man zwar nicht unmittelbar selbst verantwortet, zu denen man aber einfach deshalb beiträgt, weil man eben in der Schweiz lebt», ergänzt Alexander Manuzzi. Je nach Antworten können Besucherinnen und Besucher dabei zusehen, wie sich im Emission Explorer ein CO2-Ballon aufbläht. «Am Ende wird deutlich, wie gross oder klein der eigene CO2-Ballon im Vergleich zu einem Schweizer Durchschnittsballon ist», erklärt Manuzzi.

Tipps für den Alltag

Im zweiten Teil des Nachhaltigkeitsbereichs werden die fünf Themenfelder des Emission Explorer im «Nachhaltigkeitsdialog» vertieft: Mobilität, Ernährung, Konsum, Wohnen und Flugverhalten. Ausgehend vom persönlichen CO2Fussabdruck, werden die Besucherinnen und Besucher dazu ermuntert, sich einem der Bereiche ganz besonders zu widmen – wobei es natürlich möglich ist, sich alle Unterthemen anzusehen. Hier findet der eigentliche Dialog statt, indem über Fragen und Antworten individuelle und wissenschaftlich fundierte Verhaltenstipps bereitgestellt werden. «Der Nachhaltigkeitsdialog ist eine grosse, interaktive Wand aus Touchscreens, die immer wieder mit spannenden Fakten aufwartet», so Alexander Manuzzi. «Wussten Sie zum Beispiel, dass nur elf Prozent der Weltbevölkerung regelmässig fliegen, der Flugverkehr aber einen grossen Teil aller Emissionen ausmacht?» So taucht man Touch für Touch tiefer ins Thema ein, man erhält Tipps und Fakten und wird so hoffentlich dazu motiviert, nach dem Besuch die Theorie auch im eigenen Lebensalltag umzusetzen.

Der Nachhaltigkeitsdialog, dessen Inhalte von Sustainable Switzerland bereitgestellt werden, will aber nicht den Mahnfinger heben oder gar schulmeisterlich auftreten. «Damit es gelingt, die Wende zur Nachhaltigkeit zu schaffen und den Klimawandel einzudämmen, müssen wir die Menschen dazu animieren, ihren Beitrag zu leisten –und nicht ihnen vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben», ist Alexander Manuzzi überzeugt. Diese Gratwanderung zwischen Information, Animation und Unterhaltung zu schaffen, ist eine Herausforderung für die Ausstellungsmacher. Eine, der sie sich mit viel Spass und Engagement stellen.

Nachhaltig handeln

Energie für das Verkehrshaus

Im Verkehrshaus der Schweiz sind Energiefragen eine komplexe Angelegenheit. «Einerseits verfügen wir über eine eigene Photovoltaikanlage mit Modulen auf beinahe all unseren Dächern», sagt Alexander Manuzzi, «doch das reicht noch nicht, um den Bedarf vollständig zu decken.» Der Wärmebedarf wird umweltfreundlich über eine Seewassernutzungsanlage mit Wärmepumpen gedeckt. «Wir sind stets bestrebt, den Spagat zwischen Komfort und Unterhaltung für unser Publikum und nachhaltigem und effizientem Umgang mit Energie zu optimieren.»

FOTOS: VHS

Grüner Wasserstoff für die Industrie

Interview Im «Tech Cluster Zug» soll künftig ein einzigartiges Verfahren zur emissionsfreien Energieversorgung angewendet werden. Worum es genau geht, erläutert der Experte Andreas Bittig.

Heute ist auf dem Areal des «Tech Cluster Zug» unter anderem der Haushaltsgerätehersteller V-ZUG angesiedelt. Bis 2046 entsteht auf dem 80 000 Quadratmeter grossen Gelände mitten in der Kantonshauptstadt ein neues Ökosystem aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Wohngebäuden. Getestet wird dabei ein bisher einzigartiges Herstellungsverfahren für Wasserstoff, um industrielle Hochtemperaturprozesse zu dekarbonisieren. Die Vision: CO2 -neutrale Industrieanlagen – weltweit. Wir sprachen darüber mit Andreas Bittig, dem Leiter des Vereins zur Dekarbonisierung der Industrie (VzDI).

Herr Bittig, können Sie uns kurz beschreiben, wie es im Jahr 2046 auf dem Areal des «Tech Cluster Zug» aussehen wird. Andreas Bittig: Auf 80 000 Quadratmetern ist ein komplett neuer Stadtteil entstanden. Das frühere Industriequartier mitten in Zug ist ein lebendiger Ort, an dem Menschen arbeiten, forschen, leben und sich treffen.

Umnutzungen von Industriearealen gibt es einige. Aber meist verschwindet die Industrie.

Das ist das Besondere an unserem Modell: Die Produktion bleibt. Die V-ZUG investiert am heutigen Standort in neue Produktions- und Bürogebäude. Dabei konzentriert sie sich auf nur noch ein Viertel der Fläche. Mittels «vertikaler Fabrik» wird der Platz effizienter genutzt und es werden Flächen für wei-

tere Betriebe, technologienahe Dienstleistungen, Startups sowie Forschungsund Bildungsinstitutionen frei.

Sie sind Gesamtprojektleiter des VzDI. Worum geht es beim Projekt? Wir entwickeln eine nachhaltige Energieversorgung, die frei von CO2-Emissionen ist. Konkret geht es um die Emaillierungsanlage von V-ZUG. Im Produktionsprozess sind sehr hohe Temperaturen notwendig. Um diese zu erreichen, muss ein energiereiches und hochbrennbares Gas eingesetzt werden. Bei V-ZUG verwenden wir bisher Methan, den Hauptbestandteil von fossilem Erdgas. In unserer Demonstrationsanlage ersetzen wir das Erdgas durch pyrolytisch erzeugten Wasserstoff und verwenden ihn in den Emaillierungsöfen.

Was ist unter pyrolytisch erzeugtem Wasserstoff zu verstehen?

Mit der Methanpyrolyse spalten wir die Methanmoleküle mit Mikrowellenstrahlen in Wasser- und Kohlenstoff auf. Es entsteht kein CO2 als Nebenprodukt. Der gasförmige Wasserstoff wird dann als Brennstoff in die Hochtemperaturprozesse eingeblasen. Die Produktion wird so dekarbonisiert. Es entstehen keine CO2-Emissionen mehr, sondern nur noch Wasserdampf.

Und was passiert mit dem Kohlenstoff?

Durch die Pyrolyse entsteht ein Kohlenstoffpulver. Dieses wird als Ressource für die Bauwirtschaft eingesetzt, zum Bei-

spiel als Beimischung in Beton. In der Landwirtschaft kann der Humus mit dem Kohlenstoff angereichert werden, womit die Bodenqualität stark verbessert werden kann.

Mit der Methanpyrolyse sollen sogar negative CO2-Emissionen möglich sein. Wie kommt das?

Andreas Bittig Leiter des Vereins zur Dekarbonisierung der Industrie

Negative CO2-Emissionen ergeben sich, wenn man künftig synthetisches Methan anstelle von fossilem Erdgas für die Wasserstofferzeugung verwendet. Für die Herstellung von synthetischem Methan muss der Atmosphäre mehr CO2 entnommen werden, als anschliessend über sämtliche Prozessschritte wieder ausgestossen wird. Der abgespaltene Kohlenstoff wird der Atmosphäre damit dauerhaft entzogen. Wie viele Anlagen könnte man denn künftig mit der neuen Technologie aufrüsten? Unsere Vision ist, dass man in der Schweiz jede Industrieanlage umrüstet, die Erdgas verwendet. Wenn die Schweiz ihre CO2-Ziele erreichen will, braucht es Technologien, die eine negative CO2Bilanz ermöglichen, und zwar im grossen Stil. Rund ein Viertel der heute im Inland erzeugten CO2-Emissionen lassen sich nicht allein durch Umstellung auf erneuerbare Energie reduzieren. Nicht nur die Produktion, auch der restliche Teil des Zuger Areals soll nachhaltig und effizient mit Energie versorgt werden. Das «Tech Cluster Zug»-Areal wird auf unterschiedlichen Ebenen vernetzt. In der Energiezentrale werden das eigene CO2-neutrale Wärme- und Kälteerzeugungssystem, die Stromversorgung sowie die Elektromobilität für das gesamte Areal und dessen Nachbarschaft zusammengeführt. Es nutzt lokale Energiequellen wie Tiefengrundwasser, Seewasser, Photovoltaik der Gebäudedächer und Fassaden.

«Unsere Vision ist, dass man jede Industrieanlage umrüstet, die Erdgas verwendet.»

Die Kreislaufwirtschaft vorantreiben

Klima & Energie Immobilien machen einen Grossteil der CO2 -Emissionen aus, sowohl beim Bau beziehungsweise Rückbau als auch im operativen Betrieb. Für Swiss Prime Site ist die Kreislaufwirtschaft, die diesem Problem im Kontext der grauen Energie Rechnung trägt, Bestandteil des Geschäftsmodells.

URS BAUMANN

Aktuellen Schätzungen zufolge werden bei den globalen CO2-Emissionen rund 40 Prozent durch Immobilien verursacht, wobei etwa 70 Prozent davon im operativen Betrieb entstehen und 30 Prozent im Bau. Heute drängt sich auf, die Wirtschaft nicht länger als linearen Prozess zu verstehen – vielmehr muss dieser zirkulär gedacht werden, da Ressourcen nicht unendlich sind. Dies bedeutet, dass man sämtliche Materialien bis zum Ende der Lebensdauer des Produkts bewusst so einsetzen und entsprechend dokumentieren sollte, um sie anschliessend möglichst werterhaltend und ressourcenschonend wieder in den Kreislauf zurückzuführen.

Abwägen zwischen Neubau und Sanierung

Heute folgt die Wirtschaft aber mehrheitlich noch der linearen Ablauflogik: Rohmaterial, Produktion, Produkt, Verbrauch, Abfall. Ein simples Beispiel: Während früher die Telefone mit Wählscheibe gut 40 Jahre hielten, zählt heute bei modernen Smartphones praktisch nur noch die Leistung, die alle zwei bis drei Jahre derart erhöht wird, dass das Gerät, kaum gekauft, schon wieder ersetzt wird. Deshalb braucht es ein Umdenken, und es sollten wieder vermehrt Produkte hergestellt werden, die

«Wichtig ist generell, den Materialeinsatz zu verringern sowie den CO2-Ausstoss und den Ressourcenbedarf zu erfassen», so Urs Baumann, CIO von

viel länger halten und die der Lieferant nach ihrer Lebensdauer wieder in einzelne Materialien zerlegt, damit die Ressourcen restlos in den Kreislauf zurückgeführt werden können. «Kreislauforientiertes Wirtschaften» als Maxime von verantwortungsbewusstem Handeln muss auch in den Köpfen der Immobilienbranche stärker verankert werden. Als bedeutendes Immobilienunternehmen engagiert sich Swiss

Prime Site seit geraumer Zeit für «Kreislauforientiertes Bauen» und war zudem Erstunterzeichnerin der entsprechenden Charta. Diese hat die Ambition, bis 2030 die Verwendung von nicht erneuerbaren Primärrohstoffen auf 50 Prozent der Gesamtmasse zu reduzieren, den Ausstoss grauer Treibhausgasemissionen zu erfassen und stark zu reduzieren sowie die Kreislauffähigkeit von Sanierungen und Neubauten zu messen und erheb-

lich zu verbessern. Konkret heisst das, eine sorgfältige Abwägung zu treffen, inwiefern auf einen Totalrückbau verzichtet werden kann und statt eines Neubaus auch eine Sanierung möglich wäre. Drängt sich dennoch ein Neubau auf, sollte mit möglichst langfristiger Perspektive gebaut werden.

Betriebsenergieaufwand auf Minimum reduzieren

Wichtig ist generell, den Materialeinsatz zu reduzieren sowie den CO2-Ausstoss und den Ressourcenbedarf zu erfassen, um im Falle eines späteren Rückbaus die komplette Wiederverwendung der Materialien sicherzustellen. Ebenfalls gilt es, bei der Materialwahl die Schadstoffrisiken zu minimieren und bei der Produktion und beim späteren Rückbau den Abfall zu reduzieren. Bei Swiss Prime Site ist das ReDevelopment-Projekt an der Müllerstrasse in Zürich ein Meilenstein, da die Rohbaustruktur weitestgehend erhalten und 90 Prozent des Betons wiederverwertet und damit 2 600 Tonnen CO2Emissionen eingespart wurden. Die jüngsten Entwicklungsprojekte von Swiss Prime Site berücksichtigen noch weitere Aspekte der Nachhaltigkeit: Das Neubauprojekt JED in Schlieren verfolgt den Ansatz «2226», bei dem auf den Büroflächen weder Heizung noch mechanische Lüftung oder Küh-

lung zum Einsatz kommt und aufgrund der besonders klimaresilienten Gebäudehülle der Betriebsenergieaufwand auf ein absolutes Minimum reduziert wird. Auf dem «Campus YOND» in ZürichAlbisrieden wird bewusst ein bestehendes Gebäude erhalten; zudem werden die durch den Rückbau zur Wiederverwendung geeigneten Bauteile und Materialien geprüft. Insbesondere gilt bei diesem Projekt die Planungsvorgabe, die Neubauten möglichst nutzungsneutral für Gewerbe- oder Büronutzer zu konzipieren und erstmals konsequent mit mindestens 50 Prozent erneuerbaren Primärrohstoffen zu erstellen. Nebst den ambitionierten Zielen bezüglich der Planung und Realisierung wird Swiss Prime Site in diesem Projekt auch punkto sozialer Nachhaltigkeit ein Ausrufezeichen setzen und die Vermarktung der Mietflächen ganz im Zeichen der «Inklusion» vorantreiben. Nähere Informationen zum Projekt und zu diesem Ansatz sind bald auf der entsprechenden Website verfügbar.

Urs Baumann ist CIO von Swiss Prime Site

Für weitere Informationen zum Projekt «Campus YOND» den QR-Code scannen:

Auf dem V-ZUG-Gelände (im Vordergrund) entsteht bis 2046 ein neues Quartier, der «Tech Cluster Zug». VISUALISIERUNG: TECHCLUSTERZUG.CH
Swiss Prime Site. PD

Energieträger ohne Emissionen

Klima & Energie Geht es um eine nachhaltige Zukunft, geniessen Wasserstoff und andere erneuerbare Gase bisher wenig Beachtung. Wie gross ihr Potenzial ist, zeigen mehrere innovative Projekte in der Westschweiz auf.

MARIUS LEUTENEGGER

Die Schweiz will bis 2050 klimaneutral werden. Das bedingt unter anderem, fossile Energien durch CO2-neutrale Alternativen zu ersetzen. Nur selten wird in diesem Zusammenhang über Wasserstoff und andere erneuerbare Gase gesprochen. Die Energieperspektive des Bunds geht davon aus, dass diese Energieform bis 2050 etwa drei Prozent des Schweizer Bedarfs decken wird. Es gibt jedoch auch weniger konservative Einschätzungen.

Wasserstoff und erneuerbare Gase haben den Vorteil, dass sie flexibel einsetzbar sind. Zurzeit finden sie vor allem in der Industrie Verwendung in der Langstrecken- und Schwermobilität steckt die Entwicklung noch in den Kinderschuhen. Wasserstoff kann aber auch als Wärmequelle dienen oder zur Stromspeicherung – ein wichtiges Thema bei der künftigen Energieversorgung – verwendet werden.

Weltweit wurden 2022 rund 95 Millionen Tonnen Wasserstoff produziert, grossmehrheitlich für die Industrie – allerdings auf der Basis fossiler Brennstoffe, was zu hohen Emissionen führt. Pro produzierter Tonne Wasserstoff entstehen fast neun Tonnen CO2-Emissionen. Um Wasserstoff als nachhaltigen Energieträger der Zukunft etablieren zu können, muss er CO2-neutral produziert werden, also mithilfe erneuerbarer Energien. Die Europäische Union treibt die Entwicklung von grünem Wasserstoff voran, und auch in der Schweiz zeigen diverse Projekte, welches Potenzial in diesem Gas steckt. Ein Hotspot ist die Westschweiz.

Grüner Strom vom Kraftwerk

In Schiffenen (FR) zum Beispiel hat der Energieversorger Groupe E im Oktober 2023 die erste Wasserstoffproduktion der Westschweiz eingeweiht. «Das Ziel ist es, erneuerbaren Wasserstoff zu produzieren», sagt Laurent Ducrest, Leiter thermische Stromerzeugung und Umwelt bei Groupe E. Dazu benötigt man grünen Strom – im Fall von Schiffenen stammt er aus der Restwasserturbine des Kraftwerks –, mit dem man aufbereitetes Wasser per Elektrolyse in seine Bestandteile zerlegt und daraus Wasserstoff gewinnt. Dieser wird anschliessend für den Transport verdichtet.

In Schiffenen stehen zwei identische Elektrolyse-Anlagen in Schiffscontainern gleich unterhalb der Staumauer des Wasserkraftwerks. Das für den Prozess nötige Wasser stammt derzeit noch aus dem Netz, weil es eine höhere Qualität hat als das Wasser aus dem Stausee. «Wir wissen aber mittlerweile, dass unsere Technologie auch mit Seewasser funktioniert, und werden in Zukunft darauf umstellen», sagt Laurent Ducrest. Der Wasserstoff wird anschliessend bis zur Abfüllung in neun Hochdruckspeichern gelagert. «Sie fassen um die 400 Kilogramm – rund die Hälfte unserer Tagesproduktion», so Ducrest. Der

Unterhalb der Staumauer des Wasserkraftwerks Schiffenen baut der Energieversorger Groupe E zwei Elektrolyse-Anlagen zur Gewinnung von grünem Wasserstoff. STEMUTZ

Nutzwert von einem Kilogramm Wasserstoff entspricht dem von etwa 2,8 Litern Benzin. Den produzierten Wasserstoff will Groupe E vor allem der Industrie und der Schwermobilität zur Verfügung stellen. Für den Experten ist klar, dass grüner Wasserstoff einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten wird. «Ein Beispiel: Die Produktion von künstlichen Treibstoffen benötigt Kohlenstoff und Wasserstoff», erklärt er. «Wenn man Kohlenstoff aus der Industrie gewinnen und mit grünem Wasserstoff kombinieren würde, könnte man daraus nachhaltige Synfuels herstellen.»

Anlagen direkt beim Kunden

Einen anderen Ansatz verfolgt Gruyère Hydrogen Power (GHP), eine Tochtergesellschaft von Gruyère Energie, seit einigen Monaten in Bulle (FR): Statt grünen Wasserstoff zu produzieren und ihn über weite Wege an Kunden zu liefern, wird der Wasserstoff quasi vor der Haustür des Kunden hergestellt. Zwei Elektrolyse-Anlagen mit einer Gesamtleistung von zwei Megawatt wurden in einer Entfernung von kaum 100 Me-

tern zum Hauptabnehmer, Liebherr Machines, installiert. «Damit umgehen wir die logistischen Herausforderungen des Transports», sagt Patrick Sudan, Geschäftsführer von GHP. «Dafür müssen wir die Stromquelle für den Umwandlungsprozess erschliessen.» Hier liegt in der derzeitigen Frühphase des Projekts noch der Haken. Sudan: «Momentan beziehen wir den grünen Strom für die Elektrolyse noch vom Netz», sagt er. Dies soll sich in naher Zukunft jedoch ändern. Geplant sind der Bau einer Photovoltaikanlage und eines Blockheizkraftwerks auf Holzbasis, ebenfalls ganz in der Nähe der Anlage. «Das sind natürlich grosse Investitionen», sagt Patrick Sudan, «aber wir verfolgen damit eine Zukunftsvision und werden in den nächsten Jahren sicherlich von der Anlage und den Erfahrungen damit profitieren können.» Zurzeit produziert die Anlage bis zu 100 bis 200 Kilogramm Wasserstoff pro Tag – aber nicht jeden Tag. Die tatsächliche Produktionsmenge schwankt beträchtlich, da GHP den Wasserstoff on demand produziert. «Wir betreiben ausserdem einen Feststoffspeicher für 200 Kilogramm Wasserstoff, so dass wir schnell auf höhere Anforderungsmengen reagieren können», sagt Patrick Sudan. Um rentabel zu sein, müsste die Anlage zwischen 100 000 und 150 000 Kilogramm Wasserstoff pro Jahr produzieren. Doch das ist Zukunftsmusik. «Momentan sind wir sehr zufrieden, dass die Anlage funktioniert», sagt Patrick Sudan, «abgesehen von den üblichen Kinderkrankheiten.»

Festkörper-Wasserstoffspeicher

Bei GRZ Technologies in Avenches (VD) dreht sich alles um dezentrale Speicherung. «Solche Systeme sind nötig, wenn wir die Produktion erneuerbarer Energien mit dem Energieverbrauch in Einklang bringen wollen», sagt Geschäftsführer Noris Gallandat. In der Regel wird Wasserstoff heute gespeichert, indem er verdichtet in Containerflaschen gelagert oder bei extrem tiefen Temperaturen verflüssigt wird. GRZ

verwendet für seine Systeme einen anderen Ansatz: «Wir haben, einfach gesagt, einen Wasserstoffschwamm entwickelt», erklärt Gallandat. Diese Festkörper-Wasserstoffspeicherung funktioniert bei niedrigem Druck, was die Sicherheit des ganzen Systems erhöht. Die Speichermodule können bei normaler Umgebungstemperatur beliebig miteinander kombiniert werden, so dass Kunden das für sie ideale Speichervolumen vor Ort haben.

Das System ist gefragt, auch im Ausland. «Wir richten uns an die Schwerindustrie, aber auch an Tankstellen und Produzenten erneuerbarer Energie», sagt Noris Gallandat. So nutzt zum Beispiel der grösste Solarpark Europas in Deutschland die Speichermodule von GRZ als Speicher für den produzierten Stromüberschuss. Eine weitere innovative Entwicklung des Unternehmens ist ein Methanisierungsreaktor, der CO2 und Wasserstoff in synthetisches Methan umwandelt. Dieses Methan hat dieselben Eigenschaften wie gewöhnliches Erdgas.

Methanisierungsreaktor

Methanisierung spielt auch beim GreenGas-Projekt des Energieversorgers Gaznat in Aigle (VD) eine tragende Rolle. Gaznet ist der offizielle Betreiber des Westschweizer Gasnetzes und dessen Infrastruktur. Auf dem Gelände des Unternehmens wird in einer Power-to-Gas-Anlage überschüssiger Strom per Elektrolyse in Wasserstoff und anschliessend mit CO2 in synthetisches Methan umgewandelt. Der Methanisierungsreaktor wurde speziell für diesen Zweck an der EPFL Lausanne entwickelt. Eine weitere Innovation sind nanoporöse Graphenmembranen – ebenfalls eine EPFL-Entwicklung (s. auch Bericht Seite 6) –, mit denen CO2 aus den Verbrennungsgasen von zwei benachbarten Wärme-Kraft-KopplungsAnlagen abgeschöpft und dem Methanisierungsprozess zugeführt wird. «Allerdings reicht die Menge der Verbrennungsgase für unsere Zwecke nicht aus», sagt Gilles Verdan, Head of Network Activities und designierter CEO von Gaznet. «Wir beziehen deshalb zusätzliches CO2 aus verschiedenen industriellen Anlagen in der Schweiz und tragen so dazu bei, CO2 in den Energiekreislauf zurückzuführen und nutzbar zu machen.»

Ein zweites wichtiges Element des Gaznet-Engagements ist das Innovation Lab, das im August 2023 eröffnet wurde. «Es dient einerseits zum Testen und Überwachen unserer Anlage», erklärt Verdan. «Andererseits möchten wir das Innovation Lab Forschungseinrichtungen und Startups als Testfläche für ihre Entwicklungen zur Verfügung stellen.» Entsprechende Kontakte und Anfragen gebe es bereits – ein deutliches Zeichen dafür, dass das Gas-Potenzial erkannt ist.

Nachhaltig handeln

Europäisches Wasserstoffnetz

Fachleute prognostizieren, dass Wasserstoff in grossen Mengen künftig vor allem in Ländern mit konstant hoher Sonneneinstrahlung oder günstigen Windverhältnissen produziert wird, zum Beispiel in Nordafrika, im Mittleren Osten oder in Australien. Umso wichtiger ist es, dass sich die Politik schon jetzt mit Beschaffungsfragen auseinandersetzt und sich an der Gestaltung eines europäischen Wasserstoffnetzes, des European Backbone, beteiligt. Die Schweiz verfügt bereits über ein hochwertiges, flächendeckendes Gastransportnetz und ist Teil einer wichtigen Nord-Süd-Transitleitung – Vorteile, deren Bedeutung im Rahmen einer gesamteuropäischen Studie 2019 hervorgehoben wurden.

Qualität und Unabhängigkeit der Prüfer entscheidend

Reporting Der Bundesrat plant, die Nachhaltigkeitsberichterstattung an das europäische Regelwerk anzupassen und eine Prüfpflicht einzuführen. Unternehmen sollen sowohl die finanzielle als auch die «Impact»-Wesentlichkeit im Blick behalten – eine Herausforderung für die Firmen und deren Prüfer.

Prüfpflicht nach europäischen Nachhaltigkeitsstandards gelten. ADOBE

Der Bundesrat hat Ende Juni die Details zur erweiterten Gesetzgebung über die Nachhaltigkeitsberichterstattung bekannt gegeben. Die Anpassung der Schwellenwerte an die EU-Standards und die Einführung einer Prüfpflicht sind konsequent. Der Bundesrat sieht die europäischen Standards als Vorbild für Schweizer Unternehmen und möchte andere Standards nur bei Gleichwertigkeit zulassen. Die Kriterien für diese Gleichwertigkeit müssen aber zuerst definiert werden, denn faktisch existiert heute kein anderer Standard, der die doppelte Wesentlichkeit im gleichen Ausmass berücksichtigt. Eine einseitige Bindung wird geschaffen.

Augenmass gefragt

In der Schweizer Rechtstradition setzt man auf eine prinzipienorientierte Rechtsordnung und darauf, weder den Individuen noch den Unternehmen die Wahl der für sie richtigen Vorgehensweise vorwegzunehmen. Es sollte also den Unternehmen überlassen sein, aus einer sinnvollen Auswahl vergleichbarer Standards denjenigen Standard aus-

zuwählen, der den Bedürfnissen ihrer Anspruchsgruppen entspricht – wie es heute an der Börse bei der finanziellen Berichterstattung der Fall ist.

Auch Augenmass und Verhältnismässigkeit sind nötig, um in der KMU-geprägten Schweizer Wirtschaft über die Berichterstattungsübung nicht den erhofften «Impact» aus dem Fokus zu verlieren, weil man zu stark mit der Mechanik der Informationsbereitstellung beschäftigt ist. Es ist genauso wichtig, dass einheitliche Standards zwar die Vergleichbarkeit erlauben, aber nur eine unabhängige Prüfung die Vollständigkeit, Richtigkeit und auch die Wesentlichkeit der Offenlegungen sicherstellen kann.

Folgt man der Bundesverwaltung, so kann man lesen, dass es in Anlehnung an einige wenige europäische Länder jedoch mehr Wettbewerb zwischen den Prüfdienstleistern brauche, um die Kosten der Dienstleistung in einer teuren Regulierungsvorlage zu senken. Daher schlägt der Bundesrat vor, auch Konformitätsbewertungsstellen neu als Prüfer von Nachhaltigkeitsberichten zuzulassen. Nur: Ein Wettbewerb nur um des Preisdrucks Willen ist weder der Unabhängigkeit noch der Qualität der Prü-

«Prüfkompetenz ist der Schlüssel zu einer hohen Dienstleistungsqualität.»

fungsdienstleistungen förderlich. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es dem Prüfer erlauben, seine Rolle unabhängig wahrzunehmen. Nur so kann der Prüfer im Zweifelsfall dem zu prüfenden Kunden auch einmal die gelbe oder rote Karte zeigen und echten Mehrwert für die Berichtsadressaten schaffen.

Gleiche Bedingungen Spannend ist, dass gemäss den Erhebungen des Swiss Audit Monitor 2024 bei einem Wechsel der Prüfstelle die Revisionshonorare bei kotierten Unternehmen über einen längeren Zeitraum gesunken sind. Ein Hinweis darauf, dass der Wettbewerb innerhalb der Branche auch ohne staatliche Intervention funktioniert. Wieso sollte das in der Nachhaltigkeitsberichterstattung anders sein?

Wettbewerb hin oder her, die Prüfkompetenz ist der Schlüssel zu einer hohen Dienstleistungsqualität. Dafür sind zwei Dinge erforderlich: Erstens ein klarer Prüfauftrag mit definiertem Umfang und geklärten Haftungsfragen. Zweitens müssen für alle Prüfer von Nachhaltigkeitsberichten gleiche

Welche Vorschriften müssen KMU beachten?

Bedingungen gelten. Das betrifft den Nachweis der Aus- und Weiterbildung, die Unabhängigkeitsregeln, die Anforderungen an die Qualitätssicherung und die Prüfstandards. Nur vergleichbare Anforderungen für Prüfdienstleister zu definieren, wäre verfehlt und würde zu Qualitätsunterschieden führen. Entscheidend ist die Methodenkompetenz des Prüfers – das weiss auch der Bundesrat. Er ist es, der durch die vorgeschlagenen Anpassungen im Obligationenrecht die Rolle der Revisionsstelle explizit stärkt. Zusammengefasst bedeutet dies: Die Wirtschaft wird wesentliche Ressourcen investieren müssen, um die geforderte Transparenz über Nachhaltigkeitsaspekte bereitstellen zu können. Dabei unterstützt sie der Wirtschaftsprüfer, um eine glaubwürdige, relevante und vollständige Offenlegung sicherzustellen. Darum ist festzuhalten, dass Prüfkompetenz unverzichtbar bleibt, egal, ob die finanzielle oder die nicht-finanzielle Berichterstattung geprüft wird.

Unternehmen Kinderarbeit, Konfliktmineralien, Klimaberichterstattung: Im Nachhaltigkeitsbereich gibt es immer mehr Gesetze. Auch KMU sind gefordert. Unter Umständen empfiehlt es sich für sie, die Unterstützung externer Experten in Anspruch zu nehmen.

MARC HANSLIN, ARNAUD PHILIPPE

Die Missachtung von Nachhaltigkeitsvorschriften kann unterschiedliche Folgen haben. Wenn eine Gesellschaft, die hierzu verpflichtet ist, in der Schweiz keinen oder einen unrichtigen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht, kann ein Verwaltungsrat mit bis zu 100 000 Franken gebüsst werden. Das im Mai beschlossene EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) sieht sogar Bussen von fünf Prozent des weltweiten Umsatzes eines Unternehmens vor. Ebenfalls denkbar sind zivilrechtliche Forderungen. Die Klimaklage gegen Holcim ist ein Beispiel hierfür. Im Fokus der Nachhaltigkeitsvorschriften standen bis jetzt vor allem die grossen Unternehmen. Als Lieferanten dieser Unternehmen treffen sie aber auch vermehrt KMU. Um die eigenen Pflichten erfüllen zu können, werden immer mehr Kunden von ihren Lieferanten Informationen oder Zusicherungen verlangen. Wer diese Informationen oder Zusicherungen nicht geben kann, weil er sich nicht selber frühzeitig in seiner eigenen Lieferkette abgesichert hat, könnte Umsatz verlieren. Die Schokoladenherstellerin Maestrani, ein KMU mit 150 Mitarbeitenden, beschäftigt sich schon länger mit ihrer

Lieferkette. 1987 hat sie die erste biologische Schokolade in Europa hergestellt. Seit 2016 verarbeitet sie nur noch zertifizierte Kakaobohnen. Heute haben 100 Prozent der Kakaobohnen für ihre eigenen Marken sogar ein Fairtrade-Max-Havelaar- und/oder ein BioLabel. Daneben führt Maestrani jährlich eine Lieferantenanalyse durch, bei der insbesondere die Einhaltung des Children’s Right Index geprüft wird. Ausserdem stellt das Unternehmen ein Verfahren bereit, das genutzt werden kann, um einen Verdacht auf Menschenrechtsverletzung zu melden. Über ihre Massnahmen zur Einhaltung von Menschenrechten veröffentlicht Maestrani einen Bericht, der seit diesem Jahr für Schweizer Unternehmen mit erhöhtem Risiko für Kinderarbeit bei ihren Lieferanten Pflicht ist. Betreffen wird Maestrani auch die EU-Entwaldungsverordnung, deren Inkrafttreten die EU-Kommission um 12 Monate auf 2026 verschieben will. Ihr zufolge dürfen Produkte wie Kaffee und Schokolade nur noch mit einer besonderen Sorgfaltserklärung in die EU eingeführt werden. Direkt anwendbar sind auf Schweizer KMU heute noch wenige Nachhaltigkeitsvorschriften. Sorgfaltspflichten gelten für KMU, die Mineralien oder Metalle aus Konfliktgebieten in die Schweiz

einführen oder hier bearbeiten und die gesetzlichen Mindestmengen überschreiten. Unternehmen, die zur ordentlichen Revision verpflichtet sind, müssen in Bezug auf Kinderarbeit zumindest eine Risikoprüfung durchführen. Eine Schätzung im Auftrag des Bundes geht davon aus, dass diese Vorschriften zu Konfliktmineralien oder Kinderarbeit bis zu 1200 Unternehmen erfassen. Rohstofffirmen sind ab einer gewissen Grösse verpflichtet, einen Bericht über Zahlungen an staatliche Stellen zu veröffentlichen. Die Gesetzgebung geht aber weiter. Die EU hat im Juli mit dem Lieferkettengesetz umfangreiche Vorschriften erlassen mit dem Ziel, den Schutz von Menschenrechten und Umwelt auszubauen. Das EU-Lieferkettengesetz wird in den nächsten Jahren gestaffelt von den EU-Mitgliedsländern umgesetzt und soll ab dem Geschäftsjahr 2028 auch für erste Schweizer Unternehmen verbindlich werden, ab dem Geschäftsjahr 2029 dann für alle mit einem Umsatz von mehr als 450 Millionen Euro im EU-Raum. Im Juni hat der Bundesrat eine Vorlage zur Verschärfung der Schweizer Nachhaltigkeitsvorschriften in die Vernehmlassung geschickt. Der Bundesrat schlägt insbesondere vor, dass auch KMU ab 250 Vollzeitstellen, 25 Millio-

«Das Lieferkettengesetz der EU sieht sogar Bussen von fünf Prozent des weltweiten Umsatzes eines Unternehmens vor.»

nen Franken Bilanzsumme und/oder 50 Millionen Franken Umsatz einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen müssen, wie dies kotierte Unternehmen in diesem Jahr zum ersten Mal getan haben. Die Schwellen entsprechen jenen der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD). Der Kreis der betroffenen Unternehmen wird aber weiter gezogen als unter dem EU-Lieferkettengesetz, das Unternehmen, die nicht mehr als 1000 Mitarbeitende und einen Umsatz von mehr als 450 Millionen Euro haben, ausnimmt. Auch wenn sich vieles erst noch entwickelt, werden gerade exportorientierte KMU nicht umhin kommen, sich mit Nachhaltigkeitsvorschriften auseinanderzusetzen – eine Herausforderung für viele. Ein erster Schritt ist, sich einen Überblick über die auf sie und ihre wichtigsten Kunden anwendbaren Vorschriften zu machen. Ein zweiter Schritt wäre eine eigene Risikoanalyse, um in einem dritten Schritt gegebenenfalls konkrete Massnahmen umzusetzen. Aufgrund der Komplexität kann dies Zeit und auch den Beizug von externen Beratern erfordern.

und

JOACHIM BEIL
Marc Hanslin
Arnaud Philippe sind beide Partner bei der Kanzlei Kellerhals Carrard für Gesellschaftsrecht und Nachhaltigkeit.
Joachim Beil Leiter Nachhaltigkeit bei Expertsuisse
Joachim Beil, M.A. HSG und dipl. Wirtschaftsprüfer, ist Mitglied der Geschäftsleitung von Expertsuisse und Leiter Nachhaltigkeit.
Für Schweizer Unternehmen soll bald eine

«Ohne nachhaltiges Bauen werden die Klimaziele unerreichbar bleiben»

Interview Der renommierte Architekt und Ingenieur Werner Sobek gilt als Pionier im Bereich des nachhaltigen Bauens. Im Interview mit Sustainable Switzerland spricht er über die Herausforderungen und Chancen in der Baubranche und macht deutlich, welche globalen Konsequenzen ohne tiefgreifende Veränderungen drohen.

Herr Sobek, wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Nachhaltigkeit in der Baubranche?

Werner Sobek: Ich beobachte – trotz der schwierigen Randbedingungen in der Baubranche – eine Aufbruchsstimmung. Das Verständnis von Planenden und Bauherren für die Notwendigkeit einer radikalen Transformation unserer gebauten Umwelt ist in den letzten zehn Jahren deutlich gewachsen. Wir müssen den Begriff der Nachhaltigkeit im Bauen aber weiter fassen, als dies bislang der Fall ist. Im Kern muss es um das kreislaufgerechte Bauen gehen, den Einsatz von Rezyklaten und die Reduzierung von Emissionen – nicht nur um das Einsparen von Energie.

Welche Fortschritte beobachten Sie konkret?

Kreislaufgerechtes Bauen und der Einsatz von Rezyklaten werden mittlerweile weltweit an verschiedenen Orten erforscht. Dabei geht es um die Frage, was der Einsatz von Rezyklaten bedeutet und wie man diese qualitativ bewerten und – gegebenenfalls – normieren kann. Besonders weit vorangeschritten sind hierbei die Schweiz, Österreich, Deutschland und Frankreich sowie die skandinavischen Staaten und China.

Wie gross ist der Beitrag der Bauwirtschaft an den globalen CO2-Emissionen?

Laut der Internationalen Energieagentur beträgt der Beitrag des Bauwesens an den globalen CO2-Emissionen etwa 40 Prozent. Meine eigenen Recherchen legen jedoch nahe, dass dieser Anteil deutlich höher ist und zwischen 50 und 53 Prozent liegt.

Wie erklären Sie sich die Diskrepanz in den CO 2-Berechnungen zwischen Ihrer Forschung und der Internationalen Energieagentur?

Die IEA bezieht einige Emissionsquellen wie Infrastrukturbauten und transportbedingte Emissionen nicht oder nur unvollständig in ihre Berechnungen mit ein. Diese spielen jedoch bei den Emissionen im Bauwesen eine wesentliche Rolle. Gemeinhin glaubt man, dass das Bereitstellen von Raumwärme und warmem Wasser die meisten umweltschädlichen Emissionen verursacht. Daher gibt es Vorschriften für die Energieeffizienz von Gebäuden. Doch die Ursachen für die klimaschädlichen Emissionen der gebauten Umwelt sind vielfältiger. Ein grosser Teil der Emissionen entsteht bei der Herstellung der Baustoffe, bei ihrer Überführung in Bauteile und ihrem Einbau in Gebäude oder Infrastrukturbauten sowie bei allen damit zusammenhängenden Transportvorgängen.

Welche konkreten Massnahmen erachten Sie als notwendig, um diese Emissionen effektiv zu reduzieren? Im Vordergrund sollten Materialien stehen, bei deren Herstellung keine oder nur geringe klimaschädliche Emissionen entstehen. Materialien, auch Rezyklate, die lokal beziehungsweise regional vorhanden sind und die nicht über grosse Distanzen transportiert werden müssen. Daher wird man meiner Meinung nach im Bauwesen in Zukunft deutlich häufiger mit einem Mix an Materialen arbeiten – auch was den Rohbau betrifft. Zudem müssen wir den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes betrachten und die Frage «Was ist am Ende?» stärker berücksichtigen als bisher.

Was ist am Ende? In Süddeutschland zum Beispiel kann der Schutt von Abbrucharbeiten oft nicht mehr endgelagert werden, weil die Deponien an ihre Kapazitätsgrenzen stossen. Der Bauschutt wird dann bei-

spielsweise in den Süden von Polen gefahren. Wenn aber ein Kubikmeter Betonschutt von München über mehrere Hunderte von Kilometern abtransportiert wird, dann emittiert der Lkw bei dieser Fahrt ähnlich viele klimaschädliche Gase, wie bei der Herstellung der gleichen Menge Beton emittiert werden. Transportbedingte Emissionen müssen also bei der Berechnung der Nachhaltigkeit unserer Gebäude berücksichtigt werden. Hinzu kommt der Gesichtspunkt, welchen Aufwand das Rezyklieren eines zurückgebauten Bauwerks erfordert und welche Emissionen dabei entstehen.

Welche Baustoffe halten Sie unter Berücksichtigung der gesamten Prozesskette für am nachhaltigsten?

Es gibt keine Baustoffe, die grundsätzlich «gut» oder «schlecht» sind. Jedes Material muss im Kontext betrachtet werden. Holz etwa ist dann nachhaltig, wenn es regional verfügbar ist und in der Prozesskette wenig Material verloren geht. Bei Stahl hängt die ökologische Bewertung stark von der Produktionsweise ab, ähnlich wie bei Beton, dessen CO2-Emissionen auch durch emissionsarme Zemente und sparsamere Verwendung, zum Beispiel durch Gradientenbeton, gesenkt werden können.

Eignen sich auch rezyklierte Baustoffe? Absolut! Rezyklierte Baustoffe können genauso qualitativ hochwertig sein wie Primärmaterialien. Es geht darum, Sekundärbaustoffe sinnvoll in den Kreislauf zurückzuführen und wiederzuverwenden beziehungsweise wiederzuverwerten. Dafür muss aber auch ein Umdenken stattfinden: Viele Menschen glauben immer noch, dass es sich beim Bauen mit Rezyklaten um ein Bauen mit minderwertigem Material handelt. Sie fordern bereits seit Jahren ein Umdenken, dennoch findet der Wandel nur langsam statt. Sind Sie als Experte manchmal frustriert, dass faktenbasierte Argumente in der breiten Bevölkerung nur bedingt Gehör finden? Ja, das ist oft enttäuschend. Die Werkzeuge und Methoden für ein nachhaltiges Bauen haben wir ja entwickelt, sie liegen in grossem Umfang vor. Ich sage: Wir haben kein bautechnisches, sondern ein soziologisches Problem. Die Menschen erkennen die Probleme, sie handeln aber nicht entsprechend. Wir haben beispielsweise im Jahr 2024 in Deutschland einen Boom bei der Installation von Gas- und Ölheizungen zu verzeichnen. So etwas ist gesamtgesellschaftlich und im Angesicht kommender Generationen unverantwortlich.

Halten Sie strengere gesetzliche Vorschriften für notwendig, um den Wandel im Bauwesen zu beschleunigen? Das Bauen ist schon jetzt teuer und was die Regelungen betrifft, viel zu reguliert und viel zu kompliziert. Wollen wir vor diesem Hintergrund tatsächlich noch mehr gesetzliche Vor-

gaben? Ich denke, wir sollten die wenigen zu stellenden Forderungen als Ziele formulieren. Also recyclinggerechtes Bauen, umfassender Einsatz von Rezyklaten, keine Emissionen bei Herstellung, Betrieb und Rückbau. Diese Zielsetzungen lassen sich kurz und knapp in Gesetzesform bringen. Jeder wird sie verstehen. Alle bisherigen Gesetze, die eigentlich Massnahmenkataloge sind, können dafür entfallen.

Warum handelt die Politik nicht entschiedener?

Viele Politikerinnen und Politiker sind besorgt. Ein Teil der Sorgen entsteht durch die Erkenntnis, die Zusammenhänge nicht umfassend genug zu verstehen, um optimal handeln zu können. Hinzu kommt die grosse Sorge vor einer sozialen Destabilisierung der Gesellschaft: Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander, die Gesellschaft polarisiert sich, viele begeben sich in politische Apathie, weil sie glauben, so oder so nichts bewirken zu können. Es gibt jene, die vor grossen Krisen warnen, und jene, die ihren Lebensstil partout nicht ändern wollen. Alle diese Konflikte haben eine grosse Sprengkraft für unsere Gesellschaft. Zudem verunmöglichen wir die dringend benötigte internationale Zusammenarbeit, indem unsere Politiker permanent Konfrontationspositionen auf- anstatt abbauen und dadurch Konflikte bis hin zu Kriegen induzieren.

Aber das Erreichen der Klimaziele ist ohne eine Veränderung hin zur nachhaltigen Bauwirtschaft nicht möglich? Nein, das ist ausgeschlossen. Mit dem Bauwesen haben wir den grössten Hebel überhaupt, um die globalen Emissionen zu reduzieren.

Ist der Mensch Ihrer Meinung nach überhaupt in der Lage, die Klimaerwärmung doch noch in Schach zu halten? Ich spreche immer von einer Klimakatastrophe, denn eine Krise ist gekennzeichnet von einem Anfang und einem Ende – und ein Ende wird es bei der aktuell zu beobachtenden Erderwärmung so schnell nicht geben. Die CO2-Emissionen der Menschheit sind im letzten Jahr gestiegen, nicht gesunken. Es wird uns vielleicht gelingen, den Anstieg der durchschnittlichen Temperaturen zu verlangsamen, irgendwann wird es dann sicher auch ein Einpendeln auf eine neue Erdmitteltemperatur geben – falls wir unser Emissionsverhalten in den Griff bekommen. Von den Zielen, die einst in Paris vorgegeben wurden, sind wir aber weit entfernt.

«Wir müssen den gesamten Zyklus eines Gebäudes betrachten», betont Prof. Werner Sobek. RENÉ MÜLLER
Werner Sobek mit Dirk Hebel und Felix Heisel.

So könnte der nachhaltige Städtebau der Zukunft aussehen.

Wie er wirklich wird, liegt in unserer Hand.

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