KONTRAST AUSGABE NR.7
L
E-BÖ L OBA EB E- Ö
SING
HT S C
HT S
C
SING
ACH
HT S C SE O R
ÖRSE
Ö
SE
O
Die Meinungen über Tinder gehen weit auseinander. obacht ist sich nicht sicher, ob sich das Modell wirklich bewährt hat und geht zurück zum oldschool Blind-Dating.
B
obacht hat einige Singles, die bereit für ein neues Abenteuer und die neue Liebe sind. Euch hat eine der Anzeigen besonders gefallen und ihr wollt die Person unbedingt kennen lernen? Dann schreibt uns an obachtmagazin@gmail.com wen ihr treffen wollt und wir verbinden euch nicht nur mit der richtigen Telefonnummer, sondern auch mit dem Herzen.
OBAC
H
E
ACHT
R
B
männlich 22 Kein Mensch ist illegal, aber ich sehe verboten gut aus. (Der war schon sehr an der B Grenze...)
R
SING
L
E-
weiblich 22 Kombination aus Öko und Tussi und aus Engel und Bengel sucht offenen, lebensfrohen, berlinesken Liebhaber zum Pferde stehlen. L G E Hit me up, die Frau I N mit den zwei Namen.
OBA
B
S
T
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-B
SING ÖRS
ACHT BG L E N
B
LE-B
R
männlich 24 Mann aus Stadt sucht Frau vom Dorf zum Pferde betäuben. – Sören Halbtrocken, aber für dich werde ich auch lieblich.
I ACHT
G
ACHT
sind tief? Rezeptur: -BÖ E L 4 cl Quatschen, 2 cl Schmusen und dann auffüllen mit Spritzigkeit. Fertig ist die Alina Colada.
weiblich 22 Ich suche muskulösen Gentlemen mit einem windschnittigen Benz. Aber wenn die Vagina ja sagt, sind die Muskeln auch egal. – Fixi
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B weiblich 22 Stille Cocktails
E
-B ÖRS Was wären die Höhen ohne die Tiefen? Ich glaube, diesen Klischee-Satz hat jeder schon einmal in kitschigen Liebesfilmen gesehen, in Romanen gelesen oder in schlechten Zeiten gesagt bekommen. Denkt man mal genauer darüber nach, erkennt man, wie viel Wahrheit dahinter steckt. Ich meine, woran denkst du, wenn du das Wort „Kontraste” hörst? An die mehr oder weniger offensichtlichen Dinge, wie schwarz und weiß, arm und reich, groß und klein, Regen und Sonne? Oder denkst du an die Farbkontraste aus dem Kunstunterricht, damals in der 10. Klasse?
LIEBE LESERINNEN UND LESER,
Immer wieder wurde uns erklärt, dass diese Farbkontraste sich gegenseitig beeinflussen und voneinander abhängig sind. Doch nicht nur bei Farben ist das der Fall: Kontraste findet man überall. Sie sind ein großer Bestandteil unseres Lebens und oft unterschätzen wir, wie sehr sie unser Denken oder Situationen beeinflussen. Häufig sind sie in Geschichten versteckt. Aus diesem Grund haben wir eben diese Geschichten in den nächsten 62 Seiten erzählt. Bevor es losgeht: Erneut ein großes Dankeschön an dich. Dafür, dass du dieses Magazin, die 7. Ausgabe der obacht, in der Hand hältst. Mit vielen neuen, jungen und ambitionierten Redaktionsmitgliedern haben wir an dieser Ausgabe gearbeitet und freuen uns, dass du sie nun lesen kannst. Es ist die vorerst letzte obacht-Ausgabe dieser Art, denn wir zeigen Mut zur Veränderung. So viel kann ich sagen: Wir beugen uns der Digitalisierung und werden schon bald online zu sehen sein. Wir halten dich auf dem Laufenden und freuen uns auf weitere Geschichten. Was wären wir ohne unsere Leser und Leserinnen?
Eure Luisa Sophie Hannke, Chefredakteurin
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INHALT
12
6 ― Wer ist der Mann? von Julian Entrup-Galindo
BERLINESKE 10 ― Vom Dorf in die Stadt
21
KONTRAST 18 ―
von Anton Graff 21 ―
24 ―
27 ―
Der 20.000 normale Dienstag von Luisa Sophie Hannke
14 ― Nachtschwärmer von Julian Entrup-Galindo
Flyin' Solo von Lucie Viktoria Kieschke
von Eva Maria Christiansen & Josefine Friedrich
Bist du jetzt Luisa oder Anna? von Luisa Sophie Hannke
von Marie Klasen 12 ― Piano im Pool
Zwischen Ablenkung und Achtsamkeit
29 ―
Ich bin kein Berliner von Felix Bandemer
30 ―
Die Stadt ist zu klein für mich und mein Ego von Lucie Viktoria Kieschke
32 ―
Für eine Handvoll Anerkennung
Cover von DANIEL SCHRECK
von Marius Dobers
4
35 ―
Schadet Spotify den Musikern? von Sophie Schröder
44
58
TAGEBUCH
KULTUR
38 ― Schreien
50 ―
Was ist dein Lieblingsfilm?
52 ―
Planlos glücklich
von Anonym 40 ― Pfarrerskinder (Lehrersvieh)...?
von Laura Leuck
von Eva Braungart 55 ― 41 ― Boys or Girls?
Cinematic Universe von Marius Dobers
von Anonym 56 ― 44 ― Giesela Kloppke
Hovey Benjamin von Marius Dobers
von Anton Graff 58 ― 46 ― Horoskope
Freiraum + Barbara Malagoli
von Lucie Viktoria Kieschke 62 ―
Eventkalender
63 ―
Impressum
Schon wieder alle Lieder in deiner Playlist überhört? Wir kennen das zu gut. Wir wollen uns nicht nur kreativ austauschen, sondern auch auf der Gefühlsebene. obacht hat alle Lieblingslieder der Redaktion gesammelt und nun in einer Playlist zusammengewürfelt. Die Mischung ist wie wir – wild, divers, abwechslungsreich und auch ein bisschen chaotisch. Die ausgewählten Lieder begleiten uns im Alltag und beim Schreiben, wenn die Kreativität mal wieder fließen muss. Aber natürlich auch dann, wenn wir eigentlich lernen sollten ― es aber nicht tun, mit einem Bier in der Hand im Park sitzen oder einfach nur abschalten wollen. Scanne den Spotify-Code auf dieser Seite oben rechts ein und höre den Sound von obacht#7. Dein Lieblingslied darf natürlich auch nicht fehlen! Füge es einfach der Playlist hinzu! 5
WER IST DER MANN? Text von JULIAN ENTRUP-GALINDO
E
s gibt Fragen, die sollten nicht gestellt werden. Klar, eine Dame wird nicht nach dem Alter gefragt. Auch die Frage nach dem Gehalt eines Gegenübers kann zu pikierten Blicken führen. Und natürlich der Klassiker, ob denn der langersehnte Hogwarts-Brief endlich angekommen ist. Nein verdammt, er ist noch nicht da. Hier soll aber eine Frage geklärt werden, die nur ein paar wenige von uns betrifft, bzw. die nur ein paar wenigen von uns gestellt wird. Mit ein paar wenigen meine ich von Einhörnern geküsste, in Glitter getunkte und mit dem Segen Madonnas (an dieser Stelle alles Gute nachträglich zum 60.) getauften, LGBTQIPRSXOXOXSPDH&MLOLOMG Menschen. Also alle, die nicht heterosexuell sind und andere sexuelle Neigungen haben, als das gegenteilige Geschlecht. Die Frage ist simpel, so simpel, dass es den meisten wohl gar nicht auffällt, was sie da gerade für einen Stuss fragen. Na klar, die Rede ist von der: „Wer von euch beiden ist eigentlich der Mann und wer ist die Frau in der Beziehung?“-Frage. Selbsterklärend wird diese Frage überwiegend an Paare gestellt. 6
KOLUMNE ― KONTRAST
„Die Frage ist simpel, so simpel, dass es den meisten wohl gar nicht auffällt, was sie da gerade für einen Stuss fragen.“
Es ist und bleibt eine Frage, die auf fast jedem gesellschaftlichen Ereignis, von meistens den Leuten gestellt wird, die man gerade erst kennengelernt hat. Sie ist nicht einmal böse gemeint, ganz im Gegenteil: Durch diese Frage wurde gleichzeitig offen bekundet, wie schön es doch ist, dass gleichgeschlechtliche Paare mittlerweile heiraten dürfen, der eigene Onkel auch schwul ist und ob man ihn kennt. Er wohnt zwar mehrere hundert Kilometer weit weg, in einer Stadt dessen Namen man davor noch nie gehört hat, doch jetzt kennt man dort den schwulen Onkel einer mehr oder minder unbekannten Person und wenn einen die Lust packt, hätte man dort sicher einen Schlafplatz ― Danke. Nein, eine böse gemeinte Frage ist es wirklich nicht. Es ist eine Frage, die für Klarheit schaffen soll, in einer Welt, die ohnehin schon sehr kompliziert ist. Weltpolitik, Gebrauchsanweisungen, Steuererklärung und, quasi als Kirsche auf der Torte, Paare die nicht aus einem Mann und einer Frau bestehen. Trotzdem muss das doch in irgendeine Schublade passen, wie Gebrauchsanweisungen in Schuhkartons. Doch dem ist nicht so, denn ohnehin können auch die Homos diese Frage nur schwer beantworten. Schließlich befindet man sich in einer Mann-Mann oder Frau-Frau Beziehung. Das gegenteilige Geschlecht spielt keine Rolle in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung, weil es einfach nicht existiert. Worauf soll also geantwortet werden? Wenn die heterosexuellen Fragesteller ihre Frage ehrlich formulieren würde, würde diese wohl eher so ausfallen: „Wer von euch macht die Wäsche?“, „Wer von euch bringt das Geld nach Hause?“, „Wer von euch kümmert sich um die Kinder?“. Doch das ist unschicklich, das gehört sich nicht. Wer der Mann in der Beziehung ist, funktioniert viel besser um nicht zu neugierig zu wirken. Eine klare Antwort wird es aber auf diese Frage nicht geben. Es gibt zwar Männer mit stereotypisch weiblichen Zügen und Frauen mit männlichen, trotzdem haben sie entweder einen Penis oder eine Vagina zwischen den Beinen klemmen, die sie als Mann oder Frau kennzeichnet, biologisch und sozial. Darüber hinaus sind klassische Rollenvertei-
lungen in homosexuellen Beziehungen weniger bis kaum vertreten, wie das New Yorker „Families and work - Institute“ vor einigen Jahren herausfand. Dies hat die logische Konsequenz zur Folge, dass gleichgeschlechtliche Paare vermeintlich glücklichere Beziehungen führen, da die Aufgaben im Haushalt und die Erziehung der Kinder besser geteilt werden. Auch der Verdienst ist bei homosexuellen Haushalten angeglichener an den Partner, was streng genommen ärgerlich ist, da Frauen dasselbe verdienen sollten wie Männer. Ein trauriges Überbleibsel einer machistischen Welt. Doch nennen wir das Kind nun beim Namen. Was die Menschen wirklich interessiert bei der Frage nach dem Mann in der Beziehung ist doch, „Wer fickt wen?“. Das ist die Info, die gebraucht wird um ein wenig Normalität in ein von der Norm abweichendes Beziehungsmodell zu bekommen. Schließlich haben auch heterosexuelle Frauen durchaus Analverkehr. Das zeigen uns Pornos, was bedeuten muss, dass derjenige der in der Homobeziehung überwiegend „einsteckt“ die Frau ist. Das heißt allerdings nicht, liebe heterosexuelle Männer, dass dieses Vergnügen ausschließlich Frauen und homosexuellen Männern vergönnt ist. Probiert es ruhig aus. Wer nun einsteckt und wer nicht ist eine sehr intime Information und deswegen ist es unverschämt danach zu fragen. Es geht niemanden etwas an, was in den Schlafzimmern anderer Leute vor sich geht. Wer es erzählen will kann es erzählen, solange der Gegenüber es auch hören möchte. Also merkt euch, fragen ist Silber, sich manche Fragen zu verkneifen Gold. Niemand möchte, dass die eigene Männlichkeit oder Weiblichkeit in eine Schublade gezwängt wird, nur damit es dem Bild der Rollenverteilung des Gegenübers entspricht. Darüber hinaus sollte auch bedacht werden, dass wir uns im 21. Jahrhundert befinden. Rollenverteilungen sind Müll, der endlich aus unseren Köpfen verschwinden sollte, um Mann und Frau gesellschaftlich in allen Bereichen gleichzustellen. Mein Partner und ich jedenfalls bleiben Männer und wir lassen uns in keine Rollenbilder zwängen. Das wäre ein Betrug gegen unsere Sexualität. 7
KONTRAST Foto von DANIEL SCHRECK
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14 ― Nachtschwärmer JULIAN ENTRUP GALINDO
10 ― Vom Dorf in die Stadt MARIE KLASEN
12 ― Piano im Pool EVA MARIA CHRISTIANSEN & JOSEFINE FREDRICH
N E S K E
B E R L I
Vom Dorf in die Stadt Von Hankensbüttel nach Berlin. Alles ist anders. Menschen, Fashion, Beziehungen, das Leben. Raus aus der Gemeinschaft, rein in die Gesellschaft. Nach dem Abi hieß es für mich, wie für viele, Umzug in eine Großstadt. Rein in eine Umgebung, in der in einer Straße so viele Menschen wohnen, wie zusammen in meinem ganzen Ort. Vom idyllischem großen Landhaus in eine kleine Wohnung. Was macht das mit mir? Verändert man sich? Wofür müsste man sich entscheiden? Text von MARIE KLASEN
D
as Leben in einer Stadt bietet Vorteile, die für die meisten Menschen so normal sind, dass es einem fast unnötig erscheint, diese zu erwähnen. Die Selbstverständlichkeit, dass man alles was man zum Leben braucht um die Ecke hat. Alles ist erreichbar, zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Diese fahren regelmäßig. Eine Freundin, die in der Stadt wohnt, erzählte mir, dass sie noch keine Lust habe, ihren Führerschein zu machen. Für mich unvorstellbar. Jeder aus meiner Umgebung fieberte damals seinem 18. Geburtstag entgegen, um endlich frei zu sein und die Unabhängigkeit von den Eltern zu genießen. Doch jetzt wo ich in Berlin wohne, verstehe ich sie mehr denn je. Ein Auto lohnt sich hier nicht wirklich. Es kostet Geld, einen Parkplatz findet man nie und im Zweifel sind die öffentlichen Verkehrsmittel bei Stau sogar schneller. Dass Läden und Boutiquen immer erreichbar sind, bekam mein Geldbeutel am Anfang deutlich zu spüren. Im ersten Monat war ich im absoluten Shoppingrausch. Mein Kleiderschrank füllte sich, während sich mein Konto klammheimlich ins Minus begab. Das lag einerseits sicherlich am Angebot im Überfluss, andererseits fühlte ich mich nicht mehr wohl in meinen Klamotten. Sie waren mir auf einmal zu schlicht und langweilig geworden. Ich brauchte neue Sachen und musste mich erstmal damit auseinandersetzen. Welcher Stil passt zu mir und wer möchte ich sein? Es macht mir Spaß, mich zu entfalten und auszuleben. Ich trage Dinge, mit denen ich mich identifizieren kann. Man ist wandelbar und kann jeden Tag jemand anderes sein. Auf dem Land gibt es keine großen Unterschiede. Natürlich tragen nicht alle dasselbe, dennoch würde ich mich zuhause nicht so ausgefallen kleiden, wie in der
10
Stadt. Berlin ist das beste Beispiel für einen ausgefallenen Stil. Je schriller und bunter, desto besser. Hauptsache kein Einheitsbrei. Was für manche lächerlich und fast verrückt aussieht, ist hier gerade normal genug. Auf dem Weg zur Uni laufen mir jeden Tag hunderte Menschen über den Weg. Gesichter, die man sofort wieder vergisst. So viele Personen mit ihren eigenen Leben und eigenen Problemen. Ich frage mich, was sie denken. Realisieren sie meine Anwesenheit oder ist es für sie schon so normal, dass sie fremde Menschen kaum noch wahrnehmen? Da treffe ich jeden Tag so viele Menschen und bin doch so viel einsamer und anonymer als Zuhause. Wenn ich ein Wochenende nach Hause fahre, grüße ich in den ersten Ortschaften schon mindestens drei Autofahrer. Man kennt jeden, das ist positiv wie negativ. Da werden auch schon mal zehn Kilometer in Kauf genommen, um in ein anderes Einkaufszentrum zu fahren und in Ruhe zu stöbern. Egal was du hier machst, irgendjemand bekommt es mit. Gerüchte, Familiendramen... eins ist sicher: rauskommen wird es immer. Dieses Klischee stimmt ohne Zweifel. Große soziale Unterschiede kannte ich nicht wirklich. In Berlin merke ich das erste Mal, wie schlecht es manchen Menschen gehen kann. Obdachlose, die Flaschen sammeln müssen. Ein Porsche, der an einer Ecke abbiegt, an der andere gerade versuchen, ihr Leben schön zu trinken. Ich spüre erst jetzt, wie behütet ich aufgewachsen bin. Kriminalität, Gewalt, Drogen… was hat man davon schon mitbekommen? Klar solche Dinge geschehen auch auf dem Land, aber kaum so extrem oder so häufig. Ich fühlte mich so unschuldig, fast naiv, dass mich diese Bilder so zum Nachdenken anregten. Auch auf dem Land gibt es einige Menschen, die oft zu tief ins Glas schauen. Das sind offene Geheimnisse. Diebstahl und andere Verbrechen
KONTRAST
geschehen auch, trotzdem wissen die Polizisten dann oft schon, bei welcher Haustür sie klingeln müssen. Nachtleben: In Berlin bleiben hier keine Wünsche offen. Wer will, kann hier jeden Tag feiern gehen. Verschiedenste Musikrichtungen mit den verschiedensten Menschen: das reinste Paradies. Mehr Möglichkeiten gibt es kaum anderswo. Es macht mir Spaß, man lernt leicht Leute kennen und die witzigsten Geschichten passieren meist auf dem Weg zum Club. Doch wer jetzt denkt, dass auf dem Dorf nichts los ist hat weit gefehlt! Fast jedes Wochenende findet irgendwo eine Party statt. Warum so viele, fragst du dich? Naja… was soll man anderes machen? Ich merkte schnell, dass ich Zuhause mehr feierte, als in Berlin. Bei dem, der am nächsten am Veranstaltungsort wohnt, wird vorgeglüht. Das Standard-Getränk ist, neben Bier und Cola, Fanta-Korn. Wer es nicht kennt, sollte es probieren. Es ist immer noch meine persönliche Lieblingskombi. Die Trinkfestigkeit mancher Jungs ist schon bemerkenswert, vielleicht nicht für alle erstrebenswert. Da muss man schon von einer richtigen Trinkkultur sprechen. Aber wie bereits erwähnt, was soll man anderes machen?
Illustration von JOHANNA GROß
Einer opfert sich und macht den Fahrer, wenn nicht ein nettes Elternteil einspringt. Diese familiäre Unterstützung des Alkoholkonsums ist für Freunde von mir aus der Stadt unvorstellbar. Geschweige, selber die betrunkenen Freunde durch die Gegend zu chauffieren. Abstriche muss man sicherlich bei der Musik machen. Dennoch vermisse ich es, in Berlin bekannte Gesichter zu sehen. Nur fremde Personen im Club. Auf dem Dorf tanzt du dich von einer Gruppe zur anderen. Jeder gibt jedem einen aus. Dann flippt man auch zum hundertsten Mal bei „Yeah!“ von Usher aus. Als Mädchen kommst du mit 15€ gut über den Abend. Die Jungs kümmern sich gut um uns. In Berlin kommst du mit dem Geld nicht weit. Feiern ist teuer, weshalb man sich zweimal überlegt, ob man in einen Club geht oder nicht. Zum quatschen muss man dann eh meist raus. Oft lässt einen die Musik die ganze Nacht durchtanzen. Dazu muss man bei mir Zuhause schon einen gewissen Pegel erreicht haben. Wo gefeiert wird, dauert es nicht lange, bis man die ersten Pärchen oder auch Nicht-Pärchen auf der Tanzfläche sieht. In einer Großstadt hat das kaum irgendwelche Folgen und bis auf die zwei glücklichen, wird es nur bei den Freunden hängen bleiben, mit denen man unterwegs war. Auf dem Dorf ist das anders. Ein One-Night-Stand ist hier praktisch nicht möglich.
Man kennt sich halt. Beim Katerfrühstück wird mit Freundinnen oft erstmal Resümee gezogen. Wer mit wem, wann und wie. Man sieht wie Beziehungen entstehen und wie sie enden. Die große Auswahl der Stadt hat man hier nicht. Ich bin mir da selber nicht sicher, ob das was Schlechtes ist. Vielleicht ist man manchmal zu wählerisch. Man will immer den perfekten Partner, anstatt ihn anzunehmen, wie er ist. Obwohl alle Freunde von mir praktisch nicht mehr zuhause wohnen, sind noch relativ viele in Beziehungen mit Leuten aus der Gegend. Das mag viele Gründe haben, aber ich finde es schon bemerkenswert. Dennoch würde man manche Party-Geschichten wohl lieber ungeschehen und unbemerkt lassen, was leider nicht so einfach ist. Das Leben auf dem Dorf scheint ganz nett zu sein, aber ist es nicht einfach praktischer in der Stadt zu leben? Fühlt man sich nicht vielleicht mehr im Leben, mehr in der Gesellschaft? Das mag für manche zutreffen, aber wollen viele von uns später wieder zurück aufs Land ziehen. Der größte Grund hierfür ist die Kindheit. Da kann ich der Stadt nicht viel abgewinnen. Wir waren frei und selbstständig. Die Welt gehörte uns. Man rief nur kurz „Ich bin um 8 Uhr wieder zuhause!“ und war weg. Die ganze Welt war ein Abenteuerspielplatz. Auf Bäume klettern, durch Bäche laufen. Alleine mit dem Fahrrad unterwegs sein. Ich bin sehr dankbar, dass ich so selbständig aufwachsen konnte. Die Frage, ob ich eine schöne Kindheit hatte, stellte sich mir nie. Bis ich merkte, dass dies nicht selbstverständlich war. In einem eigenen Haus mit großem Garten zu wohnen, in dem man rennen und toben kann. Ich kann mir nicht vorstellen, meine Kinder einmal in einer kleinen Wohnung großzuziehen und so geht es vielen Freunden von mir auch. Doch bis dahin genieße ich noch mit großem Vergnügen die Vorteile einer Großstadt wie Berlin. Man ist dann auch froh, mal wieder los zu müssen und freut sich dann doch wieder etwas in die Anonymität zu entfliehen, weg von dem Alltag zuhause. Denn so frei, wie man sich als Kind gefühlt hat, so frei fühle ich mich nun endlich auch in Berlin. Ich glaube es ist wie überall im Leben: Die Dosis macht den Unterschied. Ich bin froh zu kommen und zu gehen und den anderen geht es genauso. Entscheiden will ich mich gar nicht. Muss man das überhaupt? Irgendwann hast du auch in der Stadt dein Viertel, deine Leute, die du siehst und das ist auch gut so. Denn es kommt doch immer auf die Menschen an, mit denen man seine Zeit verbringt.
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Fotos von SPINGUN FILMS
Piano im Pool Interview von EVA MARIA CHRISTIANSEN & JOSEFINE FRIEDRICH
Wenn man sich den Chef einer Firma, wie zum Beispiel der Vogue vorstellt, denkt man wahrscheinlich an einen Anzugträger im mittleren Alter. Jack und Torge, die Gründer von Spingun, sind allerdings das komplette Gegenteil. Jack ist 25 und Torge 23 Jahre alt. In einem Berliner Hinterhof befindet sich das Büro ihrer Produktionsfirma. An den Wänden hängen Bilder ihrer Projekte und ein Kanu. In der Mitte des Büros sitzen wir den beiden an einem hölzernen Tisch gegenüber und lauschen.
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KONTRAST
Wie kam es zu der Gründung von „Spingun“? Jack: Wir haben uns vor vier Jahren
in Miami am Strand getroffen und uns sofort gut verstanden. Wir beschlossen, ein gemeinsames Miami-Video zu drehen. Eine Woche lang arbeiteten wir Tag und Nacht daran und versuchten es dann an verschiedene Unternehmen zu verkaufen. Natürlich hatte niemand Interesse an unserer Amateurproduktion. Die nächsten drei Jahre haben wir damit verbracht, uns über Skype zu verständigen und ab und an zu besuchen. Einige Projekte, wie zum Beispiel ein Video für „TED Talks“ in Marokko, haben wir außerdem gemeinsam gemacht. Torge: Ja, wir wussten die ganze Zeit
über, dass wir etwas zusammen auf die Beine stellen wollten. Irgendwann beschlossen wir dann, eine Produktionsfirma für Filme zu gründen. Daraufhin verbrachten wir ein halbes Jahr mit der Planung. Einige Male bin ich zu Jack nach New York geflogen und er zu mir nach Berlin. Unser erstes Projekt war dann auch direkt ein sehr guter Einstieg: Wir erhielten einen Auftrag von der Lufthansa. Handelt es sich bei dem Projekt um die Food Truck Aktion? J: Ja genau. Es handelte sich um einen
zehntausend Meilen Roadtrip durch die USA. Es war eine verrückte Erfahrung. Wir sind die ganze Strecke zu zweit mit dem Auto gefahren und haben uns unterwegs in den Motels Betten geteilt.
T: Dabei haben wir uns ziemlich gut
kennengelernt. Oft waren die Tage lang und hart, aber am Ende war klar, dass wir uns gegenseitig vertrauen können. Jeden Tag haben wir gefilmt und sind viele Kilometer gefahren. Es war verrückt, wir haben alles alleine gemacht. Das klingt nach harter Arbeit, aber ihr hattet sicherlich auch eine Menge Spaß, oder? T: Absolut. Wir haben viele coole Men-
schen getroffen und eine Menge Erfahrungen gesammelt. Oft gab es schlaflose Nächte in denen man auch mal launisch wurde, aber es war eine gute Belastungsprobe. Nach allem, was wir dort bewältigt hatten, fühlten wir uns
bereit, eine eigene Firma zu führen und uns den damit verbundenen Herausforderungen zu stellen. Wie seid ihr dann auf den Namen „Spingun“ gekommen? J: Unser Job ist es, Dinge zu „shooten“
und so kamen wir auf das englische Wort „gun“. Wir wollten mit dem Namen noch nicht zu viel verraten, sodass sich jeder seine eigenen Vorstellungen machen kann. T: Genau und es gibt den alten Aus-
druck eine Geschichte zu „spinnen“, also auf Englisch dann „spinning“. Und das tun wir: Wir shooten die gesponnene Geschichte. Zusammengesetzt ergibt es dann „Spingun“. Die meisten Leute, die ich in eurem Alter kenne, studieren noch. Ihr hingegen betreibt schon hauptberuflich eine eigene Firma. Wie geht ihr damit um, nicht so viel Zeit für Party & Co. zu haben? J: Also Torge geht gerne feiern. Er filmt
demnächst ein Festival. Das ist seine Art zu feiern. T: Wir versuchen immer Projekte zu
bekommen, die uns glücklich machen. Ich fahre bald für eine Woche nach Albanien, um auf einem Festival zu drehen. Dort ist es warm, ich treffe
nette Menschen und es gibt gute Musik. Das fühlt sich dann nicht wie Arbeit an! Wenn wir nicht mit 100 % Einsatz hinter der Company stehen würden, ergäbe das Ganze keinen Sinn. Wir sind ein hohes Risiko eingegangen. Ich habe kein Studium vorzuweisen, wenn das hier nicht funktioniert… es wird funktionieren. Was macht eure Videos einzigartig? T: Ich denke, es geht immer darum, für
die jeweilige Produktion den richtigen Director zu finden. Es gibt auch Produktionen, die wir aus unserem eigenen Interesse drehen, dann machen wir das nach unseren persönlichen Vorstellungen. Aber wenn wir einen Auftrag bekommen, geht es darum, die Wünsche des Kunden zu erfüllen. Das ist das, was uns besonders macht: Wir haben ein großes Spektrum großartiger Leute, die alle möglichen Stile abdecken können.
Wo seht ihr euch und die Firma in fünf Jahren? T: Ehrlich gesagt haben wir keine kon-
kreten Pläne, aber das ist auch okay. Wir wollen einfach jeden Tag das tun, was wir lieben und weiter auf der guten Welle reiten.
J: Wir wollen mitbekommen, dass wir
uns verbessern und noch mehr positives Feedback bekommen. Darin steckt unsere Motivation weiterzumachen.
Gibt es irgendeine besondere Story von einem Dreh, die euch im Kopf geblieben ist? T: Oh ja, es gibt da die Geschichte mit
dem Klavier im Pool. Unser Auftraggeber wollte unbedingt in seinem Video ein Piano in einem leeren Pool haben. Also haben wir das umgesetzt. Jack fand ein wunderschönes Hotel auf einer kleinen Insel neben Malta. Es war perfekt und ich sagte: „Okay cool, jetzt brauchen wir nur noch ein Piano“. Aber niemand auf dieser Insel hatte ein Piano, geschweige denn einen großen weißen Flügel. Also kauften wir auf Malta einen Flügel und brachten ihn mit einem kleinen Boot auf die Insel. Als wir versuchten, das riesige Instrument von dem kleinen Boot in den Pool zu bewegen, waren wir einige Mal kurz davor aufzugeben. Letztendlich haben wir es dann aber mit vielen Helfern geschafft und das Video wurde sehr cool.
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NACHTSCHWÄRMER Interviews von JULIAN ENTRUP-GALINDO
KAEY LUEAN SCHWARZ ODER WEISS? Schwarz, ich mag die dunkle Seite lieber und es macht schlank. MANN ODER FRAU? Mann - weil ich darauf stehe! Was auch immer das heißen soll, aber ich fühle mich davon angezogen. HELENE FISCHER ODER RAMMSTEIN? Rammstein. Aber auch nur, weil Helene Fischer wirklich unterirdisch ist. Kann ich auch was anderes wählen? KREUZBERG ODER PRENZLAUER BERG? Kreuzberg, aber eigentlich Neukölln. Kreuzberg ist ganz ehrlich so oversize seit 15 Jahren. Ich bin nach Neukölln gekommen und alle haben gezweifelt, ob ich als queere Person da auch sicher bin. Meine Reaktion war immer: „Ist mir egal, ich kann es mir leisten!“ KATHOLIKIN ODER ANTICHRIST? Ohh Antichrist, jedes Glaubenssystem ist völlig unerträglich. Wenn die Leute mich fragen woran ich glaube, sage ich Chanel. SCHNELL ODER LANGSAM? Langsam, wenn ich ehrlich bin, finde ich es gut Dinge zu entschleunigen. 14
INSEL ODER STADT? Stadt, du bist nie allein und du kannst High Heels anziehen. Du kennst alle aber gleichzeitig auch niemanden. KREUZBERG ODER PRENZLAUER BERG? P-Berg, weil wunderschön, hübsch und toll. P-Berg hat Design. EIN PARTNER ODER ZEHN? Wunderschön, hübsch, toll und großer Penis... Wenn du einen hast, hast du genug. SCHNELL ODER LANGSAM? Es kommt drauf an. Es startet schnell, dann langsam, dann schnell, dann langsam, nochmal schnell und zum Schluss langsam. KATZE ODER HUND? Katze, ich habe 15 Katzen und drei Hunde ― aber ich mag Katzen lieber. MANN ODER FRAU? Frauen, immer, High Heels, Kleider, alles. KONTRAST
Wir schreiben das Jahr 2019 n. Chr. Latte-Macchiato-Mütter und Justus-Jonas-Studenten übernehmen die ganze Stadt. Die ganze? Nein. Ein kleiner Kiez namens Neuköllnerix wehrt sich gegen Lärmbeschwerden und Spaßbremsen. Und hier zwischen Dönerbuden und Eckkneipen waren wir und haben den Partygästen ein paar Fragen gestellt. Entweder oder?
LENA, JULES & JOSEF
SCHWARZ ODER WEISS? Lena und Jules: Schwarz MANN ODER FRAU? Lena: Frau, weil ich bin eine Frau. HELENE FISCHER ODER RAMMSTEIN? Jules: Helene. Wenn ich betrunken bin, mag ich sie schon gerne. INSEL ODER STADT? Lena: Insel, weil man für sich selber ist und man ganz neue Dinge entdeckt. Es ist eine neue Erfahrung. Jules: Ich bin eher der typische Tourist: Ich mag es neue Städte zu sehen.
DOMENIQUE & DOMENIK
MANN ODER FRAU? Domenique: Mann Domenik: Frau, reflexartig. HELENE FISCHER ODER RAMMSTEIN? Domenique: Dann das geringere Übel: Rammstein. Auf ihre Art sind sie cool und waren zu ihrer Zeit innovativ.
EIN PARTNER ODER ZEHN? Lena: Beziehungsmensch Jules: Ja, würde ich auch sagen.
INSEL ODER STADT? Domenique: Stadt, weil es hier viel zu holen gibt. Domenik: Ja, ich schließe ich mich an.
KATHOLIK ODER ANTICHRIST? Lena: Atheist Jules: Wir haben zusammen Konfirmation gemacht. Also würde ich mich eher als Christ bezeichnen.
KREUZBERG ODER PRENZLAUER BERG? Beide: X-Berg, weil es bunter ist.
BRITNEY SPEARS ODER MADONNA? Beide: Madonna, das braucht keine Antwort.
SCHNELL ODER LANGSAM? Domenik: Eher schnell, weil es aufregend ist. Domenique: Langsam, weil es mir besser tun würde.
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KONTRAST Foto von JON TYSON
S N
18 ― ZWISCHEN ABLENKUNG UND ACHTSAMKEIT ANTON GRAFF
21 ― BIST DU JETZT LUISA ODER ANNA? LUISA SOPHIE HANNKE
24 ― FLYIN‘ SOLO LUCIE VIKTORIA KIESCHKE
27 ― DER 20.000 NORMALE DIENSTAG LUISA SOPHIE HANNKE
29 ― ICH BIN KEIN BERLINER FELIX BANDEMER
30 ― DIE STADT IST ZU KLEIN FÜR MICH UND MEIN EGO MASCHA LESKIEN
32 ― FÜR EINE HANDVOLL ANERKENNUNG MARIUS DOBERS
35 ― SCHADET SPOTIFY DEN MUSIKERN? SOPHIE SCHRÖDER
A O
T
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T
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ZWISCHEN ABLENKUNG UND ACHTSAMKEIT Eine Welt zwischen Digitalisierung und der Angst davor. Sollte ich stets achtsam im Moment leben bzw, ist ablenken eigentlich schlecht und brauche ich das? Wie mache ich Pause? Hier ist ein kleines Selbstexperiment, in dem ich das Ganze auf die Spitze treibe. Achtung: mit Vorsicht zu genießen, 100 Prozent subjektiv und 0 Prozent repräsentativ. Text von ANTON GRAFF
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KONTRAST
WOCHE 1
ABLENKUNG DER PLAN Abgesehen von den Dingen, die ich nicht sein lassen kann, wie zur Arbeit oder in die Uni zu gehen, werde ich versuchen, mich so oft es geht abzulenken mit Videos, Apps, Serien, Filmen und Computerspielen. Damit fange ich direkt nach dem Aufstehen an und schon beim Frühstück gucke ich Netflix auf meinem Laptop. Vor dem Schlafengehen gucke ich eine Serie oder spiele Computer bis zu der Minute, in der ich mich schlafen lege. Den Hauptfokus setze ich auf Ablenkung durch das Internet. Außerdem werde ich in dieser Woche nicht meditieren.
„Es gibt Menschen, die Ablenkung brauchen für ihre Gedankenlosigkeit.“ Vor einiger Zeit bin ich über dieses Zitat von Olga Wohlbrück-Wendland gestolpert. Man kann „Gedankenlosigkeit“ interpretieren oder verstehen, wie man will. Ich beschäftige mich seit Jahren mit Meditation, praktiziere sie auch fast täglich und verbinde damit etwas ganz Bestimmtes. Gedankenlos zu sein bedeutet zwar nicht die Gedanken los zu sein, aber zu erkennen, wie leer sie sein können und sie loszulassen. Im gleichen Atemzug hat Meditation und das Leben, das für mich damit einhergeht, auch immer schon mit Achtsamkeit zu tun gehabt. Zuallererst in der Meditation, aber dann auch übertragen im Alltag. Das bedeutet für mich, den Moment so wahr- und anzunehmen, wie er gerade ist. Plump gesagt: im Jetzt zu leben, auch wenn mir diese Formulierung nicht gefällt, weil sie so oft missbraucht bzw. falsch verstanden wird. Ablenkung ist aber für mich eigentlich das genaue Gegenteil. Achtsam sein bedeutet, da zu sein, Ablenkung bedeutet, weg zu sein. Wie aber passt das jetzt mit dem Zitat zusammen, habe ich mich gefragt. Aber ich wollte nicht in der Theorie verweilen. Ich hatte das Gefühl, dass ich so zu keinem Schluss kommen würde. Also habe ich mir überlegt, ein Experiment der Praxis anzufangen, mit mir selber im Mittelpunkt. Sowohl mit Ablenkung à la Netflix, Youtube, Fernsehen und Zocken, als auch mit Achtsamkeit kenne ich mich aus. Mein Plan war, beides ins Extreme zu ziehen und einfach zu schauen, was passiert. Eine Woche purer Ablenkung und eine Woche purer Achtsamkeit. Ich habe jeden Tag Tagebuch geführt, aber nicht alles davon gehört hier rein, also werde ich es zusammenfassen.
DIE DURCHFÜHRUNG Am Anfang war die Freude recht groß. Ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, konnte ich mich voll und ganz der Entertainment-Welt zuwenden. Ich hatte mir am Abend vorher schon ein paar Serien und Filme rausgesucht, die ich in dieser Woche gucken konnte. Während ich mir Rührei und Brote zubereitete, begann ich schon nebenbei auf dem Laptop mit der ersten Serie. Ich vergaß schnell, dass ich das für ein „Experiment“ mache. Ich wurde direkt in die virtuelle Welt hineingesogen. Danach musste ich arbeiten gehen und das zeigte mir das erste Problem auf. Natürlich kann ich während der Arbeit nur begrenzt auf meinem Handy Netflix gucken oder Spiele spielen, aber ich habe jede freie Minute, inklusive meiner Pause, dafür genutzt. Zum Glück kann man bei Netflix Filme und Serien offline gucken, sonst hätte mein Datenvolumen in der Woche wohl mehr als nur ein bisschen darunter gelitten. Vor der ersten Nacht saß ich bestimmt noch zwei bis drei Stunden vor dem Fernseher, bis ich entschieden habe, schlafen zu gehen. Ich war so vertieft in die Serie, dass es wesentlich später war, als mir eigentlich lieb gewesen wäre. Dazu kam, dass ich definitiv schlechter einschlafen konnte, als normalerweise. Bilder, Musik und Gedanken blitzten in regem auf und ab durch meinen Kopf. Aber im Schlaf kamen keine Träume. Was den Schlaf betrifft, hat sich auch die weiteren Tage so gut wie nichts geändert. Durch das Internet wachgehalten, habe ich jede Nacht nur ca. sechs Stunden Schlaf bekommen. Am vierten Tag hatte ich schon die dritte Serie fertig geguckt, und so langsam erschöpfte mich dieses Experiment sehr. Jede einzelne Folge war zwar spannend, aber es waren einfach zu viele Eindrücke in zu kurzer Zeit. Alles verschwamm zu einem Mischmasch. Am Anfang hatte es mir noch Spaß gemacht, mich zu verlieren in Ablenkung. Jetzt fühlte es sich mehr wie Arbeit an. Und im Gegenzug war die Arbeit beinahe eine Art Erlösung. Ich habe es trotzdem bis zum Ende durchgezogen. FAZIT Was euphorisch anfing, endete fast melancholisch. Ich hab mir einige Serien zerstört, auf die ich mich Monate gefreut hatte. Bei einigen habe ich stellenweise vergessen, was genau passiert ist. Ich habe schlechter geschlafen, war ▶ 19
morgens schlechter gelaunt und wurde immer erschöpfter. Ich hatte nicht das Gefühl, irgendwann mal eine Pause zu haben. Gedankenlos kam ich mir nie vor, besonders beim Einschlafen nicht. Der jetzige Stand: Ich verstehe nicht, was mit dem Zitat gemeint sein soll.
WOCHE 2
ACHTSAMKEIT DER PLAN Abgesehen von den Dingen, die ich nicht sein lassen kann, wie zur Arbeit oder in die Uni zu gehen, werde ich versuchen, mich wenig ablenken zu lassen. Ich werde so wenig Zeit wie möglich im Internet verbringen, sondern meine Aufmerksamkeit immer auf das Hier und Jetzt lenken. Vor dem Schlafen werde ich jeden Abend spazieren gehen. Den Hauptfokus setze ich auf Achtsamkeit im Alltag. Außerdem werde ich zweimal täglich mindestens eine halbe Stunde meditieren. DIE DURCHFÜHRUNG Auch hier war am Anfang schon die Freude groß. Besonders, weil gerade eine Woche purer Ablenkung hinter mir lag, habe ich mich sehr auf eine Abwechslung gefreut. Trotzdem war die Umstellung am Anfang nicht leicht. So viel von der letzten Woche schwirrte mir noch im Kopf herum und ganz unbewusst gingen zu Beginn meine Gedanken immer noch automatisch Richtung Netflix und Co. Mein Handy ließ ich morgens immer zuerst im Flugmodus, damit ich nicht durch Nachrichten gestört wurde. Von Tag zu Tag wurde vor allem das Frühstück immer angenehmer. Ich fühlte mich generell wesentlich weniger gestresst bzw gehetzt, weil ich wusste, dass nichts im Internet auf mich wartet. Ich konnte mich immer leichter einfach nur auf das konzentrieren, was gerade geschah, seien es so simple Dinge wie Abwaschen oder Eier braten. Auf der Arbeit fiel mir die Achtsamkeit sowieso leichter, da ich mich darauf konzentrieren musste, was ich zu tun hatte. Was mir die ersten Tage deutlich schwerer fiel, als normalerweise, war die Meditation. Die Woche Pause und das viele Internet hatten mich ein wenig aus der Übung gebracht, aber nach zwei Tagen war das kein Problem mehr. Der Grund, warum ich seit Jahren meditiere, wurde mir nun deutlicher, als je zuvor. Ich bekam endlich die Pause, die mir die letzte Woche gefehlt hatte und wurde nicht mehr von Gedanke zu Gedanke gehetzt. Besonders die Spaziergänge gefielen mir. Es war schön, so regelmäßig am Abend zur Ruhe zu kommen und ich wurde mit einer Woche tiefem Schlafen belohnt. Am vierten Tag nach der zweiten Meditation kam ich mir auch das erste Mal so gedankenlos vor, wie ich das Wort „gedankenlos“ verstehe. Frei von Gedanken und einfach nur da. Das war eine Art Hochgefühl in der Mitte der Woche. Das Gefühl blieb zwar eine Weile und ich genoss das „Pause haben“ von den ganzen Gedanken. Aber am letzten Tag wurde mir dann, um ehrlich zu sein, doch etwas langweilig. Auch wenn ich die Meditation, den ruhigen Morgen und insbe20
sondere die Spaziergänge abends sehr genoss, fehlte mir doch ein wenig Ablenkung hier und da, ein wenig Netflix, Serien, Drama und Action. Ich war froh, dass ich die beiden Wochen so gelebt hatte, aber ich war auch froh, als es dann vorbei war. FAZIT Was euphorisch angefangen hatte, wurde erst noch angenehmer, aber am Ende langweilig. Ich bin mit besserer Laune in den Tag gestartet, habe besser geschlafen und konnte endlich Pause machen (Ich mache sehr gerne Pause). Vor allem aber kam ich mir gedankenlos vor, gedankenlos ruhig. Irgendwann nur leider so gedankenlos ruhig, dass mir ein kleiner Gedankensturm mehr als gut getan hätte.
UND JETZT? „Es gibt Menschen, die Ablenkung brauchen für ihre Gedankenlosigkeit.“ Ich schätze, vielleicht bin ich einfach keiner der Menschen, auf die dieser Satz zutrifft. Das könnte ich sagen und mich damit zufrieden geben. Es kann gut sein, dass es auch genauso ist und nicht mehr dahinter steckt. Aber ich habe natürlich im Nachhinein noch viel darüber nachgedacht (Gedanken, lol). Ich möchte das hier noch loswerden. Mir ist später aufgefallen, dass ich auf meine Definition des Wortes „gedankenlos“ versteift war. Gedankenlos zu sein, kann natürlich auch bedeuten, unaufmerksam zu sein. Wenn das in dem Zitat gemeint war, verstehe ich wesentlich besser, was es bedeutet. In der Ablenkung bin ich unaufmerksam, so sehr ich mich vielleicht auch konzentriere. Im Kern bedeutet ablenken, etwas von etwas weg zu lenken und nicht darauf zu. Aufmerksam sein und gleichzeitig von etwas weg lenken, ist für mich ein Widerspruch. Aber auch das mag für jemand anderes eine andere Geschichte sein. Jedoch erzähle ich hier nur meine. Die von Anderen lese ich gerne, ich schreibe nur nicht darüber. Und ich kann auch unaufmerksam sein, ohne mich von etwas abzulenken. Ich passe lieber einfach nicht auf. Es bleibt also dabei: Ich bin wohl keiner dieser Menschen, die für Gedankenlosigkeit Ablenkung brauchen. Eines aber weiß ich jetzt. Ich brauche definitiv Achtsamkeit und ich brauche definitiv Ablenkung. Wenn ich mich nur zwinge, achtsam zu sein, lenke ich mich im Endeffekt nur davon ab, mich abzulenken. Außerdem wird mir dann langweilig (Ich mag Pausen, aber ich mag keine Langeweile). Ich streiche hiermit das „zwischen“ aus dem Titel und lasse am Ende stehen: Ablenkung und Achtsamkeit. Und ich streiche hiermit das „für ihre Gedankenlosigkeit“ aus dem Zitat und lasse am Ende stehen: Es gibt Menschen, die Ablenkung brauchen. Endlich habe ich auch ein cooles Zitat geschaffen, das man über einen Sonnenuntergang schreiben kann, damit es dann von Menschen zwischen 55 und 80 Jahren auf Facebook gepostet wird. Damit eine Gute Nacht, Namasté und lasset Staffel 1, Folge 1 beginnen. KONTRAST
Fotos von DANIEL SCHRECK
BIST DU JETZT ANNA ODER LUISA?
Text von LUISA SOPHIE HANNKE
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ieser Satz ist wahrscheinlich der meistgehörteste Satz meiner Kindheit. Irgendwann erreichte ich einen Punkt, an dem ich bereits bei „Bist du” automatisiert „Luisa“ geantwortet habe, ohne dass die Frage ausgesprochen wurde. Das Leben eines Zwillings. Die meisten Menschen verbinden das Zwilling-sein ausschließlich mit positiven Nebeneffekten. Die bedingungslose Liebe, die immer anwesende beste Freundin und zwei zur Verfügung stehende Kleiderschränke sind natürlich Vorteile, die von anderen oft beneidet werden. Doch ob man es glaubt oder nicht, das Leben als Zwilling hat auch eine Kehrseite. Ich bin der festen Überzeugung, dass es zwei Arten von Zwillingen gibt. Es gibt solche, die alles zusammen unternehmen, sich nur ungerne voneinander trennen und eingepackt in identischer Kleidung synchron durchs Leben gehen. Und dann gibt es die Art Zwilling, die mit ganzer Macht versucht, als Individuum zu gelten. Meine Schwester Anna und ich zählen eindeutig zur letzteren Variante. Ständig wird man behandelt, als wäre man eine Person: „Kommen die Zwillinge auch?“ oder „Kann ich eine von den Zwillingen sprechen?”.
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Genau aus diesem Grund haben wir immer schon versucht, ganz offensichtlich zu verdeutlichen, dass wir trotz unseres ähnlichen Aussehens, oh Wunder: nicht den gleichen Charakter haben. Angefangen hat es damit, dass wir noch nie ähnliche, geschweige denn gleiche Klamotten getragen haben. Haarschnitte und Färbungen durften erst nach Absprache in Angriff genommen werden, um sicherzugehen, dass sie sich nicht zufällig ähneln könnten. Ohne diese Maßnahmen wäre die Verwechslungsgefahr deutlich höher. Oftmals sehen uns Leute und merken sich direkt, wer das rote Oberteil trägt und wer das Schwarze, wer die langen und wer die kurzen Haare hat. Schon unsere Eltern haben uns als Babys immer in unterschiedlichen Farben gekleidet, um uns nicht zu verwechseln. Insgeheim bin ich mir trotzdem ziemlich sicher, dass wir in der Badewanne öfter mal vertauscht wurden und ich eventuell gar nicht Luisa, sondern Anna bin. Aber das ist reine Spekulation. Meine Mama hat immer gesagt: „Ich würde meine Kinder niemals verwechseln!”. Als Papa sich dann einmal einen Streich erlaubt hat und mich anstatt in ein rotes Kleid, in
ein blaues gesteckt hat, war ich einen halben Tag lang völlig selbstverständlich Anna. Aber wer kann ihr das übel nehmen? Wie oft saß ich vor alten Baby-Fotos und habe trotz der größten Anstrengung und der vergebenen Suche nach Leberflecken oder anderen Merkmalen nicht erkannt, ob ich links oder rechts sitze. Hilfesuchende Blicke zu meinen Eltern waren vergeblich: Verwirrtes Schulterzucken und Grinsen halfen mir nicht weiter. Genauso möchte ich gar nicht wissen, was die Menschen im Disneyland dachten, als ein kleines Mädchen vor einem Spiegel stand und mit sich selber gesprochen hat. Denn das war ich und ich war der festen Überzeugung, ich spreche mit meiner Schwester ― während sie und meine Eltern schon lange nicht mehr im Prinzessinnen-Laden waren. Als Zwilling teilt man allerdings nicht nur das Aussehen, sondern auch wichtige und besondere Tage im Leben, die eigentlich nur einem selber gehören. Sei es die Konfirmation, die Einschulung oder die Taufe. Am schlimmsten aber ist der jährlich wiederkehrende Geburtstag! Die Zeile „Happy Birthday liebe Anna und Luisa” wird dann auf seltsame Weise ungesund langgezogen und endet in einem Stimmenwirrwarr, nachdem keiner mehr so richtig weiß, wie das Lied weiter gesungen wird. Natürlich... das Lied wurde ja auch nur für nur einen Namen komponiert. KONTRAST KONTRAST
Am amüsantesten sind die verwirrten, hin und her huschenden Blicke in der U-Bahn, beim Arzt im Wartezimmer oder im Supermarkt. Neeeein, Sie sehen nicht doppelt, uns gibt es zweimal. „Ihr solltet euch eure Namen auf die Stirn schreiben“, hören wir fast immer, wenn wir neue Leute kennenlernen. Ich kann sie ja verstehen, aber sind wir mal ehrlich, wer würde sich freiwillig seinen Namen auf die Stirn schreiben?
Das hört sich immer alles sehr lustig an! Meistens ist es auch schön und ab einem gewissen Alter kommt man an den Punkt, an dem man beginnt zu akzeptieren, dass in dieser Welt jemand rumläuft, der einem sehr ähnlich ist und irgendwie immer da ist. Mit Verwechslungen oder Blicken lässt es sich entspannter umgehen und die Fähigkeit des Teilens und Gönnens wird Zwillingen eh von Geburt an in die Wiege gelegt.
Einem werden immer wieder die gleichen Fragen gestellt: „Habt ihr in der Schule öfter die Lehrer geärgert und euch heimlich umgesetzt?“, „Habt ihr schon einmal eure Freunde getauscht?“ Na klar, als Zwilling hat man nichts Besseres zu tun. Dass immer alle Menschen denken, Zwillinge würden ihr Doppelleben so schamlos ausnutzen. Natürlich könnte der zahlenbewusstere Zwilling die Mathearbeiten schreiben, während der sprachbegabte Zwilling die Deutsch-Klausuren übernimmt. Auch eine Bank kann man als Zwilling mit deutlich geringerem Risiko überfallen: Sollte es schiefgehen, ist der andere Zwilling Schuld. Oder ein milderes Beispiel: Blitzerfotos werden auf denjenigen geschoben, der weniger Punkte in Flensburg hat. Gerade kein schönes Pass- oder Bewerbungsfoto zur Hand? Wie praktisch, dass man einfach das der Schwester benutzen kann. Sieht eh viel schöner aus.
Umso älter wir wurden, desto öfter hörten wir, wie erstaunlich unterschiedlich wird sind. Erstaunlicherweise? So würde ich das aber nicht ausdrücken, denn nur, weil wir Zwillinge sind, heißt das ja noch lange nicht, dass wir in allem, was wir tun gleich gut oder gleich schlecht sind. Meine Schwester ist der Mensch, der mir am nächsten steht und sich von mir doch am deutlichsten unterscheidet. Während ich sehr extrovertiert bin und vor Energie und Kreativität sprudele, ist Anna mehr der bedachtere Kopfmensch, fleißig im Jura Studium. Ich studiere Journalismus. Anna bleibt gerne für sich, wenn sie Probleme
hat aber auch, um einfach mal um alleine zu sein und sich Zeit für sich zu nehmen. Ich dagegen tue mich schwer damit, ohne Gesellschaft zu sein, Ruhe zu finden oder abzuschalten. Oft ist sie es dann, die mich dazu zwingt runter zu fahren. Ich rede über alles, insbesondere über meine Sorgen wie ein Wasserfall, während Anna sich ganz genau überlegt, mit wem und über was sie redet. Während Anna auf Reisen ständig ihre Listen und Pläne verfolgt, um ja alles zu schaffen, was sie sich vorgenommen hat, laufe ich mehr oder weniger blind hinter ihr her und lasse den Tag auf mich zukommen. Die Quirlige und die Bedachte. Ich denke, das trifft es ganz gut. Das Band der Zwillinge. Ich habe öfter schon gehört, dass es nichts Festeres und Engeres gibt — und ja, ich glaube daran. Trotz aller genannten Nachteile und der ständigen Vergleiche ist das Zwilling-sein für mich das allergrößte Glück und wenn es etwas gibt, wofür ich dankbar bin in meinem Leben, dann ist es das. Diese großartige Liebe, das alles Gönnen ohne einen Funken Missgunst, das bedingungslose aufeinander Aufpassen und die enge Vertrautheit spüre ich zu keinem anderen Menschen auf diese Art und Weise und obwohl wir unterschiedlicher nicht sein könnten, sind wir uns näher als jedem anderen.
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FLYIN' SOLO Text von LUCIE VIKTORIA KIESCHKE
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ine Kolumne über mein Single-Leben? Ich sitze hier in meiner kleinen Wohnung am Fenster und fühle mich ein bisschen wie die jüngere, Berliner Version von Carrie Bradshaw aus „Sex and the City“. Darauf, das muss ich gestehen, wäre mein 18-Jähriges Ich ziemlich stolz. Aber eine Single-Frau in der Großstadt. Ist das Thema denn nicht schon lange ausgelutscht? Ich denke, wenn du eine von uns bist, dann wird das Thema nie so richtig langweilig. In Berlin leben knapp 4 Millionen Menschen, da muss doch der Richtige dabei sein. Aber wie Max Giesinger schon festgestellt hat, ist die Wahrscheinlichkeit den passenden Partner, das perfekte Match, zu finden ziemlich gering. Die Menschenmassen strömen an einem vorbei und mein perfektes Match rennt wahrscheinlich gerade der U-Bahn hinterher. Bei Parship verliebt sich alle 11 Minuten ein Single. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es mir auch so geht. Aber alle 11 Minuten in jemand anderen. Es gibt viele Männer da draußen, wobei es mir schwer fällt Männer zu sagen, ich bin ja erst 21 und dazu stehe ich noch auf Jüngere. Sind sie dann schon richtige Männer? Wie auch immer, was ich eigentlich sagen wollte: Immer wieder begegne ich schönen Gesichtern und interessanten Charakteren. Sie ziehen mich in ihren Bann. Aber genauso schnell verfliegt der Schleicher aufregender Magie dann wieder. Und 24
KONTRAST
Illustration von LISA POMMERENING
ich weiß, dass das bescheuert klingt, weil es in der Liebe um mehr geht, als Magie oder die Aufregung und das Bauchkribbeln bei den ersten Dates. Also wenn ich die Menschen nicht zufällig wiedersehe, ist aktives Dating angesagt, wovon ich persönlich überhaupt kein Fan bin. Das erste Date findet meistens in einer Bar statt, gerade, wenn man jemanden über Tinder kennenlernt. Das ist gut, das lockert auf. Endet aber auch damit, dass ich Einen sitzen habe und meine Wahrnehmung über Gefühle und Gespräche total verschleiert wird. Das DatingProzedere zieht sich dann noch ein, zwei Wochen so weiter. Das läuft mal besser und mal schlechter und früher oder später landet man dann bei einem Zuhause. Woran es dann scheitert, weiß ich auch nicht so ganz. Mal verläuft es sich und man bemerkt nach zwei Wochen Alltagsstress, dass man schon eine ganze Weile nichts voneinander gehört hat. Manchmal hat man aber auch einfach das Gefühl, es passt nicht. Vielleicht bin ich zu wählerisch oder die Aufregung ist bereits nach wenigen Dates verflogen und wenn ich meine Kontaktliste durchgehe, dann ist da auch noch eine Reihe potenzieller Liebhaber. Aber selbst wenn ein gegenseitiges Interesse besteht, dann reicht es doch nicht aus, dass wirklich mehr zustande kommt. Und ganz ehrlich, ich will mich auch nicht mit weniger zufriedengeben als ich verdiene. Da ist der Typ, der sich nur noch abends meldet: „Na, was geht so bei dir?“ Selbst wenn wir beide vielleicht das Gleiche wollen, könnte man den Bootycall doch schöner verpacken.
Dann ist da der Typ, der die Liebschaft vor Monaten beendet hat und trotzdem nicht aufhört, nachts um 3 Uhr betrunkene Nachrichten und lauter rosa Herzchen zu schicken. Dann ist da mein guter Freund, mit dem es immer einfach ist, weil wir uns gut kennen und einander vertraut sind. Auch die sexuelle Anziehung scheint nicht nachzulassen und trotzdem wissen wir beide, dass niemals mehr entstehen könnte. Kann man sich vielleicht auch schon zu sehr kennen? Und dann ist da der Eine, an den man vor dem Schlafengehen denkt. Der, mit dem man sich alle kitschigen Liebesgeschichten ausmalt. Jedes Nicht-melden, jedes vergessene Treffen und jede uncharmante Äußerung wird ihm verziehen und ist sofort vergessen, sobald er sich meldet. Ein einfaches „Du bist mir nicht egal, aber ich habe eben viel zu tun“ bläst alle Zweifel in den Wind und lässt mein Hoffnungsuniversum wieder hell erleuchten. Auch die Ausrede „Ich habe wirklich viel zu tun“, die man selber schon so häufig benutzt hat, um unangenehmen Gesprächen aus dem Weg zu gehen, glaubt man. Es gibt Momente, da fühlt sich das Single-Sein richtig aufregend und perfekt an, da wartet auf jeder Party ein neuer Flirt und ich habe das Gefühl, immer genau das machen zu können, worauf ich Lust habe, ohne jemandem Bescheid zu geben, wo ich bin, warum und mit wem. Ich bin frei und das fühlt sich gut an. Und dann gibt es die Momente, in ▶ 25
„Aber können Gefühle falsch sein? Und wieso denke ich, dass ich mich für meine Gefühle schämen muss?“
denen mein schön aufgebautes Single-Kartenhaus zusammenbricht. Meistens passiert das an einem Sonntag oder Montag, nach einem langen Party-Marathon, wenn ich merke, dass ich doch wieder alleine bin. Dann hat sich auf einmal meine Kontaktliste geleert.
an dem Punkt, an dem ich mir selber nicht mehr glauben konnte. Ich habe meine eigenen Gefühle in Frage gestellt, ihnen nicht geglaubt und versucht, sie zu verdrängen. Aber können Gefühle falsch sein? Und wieso denke ich, dass ich mich für meine Gefühle schämen muss?
Ein großer Teil meines Single-Seins besteht auch aus dem Löschen und wieder Herunterladen von Tinder. Meistens stelle ich nach wenigen Minuten Swipen wieder fest, wieso ich die App beim letzten Mal gelöscht habe. Posierende Business-Männer im Anzug, der Outdoor-Traveller, der Hundeliebhaber oder der Mann mit dem Spiegelselfie. Bis jetzt konnte mich noch keiner von denen begeistern. Hat man sie aussortiert, plus die 50 % der Bekannten und Freunde, die man bei Tinder trifft, bleibt also noch 1 % potenzieller Liebhaber. Und dann treffe ich doch nach 2 Jahren mein erstes Tinder Date genau dort wieder. Nach einigen eigentlich total schönen und vertrauten Treffen hatte sich die Sache damals verlaufen. Und nun waren wir wieder am gleichen Punkt, bereit für unser zweites, erstes Date. Schicksal würden die Romantiker es wahrscheinlich nennen. Ich glaube eher, zwei einsame Menschen im Menschenmeer einer Großstadt, die es nicht schaffen, jemanden fest an sich zu binden.
Irgendwann, oftmals im betrunkenen Zustand, brechen die Gefühle dann sowieso aus mir heraus und dann muss ich früher oder später lernen, mit ihnen umzugehen. Für mich war es ein unerträgliches Gefühl, mir immer wieder die Frage zu stellen: „Was wäre, wenn?“ Monatelang konnte ich mir Gefühle für jemanden nicht eingestehen und so verlief sich das, was wir miteinander hatten in „wir sind ja nur Freunde“. Später erfuhren wir, dass wir uns beide hätten mehr miteinander vorstellen können, aber zu stolz waren, die Wahrheit zuzugeben. Wären wir heute ein Paar, wenn ich damals mutiger gewesen wäre? Würde ich dann nicht mehr hier sitzen und diesen Artikel über mein Single-Dasein schreiben?
Die goldene Regel des Single-Seins ist es, niemals zu interessiert zu wirken. Und dabei meine ich nicht unnahbar zu werden, sondern immer so zu tun, als ob der Verlust des Gegenübers kein Problem darstellen würde. Lässig und cool muss man rüberkommen, nicht nur vor dem Typen, sondern auch vor den eigenen Freunden. Nur vor wenigen Menschen habe ich das Gefühl, zugeben zu können, dass ich mir mehr wünsche, als eine banale Liebelei. Dieses Spiel habe ich irgendwann so verinnerlicht, dass ich es sogar geschafft habe mir selber perfekt vorspielen zu können, keine tiefen Gefühle zu haben. Irgendwann war ich 26
Die Zeit heilt angeblich Wunden, aber sie tauscht auch die Jungs in meiner Kontaktliste aus. Und ich frage mich: Erkenne ich überhaupt noch, wenn der Richtige vor mir steht? Bin ich vielleicht so sehr fixiert auf die Suche, dass ich vergesse, dass der perfekte, gebackene Mann mit der perfekten Beziehung nicht auf dem Silbertablett serviert wird? Zu jeder Beziehung gehören auch Kompromisse und Arbeit. Bin ich vielleicht so auf die Suche nach meinem perfekten Match fixiert, weil das immer noch leichter ist, als sich wirklich auf jemanden fest einzulassen? Leichter als alle Gefühle zuzulassen und einen anderen Menschen so zu akzeptieren wie er ist? Hat unsere Generation vielleicht ein falsches Bild von Beziehungen? Denn es ist doch so, dass wir das Gefühl haben, ein Stück von unserer Freiheit und uns selbst aufzugeben, in dem Moment in dem wir eine innige Partnerschaft eingehen! KONTRAST
DER 20.000 NORMALE DIENSTAG Text von LUISA SOPHIE HANNKE
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ir sind jung. Wir sind in den besten Jahren unseres Lebens und möchten alles sehen, am besten nichts verpassen. Es laufen viele gutaussehende Männer in der Welt rum oder wie meine Oma immer gesagt hat: „Auch andere Mütter haben schöne Söhne“. Apropos Oma; Manchmal sehe ich ein älteres Ehepaar Hand in Hand spazieren, lachen und das Leben genießen. Jedes Mal muss ich bei diesem Anblick schmunzeln und freue mich darüber, solche Bilder auch in der heutigen Zeit noch zu sehen. Vielleicht rührt auch daher mein Wunsch, später mit meinem Mann Hand in Hand durch die Straßen zu laufen. Ganz klar bin ich einer der Menschen, die fest an die wahre Liebe und an das „für immer“ glauben. Die Romantikerin steckt ganz tief in mir drin. Könnte vielleicht daran liegen, dass ich als Kind zu
viele (geht das überhaupt?) Disney-Filme geschaut habe, in denen der Prinz mit einem weißen Pferd angeritten kommt und die Liebe auf den ersten Blick über alles siegt. Natürlich sind sie dann auch glücklich bis an ihr Lebensende und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie auch noch heute. Ich glaube jeder, der auf die filmreife Liebesgeschichte á la „Sex and the City“ steht, mit Antrag auf Knien und diamantenen Überraschungen, könnte schnell von der Realität eingeholt werden. Im wahren Leben sieht das Ganze ein wenig anders aus. Einerseits möchten wir einen Partner an unserer Seite wissen, der uns liebt und jeden Tag unterstützt. Andererseits fällt es teilweise schwer, auf die Aufregung der ersten Dates zu verzichten. Der Drang, erst einmal verschiedene Männer kennenzulernen, bevor jeden Morgen derselbe Mann neben einem aufwacht, ist groß, wahrscheinlich vor allem in jungen Jahren. Ich bin seit mehreren Jahren in einer Beziehung und natürlich kamen mir während der Zeit schon öfter Zweifel. Spreche ich mit meinen Freundinnen über deren Beziehungen, gebe ich fleißig Tipps und bin der Überzeugung, die Expertin für Liebe und Partnerschaft zu sein. Schließlich hält meine Beziehung schon länger, als viele andere in meinem Umfeld. Aber mal ehrlich: Wie sicher können wir uns eigentlich sein, dass es in unserer eigenen Beziehung wirklich so perfekt läuft? Ich habe mit meinem Partner großes Glück, werde akzeptiert genauso wie ich bin, geschätzt und unterstützt. Doch was ist eigentlich das Erfolgsrezept einer gut- und langlaufenden Beziehung? Für mich stecken hinter einer stabilen und glücklichen Partnerschaft große Gefühle ― und ganz besonders die Fähigkeit, auch am zweitausendsten normalen Dienstag miteinander glücklich zu sein. Ich glaube, das ist die schwierigste Aufgabe, die zu meistern ist. Der Alltag. An einem Tag auf der Arbeit oder in der Uni ist man mit sehr vielen Menschen in Kontakt. Es wird viel geredet, viel gelacht, weshalb es gerne mal passiert, dass man zuhause einfach nicht mehr reden kann, die Worte einfach verbraucht sind. Am liebsten würde man sich auf die Couch werfen und sich von der Lieblingsserie aus dem realen Leben katapultieren lassen. Doch wie kann es sein, dass man gerade bei der wichtigsten Bezugsperson auf einmal zu müde ist, um zu reden? Genau diese Situation beschreibt für mich das Erfolgsrezept einer Beziehung, dass man auch ohne Schmetterlinge im Bauch nicht im Alltag versinkt. Essentiell ist dabei, miteinander zu sprechen ― seien es Kleinigkeiten ― schöne Dinge zu unternehmen und den anderen jeden Tag in sein Leben mit einzubeziehen. Vernachlässigt man dies, ist es nicht unüblich, sich unbewusst auseinanderzuleben oder zu distanzieren, was oft mit einer Trennung einhergeht. In tollen Urlauben oder einigen schönen Tagen zusammen realisiert man oftmals erst wieder, wie sehr man den anderen an seiner Seite schätzt und genau das darf nie vergessen werden. Die alltäglichen Dinge und kleinen Aufmerksamkeiten sollten gewürdigt werden. Mag sein, dass dein Partner nicht jeden Tag mit deinen Lieblingsblumen nach Hause kommt, dafür hört er dir zu, trägt den Einkauf oder nimmt deine Hand. Den größten Einfluss haben die kleinen Dinge. ▶ 27
Von außen betrachtet ist eine großartige Partnerschaft oft eine beeindruckende Liebesgeschichte, wie man sie aus Büchern oder Filmen kennt. Und das ist eine schöne, poetische Art, eine Beziehung als großes Ganzes zu betrachten. Glück ereignet sich jedoch nicht in großen Schüben, denn unser Leben funktioniert ganz anders: Wenn man sich das Leben wie ein großes Stück Stoff vorstellt, hängen wir in seinen kleinen Falten fest. Und genau in diesen Falten entscheidet sich unser Glück. Für mich sind Beziehungen etwas Wunderbares. Natürlich ist krank sein nie toll, aber wenn man einen lieben Menschen hat, der einem Tee und Suppe kocht, ist alles nur noch halb so schlimm. Wenn man jemanden gefunden hat, mit dem man einfach zufrieden nebeneinander, vielleicht Arm in Arm oder die Kopf an der Schulter des Partners, sitzen und schweigen kann, ist dies Gold wert und die Ruhe, die das Herz auch mal braucht. Vertrauen bezieht sich nicht nur auf mögliche Seitensprünge, sondern bedeutet, dass es dein Partner ehrlich mit dir als Person meint. Wenn du in einer glücklichen Beziehung bist, brauchst du dir keine Sorgen darüber machen, dass er irgendwann einfach geht, denn das kommt nicht in Frage, selbst in schwierigen Phasen nicht. Es ist so erholsam, jemanden zu haben, der auf einen wartet und einfach da ist, wenn man es braucht. Beziehungen und der richtige Partner können einem viel Kraft und Mut geben. Mir geht es ganz oft so. Jemand, der wirklich nur für mich kommt, der mir hilft, an dieses leichte, zutiefst erholsame Gefühl heranzukommen, das einem Kraft gibt, großen Stress und den kräftezehrenden Alltag durchzustehen. Meine Seele macht Urlaub und ich tanke wieder Kraft und Mut, bin erfrischt, fröhlich, gut gelaunt, voller Tatendrang und wirklich zufrieden mit mir und meinem Leben.
„Es ist so erholsam, jemanden zu haben, der nur auf einen wartet und einfach da ist, wenn man es braucht.“
MEIN FAZIT Natürlich haben wir alle ein bestimmtes Bild einer funktionierenden, schönen Beziehung im Kopf, welchem wir natürlicherweise nachjagen. Doch nicht jeder Mythos hilft uns dabei, eine wirklich stabile und glückliche Beziehung zu führen. Ein Mann, der einem beim Grillen am Lagerfeuer mit der Gitarre ein Liebeslied singt ist schön, aber noch lange kein Muss. Viel wichtiger ist, dass der zweitausendste normale Dienstag ein schöner Dienstag ist. 28
KONTRAST
„ICH BIN KEIN BERLINER“ Das war mein Gedanke, als ich vor zwei Jahren nach Berlin zog. Außer vielleicht aus der Serie „Berlin Tag und Nacht“ hatte ich keine Beziehung zu der Stadt. obacht gebe ich einen Einblick, wie sich mein Leben nach dem Umzug um 180° gedreht hat und Berlin mich veränderte. Ich bin in der Nähe einer Stadt mit 70.000 Einwohnern groß geworden. Meine Eltern lebten in einem Dorf mit ca. 10.000 Einwohnern, in dem das jährliche Schützenfest das Highlight des Jahres war. Nach meiner dreijährigen Station in Braunschweig, in der ich am Anfang dachte, dass es auch schon eine Großstadt sei, entschied ich mich für Berlin, um dort zu studieren und zu arbeiten. Vor meinem Umzug nach Berlin, kannte ich nur das Matrix und das A&O Hostel, welches ich auf einer Klassenfahrt besuchte. Freunde oder Familie hatte ich hier nicht. Es waren quasi nur mein Koffer, ich und hunderte von Vorstellungen. Meine erste WG habe ich auf Ebay Kleinanzeigen mit der Überschrift „Wohlfühlen in netter 2er WG“ gefunden und nach einem kurzen Telefonat mit dem Vermieter bekommen. Großer Fehler! Beim Einzug habe ich meine neuen Mitbewohner kennen gelernt. So schnell wurde aus einer 2er, eine 3er WG und diese bestand aus mir, einem Hartz IV-Empfänger und seiner nicht-deutschsprechenden, aus Polen stammenden Freundin. Er (25) prahlte nur davon, wie großzügig doch der Staat sei und wie viele Anzeigen er schon habe wegen illegalen Autorennen. Sie kochte, guckte RTL und rauchte den ganzen Tag Zigaretten. Ein super Start in mein neues Leben. Aber die beiden konnten meine Euphorie und Aufregung nur wenig beeinflussen. Schließlich stand ich vor einem Neubeginn in einer neuen Stadt, in der Hauptstadt Deutschlands, mit seinen 3,5 Millionen Einwohnern. Schnell lebte ich mich ein, lernte unglaublich viele Leute kenne, hatte verrückte Dates und fand so richtig Spaß daran hier zu leben. Ich kann aber auch mit Sicher-
Text von FELIX BANDEMER
heit sagen, dass ich regelmäßig unter Reizüberflutungen gelitten habe und so wurden sowohl der Kontakt zu meinen alten Freunden und auch die Besuche bei meinen Eltern weniger und weniger. Bei Besuchen zuhause merkte ich, dass ich mich verändert habe. Die Gespräche mit meinen alten Freunden waren anders und ich fühlte mich schnell gelangweilt. Trotz dessen war der Kontakt zu meiner Familie stets eng, nur das mit dem Besuch in der Heimat klappte nicht mehr so häufig, hier war einfach immer was los. So viel zu meinem (Quick) Start hier in Berlin. Doch wie veränderte ich mich und wie veränderte sich mein Lifestyle? Selbstreflektion ist nicht einfach, doch ich würde schon sagen, dass ich mich nach 2 Jahren Berlin verändert habe. Das fängt beim Musikgeschmack an und hört bei den verschiedensten Ansichten auf. Angekommen in Berlin tauchte ich in eine neue Welt des Feierns ein. Zum ersten Mal ging ich auf Technopartys mit Jeans, T-Shirt und Sneakers, um die Nacht durchzutanzen. Für mich war das ein totales Kontrastprogramm zu schicken Partys, mit weißen Hemd und der 100€ Wodkaflasche am Tisch. Heute fühle ich mich dabei irgendwie fehl am Platz. Während aber auch fernab von den Partys, habe ich in Berlin so viele Menschen kennen gelernt. Ich habe die unterschiedlichsten Ansichten und Meinungen kennengelernt und während ich früher nur verwundert mit dem Kopf darüber geschüttelt hätte, habe ich angefangen wirklich über die anderen Standpunkte nachzudenken und egal wie abwegig sie mir vorkamen, ich habe angefangen sie aufzunehmen, zu akzeptieren und in einer gewissen Weise auch zu verstehen. Unterschiedliche Geschmäcker, Lebensstile, Aussehen oder Denken empfinde ich heute als super interessant.
Ganz nach dem Klischee „arm aber sexy“ verlor das Materielle hier für mich immer mehr an Wert und das, obwohl manche meiner neuen Freunde in der Uni reiche Eltern haben. Ich habe gelernt, dass die Uhren hier anders ticken. Ich habe gemerkt, wie ich immer schneller gelebt und immer mehr in kürzester Zeit erlebt habe. Teilweise habe ich drei neue Personen an einem Tag kennengelernt, das war in meinem Heimatort unvorstellbar. Das hat mich anfangs echt unglaublich begeistert, mittlerweile empfinde ich es aber nur noch als nervig und wünsche mir ein bisschen Entspannung und Wertschätzung für die einzelnen Erlebnisse zurück. Schaue ich heute auf meine letzten zwei Jahre in Berlin zurück, dann kann ich sagen, dass ich die Zeit nicht nur vollends ausgenutzt, sondern auch sehr genossen habe. Berlin bietet so viele Möglichkeiten und Freiraum für die Realisierung von Fantasien und Träumen. Jeder kann wirklich sein wer er möchte und tun was er möchte. Ich blicke zurück auf wahnsinnig aufregende Momente und auf eine Zeit, die ich nie vergessen werde. Dennoch schlich sich mit der Zeit auch ein nachdenkliches Gefühl ein. Ich wurde irgendwann immer glücklicher am Wochenende auch mal wieder nach Hause zu fahren, wegen der besseren Luft, dem Entspannen und Herunterfahren bei der Familie im Haus, Gesprächen mit alten Freunden, fernab von Berliner Partygeschichten und wenigen Menschen. Ich bin unglaublich stolz darauf was ich beruflich und hinsichtlich meines Studiums erreicht habe. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass es die beste Entscheidung war nach Berlin zu gehen. Ich bin dankbar für die vielen tollen Leute, die ich getroffen habe und dennoch bin ich mir sicher, dass Berlin nicht die letzte Station meiner Reise gewesen ist. 29
Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen und habe mein ganzes Leben dort verbracht. Jetzt sollte ich meine Familie und Freunde hinter mir lassen und einen neuen Lebensabschnitt beginnen, weit weg von der Stadt, durch die ich mich immer definierte. Auf nach Saarbrücken also. 30
Text von MASCHA LESKIEN
DIE STADT IST ZU KLEIN FÜR MICH UND MEIN EGO A
ls ich drei Jahre nach meinem Abschluss die Zusage für das Studienfach bekam, welches ich seit der neunten Klasse studieren wollte, fing ich an zu weinen. Doch nicht vor Freude, sondern wegen des Preises, den ich dafür zahlen sollte. Von den 14 Universitäten, an denen ich mich beworben hatte, wollte nur eine mich haben. 740 Kilometer entfernt von meiner Heimat.
Ich hatte vorher keine Ahnung, was mich erwartete. War nie auch nur in der Nähe der kleinen Stadt, fernab von jeder Großstadt. Generell hatte ich, wie so viele Berliner, noch nicht sonderlich viel von Deutschland gesehen. Jeder Urlaub zog mich weit weg – „Goodbye Deutschland“. Ich wusste nur: 170.000 Einwohner entspricht ungefähr der Einwohnerzahl meines Bezirks. Ich muss sagen, ich hatte große Angst. Das größte Problem war, dass ich mich vehement dagegen sträubte, mich für ein neues Zuhause zu öffnen. Die Ankunft in Saarbrücken war dann doch weniger schlimm, als erwartet. Die Wohnung, die ich bisher ausschließlich auf Fotos gesehen hatte, war ganz schön und mit meinen neuen Mitbewohnern verstand ich mich auf Anhieb. Sogar die KONTRAST
Stadt selbst schien weniger hässlich und kleinstädtisch, als gedacht. Die ersten paar Wochen war ich eigentlich ziemlich zufrieden mit der neuen Situation. Das lag vielleicht auch daran, dass ich vor dem Umzug nur zwei Wochen in Berlin hatte und davor mehrere Monate nicht im Lande war. Als ich das erste Mal wieder nach Berlin fuhr, wurde mir der Kontrast erst richtig bewusst. Ein Wochenende lang wurde mir quasi vor Augen geführt, was ich nun nicht mehr hatte. Die Rückkehr war nicht einfach. Und dann fing das Gefühl in mir an, am falschen Ort zu sein. Eine Freundin meinte damals zu mir: „Du entwickelst dich halt weiter. Das ist jetzt ein Fortschritt in deinem Leben.“ Als sie das sagte, wurde mir bewusst, dass ich eher das Gefühl hatte, mich zurückzuentwickeln. Die letzten paar Jahre habe ich so viel an mir gearbeitet, habe so viele Fortschritte gemacht und dann komme ich in eine Kleinstadt, in der ich mich in eine andere Zeit versetzt fühlte. Eine Zeit lang hatte ich das Gefühl mich selbst zu verlieren. In Saarbrücken war ich nicht der lebensfrohe, offene und extrovertierte Mensch, der ich eigentlich bin. Es fühlte sich an, als würden meine Saarbrückener Freunde einen ganz anderen Menschen kennen, als meine Freunde in Berlin. Wenn du in einer Stadt groß wirst, in der dir die Welt offen steht, in der neue Möglichkeiten an jeder Ecke auf dich warten und nichts unmöglich scheint, ist es doch recht schwer
sich daran zu gewöhnen, dass du plötzlich in einer Stadt lebst, in der du nach 20 Uhr nur noch bei der Tanke einkaufen gehen kannst. Nach 20 Jahren in Berlin kann ich immer noch nicht behaupten, alles gesehen zu haben oder überall gewesen zu sein. Ein paar Monate in Saarbrücken und ich stieß an Grenzen. Ich weiß nicht, ob man sich das vorstellen kann, wenn man als Großstädter in seiner Heimat geblieben ist. An sich reichen in Berlin die drei bis vier Lieblingsbars ja aus.. Aber wenn man Lust auf etwas anderes hat, dann geht man halt einfach woanders hin – hier ist die Alternative dann „das Posthorn“ mit Plastikstühlen, Altersdurchschnitt 50+. Als klar wurde, dass ich wegziehen muss, haben viele Menschen in meinem Umfeld gesagt „Na, dann kannste dich wenigstens auf das Studium konzentrieren.“ Ich habe gezwungen gelächelt, aber ich gebe zu, dass da etwas dran war. Dadurch, dass fast alle meine Freunde hier auch aus einer anderen Stadt kommen und der große gemeinsame Nenner das Psychologiestudium ist, kann man den lieben langen Tag damit verbringen, sich mit diesem Studium zu beschäftigen. Ich muss also nicht mein Studium und meine Freunde unter einen Hut kriegen, sondern beides sitzt zwangsweise kuschelig eng beieinander. So eng, dass in Anbetracht meiner bisherigen Noten ein Hochschulwechsel gar nicht so undenkbar scheint. Mit etwas Glück hat Berlin mich vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft zurück. Bevor ich jetzt Nachrichten von besorgten Freunden kriege, die denken ich wäre hoffnungslos einer Depression verfallen, muss ich meinen Artikel mit meiner momentanen Gefühlslage abschließen: Es ist möglich aus Berlin in eine Kleinstadt zu ziehen ohne todunglücklich zu sein. Ich habe nicht mehr das Gefühl, nicht ich selbst sein zu können oder nicht voran zu kommen. Irgendwie habe ich meinen Platz in Saarbrücken gefunden. Ich habe akzeptiert, dass mein Leben nicht mehr aus null Verantwortung und unendlicher Freiheit besteht. Zu keinem Zeitpunkt habe ich die Wahl meines Studienfachs bereut und manche der Menschen, die erst Fremde waren, sind zu engen Freunden geworden. Das Gefühl, in dieser Kleinstadt eingeengt zu sein, ist schwächer geworden und ich fühle mich wieder frei ― soweit das in einem staatlichen Studium möglich ist. Ich bin glücklich. Alle zwei bis drei Wochen nach Berlin zu fahren, hilft sicherlich. 31
FÜR EINE HANDVOLL ANERKENNUNG Fußball und Rugby besitzen in Deutschland einen unterschiedlichen Stellenwert. Während der Fußball als populärster Sport seinen Platz an der Sonne genießt, ist Rugby hierzulande noch ein ganzes Stück von den Dimensionen entfernt. Diese strukturellen Unterschiede lassen sich u.a. an den Zuschauer- und Mitgliederzahlen ablesen. Dementsprechend schwer ist es, mit Rugby in Deutschland Geld zu verdienen. Benjamin* spielt in der Deutschen Rugby-Bundesliga. Er verdient nichts damit. David* spielt in der sechsthöchsten deutschen Fußballliga. Letzte Saison bekam er bis zu 250 Euro im Monat. Mit beiden habe ich über das Thema Bezahlung im Sport und die Beeinflussung durch unterschiedliche Vergütungsmodelle gesprochen. Interview von MARIUS DOBERS
FUßBALL Könntest Du deine bisherige Karriere einmal vorstellen?
Die fing an mit fünf Jahren bei einem der besten Ausbildungsvereine in Berlin. Da habe ich gespielt bis zum Ende der C-Jugend und bin dann mit 16 Jahren das erste Mal gewechselt. Dann war ich noch ein Jahr in der A-Jugend bei einem anderen Berlin-Ligisten und dann ab dem Männerbereich wieder bei dem zweiten Verein in der Landesliga. Dazu eineinhalb Jahre in Niedersachsen und bin diesen Sommer in die BerlinLiga gewechselt.
Das heißt also, dass du dich grundsätzlich auf einem sehr ordentlichen fußballerischen Niveau befunden hast, sowohl vom Team als auch von den Ligen her.
Genau, mein erster Verein war technisch und auch generell eines der besten Teams, da hat man sehr viel mitgenommen. Das Niveau im Männerbereich war eigentlich immer mindestens Landesliga. Die Berlin-Liga, in der ich dann jetzt spiele, ist die sechsthöchste Liga.
Wie gut ist das Niveau dort?
Es klingt relativ niedrig, aber es herrscht schon ein sehr gutes Niveau.
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Du hast ja mit vielen talentierten Jungs zusammen gespielt. Ab wann hast du denn das erste Mal wahrgenommen, dass es da Geldbeträge gab, oder dass die Ausstattung finanziert wurde?
So in dem Dreh mit 13, 14 Jahren würde ich sagen. Weniger finanzielle Zahlungen, eher Sachleistungen, wie z.B. Schuhe. Dass wirklich bezahlt wird, habe ich erst relativ spät zur A-Jugend hin wahrgenommen.
Hast du denn dann zu irgendeinem Zeitpunkt in der Jugend Geld bekommen?
In meiner letzten Jugend-Saison gab es eine Siegprämie. Die war nicht besonders hoch, aber als Schüler war das trotzdem ein guter Nebenverdienst. Ich bin damals nicht deswegen gewechselt, sondern weil das Niveau der Liga viel höher war. Dass es Geld gab, war insofern ein Zufall, aber das hat man natürlich gerne mitgenommen. Bei manchen ging es dann auch los, dass sie für Geld den Verein gewechselt haben.
Du bist jetzt von der Landesliga in die Berlin-Liga gewechselt. Verändert sich da für dich merklich was?
Für mich persönlich ist es schon mehr geworden, das liegt aber nicht unbedingt an der Liga, sondern am Verein. KONTRAST
Was ist jetzt der konkrete Unterschied zwischen deinem vorherigen und jetzigen Verein?
Es hat sich ungefähr verdoppelt. Aber das ist natürlich auch abhängig von Siegprämien und Leistung. Da man in der Berlin-Liga nicht alles gewinnt, sind es dann am Ende wahrscheinlich so 150-200 Euro mehr im Monat.
Bekommst du auch mal mit, dass das Thema sich negativ auf das Teamgefüge auswirkt?
Ich glaube, wenn man jetzt darüber sprechen würde und dann weiß „ah da bekommt einer 200 Euro mehr“, der jetzt aber nicht wirklich besser ist als man selbst, dann würde es einen vielleicht schon ein bisschen beeinflussen, Aber normalerweise spricht man, außer mit seinen besten Freunden, nicht darüber. Es ist ein wenig wie in der Arbeitswelt: Ich will nicht wissen, was mein Kollege verdient.
Geld wird gezahlt. Macht das die Sache vielleicht auch ein wenig spannender, wenn man das Gefühl bekommt, ich befinde mich in so einer Art Mikrokosmos von dem, was die Großen erleben?
Klar ist es auch ein Spiegelbild von dem, was „OBEN“ verdient wird. Mit dem Unterschied vielleicht, dass es oben immer mehr wird und sich unten zumindest noch die Waage einigermaßen hält. Insofern ist es sicherlich so ein eigener Kosmos, nur eben eine Nummer kleiner.
Sind die Sponsoren, die im Berliner Raum agieren denn Privatpersonen?
Das ist immer unterschiedlich. Bei meinem vorherigen Club war es so, dass das eine Gemeinschaft an Leuten war, die zusammengelegt hat. Davon wurde dann alles bezahlt. Manchmal gehört ein Unternehmen beispielsweise jemanden aus dem Vorstand und da ist es dann auch öfters so, dass derjenige dementsprechend involviert ist und Geld reinbuttert. Oder dass der Präsident sich einen Traum erfüllt indem er einen Club leitet, auch wenn es nur die sechste Liga ist.
Aber sind es grundsätzlich Leute, die diesem Verein schon länger zugehörig sind? Zu 90 Prozent auf jeden Fall.
das. Von daher wäre es am Anfang vielleicht schwierig. Ich persönlich würde auch Fußball spielen, wenn ich kein Geld kriegen würde. Ich weiß natürlich nicht, ob ich dann noch drei Mal die Woche zum Training gehen würde, aber ich würde auch wie die Kollegen vom Rugby einfach gerne den Sport betreiben.
Was ist so die positivste Erinnerung, die du beim Fußball gemacht hast?
In Niedersachsen zu spielen war eine richtig gute Erfahrung, weil es ein anderer Fußball und eine andere Stimmung ist. Da kommt dann auch das ganze Dorf zum Spiel. Auch die Gemeinschaft bei meinem vorherigen Verein war besonders, weil man dort mit vielen seiner Kumpels zusammen gespielt hat. Das ist dann wirklich auch eine Sache, die einen zusammenschweißt. Einfach auf irgendeine Art Erfolg zu haben ist wirklich toll und da spielt dann das Geld auch nicht die große Rolle.
RUGBY Wie sind die Strukturen von Rugby in Deutschland?
In Deutschland gibt es zurzeit 120 Rugbyvereine mit insgesamt so 15 000 Mitgliedern. So haben wir eine Anzahl an Spielern, die der Anzahl von Rugbyvereinen in Frankreich entspricht. Also ein relativ geringer Popularitätsgrad. Es gibt vier Ligen. Die sind regional aufgeteilt, um die Wege möglichst kurz zu halten. Ein großes Problem ist, gerade im Vergleich zum Fußball, dass viele erst im späten Alter damit anfangen. Von diesen 120 Vereinen haben gerade mal 30 eine Nachwuchsarbeit. Viele Vereine haben nur eine Herren- und Frauenmannschaft.
Du selber hast ja über einen gewissen Zeitraum in der höchsten Spielklasse gespielt. Wie war es da mit eventuellen Aufwandsentschädigungen oder Sachleistungen?
Grundsätzlich ist es so, dass man kein Geld bekommt, aber für alle Reisen, etc. kein Geld zahlen muss. Ich habe mit Rugby noch nie Geld verdient.
Beim Rugby bekommen die Spieler abgesehen von ein paar Ausnahmen kein Geld. Empfindest du da so was wie Mitleid, oder überwiegt eher der Respekt?
Wie viele Trainingseinheiten und Spiele hat man da so ungefähr?
Glaubst du denn, dass sich im Berliner Raum merklich was verändern würde, wenn die Vereine ihre Zahlungen zurück- oder gänzlich einstellen würden?
Ist dieses Thema Bezahlung teamintern dann doch manchmal ein Gesprächsthema?
Schon beides. Sehr viel Respekt dafür, den Sport so zeitintensiv zu betreiben, ohne da eine Art von Gegenleistung zu kriegen. Mitleid natürlich auch. Ich finde, dass sich so ein hoher Aufwand auch irgendwie rentieren sollte. Wobei ich aber auch sagen muss, dass ich der Meinung bin, dass im Fußball zu viel gezahlt wird.
Ich würde sagen, dass sich die Zahlen ungefähr gleich halten würden, weil die Leute, die Fußball spielen, auch wirklich Bock haben zu zocken. Sicherlich ist es schwierig für Leute, die Geld kriegen, zu sagen: ich spiele jetzt ohne
In der Saison waren es so ungefähr 20 bis 25 Spiele. Die Saison geht von September bis Mai. Dazu kommen dann bei uns neuerdings – bisher waren es drei – inzwischen vier Trainingseinheiten. Ich würde sagen, die reine Trainingszeit beträgt wahrscheinlich so zehn Stunden. Die Anfahrt und alles Drumherum kommen natürlich noch dazu.
Die fehlende Bezahlung ist für die Spieler eher eine Rechtfertigung zu sagen „das Training zahlt nicht meine Rechnungen“. Wenn es eine Kollision gibt mit dem Beruf, dann muss Rugby auch den Kürzeren ziehen. Dass es jetzt groß diskutiert wird oder Leute Ansprüche ▶ 33
Wie ist es für einen, wenn man gegen die wenigen finanzstarken Teams spielt?
Es ist eigentlich eher frustrierend, weil man abgesehen davon, dass viele dieser Spieler auch talentierter sind, merkt, dass man rein körperlich nicht auf der Höhe ist. Das führt dann zu inoffiziellen Titeln wie „Deutscher Amateurmeister“, die nicht vergeben werden, man aber sozusagen die zwei großen Profiteams so ein bisschen außer Konkurrenz spielen lässt und man sich von vornherein nur das Ziel setzt, Dritter zu werden. Man macht sich dann teilweise gar keine Hoffnungen mehr, gegen diese Mannschaften zu gewinnen.
Gibt es denn sonst auch Aktionen, bei denen dein Verein mit den Spielern versucht Aufmerksamkeit zu erregen und dadurch kurzfristige oder langfristige neue Partner zu bekommen?
Es gibt bei uns Leute, die dafür zuständig sind, aber es ist sehr schwierig. Denn die Leute, die dann Geld reinstecken, sind meistens Eltern, die wirklich im Verein sind und das dann mehr aus der Liebe zu ihren Kindern machen. Es sind also eher private Geldgeber.
Wenn man zum Fußball blickt – was ging dir durch den Kopf, als du gehört hast, dass man in der siebten Liga mehrere hundert Euro verdienen kann?
Es ist nicht unbedingt Neid. Man erkennt den Markt an, auch wenn ich die beherrschende Stellung des Fußballs teilweise schade finde. Aber wahrscheinlich sind die Zuschauerzahlen bei dem ein oder anderen Kreisligaverein höher als in der Rugbybundesliga. Deswegen kann ich es verstehen, dass es da Geldgeber gibt und das auch an die Spieler ausgekehrt wird.
Gibt es innerhalb Deutschlands denn Ablösesummen oder Ausbildungsentschädigungen?
Nein. Wäre meiner Meinung nach aber keine schlechte Idee, wenn es eine Art von Entschädigung geben würde. Ein Verein hat auch in die Ausbildung dieses Spielers vorher investiert. Da wäre das für die Chancengleichheit wahrscheinlich nicht so schlecht.
Wenn das Thema Geld auch in der Jugend gar keine Rolle spielt, ist es vielleicht auch einfacher, das zu verinnerlichen?
Gab es das in den letzten Jahren mal, dass ein Jugendlicher vom Norden in den Süden abgeworben wurde?
Hilft es denn bei der eigenen Motivation, wenn man weiß, dass die Teamkollegen primär wegen des Sports da sind?
Zum Abschluss hin noch eine Frage: Was ist deine positivste Assoziation mit dem Sport?
Würde ich auch sagen. Die Spieler, die dann wirklich gut genug sind, die gehen dann in dem Alter von 18 Jahren zum Heidelberger RK, oder nach Frankreich und spielen dann beispielsweise in der zweiten Liga. Da sind einige deutsche Spieler, die ihr Geld verdienen.
Es wäre natürlich interessant zu wissen, ob es ein Faktor werden könnte, wenn man wüsste, dass die anderen bezahlt werden. Der Hauptgedanke ist natürlich: „Ich lasse mein Team nicht im Stich“. Aber es wäre interessant zu wissen, ob man ein weniger schlechtes Gewissen hätte, wenn die anderen Spieler bezahlt werden würden.
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Es gibt in dem Alter 15 natürlich schon mal ein paar Wechsel. Aber letztlich ist es schwieriger, als beim Fußball, wenn dann z.B. der FC Barcelona irgendeinen 12-Jährigen holt. Die können dem dann natürlich ganz andere Versprechungen machen. Das kann selbst ein Verein wie der Heidelberger RK nicht.
*Namen von der Redaktion geändert.
erheben, sehe ich jetzt nicht. Letztlich sind die Spieler glücklich eine Randsportart ausüben zu können und gar nicht daran interessiert, den Verein finanziell auszunehmen. Jeder ist sich der Tatsache bewusst, dass Rugby in Deutschland ein Schattendasein führt.
Einfach die ganzen Abende und Nachmittage, die man nach dem Spiel noch mit den anderen Mannschaften hatte und sich ausgetauscht hat. Da habe ich es noch nie erlebt, egal in welchem Land, dass da irgendein böses Wort gefallen ist. Wirklich einfach immer sehr nett und das schätze ich auch ― diesen sozialen Aspekt. KONTRAST
Sophie
SCHADET SPOTIFY DEN MUSIKERN? Text von SOPHIE SCHRÖDER PL AY
ÜBERSICHT
F OLGEN
ABZOCKE?
...
KÜNSTLER REGIEREN
RECHTFERTIGUNG MEHR
Die eigene Wunschmusik stets dabei haben, jederzeit Zugriff auf einen riesigen Musikkatalog haben, und das alles für maximal zehn Euro im Monat: Der Musik-Streaming-Dienst Spotify macht dies möglich. Doch was für uns als Musikbegeisterte eine wahre Fundgrube ist, wird für die beteiligten Musiker und Interpreten zu einem echten Problem. Denn den wahren Preis für das musikalische All-You-Can-Eat-Buffet zahlen die Künstler. Der Grund: Die Beträge, die der Künstler pro abgespieltem Song bekommt, sind verblüffend niedrig. Diesem Konflikt will ich hier auf den Grund gehen. ABZOCKE? Die Zeiten der Platten und CDs sind seit der Einführung von Smartphones und Musik-Streamingdiensten so gut wie vorbei. Spotify gibt Nutzern die Möglichkeit, Musik zu hören, ohne sie in Form von Tonträgern oder Soundfiles kaufen zu müssen. Man kann entweder für wenig Geld ein kostenpflichtiges Abo abschließen und so viele Lieder werbefrei hören, wie man will, oder man ist Gratisnutzer und bezahlt damit, dass man zwischen den Songs Werbung erträgt. Zur Jahreswende 2018 hatte Spotify nach eigenen Angaben weltweit insgesamt 159 Millionen Nutzer pro Monat, davon 71 Millionen zahlende Abonnenten und 88 Millionen Gratisnutzer. Spotify zahlt nun seinerseits für jedes von diesen Menschen abgespielte Lied einen sehr kleinen Betrag an die Plattenfirma, bei der das Lied ursprünglich erschienen ist, sowie einen noch sehr viel kleineren Betrag an dessen Komponistinnen und Interpreten. Recherchen des Hessischen Rundfunks von April 2013 zufolge, bekommt ein Künstler im besten Fall nur 0,164 Cent pro Abspielvorgang. Zum Vergleich: Verkauft ein Künstler ein Album mit 13 Liedern auf CD, bleiben ihm im besten Fall rund 3 Euro. Das Album müsste also rund 145-mal übertragen werden, damit der Künstler auf einen ähnlichen Ertrag kommt. Das Plattenlabel entscheidet letztlich darüber, ob die Musik auf Spotify angeboten wird. Die Zahlen gehen
aus einer Rechnung hervor, die eine Band dem Hessischen Rundfunk vorgelegt hat. KÜNSTLER REAGIEREN Immer mehr Musiker entscheiden sich dafür, ihre Musik teilweise oder sogar gar nicht mehr Spotify zur Verfügung zu stellen. So haben zum Beispiel Sven Regener, Herbert Grönemeyer, aber auch AC/DC, Placebo, Radiohead und vor allem Taylor Swift sich gegen Spotify ausgesprochen. Den Anfang machte der Radiohead-Sänger Thom Yorke, als er twitterte: „Macht euch das klar: Neue Künstler, die ihr auf Spotify entdeckt, werden nicht bezahlt – im Gegensatz zu den Shareholdern der Firma. Spotify ist einfach schlecht für neue Musik“. Placebo-Frontmann Brian Molko stimmte ihm zu: „Spotify ist nur interessiert daran Geld zu machen – und zwar auf Kosten anderer. Es geht da ausschließlich um Profitmacherei“. „Ich möchte mit meinem Lebenswerk nicht zu einem Experiment beitragen, das nach meinem Gefühl Autoren, Produzenten und Künstler nicht fair entschädigt“, meinte Taylor Swift. RECHTFERTIGUNG Im Dezember 2013 reagierte Spotify mit einer detaillierten Aufstellung über Einnahmen, Ausgaben und Ausschüttungen an die Künstler. Dieser zufolge gehen 70 % der Einnahmen an die Rechteinhaber, pro übertragenem Musikstück würden diese momentan 0,6–0,84 US-Cent erhalten. Zudem argumentierte Spotify, dass die Erlöse pro abgespieltem Lied immer noch deutlich über denen im Radio liegen. Künstler, die dem Streamingportal anfänglich kritisch gegenüberstanden, würden nun ihre Alben komplett zur Verfügung stellen, wie etwa Paul Kalkbrenner. Mit den „Ärzten“ sei man in Verhandlung. Gott sei Dank ist die Musik jedoch ist immer noch die Gleiche und wird trotz diesen Komplikationen weiterhin bestehen. 35
KONTRAST Foto von LEONARDO SILVA
46 ― Horoskope LUCIE VIKTORIA KIESCHKE
44 ― Giesela Kloppke ANTON GRAFF
38 ― Schreien ANONYM
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41 ― Boys or Girls? ANONYM
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40 ― Pfarrerskinder (Lehrersvieh) ...? EVA BRAUNGART
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N E I E R H SC Text von Anonym
Kennst du das Gefühl, dass dein Kopf so voll ist mit Gedanken, dass er platzen müsste, wenn du es dir nicht von der Seele redest? Dieses Gefühl, dass es Dinge gibt, die du unbedingt sagen möchtest, aber du kannst oder darfst es nicht? Ich habe dieses Gefühl. Da sind Situationen, in denen ich Leute anschreien will, weil ich an ihnen verzweifle, weil ich zornig bin oder weil andere ungerecht behandelt werden. Schreien wird definiert als „eine Funktion der Stimme, die sich durch eine hohe Lautstärke und meist durch starke Emotionalität auszeichnet.“ Ich bin emotional und ich möchte schreien. Die ganzen Dinge, die ich in die Welt schreien will, darf ich aber nicht sagen, weil die Gesellschaft es für seltsam oder unhöflich erachtet, oder weil ich dadurch Leute vor den Kopf stoßen würde. Es gibt so viel, das ich nicht sagen kann. Das Gefühl, schreien zu wollen, wird deshalb immer stärker. Neulich zum Beispiel wollte ich diese Frau vom Zugpersonal anschreien, dass sie den armen Mann ohne Fahrschein und mit wackligem Deutsch nicht so gemein und mit Nachsicht behandeln soll. Nur weil man eine Uniform trägt, die einem Befugnisse gibt, muss man kein Arschloch sein! Oder diese Leute, die in Bus und U-Bahn laut telefonieren. Denen würde ich am liebsten sagen: „Ihr seid nicht allein, auf dieser Welt. Auch nicht in diesem Verkehrsmittel. Nehmt verdammt noch eins Rücksicht!“ An einem anstrengenden Tag auf der Arbeit möchte ich manchmal meine Kunden anschreien, wenn sie unverschämt sind. Einige von ihnen glauben, ihre „Kritik“ in unmöglichster Form bei mir abladen zu müssen. Manchmal ist es gar nicht meine Schuld, trotzdem motzen mich einige an. Dann würde ich in stressigen Momenten gerne zurück motzen (nur um einiges lauter), und sagen, dass sie mich mal kreuzweise können. Da ich meinen Job aber behalten möchte, spiele ich verständnisvoll und knirsche innerlich mit den Zähnen. Ich möchte diesen einen Professor anschreien und ihm sagen, dass er total mies und unprofessionell ist. Ich will einen beinahe gewordenen besten Freund anschreien, bis ich umfalle. Weil er nicht hält, was er mir versprochen hat und ich aus ihm einfach nicht schlau werde. Ich möchte manchmal meinen Vater anschreien, dass er mir wahrhaftig zuhören und mich ernst nehmen soll. Und nein, auch wenn du glaubst, das zu tun, Papa, du machst es nicht (richtig).
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KONTRAST
Illustration von LISA POMMERENING
Für Pflichten bin ich erwachsen genug, aber um mir bei meiner Meinung zuzuhören oder mir zu sagen, was bei dir wichtiges passiert, bin ich noch zu sehr Kind. Ich will einen Kumpel anschreien, allerdings etwas leiser, dass er aufhören soll, von Grund auf so negativ zu sein und vor anderen Jungs so cool zu tun. Und dann bedanke ich mich bei ihm, dass er zuhört, wenn ich ihn brauche und dass er zu mir hält. Meine neue Tanzlehrerin will ich anschreien, weil sie es nicht ein einziges Mal über sich bringt, etwas Positives zu sagen, uns zu loben. Ich will sie anschreien, weil sie anscheinend mich mehr als die anderen auf dem Kieker hat. Anstatt auch den anderen zu sagen, wie sie etwas besser machen können, schaut sie ständig mich an und sagt: „Du machst es falsch!“. Nie gibt sie ein Lob, wenn man es gut oder richtig macht. Sie drillt wie beim Militär und geht über unsere Kondition hinaus. Fordern ist gut, aber es gibt auch Grenzen, bis zu denen es akzeptabel ist. Sie hat mir die Freude am Tanzen verdorben und jedes Mal gehe ich wütender raus, als zuvor. Das geht solange, bis ich im Studio stehe, die Fäuste geballt, Tränen der Wut in den Augen und kurz vorm Platzen. Eine alte Freundin möchte ich seit einem halben Jahr anschreien, dass sie nach Hause kommen und sich dem verdammten Alltag stellen soll. Dass sie nicht ewig im Ausland weglaufen kann. Dass sie mich hier zuhause hat sitzen lassen, während ich sie gebraucht und vermisst habe. Dass sie alles für sich selbst und für uns beide schlimmer macht, je länger sie wegbleibt. Gibt es denn nichts, für dass sich das nach Hause kommen lohnt? Während ich hier bin und in Stress und Problemen ertrinke, feierst du das Leben im Andersland und hast mich im Stich gelassen. Manchmal will ich eine Person anschreien, die sich selbst im Weg steht und sich irgendwie verloren hat. Manchmal stößt sie Personen weg, die sie eigentlich mag. Das bin ich. Aber sich selbst anzuschreien ist lächerlich. Zu guter Letzt möchte ich diesen Typ anschreien, der vor 4 Jahren unsere Freundschaft weggeworfen hat, als sei sie Müll, ohne mir ein Wort zu erklären. Er hat in mehrerer Hinsicht tiefe Risse hinterlassen und ich weiß bis heute nicht, was damals passiert ist. Obwohl er sich dafür entschuldigt hat, möchte ich eine Erklärung verlangen, damit ich endlich Ruhe finden kann. Wenn ich ihn aber darum bitten würde, gebe ich ihm das Gefühl, ihm hinterherzulaufen und ich würde meine Antwort nicht bekommen. Ich denke und fühle so viel, dass ich längst überlaufen müsste, wie ein Topf, den man zu lange unter den Wasserhahn gehalten hat. Ich möchte schreien, bis meine Stimme versagt und mein Kopf platzt und ich keine Luft mehr habe und ich mich ganz leer geschrien habe. Aber es geht nicht.
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Pfarrerskinder (Lehrersvieh)...? Text von EVA BRAUNGART
„Sind deine Eltern dann nicht voll konservativ?“ „Darfst du überhaupt einen Freund haben?“ „Wie stehen die denn dann zur Ehe für Alle?“ Fragen, die mir immer wieder entgegen kommen, wenn ich auf die Frage „Und, was machen deine Eltern so?“, mit „Pfarrer“ antworte. Ich wappne mich bereits innerlich auf den üblichen Schwall an Fragen und antworte: „Nein, sind die nicht, ja darf ich, finden sie voll okay“. Fast immer in genau dieser Reihenfolge. Ich weiß nicht, woher die Faszination über den Beruf meiner Eltern eigentlich herkommt. Für mich war er immer normal. Logisch, ich kannte es ja nie anders. Meine Eltern, beide Jahrgang 1958, haben sich im Theologiestudium in Marburg kennen gelernt, verliebt und später geheiratet. Einige Jahre später kam ich dazu. Für mich war es normal, dass meine Eltern sonntagmorgens gearbeitet haben, Wochenende gab es bei uns eigentlich nie. Genauso wurde mir irgendwann klar, dass meine Eltern keinen klassischen nine-to-five-Job haben. Wenn in einer Familie in dem kleinen Dorf jemand starb, konnte man eben nicht sagen, „Sorry, Sonntagabend, Tatort hat gerade angefangen“. Relativ schnell begriff ich, dass Menschenleben enden und immer, wenn meine Mutter oder mein Vater in schwarz aus dem Haus gingen, um das Trauerhaus zu besuchen, fragte ich, wohin sie gingen. „Da ist jemand gestorben in der Familie und ich gehe die trösten“, sagte meine Mama. Die Male danach fragte ich dann immer: „Gehst du jetzt trösten?“, ich muss drei oder vier Jahre alt gewesen sein. Durch das Leben in einer Pfarrersfamilie war der Tod nie ein Tabuthema. Später in meinem Leben wurde mir klar, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Religion hat vor allem in meiner Kindheit eine große Rolle gespielt. Kindergottesdienst jeden Sonntag und eine Kinderbibel hatte ich auch. Als ich älter und selbstständiger wurde, überließen mir meine Eltern auch mehr Entscheidungen. Meine Konfirmation zum Beispiel. Ich durfte frei entscheiden, ob ich mich konfirmieren lassen wollte, bei anderen Nicht-Pfarrersfamilien war das viel mehr eine Selbstverständlichkeit. Meine Eltern haben mir immer Freiheiten gelassen. „Pfarrerskinder, Lehrersvieh, gedeihen selten oder nie.“ Ich weiß gar nicht wie oft ich mir diesen Spruch anhören musste (witzigerweise benutzen ihn meine Eltern des Öfteren). Mir war ziemlich schnell klar, dass ich nicht die Berufslaufbahn meiner Eltern einschlagen würde. Ich finde zwar, dass es ein schöner Beruf ist und bin jedes Mal berührt, wenn ich sehe, wie viele Menschenleben meine Eltern positiv beeinflusst haben. 40
„Meine Eltern haben mir immer mitgegeben, dass ich begleitet und behütet bin.“ „Ist’s dann aber doch geraten, ist’s ein ganz besonderer Braten“, geht der Spruch weiter. Vielleicht stimmt dies insofern, dass man als Pfarrerskind in einem besonderen Umfeld aufwächst. Aber nicht so, wie viele zuerst meinen, wenn sie an Pfarrer denken. Das Bild ist ca. 200 Jahre alt. Meine Eltern sind nicht gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Im Gegenteil, mein Vater hat vor ein paar Jahren zwei Frauen verheiratet, sie schreiben mir nicht meine Lebensart vor und zwingen mir auch nicht ihre Religion auf. Aber was ist dann das Besondere daran, Pfarrerskind zu sein? Das erste, was mir einfällt, ist Geborgenheit. Auf dem Dorf ist man als Pfarrerskind bekannt wie ein bunter Hund. Ich konnte immer zu jedem gehen. In Form von Gott natürlich auch. Meine Eltern haben mir immer mitgegeben, dass ich begleitet und behütet bin. Genauso wurde mir beigebracht, alle Menschen zu akzeptieren und nicht zu verurteilen. Nie könnten meine Eltern deswegen einen anderen Menschen wegen seiner Religion, Nationalität oder sexuellen Orientierung ausgrenzen. Mir ist klar, dass das bestimmt nicht jedem so mit seinen Eltern geht, egal ob Pfarrersfamilie oder nicht. Meinen war es zum Glück wichtig, dass ich meinen eigenen Weg gehe. Aber selbst, wenn es mit dem Journalismus doch nicht klappt, wie geplant, meine Eltern haben noch die Bücher vom Studium und der Talar meiner Mama passt mir auch, ich bin also bestens auf Plan B vorbereitet. KONTRAST
BOYS OR GIRLS? Foto von MICHAEL LØNFELDT
Text von ANONYM
Was ist eigentlich meine Antwort auf die Frage nach meiner sexuellen Orientierung? Wenn ich darüber nachdenke, wurde mir diese Frage tatsächlich noch nie in meinem Leben gestellt. Irgendwie nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass ich, als Frau, seit Jahren in einer festen Beziehung mit einem Mann bin. Zudem geht man meistens eh davon aus, dass die Menschen heterosexuell sind, da dies als „Norm“ gilt. So stellt sich niemand weitere Fragen, wenn ich von meiner heterosexuellen Beziehung erzähle. Doch bedeutet meine heterosexuelle Beziehung unbedingt, dass ich heterosexuell bin? ▶ 41
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Eigentlich sollte es auch niemanden außer einen selbst etwas angehen, wen man liebt. Genau da liegt bei mir aber das Problem. Selbst nach 23 Lebensjahren mit Experimentieren und Ausprobieren, kann ich mir diese eine Frage nicht einmal selbst wirklich beantworten. Ich suche meist in der Vergangenheit nach einer Antwort darauf. Nie war ich von Jungen abgeturnt, ich hatte auch immer irgendjemanden im Visier, der mir besonders gefiel, doch irgendwann schien auch ein Interesse am eigenen Geschlecht anzufangen. Frauen sind in meinen Augen einfach wunderschöne Wesen. Männer haben ihren Charme, doch Frauen haben nochmal etwas Besonderes an sich, das sie von Männern abhebt. Ich weiß nicht genau, was es ist. Ob es die Art und Weise ist, wie sie sich geben, ihre Ausstrahlung, ihre Emotionen, ihre Bewegungen... Ich kann es mir nicht erklären, doch es zieht mich stärker an, als erwartet. Der nähere Kontakt zum gleichen Geschlecht fing eigentlich schon früh an. Mein erster Zungenkuss war zum Beispiel mit meiner damaligen besten Freundin. Ich kann nicht einmal mehr genau sagen, in welchem Alter wir waren. Vielleicht elf oder zwölf? Auf jeden Fall hatten wir beide vorher noch nie jemanden mit Zunge geküsst und ein Freund stiftete uns dazu an, diese Erfahrung zusammen zu machen. Es dauerte nur wenige Sekunden, da mich ihre Zahnspange störte und das ganze ja nur zum Spaß war. Als gut konnte man diesen Kuss nicht bezeichnen und er hat mich zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht zu dem Gedanken verleitet, dass mir das Küssen mit Mädchen gefallen könnte. Nichtsdestotrotz hat sich dieser Kuss sehr in mein Gedächtnis eingeprägt. Sogar mehr, als mein erster Kuss mit einem Jungen, an den ich mich auf Anhieb gar nicht erinnern kann. Wahrscheinlich ist dieser Kuss mir auch wegen meiner inneren Debatte mit meiner Sexualität einfach wichtiger. Einige Jahre später dachte ich, ohne mir die Frage eigentlich zu stellen, eine Antwort gefunden zu haben. Ich bezeichnete mich selbst irgendwann als bisexuell, als ich mich mit einem Mädchen anfreundete, das lesbisch war. Ich denke, sie war die erste lesbische Person, die ich kannte und wir verbrachten auch schnell viel Zeit miteinander. Es 42
kam nie dazu, dass zwischen uns beiden etwas lief, aber durch sie lernte ich andere Mädchen kennen, die entweder bi oder lesbisch waren. Rückblickend war es in meinem Bekanntenkreis irgendwie ein Trend, auf beide Geschlechter zu stehen. Alle waren in der Phase, in der sie sich ausprobieren wollten und wenn es nur zum Spaß war. Ich fragte mich zu diesem Zeitpunkt auch, ob ich vielleicht nur ein Teil dieses Trends sein wollte, oder ob ich durch meine Teilnahme daran entdeckt habe, dass ich tatsächlich bi bin. Auf jeden Fall unternahm ich viel mit dieser einen lesbischen Freundin und an einem Silvesterabend traute ich mich auch meinen ersten, ernsten Kuss mit einem lesbischen Mädchen zu teilen. Bislang waren die Küsse mit anderen Mädchen nur freundschaftlich oder spaßhaft, doch hier bestand das erste Mal ein richtiges Interesse an der anderen Person. Es war zwar nicht in dem Sinne ernst, dass wir irgendwelche Gefühle füreinander empfunden und uns dann Hals über Kopf ineinander verliebt haben, doch es gab einfach eine sexuelle Anziehungskraft zwischen uns, die ich zuvor bei keinem weiblichen Menschen spürte. Mein erstes, richtig ernstes Verhältnis zu einer anderen Frau passierte eigentlich nicht lange danach. Durch Freunde lernte ich dieses Mädchen kennen. Sie hatte wunderschönes, langes Haar und große, blaue Augen. Schon als wir uns das erste Mal sahen und uns eigentlich noch nicht vorgestellt wurden, konnte ich meinen Blick nicht von ihr abwenden. Es faszinierte mich selbst, dass sie jedes Mal, wenn wir uns wiedersahen, solch eine Wirkung auf mich ausübte.
„Ich kann es mir nicht erklären, doch es zieht mich stärker an, als erwartet.“ Beim nächsten Treffen wurden wir uns dann vorgestellt und nur kurze Zeit später führte eines zum anderen. Ich erwähnte einer gemeinsamen Freundin gegenüber mein Interesse und sie erzählte es dann wiederum ihr. Das führte dazu, dass sie sich eines Abends, als ich mit meiner besten Freundin in unserer Stammbar saß, bei mir via Textnachricht meldete. Zu meinem Erstaunen schien auch sie Interesse mir gegenüber zu haben und fragte geradeheraus, ob ich ihre feste Freundin sein wollte. Ich antwortete nicht sofort, da ich mich so freute und zugleich ängstlich war, dass ich das ganze zuerst mit meiner besten Freundin ausdiskutieren musste. Ich wusste nicht genau, auf was ich mich da einlassen würde, aber wollte es unbedingt herausfinden. Ein unterstützender Rat von meiner besten Freundin bleibt mir bis zum heutigen Tag in Erinnerung. Um mich zu beruhigen, versuchte sie, es mir mit Humor leichter zu machen. Trocken sagte sie: „Ich bin dafür! Immerhin gibt es ja auch Anschnall-Dildos.“ Ich musste lachen und nahm endlich meinen Mut zusammen und antwortete ihr mit „Ja“. KONTRAST
„Ich stehe eigentlich nicht auf Frauen, aber du bist mir nie wirklich aus dem Kopf gegangen.“ Leider hatte dieses für mich so spannende Ereignis aber auch schnell wieder sein Ende gefunden. Nur ein Treffen und zwei Wochen später verließ sie mich schon. Per SMS. Das Schlimmste an der ganzen Sache war jedoch, dass ich Monate später herausfand, dass sie mir innerhalb dieser kurzen Zeit sogar fremdgegangen ist. Mit einem Jungen. Ich trauerte ihr sehr lange nach, doch danach war für mich das Thema „Frauen“ für eine lange Weile gegessen. Einige Jahre vergingen und obwohl ich den Gedanken längst verworfen hatte, eine Beziehung zu einer Frau aufzubauen, kam es wieder dazu, dass mir ein Mädchen über den Weg lief, das mir nicht aus dem Kopf gehen wollte. Meinen bisherigen „biggest Girl Crush“ lernte ich auf einem Festival kennen. Ich war mit meiner lesbischen Freundin dort und wir verbrachten den Nachmittag auf dem Campinggelände und bekämpften unseren Hangover vom ersten Abend mit einem kühlen Bier. Wir genossen das Wetter, hörten Musik und beobachteten die Menschen, die an uns vorbeiliefen. Plötzlich kam ein Mädchen an unserem Platz vorbei, bei dem wir beide einfach nur „Wow“ dachten. Da meine Freundin mutiger und selbstbewusster darin war, Frauen anzusprechen, tat sie das auch sofort. Sie rief ihr hinterher und sagte ihr gerade heraus, wie hübsch sie sei. Das Mädchen drehte sich um und lächelte uns an. Sie bat uns, die Sonnenbrillen abzunehmen, um unsere Gesichter sehen zu können. Für meine Freundin war das kein Problem, doch bei mir fingen die Komplexe an mich zu überschwemmen. Die Sonnenbrille diente eigentlich dazu, meinen Hangover und meinen verschmierten Eyeliner zu verstecken, den ich in einem Zelt mit winzigem Handspiegel nur sehr mühsam hinbekommen hatte. Zu meiner Überraschung schien sie das jedoch nicht abzuschrecken. Sie meinte sogar, ich sei ganz süß und gesellte sich zu uns. Sie fragte, ob wir beide an Frauen interessiert wären und ein weiteres Mal fiel es meiner Freundin viel einfacher, mit dieser Situation umzugehen, als mir. Ich versuchte, so selbstbewusst wie möglich den Satz „Ich bin bi.“ herauszubringen, doch innerlich war es mir irgendwie unangenehm. Als sie jedoch erzählte, dass auch sie an beiden Geschlechtern interessiert sei, beruhigte sich dieses Gefühl wieder. Wir quatschten noch eine Weile und sahen uns später zusammen das Konzert von Cro an. An diesem Abend passierte nichts und ich hörte danach auch viele Monate nichts mehr von ihr, bis ich sie zufälligerweise in meinem Lieblingsclub wiedertraf.
Ich ging nichtsahnend an die Bar und schaute mir noch die Getränkekarte an, als sie dann plötzlich vor mir auf der anderen Seite des Tresens stand. Sie grinste mich an und fragte mich, ob ich mich noch an sie erinnern könnte. Natürlich konnte ich das noch, doch wusste auch nicht genau, was ich sagen sollte. Nach ein bisschen Smalltalk, soweit das mit der Lautstärke der Musik möglich war, gab sie mir noch einen Kurzen aus und ich machte mich auf die Tanzfläche. Den restlichen Abend und auch an darauffolgenden, traute ich mich nicht mehr zu ihr an die Bar und bestellte meine Drinks immer bei jemand anderem. Erst Monate später war es mir dann irgendwie egal geworden und ich überlegte nicht mehr, bei wem ich bestellte. So kam es dann auch wieder dazu, dass ich irgendwann vor ihr stand und wir uns wieder unterhielten. Doch dieses Mal war es anders. Gerade dann, als ich dachte, es hätte eh keinen Sinn mehr und ich mir keine Gedanken mehr darum machte, wie ich mich vor ihr gab, fing sie an mit mir zu flirten. Sie fragte, ob ich immer noch auf Frauen stehe. Ich hatte mir zu diesem Zeitpunkt auch gar keine Gedanken mehr zu diesem Thema gemacht, da ich bereits in meiner jetzigen, heterosexuellen Beziehung war, doch konnte trotzdem nicht leugnen, dass sie mir immer noch gefiel. Ich erklärte ihr, dass ich immer noch Interesse an Frauen hätte, doch momentan eine Beziehung mit einem Mann führen würde. Sie reagierte kaum darauf, sie lehnte sich nur näher zu mir und beichtete mir: „Ich stehe eigentlich nicht auf Frauen, aber du bist mir nie wirklich aus dem Kopf gegangen.“ Ich denke, das war wohl das größte Kompliment, was ich je von jemandem bekommen habe und dann noch von einer weiblichen Person. Wir wollten danach eigentlich mal etwas zusammen trinken gehen, doch vergaßen dummerweise Nummern auszutauschen. Ich dachte nie wirklich daran, dass daraus mehr werden könnte. Einerseits, weil ich bereits in einer Beziehung war und andererseits auch, weil ich mir gar nicht so sicher bin, ob ich wirklich ein ernstes Verhältnis zu einer Frau aufbauen könnte. Ich mochte diese Mädchen wirklich und wäre wahrscheinlich nicht immer wieder auf solche Dinge eingegangen, wenn es nur zum Spaß gewesen wäre. Trotzdem habe ich mich nie ernsthaft auf ein Mädchen eingelassen. Ich musste mich also noch nie vor meiner Familie outen und hatte auch noch nie gleichgeschlechtlichen Sex. Das sind Schritte, die mir Angst machen. Nicht, dass meine Familie das nicht akzeptieren würde, doch nichtsdestotrotz ist es ein Thema, das dann besprochen werden müsste und mir unangenehm wäre. Genau wie der Sex. Zu diesem Thema stelle ich mir unzählige Fragen. Würde mir der Sex mit einer Frau eigentlich gefallen? Oder könnte ich meine Partnerin überhaupt sexuell glücklich machen? Ich weiß es nicht. Manchmal kommt es mir vor, als würde ich mich selbst in diese heterosexuelle Schublade stecken, da es viel einfacher scheint. Und irgendwie denke ich mir auch, dass es einfach egal ist. Ich muss eigentlich in gar keine Schublade. Genau wie ich, verändern sich auch meine Gefühle mit der Zeit und darüber sollte man sich nicht den Kopf zerbrechen. 43
Gisela Kloppke
Text von ANTON GRAFF
Im Alltag ist er Gero, der 2015 an der HMKW in Berlin sein Studium abgeschlossen, danach zuerst in einem Startup gearbeitet und dann in einer anderen Agentur Short-Copy für Ebay geschrieben hat. Momentan arbeitet er für Aida und ist für die Gästeanimation zuständig. Aber manchmal ist Gero auch Gisela Kloppke, eine Drag Queen. Bevor ich mich mit Gero für das Interview getroffen habe, hatte ich selber nicht mehr, als eine vage Ahnung, was genau Drag Queen-Sein eigentlich bedeutet. Ich habe mich mit ihm in seiner Wohnung in Berlin Kreuzberg getroffen, um mehr zu erfahren.
Wie mich, gibt es ja viele Leute, die zwar irgendeine Art von Bild im Kopf haben, wie eine Drag Queen ungefähr aussieht, aber nicht wirklich mehr darüber wissen. Deshalb zuallererst die Frage: Was bedeutet es eigentlich eine Drag Queen zu sein?
Also das Wort „Drag“ bedeutet im Grunde einfach „DRessed As Girl“. Es gibt aber ganz viele Unterscheidungen und „Drag Queen“ ist so eine Art Überbegriff. Drag Queen ist eigentlich jemand, der sich als männlich definiert, sich aber in einer Kunstfigur als weiblich verhält, performt oder singt. Es gibt ganz viele Unterschiede, zum Beispiel Leute, die von der Ausrichtung her sehr viel machen, in Richtung Beauty und Fashion und bei denen es sich in erster Linie um das Kostüm und das Make-Up dreht. Es gibt natürlich auch Leute, die Kunst auf der Bühne machen oder Polit-Drags, die ihre Charakterrolle als Sprachrohr der Community nehmen. Also das Spektrum an Drag ist mittlerweile riesengroß und deutlich vielschichtiger geworden. Und dann gibt es auch nochmal den Unterschied zwischen Travestie und Drag. Travestie bedeutet, dass man einen fertigen Charakter mit bestimmten Eigenschaften hat, mit welchem man die Menschen unterhält. Also jetzt mal ganz flach gesprochen und zusammengefasst.
Was machst du denn als Drag? Wo siehst du dich selber in diesem großen Spektrum? Zumindest jetzt momentan.
Also bei mir ist es gerade so, dass ich primär Richtung Travestie gehe. Also das, was ich vorhin meinte: Ich erzeuge die Illusion einer Frau, aber bleibe bei meinen Talenten. Meine Talente liegen darin, Leute zu unterhalten. Ich bin ein guter Entertainer auf der Bühne, ob jetzt als Mann oder als Frau.
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Ich habe als Kind schon immer gerne mit Kostümen gespielt und ich sehe das eher so als Weg, mich selber nach vorne zu pushen. Ich sehe mich als Künstlerin. Gisela ist eine Kunstfigur, die auch Kunst macht. Gisela Kloppke ist der Künstlername. Er kommt vom deutschen Wort „bekloppt“. Also ich bin schon eine Nette, aber auf die bekloppte Art. Ich bin halt nicht auf den Mund gefallen, kann gut kontern und
hat ein schwules Festival in Brandenburg zu pushen. Für eine Bühne dort hat er einen Act gesucht und mich gefragt, ob ich das machen würde. Dann habe ich mit einem Freund zusammen eine Drag-Show kreiert, in die wir alles Mögliche eingebaut haben. Da das sehr gut ankam, habe ich das für mich entdeckt. Zuerst privat, aber irgendwann hat dann ein Freund von mir, der im „Brunnen 70“ Partys veranstaltet hat, gefragt,
„Ich bin schon eine Nette, aber auf die bekloppte Art.” bin sehr gerade heraus, ohne jemanden wirklich bloßzustellen. Im Groben und Ganzen würde ich mich eigentlich so als Starlet bezeichnen, die aber schon ein bisschen zu alt ist für das Ganze, nie wirklich entdeckt wurde und dem so ein bisschen hinterherhinkt. Ich bin laut, ich bin aufdringlich, aber ein fertiger Charakter, der auch verletzlich und sehr menschlich ist. Ich möchte als Kunstfigur Teil der Masse sein, obwohl ich eigentlich über ihr stehe. Wie kam es bei dir dazu, dass du mit Drag angefangen hast?
Ich habe damals ein FSJ in Berlin gemacht und habe dann einen neuen Freundeskreis gewonnen. Unter anderem auch einen Freund, der seinen Partner immer zum CSD geschminkt hat. Ich fand das interessant und habe ihn dann gefragt, ob er mich auch dafür schminken könnte. Das hat er dann gemacht und da sind auch einige Fotos entstanden. Die Fotos hat dann ein anderer Freund von mir gesehen, mit dem ich später auch gearbeitet habe und der wiederum hat einen Freund in Templin, der damals gerade versucht
ob ich da als Wahrsagerin auftreten könnte. Dort hat mich Sebastian vom „Zum Starken August“ entdeckt und so hat sich dann alles Stück für Stück entwickelt. Über einen Zeitraum von drei Jahren ist dann diese Kunstfigur entstanden. Was für eine Art von Make-Up oder Kostüm hast du am liebsten oder trägst du meistens?
Die Präferenz ist bei mir immer Schrott, dieses trashige aus den Achtzigern. Ich bin keine Modepuppe, das kann ich auch vom Charakter her gar nicht sein. Mein Make-Up besteht zu 60 % aus Glitzer und verschiedenen Glitzerfarben. Es ist schon ein bisschen Clownesque. Es geht schon einher mit dem Charakter und ist alles ein bisschen übertrieben, viel von allem, sehr viel Rouge, sehr viel Lippenstift. Ich bin aber gerade auch dabei, ein bisschen in andere Richtungen herumzuprobieren, weil das ändert sich natürlich alles auch immer mal wieder. Vom Stil her würde ich Gisela so als „Trümmerlotte“ bezeichnen, so 'ne trashige Alte, die man vielleicht auch in Berlin treffen würde. Gisela halt. KONTRAST
Atmosphäre. Also ich war vorher aufgeregt, aber es war ein super schöner erster Auftritt. Was war der für dich schönste Moment im Zusammenhang mit Drag?
Und wie lange dauert dann so eine Verwandlung ungefähr?
Ich rechne immer so zwei Stunden ein. Wenn ich viel Zeit habe, kann das gut und gerne aber auch mal zweieinhalb Stunden dauern. Theoretisch ginge das natürlich auch schneller, zum Beispiel bei irgendwelchen Challenges. Aber wenn man die Zeit hat, kann alles schöner definiert werden. Also nehme ich mir diese Zeit gerne.
Foto von RUBEN RHEINLÄNDER
Wie war das Gefühl vor deinem ersten Auftritt?
Da war ich total nervös, weil ich auch gar nicht wusste, worauf ich mich da eingelassen hatte. Das Konzept stand an dem Abend gar nicht richtig. Ich habe mir ein paar Gedanken gemacht, wie ich das strukturiere, aber mehr nicht. Es war dann aber ein voller Erfolg. Ich hatte dann wirklich von 2015 mit Sommerpause bis 2017 eigentlich jede Woche etwas zu tun. Einmal ging das Konzept total gut auf und dann geht es auch vielen Menschen wie dir, dass sie sich nicht wirklich damit auseinandergesetzt haben. Davon gibt es im „Zum Starken August“ auch einige, die schon offen dem gegenüber sind, aber halt einfach noch nicht viel darüber wissen. Dafür ist der August dann ein toller Ort. Es war immer so ein bisschen wie in meinem Wohnzimmer da und es herrscht einfach eine schöne
Also da gibt es eigentlich zwei Geschichten. An einem Abend war so ein kleines Mädchen mit ihren Eltern da und die hat das so gefeiert und hatte viel Spaß. Das war total schön. Da hat man gesehen, dass das auch generationsübergreifend ist. Also ich glaube, die hat nicht ganz verstanden, was da auf der Bühne passiert, aber sie fand es einfach toll. Dann gab es noch einen ganz, ganz tollen Abend mit Julian (Julian aus der Obacht-Redaktion). Da haben wir zusammen „My Heart Will Go On“ von Celine Dion auf der Bühne performt, was sozusagen in die Chroniken des Bingos eingeflossen ist. Das war auch total schön für mich. Es gab natürlich noch viel mehr schöne Momente, aber das sind die, die für mich jetzt gerade da herausstechen.
Was war so der negativste, schlimmste oder enttäuschendste Moment?
Als ich im Club gearbeitet hab, kam so ein Typ zu mir. Der war ein absoluter Fan von mir und fand mich total toll und ich musste ihn leider enttäuschen. Ich zog meine Perücke runter und er meinte dann „Oh fuck you're a man“. Sonst gibt es natürlich ab und zu auch mal Momente, in denen man der falschen Gruppe oder dem falschen Menschen über den Weg läuft. Das passiert zwar nicht oft, aber das gibt es schon auch. Das gehört irgendwie leider dazu auch und hat auch zugenommen. Man hört schon davon, dass es immer mehr Übergriffe auf Transoder Drag-Menschen gibt. Gerade, wenn man jetzt nicht auf der Bühne steht, sondern sich so sagt „Hey, ich habe heute Lust mich aufzudraggen und in den Club zu gehen“, ist man für manche dann weder ein Er oder eine Sie, sondern eher so ein „Es“. Dann kann es auch schwer sein, wenn man halt nicht gerade seine Clique oder so hinter sich hat.
Was ist denn der Unterschied von, wenn du dich aufdraggst und in den Club gehst, zu, wenn du als Gero in den Club gehst? Bist du dann sozusagen jemand anderes im Club?
Das ist eine gute Frage. Also wenn ich
unaufgedraggt in den Club gehe bin ich schon impulsiv und auch wenn ich dann was trinke ziemlich frei. Aber wenn ich als Drag in den Club gehe, habe ich schon das Gefühl, ich kann noch freier sein. Also irgendwie versteckt man sich auf eine Art auch hinter dem Make-Up. Einmal, weil man halt denkt, ach cool ich bin jetzt jemand anderes und kann andere Dinge machen und zum Anderen auch, weil man sich denkt, keiner weiß, dass ich das war, weil ich sah ja anders aus. Man fühlt sich irgendwie schöner, aber ich fühle mich in beiden Rollen sehr wohl. Was sind denn jetzt bezüglich Drag so deine Pläne für die Zukunft, für die nächsten paar Jahre?
Da mache ich mir auch gerade viele Gedanken. Ich würde auf jeden Fall gern professioneller werden. Ich würde zum Beispiel gerne mit einer großen Band auftreten. Einer meiner größten Träume ist es, mal mit einer Big-Band aufzutreten, mit richtig Wumms dahinter. Sonst würde ich die Figur auch gerne mehr in Berlin integrieren, so dass ich mehr gebucht werde, auch in der Szene halt. Ich würde aber auch gerne experimenteller werden und auch mal andere Sachen als Bingo ausprobieren. Aber Bingo wird auf jeden Fall auch weiter bestehen, weil das macht mir super viel Spaß. Sonst wäre es natürlich schön, wenn ich mir damit ein zweites Standbein aufbauen oder sogar ganz davon leben könnte.
Hast du dann zum Schluss vielleicht irgendwelche Abschlussworte?
Prinzipiell finde ich die Entwicklung, die gerade weltweit passiert, auch jetzt in der Szene, ganz großartig. Drag wird sichtbarer. Die Inspiration, die man bekommt, wird immer mehr und auf der anderen Seite wird es aber auch schwieriger für Leute neu einzusteigen. Es gibt auch einfach schon große Leute, die vorgeben, wie es zu sein hat und dann sind die Menschen enttäuscht, wenn es nicht genauso ist. Ich wünsche mir einfach, dass jeder, der das Gefühl hat, sich über Drag ausdrücken zu wollen, seinen Platz findet. Mich macht es glücklich und das ist das, was ich weitergeben möchte. Wenn du glücklich bist, dann behalt dir das bei und leb dich aus.
Schönes Schlusswort. Danke.
Danke.
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KONTRAST
Text von LUCIE VIKTORIA KIESCHKE
HOROSKOPE
FISCHE (20.2. – 20.3.) Obacht – einmal stehen bleiben und durchatmen, liebe Fische. Jetzt wartet besondere Harmonie auf dich, wenn es dir gelingt, deiner sanften Seite Gehör zu verschaffen. Leichtigkeit und Intelligenz warten in den nächsten Monaten auf dich. Im Alltag und im Berufsleben kannst du dich daher auf große Erfolge einstellen. Nutze diese Harmonie, um neue Dinge zu entdecken, ganz gleich, ob es sich um emotionale oder physikalische Entdeckungen handelt. Wer weiß? Eine neue Liebe oder vielleicht doch ein neues Fahrrad?
WASSERMANN (21.01. – 19.02.) Gut Ding will Weile haben. Der Wassermann muss nun lernen zu warten und sich in Geduld zu üben. Lehne dich zurück, trinke genüsslich deinen Kaffee und warte ab, was als nächstes geschieht. Egal ob Schlager, Techno oder Pop, hör auf den Rhythmus deiner Seele, wippe mit und lass dich von ihm treiben. Wenn du jetzt lernst, das Warten zu schätzen, dann lernst du auch den Lauf der Dinge zu schätzen. Verlass‘ dich drauf: Das Leben hält jetzt ganz besondere Abenteuer für dich bereit, wenn du nur auf sie wartest, anstatt aus dem Tiefstart vorbeizurennen.
WAAGE (23.09. – 24.10.) Liebe Waagen, schaut euch an. Momentan scheint euer Leben so richtig zu laufen. Wenn du ehrlich zu dir selber bist, dann merkst du, dass es dir an nichts fehlt. Du könntest dich jetzt zur Ruhe setzen, mit deinen Freunden auf Mallorca sitzen, um 7 Uhr morgens das Handtuch auf dem Liegestuhl ausbreiten und nach dem all-you-can-eat Buffet den Tag mit einem Bierchen in der Hand am Pool verbringen. Aber wir alle wissen, dass es ein oder zwei Wochen lustig ist. Das Leben besteht aus so viel mehr, aus kleinen und größeren Schwierigkeiten und Erfolgen. Fordere dich selber heraus. Ruh‘ dich nicht aus, sondern lebe und erlebe.
JUNGFRAUEN (24.08. – 23.09.) Wie ein naives Kind schreitet die Jungfrau nun durch das Leben. Es erwartet dich eine Zeit, in der du es schaffst loszulassen. Es kehrt Entspannung ein. Du erlaubst dir nichts zu tun und auch wenn Mutti das immer als Zeitverschwendung angesehen hat und gesagt hat: „Mensch Junge jetzt steh‘ doch mal auf.“, fühlt sich das Nichtstun wunderbar an. Diese Entspanntheit liegt wie ein verführerisches Lächeln auf deinem Gesicht und verspricht dir daher nicht nur in der Liebe, sondern auch im Beruf, große Erfolge.
LÖWE (23. 07. – 23. 08.) Jeder von uns hat schon einmal einen tiefen Schmerz empfinden müssen. Manchmal steckt er tiefer als ein Splitter unter unserer Haut und wir verdrängen den Schmerz vor uns selbst. Es wird Zeit zu einem Schnitt anzusetzen, die Haut zu öffnen und den Splitter herauszuziehen. Behältst du den Schmerz zu lange in dir gefangen, kann uns das isolieren und emotional erstarren lassen. Es ist okay Trauer und Schmerz zu zeigen. Es wird dich nicht nur näher zu dir selber bringen, sondern auch zu deinen Mitmenschen. Die Zeit ist reif um in dir aufzuräumen. Die Sterne helfen dir dabei.
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KREBS (22.06. – 22.07.) Dein Leben erscheint dir jetzt gerade wie eine Achterbahn. Also anschnallen nicht vergessen. Nach dem Hoch kommt ein Tief und nach dem Tief immer ein Hoch. Sei dir bewusst, dass du kein Hoch krampfhaft bei dir halten und kein Tief überspringen kannst. Nimm das Leben wie es kommt, öffne die Haare und Schrei aus vollem Hals - ob aus Angst oder Freude.
ZWILLING (21.05. – 21.06.) Der temperamentvolle Zwilling scheint die Beherrschung zu verlieren. Kaufrausch, überschäumende Emotionen oder übertriebener Tatendrang. Es wird Zeit sich zu zügeln. Die Bäume färben sich langsam bunt und bereiten sich vor auf die Sommerzeit. Und das solltest auch du tun. Zur Ruhe kommen gehört nicht gerade zu deinen Stärken, aber ist für dich jetzt auch mal nötig. Lerne auch die Ruhe zu schätzen um in ihr neue Kraft zu schöpfen.
STIER (21. 04. – 21.05.) Dich lässt das Gefühl nicht los, dass du Wurzeln geschlagen hast und nun an einer Stelle verharrst. Es liegt in deiner Hand etwas zu ändern und die Sterne versprühen ihren Staub und verleihen dir nun besondere Kräfte alte Routinen zu brechen und neue Traditionen zu erfinden. Dem Stier sind neue Veränderungen verhasst, das ist bekannt. Aber was ist, wenn die neuen Routinen, Traditionen und Strukturen noch besser sind als die Alten? Du musst dich entscheiden, bist du eher Team „modern“ oder Team „vintage“?
WIDDER (21.03. – 20.04.) Die Widder werden vom Universum auf die Probe gestellt. Ihnen steht in den nächsten Monaten die ein oder andere schwere Entscheidung bevor, die es zu meistern gilt. Aber Obacht! Das krampfhafte Durchdenken des Auswegs könnte in eine große Zwickmühle führen. Ihr könnt weder vor, noch zurück. Lernt eurem Herzen zu folgen, es wird euch zeigen wohin es gehen soll. Und wenn ihr euch das traut, dann rast euer Herz so sehr, dass ihr nicht mal mehr wisst, was das Herz euch jetzt noch zu sagen hat.
STEINBOCK (22.12. – 20.01.) Der Steinbock tut alles für seinen Erfolg. Er arbeitet sich von unten hoch. Er lässt sich nicht unterkriegen und versucht 100 Dinge auf einmal zu erledigen. Man kann aber nicht auf allen Hochzeiten tanzen, sonst kommst du irgendwann nicht nur beim Burnout, sondern auch beim „Fuck Off“-Moment an und kannst niemand und nichts mehr wertschätzen. Atme kurz durch. Mach‘ dir Zuhause etwas leckeres zu essen, zünde eine Kerze an und nimm dir ein Buch zur Hand. Genieße die kleinen Dinge um für deine großen Projekte Kraft zu finden. „Wer feiern kann, kann auch arbeiten.“ Stimmt eben nicht immer, denn auf Dauer fehlt die Kraft.
SCHÜTZE (23.11. – 21.12.) Es wird Zeit die harte Schale der Kokosnuss zu knacken und in den inneren weichen Kern zu gelangen. Dem Schützen steht eine Zeit voller Harmonie und Reinheit mit dem eigenen Geist bevor, wenn er es ablegen kann, sich nach außen anders zu zeigen, als er sich im Inneren wirklich fühlt. Erlaube dir sensibel und empfindsam zu sein. Du wirst danach von dir selber belohnt. Und das nicht etwa mit Schokolade oder den neuen Nike-Sneakern, denn materielle Dinge spielen für dich und deine Ausgeglichenheit keine Rolle. Du schaffst es dich von äußeren Reizen zu lösen und bei dir selber anzukommen.
SKORPION (24.10 – 22.11.) Der Skorpion gleicht nun einer Blume im Frühling, die ihren Staub überall versprüht. Dir geht es gut, du bist ausgeglichen und voller Freude. Teile diese mit deiner Umgebung. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt neuen Leidenschaften nachzugehen. Vielleicht mit einem neuen Liebhaber oder einer neuen Liebhaberin oder vielleicht entdeckst du auch ein neues Hobby, das dein Herz höher schlagen lässt. obacht hat gehört, dass Puzzeln hoch im Kurs ist. Das passt ja auch wirklich gut an frischen Herbsttagen. Du vor dem Kaminfeuer und das neue Blumen-Puzzle.
Illustration von KARINE BRAVO
KONTRAST Foto von DANIEL SCHRECK
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50 ― Was ist dein Lieblingsfilm?
62 ― Eventkalender
55 ― Cinematic Universe MARIUS DOBER
56 ― Hovey Benjamin MARIUS DOBERS
58 ― Freiraum + Barbara Malagoli LUISA SOPHIE HANNKE
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52 ― Planlos glücklich LAURA LEUCK
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T K
Was ist dein Lieblingsfilm? Redaktionsfrage
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Lerne uns kennen!
KONTRAST
Mein Lieblingsfilm ist ZIEMLICH BESTE FREUNDE. Es ist ein wunderschöner französischer Film. Themen wie Kultur, Kunst und Liebe werden aus einer außergewöhnlichen Perspektive gedreht, weil die beide Hauptfiguren aus verschieden gesellschaftlichen Schichten kommen. Man kann weinen und lachen. Ein schönes Extra: Es ist eine wahre Geschichte!
Mein absoluter Lieblingsfilm: VICTORIA. Der Film wurde in einem Stück durchgedreht, er spielt also in Echtzeit. Das ist eine unglaubliche schauspielerische Leistung. Es geht um eine Spanierin, die beim Feiern ein paar Typen kennenlernt und auf einmal in kriminelle Dinge verstrickt wird. Mehr darf man nicht vorwegnehmen. Das Ende ist absolut unvorhersehbar und bringt dich in einen Zwiespalt. Witzig aber auch sehr ernst.
Mein Lieblingsfilm ist DAS LEBEN DER ANDEREN. Ich interessiere mich für die deutsch-deutsche Geschichte und der Film ist sowohl inhaltlich als auch gestalterisch unglaublich fesselnd. Der Film überzeugt mich durch großartige schauspielerische Leistung und tolle Musik.
Mein absoluter Lieblingsfilm: DER TEUFEL TRÄGT PRADA. Seit zwölf Jahren komme ich nicht von diesem Film weg. Meryl Streep ist als eisige Chefredakteurin Miranda Priestley perfekt ― wie in jeder Rolle. Der Film thematisiert die Arbeit in der oberflächlichen Modeindustrie rund um ein Modemagazin. Auch wenn ich den Film bestimmt dreißig Mal gesehen habe und mittlerweile alles mitsprechen kann, wird er nie langweilig. Wirklich nie.
Als absoluter Musical-Fan und Liebhaberin von ABBA-Songs gibt es für mich nur einen Lieblingsfilm: MAMMA MIA! Egal, wie schlecht der Tag war oder wie bedrückt meine Laune ist... gucke ich Mamma Mia, ist für 108 Minuten die Welt wieder in Ordnung. Das macht ein guter Film für mich aus!
Frank Darabonts DIE VERURTEILTEN ist mehr als nur ein Gefängnisfilm. Eine Geschichte über Schuld, Unschuld und Hoffnung, die vom ersten Frame bis zum Abspann die komplette Klaviatur der Gefühle durchspielt. Die einfachen, aber ausdrucksstarken Bilder von Roger Deakins,
der außergewöhnliche Score von Thomas Newman und der fabelhafte Cast um Tim Robbins und Morgan Freeman machen diese Stephen King-Verfilmung zu einem Meilenstein der Filmgeschichte.
THE NOTEBOOK ist für mich der Romantik-Klassiker
schlechthin! Die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern Rachel McAdams und, meinem Lieblings-Augenschmaus, Ryan Gosling zieht mich immer wieder in ihren Bann und lässt mich in die Liebesgeschichte von Noah und Allie eintauchen. Die Liebe, den Schmerz und die Leidenschaft die von den beiden so offen dargelegt wird, fühlt man durch den ganzen Film mit. Mein Go-to-Film, wenn ich Lust habe ein paar Tränen zu vergießen.
ES WAR EINMAL IN AMERIKA ist seit ca. 12 Jahren
mein Lieblingsfilm. Der Film dauert fast 4 Stunden und schafft es in der Zeit ein ganzes Leben zu erzählen über Freundschaft und Liebe, Leben und Tod, Armut und Reichtum, Aufstieg und Fall, Gemeinschaft und Einsamkeit. Außerdem spielt Robert de Niro mit: bester Mann seit Jesus.
HOTEL RUANDA ― Ein Film, der auf wahren Begeben-
heiten beruht und der Erste, der mich zum Weinen gebracht hat und nicht von Disney ist. Ein Film, über den man nachdenken muss, noch Tage nachdem man ihn gesehen hat.
Die Filme der THE AVENGERS-Reihe sind meine Lieblingsfilme, weil sie die Treffpunkte vieler Marvel-Superhelden sind, die separat noch eigene verfilmte Geschichten haben. Die Superhelden kämpfen, trotz gelegentlicher Auseinandersetzungen, zusammen gegen das Böse, was in den Filmen spannend, emotional, aber auch lustig verpackt wird. Ich freue mich schon jetzt auf die künftigen „Avengers“-Teile!
ARRIVAL ist ein Science-Fiction Film über Außerirdische, den Versuch mit ihnen zu kommunizieren und mit einem besonderen Ende. Richtig gut gefällt mir vor allem der Soundtrack des Isländers Jóhann Jóhannsson, welcher zu den ruhig bis spannenden Aufnahmen der Szenen harmonisch passt. Definitiv sehenswert, wenn man Lust darauf hat, die Thematik mit Außerirdischen aus einem anderen Blickwinkel zu sehen und es nicht immer nur Action sein muss. 51
PLANLOS GLÜCKLICH Reisen, Entdecken und sich keine Sorgen um morgen machen. Genau das macht Sarah Cattani. 2015 verließ die mittlerweile 37-jährige Journalistin ihre Heimat, Luxemburg, um ein Jahr lang die Welt zu bereisen. Zu einer Weltreise kam es nicht wirklich, doch nun, drei Jahre später, ist sie trotzdem noch nicht in ihr altes Leben zurückgekehrt. In Indien lernte sie ein neues Lebensgefühl kennen, verliebte sich und gründete ihre eigene kleine Familie. Gemeinsam pendeln sie zwischen Asien und Europa und verdienen ihr Geld damit, Yogastunden anzubieten. Wie es dazu kam, welche Ängste sie zu Beginn hatte und wie ihr Leben nun genau aussieht, erzählte sie uns. Text von LAURA LEUCK 52
In deinem Leben schien alles zu stimmen, Job und Privatleben. Wie kam dir der Gedanke einfach alles liegen zu lassen und wegzugehen?
Ich meine wer träumt nicht davon einfach mal alles hinzuschmeißen und endlos Urlaub zu machen? Ich habe ganz lange mit dem Gedanken gespielt und gedacht, dass man das nicht so einfach machen kann. Ich bin immer schon gerne gereist und habe gerne fremde Kulturen entdeckt und jedes Mal, wenn ich von einer Reise zurückkam fragte ich mich, was eigentlich wäre wenn ich nicht mehr zurück müsste. Man muss ja immer irgendwie zurück, weil man Verpflichtungen, wie eine Wohnung, eine Beziehung oder einen Job hat. Und ich habe mich immer gefragt, wie das ist, wenn man genau das alles nicht hat. Wie lange würde ich dann weg bleiben? Das war die Frage, die ich mir dann einfach beantwortet habe. KONTRAST
auf ein Konto und später, mit 60 Jahren, kann ich das Geld meinen Enkelkindern schenken. Es macht irgendwie einfach keinen Sinn. Wie du bereits erwähnt hast, spielen viele Menschen mit dem Gedanken, das gleiche zu tun, doch haben Angst wegen ihrer Familie oder ihrem Job wegzugehen. War es bei dir nur der Job der dir Sorgen bereitet hat oder waren da noch andere Ängste?
Angst hat man schon, aber ich bin von der Grundeinstellung her kein ängstlicher Mensch. Ich habe irgendwann einfach eingesehen, dass Ängste zu nichts führen. Sie sind total sinnlos. Wenn man Angst vor etwas hat, dann verschwendet man nur seine Energie damit, sich auf diese Angst zu konzentrieren, aber eigentlich passiert gar nichts. Bei mir waren es dann vielleicht nur ein bisschen existenzielle Ängste. Was würde ich danach machen? Wie geht das mit dem Geld? Solche Sachen. Aber die Neugierde war am Ende stärker.
Dich hat es nun am meisten in Asien gehalten. Wieso das?
Fotos von SARAH CATTANI
Es war nicht leicht, aber als ich dann irgendwann mal losgelassen habe, ging alles auch ganz einfach. Das Schlimmste war für mich den Job zu kündigen. Andere würden sagen, das Schlimmste wäre seine Familie oder Freunde nicht mehr sehen zu können, aber für mich war das eigentlich ok, da ich mir dachte, dass man sich immer wieder sehen kann. Der Job hingegen war schwieriger aufzugeben, da ich mir das ganze 10 Jahre lang aufgebaut habe. Auf jeden Fall habe ich mir dann gedacht, ich mache das ganze ein Jahr lang und kann dann wieder zurückkommen. Aber wenn man ganz lange so anders lebt und länger aus diesem System raus ist, wird es schwieriger sich vorzustellen wieder darin zu leben. Man fragt sich auch einfach wieso. Wieso soll ich mein Leben lang 40 Stunden die Woche arbeiten, damit ich viel Geld habe? Das Geld kommt dann
Weil dort alles einfach easy ist. Die Leute dort leben tagtäglich und ich hatte da auch einfach gar keinen Stress. Ich wollte eigentlich eine Weltreise machen und dachte mir, ich bin dann einen Monat hier, einen Monat da und dann zwei Wochen wieder woanders, doch irgendwann will man diesen Stress nicht mehr haben und dann bleibt man halt irgendwo, wo es einem gefällt. Mir hat es dann eben da am besten gefallen, also bin ich da auch geblieben. Ich will noch immer nach Süd-Amerika, ich würde gerne noch Patagonien und andere Orte entdecken, aber es ist noch nicht passiert. Ich habe noch mein ganzes Leben vor mir und werde das auch noch machen.
Hat dich der Kontrast von Asien zu Europa trotzdem zu Beginn noch ein bisschen eingeschüchtert?
Na klar, auf jeden Fall. Auch weil ich da alleine war. Ich war also schon eingeschüchtert, aber nicht so stark, dass ich es nicht machen würde.Ich habe dann sehr schnell auch andere Leute kennengelernt, die in der gleichen Situation waren und dann konnte ich auch man seine Ängste überwinden. Mit der Zeit gewöhnt man sich auch einfach an die Dinge. Also als ich das
erste Mal in einem Zimmer übernachtet habe, in dem ich im Dunkeln, am Boden, ohne Schloss an der Tür und umgeben von Spinnen schlafen musste, da dachte ich mir schon „Was mache ich hier?“. Aber je länger man das macht und je weiter man sich entwickelt, desto weniger Ängste hat man dann auch.Wenn ich so zurückschaue merke ich auch, die Zeit vergeht einfach und man wird mit ihr resistenter. Auf einmal lebt man dann wie die Einheimischen.
„Ich habe irgendwann einfach eingesehen, dass Ängste zu nichts führen. Sie sind total sinnlos.“ Du hast gesagt, du wolltest eigentlich nur ein Jahr weg, doch dann hat sich dein Plan geändert. Was war da der ausschlaggebende Punkt, dass es dann doch länger wurde?
Der ausschlaggebende Punkt ist, dass ich aufgehört habe zu planen. Wenn man das nicht mehr tut, dann geschehen die Dinge auch ganz anders, und bis jetzt, überall wo ich seitdem war, hat alles immer geklappt. Es sind auch Türen aufgegangen, die es nicht getan hätten, wenn ich schon alles verplant hätte und zum Beispiel gesagt hätte „oh nein, ich muss jetzt aber hier oder da hin“. Das heißt eigentlich hat sich der Plan sozusagen einfach aufgelöst. Es gibt jetzt einfach keinen Plan mehr. Ich bin planlos.
Und das klappt?
Das klappt viel besser! Es ist so wesentlich entspannter. Ich habe das vorher immer gemacht und wusste dann sechs Monate im Voraus schon was ich machen werde. Insbesondere wenn man beim ▶ 53
Fernsehen arbeitet ist das so. Da ist alles geplant und man muss sich selbst drum herum planen. Und diese ganze Planerei nimmt so viel Zeit und Energie in Anspruch. Wenn man das nicht mehr macht, geht alles auf einmal viel einfacher. Die Leute fragen sich immer, wie das geht. Na es geht einfach. Das ganze bringt ja nicht nur einen Wandel in der Umgebung, sondern wahrscheinlich auch ein anderes Lebensgefühl mit sich. Wie war es bei dir? Wie hättest du dich vorher beschrieben und wie würdest du es jetzt tun?
Oh man, ich bin jetzt so frei. Vorher war ich das absolut nicht. Ich war zwar ein Workaholic und fühlte mich glücklich, aber eher glücklich an Produktivität. Das heißt je mehr ich gemacht habe, je höher ich die Karriereleiter aufgestiegen bin oder derartige Sachen passiert sind, desto glücklicher war ich. Aber eigentlich hatte ich nie die Zeit so wirklich glücklich zu sein, weil gleich immer das Nächste und das Nächste kam. Ich kämpfe auch jetzt noch damit da raus zu kommen, das sind 30 Jahre der Formatierung aus der man auszubrechen versucht. Ich denke auch, dass ich
nicht frei und eigentlich zudem nicht wirklich authentisch war. Ich dachte es, aber denke nicht, dass ich es tatsächlich war, da das in diesem System irgendwie gar nicht so erwünscht ist. Man soll einfach nur funktionieren und man soll alles machen wie jeder es macht und wenn man es nur ein bisschen anders macht, merkt man, dass die Menschen einen auf einmal auch anders betrachten. Ich bin jetzt also viel freier, viel entspannter und glücklicher. Gibt es nichtsdestotrotz Dinge die du vermisst?
Vermissen... mir fällt nichts ein, was ich vermisse. Ich mache die Dinge, die ich gerne mache immer noch.
Wie sieht denn die Zukunft aus? Natürlich wirst du nichts geplant haben, aber hast du vielleicht trotzdem eine Vorstellung davon wie es ungefähr sein wird?
Keine Ahnung. Ich weiß es nicht und genau das ist super spannend. Wenn man plötzlich so loslässt, dann hat man keine Ahnung mehr. Hättest du mich vorher gefragt, hätte ich gesagt, dass ich wieder als Journalistin tätig
sein werde und wahrscheinlich ein Haus kaufen werde. So dieses 0815 Leben. Und jetzt: keine Ahnung. Ich meine vor zwei Jahren wusste ich auch nicht, dass ich heiraten, ein Kind bekommen, reisen und einen Van haben werde. Jetzt für die Zukunft überlegen wir was wir vielleicht in einem Monat machen, aber weiter keine Ahnung, keinen Plan. Ich lasse einfach viel mehr auf mich zukommen. Das ist echt cool. Welchen Tipp würdest du den Menschen geben, die gerne das gleiche machen würden?
Mach's. Mach's auf jeden Fall. Warte nicht. Einfach das machen, was einen froh macht. Das heißt nicht, dass jeder reisen muss, es kann auch irgendwas anderes sein. Aber halt einfach... machen. Jetzt. Nicht morgen. Und gar nicht überlegen wie, was, wo. Auch wenn man sich absichern will, wenn man wissen will wie es genau ablaufen wird, passiert es am Ende sowieso nicht so, wie man es sich vorstellt. Ich hätte auch nie gedacht, dass ich als Yoga-Lehrerin arbeiten werde und ich weiß auch nicht, was in den nächsten Jahren passieren wird. Es ist alles offen.
Die Unendlichkeit der Universen Wie die Sequelitis mir das Kino verdarb
Foto von MARVEL STUDIOS
Text von MARIUS DOBERS
„Mr. Stark, I don't feel so good“, sprach der dritte Spiderman des 21. Jahrhunderts zu Iron Man. „Avengers Infinity War“ war der weltweit erfolgreichste Film des letzten Jahres. Im dritten Teil der Reihe traf die Créme de la Créme des Marvel Cinematic Universe aufeinander und zerlegte weltweite Einspielrekorde innerhalb kürzester Zeit. Gesehen habe ich ihn bisher noch nicht. Generell habe ich nur einen Bruchteil der zwanzig bisher entschiedenen Filme des Universums gesehen. Das hat weniger mit der Qualität der Filme zu tun. Die Streifen, die ich sah, fand ich völlig in Ordnung und sie unterhielten mich für die Zeit, in der ich sie geguckt habe. Viele meiner Freunde sind Fans der verschiedenen Filme, Kritiker loben die Machart und das Storytelling, doch mich bekommt so gar nichts motiviert die mir noch fehlenden 15 Filme nachzuholen oder die nächsten 15 im Kino zu gucken. Vielleicht bin ich einfach der Szenarien überdrüssig geworden. Die Rettung der Welt, die Rettung des Universums, Spin-Off, Prequel, Fortsetzung, Spin-Off, Fortsetzung. Es wiederholt sich. Daran ändern auch zum Teil gut geschriebene Charaktere nichts. Ich kann diese Empfindung nicht abschütteln. Es hat sich das Gefühl eingestellt, dass das Kinojahr nur noch aus Fortsetzungen, Spin-Offs
von Nebencharakteren und Neuinterpretationen bereits existierender Werke besteht. Das ist kein Phänomen, was sich auf Marvel beschränkt. Für DC-Produktionen gilt das gleiche. Wer noch Lust auf ein paar Transformers-Filme hatte, konnte sich an Weihnachten 2018 das Spin-Off des Autobots Bumblebee nach der Gans schmecken lassen. Die Fast-And-The-Furious Franchise wird sicherlich demnächst noch einen Teil im Weltraum drehen, oder ein Prequel zu Vin Diesels Charakter, fuck it! Die Leute werden es schon gucken. Mir ist auch bewusst, dass nicht jeder Film ein dichtes, kammerspielartiges Sozialdrama aus Estland sein kann, der die großen Probleme der Menschen im Kleinen bespricht und auf der großen Leinwand emotional erfahrbar macht. Zudem erzählt auch nicht jeder Independent-Film eine Geschichte, die es wert ist auf Zelluloid gebannt zu werden. Vermutlich störe ich mich viel mehr an den Kinogängern, als an den Produzenten der entsprechenden Filme. Dass die persönlichen Parameter, die man an das Erlebnis Kino anlegt, variieren, ist auch völlig klar. Und doch frage ich mich, warum sich dieser von mir empfundene Überdruss nicht einzustellen scheint. Die Besonderheit mancher filmischer Machwerke ging meiner Empfindung nach auch immer davon aus, dass eine bestimmte Geschichte fertig erzählt war. Dass man als Zuschauer einen Weg finden musste die Empfindungen mit dem Wissen einzuordnen, dass nichts mehr kommt, was das Bild nochmal erweitern könnte.. Vielleicht nervt mich das an der inzwischen so durchgetakteten Fortsetzungsmaschinerie. Dass ein vollwertig produzierter Film nur das Vorspiel für einen Akt ist, der keine Klimax findet. Eine Art vorgetäuschter cineastischer Orgasmus. Solange die Fans zufrieden sind und der generelle Kanon positiv ist, besteht natürlich eine Existenzberechtigung für diese Filme. Doch sollten die Kinogänger einmal merken, dass es inhaltlich bergab geht und sie mit ihren treuen Kinogängen eigentlich nur die Sequelitis der Filmstudios füttern, sind sie auch in der Pflicht das deutlich zum Ausdruck zu bringen. Im Grunde mache ich mir wahrscheinlich Sorgen, dass das Visuelle eines Filmes noch stärker über die strukturellen Inhalte gestellt wird, als es eh schon der Fall ist – sowohl von der Produktion, als auch von den RezipientInnen. Was bringt mir CGI-Krawall, wenn es mich innerlich kalt lässt? Das Kino soll Geschichten erzählen und beansprucht auch für sich im großen Stile Emotionen zu erzeugen. Wenn aber irgendwann einmal alles als langweilig tituliert wird, weil kein ganzes Sonnensystem auf der Leinwand zerlegt wird, dann muss man sich fragen, ob das nur an den sich transformierenden Sehgewohnheiten liegt, oder ob die Institution Kino die Darstellungsform Kinofilm gekillt hat. Wenn das Popcorn bis dahin noch bezahlbar geblieben ist, sieht man sich ja vielleicht mal 2045 in einem Multiplex und guckt sich gemeinsam den dreißigsten Captain America Film an. Oder Jumanji 14 – Brettspiele, die die Welt bedeuten. Sollte einem das bis dahin aber inzwischen völlig abgehen, könnte man dafür zur Abwechslung auch mal ins Programmkino. Wie wäre es? 55
A
m 7. März 2017 klickte ich auf der Startseite von YouTube in die deutschen Trends. Da ich mit Fake-Pranks, deutschen YouTuber-Beefs oder 14 nützliche Ideen was du aus Wassermelonenkernen alles so machen kannst eigentlich wenig bis gar nichts anfangen kann, frage ich mich im Nachhinein weshalb ich überhaupt reingeschaut habe. Was habe ich erwartet? Ich scrollte die Liste entlang und bekannte Gesichter und stereotype Thumbnails kreuzten meinen Weg. Doch dann erblickte ich ein Video, was mich stutzig machte. „Hovey Benjamin – Sweet 16 ft. Marvel Alexander“, im Thumbnail eine Teenagerin, die ein Selfie macht, während sie an einem Joint zieht. Meine Neugier war so weit geweckt. Im Video sieht man zunächst das Mädchen aus dem Thumbnail, wie sie im Garten von ihren Eltern ein Geburtstagsständchen gesungen bekommt. Die Kerzen auf der Torte brennen. FreundInnen sieht man keine. Stattdessen werden diverse Absagen eingeblendet, die mehr oder weniger unverblümt suggerieren, dass ihre KlassenkameradInnen keine große Lust hatten an ihrer Feier zu partizipieren. Sie bläst traurig die Kerzen aus und rennt aus dem Bild. Ihre Eltern wirken nachdenklich. Dann holen sie ihre Tochter aus dem Haus, um ihr ein großes Geschenk zu machen. Als sie erfährt was es ist, freut sie sich überschwänglich. Es sind Hovey Benjamin und Marvel Alexander. Ab jetzt beginnt die wilde Fahrt. Im Gepäck haben sie nämlich eine Menge unterschiedlichster Drogen dabei. Fortan wird getrunken, gebufft, gesnifft und Xannys gepoppt. Die kleine Partygemeinde schart sich um eine Pillen-Pinata, die kurz zuvor in der Euphorie des bereits bestehenden Rausches kunstvoll zerstört wurde. Die Party nimmt weiter ihren Lauf und einzelne Schnappschüsse des Ganzen werden in den sozialen Medien gepostet. All das passiert, während Hovey und Marvel darüber rappen und singen, dass sie als Drogendealer das metrische System ablehnen und ihnen niemand dieses Konzept versuchen solle näher zu bringen.Unzen und Pfunde seien viel pragmatischer. Runde Zahlen wären eh noch nie so ihr Ding gewesen. Es wäre daher auch nicht von Nöten zu wissen wie groß man in Zentimetern sei, solange man weiß wie viele foot man long ist. Dieser bizarre disconnect von Video und Audio brachte mich zum Lachen. Die Trendplatzierung ergab für mich Sinn. Da der Song neben seinem kuriosen Inhalt gleichzeitig musikalisch gut gemacht war, bestand Grund zur Annahme, dass wir es hier mit einem klassischen Fall von going viral zu tun hatten, der mit der Zeit eine gewisse Eigendynamik entwickelt hat. Doch in den Kommentaren wurde gepöbelt, das Video wurde deutlich häufiger gedisliked, als dass es Daumen nach oben von den Usern bekam. Der Grund hierfür war, dass das Video es durch preroll Ads geschafft hatte in einigen Ländern in die Trends zu geraten. Hovey Benjamin adressierte dies in einem Kommentar unter dem Video und betonte, dass diese Ads von einer Plattenfirma geschaltet wurden, an die er diesen Song veräußert hatte. Er hätte lieber weniger Klicks, als lauter wütende Menschen in seinen Kommentaren und bat um Entschuldigung. 56
D A M I H T Text von MARIUS DOBERS
KONTRAST
Wenn er in DM Going Dry auf emotionale Weise die typischen Floskeln eines nach Nacktbildern bettelnden Menschen in die Kamera singt, herrscht in den Kommentaren keine Aufregung, sondern Bewunderung für die akkurate Verarbeitung der entsprechenden Thematik.
E S I T A E Foto von HOVEY BENJAMIN
Mir persönlich hatte sein Werk sehr zugesagt, weswegen ich für mich beschloss ihm bei den eingängigen Plattformen zu folgen, um über seinen weiteren Output informiert zu sein. Das Besondere an Hoveys Stil erschließt sich einem, wenn man seine weitere Diskographie betrachtet. Sein zur Feier des Tages erstellter „July 4th Freestyle“ thematisiert kompakt in eineinhalb Minuten die Rückkehr des amerikanischen Patriotismus. Die Bildsprache des Videos zeigt, an welcher Stelle er diesen selber verortet. Zu Bildern von Düsenjets, Hot-Dog-Wettessen und grotesken Ganzkörper-Declaration of Independence Tattoowierungen führt er die US-amerikanischen Versäumnisse in der Bildungsund Rüstungspolitik und die mangelnde Aufarbeitung bestimmter Aspekte der Landesgeschichte an. Untermalt wird das ganze von einem Beat, dessen Bass bewusst übersteuert ist und somit zum Spiegelbild für den aus seiner Sicht übersteuert betriebenen Patriotismus wird. In „I dropped a Pick in My Guitar“ leidet Hovey in drakeartiger Manier darunter, dass ihm sein Plektrum in die Gitarre gefallen ist. Er überlegt einfach mit dem Gitarre spielen aufzuhören, nur um kurz darauf generell zu konstatieren, dass das Leben verdammt schwierig sei. Als artistischen Kniff hat er das Geräusch des in die Gitarre fallenden Spektrums in den Beat eingearbeitet. Es sind diese kleinen Feinheiten, die zeigen mit welchem musikalischen Gespür er bei der Sache ist. Bald darauf folgten Songs über Jungs, die sich einzig und allein auf das neue Schuljahr freuen, weil sie sich in ihren Sommerferien ausgemalt haben nun als Seniors vielleicht bessere Chancen bei den Mädchen zu haben. Antrieb hierbei sei der mittlerweile panische Wunsch die eigene Jungfräulichkeit zu verlieren.
Insofern sind diese musikalischen Sketche für viele eine gelungene Komprimierung von Alltagsbeobachtungen und Popkultur. Nur so können wahrscheinlich Songs wie „Sexy Hat“ entstehen, die Hoveys Erfolg bei Frauen auf eine Basecap zurückführen, die recht plakativ SEXY auf der Frontseite stehen hat. Diese Art des Weiterdenkens und seine ganz spezielle Alltagsdekonstruktion machen ihn zu einem spannenden Künstler. In Live Laugh Love nimmt er das berühmte Wandtattoomotiv auf die Schippe und berichtet davon, dass der bloße Kauf eines entsprechend gebrandeten Schildes sein Leben verändert hätte und er inzwischen bereits um 10 Uhr morgens mindestens einmal gelived, gelaughed und geloved hat. Zu seinem Repertoire gehören zudem Songs, die von Männern handeln, die sich wie Väter kleiden, aber niemals selber Kinder haben möchten, dass das Ablehnen eines Heiratsantrages damit begründet werden kann, dass so viel Schlimmes in der Welt geschieht, dass wir eh bald sterben werden und eine Hochzeit da doch nun wirklich nicht von Nöten wäre. Sein wohl bekanntestes Werk ist „Send Bobs“, der einzige Song, der neben Sweet 16 wirklich viral ging. In diesem reiht Hovey lauter anzügliche Privatnachrichten aneinander, die von non natives der englischen Sprache an Frauen versandt wurden und aufgrund von Orthographie und Inhalt bereits vorher zu einem global diskutierten Phänomen in der Internetgemeinde geworden waren. Dass Hovey nicht bereits bekannter ist als bisher, spaltet seine Fangemeinde. Die einen sehen es als Segen, als Chance ihn in seiner ursprünglichsten Form wahrzunehmen, während der andere Teil ihn förmlich anfleht es mit serious music zu probieren, weil sie ihn für so talentiert halten. Die Frage ist, was Hovey möchte. Seine größte Qualität liegt darin, dass er wenig bis keinen Klamauk benötigt, um den komödiantischen Wert seiner Werke zu betonen. Im Gegensatz zu vielen Produzenten von komödiantischer Musik oder Song-Parodisten verzichtet er auf Grimassen, auf amplifier, die der Zuschauerschaft suggerieren: An dieser Stelle müsst ihr jetzt lachen. Es ergibt sich einfach aus Kontext, aus der meist schlichten und doch bizarren Präsentationsform seiner so spezifischen Themen. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich einfach über die Tatsache lachen muss, dass ein junger Mann aus Virginia, auf den ich zufällig aufgrund von extern bezahlten pre-roll Ads in den deutschen YouTube Trends gestoßen bin, für mich und eine kleine Community zu einer Art Sprachrohr eines57speziellen Zeitgeists geworden ist, selbigen aber auch mit kritischer Distanz betrachten kann. Wo Hovey Benjamins Weg hinführen wird, wird die Zeit zeigen. Ein Album gibt es noch nicht. Vielleicht kommt auch keines. Egal was die Zukunft für ihn bereithält, ich bin ihm, dem Meta-Musiker und Comedian dankbar für die Dekonstruktion des Alltäglichen und seiner teils absurden Auswüchse. 57
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KONTRAST
Freiraum BÁRBARA MALAGOLI
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Our project campaign Freiraum + takes us around the world this time. The artist we have chosen is Barbara Malagoli, who is a multidisciplinary artist with focus on Illustration and Visual Arts. She is half Brazilian and half Italian. Right now she is based in London. Her art is special and we are happy to show you a range of her projects. Interview by LUISA SOPHIE HANNKE
← Flutuantes 2016 Collection of 12 mini posters, Hand-folded glove on Rives paper printed by Riso Tropical
Hey Bárbara, can you tell me something about your person?
I am from São Paulo, Brazil. I studied Graphic Arts and Graphic Design. I've done editorial illustrations since 2007 when I started designing for magazines. My drawings are served in books, magazines, posters, products, ads and newspapers. Today I am freelance illustrator and develop projects for several clients such as Google, Facebook, L’Occitane, Vogue and more.
How old are you ?
29 years old.
Are you studying or working?
I am working as a freelance illustrator, based in London.
How did you come to go in this direction of art?
My work is part of me, so more than motivation is a necessity. I can not imagine doing anything else. My motivation is to evolve and learn always and that my creative expression grows with me.
Why graphic design?
I am an extremely visual person, so everything around me inspires me and appears in some work at a time or another. From a desserts to an overlay of
clothing, my mind is always hunting beautiful things. Illustration and Graphic design is just a way to express and put out all the references that I see in the world. Are you expressing your feelings with graphic art?
When my work is personal, I feel I have a greater responsibility to pass on an atmosphere and questioning things that I believe, expressing myself with more freedom. When the work is for a client I try my best to express my personality through the dash and characters, but it’s not the same.
Have you always been interested in art?
I’ve been drawing since I was a kid and have always been fascinated by cartoons, comics and video games, which is where most of my references came from. The difference is that I never stopped drawing and decided that this would be my career.
Where can we see your works in future?
At the moment I am creating pieces for an exhibition in London, I really like to work manually, I feel that it is another part of me speaking and growing. I hope to create and paint more and do other exhibitions around the world. 59
↑ ↓ → McDonald's 2017 Series of illustrations created for the M5K women's race, held by the McDonald's
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KONTRAST
↑→ Topografias 2015 Illustrations for a comic book project which features six stories published by Selo Piqui.
→ Destinos Prováveis 2018 Personal project, Scarfs series in satin and crepe
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EVENTKALENDER JUN JUL AUG
11 04 15 KISS
@WALDBÜHNE BERLIN
FEEL FESTIVAL
@BERGHEIDER SEE, LICHTERFELD
02 04
TATTOO CONVENTION BERLIN @ARENA BERLIN
07
14
11
21 20 23 -
PHIL COLINS
@OLYMPIASTADION BERLIN
LOU DOILLON @GRETCHEN
@OLYMPIASTADION BERLIN
BOTANISCHE NACHT
@BOTANISCHER GARTEN BERLIN-DAHLEM
28 27 30 BERGMANNSTRAßENFEST
@KREUZBERG
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P!NK
CHRISTOPHER STREET DAY PARADE BERLIN
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STERNSCHNUPPENNACHT IN BERLIN
POP-KULTUR FESTIVAL BERLIN
@KULTURBRAUEREI BERLIN
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LANGE NACHT DER MUSEEN
KONTRAST
SEPT OKT
06 11 07 08
10 13 11 20
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IFA: INTERNATIONALE FUNKAUSSTELLUNG
@MESSEGELÄNDE BERLIN
LOLLAPALOOZA
@OLYMPIASTADION UND -PARK BERLIN
YANN TIERSEN
@ADMIRALSPALAST THEATER
28 29
BERLIN MARATHON
@STRASSE DES 17. JUNI ZWISCHEN BRANDENBURGER TOR UND „KLEINER STERN“
IMPRESSUM AUSGABE NR.7 KONTRAST
BERLIN PHOTO WEEK 2019
Das Studentenmagazin der Studierenden der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Berlin. Wir sind selbstorganisiert und interdisziplinär. Wir berichten über Medien, Zeitgeschehen und die großen Themen des Alltags.
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FESTIVAL OF LIGHTS
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Druck
CARNIVAL YOUTH
@KANTINE AM BERGHAIN
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Herausgeber
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Luisa Sophie Hannke, Paula Roy & Daniel Schreck
BLACK SEA DAHU @LIDO
Die Artikel und Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wider. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird keine Haftung übernommen. Nachdruck und Vervielfältigung nur nach vorheriger Genehmigung. 63
CHEFREDAKTEURIN : LUISA SOPHIE HANNKE ― CHEFIN VOM DIENST : PAULA ROY ART DIRECTOR : DANIEL SCHRECK ― STELLV. CHEFREDAKTEUR : ANTON GRAFF STELLV. CHEFIN VOM DIENST : LUCIE VIKTORIA KIESCHKE ― GRAFIKER : BIANCA CRAMER LISA-MARIE EBERL ― JOHANNA GROß ― LISA POMMERENING ― AUTOREN : FELIX BANDEMER EVA BRAUNGART ― EVA MARIA CHRISTIANSEN ― MARIUS DOBERS ― JULIAN ENTRUP-GALINDO JOSEFINE FRIEDRICH ― MARIE KLASEN ― MASCHA LESKIEN ― LAURA LEUCK ― SOPIHE SCHRÖDER