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obacht

CHANGES


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Foto von Florentin Aisslinger

Werte Leserinnen und Leser, mit einem Vorwort laufen Schaffende immer Gefahr, das Ergebnis ihrer Arbeit erklären zu wollen. Der selbst auferlegte Zwang, das Werk und die damit verbundenen Bemühungen zu begründen, ist ein überflüssiger Versuch, dessen Existenz zu verteidigen. Der Tatendrang junger und ambitionierter Schreiber darf niemals einer Rechtfertigung unterliegen.

Wir haben die Freiheit all das zu fühlen, wozu unsere Großeltern keine Zeit hatten. Und doch ist die vorherrschend spürbare Konstante das kollektive Empfinden von Langeweile. Als Widerstand gegen die allgegenwärtige Reizüberflutung und als Diät für alle Junkies von digitalem Fast-Food, haben wir unter Schweiß und Tränen dieses Printprodukt geboren.

So wie vorherige Generationen von Kreativen, Chronisten ihrer Zeit waren, sind wir die der unseren. Somit ist es unsere einzige Pflicht, die Geschichten, politischen Momente und Gefühle darzustellen, die uns antreiben. Doch einfach brav so weiterzumachen, wie es unsere Vorgänger getan haben, wäre schlichtweg gegen die Natur des Menschen. Die logische Folge ist Veränderung. Unter keinen Umständen dürfen wir aufhören, bestehende Denkmuster zu hinterfragen und müssen uns stets bemühen, neue Ausdrucksformen zu finden.

Aber man muss auch wissen, wann etwas vorbei ist. Mit der Fertigstellung dieses Magazins hat die Chefredaktion der fünften Ausgabe einvernehmlich beschlossen, das Projekt an die nächste Generation weiterzugeben.

Es ist paradox, aber es scheint als würden sich junge Menschen, trotz grenzenloser Vernetzung, einsamer und leerer fühlen als je zuvor. Die Ergebnisse dieser Entwicklung sind spektakulär kuratierte Darstellungen der eigenen Bedeutungslosigkeit im Internet, die mit der Realität wenig zu tun haben. Für viele wird die unerträgliche Leichtigkeit des Seins erst durch die Linse einer Handykamera zumutbar. Die Tiefe der menschlichen Empfindsamkeit vereinfacht durch Emojis. Den Sinn des Lebens in einem Instagram-Filter gefunden. Vierundzwanzig Stunden in einer Snapchat-Story komprimiert.

Mehr von Robert auf Seite 29 ‚The darkest hour is just before dawn‘

Es ist mir eine Ehre, die größte und persönlichste Ausgabe dieses Magazins zu überreichen.

In diesem Sinne,

Robert Schlösser, Chefredakteur


tagebuch

leben 10

Was ist eigentlich mit Rotwein? von Jonas Deißler

Eure Kreativität kotzt mich an von Anonym

Plötzlich ist alles nichts von Anonym

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Alles nur geklaut von Julian Entrup Galindo

Von Bibern & Promille-Wegen Hamsterrad der Unzufriedenheit Interview von Paula Roy

von Tom Reed

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Schwere Jugend, leichter Tod Interview von Nikolaus Uhlmann

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„ Mein Leben ähnelt einem Olympia-Marathon“

The darkest hour is just before dawn

von Eva Kern

Ich kenne jemanden, der jemanden kennt von Laura Kirsten

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von Robert Schlösser

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Gedichte von Vielen

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Interview von Paula Lou & Robert Schlösser

Veränderung liegt im Blickwinkel von Mirko Lenz

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kultur

changes

(K)eine Mutter

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Absprung in letzter Sekunde

Cherry Willow: Täter aus Überzeugung

von Sara Orlos

von Robert Schlösser

Die Sprache im Wandel von Alissa Großkopf

Von Computern, die denken lernen von Max Wittig

Russland erobert seine Würde zurück von Thorsten Gutmann

Russland verliert sich in der Vergangenheit von Anonym

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Jan Becker Interview von Luisa Hannke

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Horoskope von Paula Lou & Katharina Conrad

Eventkalender Juli - Dezember

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Impressum

von Paula Lou Riebschläger

von Amir Al Haifi-Abs

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Cover & Ressorts von Tim Kirchner

Der Tod des investigativen Journalismus?

Ein beschissener Deal

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Frage an die Redaktion: Was war ein Irrglaube deiner Kindheit? Ich dachte früher, Katzen sind weibliche Hunde. Gefällt mir . Antworten .

2 . 2.April um 14:47

Thorsten Gutmann Ich dachte früher immer, dass ein Monster im Klo lebt Sophie Schmidt Ich auch! ich dachte wenn man spült, kommt der Klomann aus der Toilette gekrochen. Gefällt mir .

3 . 2.April um 14:56

Tom Reed Robert Schlösser Gesellschaftsressort coming to an obacht near you

Sophie Schmidt Als meine Mutter mir erzählt hat, dass ich Eier in meinem Körper habe, war ich ganz entsetzt in dem festen Glauben ich sei ein Huhn.

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Julian Entrup-Galindo Ich war der felsenfesten Überzeugung das ich mir aussuchen kann ob ich ein Kind bleiben möchte oder Erwachsen werde. Ich wollte immer ein Kind bleiben, die Erkenntnis hat mein Weltbild zerstört... Robert Schlösser Leben diese

1 . 2.April um 15:33

Lisa Hldbrndt Ich dachte Männer und Frauen suchen sich immer einen Partner mit der Selben Haarfarbe. Gefällt mir .

3 . 2.April um 15:48

Tim Church Ich dachte früher, dass die Schauspieler im Film reale Menschen sind und all das erleben und erleiden. Gefällt mir .

5 . 2.April um 16:12

2 . 2.April um 14:59

Mirko Lorenz Ich dachte früher, in Leberwurst ist keine Leber. Tim Church Same mit Blutwurst Gefällt mir .

2 . 2.April um 17:58

Trad Burmawi Ich dachte früher ich würde die wahre Liebe finden und mein Leben würde wie in nen Disney Film enden.

Tabea Luise Ich habe geglaubt, dass jeder, der was mit rohem Ei gegessen/ausgelöffelt/abgeleckt hat (Teig) wegen der furchtbaren Salmonellen so gut wie Selbstmord begeht.

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2 . 2.April um 19:45

Irrglauben Umfrage

6 . 2.April um 20:29


Robert Schlösser LEUTE, DA GEHT NOCH MEHR!!! Gefällt mir .

Lisa Hldbrndt Ich dachte, das alle Menschen gleich viel verdienen und, dass der einzige Unterschied wieso es verschiedene Jobs gibt, der ist, das jeder andere Interessen hat. Looooool

7 . 3.April um 10:31

Tim Church Ich dachte früher, dass die Bäume den Wind machen. Gefällt mir .

2 . 3.April um 15:07

Robert Schlösser Der feuchte Traum des Karl Marx Gefällt mir .

5 . 3.April um 11:47

Sophie Schmidt Ich dachte früher Bernsteine sind die Tränen der Sonne (meine Oma hat tolle Geschichten erzählt) Gefällt mir .

Robert Schlösser Ich dachte früher, dass alle Musiker, die im Radio gespielt werden, direkt vor Ort sind und dort alle vor der Studiotür in einer Schlange stehen und auf ihren Auftritt warten. Robert Schlösser Zur Weihnachtszeit hat Wham! demnach einen sehr getakteten Zeitplan.

1 . 4.April um 09:47

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Paulina Noah Ich dachte immer, dass Menschen im Fernseher uns sehen können und, dass man den Toilettendeckel immer runtermachen muss, weil sonst Ratten aus der Toilette kommen #dankeoma und dann habe ich immer gedacht, dass man Bruder und ich adoptiert wurden, weil niemand rote Haare in der Familie hat. Tim Church Ich glaube alle Omas haben sowas erzählt um sich durchzusetzen und unnötige Ängste zu schüren! Robert Schlösser Adoptiert wegen Haarfarbe. Meine Moral ist für heute gehoben. Gefällt mir .

4 . 4.April um 15:47

Tabea Luise Ich dachte, dass sobald ich meine Hände falte, Gott sofort alles hören kann was ich denke und habe mich dann in Gedanken entschuldigt, dass das nicht an ihn war. Gefällt mir .

2 . 5.April um 06:37

Eva Kern Ich dachte früher, dass ich mir alle Kinderlieder, die ich am liebsten mochte, (hejo spann den Wagen an / alle meine Entchen / drei Chinesen / Hänschen klein usw.) eigenständig im Schlaf ausgedacht hätte. Ich wollte meiner Mutter ewig nicht glauben, dass ich keine begnadende Komponistin bin. Gefällt mir .

1 . 5.April um 19:40

2 . 4.April um 14:00

Luisa Sophie Ich dachte früher, dass ich nicht mehr gesehen werde, sobald ich meine Hände vor das Gesicht halte. Ganz nach dem Motto “was ich nicht sehe, sieht mich auch nicht” Gefällt mir .

4 . 4.April um 14:22

Paula Lou Ich dachte früher, dass immer soviel Geld aus dem Automaten kommt wie man gerade möchte. Mir war völlig unklar, warum Leute arbeiten gehen anstatt Spaß zu haben. Gefällt mir .

3 . 4.April um 16:47

Kathi Conrad Ich dachte früher, ich könnte mit allen Bäumen und Pflanzen in unserem Garten reden. Als ich nach Amerika gezogen bin habe ich mich stunden lang von allen verabschiedet. Robert Schlösser wow Tabea Luise Das dachte ich auch! Und wenn Wind kam, der die Blätter hat rascheln lassen, glaube ich fest, sie antworten mir. :) Gefällt mir .

5 . 5.April um 21:00 7


leben


Laura Kirsten

Ich kenne jemanden, der jemanden kennt

Eva Kern

Mein Leben ähnelt einem Olympia-Marathon

Paula Roy

Im Hamsterrad der Unzufriedenheit

Julian Entrup-Galindo

Alles nur geklaut


Alles nur geklaut Vor heterosexuellen Männern ist wirklich nichts sicher. Egal ob Röhrenjeans, Undercuts oder Dick Pics – sie kopieren einfach alles. Einer muss es mal aussprechen: Heteros sind die asiatischen Autobauer unter den Trendsettern. von Julian Entrup-Galindo

Skinny Jeans, Partydrogen und jetzt auch noch Dick Pics. Heterosexuelle Männer sind wie asiatische Autobauer. Sie scrollen durch Instagram-Profile wie Karl-Theodor zu Guttenberg durch bereits geschriebene Doktorarbeiten und kopieren einfach alles, was der homosexuelle Teil der Bevölkerung als angesagt und modern tituliert. Auf ihren Raubzügen machen sie vor gar nichts halt, nicht einmal Dragqueens sind vor ihnen sicher. Zwar trägt der männliche Durchschnittsbürger nicht zu jeder Gelegenheit ein glitzerndes Paillettenkleid, doch an Fasching oder auf Bad-Taste-Partys sind sie zu einem beliebten Accessoire geworden. Dass sich die Einstellung der Gesellschaft gegenüber Schwulen und Lesben in den letzten 20 bis 30 Jahren positiv verändert hat, ist bekannt. Als Frau ist es mittlerweile fast ein Muss, einen schwulen besten Freund zu haben, mit dem man über Haare, Sex und den Ex-Freund reden kann. Auch heterosexuelle Männer haben die Vorteile erkannt: Ein schwuler Freund kann einem nicht die Freundin ausspannen und ist zudem ein exzellenter Wingman, denn Frauen lieben schließlich Schwule. Zudem sind sie ausgezeichnete Modeberater – die meisten zumindest – und neben Olivia Jones die besten Partybegleiter, die es gibt. Es gibt sogar einen Begriff, um eine fast partnerschaftliche Freundschaft zwischen einem hetero- und einem homosexuellen Mann zu beschreiben: „Bromance”. Ein so kitschiges Wort kann nur von einem Homo stammen, soviel steht fest. Leben

Diese Entwicklungen sind offensichtlich und bringen für jeden Vorteile. Es gibt aber auch schleichende, unauffällige Veränderungen. Darüber wird jedoch nicht gesprochen, denn es käme einem Outing gleich. Einem Outing der Stillosigkeit und des kreativ-künstlerischen Versagens. Oh, ihr Heten, ich habe euch durchschaut! Vor ein paar Jahren, in der siebten Klasse, wurde man noch als „Schwuchtel“ bezeichnet, wenn man Röhrenjeans trug und seine Haare pflegte, um eine neue Ära der stilsicheren 2000er Jahre einzuläuten. Nicht mal ein Jahr später, in der achten Klasse, habt ihr dasselbe getragen wie die „Schwuchteln“. Ich schmiss gekonnt meinen Justin-Bieber-Pony zur Seite, während ich erhobenen Hauptes an euch vorbeilief. Wissend, dass die Haare nächste Woche abgeschnitten werden, um einem Undercut zu weichen. Und ihr seid alle mitgezogen. Doch wann genau begann diese Veränderung? Wie bei vielen Bewegungen in diesem Jahrtausend, ist auch diese auf das Internet zurückzuführen. Durch die globale Vernetzung ist es zumindest in Industriestaaten ein Leichtes geworden, Eindrücke aus aller Welt zu sammeln. Gleichzeitig ist eine Generation herangewachsen, die toleranter und offener im Vergleich zu vorherigen ist. Eine der wichtigsten Waffen der Schwulenbewegung, um in der Mitte der Gesellschaft anzukommen, waren aber Soziale Netzwerke wie Facebook, Youtube und Instagram. Durch diese Plattformen war es plötzlich möglich, sich re-


Dick picked von Katharina Conrad

lativ anonym zu präsentieren, ohne gleich auf die Fresse zu bekommen. Plötzlich sahen die Menschen, dass nicht alle Schwulen verruchte, drogenabhängige Tucken sind, die den ganzen Tag Sekt trinken und mit Glitter um sich werfen. Nein, die meisten sind stinknormale Männer, die einen geregelten Tagesablauf haben und die lästigen Nachbarn von gegenüber sein könnten. Stück für Stück wurde der Lebensstil von Homosexuellen für viele attraktiver. Chemische Partydrogen, die ihre Ursprünge in Schwulenclubs hatten, wurden auch für heterosexuelle Männer interessant. Heute werden sogar Schauspieler beschlagnahmt: Neil Patrick Harris, besser bekannt als „Barney Stinson“ ist ein bekennender schwuler Mann. Er wurde durch die Serie „How I Met Your Mother“ bekannt. Dort spielt er einen nicht zu stoppenden Frauenaufreißer. Im echten Leben ist er mit einem Mann verheiratet und Vater von zwei adoptierten Kindern. Dennoch hat er ein Buch geschrieben, in dem die er Tipps zum Frauenaufreißen gibt. Zwar ist es sehr ironisch geschrieben und die Erfolgschancen stehen nach Anwendung seiner Tipps eher gering, trotzdem gingen die Bücher weg wie warme Semmeln. Leben

Zu allem Überfluss wurden sogar Dick Pics, zu deutsch Penisbilder, übernommen. Dieser Trend machte seine ersten Schritte mit Hilfe von Apps wie „Grindr“. Eine Datingplattform für Schwule, die ähnlich wie „Tinder“ eher dazu dient, eine nette Bekanntschaft für die nächste Nacht zu finden als die große Liebe. Bei Schwulen schon wieder ein alter Hut, lösten Dick Pics bei heterosexuellen Männern im vergangen Jahr einen regelrechten Hype aus. Übrigens funktioniert diese Strategie des sehr direkten Anbaggerns an keinem Ufer besonders gut. Wir sehen also, die Schwulen-Community gibt sehr viel und erwartet auch nichts im Gegenzug, außer die Akzeptanz der Mitmenschen. Und jetzt, da wir endlich auch in Deutschland heiraten dürfen, wird es Hochzeiten geben, bei denen selbst die europäischen Königshäuser vor Neid erblassen werden. Natürlich seid ihr alle herzlich eingeladen und dürft mit bunten Strohhalmen zuckersüße Prosecco-Cocktails trinken, wie ihr es schon immer mal machen wolltet. ◆

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Assemblage von Amar Priganica

Im Hamsterrad der Unzufriedenheit Interview von Paula Roy

Wenn man sich den typischen Alkoholiker vorstellt, hat man meistens einen ungepflegten und verbrauchten älteren Mann vor Augen, der schon morgens vor dem Supermarkt rumhängt und sich Bier reinkippt. Kaum jemand denkt an einen 34-jährigen Anwalt mit einem einnehmenden Lächeln, der mit seiner dunklen Cap und dem etwas zu tief sitzenden V-Ausschnitt, durch das eine lange Holzkette zu erkennen ist, aussieht, als wäre er bereits sehr jung berühmt geworden. Als Tobias in genau diesem Outfit und mit seinem kastanienbraunen Jagd­hund das Restaurant betritt, in dem wir verabredet sind, richten sich alle Blicke auf ihn. Er ist das absolute Gegenteil von dem, was man sich äußerlich unter einem Suchtkranken vorstellt. Doch das Gespräch mit ihm zeigt, dass das Leben eines Abhängigen vor allem hinter einer gut aufrecht erhaltenen Fassade stattfindet.

Leben


Würdest du von dir selbst sagen, dass du süchtig nach der Sucht bist? Ich bin ein Suchtcharakter. Ich kann so ziemlich nach allem süchtig werden. Ich glaube, es gibt Menschen, die eine Veranlagung dazu haben, Dinge nicht gesund konsumieren zu können. Ich muss immer alles exzessiv ausleben. Man nutzt das Suchtmittel, egal welches es ist, um die Realität nicht so wahrnehmen zu müssen, wie sie ist. Alles ist dann gedämpfter und leichter erträglich. Es ist eine Krankheit im Kopf. Bei den Anonymen Alkoholikern (AA) bezeichnen viele die Sucht als eine „Krankheit der verschobenen Wahrnehmung“. Nüchtern nehme ich Dinge anders wahr. Ich fühle mich schneller angegriffen und spinne mir in meinem Kopf etwas zurecht. Mit dem Suchtmittel wird alles einfacher, weil die Anspannung abfällt. Dann mache ich mir keine Gedanken mehr und es wird still. War Alkohol bisher deine einzige Sucht? Mit Alkohol fing es an. Er war ein Mittel zur Unterdrückung von Ängsten. Ich hatte früher oft Panikattacken. Alkohol diente als eine Art Medizin. Ich habe auch eine Zeit lang relativ viel Kokain konsumiert. Sex ist definitiv auch eine Sucht von mir. Das war mir nur lange nicht klar. Bei nicht stofflichen Süchten ist es schwieriger, sie zu diagnostizieren. Sexsucht ist noch greifbar, weil relativ klar ist, was mit einem passiert. Man wertet sein Selbstwertgefühl extrem auf. Bei mir ist es nicht der Akt als solches, sondern der emotionale Aspekt. Die Selbsthilfegruppen heißen Sex and Love Addicts Anonymous (SLAA). Bei mir ist es eher die Liebe und die Aufmerksamkeit, die mit dem Geschlechtsverkehr einhergeht. Ein weiterer Kick für mich ist es, mit professionellen Dienstleisterinnen zu schlafen und eine persönliche Bindung zu ihnen aufzubauen. Manchmal ist es auch nur der reinen Vereinfachung wegen. Was sich aber wie ein roter Faden durchzieht ist, dass ich mit allen solchen Begegnungen trotzdem versuche, eine persönliche Ebene aufzubauen. Ich suche mir auch meistens Mädels, die ganz neu im Geschäft sind und nehme mir vor, sie aus dem Milieu wieder rauszuholen. Kommen für dich feste Beziehungen in Frage? Ich habe grundsätzlich nichts dagegen. Ich bin nur der festen Überzeugung, dass der Mensch von Natur aus nicht für dauerhaft monogame Beziehungen gemacht ist. Was wir als romantische Liebesbeziehung bezeichnen, ist etwas, das wir uns irgendwann ausgedacht haben. Früher gab es das Konstrukt der Liebesehe nicht. Es war eine reine Nutzgeschichte. Für mich ist Liebe, in ihrer reinsten Form, völlig losgelöst von Sexualität. Liebe ist etwas, das kann ich für meine Eltern empfinden, das kann ich für meinen besten Freund empfinden und Leben

das kann ich auch für eine Partnerin empfinden. Sodass man dann bereit ist, sein eigenes Leben vielleicht sogar aufzugeben, um den anderen zu schützen. Aber das hat für mich nichts mit Sexualität zu tun. Gibt es Auslöser, die dein Suchtverhalten verstärken? Es gibt definitiv Auslöser. Alles was mir im Alltag an Problemen begegnet, wo jeder normale Mensch einen Weg findet klarzukommen, kann für mich zu einer Situation werden, die ich versuche, mit Suchtmitteln zu bewältigen. Deswegen ist das 12-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker immer ein Lebensprogramm, mit dem du versuchst gelassener und ehrlicher durchs Leben zu gehen. Siehst du Ursachen in deiner Kindheit? Es hat sicher viel mit meiner Kindheit zu tun, obwohl meine Kindheit als solches überperfekt war. Ich hatte nie irgendwas auszutehen. Meine Eltern sind sehr protektionistisch und haben mich unter einer Glaskuppel großgezogen, um die böse Welt von mir fern zu halten. Das hatte trotzdem negative Effekte auf mein späteres Leben. Ich musste zwar keine negativen Erfahrungen machen, aber dafür konnte ich keine eigene Persönlichkeit entwickeln. Du bist Anwalt und beruflich erfolgreich. Gleichzeitig warst du aber Alkoholiker. Steht das für dich im Widerspruch zueinander? Überhaupt nicht. Zum einen war ich nicht Alkoholiker, sondern ich bin Alkoholiker. Denn das bleibt man sein ganzes Leben. Ich bin nur gerade nüchtern. Die Steigerungsform wäre trocken. Das bin ich noch nicht, weil ich das 12-Schritte-Programm nicht intensiv genug lebe. Ich bin dafür zu faul. Man müsste sich mit Haut und Haaren darauf einlassen. Ich gehe nur zu den Meetings, was für mich den Hauptzweck hat, mich mit jemandem zu identifizieren. Ich erkenne mich dann in den Geschichten der anderen wieder. Wann bist du süchtig geworden? Die Alkoholsucht begann während meines Studiums. Ich war immer unzufrieden und wollte eigentlich etwas anderes machen. Ich wollte auch nie Anwalt werden. Das hat sich dann darin geäußert, dass ich mir Krankheiten eingebildet habe. Meistens tödliche. Bekämpft habe ich diese Ängste mit Alkohol. So fing das mit Mitte 20 an. Heute bin ich allerdings mit meinem Leben zufrieden und auch mit dem Job, den ich mache. Aber Jura studieren würde ich nicht nochmal, sondern eher etwas Kreatives. ▶

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Wann begann deine Therapie? Das war später. Zu dieser Zeit befand ich mich beruflich in einer schwierigen Situation. Es fiel mir schwer, zur Arbeit zu gehen, weil ich nicht wusste, was mich erwarten würde. Ich versuchte auch dieses Problem mit Alkohol zu bewältigen. Das war der Punkt, an dem ich gemerkt habe, dass es so nicht weitergehen kann. Ich hatte schon zwei Therapien gemacht, eine Langzeit-Psychoanalyse und eine Verhaltenstherapie. Die Psychoanalyse hat mir relativ viel gebracht, die Verhaltenstherapie eher weniger. Die Sitzungen hat man immer nur einmal die Woche und dazwischen lag zu viel Zeit, um in alte Muster zu verfallen. Deswegen habe ich mir eine Klinik gesucht und bin dort für sechs Wochen hingegangen. Von da an ist vieles besser geworden. Wie sah deine Therapie in der Klinik aus? Die Klinik ist eine von sehr wenigen Kliniken, die mit dem 12-Schritte-Programm der Selbsthilfegruppen arbeitet. Da habe ich auch zum ersten Mal die AA kennengelernt. Sie verfolgt eher einen spirituellen Ansatz. Wir haben viel mit Meditation und in Gruppen gearbeitet. Die Idee ist, dass Menschen durch Kontakt mit anderen Menschen krank werden, demnach können sie auch nur im Umgang mit anderen Menschen wieder gesund werden. Du kannst die neu gelernten Verhaltensweisen in geschütztem Rahmen testen. Das Schlüsselerlebnis für mich war allerdings, dass ich einen Zugang zur Spiritualität gefunden habe. Es ging viel um Gott, wobei mir die Interpretation, was das ist, völlig offen gelassen wurde. Es muss nicht der religiöse Gott sein. Jedem ist die Interpretation frei überlassen. Wichtig ist nur, dass man die Anwesenheit einer höheren Macht akzeptiert. Das können auch Naturgesetze oder das Universum sein. Die Offenheit dieses Modells hat mir den Zugang sehr einfach gemacht. Man kann dadurch Gedanken und Verantwortung an diese höhere Macht abgeben und Gelassenheit zurückgewinnen. Glaubst du, dass dein Suchtcharakter eine Aufgabe ist, die du bekommen hast? Ja, das glaube ich. Mein Therapeut hat mal gesagt, dass jeder von uns einzigartig und ein Wunder sei, weil jeder eben genau zu dem geworden ist, was er ist. Jeder von uns hat einen Platz und eine Aufgabe in dieser Welt. Mein Problem war nur, dass ich immer dachte, einen sehr außergewöhnlichen Platz haben zu müssen, weil ich so erzogen wurde. Ich habe dann im Laufe des Lebens gemerkt, dass das nicht so ist und mir die Skills fehlen, um es so weit zu schaffen. Es war ein elementarer Schritt, das zu akzeptieren. Das hat mich aus meinem Hamsterrad der Unzufriedenheit geholt. Hilft dir deine Spiritualität im Alltag? Auf jeden Fall. Ich beginne jeden Tag mit einer kleinen Morgenmeditation. Etwas, das einem bei den AA auch immer wieder begegnet, ist das Gelassenheitsgebet: ,,Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen die ich nicht ändern kann. Den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Das wurde zu meinem Mantra. Deshalb trage ich es auch immer mit mir auf meiner Haut. Wenn ich weiß, es kommt eine Aufgabe auf mich zu, die schwierig wird, dann gehe ich fünf Minuten in eine Ecke und werde dann auch ruhiger. Ich gebe die Verantwortung in diesem Moment einfach ab. Ich kann nicht ändern, was dann passiert, deshalb lasse ich es einfach geschehen. Ich interessiere mich auch sehr für Meditation. Das Problem bei jedem Suchtkranken ist eigentlich das übergroße Ego. Weswegen habe Leben

ich denn Angst vor einem Meeting? Weil ich denke, da könnte eine Aufgabe auf mich zukommen, die ich nicht bewältigen kann. Und dann habe ich Angst, dass man etwas Schlechtes von mir denkt. Das macht mir nur wegen meines Egos etwas aus. Ansonsten würde ich denken, dass ich sowieso nicht ändern kann, was andere Menschen über mich denken. Wenn man an den typischen Alkoholiker denkt, würde man absolut nicht auf dich kommen. Wie erklärst du das? Das liegt daran, dass die meisten Alkoholiker perfekt darin sind, Fassaden aufrecht zu erhalten, Dinge zu verstecken und zu verheimlichen. Das Kern-Missverständnis, und das hatte ich am Anfang auch, ist die Definition des Alkoholikers. Ich habe mir früher unter Alkoholikern immer die Leute vorgestellt, die schon mittags trinkend vor dem Netto sitzen. Ich habe in den Meetings aber auch mit vielen Menschen zu tun, die sehr erfolgreich sind. Sehr viele aus den Kreativbranchen und auch sehr viele Schauspieler. Der Kern der Leute ist immer sehr ähnlich und die Themen auch. Ich bin Zwerg meiner Ängste und Riese meiner Wünsche. Manchmal ist man ganz klein und dann wieder riesig. Es gibt kein gesundes Mittelmaß und das tragen alle Teilnehmer in den Meetings mit sich herum. Es gibt sehr viele noch nasse Alkoholiker, die es super hinbekommen, ein normales Leben zu führen. Wissen deine Eltern von deiner Sucht? Sie wissen davon. Also zumindest vom Alkohol. Über die Drogen wissen sie nichts. Da ich aber für sie ein fehlerloses Wesen bin, glauben sie mir das alles bis zum heutigen Tag nicht. Am Anfang kam da sehr viel Gegenwehr. Sie waren der Meinung, man hätte mir die Suchtprobleme in der Klinik eingeredet. Dann habe ich ein paar Geschichten erzählt und daraufhin waren sie still. Die erste Zeit war es dann oft so, dass mir mein Vater Alkohol angeboten hat und meinte, ein Glas wäre doch nicht so schlimm. Für sie ist es schwer zu akzeptieren, dass ich Fehler und Schwächen habe. Aber das war es für mich anfangs auch. ◆


Foto von Drew Wheeler

MEIN LEBEN

ÄHNELT EINEM

OLYMPIAMARATHON

von Eva Kern

Während du dir gerade ein weiteres Mal vornimmst, im kommenden Semester wirklich früher mit dem Lernen zu beginnen, gibt es da draußen ein paar glückliche, gleichaltrige Menschen, die in diesem Augenblick auf den Malediven in der Sonne baden. Ja, du hast richtig gehört und ja, du darfst neidisch sein. Denn damit nicht genug: Für diesen exklusiven Urlaub in einem Luxus-Resort, das einzig von Palmen und dem cyanfarbenen Indischen Ozean umgeben ist, zahlt eine glückliche, gleichaltrige Person keinen Cent. Anna Mila ist eine von ihnen. ▶

Leben

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Die gebürtige Berlinerin hat es geschafft, innerhalb weniger Monate zu einem international gefragten Model aufzusteigen. Trotz oder gerade weil ihr der Titel „Topmodel“ nie verliehen wurde. Nicht von Heidi Klum und auch von keinem anderen sogenannten Experten. Dennoch durfte Anna Mila bereits einige Male für die renommierte Zeitschrift „Vogue“ shooten. Sie war unter anderem das Gesicht der internationalen „Diesel“-Kampagne und wurde sogar schon vom Starfotografen Mario Testino abgelichtet. Auch Karl Lagerfeld, selbsternannter Modezar und Jogginghosen-Kritiker, probiert seine Kreationen gerne an ihrem 1,79 Meter großen Traumkörper an.

D

och im Gegensatz zu Millionen von Mädchen, die „Victoria’s Secret“-Engel buchstäblich anhimmeln und alles dafür täten, eines Tages selbst über den Laufsteg zu schreiten, wollte Anna Mila nie Model werden. Weder Mode, noch Make-Up konnte sie etwas abgewinnen, weshalb sie früher ungeschminkt und mit zotteliger Wallemähne in die Schule kam. An dem humanistisch-altsprachlich geprägten Berliner Gymnasium fiel sie den Lehrern durch ihre laute bis vorlaute Art auf und nicht wegen ihres makellos symmetrischen Gesichtes. Denn am „Evangelischen Gymnasium zum Grauen Kloster“ wurde – wie der Name bereits verrät – auf andere Dinge Wert gelegt: Jeden Mittwoch leitete Orgelmusik die Andacht ein, Latein- und Altgriechisch-Unterricht waren selbstverständlich Pflicht und auch samstags musste man hin und wieder in die Schule. Im zarten Alter von 14 Jahren wurde Anna Mila von Peyman Amin auf dem Ku’damm angesprochen, als sie gerade mit ihrer Mutter von Geschäft zu Geschäft zog. Amin, der schon Topmodels wie Naomi Campbell oder Gisele Bündchen betreute, castete gerade Nachwuchsmodels im Zuge der Pro7-Fernsehproduktion „Model in 1 Day“. Gleichzeitig suchte er nach neuen Gesichtern für seine eigene Agentur „Pars Management“ und witterte sofort Anna Milas gigantisches Potential. Sie gewann die Show mit links und war am nächsten Tag in der ganzen Schule das Gesprächsthema Nummer eins. Vier Jahre später und ein Latinum weiter war das Abitur endlich geschafft. Eine Party folgte der nächsten und ein undefinierbares Gefühl der grenzenlosen Freiheit machte sich breit. Die erfolgsversprechende Aussicht auf eine Modelkarriere geriet vorerst in Vergessenheit, da sie von der unbändigen Lust auf maximalen Spaß und minimale Verantwortung überschattet wurde. Neben schlaflosen Nächten und pro-

Leben

fessionell ausgeführten Trinkspielen durfte sowohl der Interrail-Trip mit Freunden als auch die obligatorische Thailandreise nicht fehlen. Doch früher oder später kehrt der Ernst des Lebens erbarmungslos und bitter in den Alltag zurück. Das merkt man daran, dass das süße Nichtstun plötzlich langweilig erscheint und unangenehme Gedanken wie „Was wird aus mir und meiner Zukunft?“ im Kopf herumkreisen.

A

uch Anna Milas Freundeskreis musste sich diesen Fragen stellen und meisterte die eigene Zukunftsplanung mal mehr, mal weniger erfolgreich. Manche wählten ein Jurastudium, ob nun aus Überzeugung oder aus Einfallslosigkeit. Andere fassten den Beschluss, Berlin zu verlassen und im Ausland zu studieren. Nach zig Diskussionen und Überlegungen hatte sich bald der gesamte Freundeskreis für den nächsten Schritt entschieden. Nur Anna Mila war nach wie vor ratlos.

Die Erinnerung an Peyman Amin und das Angebot, sie sofort unter Vertrag zu nehmen, war zunächst eine zaghafte Überlegung, mit der Zeit wurde sie dann zu einer ernstzunehmenden Option. Aus dem Bauch heraus traf Anna Mila die Entscheidung, es einfach mal zu probieren. Auf die von der älteren Generation in Endlosschleife gestellte Frage „Sag mal, wie stellst du dir eigentlich deine Zukunft vor?“ konnte Anna Mila nun als einzige nicht mit dem beschwichtigenden Satz „Ich fang’ jetzt an zu studieren!“ antworten. Anstatt sich wie die anderen auf Erstsemesterpartys mit Gin Tonics aus Plastikbechern abzuschießen, zog die damals 19-Jährige für drei Monate nach Istanbul. Dass das Leben eines Models nicht unbedingt glamourös ist, wurde Anna Mila klar, als sie ihre schimmelige, heruntergekommene Wohnung betrat. Zu ihrer geringen Begeisterung durfte sie sich ihr neues Zuhause mit acht anderen Nachwuchsschönheiten teilen. Zickereien waren vorprogrammiert und wechselten sich mit Diskussionen über die effektivste Diät ab. Da sich die Gespräche mit den anderen Mädchen auf den Erfahrungsaustausch über Glätteisen und Low Carb beschränkten, fiel es der Berlinerin nicht schwer, sich voll und ganz auf ihre Karriere zu konzentrieren. Ihr geweckter Ehrgeiz zahlte sich aus und ein Job folgte auf den nächsten.

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in halbes Jahr später war Anna Mila bereits bei IMG, der renommiertesten Modelagentur der Welt, unter Vertrag und begann in London mit ihrer ersten Fashion-Week-Season. Direkt wurde sie von der bis zur Unkenntlichkeit operierten Donatella exklusiv für die Versace Show gebucht und war somit automatisch für alle anderen Designer gesperrt. Voller Adrenalin und mit vom Blitzlicht geblendeten Augen eröffnete Anna Mila die Show. Eine surreale Zeit folgte, die sich aus zu viel Stress und zu wenig Schlaf zusammensetzte. Bald war es normal, zu 15 Castings am Tag zu gehen, hektisch durch eine fremde

Foto von Carla Müller-Zantop

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ie 21-Jährige lebt ein abenteuerliches Leben zwischen Shootings in L.A., Castings in Mailand und der Fashion Week in Paris. Anstatt sich über Deadlines den schönen Kopf zu zerbrechen, bestimmen Fragen wie „Werde ich die 12 Castings heute gut überstehen?“ oder „Bekomme ich meinen Anschlussflug?“ ihren Alltag.


Stadt zu irren und von zugekoksten Designern angeschrien zu werden. Manche Mädchen aßen tagelang nichts, da in traditionellen Modestädten wie Paris oder Mailand abgemagerte Körper nach wie vor am gefragtesten sind. Die meisten Kunden legten keinerlei Wert darauf, ob ein Model möglicherweise zu jung oder zu dünn sein könnte. Daher arbeitete Anna Mila häufig mit 15-Jährigen zusammen, die so aussahen, als würden sie gleich in sich zusammenfallen. Nichtsdestotrotz waren diese gewöhnungsbedürftigen Wochen ein großer Erfolg. Wovon die meisten Models ihr ganzes Leben lang träumen, erfüllte sich für Anna Mila in kürzester Zeit. Unter anderem wurde sie für Chanel, Elie Saab, Emporio Armani, Isabel Marant und Dolce & Gabbana gebucht.

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urch die sozialen Netzwerke wurde eine unglaublich große Menschenmenge in unglaublich kurzer Zeit auf Anna Mila aufmerksam. Wer war dieses Mädchen, das plötzlich für alle bedeutenden Modehäuser über den Laufsteg lief? Ihr Manager beauftragte sie, einen neuen Instagram-Account zu erstellen. Mit Nachdruck kam die Bitte auf, möglichst schnell möglichst viele Follower zu sammeln. Denn immer häufiger entscheiden sich Fotografen für das Mädchen mit der größeren virtuellen Reichweite. Aus annamila_, einem Mix aus Urlaubsbildern, verpixelten Selfies und Pizza mit scharfer Salami, wurde schließlich annamilaofficial. Während die Berlinerin stundenlang in der Maske saß und Fotos postete, wollte ihr ein Gedanke nicht aus dem Kopf gehen: Verdumme ich

ein Backstage-Fotograf völlig irritiert zu ihr und sagte in abwertendem Ton: „What, you are reading? That’s crazy. Most of the girls like you only do social media…“ Ziemlich crazy war auch der Moment, als Anna Mila Anfang 2016 mit einem amerikanischen Arbeitsvisum und ihrem Dreijahresvertrag bei IMG in der Tasche in New York City aus dem Flugzeug stieg. Willkommen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Welt stand ihr nun endgültig offen. Auf ihrer Dachterrasse über den Dächern des Times Square konnte sie hupende Taxis, blinkende Werbetafeln und gestresste Menschen erkennen. Die konstant herrschende Unruhe der Stadt war wie geschaffen für den Alltag eines Models, das vollkommen ohne Routine auskommt.

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s kann passieren, dass die 21-Jährige morgens in Manhattan aufwacht und wenige Stunden später spontan nach Paris fliegen muss. Da gibt es kein Bitten um das Verschieben eines Termins, kein „heute fühl’ ich mich nicht so gut“. Planen wird unmöglich. Als eine Freundin sie für zehn Tage in New York besuchte, sahen sich die beiden keine Sekunde, weil Anna Mila die ganze Zeit für lukrative Jobs in Europa gebucht wurde. Bei diesen Jobs handelt es sich nicht um die Titelseite einer Karnevalszeitschrift, sondern um Shootings für die Vogue, Elle oder Harper’s Bazaar. Kampagnen für Hugo Boss oder Massimo Dutti lehnt man nicht ab, selbst wenn es einem gerade zeitlich überhaupt nicht passt.

„Chancen muss man nutzen und damit aufhören, sich mit anderen zu vergleichen.“

mit der Zeit? Durch den täglichen Kontakt zu ihrem Freundeskreis aus der Schulzeit wurde sie mit Nachrichten zum Thema Studium bombardiert. Meistens handelten die Chatverläufe von seltsamen Kommilitonen, strengen Professoren oder der Angst, eine Klausur nicht zu bestehen. Dadurch wurde sie immer wieder daran erinnert, die einzige Nicht-Studentin zu sein. Die Einzige, die kaum etwas Neues lernte, außer den Unterschied zwischen Foundation und Concealer. Im Gegensatz zu ihren ambitionierten Freunden standen Modelkolleginnen, die sie auf Castings oder Shootings kennenlernte. Viele hatten ihre Ausbildung für eine Karriere als Model abgebrochen und schienen völlig zufrieden damit zu sein. Wieso sollte man sich über Oberflächlichkeit beschweren, wenn man sich diese zunutze macht? Und weshalb sollte man sich ausgerechnet jetzt um eine akademische Laufbahn sorgen?

U

m sich von dieser Naivität abzuheben, begann Anna Mila mit einem Onlinestudium zur Medienbetriebswirtin. Neben den unzähligen Jobs, mehreren Langstreckenflügen pro Woche und etlichen Castings pro Tag, war das jedoch kaum zu bewältigen. Wenigstens die teilweise fünfstündigen Wartezeiten vor Runway Shows wollte sie sinnvoll nutzen. Was für uns Studenten nun wirklich nichts besonderes ist, erregte in der Modewelt verstörte Blicke und zahlreiche Kommentare: Anna Mila las. Bei einer Dolce & Gabbana Show kam

Leben

Anstatt in der Bibliothek oder in Vorlesungen zu sitzen, ist Anna Mila heute in New York, morgen in London und übermorgen in Miami. Es kann vorkommen, dass sie innerhalb weniger Tage mehrere Kontinente, Zeitzonen und Länder durchquert. „Mein derzeitiges Leben fühlt sich an wie ein Olympia-Marathon“, sagt die 21-Jährige. Ihr Leben gleicht einer nie endenden Reise. Die Routine, die uns Studenten häufig in den Wahnsinn treibt, ist das, was sich Anna Mila wünscht. Am nächsten Morgen in der selben Stadt aufwachen. Aus der eigenen Müslischale essen, zusammen mit der eigenen Familie, im eigenen Haus. Dennoch bereut Anna Mila den Entschluss, nach dem Abitur die Modelkarriere dem Studium vorgezogen zu haben, in keiner Weise. Aus dem anfänglichen „Ich schau mal, wenn es nicht läuft, hör ich eben auf“ haben sich Jobs für Chanel, bezahlte Traumreisen um die ganze Welt und unbezahlbare Erfahrungen ergeben. „Chancen muss man nutzen und damit aufhören, sich mit anderen zu vergleichen“, findet sie. Anna Milas große Chance wartete eben nicht im Hörsaal auf sie. Und während wir weiter mit rollenden Augen Excel-Tabellen ausfüllen, sitzt Anna Mila gerade in der Business Class und fliegt nach Mexiko, um für eine weltweite H&M-Kampagne zu shooten. Das Leben könnte schlechter sein. ◆

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ICH KENNE JEMANDEN, DER JEMANDEN KENNT, DER JEMANDEN KENNT, DER JEMANDEN KENNT, DER JEMANDEN KENNT, DER JEMANDEN KENNT, DER JEMANDEN KENNT, DER JEMANDEN KENNT, DER JEMANDEN KENNT, DER JEMANDEN KENNT, DER JEMANDEN KENNT, DER JEMANDEN KENNT,

2,86 Millionen Studierende sind im Wintersemester 2016/2017 an deutschen Hochschulen immatrikuliert. Doch viele Absolventen finden nach dem Studium keinen Job und das trotz eines guten Abschlusses. Was dagegen helfen kann, ist ein berufliches Netzwerk. von Laura Kirsten

Mit der Zeit wurde ich lockerer und lernte, dass auch hochrangige Führungspersönlichkeiten nur Menschen sind. Auch sie haben Ziele, Wünsche und Bedürfnisse. Sie suchen andere Menschen mit ähnlichen Interessen und schließen sich deshalb zusammen. So entstehen Netzwerke. Dort fließen Informationen schneller. Man erreicht seine Ziele effektiver. Wenn man gut ist, kann man am Ende mit zwei Telefonaten Berge versetzen. Genau so entstand beispielsweise das „The Haus“ am Kudamm. Zwei Anrufe, ein Immobilienunternehmer und eine Gruppe Sprayer später war die größte temporäre Galerie Europas fertig.

Netzwerken kann dein Leben verändern. Du musst nur wissen, wie es funktioniert. Wir alle sind Netzwerker, das liegt in der Natur des Menschen. Das heißt aber nicht, dass wir alle Naturtalente im Kontakteknüpfen sind. Auch erfolgreiche Unternehmer müssen lernen, strategische Beziehungssysteme aufzubauen.

Als ich zum ersten Mal eine Veranstaltung besuchte, auf der auch 60 Berliner Geschäftsleute anwesend waren, fiel es mir schwer, diese anzusprechen. Ich hatte weder die nötige Routine, noch genügend Fachwissen. Auch fehlte mir die berufliche Erfahrung, um mich mit ihnen zu unterhalten. Ich war deshalb sehr unsicher und verkrampft. Mir war es unangenehm, auf die etablierten Geschäftsleute zuzugehen. Meine ersten Gespräche waren fürchterlich. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und war übertrieben freundlich. Ich wollte unbedingt einen guten Eindruck hinterlassen, aber wirkte wahrscheinlich wie eine junge, unerfahrene Blondine mit verkürzten Gesichtsmuskeln, da ich ein breites Dauerlächeln aufsetzte.

Warum sollte ich Netzwerken? Beim Knüpfen von Kontakten geht es nicht nur um den eigenen Vorteil. Es geht darum, Beziehungen aufzubauen, in denen sich alle Parteien gegenseitig unterstützen. Ein Beispiel: Wenn du dich mit deinen Kommilitonen in Lerngruppen zusammensetzt und Informationen austauschst, ist jedes Gruppenmitglied schneller und besser auf die Prüfung vorbereitet als eine Person, die alleine lernt. Einer der Wissensbedarf zu einem Thema hat, trifft auf einen, der Wissen anbietet. Dazu musst du deine Partner jedoch gut auswählen und einen Plan erstellen, was du wie erreichen willst. Diese Vorüberlegungen solltest du auch treffen, bevor du anfängst, dir ein berufliches Netzwerk aufzubauen. Wie gehe ich es an? Beziehungen basieren auf Vertrauen. Ein Netzwerk besteht aus vielen Verbündeten, die sich gegenseitig vertrauen und miteinander interagieren. Um ein/e erfolgreiche/r Networker/in zu werden, gibt es drei Schritte, die du befolgen musst.

Leben


SCHRITT 1: NETWORKER’S SPIRIT SPIRIT SPIRIT

Sei offen und neugierig. Du denkst, das bist du schon? Dann stell dir die folgenden Fragen: Hast du heute bewusst einen anderen Weg zur Uni genommen als sonst? Hast du dich in der Aula bewusst zu einem Fremden gesetzt? Hast du dich freiwillig dazu entschieden, ein Uni-Projekt mit unbekannten Studierenden zu starten, anstatt mit deinen Freunden? Nein? Dann bist du noch nicht neugierig genug. Rede mit fremden Menschen, entdecke neue Wege, probiere etwas Neues und initiiere, statt zuzuschauen. Höre anderen zu und stelle ihnen Fragen. Keine gewöhnlichen Fragen, wie „Was studierst du?“. Das ist langweilig und oberflächlich. Mach das Gespräch zu einer wertebasierten Kommunikation und stelle Fragen zu Vorlieben, Lifestyle und politischen Themen.

SCHRITT 2: GODFATHER’S ATTITUDE ATTITUDE ATTITUDE

Sortiere deine Kontakte und erstelle so ein Muster. Du bist der Kopf des Netzwerkes. Das erfordert Kontrolle und Regulierung. Was du brauchst, ist ein System. Du musst dir überlegen, wie du dein Netzwerk gestalten willst. Wie bleibst du mit anderen Leuten in Kontakt? Wie, wann und wo trefft ihr euch? Was sind eure No-Gos und wie sieht euer Verhaltenskodex aus? Lege Regeln fest und setze diese durch. Überleg dir, wer Teil deines Systems werden darf und wer nicht. So entsteht Verbundenheit. Ziel ist es, ein Netzwerk aufzubauen, in dem alle Teilnehmer voneinander profitieren. Es geht nicht darum, aktiv nach neuen Freunden zu suchen. Freunde hast du schon. Kommuniziere deine Gedanken und Einstellungen und steh zu dem, was du sagst. Kümmere dich nicht nur um andere, wenn du etwas von ihnen möchtest. Du musst Beziehungen langfristig pflegen. Dadurch entsteht Vertrauen und das ist die Basis eines jeden Netzwerkes.

SCHRITT 3: CONNECTOR’S SKILLS SKILLS SKILLS

Biete anderen Menschen Hilfe an. Gehe auf sie zu und lerne sie und ihre Bedürfnisse kennen. Wenn du ihnen zuhörst und dich für ihre Bedürfnisse interessierst, gibst du ihnen einen Vertrauensvorschuss. Vernetze Menschen miteinander. Integriere automatisch neue Leute in deinen Freundeskreis, wenn du eine Party schmeißt. Stelle sie deinen Kumpels vor. Später trinkt ihr ein Bier zusammen. Im Geschäftsleben sollte das nicht anders sein. Jeder kennt die typischen Stehempfänge: Du betrittst den Raum und kennst niemanden. Ein paar Gesichter sprechen miteinander, während der Rest suchend durch den Raum blickt. Sorge dafür, dass sich die Menschen untereinander vernetzen, auch wenn du nur zu der Veranstaltung eingeladen bist und sie nicht selbst ausrichtest. Die Meisten fühlen sich unwohl, wenn sie auf eine Veranstaltung gehen und dort niemanden kennen. Geh genau auf diese Leute zu. Übernimm Verantwortung für dich und andere und warte nicht, bis sich zufällig ein Gespräch ergibt. Schaffe das Gespräch. Am Ende der Veranstaltung bist du bekannter als der Gastgeber selbst. ◆

Leben

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tagebuch


Robert Schlösser

Hinter den dunklen Wolken

Interview von Nikolas Uhlmann

Schwere Jugend, Leichter Tod

Tom Reed

Von Bibern und Promillewegen

Anonym

Plötzlich ist alles nichts

Anonym

Eure Kreativität kotzt mich an

Jonas Deißler

Was ist eigentlich mit Rotwein?


Illustration von Tabea Otto

Was ist eigentlich

mit Rotwein? von Jonas Deißler

Oder Sellerie? Oder Spinat? Oder Nutella? Als ich noch jung war ( jung ist hier natürlich relativ, es geht hierbei nur um eine gewisse Geschmacksnaivität), da habe ich am liebsten Pfannkuchen gegessen. Die gab es immer mittwochs, denn Mittwoch war in meiner Kindheit Pfannkuchentag. Mit Speckwürfeln und kleingeschnittenem Schnittlauch direkt im Teig. Das hat mir immer geschmeckt, soweit ich zurückdenken kann. Leider kann ich mich jedoch nicht mehr an den Erstkontakt erinnern. Irgendwann muss meine Mutter also das erste Mal auf die Idee gekommen sein, sie würde mir und meinen Geschwistern Pfannkuchen auftischen. Genauso muss es auch in ihrer Kindheit gewesen sein. Ganz anders verhält es sich mit Sellerie. Hier kann ich mich erinnern, dass mir die runden Scheiben, in der Pfannen angebraten, ganz und gar nicht gemundet haben. Es hat Jahre gedauert, bis ich mich gewissermaßen „eingegessen“ hatte, durch abermaliges Probieren über die Zeit hinweg. Es stellt sich nun die Frage, ob die rezidivierende Expo­ sition oder eine habituelle Veränderung meiner selbst die zunehmende Geschmackstoleranz über Akzeptanz bis hin zur Gaumenfreude geführt haben. Ist es also eher ein Zwangsehe, mit der ich mich resignierend arrangierte und mir schließlich einbildete, dass Sellerie fantastisch schmeckt? Oder ist es für mich gelernte Liebe gewesen, habe ich also gewissermaßen mit zunehmender geistiger Reife und beginnendem körperlichem Verfall Sellerie schlichtweg anders wahrgenommen? Wiederum anders ist es mit Rotwein. Als ich in meiner späten Jugend war und den fröhlichen Begleiter Alkohol zu jeder Tages- und Nachtzeit pries, trank ich – wie alle anderen um mich herum – alles, was diese vernebelte Herrlichkeit loslöste. Vodka, Sekt, Tequila, Bier, Whiskey, Gin, Alkopops, Korn, Jägermeister, Ouzo, Absinth – und eben Rotwein. Er war für mich – und man probierte ja seinen Platz in der GeTagebuch

sellschaft zu finden – das Getränk der Intellektuellen. Ich wollte auch ein dekantierender, Einstecktuch tragender Jazz-Connaisseur sein, der, im Herzen noch leidenschaftlich kommunistisch, die Tagespolitik süffisant wegironisieren kann. Rotwein war das Getränk dazu. Am besten gepaart mit hochgradig bitterer Schokolade. Nach der Käseplatte trank ich dann Merlot, Cabernet, Chianti, Spätburgunder, Tinto, Tempranillo und Dornfelder. Alles eher unteres Preisclassement, zu haben im Supermarkt um die Ecke. Ich bildete mir dann alsbald ein, dass ich die trockenen Weine mochte, dass ich die süffige Bittere mit einer Haselnussnote wertschätzte. Ich trank also Wein beim Essen, abends in der Kneipe, am Strand und bei Sonnenaufgang auf einem Berg. Nur: Eigentlich schmeckte mir der Rotwein gar nicht. Zumindest nicht in der Dimension, in der ich ihn zu lieben glaubte. Das wurde mir erst später bewusst, als ich dem Kontext der sozialen Unsicherheit etwas entwachsen war. Ich trinke viel lieber Bier beim Essen, abends in der Kneipe, am Strand und bei Sonnenaufgang auf einem Berg. Es stellt sich also die nächste Frage: Wenn ich bei Rotwein gemerkt habe, dass ich nur im gesellschaftlichen Kontext gepaart mit Wunschgedanken die bittere Discounter-Sulfit-Bouillon geschluckt und für gut befunden hatte, dann aber gemerkt habe, dass es mir gar nicht schmeckt, wird mir das auch mit anderen Dingen passieren? Was ist mit Sellerie? Oder Pfannkuchen? Oder Nutella? Ich könnte mich leicht in einer Geschmacksparanoia verlieren und feststellen, dass ich gar keinen eigenen Geschmack habe. Dass ich nur konditioniert bin, dass alles durch äußere Umstände geformt wurde, dass die Übeltäter meine Eltern, meine Freunde, ja gleich die ganze Gesellschaft ist. Auch Bier hat mir anfangs überhaupt nicht geschmeckt (wem hat es das eigentlich?). Ich sollte mir einen Alu-Hut auf die Zunge setzen, um solche Einflussnahmen zukünftig zu verhindern. Außerdem sollte ich mich nach Kochbüchern des Kopp-Verlages umschauen. ◆


Illustration von Katharina Conrad

Eure Kreativität

kotzt mich an. von Anonym

Ich werde jetzt über Designer reden. Im Jahr 2012 gab es 5.100 Design­ unternehmen in Berlin. 16.800 E ­ rwerb­stätige, die sich Designer nennen. Ich wage zu behaupten: Seitdem sind noch Tausende hinzu gekommen. Fakt ist, der Job ist gefragt. Fakt ist aber auch, dass das Grundgehalt eines Designers unter dem bundesweiten Durchschnitt liegt. Und wisst ihr warum? Weil es ein verdammt einfacher Beruf ist. Alles, was du brauchst, ist ein MacBook, eine gecrackte Version von Photoshop und Pinterest für die Inspiration. Fuck. Ich meine, klar, wir sind alle den ganzen Tag auf Facebook und Instagram und wir haben alle die selben mega hippen Avantgarde-Kunstseiten geliked, aber BITTE HÖRT AUF zu denken, dass das irgendwie etwas mit eurer Berufung zu tun hat. Das ist pure Zeitverschwendung. Das ist nur eine weitere Daumenbewegung beim Konsumieren eures Newsfeeds. Ihr bekommt Informationen, die ihr nach 20 Sekunden schon wieder vergessen habt. Es sei denn, ihr shared den Scheiß auch noch. Dann zählt es. Dann ist es euer Kunstempfinden. Dann hebt ihr euch aus der Masse heraus. Dann seid ihr Designer. Facebook, Kunst-Webseiten wie Dazed & fucking Confused: Das alles ist nicht mehr als eine riesige Inspirations-Bukkake-Fete. Man wird überschwemmt von geilen Arbeiten. Man findet viel zu viele Sachen schön. Wie soll man sich das alles merken? GAR NICHT! Wenn ein Teil eures kreativen Prozesses Pinterest beinhaltet, dann seid ihr meiner Meinung nach ein Teil des Problems. Dort etwas zu „pinnen” bedeutet, dass ihr dazu beitragt, dass ihr später weniger Geld verdienen werdet als eure Ingenieur- Arzt- und Lehrerfreunde. Designen wird durch das Nutzen von bildbasierten Sozialen Medien einfacher gemacht. Es entstehen „Trends” wie das Übernutzen von traditionellen Schriftarten wie „Helvetica”, oder um 90 Grad gedrehte Textelemente. Irgendwann machen alle nur noch das Gleiche und was man einst einen „kreativen”Job nannte ist nur noch eine Phase, die man in seinen Zwanzigern durchmacht. ◆ Tagebuch

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PlÜtzlich ist alles nichts Wenn sich ein Elternteil das Leben nimmt, bricht erst einmal alles zusammen. Man kann sich auf so eine fundamentale Lebensveränderung nicht vorbereiten. Auch Jahre danach bleiben Schmerz, Trauer und Wut wie kleine dunkle Flecken auf der Seele. Doch durch den Suizid meines Vaters kam auch die innere Gewissheit, dass ich alles aushalten kann.

von Anonym

Tagebuch


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s ist ein ungewöhnlich heißes Wochenende im Mai. Ich sitze am frühen Abend mit meiner Freundin Mia auf der Mauer vor unserem Haus. Wir genießen den Frühling und unterhalten uns über all die Dinge, für die man sich mit 14 Jahren interessiert: Jungs, Make Up, Lehrer und Mitschüler. Dann kommt Uli, der Lebensgefährte meiner Mutter, aus dem Haus. Er möchte, dass Mia geht, meine Mutter müsse mit mir reden. An seinem Blick erkenne ich sofort, dass jemand gestorben ist, obwohl alle meine Verwandten noch leben und ich auch sonst noch nie Bekanntschaft mit dem Tod gemacht habe. „Opa ist tot, oder?“, frage ich ängstlich, aber bestimmt. Wir stehen im Vorgarten, weil ich mich weigere, ins Haus zu gehen. Ich möchte jetzt Gewissheit und wenigstens die Kontrolle über Zeit und Ort haben, wenn ich schon eine schlimme Nachricht erhalten soll. „Nein“, sagt Uli. „Ich will jetzt sofort wissen, was los ist. Sag mir jetzt sofort, was los ist!“, stoße ich aus. „Dein Vater hat sich umgebracht“, sagt Uli mit einem Zittern in der Stimme, das ich bis dahin nicht kannte. Das, was mich in diesem Moment überfällt, fühlt sich an wie eine riesige Welle, die man zu spät bemerkt und die einen mit einer so heftigen Wucht trifft, dass man jeglichen Halt verliert. Keine Chance. Ich lege mich flach auf den Rücken. Wie ein X liege ich im Vorgarten, mit offenen Augen und sage kein Wort. Kein Schreien, kein Weinen, keine Hysterie. Ich bin einfach nur still und denke an nichts. Mia und Uli wissen nicht, was sie tun sollen. Ich soll aufstehen, kann aber nicht. Dieser Zustand dauert fünf Minuten, vielleicht auch länger. In jedem Fall ist es eine Zeit, in der äußere Reize ungefühlt an mir abprallen. Dann erhebe ich mich, noch immer stumm, und schleppe mich drei Stockwerke hinauf in unsere Wohnung. Uli läuft mir nach. Meine Mutter telefoniert aufgeregt. Sie sieht mich kurz an und wendet den Blick wieder ab. Alles um mich herum wirkt verschwommen, wie hinter Milchglas. Dann kommt die Polizei. Zwei Beamte bitten meine Mutter, sie zu begleiten. Sie sagen, dass mein Vater in die Weinberge gefahren sei und dass das Auto dort nicht stehen bleiben könne. Ich will mitkommen. Wir

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fahren etwa eine halbe Stunde. Auf dem Weg erzählen uns die Polizisten, was passiert ist. Als wir das letzte Stück des holprigen Feldwegs hinauffahren, sehe ich den azurblauen Volvo, der uns an so viele Urlaubsorte gebracht hat. Es kann immer noch ein Missverständnis sein. Wir steigen aus und gehen zum Auto. Auf dem Beifahrersitz liegt eine getrocknete Wildrose. Daneben eine Kassette und zwei Briefe mit meinem Namen. Im Kofferraum finden wir Taschentücher, Spritzen und Medikamente. Mein Vater war Arzt. Es könnte immer noch alles ein Missverständnis sein. Die Polizisten verabschieden sich. Meine Mutter und ich fahren mit dem Volvo zurück nach Hause. Da schleicht sich die Trauer von hinten an. Sie kriecht in mich hinein, obwohl ich versuche, mich zu wehren. Mein ganzer Körper schmerzt. Der Druck auf der Brust ist so groß, dass ich befürchte, mein Herz könnte aufhören zu schlagen. Ich erinnere mich an das letzte Telefonat mit meinem Vater, kurz bevor er starb. Wir hatten uns zuvor wegen einer Nichtigkeit gestritten. Er warf mir Egozentrismus und viele andere Dinge vor, die ich nicht verstand. Dann rief er mich an. Ich hatte mich nach der Schule für einen Mittagsschlaf hingelegt. Das Klingeln meines Handys nervte mich und als ich seinen Namen auf dem Display las, drückte ich ihn weg. Als er noch drei weitere Male anrief, ging ich schließlich ans Handy. Mein Vater weinte und fragte mich, ob ich ihm verzeihen könne. Im Halbschlaf und noch wütend über unseren Streit, verneinte ich und stellte mein Handy aus. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass ich seine Stimme nie wieder hören würde. In den folgenden Tagen rief ich ihn oft an, erreichte aber nur die Mailbox. Alle suchen nach dem Grund für seinen Suizid. Mein Vater hatte eine leitende Position in einem Krankenhaus inne, verdiente gut, war körperlich gesund und hatte einen bemerkenswert großen Freundes- und Bekanntenkreis. Jeder der ihn kannte, mochte ihn. Er war witzig, weltoffen und ein toller Gesprächspartner. Wir saßen oft in großer Runde zusammen und meist war es mein Vater, der die besten Geschichten erzählte und die spannendsten Denkanstöße einbrachte. ▶

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Warum sollte gerade er sich selbst töten? Warum sollte der Mensch, der immer wieder beteuerte, wie sehr er mich liebt, so plötzlich und ohne Vorankündigung verschwinden? Meine Eltern hatten sich drei Jahre zuvor getrennt. Nach nicht enden wollenden Streitigkeiten hielt auch ich das für die beste Lösung. Seine neue Freundin Inga und ich verstanden uns von der ersten Sekunde an. Zu dritt fuhren wir nach Korsika, zum Skifahren und Kettenkarussell. Ich war so glücklich, dass meine Eltern neue Partner gefunden hatten, die sie mehr liebten als einander und die auch ich liebte. Inga ist es auch, die mich fragt, ob ich meinen Vater noch einmal sehen möchte. Ich will. Es vergehen ein paar Tage, bis wir zu ihm dürfen. Ich treffe Inga vor dem Krematorium, das optisch an einen griechischen Tempel erinnert. Sie versucht für mich stark zu sein, nimmt mich an die Hand und geht mit mir hinein. Ein Angestellter begleitet uns durch die Eingangshalle zu einem Raum. Bedächtig öffnet er die Tür. Ich lasse Ingas Hand los. Es geht einfach nicht, ich kann den Raum nicht betreten. Ich laufe zurück zur Eingangstür. Dann entscheide ich mich um und setze erneut, ganz lang­sam, einen Fuß vor den anderen in Richtung Wahrheit. Kurz vor dem Raum bleibe ich wieder stehen, gehe zurück zur Pforte und beginne die Prozedur von vorne. Solange ich meinen toten Vater nicht mit eigenen Augen gesehen habe, kann ich glauben, dass alles nur ein Missverständnis ist. Dann betrete ich endlich das Zimmer, in dem mein Vater liegen soll. Ich sehe einen leblosen Körper in einem Holzsarg, gebettet auf einem weißen Kissen. Ich sehe, dass der Körper Ähnlichkeiten mit dem meines Vaters aufweist. Der Tote hat die selben Leberflecke, die selben braunen Locken und den selben blauen Pullover, an den ich mich so oft angeschmiegt habe. Aber trotz der Ähnlichkeiten ist dieser Mensch nicht mein Vater. Das Gesicht des Mannes ist verformt, die Haut ist wächsern und bedeckt mit Hämatomen. Ich überlege, wie es mein Vater geschafft hat, einen Selbstmörder zu finden, der ihm so ähnlich sieht und der bereit war, sich für

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ihn auszugeben, damit er irgendwo in der Ferne ein neues Leben beginnen kann. Ohne mich und ohne Inga. Die Trauerfeier ist schön. Viele Leute sind gekommen. Sie erzählen Anekdoten und würdigen wichtige Stationen im Leben meines Vaters. Die Beerdigung am nächsten Tag soll unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, nur mit meiner Mutter, Inga und mir. Als die Urne in die Erde eingelassen wird, nähert sich eine Frau, die niemand von uns kennt. Sie stellt sich unter Tränen als Partnerin meines Vaters vor. Da zerbricht ein Leben: die Idylle, der Halbgott in Weiß, der Mann, der stets hilfsbereit und selbstlos handelte. Wir erfahren von abstrus hohen Schulden und drei weiteren Partnerinnen in anderen Städten, sogar in anderen Ländern. Frauen, die ihm aus Liebe Geld gegeben hatten und die sich jetzt in einem grotesken Szenario unter anderen trauernden Witwen wiederfinden. Wir erfahren, dass mein Vater vor seinem Tod akribisch alle Dokumente vernichtet hat, die Rückschlüsse auf den Grund seines Suizids liefern könnten. SIM-Karten, Akten, Unterlagen – alles geschreddert oder nicht mehr aufzufinden. Wohin ging das ganze Geld? Selbst mein Studienkonto ist leer. Die Krankenversicherung für mich und meine Mutter hat er seit Monaten nicht mehr bezahlt. Dabei lebte er nach außen nicht über seine Verhältnisse. In den Abschiedsbriefen findet sich ebenfalls keine Erklärung. Er schreibt nur, dass er nicht krank ist, auch wenn ihn jetzt alle dafür halten. Er schreibt, dass sein Tod der einzige Ausweg ist und dass er wünschte, es gäbe einen anderen. Die Frage, wie er einen solchen Schuldenberg anhäufen konnte, der ihn schließlich erdrückte, wird nie beantwortet werden. Auch was überhaupt wahr war in seinem Leben, bleibt offen. Hat er mich wirklich geliebt, wie er immer wieder beteuerte? Hat er seinen Mitmenschen so oft geholfen, um sich als Retter zu präsentieren, dem man gern Geld leiht oder sogar schenkt? Was würde er mir sagen, wenn wir uns noch einmal sehen könnten? Bis heute weiß ich nur, dass mein Vater tot ist. Ich weiß, dass alles kein Missverständnis ist, auch wenn ich so gerne daran glauben will. ◆


Fotos von Tom Reed

Von Bibern und Promillewegen Sonnenstrahlen zwängen sich durch die Rollläden meines alten Kinderzimmers, direkt auf mein Gesicht. Ich bin schon eine Weile wach, denn ich habe heute Geburtstag. Mein 25. Lebensjahr beginnt dort, wo ich den Großteil meiner Geburtstage verbracht habe, nämlich in Gottmadingen. von Tom Reed

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enn mich jemand in Berlin fragt, wo ich ursprünglich herkomme, antworte ich immer: „ Ich komme vom Bodensee.“ Die Wahrheit ist ein bisschen anders. Mein Heimatdorf hat 7.000 Einwohner, ist vollkommen unbekannt und etwa 20 Autominuten von dem nächsten größeren Gewässer entfernt. Hier gibt es keine ansprechenden Bauten. Wir haben keine Kreativszene. Was wir haben ist Ruhe, eine Auswahl an Supermärkten mit erstklassigem Sortiment und alte Menschen, die Sport machen. Wenn das Wetter gut ist (und das ist es hier oft), geht man vor die Haustür. Ich schnappe mir meinen Hund, den Autoschlüssel meiner Mama und fahre einfach los. Auf dem Weg zum Bäcker sehe ich viele bekannte Gesichter, Leute, die mir zu winken. Als ich eine Gruppe kleiner Mädchen sehe, deren Schulranzen etwa so groß sind wie sie selbst, merke ich zum ersten Mal, wie spät es ist. Schon 13:00 Uhr. Wo fahre ich hin? Mein erster Halt dient der Bedürfnisbefriedigung meines Hundes. Ich fahre ins „Wiesental”, wo ich das Auto am Feldrand abstelle. Ich muss beim Parken vorsichtig sein, weil hier immer noch ein Traktor durch passen muss. Gottmadingen befindet sich direkt an der Grenze zur Schweiz, symbolisch getrennt von einigen kleinen Bächen wie dem „Biber”. Der Name kommt, ganz unkreativ, von der vermeintlichen Existenz der kleinen Tiere in diesem Bach. Ich sage vermeintlich, weil ich dort noch nie einen gesehen habe. Noch nie. Ich glaube nicht an Biber. Die Nähe zur Schweiz hat mich geprägt. Es ist schön dort. Eine nahezu perfekte Infrastruktur, fröhliche Menschen und einzigartig gut schmeckendes Marihuana. Die Schweizer verstehen etwas vom Leben. Jedes Wochenende kommen sie nach Gottmadingen, um bei uns Einkäufe zu erledigen. Das hat zur Folge, dass Gottmadingen zwar nur 7.000 Einwohner, aber Supermärkte für 50.000 Menschen hat. Nachdem mein Hund und ich eine Stunde lang durch die Felder gelatscht sind und meine Allergien mich zu Tränen gerührt haben, fahren wir weiter. Ich möchte ein paar Orte meiner Kindheit aufsuchen und sie fotografieren. Wir fahren über einen Promilleweg* zurück ins Dorf. Ich halte am ersten Haus der Straße, in dem wir einst wohnten, an meinem alten Kindergarten, der Grundschule und an den Parkbänken und Hinterhöfen, wo wir früher heimlich Zigaretten geraucht haben. Ich frage mich, wie ich es hier ausgehalten habe. Es gibt absolut nichts zu tun, nichts zu sehen und nichts zu konsumieren. Was wäre eigentlich passiert, wenn ich hier geblieben wäre, frage ich mich, als ich die Einfahrt zu meinem Elternhaus hoch fahre. Durch die Autoscheibe sehe ich die seitliche Fassade. Früher verbrachte ich Stunden damit, einen Tennisball dagegen zu werfen. Die Spuren sieht man noch bis heute. Zusammen mit einem Freund habe ich ein Spiel erfunden, bei dem eine Person einen Trickshot vorlegen musste - und der Andere es nachgemacht hat. Als junger Mensch braucht man Langeweile, um kreativ zu werden. Es entstehen Freundschaften, Spiele und Erfahrungen, die man sein ganzes Leben lang mit sich trägt. Jetzt bin ich erwachsen. Ich kann nicht mehr als eine Woche in Gottmadingen verbringen, ohne das urbane Leben zu vermissen. Mir wird schneller langweilig und ich weiß nicht wieso. ◆ *Promilleweg: Sind Fahrradwege, die kleine Dörfer miteinander verbinden. Der Begriff Promilleweg kommt davon, dass man sie nach Dorffesten benutzt hat, um vollkommen betrunken nach Hause zu laufen.

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Fotos von Paula Hummer

Schwere Jugend, leichter Tod

Carla*, 15, lebt bei ihrer alleinerziehenden Mutter und geht zur Schule. Zu ihrem Vater und ihren Halbbrüdern hat sie kaum Kontakt. Ersterer pflegt es, seine Partnerinnen zu betrügen oder schlecht zu behandeln, nachdem er Kinder mit ihnen gezeugt hat. Carla leidet seit sieben Jahren unter ihren Depressionen und wäre deswegen gerne tot. Da ihr vermeintlich alles egal ist, nimmt sie Drogen, hat ausschließlich ältere Freunde und denkt lieber nicht über ihre Zukunft nach. Sie hat sich bereits für Drogen prostituiert und einen Horrortrip auf LSD erlebt. Mit obacht spricht sie über ihr Leben und ihre Perspektiven. Interview von Nikolas Uhlmann

Wie hat dein Vater deine Mutter und dich behandelt und wie hast du die Scheidung erlebt? Es war immer schwierig, da wir zu dritt in einer sehr kleinen Wohnung gelebt haben und kaum bis kein Geld hatten. Andauernd haben die beiden gestritten. Mein Vater war ein richtiges Arschloch und hat uns von Beginn an scheiße behandelt. Bis ich acht Jahre alt war, hat er bei uns gelebt und nie wirklich mit mir gesprochen. Wenn doch, dann hat er mich verletzt. Ich habe mich von ihm psychisch misshandelt gefühlt und angefangen, all meinen Hass auf ihn zu projizieren. Kurz vor der Scheidung haben wir zusammen Verwandte im Sudan besucht. Diese drei Monate allein mit meinem Vater waren die schlimmste Zeit meines Lebens. Hast du noch Kontakt zu deinem Vater? Inzwischen nicht mehr. Ich bin mit meiner Mutter vor zwei Jahren nach Berlin gezogen und war anfangs noch jedes Wochenende in Halle, wo er wohnt. Aber hauptTagebuch

sächlich ging es mir darum, meine Oma mütterlicherseits zu besuchen. Manchmal habe ich ihn dann auch gesehen, bis ich irgendwann nicht mehr hingefahren bin. Hättest du gern wieder Kontakt zu deinem Vater? Nein! Er ist dafür verantwortlich, dass es meiner Mutter scheiße ging, dass es mir scheiße geht und dafür, dass ich am Leben bin. Nimmst du deinen Eltern deine Geburt übel? Ich war einfach unnötig. Den beiden ging es schon zu zweit schlecht und dann haben sie entschieden, dass wir zu dritt leiden müssen. Ich verstehe einfach nicht, warum man einem weiteren Lebewesen so etwas aufzwingen sollte. Manchmal hasse ich meine Eltern dafür. Wie zufrieden bist du mit deinem Leben? Ich habe, wie jeder andere Mensch, gute und schlechte Phasen. Mit der Diagnose Depression geht es einem aber


häufiger schlecht als gut, besonders, wenn so eine psychische Erkrankung im Kindesalter – bei mir mit acht Jahren – anfängt. Was machst du gegen deine Depressionen? Mit zehn Jahren habe ich eine therapeutische Behandlung angefangen, die mir bisher nicht geholfen hat. Inzwischen besuche ich meinen Therapeuten nur noch unregelmäßig und will auch keine Antidepressiva nehmen, obwohl sie mir verschrieben wurden. Ich bin mit meiner Depression nie als Krankheit umgegangen, die geheilt werden muss oder bei der ich Hilfe brauche. Sie ist einfach ein Teil von mir. Gefällt es dir in gewisser Weise, depressiv zu sein? Was heißt, es gefällt mir? Es geht mir schlecht, aber es ist momentan erträglich und ich kann mir auch nicht vorstellen, wie es anders sein sollte. Ich habe Angst davor, die Person, die ich bin, durch Medikamente zu einem aktiven, lebensfrohen und damit anderen Menschen zu machen. Außerdem würde es mich stören, wenn alle denken würden, dass ich als Person fake wäre. Wie beeinflussen die Depressionen deinen Alltag? Ich halte mich für einen schlechten Menschen, obwohl viele meiner Handlungen als selbstlos oder sozial engagiert eingestuft werden könnten – mein Beitrag in einer Linksjugend zum Beispiel. Ich bin sehr launisch und temperamentvoll, was sich teilweise negativ auf mein Umfeld auswirkt. Zudem kommt es vor, dass ich mit alltäglichen Situationen nicht umgehen kann und mich deswegen vor meinen Reaktionen fürchten muss. Ich habe Angst, meinen Verstand zu verlieren. Wie weit bist du davon entfernt, deinen Verstand zu verlieren? Weiß ich nicht genau. In letzter Zeit habe ich das Gefühl, nicht besonders weit weg davon zu sein. Meine Depression ist auch nicht mein einziges Problem. Als kleines Kind hatte ich Aggressionsprobleme und habe Dinge getan, die normal entwickelte Kinder nicht tun würden. In letzter Zeit realisiere ich erst, was damals passiert ist und wie sich diese Traumata in meinem Verhalten manifestieren. Unterbewusst wurden diese Gefühle ewig von mir verdrängt oder unterdrückt. Hast du noch andere Ängste? Es gibt zwei Worst-Case-Szenarien, vor denen ich große Angst habe: Erstens will ich nicht drogenabhängig auf der Straße landen und zweitens möchte ich nicht in eine Psychiatrie gehen. Das sind Situationen, in denen ich enden könnte, aber nicht möchte, weil ich in beiden die Kontrolle über mein Leben abgeben würde. Ehrlich gesagt würde ich vorher lieber sterben.

che Risiken man eingehen möchte und welche nicht. Das sind auch die Menschen, die mich und meine Weltsicht am besten nachvollziehen können. Welche Weltsicht meinst du? Eine, in der einem fast alles egal ist. Eine, in der es einem überwiegend scheiße geht und man deswegen sterben möchte. Eine, in der nichts einen Sinn ergibt. Ich denke gar nicht erst über meine ferne Zukunft nach, weil ich mit Gewissheit vorher sterben werde. Jede mögliche Anstrengung führt nur zu noch mehr Stress und zahlt sich für mich langfristig sowieso nicht aus. Welche Risiken bist du bereit mit dieser Weltsicht einzugehen? Alle, die mich glücklicher machen. Man könnte schon sagen, dass ich auf der Suche nach dem Kick bin und dafür gern mal leichtsinnig mit meiner Gesundheit und meinem Leben umgehe. Für Schmerztabletten habe ich beispielsweise mit einem Dealer geschlafen. Diese Einstellung drückt sich aber nicht nur in meinem Drogenkonsum aus. Ich klettere gern auf hohe Gebäude und werde von meiner Mutter für meine Achtlosigkeit im Straßenverkehr kritisiert. Prostitution macht dich also glücklicher? Nein, ich habe mich dabei immer dreckig gefühlt und mir im Nachhinein Vorwürfe dafür gemacht. Jedes Treffen mit ihm war zwiespältig, da ich davor und danach extreme Zweifel hatte, aber eben auch diese Schmerztabletten haben wollte. Damit ich möglichst wenig Zeit mit ihm verbringen musste, habe ich extrem kurze Zeitfenster ausgemacht. Wieso hast du dich noch nicht umgebracht? Weil mir eben doch nicht alles egal ist, zumindest nicht meine Freunde und Familie. Ich hasse dieses Gefühl, wenn mir Personen, die mir nahestehen, mitleidig erzählen, wie traurig sie wären, wenn ich mir mein Leben nehmen würde. Eigentlich sollte das allein meine Entscheidung sein. Im Gegenzug hätte ich mich ohne den Beistand dieser Leute schon längst umgebracht. Jetzt muss ich mich natürlich fragen, ob ich wirklich nicht um meinetwillen, sondern für meine engsten Bekannten leben möchte. ◆

Wie stellst du dir diese beiden Szenarien vor? Bei meinem jetzigen Drogenkonsum ist eine Abhängigkeit gar nicht so abwegig. Das andere Szenario musste ich schon durchmachen und jetzt noch jedes Mal fürchten, wenn meine Mutter droht, mich einzuweisen. Das erste und einzige Mal wurde ich nach einem missglückten Selbstmordversuch für zwei Tage in einer geschlossenen Anstalt eingesperrt. Damals war ich 13. Welche Drogen nimmst du und warum? Die erste Droge war Alkohol, die erste regelmäßige Cannabis, auch mit 13. Als sich mit dem Alter auch mein Freundeskreis verändert hat, sind an Wochenenden Drogen wie MDMA, Speed, LSD und Schmerztabletten dazu gekommen. Angefangen hat es aus Neugier, wie bei den meisten. Dann wurden sie Teil meines sozialen Umfelds und schon gehörten sie zum Alltag. Inzwischen bin ich abhängig von Gras und nehme manchmal härtere Drogen, um die Realität hinter mir zu lassen und für einen Moment die schönen Seiten des Lebens zu spüren. Was sagen deine Freunde dazu? Manche sehen meinen Drogenkonsum sehr kritisch, werden mir aber nicht vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe. Sie sind der Meinung, dass jeder selbst entscheiden muss, welTagebuch

*Name geändert

Anmerkung der Redaktion: Wenn du selbst Suizidgedanken hast, kontaktiere bitte umgehend die Telefonseelsorge (http://www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110-111 oder 0800-1110-222 erhältst du Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus scheinbar aussichtslosen Situationen aufzeigen konnten.

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Foto von Eduard Kreutzarek

The darkest hour is just before dawn

von Robert Schlösser

D

ein Großvater hat immer gesagt, dass du die Dinge von oben betrachten sollst. Damit meinte er allerdings nie, eine herabschauende oder gar wertende Haltung einzunehmen, sondern viel mehr alles aus einer objektiven Distanz heraus zu sehen. Wie du mittlerweile weißt, ist das nicht immer möglich und bestimmt nicht leicht. Denn die Dinge von oben zu betrachten, heißt auch, dich selbst aus einer Perspektive zu sehen, die nicht in jeder Hinsicht eine erfreuliche Bilanz liefert. Ganz im Gegenteil.

So wie deine Ideale und Ziele mit der Realität kollidieren, mutierst du völlig unfreiwillig und viel zu früh zu einem enttäuschten Moralisten oder redest dir ein, erste Anzeichen einer schizoiden Persönlichkeitsstörung aufzuweisen. Zugegeben, das mag vielleicht übertrieben klingen, aber sei ehrlich zu dir selbst. Ich bin mir sicher, dass du weißt, was ich meine. Erinnerst du dich an letzte Woche, als du um 14 Uhr immer noch schlaflos, kieferzuckend und halb taub vom galoppierenden Bass arhythmischer Technomusik im Wohnzimmer lagst? Du hast dir nichts sehnlicher als Mäßigung in deinem Leben und die Kraft, eines Tages die Welt verändern zu können, gewünscht. Wie nach dem Aufwachen dein Blick langsam von der Decke auf dein Handy gewandert ist, in dessen Rillen noch die letzten Beweise der vergangenen Nacht klebten. Dann hast du die Nummer des Lieferdienstes deines Vertrauens gewählt und alles, was dir dabei durch den Kopf gegangen ist, war die Einsicht, dass letzte Woche um dieselbe Zeit auch Sonntag gewesen sein muss. Und die immer wiederkehrende Frage, wo du im Leben falsch abgebogen bist. Was sagt es über dich, dass du jedes Mal das gleiche tust und ein anderes Ergebnis erwartest? Wie einsam so ein Leben auf der ständigen Flucht vor der Realität ist, weißt du ganz genau. Aber keine Sorge, deine Fassade bröckelt nicht. Im Internet sehen deine Freunde und du aus als hättet ihr Spaß. Dass sie noch im selben Moment, in dem sich ihre Köpfe wieder vom Spiegel heben, die immer gleiche Kassette abspielen, hört niemand. Ein langweiliges Leben mit geregeltem Tagesablauf, ein Haus im Grünen, ein Auto und eine Frau, die dich bedingungslos liebt. Das muss es sein. Doch bis dahin nur starres Lachen. Ein Moment, der einfriert. Zu zweit allein. Tagebuch

In Maßen ist alles vertretbar, aber du gehörst zu den Maßlosen. Und jetzt, wo sich nach einer Woche deine verklebten Synapsen erholt haben, ist wieder Freitag und eine Scheißwoche vorbei. Grund genug, das Gefühl von Leere wieder zu betäuben. Zeit aus dem Fenster zu blicken und alles zu bereuen, bleibt noch genug. Du bist ja nur einmal jung, nicht wahr? Mit einer Psychose kannst du auch deinen Traum leben. Bitte vergiss das nicht. Da sitzt du also wieder an den immer gleichen Orten, neben den immer gleichen Gesichtern und erwartest ernsthaft eine Veränderung. Was hat die Zeit nur mit dir gemacht? Du verschwendest dein Potential. Du machst dich lächerlich. Und das Schlimmste daran ist, dass du das alles weißt. Ist das die große Freiheit, auf die du immer gewartet hast? Du musstest lange dafür am Flaschenboden tauchen, doch langsam kommt die Erkenntnis, dass dein Eskapismus nichts mehr mit dem Sammeln von Erfahrung zu tun hat, sondern traurige Routine geworden ist. Auf den schönen Dingen in deinem Kopf liegt ein seelenfressender Schleier des Zweifels. Aber wenn du jetzt aufgibst, läufst du Gefahr, den letzten Wimpernschlag deiner sterbenden Jugend zu erleben. Also gib nicht auf. Tritt einen Schritt zurück und denk daran, was ich dir bei meinem letzten Besuch gesagt habe: „Es mag abgedroschen klingen, aber meiner bescheidenen Meinung nach ist es niemals zu spät, oder wie in deinem Fall zu früh, zu sein wer du sein möchtest. Es gibt keine zeitliche Begrenzung, um auszubrechen. Es liegt an dir, das Beste oder das Schlechteste daraus zu machen. Ich hoffe, du machst das Beste daraus. Ich hoffe, du siehst Dinge, die dich berühren. Ich hoffe, du fühlst Dinge, die du noch nie gefühlt hast. Ich hoffe, du triffst Menschen mit einer anderen Meinung. Ich hoffe, du lebst ein Leben, auf das du stolz bist. Und wenn du es nicht tust, hoffe ich, dass du den Mut hast, nochmal von vorne anzufangen.” ◆


Gedichte Alltagslyrik: Die Poeten von heute schreiben ihre besten Werke auf dem Heimweg um 4 Uhr morgens. Wir haben unsere Smartphone Notizen durchforstet und ein paar Goldstücke ausgewählt. von Marie-Claire Gagnon & Tom Reed

mir fehlt es vielleicht an inspiration aber dir fehlt es an testosteron pardon aber wenn ich du wär wär ich lieber in meiner situation du hurensohn

ICH KANN NICHTS DAFÜR DASS DU DENKST DASS DU NICHTS DAFÜR KANNST !!1

dein gesicht wie du lächelst jeden morgen im bus ich behalte dich im kopf wenn ich aussteigen muss

bin mutig fall hin knie blutig ich bin ein schritt zu weit gegangen bin achtsam bleib stehen ist mühsam zu gehen lieber offene knie alles immer harmonie

Tagebuch

Jeremy war ein Engländer und hatte langes Haar Sonntags badeten wir, es war wunderbar. Ich spielte mit seiner Ente er spielte mit meinem Schiff wir spielten miteinander bis einer daneben griff ... Jeremy war ein Engländer bis er es nicht mehr war. Eines Tages badete ich aber er war nicht mehr da. Ich spielte mit meiner Ente Ich spielte mit meinem Schriff bis ich es endlich blickte und nach meinem Penis griff.

sie trinkt rot und er weißwein er will wieder mit ihr sein doch sie sagt weder ja noch nein

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changes


(K)eine Mutter

Amir Ahabs

Ein beschissener Deal

Paula Lou

Der Tod des investigativen Journalismus?

Max Wittig

Von Computern, die denken lernen

Alissa Großkopf

Die Sprache im Wandel

Sara Orlos

Absprung in letzter Sekunde

Mirko Lenz

Veränderung liegt im Blickwinkel

Paula Lou & Robert Schlösser


k

Zwei junge Frauen sind objektiv betrachtet in einer ähnlichen Situation, als sie schwanger wurden. Doch betrachtet man die beiden Schicksale für sich, wird ein fundamentaler Unterschied sichtbar: Während sich für die eine der Wunsch nach einem Kind erfüllte, geschah die Schwangerschaft bei der anderen völlig ungeplant. Die beiden jungen Frauen heißen Sera (20) und Malina (26). Malina war zum Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft 24 und Sera 19 Jahre alt. Sera entschied s­ ich für eine Abtreibung und hat das nie bereut. Malina hingegen kann sich heute ein Leben ohne Kind gar nicht mehr vorstellen und bringt bald ihr zweites zur Welt.

Interviews von Paula Lou Riebschläger & Robert Schlösser

eine Mutter

Sera

Malina

Wie hast du von der Schwangerschaft erfahren? Zu meinem 19. Geburtstag hat mein Freund mir eine Reise nach Antwerpen geschenkt. Ich wusste, dass ich dort meine Periode bekommen sollte, doch sie kam nicht. Durch die Veränderungen meines Hormonhaushaltes war ich auch viel unausgeglichener als sonst, meine Brüste waren sehr gestrafft und mein Bauch etwas aufgebläht. Der Gedanke, dass ich schwanger sein könnte, war sofort in meinem Hinterkopf. Aber ich wollte es nicht glauben. Das war für mich immer eine dieser Sachen, die anderen passieren, aber nicht mir selbst. Als ich zurück in meine Wohnung nach Amsterdam kam, schob ich es noch etwas vor mir her, weil ich Angst vor der Wahrheit hatte. Auf das Drängen meiner Freundinnen hin besorgte ich dann einen Schwangerschaftstest.

Wie war deine erste Reaktion auf die Schwangerschaft? Erstaunlicherweise hatte ich in erster Linie Angst. Davor, dass mein Partner und ich das Kinderkriegen doch überstürzt haben könnten und uns vielleicht doch noch gar nicht genug kennen. Wir waren zum Zeitpunkt meiner ersten Schwangerschaft noch nicht einmal ein Jahr zusammen. Auch vor der Reaktion meiner Freunde hatte ich Angst. Zum Glück war mein Freund bedenkenlos glücklich und konnte mir meine Sorgen größtenteils nehmen. So richtig entspannen und freuen konnte ich mich aber erst, als ich es all meinen Freunden und meiner Familie gesagt hatte und die Reaktionen besser waren als erwartet.

Wie war deine erste Reaktion? Nachdem ich den Test gemacht hatte, wartete ich zehn Minuten auf das Ergebnis. Nach diesen zehn Minuten war nur ein Streifen auf dem Test sichtbar, was bedeutet, dass man nicht schwanger ist. Zwanzig Minuten später habe ich nochChanges

Wie hat sich deine Partnerschaft und dein Leben durch das Kind verändert? Mein Partner und ich streiten uns definitiv öfter, seitdem wir Eltern sind. Und natürlich haben wir auch wesentlich weniger Zeit für uns als Paar. Zeit zu zweit, die Sexualität, das sind Dinge, die man zunächst erst einmal hinten anstellt, um sich auf dieses neue Familienmitglied zu konzentrieren. Aber je selbstständiger die Kinder werden, desto mehr Raum gibt es für die


mal raufgeschaut und den zweiten Streifen gesehen. Ich habe vor Unglauben gezittert und hatte Tränen in den Augen. Daraufhin habe ich sofort meine beste Freundin angerufen und ihr gesagt, dass es ein Problem gibt, über das ich reden muss. Wusstest du direkt, dass du einen Schwangerschaftsabbruch möchtest? Ja. Ich habe nicht mal darüber nachgedacht. Ich bin ein Mensch, der immer zuerst versucht, Probleme auf einer rationalen und ergebnisorientierten Ebene zu lösen. Mit 19 Jahren wusste ich, dass ich kein Kind aufziehen könnte. Wie hat dein Partner reagiert? Er war sehr einfühlsam. Wir waren im Park spazieren, als ich ihm die Situation erklärte. Er war sehr gefasst, hat nicht mal eine Miene verzogen. Das Erste, was er gefragt hat, war, was ich tun möchte. Ich habe ihm gesagt, dass ich eine Abtreibung will. Sofort hat er mir versichert, während des ganzen Prozesses an meiner Seite zu bleiben. Was sind für dich Voraussetzungen, um Kinder zu bekommen? Ich sollte finanziell unabhängig sein, damit ich meinem Kind eine höhere Bildung ermöglichen kann. Auch wenn man sich selbst nie hundertprozentig verstehen wird, will ich aber an einem Punkt angekommen sein, an dem ich weiß, wer ich bin und wo ich hin möchte. Bevor ich einem Kind keine Sicherheit bieten kann, sehe ich mich nicht in der Lage, eins in die Welt zu setzen und es großzuziehen. Wann hast du deinen Eltern von der Schwangerschaft erzählt? Als allererstes habe ich meiner älteren Schwester von der Abtreibung erzählt und ihr gesagt, dass ich vorhabe, es meiner Mutter zu erzählen. Davon hat sie mir dringend abgeraten, da meine Mutter aus einer relativ konservativen, türkischen Familie kommt. Zwei Tage nach dem ich den Eingriff hatte, kamen die beiden nach Amsterdam. Dort habe ich es meiner Mutter unter vier Augen erzählt. Sie hatte viel Verständnis für die ganze Sache und sagte mir, dass ich es ihr auch schon früher hätte sagen können, damit sie mich bei so etwas unterstützen kann. Das wollte ich aber nicht. Mein Vater weiß es bis heute nicht. Wie lief der Termin beim Arzt ab? Erstmal hatte ich unglaubliches Glück in den Niederlanden gewesen zu sein, weil dort Abtreibungen für EU-Bürger kostenfrei und die Ärzte sehr gut ausgebildet sind. Da ich in dem Moment, als ich davon erfahren hatte so geschockt war, hat meine beste Freundin für mich beim Arzt angerufen und einen Termin vereinbart. Drei Tage nach dem Anruf waren dann mein Freund, meine beste Freundin und ich beim Arzt. Dort wurde ich zuerst gefragt, ob der Schwangerschaftsabbruch meine Idee oder die meines Freundes sei. Dann erklärte mir der Arzt die beiden Optionen einer Abtreibung: Die erste Möglichkeit ist eine Operation mit Narkose. Die zweite funktioniert durch eine Tablette, die dafür sorgt, dass man alles ausblutet. Letztere ist deutlich schmerzhafter, also entschied ich mich für die Operation. Der Eingriff hat 20 Minuten gedauert. Danach bin ich aufgewacht und fühlte mich ganz normal und sehr erleichtert. Bevor wir die Klinik verließen, versicherte mir eine Psychologin, dass ich jederzeit zu ihr kommen könnte, falls ich mich nach dem Eingriff schlecht fühlen sollte. Glaubst Du, dass die Entscheidung deine Zukunft beeinflussen wird? Nein, weil es für mich nie in Frage kam, zu diesem Zeitpunkt ein Kind zu bekommen. Es gab immer nur eine Option. Ich habe nie darüber nachgedacht. Es gibt Menschen, die sagen, dass man bei einer Abtreibung ein Lebewesen mit einer Seele tötet. Das verstehe ich, aber wenn du in dieser Situation bist, bist du diejenige, die entscheiden muss. Es ist dein Körper und deine Entscheidung. ◆ Changes

eigenen Bedürfnisse. Wir nehmen uns mittlerweile die Zeit, die wir brauchen, um uns wieder mehr als Liebespaar, anstatt nur als Elternpaar zu fühlen. Was mein Leben angeht, bin ich als Mutter wesentlich weniger spontan geworden. Ich würde aber nie riskieren, meine Freunde zu verlieren, weil ich nur noch für mein(e) Kind(er) lebe. Ganz und gar darf man seine eigenen Bedürfnisse als Eltern auch nicht zurückstellen. Ich bin auch sehr viel belastbarer und was Studium und Beruf angeht, viel effizienter geworden. Fiktion: Wenn du bei deinem nächsten Kind die neun Monate der Schwangerschaft oder die Geburt überspringen könntest, was würdest du wählen? Ich würde definitiv die Geburt überspringen. Natürlich ist eine Geburt auch ein magischer Moment, an dem man unheimlich wächst und es war mir ganz wichtig, eine natürliche Geburt ohne jegliche Schmerzmittel zu erleben. Aber sind wir mal ehrlich: Die Schmerzen sind einfach schlimmer als alles, was ich mir je hätte vorstellen können und ich würde beim nächsten Mal dankend darauf verzichten. Meine Schwangerschaften hingegen sind bisher einfach wundervoll verlaufen.

Gibt es Dinge am Muttersein, die du vor der Geburt komplett über- oder unterschätzt hast? Ich dachte, dass mir diese fast vollständige Selbstaufgabe, gerade in den ersten Monaten nach der Geburt, leichter fallen würde. Darauf kann man gar nicht vorbereitet sein. Aber ehe man sich versieht, werden die Kleinen selbstständiger und man gewinnt viele Freiheiten zurück. Manchmal wünscht mann sich dann sogar diese absolute Nähe zurück. Überschätzt habe ich den Schlafmangel. Ich muss sagen, dass ich trotz ständiger Übermüdung immer recht gut funktioniert habe. Kaffee ist der heilige Gral. Verstehst du Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen? Prinzipiell hatte ich für mich persönlich immer gesagt, dass ich eine Schwangerschaft nie abbrechen würde, ganz egal wie meine Lebenssituation ist. Ich wusste, dass ich Kinder möchte und war mir sicher, dass meine Familie mich finanziell und auch bei der Pflege und Erziehung des Kindes unterstützen würde. Ganz allein hätte ich also nie dagestanden. Allerdings kann ich durchaus verstehen, wenn Frauen sich dagegen entscheiden, ein Kind auszutragen, wenn sie sich absolut nicht in der Lage dazu fühlen. Ich denke zwar, dass kaum eine Mutter es je wirklich bereut hat, ihr Kind bekommen zu haben, aber wenn man sich kennt und weiß, dass es einem selbst und dem Kind nicht gut gehen würde, dann ist eine Abtreibung eventuell die richtige Entscheidung. Was sind deine Wünsche/Träume für deine Zukunft und wo siehst du Schwierigkeiten? Ich wünsche mir einerseits, immer zu hundert Prozent für meine Kinder da sein zu können. Ich meine damit, dass ich den Kopf, die Zeit und die Geduld haben möchte, wenn sie Bedürfnisse haben, reden möchten, Zeit mit mir verbringen wollen. Andererseits weiß ich mittlerweile, dass mir „nur“ Hausfrau und Mutter sein auf Dauer nicht reichen wird und deshalb wünsche ich mir auch eine erfüllende Karriere. Ich hoffe einfach, dass ich meine Arbeit so flexibel gestalten kann, dass ich beides gut unter einen Hut bekomme. Am schönsten wäre es, wenn mein Partner und ich das Aufwachsen unserer Kinder in vollen Zügen genießen könnten und dennoch den Lebensstandard führen, den wir uns und unseren Kindern für die Zukunft wünschen. ◆

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VERÄNDERUNG LIEGT IM BLICKWINKEL Mirko Lorenz

Auf sieben Umzüge kommt der Wahlberliner und zählt laut vor. Damit liegt er etwas über dem Durchschnitt. Laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung ziehen Menschen in Deutschland 4,9 mal um. Der heutige soll der letzte werden. Für seinen Schrank ist er das definitiv. Schon beim letzten Mal äußerten die Möbelpacker Bedenken und auch heute dauert es nicht lange bis einer ruft: „Chef, kommen Sie mal, hier ist was abgebrochen.“ Egal, solange der Schrank es nach Mahlsdorf schafft. Freizeit, um den anderen Mietern zu helfen. Vorhänge aufhängen oder Waschmaschinen reparieren, alles was so anfällt.

Der Rentner ist in den 1950er Jahren im jungen Kindesalter nach Berlin gekommen und nachdem er eine kurze Zeit in Hessen gearbeitet hat, wieder zurückgekehrt. Ihm gefällt es hier. Er weiß, dass Lichtenberg nicht der Nabel der Welt ist, aber das ist ihm egal. In dieser Wohnung lebte er über 20 Jahre. Für eine staatlich errichtete Wohnung hat er es durchaus gut erwischt. Vor dem Haus ist eine Grünfläche, jedes Zimmer hat Fenster und über das Wohnzimmer geht es auf einen eigenen Balkon. Er hat sich immer wohl gefühlt in diesem Haus. Seit er in Rente ist, nutzt er seine

In Mahlsdorf beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Obwohl, so ganz neu ist der für ihn nicht. Der Rentner wohnt bereits seit einem Jahr bei seiner neuen Lebensgefährtin. Seine Wohnung hatte er an seinen Enkel untervermietet. Weil der jetzt ausgezogen ist, ergibt es keinen Sinn mehr, diese zu halten. Der Auszug ist trotzdem eine gute Gelegenheit, noch einmal auszusortieren. Mit seiner Partnerin hat er genau abgesprochen, was er alles mitnimmt.

Anfangs will er nicht viel erzählen, tut es dann aber trotzdem. Von den Problemen seines Enkels, einen Studienplatz zu bekommen, weil er den Schulabschluss in Irland gemacht hat, wie sehr die staatliche Wohnungsbaugesellschaft im Gegensatz zu den Genossenschaften spart oder eben das Lichtenberg lange unbebaut war. Ursache war übrigens der sumpfige Boden, welcher erst mit großflächigen Betonschüsseln baufähig gemacht wurde.

Für das Umzugsunternehmen ist es ein angenehmer Auftrag. Einmal haben sie den Umzug für einen Pfarrer gemacht. „Das waren sechs oder sieben LKW”, erinnert sich der Möbelpacker mit der Hertha-Cap. Seine beiden Kollegen rauchen. Es ist etwa halb elf und die Hälfte ist schon eingeladen.

Ich betrete eine Wohnung im zweiten Stock, noch völlig unklar, was mich erwartet. Von einem Umzugsunternehmen habe ich die Erlaubnis, ihre Arbeit zu begleiten. Ein Rentner empfängt mich an der Tür: „Hier werden Sie nicht viel zu sehen bekommen. Ich nehme nicht viel mit, nächste Woche kommt die Wohlfahrt, die bekommt den Rest.“ Seine Frau ist vor einigen Jahren verstorben. Jetzt zieht er zu seiner neuen Lebensgefährtin nach Mahlsdorf.

Einige Mieter werden die helfende Kraft des handwerklich begabten Rentners vermissen. Er hingegen freut sich auf den Garten. Die Wohnung muss noch renoviert werden, dann beginnt Ende Februar endgültig ein neues Kapitel. Für das Umzugsunternehmen geht das schon am Nachmittag los. Da steht nämlich ein weiterer Umzug an. ◆

„Dit is nur ein kleener Umzug, zwei Zimmer, dauert nich lang“, begrüßt mich einer der Möbelpacker mit einem Akzent so Berlin wie seine ausgebleichte Hertha-Cap. Ich befinde mich in der Bernhard-Bästlein-Straße in Lichtenberg, ein Wohnblock unter vielen. Später werde ich erfahren, dass hier früher weites Brachland war, unverbauter Blick bis zum Alex.

Mirko Lorenz

VERÄNDERUNG LIEGT IM BLICKWINKEL Changes


Absprung in letzter Sekunde von Sara Orlos

Krystian (25) entscheidet sich, von Polen nach Berlin auszuwandern, um aus seinem bisherigen Leben als straffälliger Hooligan auszubrechen. In einer Berliner Kneipe erzählt er in gebrochenem Deutsch von seiner kriminellen Vergangenheit und seinem Neustart in Deutschland. Im U-Bahnhof Mehringdamm in Kreuzberg sticht ein junger Mann aus der Menge heraus. Unter seiner dunklen Jacke ist ein blaues Sweatshirt mit dem Aufdruck „Amsterdam“ zu erkennen. Er steht in einer weit geschnittenen hellen Jeans und schwarzen Nike-Schuhen auf dem Gleis der U7 und schaut sich um. Sein Erscheinungsbild erinnert mich an Rap-Videos aus den 90ern. Er scheint wie aus der Zeit gefallen und enttarnt sich schnell als Nicht-Berliner. Zur Begrüßung umarmt er mich, als würden wir uns schon lange kennen. So besonders wie sein Äußeres, ist auch seine Geschichte.

Biała im Süden Polens. Die Siedlung am Stadtrand ist von Armut und Perspektivlosigkeit gezeichnet. Der Alltag der Jugendlichen ist dementsprechend monoton. Außer einem Supermarkt und einigen Spielplätzen gibt es nichts in der Umgebung. „Dann sitzt man halt den ganzen Tag zusammen und überlegt, wie man ans große Geld kommt,“ erzählt Krystian. Seine tiefgläubigen Eltern wollten ihn zu einem guten und respektvollen Menschen erziehen, doch die Straße war überzeugender. Sein Umfeld habe ihn zu dem gemacht, der er geworden sei, erzählt er mir und greift nach der Bierflasche vor ihm. In vielen polnischen Blocks herrschen eigene Regeln. Mit Leuten, die man nicht kennt, spricht man nicht. Und wenn ein Fremder auf die falschen Leute trifft, kriegt er schon mal ohne Grund eins auf die Fresse. „In Polen wirst du entweder bewundert, weil du Geld hast, oder weil du gut zuschlagen kannst“, sagt er. Um Stärke zu beweisen und Anerkennung bei seinen Freunden zu gewinnen, hatte Krystian bereits in der 7. Klasse seine erste Schlägerei. Er verprügelte einen Schüler aus seiner Klasse - ohne Grund und ohne Skrupel. Später fing er an, zu Fußballspielen eines polnischen Drittligisten zu gehen.

Wie alles begann Aufgewachsen ist der 25-Jährige in einem typisch polnischen Wohnviertel in der schlesischen Kleinstadt Bielsko-­

Nach den Spielen fanden regelmäßig organisierte Schlägereien unter Hooligans statt. Krystian lernte dort radikale Fans kennen und war von deren Mut und Stärke begeistert. ▶

Fotos von Tim Kirchner

In einer gemütlichen Kneipe bestellen wir uns ein Bier und fangen an zu plaudern. Krystian wirkt ausgeglichen und glücklich. Ab und zu zupft er an seinem gestylten dunkelblonden Haar. Er müsse sich erst einmal daran gewöhnen, schließlich trug er jahrelang eine Glatze.

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Mit 18 Jahren nahm er schließlich das Angebot an, Teil einer Schlägergruppe zu werden. Der Pole schaut nachdenklich zur Seite und trinkt einen Schluck. Erinnerungen kommen hoch und man merkt, dass es ihm schwerfällt, über das Erlebte zu sprechen. Er bietet mir eine Zigarette an. Es scheint, als bräuchte er erst einmal eine kurze Pause. Wir gehen vor die Tür und rauchen. Nach wenigen Minuten Smalltalk fühlt er sich bereit, seine Geschichte mit mir zu teilen. Das Leben als Hooligan Der Hooligan-Clan, dem Krystian beitrat, besteht zu dieser Zeit aus ungefähr 300 Männern und einem Boss. Die Jüngsten sind noch nicht einmal volljährig, die Ältesten fast Rentner. Es gibt studierte Mitglieder, wie etwa einen Arzt, der den Mitgliedern Krankschreibungen für die Arbeit ausstellt. Genauso gibt es viele Schulabbrecher, die keine andere Perspektive sehen. Und Krystian? Er hat zum Zeitpunkt seines Beitritts das Abitur in der Tasche und arbeitet als Qualitätsprüfer in einer Fabrik für sehr wenig Geld. Als Hooligan geht es für ihn um die großen Scheine, von denen er jahrelang geträumt hat. Schlägereien nach Fußballspielen sind nur die Freizeitbeschäftigung der Gruppe. Drogenhandel, Erpressung und Raubüberfälle gehören zum Alltag. Unter dem Pseudonym „Duzy“ („Großer“) wird er als Mitglied der Gang in der ganzen Stadt gefürchtet. In der Gruppe hat jeder seine Aufgabe. Krystian bekommt die Rolle des Erpressers zugeteilt. Er soll Menschen erpressen, die dem Boss Geld für Drogen schulden. Wenn Leute die Bezahlung herauszögern, stürmt Krystian mit anderen Gang-Mitgliedern maskiert in deren Wohnungen und schlägt mit einem Baseballschläger auf die Schuldner ein. „Wir kannten keine Gnade. Uns war egal, ob Mütter und Geschwister gerade zu Hause waren und zusehen mussten,“ erinnert sich Krystian. Nachdem sie ihre Schulden beglichen hatten, mussten die Käufer den Erpressern zusätzliches Geld geben. Schnell

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werden so aus 4000 Zloty (1000 Euro) zusätzliche 2000 Zloty (500 Euro). Das erpresste Geld teilt die Gruppe dann untereinander auf und investiert es in Anabolika, Glücksspiel, Parties und Marihuana. Nicht immer reicht es der Gruppe, jemanden aus Rache zusammenzuschlagen. „Wenn es um viel Geld ging, haben wir die Typen in den Kofferraum gesperrt und sind mit ihnen in die Berge gefahren. In irgendeinem Waldstück haben wir sie dann an einen Baum gefesselt, zusammengeschlagen und bewusstlos zurückgelassen”, erzählt Krystian. Das Lächeln ist inzwischen aus seinem Gesicht verschwunden. Krystian sitzt mir ernst gegenüber und spielt nervös mit einem Bierdeckel. Es wird still und ich merke, dass er Tränen in den Augen hat. Neben seiner Hauptrolle als Erpresser, ist Krystian bei den Hooligans noch in den Drogenhandel verwickelt. Er dealt jahrelang mit Gras und Amphetaminen. Die Nähe zur tschechischen Grenze erleichtert zwar den Drogenschmuggel, trotzdem muss er oft vor der Polizei fliehen. In all den Jahren sitzt er insgesamt nur dreimal für jeweils 48 Stunden in Haft. Angst vor der Polizei hatte Duzy nie. Viele Polizisten werden von den Hooligans mit Geld bestochen und sind korrupt. „Einige Freunde hatten enge Verbindungen zur Polizei und wussten immer, wo Razzien durchgeführt wurden. Nur deshalb konnte ich das Ganze so lange durchziehen“. Trotzdem geht der Plan vom leicht verdienten Geld auf Dauer nicht auf. Als Spezialkräfte der Polizei die Wohnung seiner Eltern stürmen, flieht Krystian und zieht zu einem Freund. Er spricht über Monate nicht mit seiner Familie. Seine Eltern machen sich große Sorgen und wissen nicht, was mit ihm passiert ist, ob er überhaupt noch lebt. Vor allem seine Mutter leidet, als sie von dem kriminellen Leben ihres Sohnes erfährt. Er fängt an, jeden Tag zu kiffen und wird nachdenklich. Unter Drogen­einfluss ruft er eines Tages seinen jüngeren Bruder an. Dieser fleht ihn an, zurückzukommen. Krystian schämt sich. Er weiß, dass er sein Leben ändern muss. Wenigstens versuchen will er es. Er glaubt, dass es vielleicht schon zu spät ist. „Gras hat mich


und als Verräter beschimpft, von den Leuten, mit denen er jahrelang befreundet war. Später erfährt er, dass viele seiner Freunde bereits im Gefängnis sitzen. Der Jüngste muss sieben Jahre in den Knast, der Älteste 15. „Ich habe alles im perfekten Moment beendet. Wäre ich geblieben, säße ich heute bestimmt auch hinter Gittern“, reflektiert der junge Pole. Während wir uns gegenüber sitzen und ich ihn beobachte, fällt es mir immer schwerer zu glauben, dass dieser so zerbrechlich wirkende Mensch, so eine Vergangenheit hinter sich hat. Die Reue steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er sagt, ich solle nicht so ängstlich gucken, er sei das letzte Mal im Juni 2016 in eine Schlägerei verwickelt gewesen. „Ich bin jetzt hier und eine bessere Version von mir selbst“, sagt er lachend. Ein neues Leben ohne Kriminalität Krystian hat sein Leben komplett umgekrempelt, doch die Anfänge in Deutschland waren nicht immer einfach. Er wird von mehreren Arbeitgebern über den Tisch gezogen und verliert mehr Geld als er verdient. Er muss mehrmals den Job wechseln und wird von Mitbewohnern beklaut. Trotzdem hält er an seinem Traum von einem ehrlichen Leben in Deutschland fest.

irgendwie in die Scheiße gezogen aber andererseits hat es mir geholfen, wieder rauszukommen,“ erzählt er. Er lächelt verlegen, trinkt sein Bier aus und bestellt ein neues. Mein Glas ist noch halb voll. Sein Gesicht ist leicht gerötet, als würde er sich schämen, wenn ich ihn fassungslos anschaue. Der Ausstieg Duzy zieht zurück zu seinen Eltern. Nach und nach bricht seine Hooligan-Clique auseinander. Streitigkeiten führen zu Problemen und sogar zu Schlägereien innerhalb der Gruppe. Nichts klappt mehr und Krystian möchte nur noch weg. Doch der Ausstieg aus der Gruppe ist nicht einfach. Die Hooligans wollen 20.000 Zloty (5000 Euro) von ihm. Viel Geld, das Krystian nicht hat. Ihm wird bewusst, dass er es nur mit der Hilfe seiner Eltern schaffen kann. Er erzählt ihnen alles. „Sie waren enttäuscht, verziehen mir aber“, sagt der 25-Jährige. Krystians Eltern nehmen einen Kredit auf, um ihren Sohn aus dem kriminellen Milieu zu befreien. In dem Zusammenhang haben sie nur eine Bedingung: Krystian muss den Kontakt zu allen aus der Gruppe abbrechen und ein komplett neues Leben anfangen. Im Mai 2016 sagt er den anderen Bandenmitgliedern, dass er aus Polen wegziehen möchte und deshalb aussteigen will. Ein Monat später wohnt er schon in Deutschland. Krystians Situation hat sich gedreht: Jetzt ist er derjenige mit den Schulden bei den Kriminellen. Das Abbezahlen des Geldes ist jedoch nicht alles, was er über sich ergehen lassen muss. Mehrmals wird er vor seinem Haus zusammengeschlagen Changes

Momentan arbeitet er in Berlin als Kurierfahrer und möchte bald einen Sprachkurs besuchen, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Der junge Mann hat endlich etwas Ruhe gefunden. Vor allem begeistert ihn die Offenheit und die entspannte Denkweise der Menschen, denen er begegnet. „Die Leute akzeptieren mich so wie ich bin und ich kann endlich ich selbst sein“, erzählt Krystian strahlend. In seiner Heimat sei die Situation das komplette Gegenteil. Früher war Krystian anderen Kulturen gegenüber verschlossen. Auch gegenüber Deutschen hatte er viele Vorurteile. Erst in Berlin wurde ihm die Intoleranz bewusst, die er früher allen Andersdenkenden entgegenbrachte. Noch vor ein paar Monaten blickte er auf Ausländer herab. Heute trifft er sich mit Menschen aus verschiedenen Ländern und findet es interessant, andere Kulturen kennenzulernen und zu verstehen. Obwohl sich Krystian in Berlin wohlfühlt, vermisst er ab und zu seine Familie, die polnische Wurst und die Berge. Zurück möchte er aber nicht. Die Angst, in alte Muster zu verfallen, ist viel zu groß. Auch wenn Berlin viele Möglichkeiten bietet, kriminell schnell Geld zu verdienen, versucht er sich von solchen Angeboten fernzuhalten. Für seine Zukunft wünscht er sich nicht etwa Reichtum und ein großes Haus. Er möchte sich verlieben, eine Familie gründen und einen Job finden, der ausreicht, um über die Runden zu kommen und seine Familie in Polen zu unterstützen. Das schlechte Gewissen plagt ihn immer noch. Neben seiner Einstellung zum Leben, hat sich auch Krystians Äußeres verändert. Innerhalb weniger Monate hat er 20 Kilogramm abgenommen. Die Glatze ist verschwunden. Aus einem 105 Kilo schweren Hooligan mit abrasierten Haaren, ist ein zielstrebiger schlanker Mann geworden. Nur eine Narbe auf der Unterlippe erinnert an sein früheres Leben. Wir verlassen die Kneipe und laufen zur U-Bahn. Krystian lacht wieder und erzählt mir, dass er in wenigen Tagen seine Familie in Polen besucht. Er hat Geld gespart, um die Rechnungen seiner Eltern zu begleichen. Krystian möchte ihnen helfen, denn sie waren da, als er auf die Unterstützung seiner Familie angewiesen war. Die Tage in Polen wird Krystian mit seinen Verwandten verbringen, denn Freunde hat er in seiner Heimat nicht mehr. ◆

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DIE SPRACHE IM WANDEL Hello! Hola! Bonjour! Hallo! Etwa 7000 Sprachen gibt es auf der Welt. 7000 unterschiedliche Arten der Kommunikation. 7000 komplett verschiedene Vokabulare. Ihre Geschichte beginnt mit der Entstehung des Menschen.

Aus Lauten wurden Worte, aus Worten wurden Sätze, aus Sätzen wurden Geschichten. Die oral-auditive Kommunikation ist eines der alltäglichsten Dinge unseres Lebens. Wohin wir auch gehen, verständigen wir uns sprachlich mit den Menschen in unserem Umfeld. Die Kommunikation ist das Zentrum der zwischenmenschlichen Interaktion. Dabei ist die Sprache nur eine von vielen Arten, sich zu verständigen.

von Alissa Großkopf

DIE GEBÄRDENSPRACHE Eine Sprache der besonders außergewöhnlichen Art gibt es bei den Gehörlosen. Die Gebärdensprache unterscheidet sich als visuell-manuelle Sprache besonders von den oral-auditiven Sprachen. Sie folgt einer eigenen Grammatik. Doch hinter dem Überbegriff „Gebärdensprache“ versteckt sich eine Vielfalt von unterschiedlichen Ausführungen der Sprache mit unterschiedlichen Zeichen. Sie sind natürlich entstanden und haben sich somit an jedem Ort unabhängig entwickelt. Selbst die amerikanische und die britische Gebärdensprache unterscheiden sich, obwohl beide Länder englischsprachig sind. Die Zeichen für bestimmte Worte orientieren sich oft an Bewegungen, die mit dem jeweiligen Objekt in Verbindung stehen. In der deutschen Gebärdensprache zum Beispiel kann das Smartphone mit einer typischen Telefonieren-Geste oder einer Wischbewegung mit dem Finger auf der anderen Hand dargestellt werden (Zeichnung von Bewegung). Da die deutsche Gebärdensprache schon länger existiert als manche Objekte, wie etwa das Smartphone, muss sie, wie die gesprochene Sprache auch, fortlaufend erweitert werden. Sie macht somit also eine Changes

ständige Veränderung durch. Doch wie geht man in der Gebärdensprache mit Eigennamen um? Diese werden anfangs noch komplett ausbuchstabiert. Ein Zeichen für jeden Buchstaben des Wortes. Doch wenn man diesen Vorgang jedes Mal, wenn man über eine Person spricht oder diese ansprechen will, wiederholen muss, kann das ganz schön lange dauern. Deshalb erhält jede Person aus seinem Umfeld ein Zeichen, das ihren Charakter widerspiegelt. Eine Person, die sich ständig mit ihrem Handy beschäftigt, würde wahrscheinlich ein Zeichen in Verbindung mit dem Smartphone-Zeichen erhalten. In einer ausschließlich visuellen Sprache spielt die Mimik eine besonders große Rolle. Gesichtsausdrücke können zusätzliche Informationen zu dem Gesagten liefern. Zeigt eine Person zum Beispiel, dass sie zur Zeit ein Buch liest, kann sie anhand ihrer Mimik gleichzeitig ausdrücken, ob sie dieses interessant oder uninteressant findet. Wenn wir uns oral-auditiv unterhalten, müssen wir dies extra dazu sagen, da wir nicht so sehr auf die Mimik achten, wie es die Leute in der Gebärdensprache gewohnt sind. In der Schule wird Gehörlosen beigebracht, Lippen und Gesichtsausdrücke zu lesen. Somit fließen viele verschiedenen Faktoren darauf ein, wie sie ihre Umwelt wahrnehmen.


ILY-ZEICHEN Dieses Zeichen kommt wahrscheinlich jedem bekannt vor. Es ähnelt dem Symbol für Rock’n’Roll, hat in der englischen Gebärdensprache aber eine ganz andere Bedeutung. Hinter diesem Zeichen versteckt sich ein kompletter Satz, der sich folgender Maßen aufgliedern lässt: Zeichen für I + Zeichen für L + Zeichen für Y In einem einzigen Zeichen sind drei Buchstaben vereint: ILY. Mit nur einem Zeichen, das alle Gebärdensprachen verbindet, sagen die Gehörlosen „I Love You“. Das Zeichen wird außerdem als Ausdruck der Zusammengehörigkeit mit anderen Gebärdensprachlern verwendet. Doch diese beeindruckende Art der Kommunikation war nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Das Wort „taub“ ist sprachgeschichtlich mit den Worten „doof” und „dumm” verwandt. Die Bedeutung dieser Worte wurde damals auf die Gehörlosen übertragen. Ihre Gehörlosigkeit wurde als Strafe Gottes angesehen. Man versuchte, sie trotzdem mündlich zu belehren und lehnte eine eigene Sprache der Gehörlosen ab. Selbst heute noch sehen einige Pädagogen die Gebärdensprache nur als „Anreihung willkürlicher Zeichen“, die ausschließlich einfache Gedanken kommunizieren kann. Die Vielfalt und Intelligenz dahinter sehen sie nicht. Gehörlose müssen noch heute um eine vollständige Anerkennung ihrer Sprache kämpfen, die sich so beeindruckend gegen den Widerstand vieler Menschen entwickelt hat. EMOJIS UND ABKÜRZUNGEN Neuzeitlich betrachtet entwickelt sich die digitale Sprache am rasantesten. Es begann mit der Erfindung technologischer Kommunikation und endet in unabsehbarer Zukunft. Die Kette der Kommunikationsentwicklung setzt sich nämlich bis heute fort. Aus Worten wurde Schrift und aus Schrift wurden Abkürzungen und Emojis. Denkt man darüber nach, stellt man fest, dass wir uns aus Faulheit zu den früheren Anfängen der menschlichen Kommunikation zurück bewegen. Emojis gleichen Höhlenmalereien. Kürzel gleichen zusammenfassenden Zeichen eines Wortes. Sie allein können komplette Geschichten erzählen, wie die Höhlenmalereien in der Steinzeit. Darüber, in welchem Ausmaß sie Verwendung finden sollten, lässt sich natürlich streiten. Bei Emojis geht es offensichtlich nicht um eine Notwendigkeit. Es geht um den Spaßfaktor, Entertainment und um Emotionen. Ohne Emojis wirkt eine Nachricht heutzutage für viele emotionslos. „Ich freue mich auf unser Treffen morgen“ klingt ohne Smiley genauso gut wie „Ich hab eigentlich keinen Bock, dich zu sehen“. Man stellt sofort alles infrage. Habe ich etwas Falsches gesagt? Warum diese Ironie? Ein lachender Smiley am Ende einer Nachricht lässt einen jedoch beruhigt zurück lächeln. Natürlich in Form eines weiteren Smileys. Eines ist jedoch klar: An Emojis spalten sich die Generationen. Jugendliche gebrauchen sie als Emotions-Ersatz. Eltern sind häufig große Fans, aber wissen nicht, wie man sie richtig einsetzt. Und bei den Großeltern ist man schon froh, wenn sie wissen, was ein Smartphone ist.

ANGLIZISMEN Schon der erste Blick auf die Abkürzungen in der digitalen Welt zeigt ein weiteres Phänomen des Sprachwandels. Yolo – You only live once. ILY – I Love You. Homie, Baby, Make-Up. Fällt dir etwas auf? Englisch. Englisch, wohin wir auch sehen. Im Zuge der Globalisierung verbreiten sich auch die Sprachen und die Englische hat sich in diesem Sinne stark etabliert. „Unsere Sprache soll wieder deutscher werden“, äußerte sich der Politiker Oskar Lafontaine (Die Linke) und sprach damit die Meinung vieler Sprachkritiker aus. Englischen Wörtern wird nachgesagt, die Deutschen zu verdrängen. Der Untergang der deutschen Sprache! Doch Englisch ist sehr wohl förderlich für internationale Beziehungen. Des Englischen mächtige Politiker sind ein Muss. Genauso wenig kommt man heutzutage ohne Englischkenntnisse durch die Schulzeit. Während eure Großeltern vielleicht zwei, drei Wörter der englischen Sprache verstehen, lest ihr Zeitschriften, die ausschließlich aus englischen Texten bestehen. Doch warum gelangen so viele englische Wörter in die deutsche Alltagssprache, obwohl diese doch selbst ein sehr ausgeprägtes Vokabular besitzt? Die Antwort darauf ist vielschichtig. Der Einfluss der amerikanischen Kultur ist allgegenwärtig. Wir gucken amerikanische Filme, wir lesen amerikanische Bücher, wir hören amerikanische Musik, wir essen amerikanische Süßigkeiten, wir sehen amerikanische Models auf Postern und wir meinen nahezu alles über Präsidentschaftswahlen in den USA zu wissen. Je mehr Zeit man mit einer Person verbringt, desto mehr adaptiert man deren Verhaltensweisen. Man benimmt sich wie sie, man bewegt sich wie sie, aber vor allem spricht man wie sie. Und wir beschäftigen uns viel mit diesen berühmten Amerikanern. Nach und nach nehmen wir englische Wörter, die wir von ihnen hören, in unseren Sprachgebrauch auf. Wir merken, dass sie das Gemeinte viel besser beschreiben, dass sie viel besser über die Lippen gehen, sich viel moderner anhören. Dann hören wir diese Worte bei anderen in unserem Umfeld. Diese Worte prägen sich bei uns ein. Es ist eine endlose Kette. Ein Weitertragen von Gewohnheiten, eine natürliche Veränderung der Sprache. Gegen diese Veränderungen der Sprache anzutreten ist ein Kampf gegen die Natur. Der Mensch strebt fortwährend nach Veränderung. Doch auch ohne diesen Willen, bewirken immer neue Einflüsse, die sich aus immer neuen Entwicklungen ergeben, eine sich ständige verändernde Gesellschaft. Dazu gehört eine Veränderung der Kultur, der gesellschaftlichen Strukturen und der Sprache. Das wirft die Frage auf, wie wir wohl in 100 Jahren miteinander kommunizieren. ◆

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iHuman: Wenn Computer Denken lernen Eine Maschine, die lernen kann wie ein Mensch, nur besser. Sie schläft nicht, sie vergisst nichts und mit genug Energie kann sie quasi über alles gleichzeitig nachdenken. Künstliche Intelligenz (KI) – ein Versuch, das menschliche Gehirn nachzubauen. Seit mehreren Jahrzehnten glimmt dieser Forschungszweig vor sich hin und flammt gelegentlich auf, immer in Verbindung mit ähnlichen gesellschaftlichen Fragen: Wo soll das hinführen? Kann das gefährlich werden? Können wir so etwas überhaupt bauen? Geht’s jetzt wirklich los? Immerhin haben wir schon ein Google Brain, einen Computer, der die Quizshow Jeopardy rockt und künstlich intelligente Sexpuppen. Aber eins nach dem anderen... von Max Wittig Eine Entwicklung in Kinderschuhen Die Idee eines künstlichen Gehirns ist nicht neu. Mit dem Aufkommen der ersten Computer vor fast 70 Jahren kam der Ansatz, dass Denken eigentlich nichts anderes ist als Informationsverarbeitung, also ein mathematisch nachvollziehbarer Prozess, zu dem auch ein Computer in der Lage ist. Science-Fiction-Fans waren sich dessen schon weit früher bewusst. Mitte der fünfziger Jahre wurde euphorisch das erste Forschungsprojekt gestartet und die Erwartungen waren utopisch. Man rechnete mit einer funktionierenden KI innerhalb der folgenden zehn Jahre – Pustekuchen! So einfach ist das mit der Intelligenz dann doch nicht. Schnell stellten Forscher fest, dass Dinge die für uns Menschen selbstverständlich sind, wie zum Beispiel Sprechen, Gesichter und Stimmen erkennen, oder einfache kausale Schlüsse ziehen, für Maschinen scheinbar unlösbare Probleme darstellen. So flachte der KI-Hype schnell wieder ab. In den achtziger Jahren versuchte man diese Technologie verstärkt wirtschaftlich zu nutzen, doch auch mit größerer Rechenleistung waren die Resultate gering und der Kostenaufwand groß. Ein Erfolg waren jedoch sogenannte ICR Systeme, die noch heute von Bankautomaten zur Handschriftenerkennung genutzt werden. Erste Berühmtheit erlangte im Jahr 1997 der vom Softwarehersteller IBM entwickelte Schachcomputer „Deep Blue“. Er schlug den damaligen Schach-Weltmeister Garri Kimowitsch Kasparow zwei zu eins. Drei Spiele endeten unentschieden. Das Programm verstand die Regeln des Spiels und berechnete auf ihrer Grundlage den eventuellen Spielverlauf mit einer Geschwindigkeit von 200 Millionen möglichen Zügen pro Sekunde. Doch das war IBM nicht genug. 2012 schickten sie das Programm „Watson” in die beliebte US-Quizshow Jeopardy (die mit der legendären Nachdenk-Musik). Watson konnte nicht nur Sprache verstehen und selbst antworten, sondern gewann sogar ein Match gegen die bisherigen Champions der Show. Das war nicht mehr nur einfaches vorausberechnen und gespeichertes Allgemeinwissen. Es braucht ein sehr viel komplexeres Sprachverständnis um die mundartigen, oft wortspielreichen Jeopardy-Fragen überhaupt zu verstehen.

Robo-Sex Einen ganz anderen Nutzen sieht der Bildhauer Matt McMullen in intelligenter Technologie. Er arbeitet für die Firma Abyss Creations in Kalifornien, die für ihre „Real Dolls“ bekannt ist – lebensechte Sexpuppen. Diese will das Unternehmen zukünftig mit einem Stimmgenerator und einer Persönlichkeits-KI ausstatten, die sich mit einem Menschen unterhalten und ihn kennen lernen kann. Die Software dazu ist eine App, die der Kunde auch ohne Puppe die ganze Zeit bei sich tragen kann. Je besser die KI die Person kennen lernt, desto inniger wird die Beziehung. McMullen und seine Kollegen wollen keine klassische Beziehung zwischen zwei Menschen nachstellen. In ihren Augen gibt es einen wachsenden Markt für Interessenten an einer ganz neuen Form von Beziehung und Intimität. Wie so ein Pärchen aussehen könnte, zeigte der Film „Her“ (2013). Hochphilosophische Diskussionen kann man mit der kalifornischen Puppe, die auf den Namen „Harmony“ hört, zugegebenermaßen nicht führen. Offen gesagt wirkt sie etwas dämlich, aber intellektuelle Konversation ist schließlich nicht ihr Primärnutzen. Was können und was dürfen Maschinen? Wem eine intelligente Sexpuppe nicht nützlich genug ist, könnte sich stattdessen den selbstfahrenden Autos von Tesla widmen. Diese Technologie wird schon seit Jahren immer weiter verfeinert. Auch Google hat für 2017 sein „Driverless Car“ angekündigt. Trotz erfolgsversprechenden Resultaten im Alltagsverkehr versperrten den intelligenten Autos bislang vor allem ethische Fragen den Weg auf den freien Markt. Denn in manchen Situationen müsste eine solche KI über Leben und Tod entscheiden: Gefährdet sie das Tier auf der Straße und hält die Spur, oder lenkt sie ab und gefährdet den Insassen? Hält sie die Spur auf den nahenden LKW zu oder zieht sie zur Seite und überrollt den Radfahrer?“ Wer entscheidet, was richtig ist? Und was ist, wenn sich die KI falsch entscheidet? Wer ist dann Schuld und damit haftfähig? Der Eigentümer? Der Hersteller? Eine KI kann schließlich keine Geldstrafe zahlen oder ins Gefängnis gehen. Im Film „I, Robot“ (2004) berechnet ein intelligenter Roboter blitzschnell die Überlebenschancen bei einem Unfall und rettet Will Smith anstelle des kleinen Kindes aus dem versinkenden Fahrzeug – ist das fair? Diese Fragen lassen sich nicht einfach mit mehr Rechenleistung lösen. Bis Roboter so intelligent sind, dass wir ihnen erlauben können, Fehler zu machen, ist es wohl besser, wir nehmen uns der ethischen Probleme selbst an.

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Illustration von Sophie Schmidt

Das erste Super-Brain Diese wenigen halbschlauen Geräte, die im Augenblick in unsere technische Reichweite rücken, könnten einmal nützliche Helfer in unserem Alltag sein. Doch mit richtiger Intelligenz hat das alles noch wenig zu tun, denn sie lernen nur eine bestimmte Fertigkeit und hören dann auf. Wirklich interessant wird es erst, wenn die Maschine schlauer wird als der Mensch selbst. Eine richtige Super-Intelligenz, ein universalgelehrtes Onlinesystem mit unbegrenzter Lernfähigkeit. Der Spielfilm „Transcendence” (2014) zeichnet ein recht realistisches und vor allem aktuelles Bild, wie so ein künstliches Megahirn tatsächlich aussehen könnte (wenn man mal von ein wenig vereinfachender Hollywood-Kreativität und einer eher konservativen Sicht auf die Entwicklung absieht). Die von Johnny Depp gespielte KI sitzt in einem gewaltigen Rechenzentrum, fünf Stockwerke unter der Wüste. Darüber wächst ein gigantischer Solarpark. Mit enormem Energieaufkommen und unbegrenztem Zugriff auf alle weltweit verfügbaren Daten ist der Computer in der Lage, sich intellektuell und kulturell in kaum nachvollziehbarem Tempo zu entwickeln. Evolution 2.0, die Superlative! Gibt’s doch gar nicht? Doch, bei Roll- äh... bei Google! Oder zumindest fast. 2011 entstand in den Google X-Labs das „Google Brain“, ein Konglomerat mehrerer hunderter Recheneinheiten, die ein Gehirn simulieren. Zwischen 10 Millionen virtuellen Nervenzellen lassen sich über 100 Milliarden Verbindungen erzeugen. Durch die immer dichtere Vernetzung unzähliger einzelner Informationen entstehen somit immer komplexere Gedankenkonstrukte. Das System heißt „Deep Learning“ und 2012 kam der erste Durchbruch: Es erkennt Katzenbilder! Was zunächst lächerlich klingt, ist ein Meilenstein der Neuro-Informatik. Durch die Analyse der nahezu endlosen Menge an Bildmaterial der beliebten Haustiger im Internet konnte das Brain die einzelnen Pixel zu Linien, zu Mustern und schließlich zu einem Gesicht verbinden. So versteht es nun, wie eine Katze aussieht. Bei einem Wettbewerb ließ die KI alle anderen Bilderkennungsprogramme weit hinter sich. Wie sein biologischer großer Bruder reagiert Deep Learning auf seinen eigenen Lernprozess. Was einmal gut funktioniert hat, wird gemerkt, wiederholt und verfeinert. Es sammelt Informationen, verknüpft sie und lernt. Wie bei uns Menschen basieren alle zukünftigen Schlussfolgerungen auf bisherigen Erfahrungen und den zur Verfügung stehenden Informationen. Das virtuelle Gehirn ist ebenfalls ein Einfall aus den achtziger Jahren. Damals stand man hauptsächlich vor dem Problem, nicht genug Rechenleistung und zu wenig digitalisierte Informationen zu haben. Doch in Zeiten von Quanten-Prozessoren und Big Data scheint dieses Problem zu schrumpfen. Es ist ein kleiner Trost, dass unsere ganzen persönlichen Daten unter anderem zu Forschungszwecken genutzt werden können.

Der digitale Imperator In der Unterhaltungsbranche werden die Brisanz der künstlichen Intelligenz und ihre Folgen für die Weltbevölkerung immer wieder thematisiert. Tausende Geschichten der letzten Jahrzehnte erzählen von bösen, übermächtigen Maschinen, die die Menschheit unterjochen oder ausrotten wollen. Der nächste Evolutionsschritt: unsere Ablösung an der Spitze der Nahrungskette. Ein Thema, mit dem sich auch der schwedische Philosoph Nick Bostrom beschäftigt. Wie die meisten, die sich intensiver mit dem Thema künstlicher Intelligenz auseinandersetzten, hält er die Theorie einer „bösen KI“ für unwahrscheinlich. Seine Sorge ist vielmehr, dass biologisches Leben im Vergleich zu dieser sehr viel höher entwickelten Lebensform irgendwann „nicht mehr so wichtig ist“. Ein Phänomen, das wir Menschen momentan umgekehrt erleben, wenn wir zum Beispiel einen Wald abholzen. Weder sind wir deswegen böse, noch hassen wir die Waldbewohner, aber an dieser Stelle wollen wir jetzt nunmal eine Universität oder ein Krankenhaus bauen und brauchen dafür Platz und Rohstoffe. Das ist eben wichtiger als das süße Bambi und der kleine Klopfer. Doch das können wir diesen “unterentwickelten” Lebensformen nicht erklären – sie verstehen einfach es nicht. Sollten wir eines Tages wirklich eine Super-KI erschaffen, können wir nur hoffen, dass sie uns auch emphatisch überlegen ist. Mit einer KI, die ihre Umwelt so behandelt wie der Mensch, würden wir definitiv in Konflikte geraten. Auch die Anwendungsbereiche bleiben kritisch zu betrachten, denn für militärische Zwecke wird ebenfalls fleißig geforscht. Bereits jetzt lassen sich Anzeichen tiefer Spaltung in der Gesellschaft erkennen, ob und wie es mit KI weitergehen soll. Die einen sehen ungeheure Entwicklungschancen, die anderen fürchten eine zunehmende Rationalisierung der Menschen und die Abkehr vom Natürlichen. Vereinzelt fällt der Begriff „Robo Sapiens“, eine Symbiose aus Mensch und Maschine, die vornehmlich in der Virtual Reality heimisch ist. Doch das muss nicht zwangsläufig Konflikte bedeuten. In den USA beweist die christliche Glaubensgemeinschaft der technologieskeptischen Amish People seit über 300 Jahren, dass man nicht jeden Entwicklungsschritt mitgehen muss und dass zwei verschiedene Kulturen nebeneinander existieren können. Es bleibt zu hoffen, dass sich User und Nicht-User von KI gegenseitig den Respekt und Freiraum gewähren werden, den sie für ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen brauchen. Ich würde es mir wünschen. Wir müssen nun wirklich nicht noch eine Front aufmachen... ◆

Deep Learning bietet heute eine Grundlage für etliche KI-basierte Entwicklungen, wie zum Beispiel die Spracherkennung bei Android oder eine Software der J. Walter Thomson Werbeagentur in Amsterdam, die in der Lage ist, ein völlig neues Gemälde zu kreieren, im Stile Rembrandts. Doch wenn die Maschinen irgendwann alles können, bleibt dann noch etwas übrig für uns?

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Russland erobert seine Würde zurück von Thorsten Gutmann

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ein Vater wurde in Deutschland geboren und sozialisiert. Er wählte nie eine Partei an den politischen Rändern und schätzt die Werte des vereinten Europa. Meine Mutter dagegen stammt aus dem sowjetischen Russland. Sie erlebte eine Realität, die sich von der Deutschen grundlegend unterscheidet. Dies beginnt mit der Erinnerungskultur und endet beim Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Im Alter von über 70 Jahren schrieb mein Vater den ersten Leserbrief seines Lebens. Er richtete sich an einen Lokaljournalisten der Badischen Zeitung in Freiburg. Anlass war ein Kommentar über die vermeintliche Aggression Russlands in Mittel- und Osteuropa. Der Journalist verfiel in scharfe Kriegsrhetorik. Die russische Gesellschaft sei verroht und Putin ein Diktator, dessen Truppen morgen schon an der Grenze zu Polen stünden. Das Meinungsstück war im Kern rassistisch. Es verunglimpfte die Russen als unmündiges und dümmliches Volk, das einen homophoben Führer verehrt, der die Ukraine und am besten ganz Europa in Stücke reißt. Es entbehrte jedweder historischen Einordnung oder gar des Versuches, einen konstruktiven Gedanken zu formulieren. Viel tragischer: Der Autor setzte nie einen Fuß auf russisches Territorium und verfügte nicht über ausreichende Expertise für einen Kommentar. Meine Eltern erlebten den Kalten Krieg, das Blockdenken zwischen Ost und West, und den Kampf um die Deutungshoheit in der Weltgeschichte. Seit 2014 ist ihnen klar, dass sich Geschichte wiederholt. Ein Referendum auf der Halbinsel Krim genügte deutschen Politikern, um das Verhältnis zu Russland nachhaltig zu gefährden. Die etablierten Leitmedien der Bundesrepublik Deutschland stimmten in den antirussischen Chor ein. Die wahre Gefahr für Europa ist nicht die russische Aktivität in der Ostukraine – sondern eine Abwendung von Russland als Partner auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Trotz der dritten Wirtschaftskrise ist Russland ein Land der Superlative, zu dem wir Deutschen jahrhundertelange Beziehungen pflegen. Es ist ein Frevel, diesem großen und stolzen Land die kalte Schulter zu zeigen. Auch der Kampf um die Ukraine wird erst gelöst, sobald der Westen, um Vergebung flehend, den Dialog eröffnet und Russland die Hand reicht. Um die Psychologie der russischen Gesellschaft zu verstehen, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Russlands Geschichte ist geprägt von Leid und Unterdrückung. Dies führt zurück bis zur mongolischen Invasion der Rus im 13. Jahrhundert – und wird fortgesetzt bei der dreifachen Transformation vom zaristischen Imperium über den Kommunismus bis hin zum ernüchternden Versuch der Demokratisierung. Der Sozialismus sollte konträr zum Feudalismus Gleichberechtigung herstellen. Doch die Voraussetzungen für das Gelingen dieser Transformation waren nicht gegeben. Kollektivismus und die Abschaffung des Privateigentums führten zu Repression durch die Obrigkeit. Zwar ist durch Verstädterung und Industrialisierung ein zivilisatorischer Fortschritt entstanden, doch dieser Entwicklung fiel die Autonomie des Bürgers zum Opfer. Der Staat verhinderte private Interessen, indem er die Rolle des Erziehers einnahm. Er zwang die Menschen zur Vergesellschaftung des Individuums. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs kam schließlich die Katastrophe, die sich im Westen Demokratie schimpft. Am 8. Dezember 1991 trat Russland aus dem sowjetischen Staatenverband aus. Infolge des Scheiterns der sozialistischen Idee orientierten sich junge Menschen gen Westen. Wirtschaftsexperten aus dem Westen berieten die neue politische Klasse über eine kapitalistische Zukunft. Das Staatsvermögen wurde in eine ausgewählte Elite von Jungunternehmern übertragen. Es war die Geburtsstunde des neuen Russen, der eine extreme Form des westlichen Lifestyles in Luxus, Prunk und Prahlerei imitierte.

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Der Westen wiederum war in seiner Erinnerung an den Kalten Krieg nicht an einem Erstarken Russlands interessiert, sondern forderte im Gegenteil die Erstattung von Schulden. Der russische Staat lieh das Geld für die Rückzahlung bei Großunternehmern, die ihrerseits mit rohstofffördernden Betrieben entschädigt wurden. Die Oligarchen profitierten vom Ausverkauf des Landes, während der durchschnittliche Zivilist mit den neuen Gegebenheiten in eine völlige Orientierungslosigkeit geriet. Die ersten Regierungsjahre Boris Jelzins galten zumindest unter westlichen Beobachtern als Phase hoher Meinungsfreiheit und gesellschaftlicher Stabilität. Doch im Zuge der Verwestlichung legte der Präsident einen Reformeifer zu Tage, bei dem so manchem Russen schwindelig wurde. Neoimperialisten und Kommunisten stürmten im Oktober 1993 das Parlament, um gegen die rasanten Gesetzesänderungen zu protestieren. Jelzin reagierte mit einer gnadenlosen Offensive. In einer blutigen Auseinandersetzung starben mehr als 120 Menschen. Doch die Kritik am neuen System war nicht unbegründet: „In Russland funktionierte die Rechtsprechung nicht, es gab keine registrierten Unternehmen, keine nachprüfbaren Zertifikate, keine Anwaltskanzleien, keine öffentliche Verwaltung – nur die blinde Kopie des Kapitalismus“, sagte Russland-Experte Gerhard Ruge. Die Mittelschicht verlor zunehmend an Einfluss, während die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wurde. Die Wirtschaftsleistung halbierte sich, die Agrarproduktion brach zusammen. Die Zustände erreichten afrikanisches Niveau. Die Privatisierung stieß die Bevölkerung in bittere Armut und sozialen Niedergang. 1998 war Russland schließlich völlig bankrott. In Anbetracht dieser Entwicklungen ist die Transformation in ein demokratisches System gescheitert. Die russische Zivilisation empfand nicht nur das Zusammenbrechen des sowjetischen Imperiums als geopolitische Katastrophe und historische Demütigung, sondern sie verknüpfte zutiefst negative Assoziationen mit dem Begriff Demokratie. Die Ungleichheit im sowjetischen System verwandelte sich in einen Überlebenskampf, dessen Regelwerk einer kleinen Wirtschaftselite vorbehalten war. Wladimir Putin stand vor einem Trümmerfeld, als er eine Woche nach dem Rücktritt Jelzins am 31. Dezember 1999 zum neuen Ministerpräsidenten des Landes ernannt wurde. Er errichtete eine zentralistische Machtvertikale, entmündigte das Parlament, entmachtete die Oligarchen, führte wichtige Industriezweige in Staatseigentum zurück und bekämpfte den Terrorismus in Tschetschenien. Er brachte Russland auf die Bühne der Weltpolitik zurück. Innerhalb kurzer Zeit konnte Russland Auslandsschulden begleichen, ausländische Investoren mit einem liberalen Steuerkodex anlocken und der Kriminalität entgegentreten. Der Erfolg Putins ging einher mit einer weltweiten Erhöhung von Gas- und Ölpreisen. Nun konnten Milliardengelder in die Sozialsysteme investiert werden. Die wirtschaftliche Genesung war eine Wohltat für die Russen. Putin gab dem Volk seine Würde zurück. Die heutige Lähmung der russischen Wirtschaft ist eine Kombination von historischen Entwicklungen: Korrupte Institutionen, soziale Resignation, allgemeine Rückständigkeit. Doch mangelnde Menschenrechte als Kritik anzuführen, ist eurozentrisch und ignorant. Es ist schwer nachvollziehbar, weshalb der journalistische Mainstream in der Bundesrepublik Deutschland antirussische Tendenzen artikuliert, ohne die doppelten Standards der europäischen und US-amerikanischen Politik zu berücksichtigen. Der Westen ignoriert die Errungenschaft Wladimir Putins, Russland in eine Stabilität geführt zu haben. Dabei ist der Westen nicht frei von moralischer Zweigleisigkeit. Wieso wird die Unabhängigkeit des Kosovo auf der einen Seite anerkannt – auf der anderen Seite jedoch die Unabhängigkeitsbestreben in Abchasien und auf der Krim als russische Aggression verurteilt? ◆


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ie 1990er Jahre sind für Russland ein historisches Zeitalter. Heute führt man sie immer wieder als glorreiches Beispiel an, um zu beweisen, dass die letzten 15 Jahre eine Zeit der großen Veränderungen waren. Eine Zeit, die das Land aus der Dunkelheit führte. Oder, wie die Staatsmedien gerne sagen, die Zeit, in der Russland endlich von den Knien erhob. Seitdem wir offiziell die Ära der post-Wahrheit betreten haben, wird es immer wichtiger, dass wir uns fragen „Ist das alles wirklich passiert?“, wenn wir eine neue schockierende Meldung lesen. Aber für viele Länder, die außerhalb des westlichen Medienstandards liegen, wurde diese Frage bereits vor langer Zeit relevant. Denn Mythen und inszenierte Lügen wurden oft als mächtige Waffen benutzt. Fallbeispiel: Die dramatische Geschichte der 90er Jahre, in der von einem Augenblick auf den nächsten eine Zeit der Hoffnung und der Möglichkeiten in eine Zeit der Degradierung, voller Angriffe der Regierung auf das eigene Volk, verwandelte. Eine Zeit der Veränderung ist nie stabil. Umso mehr, wenn etwas Ungeahntes passiert. Die zusammenbrechende Sowjetunion ist sicherlich ein Beispiel für einen derartigen Umbruch, der Destabilisierung mit sich bringt. Für eine kurze Zeit herrschte die Illusion, dass Russen bald das gleiche komfortable Leben wie die Bürger der reichen, fast traumähnlichen Gesellschaften Westeuropas leben würden. Die Realität war aber, nicht überraschend, das genaue Gegenteil. Das neugeborene Russland fiel in eine Krise – wirtschaftlich, politisch und sozial. Die Menschen hatten keine Erfahrung mit Freiheit und der damit verbundenen Verantwortung. Das führte zu Chaos. Viele Leute fühlten sich getäuscht oder sogar verraten. Sie haben ein neues, glanzvolles Leben erwartet, statt dessen bekamen sie von der Mafia kontrollierte Städte und ineffektive Regierungen. Aber gleichzeitig kam es zu anderen, teilweise unerwarteten Veränderungen: freie Medien, Abwesenheit von Zensur, neue Karrierechancen und Möglichkeiten, ins Ausland zu gehen. Auch diese Freiheiten schürten die Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung. Aber Menschen, deren Kunst früher verboten war, denen es untersagt wurde, mit ihrer Familie im Ausland zu kommunizieren, oder die zuvor für ihre sexuelle Orientierung in psychiatrische Krankenhäuser oder ins Gefängnis gesteckt wurden, feierten die neue Zeiten. Zwar gab es kein Geld für Universitäten, dafür aber neue Bücher und Lehrpläne. Es eröffneten sich neue Chancen. Ein großer Teil der derzeitig politisierten Bevölkerung ist in den 1990er Jahren aufgewachsen und hat daher Erinnerungen an die damalige politische Situation Russlands, die nicht zuverlässig sind. Kinder haben oft wenig Interesse für Dinge, die erst im späteren Leben wichtig werden, wie etwa Arbeitsplatzsicherheit oder die Beschaffenheit der Renten. Sie waren nicht in der Lage, sich dazu zu äußern, was in einem praktisch beispiellosen Übergangszeitraum zwischen dem gescheiterten Sozialismus und der freien marktorientierten Demokratie geschehen sollte.

Genau aus dieser Unwissenheit heraus war es möglich, dass die Propaganda seit Anfang des 21. Jahrhunderts einen neuen Mythos erschaffen konnte: Das Märchen von einer Generation von Überlebenden. Die Russen sollten nur bezeugen, wie glücklich sie sind, eine neue Regierung zu haben, die sie aus dem Chaos herausführt. Sie sollten nur die zunehmende Anzahl von Fällen politischer Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen ignorieren, im Austausch für Frieden und Stabilität. Die Kontrolle der Medien und der Aufstieg des Geheimdienstes blieb von der Mehrheit der Bevölkerung weitgehend unbemerkt. Das Konzept der „freien Wahlen“ war ohnehin neu. Dass es sich dabei um Wahlen handelte, bei denen man in Wahrheit gar keine Wahl hatte, blieb nahezu unbemerkt – bis die Situation so ausartete, dass Menschen auf die Straßen gingen. Als es 2011/2012 zu großen Protesten kam, verschwanden Frieden und Stabilität in Russland. Nach Auffassung der Regierung verstieß damit das Volk gegen den zuvor geschlossenen „Deal“. Eine Lawine der reaktionären Politik kam ins Rollen und begrub alles unter sich – einschließlich der Rede- und Versammlungsfreiheit. Jetzt ging es auf der politischen Agenda nicht mehr um Frieden und Stabilität, sondern um das Aufrechterhalten von Traditionen und das Gedenken an die triumphale Vergangenheit. Der Mythos wurde in den letzten Jahren immer stärker. Jede Woche werden neue Gesetze erlassen, um die Fassade aufrechtzuerhalten. Gerade was die Rolle der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg betrifft, werden Fakten verklärt. Propagandistische Parolen fressen sich mehr und mehr in die Köpfe der Bürger. Menschen werden nicht mehr nur für das Äußern regierungskritischer Meinungen bestraft, sondern bereits für das Rebloggen unbeliebter Inhalte. Offene Diskussionen über Homosexualität sind nicht mehr nur tabuisiert, sondern auch staatlichen Eingriffen unterworfen. Freie Medien werden ausgeschaltet und Aktivisten verhaftet. Häusliche Gewalt wird mehr und mehr entkriminalisiert. Menschenrechte werden schleichend immer weiter eingeschränkt. Die Ordnung kam zurück und wurde von Vielen begrüßt. Die 1990er Jahre kann man sich als steinige Brücke zwischen der idealisierten Vergangenheit und der idealisierten Gegenwart vorstellen. Die Sowjetunion wird mehr und mehr als verlorene Utopie bezeichnet, in der Kinder auf den Straßen in Sicherheit spielen und für ein paar Münzen Eis kaufen konnten. Weil Menschen ein kurzweiliges Erinnerungsvermögen haben und das moderne Russland nur auf eine kurze Geschichte zurückblicken kann, funktioniert es perfekt. Die früher so populären Fragen zu Freiheit und Menschenrechten werden immer irrelevanter. Russen, die sich dazu öffentlich äußern, werden kritisch beäugt. Das Einzige, was zählt, ist, dass das Böse überwunden wurde. Is Russia great again!? ◆

Russland verliert sich in der Vergangenheit von Anonym Changes

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DER TOD DES INVESTIGATIVEN JOURNALISMUS? Changes


Foto von Amar Priganica

Die Einführung des § 202 d Strafgesetzbuch (StGB), der seit Dezember 2015 den Umgang mit Daten unter Strafe stellt, die jemand zuvor rechtswidrig erworben hat, blieb großteils von der Öffentlichkeit unbemerkt. Der sogenannte „Datenhehlerei-Paragraf“ wurde vom Bundestag zusammen mit dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verabschiedet und sieht bei Verstoß eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor. Leider trifft der Straftatbestand nicht nur die bösen Jungs (und Mädchen!), sondern auch Journalisten, vor allem bei investigativen Recherchen. von Paula Lou Riebschläger

JOURNALISMUS IST KEINE DATENHEHLEREI Aus diesem Grund hat ein Bündnis unter Federführung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Das Vorhaben wird von dem Blog Netzpolitik.org und der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen finanziert. Darüber hinaus haben sich viele Journalisten, Juristen und Experten weiterer Fachrichtungen der Beschwerde angeschlossen. Aber inwiefern wird die Arbeit von Journalisten beeinträchtigt? Offiziell sind „berufsmäßige“ Journalisten zwar von diesem Straftatbestand ausgeschlossen. Reporter ohne Grenzen bezeichnen diese Ausnahme jedoch als „rein kosmetisch und nicht wasserdicht.“ Das Gesetz lasse Schlupflöcher für Ermittlungen gegen Journalisten zu, sodass diese nicht vollständig vom Straftatbestand ausgenommen seien. Tatsächlich ist dieser Paragraf für

alle von Bedeutung, die zu investigativen Recherchen beitragen. Genau diese Personen, die keine hauptberuflichen Journalisten sind, sondern als Experten bei der Auswertung von Daten helfen, sind im Rahmen einer seriösen Recherche unabdingbar. Doch diese Eckpfeiler unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft machen sich rein formal strafbar, sobald die zu Grunde liegende Quellen nicht rechtmäßig beschafft wurden. Ein Beispiel: Der Sportjournalist und ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt recherchiert über unerlaubte Substanzen im Dunstkreis internationaler Top-Athleten. Dann bekommt er eine Liste mit Blutwerten zugespielt, die den Verdacht auf routiniertes Doping im Spitzensport belegen. Um die Daten fachkundig prüfen zu lassen, wendet sich Seppelt an einen versierten Sportmediziner. Aber genau dessen Handeln, das Prüfen von nicht rechtmäßig erlangten Daten, ist strafbar. Experten, die bei investigativen Recherchen helfen, sind von diesem Straftatbestand genauso wenig ausgenommen, wie Blogger und Laienjournalisten, die Missstände aufdecken möchten. Wir leben in Deutschland in einer Demokratie, in der Journalisten durch die Pressefreiheit geschützt werden. Doch der vorliegende Fall verdeutlicht, dass gar nicht dem Journalisten selbst Strafe angedroht werden muss, damit die Qualität journalistischer Produkte leidet. ▶

Changes

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„Leaks sind Wesensvoraussetzung für meinen Beruf“, sagt Seppelt. „Es ist schon jetzt unglaublich schwer, Experten für solche Dinge zu gewinnen, weil sie zurückhaltend sind. Manche möchten einfach nicht reden und wenn wir ihnen jetzt noch sagen müssen, dass das, was sie tun, in Deutschland strafrechtlich relevant ist, dann würde sämtliche investigative Arbeit mit Dokumenten nicht mehr möglich sein“, erläutert Seppelt auf der Pressekonferenz zur Verfassungsbeschwerde.

LEAKS SIND WESENSVORAUSSETZUNG FÜR MEINEN BERUF

Der Chefredakteur von Netzpolitik. org, Markus Beckedahl, spitzt seine Bedenken zu: „Bei dem Paragrafen 202 d handelt es sich um ein Damoklesschwert, das über der Arbeit von Journalisten, Beratern und Informanten hängt.“ Die Befürchtung der Beschwerdeführer bezieht sich weniger auf eine tatsächliche Flut von Ermittlungsverfahren gegenüber Personen, die in journalistische Recherchen eingebunden sind. Vielmehr dreht sich der Kern der Anklage um die Symbolwirkung des Gesetzes, auch auf internationaler Ebene. Was wir häufig vergessen, ist, wie sich die Informationsverbreitung in Kriegsgebieten oder Autokratien gestaltet. Eine enge Definition von Journalismus hat automatisch Auswirkungen auf andere Länder. Dabei sollten doch gerade in Krisengebieten Bürgerjournalisten und Blogger unterstützt werden. Soll Deutschland zu einem Negativbeispiel im Umgang mit der Pressefreiheit werden?

Auch der Jurist und Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte, Ulf Buermeyer, ist alarmiert. Er bezeichnet das Gesetz als „Rammbock für den Eingriff in das Redaktionsgeheimnis und in die redaktionelle Arbeit“. Journalisten und deren Helfer werden extrem eingeschränkt, wenn sie Angst haben müssen, dass ihre Computer und Unterlagen beschlagnahmt werden. Haben die Gesetzgeber aus der Spiegel-Affäre gar nichts gelernt? Anstelle der Redaktionsräume könnten von den Strafverfolgungsbehörden jetzt Büros von Experten, wie etwa Juristen, Medizinern oder IT-Spezialisten, durchsucht werden. Was sich vielleicht für den einen oder anderen etwas apokalyptisch anhört, ist bereits Realität, auch ohne Alu-Hut. Erst 2015 wurde gegen Beckedahl und einen Blogger von Netzpolitik.org ein Ermittlungsverfahren wegen des Tatvorwurfs des Landesverrats eingeleitet. Das Blog hatte vertrauliche Unterlagen des Verfassungsschutzes zur Überwachung des Internets veröffentlicht. Nicht zuletzt wegen der Parallelen zur Spiegel-Affäre sorgte das Ermittlungsverfahren für große Empörung und wurde einige Monate später durch den Generalbundesanwalt eingestellt. Changes

Dem Bündnis, bestehend aus Bürgerrechtsorganisationen und Journalisten, geht es im Fall der Verfassungsbeschwerde gegen den Datenhehlerei-Paragrafen vor allem um eine höchstrichterliche Klarstellung darüber, was Journalismus ist und wer sich demnach auf den Schutz durch die Pressefreiheit berufen darf. Die Beschwerdeführer erhoffen sich die Ausweitung des journalistischen Begriffs. „Das Gesetz greift schwerwiegend in die Grundrechte ein, vor allem in die Pressefreiheit und die Persönlichkeitsrechte“, erklärte Katharina de la Durantaye, Juniorprofessorin für Bürgerliches Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Falls die Verfassungsbeschwerde abgewiesen wird und der Straftatbestand der Datenhehlerei unverändert bestehen bleibt, ist der Quellenschutz bei journalistischen Recherchen gefährdet. Wahrscheinlich trauen sich dann noch weniger Menschen mit ihrem Wissen um Missstände an die Öffentlichkeit zu gehen. Alternativen sind in diesem Fall das Schweigen der betreffenden Personen oder das unkontrollierte Veröffentlichen von sensiblen Dokumenten, wie etwa auf der Plattform Wikileaks. Bei all der Sorge sollten wir nicht vergessen, dass auch die Verfassungsbeschwerde bei der Spiegel-Affäre scheiterte. Dennoch wird dieses Kapitel der deutschen Geschichte als Stärkung der Pressefreiheit in Deutschland gewertet. Es besteht also noch Hoffnung. ◆


Ein beschissener Deal

von Amir Al Haifi-Abs

Welche Krankheit ist schon geil? Vielleicht eine kleine Grippe, um einfach mal drei Tage abzuhängen. Vielleicht ein gebrochenes Bein, wenn man einfach mal seiner Playstation-Sucht frönen will. Aber wenn man zum Arzt geht, weil es einem insgesamt irgendwie nicht so gut geht, und am Ende mit der Diagnose Lymphdrüsenkrebs vor der Praxis steht, ist das auf jeden Fall nicht so knusprig.

Krebs, das Gespenst, das alte Leute, Raucher und im Allgemeinen die anderen heimsucht. Aber doch nicht mich mit 26 Jahren. Was habe ich denn Schlimmes getan, dass gerade ich diesen Mist ausbaden muss? Fragen über Fragen, die aber alle unbeantwortet bleiben werden. Die Gedanken überschlagen sich. Was kann man im Hier und Jetzt tun, um diesem Zustand zu entfliehen? Man schaut nach Möglichkeiten, muss sich aber schnell eingestehen, dass man in den kommenden Monaten in einem Hamsterrad gefangen ist. Die Operation ist noch das das geringste Übel. Auch wenn ich kein zweites Mal meinen Hals filetiert bekommen möchte. Ungemütlich wird es erst so richtig, wenn man in der Klinik sitzt und um einen herum nur Halbtote sitzen. Man selbst hat sich unterdessen noch immer nicht mit der eigenen Situation abgefunden. “Ich bin ja gesund. Ich habe ja noch Haare auf dem Kopf” und so weiter. Alle anderen im Raum sitzen an kleinen Maschinen, die das Einlaufen des „Lebenselixiers“ alias Chemotherapie dosieren. Krankenschwestern rennen wie Hühner durch die Zimmer, um die Alarmsignale dieser kleinen Maschinen wahrzunehmen und mit rheinischer Gelassenheit zu ignorieren. Und hier soll man selbst bald sitzen?

Wenn man Schnupfen hat, bekommt man ein Nasenspray und alles wird gut. Wenn man Kopfschmerzen hat, nimmt man eine Ibuprofen oder trinkt ein Konterbier und alles wird gut. Aber bei der Chemotherapie werden, wie in meinem Fall, Adriamycin, Blemoycin, Vinblastin und Dacarbizin gespritzt und vielleicht wird man wieder gesund. Das ist irgendwie ein ziemlich beschissener Deal! Da sitze ich nun mit Menschen in einem Raum, die aufgrund ihrer bereits gesammelten Erfahrung, gelassen auf die kommenden Stunden schauen. Man selbst stellt tauChanges

send Fragen: ,,Was ist das? Was macht das? Tut das weh?“ Und das alles unter den Augen einer besorgten Mutter. Welche Mutter hat schon Bock, ihren Sohn zu solch einem Termin zu begleiten? Einige Stunden später ist das Martyrium beendet. Man wird verabschiedet und schaut bereits auf den nächsten Termin in einigen Tagen. Hört man „Chemotherapie”, denkt man unweigerlich an Haarausfall und ungewollte Magenentleerung. Aber das sind, so stellt es sich heraus, zu gleichen Teilen relativ unwichtige Punkte! Man fühlt sich einfach nur scheiße, wenn man im Bett liegt und die Welt an einem vorbeizieht. Einsamkeit, Machtlosigkeit und Wut mischen sich mit der latenten Angst, morgen nicht mehr aufzuwachen. Auch wenn das absolut unbegründet ist, da man von einer Chemotherapie nicht einfach im Schlaf stirbt. Wissen, das man sich aber erst nach einiger Zeit aneignet. In den Folgetagen manifestiert sich ein Gefühl im Körper, das man mit dem schlimmsten Kater seines Lebens vergleichen kann, der aber leider durch nichts verschwindet. Man fühlt sich ein wenig wie eine schwangere Frau: sprunghaft, launisch, begleitet von gelegentlichen Heißhungerattacken. Auch wenn die nächsten Termine, mit Ausnahme der letzten Sitzung, immer beschissener werden, zeichnet sich eines ab. Alleine kann man diese Scheiße nicht besiegen. Man braucht eine Vielzahl von starken Schultern, die einen zum Lachen bringen. Man braucht Menschen, die an einen glauben, während man selbst darüber nachdenkt, ob man nicht auch in Jeans beerdigt werden könnte, um die neuen Nikes tragen zu können. Das sind kranke Gedanken, sie kommen aber unausweichlich. Eltern werden im Zweifel immer für einen da sein. Die Freundin wird auch zu einem stehen, wenn sie bereit ist, diesen schweren Weg mit einem zu gehen. Und bei seinen Freunden sieht man sehr schnell, wie sie das sinkende Schiff verlassen, weil: „Ich kann damit nicht umgehen.“ Es bleiben nicht viele. Die, die aber übrig bleiben, sind viel wert und auf ewig mit einem verbunden. Ich konnte mich ohne Wenn und Aber auf meine Mutter verlassen, die mir mit einer Portion Galgenhumor, Nachsicht und Fürsorge den Weg zur Normalität geebnet hat. Ich konnte mich auf eine Handvoll Freunde verlassen, die nicht daran glauben, dass die Erde eine Scheibe ist, und somit auch wissen, dass Krebs nicht ansteckend ist. Und zu guter Letzt hatte ich ein Mädchen an meiner Seite, die während dieser Zeit zu einer Frau wurde. Sie hat mich mit all meinen Marotten und meiner stets „super tollen Laune“ ertragen, mich gepusht und trotz allem geliebt. Das Schlimme ist nicht der kleine Knubbel unter der Haut oder eher die vielen Knubbel unter der Haut. Am meisten trifft einen das nicht mehr vorhandene Selbstbewusstsein, um denen, die es verdient haben, zu sagen, dass sie das Letzte sind. Oder denen, die es verdient haben, Danke zu sagen. Und die Menschen, die man liebt, in den Arm zu nehmen. Egal was kommt, egal was das Schicksal bringt und für einen bereithält, man sollte immer die wichtigsten Bezugspersonen um sich herum haben. Und man sollte à la Herbert Grönemeyer „Lachen, wenn es nicht zum Weinen reicht”. In einer immer schneller werdenden Welt, zwischen Fame-Sucht bei Instagram, den dort perfekt scheinenden Leben und Partys in angesagten Clubs, gibt es noch so viele andere Dinge, die im Hier und Jetzt passieren. Zwischenmenschlichkeit, das haptisch erfahrbare Leben und echte Liebe werden nicht durch Likes und Shares ersetzt. Niemals! Und wenn es doch mal eng wird und man an sich zweifelt, sollte man sich fragen: ,,Der Tod hat mich zwar vermeintlich an den Eiern bzw. Lymphknoten, aber sind seine Hände auch groß genug, um mich zu bezwingen?” ◆ 49


kultur


Impressum

Eventkalender

Horoskope

Luisa Hannke

Interview mit Jan Becker

Robert Schlösser

Cherry Willow: Täter aus Überzeugung


von Robert Schlรถsser

Kultur


Fotos von Tim Kirchner

Kurz bevor sich das Dasein eines Sterns zum Ende neigt, leuchtet er noch ein letztes Mal ungewöhnlich hell auf. Während der finalen Explosion nimmt die Leuchtkraft dann um das Millionen- bis Milliardenfache zu. Für einen kurzen Moment strahlt der Stern so hell wie sonst nur eine ganze Galaxie. In der Astronomie spricht man in diesem Zusammenhang von einer „Supernova“. Auf dem Musikmarkt ist das ganz ähnlich. Nur nennt man hier derartig hell aufleuchtende Phänomene, die für kurze Zeit eine extreme Beachtung genießen, bevor man sich etwas peinlich berührt an sie als Geschmacksverkalkung erinnert, einen „Hype”. Bekannte Vertreter der letzen Jahre sind beispielsweise Cloud Rap, Trap Music und Electroswing. In Zeiten dieser immer schneller aufflammenden Trendausbrüche bin ich froh, die Jungs von Cherry Willow kennengelernt zu haben, die sich stilsicherer Zeitlosigkeit verschrieben haben. Während dieses Gedankengangs blicke ich aus dem Fenster in die Nacht. Vor mir liegt das vom Herbstnebel bedeckte Tempelhofer Feld, Autos rauschen auf der A100 daran vorbei. Hinter mir sitzen die vier Bandmitglieder von Cherry Willow in ihrem Proberaum und machen gerade eine Pause. Es werden Zigaretten gedreht, Bierfalschen geknackt und Verbesserungsvorschläge besprochen. Für jemanden, der wegen seiner musikalischen Legasthenie von seiner Musiklehrerin die Triangel oder bestenfalls die Takthölzer zugewiesen bekommen hat, klingt ihr Gespräch so, als würden sie eine Adaption zu Beethovens Symphonien planen. „Da stimmt etwas nicht. Vielleicht muss ich da erstmal gar nicht mitspielen.“ „Mach erstmal eine kurze Pause und setzt dann ein“ „Probier erstmal höher zu spielen. So eine Oktave etwa.“ „Gib mal die Akkorde.“ „Moll, E-Dur, H-Dur, D-Dur.“ „Das stimmt etwas nicht. Irgendein Akkord ist dissonant.“ „Probier mal Fis-A.“

In dem Moment, in dem der sonst eher introvertierte Schlagzeuger Clemens gezielt auf sein Instrument einschlägt, Gitarrist Felix abwechselnd mit dem Fuß über das Pedalboard und mit dem Plektrum über die Saiten seines Instruments streift, sitzt Bassist Paul entspannt neben einem Verstärker und gibt sein Bestes dazu. Marius steht am Keyboard und kneift seine Augen ekstatisch zusammen. Er ist dem Mikrofon so nah, dass seine Oberlippe beinahe daran klebt, stößt einen Billy-Idol-ähnlichen Schrei aus und bewegt sich mit einer Art mechanischer Gelassenheit zur Musik. Die Vier befinden sich jetzt wieder tief in einem Tunnel oder einer organischer Zelle. Man merkt ihnen an, dass sie nicht darüber nachdenken, wo sie gerade sind oder was um sie herum passiert. Und obwohl die Jungs noch am Beginn ihrer Karriere stehen, hat man immer das Gefühl, dass in diesem Proberaum der Anfang von etwas sehr großem geschieht. Nachdem sie das Set für ihren Auftritt in einer knappen Stunde komplett durchgespielt haben, werden neue Lieder geprobt. Die Musik besteht meistens schon vor dem Text. Alles beginnt mit ein paar gemurmelten Wörtern, die das Fundament bilden. In der zweiten Phase schreibt Marius dann, entweder alleine oder in Zusammenarbeit mit den anderen, den Rest vom Text. Manche der Lieder sind munter, manche sind traurig, aber sie alle haben eine poetische Tiefe und erzählen Geschichten aus dem Leben der Bandmitglieder. Das passiert mal auf Englisch, mal auf Deutsch und manchmal auf beiden Sprachen zusammen. Vor allem die hörbare Melancholie des Alltags, die selbstreferentielle Auseinandersetzung mit Emotionen und die reflektierte Wahrnehmung ihrer Umwelt sind Faktoren, die ihren Liedern die nötige Authentizität verleihen. Ein Schuss aus dem Bauch Nach den Prinzipien und ästhetischen Theorien der japanischen Kunst wird die Bedeutung der zartrosa Blüte des Kirschbaums mit dem Wort „mono no aware“ (物の哀れ) zusammengefasst. Es gilt als Ausdruck für das Mitgefühl mit dem unausweichlichen Ende aller Dinge, oder als Wertschätzung der vergänglichen Schönheit der Natur. Dies ist allerdings nur eine Information am Rande. Der Bandname „Cherry Willow“ (dt. Kirschweide) hat rein gar nichts mit der tiefen Bedeutung des Kirschbaums im japanischen Kulturraum zu tun. Das Zustandekommen des Bandnamens war weit weniger philosophisch. Am Abend ihres ersten Konzertes in Berlin fiel Marius und Felix auf, dass ihre Band keinen offiziellen Namen hatte. Während Marius in der Badewanne aufweichte und Felix in der Küche saß, fand durch die dünnen Wände ihrer gemeinsamen Wohnung eine Debatte über die Namensproblematik der Band statt. Mit einer Zusammensetzung von ihrem damaligen Wohnort (Schöneweide) und der Straße, in der sie dort ihre erste gemeinsame Wohnung in Berlin hatten (Fritz-Kirsch-Zeile), wurde das Problem kurzerhand gelöst.

Musik aus einer organischer Zelle Es ist die letzte Probe vor dem bis jetzt größten Auftritt der Band. Es scheint alles deutlich angespannter als die letzten drei Male, die ich mit den Jungs in diesem kleinen Raum verbracht habe. Bevor alle zurück an die Instrumente gehen, wird der letzte Zigarettenrauch in den Raum geblasen. Marius, Sänger und Keyboarder der Band, zählt langsam an: „1,2,3,4.“ Kultur

Die Heimat der Band ist die pittoreske 50.000-Seelen-Stadt Singen am Hohentwiel in Baden-Württemberg. Dort wuchsen Felix, Clemens und Marius auf und gingen auch gemeinsam zur Schule. Seit dem die Jungs 16 Jahre alt sind, spielten sie zusammen in unterschiedlichen Bands. Wenn mir Clemens die alten Fotos und Lieder auf seinem Handy zeigt, merkt man, wie stark die Entwicklung der Band in den letzten Jahren vorangeschritten ist. In einem der aktuellen Lieder mit dem Titel „She Will Be“ sind neben der individuellen Note die Einflüsse von Bands wie The Doors oder Pink Floyd unbestreitbar rauszuhören. Der Umzug in die unwesentlich größere Bundeshauptstadt war ein Schuss aus dem Bauch heraus und geschah vor ▶ 53


etwa drei Jahren. Während Felix erklärt, dass sich Berlin einfach richtig angefühlt hat und weit genug weg von der Heimat entfernt liegt, nicken Marius und Clemens zustimmend. Hier trafen sie dann auf Paul, der neben dem Bass auch für die Aufnahmen und Produktion der Lieder verantwortlich ist. Studiert hat er Sound Engineering. Felix und Clemens studieren Wirtschaftsinformatik. Und Marius ist begeisterter Informatik- und Mathematikstudent. Mit den Einnahmen durch die Musik können sie bis jetzt höchstens die Kosten für ihre Fahrten zu Auftritten außerhalb Berlins decken. „Natürlich kennen wir alle die märchenhaften Geschichten von Leuten, die nach Berlin gekommen sind und sich mit einer Gitarre und einem Verstärker in die Warschauerstraße gestellt haben. Manche haben mittlerweile Vertriebspartner für ihre Platten, einen Manager und eine Bookingagentur im Rücken. Sollte es bei uns jemals soweit kommen, wäre das schön. Aber bis dahin zählt jeder Auftritt“, erklärt Marius und nimmt einen großen Schluck von seinem Bier. Es muss weiter gehen Weil der britische Bluesmusiker Alex Korner am 12. Juli 1962 aufgrund eines Aufnahmetermins bei der BBC verhindert war, hatten die Rolling Stones an jenem Donnerstagabend zufällig ihren ersten öffentlichen Auftritt. Die Band spielte nur fünf Lieder im Londoner „Marquee Club“ bevor alles auch wieder vorbei war. Bis heute herrscht Unstimmigkeit über die Resonanz des Publikums. Während alle anderen Bandmitglieder Buhrufe gehört haben wollen, hatte Keith Richards das Gefühl, ihm würden Flügel wachsen und er könnte jeden Moment abheben. Das Konzert in der Kantine am Berghain im Dezember 2016, vor etwa 150 Personen, war das bis jetzt größte für Cherry Willow. Und obwohl sich alle darüber einig sind, dass keine Buhrufe zu hören waren und man der Professionalität der Veranstaltung gewachsen war, fällt die Bilanz ernüchternd aus. Denn nach jedem Auftritt, egal wie groß, stehen immer die gleichen Fragen Raum: Wie geht es jetzt weiter? Tourt man erstmal durch Deutschland, um seine Bekanntheit zu

steigern? Oder nimmt man vielleicht doch ein Album auf, um sich stilistisch zu festigen? Dass der Ton bei solchen Grundsatzfragen auch in der harmonischsten Band rauer wird, ist nicht zu verhindern. Im Kern scheint es kein Unterschied zu sein, ob es sich um ein junges Unternehmen oder eine aufstrebende Band in Berlin handelt. Die Angst vor der Stagnation ist ein allgegenwärtiger Begleiter. Allerdings besteht der fundamentale Unterschied zwischen den Jungs von Cherry Willow und Neuzeit-Yuppies, die Coworking Spaces belagern, ganz einfach in ihrer Intention. Marius, Felix, Clemens und Paul sind Überzeugungstäter. Alles andere für die Musik hinzuschmeißen ist ein immer mitschwingender Gedanke. Es geht dabei nicht um die romantische Vorstellung von einem Leben als Rockstar mit Geld, promiskuitivem Sex mit Groupies und schnellen Autos. Für die vier Jungs von Cherry Willow steht das tiefe menschliche Bedürfnis im Vordergrund, für das wahrgenommen zu werden, was sie sind und was sie sein möchten. „Du kannst dein Leben lang Musik machen, sie gut finden und das auch Kunst nennen. Aber dann stellst du dir irgendwann die Frage, was diese Kunst eigentlich wert ist, wenn sie sich nie bewiesen hat. Und ich will, dass unsere Kunst sich beweist“, erklärt mir Clemens mit einem durchdringenden Blick, bevor er seine Bierflasche zur Seite stellt und wieder anfängt, Schlagzeug zu spielen. ◆ Kultur


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*Aber trotzdem zu nice sind, um sie nicht zu drucken.

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I C H

H A T T E

S C H O N

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Interview von Luisa Hannke Jan Becker ist Deutschlands bekanntester Hypnotiseur und Bestsellerautor. Auf seinen Tourneen begeistert er Tausende für die Kunst der Hypnose. 2009 gewann Becker die zweite Staffel der TV-Sendung „The next Uri Geller”. Im Juni 2016 bekam er auf RTL eine eigene TV-Show, in der er Promis hypnotisiert. Auch als Autor ist Jan Becker sehr erfolgreich. Seine Bücher wurden alle zu SPIEGEL-Bestsellern. Jan Becker sitzt an einem gemütlichen Ecktisch in einem Berliner Café und nippt an einem Glas Weißwein. Er trägt schwarze Kleidung, mehrere lange Ketten, Armbänder und Ringe. Eine lange Haarsträhne zieht sich über seine Glatze. Die eigenartige Frisur des Hypnotiseurs ist zu seinem Erkennungsmerkmal geworden. Jan Becker wirkt alles andere als gewöhnlich.

Wann hattest du das erste Mal das Gefühl, außergewöhnliche Fähigkeiten zu besitzen? Ich hatte immer schon das Gefühl, dass ich mehr sehe und auch näher an Menschen dran bin als andere. Ich war sogar eine Zeit lang nicht in der Schule, denn es musste nur ein Stuhl umfallen und ich hatte so einen unglaublichen Geräuschpegel im Kopf. Ich war hypersensibel. Mit diesem Gefühl, dass mich die Welt übermannt, bin ich einfach nicht klargekommen. Von außen kamen so viele Impulse und ich hatte das Gefühl, ich spüre etwas, das andere Menschen nicht fühlen und ich höre intensiver und lauter als andere. Mit 12 Jahren habe ich dann ein Buch von einem österreichischen Mentalisten über Hypnose gelesen. „Gedankenlesen“ heißt das Buch. Dadurch habe ich meine Sensibilität ein wenig unter Kontrolle bekommen. Alles, was ich las, habe ich später angewandt und ausprobiert. Das ist vergleichbar mit einem Gitarristen, der zum ersten Mal eine Gitarre in der Hand hält und spürt, dass das Musizieren sein Leben ist.

Beeinträchtigt dich diese Fähigkeit in deinem Alltag? Ja, am Anfang hat sie es. Ich habe zu viel mitbekommen und musste irgendwie versuchen, eine Art Mauer um mich herum aufzubauen, sodass nicht alle äußeren Impulse an mich herankommen. Wenn ich heute eine Show gebe oder ein Seminar abhalte, dann habe ich nach ein bis zwei Stunden das Gefühl, zu wissen, was die Menschen im Publikum fühlen und wie es ihnen geht. Das ist anstrengend, aber man lernt mit der Zeit, diese Impulse zu kontrollieren. Wenn ich jedoch einen Tag meine Magie nicht ausübe, geht es mir schlecht. Ich muss das tun, um mich lebendig zu fühlen. Wenn ich es nicht mache, sterbe ich langsam ab.

„Wenn du von der Hypnose leben möchtest, dann kannst du das tun, auch wenn alle Anderen sagen, das geht nicht.“

Kultur

Was war in deiner Laufbahn dein prägendstes Erlebnis? Es gab einen Moment in meiner Kindheit, da bin ich auf einen Menschen getroffen, der ohne dass er es wusste, eine große Inspiration für mich war. Der Mann war ein Schauspieler. Er war homosexuell und lebte mit einem anderen Mann zusammen. Ich komme aus einem sehr konservativen Haushalt, in dem Berufe wie die Schauspielerei verpönt waren. Als ich zum ersten Mal in die Wohnung der beiden Männer kam, sah ich, wie glücklich diese Menschen waren. Das war ein sehr prägender Moment in meinem Leben, in dem ich lernte, dass man genau so leben kann, wie man es will. Wenn du von der Hypnose leben möchtest, dann kannst du das tun, auch wenn alle anderen sagen, das geht nicht.

Wie steht deine Familie zu deinem Beruf? Der Vorteil ist, dass ich meine Frau kennengelernt habe, als ich schon eine Weile als Hypnotiseur gearbeitet hatte. Sie hat meinen Beruf von Anfang an akzeptiert. Sie liebt mich auch dafür, dass ich genau das tue, was ich tue. Mit meinen Eltern ist das anders. Sie hatten anfangs große Probleme damit, anzuerkennen, dass ihr Junge einen anderen Weg einschlägt als den, den sie sich gewünscht haben. Meine Eltern mussten lernen, mir Freiheit und Vertrauen entgegenzubringen. Trotzdem standen sie immer hinter mir. Ich glaube, jeder Künstler kennt den Kampf mit seinen Eltern, den Kampf mit seinen Verwandten und mit seinen Freunden von früher. Die Kunst ist es, sich nie rechtfertigen zu müssen. Sobald du dich rechtfertigen musst, für das, was du tust, ist etwas falsch. Gehe deinen Weg und du wirst merken, andere Menschen folgen dir.

Hast du schon einmal jemanden zu deinen Gunsten hypnotisiert? Ich finde es witzig, dass diese Frage meist nur Frauen stellen. Klar, wenn du die Strukturen von Hypnose kennst, kannst du sie natürlich auch geschickt einsetzen. Aber ich habe erkannt, dass die Hypnose für mich keinen Sinn ergibt, wenn sie nicht echt ist. Und dann wird es langweilig.

Du gibst Seminare gegen Phobien. Gibt es ein Seminar, das dir besonders gut in Erinnerung geblieben ist? Ich erinnere mich an eine Heilpraktikerin, die seit 15 Jahren eine dermaßen starke Höhenangst hatte, dass sie noch nicht einmal eine Rolltreppe betreten konnte. Ich habe ihr Mut gemacht. Wir sind zusammen auf ein Dach gestiegen und prompt hatte sie ihre Höhenangst überwunden. Und das nach nur zwei Minuten, die wir miteinander verbracht haben. Natürlich kann man jetzt denken: Okay, alles klar, Jan Becker ist Jesus, er ist der Heiland. Aber im Endeffekt versuche ich nur, die Selbstheilung der Menschen zu aktivieren. Das Wichtigste ist, den Menschen das Gefühl zu geben, wieder die Kontrolle über den Moment zu haben. ◆

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Allgemein Liebe

Allgemein

Liebe

Der feinfühlige Wassermann sollte in der zweiten Jahreshälfte äußerst wachsam sein. Es lauert Gefahr. Besonders im Supermarkt lohnt sich ein wachsames Adlerauge. Nicht immer ist in Analog-Käse auch Käse drin! Der Single-Wassermann könnte bei Tinder eine negative Überraschung erleben. Nicht so schlimm, denn nachts sind alle Katzen grau. Wähnt sich der Wassermann in einer Beziehung, steht in der nächsten Zeit ein heftiger Streit bevor. Arbeite an deiner Partnerschaft und vertraue auf die gute Seele deines Gegenübers, dann kann auch diese Gewitterfront überstanden werden.

Gesundheit

Die Sonne strahlt, du sprudelst nur so vor Energie und Tatendrang. Dennoch solltest du im Urlaub auf das Baden mit vollem Magen oder unter Alkoholeinfluss verzichten. Das könnte für den Wassermann negative Konsequenzen nach sich ziehen.

Kraftspruch

„Ein gesprochenes Wort holen vier Pferde im Galopp nicht ein.”

Der hilfsbereite Fisch sollte im August und September seine Freundschaften genauer unter die Lupe nehmen. Nicht jedes Stück Braunkohle ist ein Diamant! Möglicherweise führt eine Person aus deinem Umfeld etwas Böses im Schilde und nutzt deine Gutmütigkeit aus. Der Single-Fisch kann sich nur schwer auf einen Partner festlegen. Doch wer sich alle Türen offen hält, verbringt seine Zukunft auf dem Flur. In einer Beziehung hingegen sollte der Fisch seinen Partner besonders im September mit kreativen Dates auf Trab halten. Das bringt frischen Wind in die Paarbeziehung.

Gesundheit

Der Fisch neigt qua Gesetz zu Selbstmitleid. Im Krisenfall können deine Freunde nicht zwischen Übertreibung und Ernst unterscheiden.

Kraftspruch

„Ein Kuss ohne Bart ist wie eine Suppe ohne Salz.“

Allgemein

Liebe

Allgemein

Liebe

Gesundheit

Der Monat September eignet sich hervorragend für einen seit langem ausstehenden Zahnarzttermin.

Kraftspruch

„Wenn alles andere versagt, tanze Zumba.“

Der alleinstehende Stier wünscht sich entweder sehnlichst einen Partner oder genießt sein Single-Leben. Es kommt nur auf die richtige Einstellung an! Ist der Stier in einer Beziehung, sollte er seine Eifersucht in Schach halten, denn nichts wirkt abtörnender. Es ist Zeit für medizinische Fußpflege.

Kraftspruch

„Töte das Huhn, um den Affen zu erschrecken.“

Allgemein

Liebe

Liebe

Dieser Sommer hält für den Single-Widder zahlreiche Urlaubs-Flirts bereit. Jedoch sollte gerade der Widder sehr genau auf den fachkundigen Einsatz von Verhütungsmitteln achten. Im Universum der Paarbeziehung lauert Weltraum-Schrott, der sich jedoch mit einer gehörigen Portion Kompromissbereitschaft aus der Welt schaffen lässt.

Der treue Stier läuft häufig Gefahr, mit seinen Hörnern in der Wand stecken zu bleiben. Er sollte über neue berufliche Perspektiven nachdenken. Im Spätsommer bekommt er dann die Gelegenheit, seinen erdgebundenen Schönheitssinn in die Tat umzusetzen. Dafür wird der Stier von unerwarteter Seite viel Beifall und Bewunderung ernten.

Gesundheit

Allgemein

Der selbstbewusste Widder erreicht im August endlich sein großes Ziel. Disziplin lohnt sich! Die kommenden Monate eigenen sich perfekt für eine langersehnte Reise in unbekannte Gefilde. Da ist Mut gefragt!

Der neugierige Zwilling sucht in diesem Sommer das Risiko. Eimersaufen auf leeren Magen ist für den Zwilling dennoch nicht ratsam. Wenn er sich in seinem Tatendrang gebremst fühlt, geht er auf Distanz. Doch nicht immer verbirgt sich hinter einem gut gemeinten Ratschlag ein Angriff. Ein Zwilling ist nie lange allein. One-Night-Stands in einem Mercure-Hotel sind aber in jedem Fall eine schlechte Idee. Für Zwillinge in einer Partnerschaft erweisen sich lange Beziehungsgespräche als Herausforderung. Bei Streitigkeiten einfach mal unverhofft und aus voller Kehle „I will always love you“ von Whitney Houston anstimmen, hilft bestimmt.

Gesundheit

Ein paar Bachblüten-Tropfen im Bircher-Müsli bewirken Wunder, wenn sich der Zwilling von der Kraft des Placebo-Effekts überzeugen lässt.

Kraftspruch

„Die Mutter der Dummheit ist immer schwanger.“

Der feinfühlige Krebs spürt negative Energien sofort und läuft dabei Gefahr, sich lähmen zu lassen. Besonders im August sollte sich der Krebs deshalb von positiven Gefühlen leiten lassen. Der Single-Krebs sollte sich von Vergangenem verabschieden, sonst verpasst er unter Umständen den entscheidenden kosmischen Fingerzeig! In einer Beziehung kommt dem Krebs sein Familiensinn entgegen. Daraus entsteht ein stabiles Netz von langjährigen Freundschaften, das den Krebs bei Enttäuschungen immer wieder auffängt.

Gesundheit

Kollegah und Farid Bang sind der selben Auffassung: 1 Traumbody muss man sich hart erarbeiten.

Kraftspruch

„Der Klügere schlägt zuerst zu.“


Allgemein

Der Löwe neigt zu einer egozentrischen Weltsicht. Zwar ist er gegenüber seinen engsten Vertrauten loyal, kann aber bei vermeintlichen Feinden mitunter auch zu fest zubeißen.

Liebe

Single-Löwen zeigen das, was sie haben. Dies sollte aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Ist der Löwe in einer Beziehung, dürfen materielle Güter nicht vom Wesentlichen ablenken: Guter Sex tröstet über mangelnde Gesprächsthemen hinweg.

Gesundheit

Seekranke Löwen könnten bei einer Bootsfahrt seekrank werden. Klaustrophobische Löwen sollten sich von Fahrstühlen aller Art (inklusive Pater Noster!) fernhalten. Sonst sind Panikattacken vorprogrammiert.

Kraftspruch

„Schönheit vergeht, Hektar besteht.“

Allgemein

Liebe

Allgemein Liebe

Gesundheit

Die Jungfrau hält gründlich alle Vorsorgeuntersuchungen ein und das ist auch gut so.

Kraftspruch

„Dem fleißigen Hamster schadet der Winter nicht.“

Single-Waagen trifft Mitte August Amors gespitzter Pfeil. Ob dieser ein Liebes- oder eher ein Giftpfeil ist, wird sich spätestens im September herausstellen. Gebundene Waagen sollten ihrem Partner ab und zu ein Frühstück ans Bett bringen, das reduziert das Konfliktpotential. Der Erzengel Sandalfon warnt jedoch vor Übersprungshandlungen: Überstürzte Hochzeiten mit ungewissem Ausgang sollten sie in der zweiten Jahreshälfte vermeiden. Alles klar auf der Andrea Doria.

Kraftspruch

„Altes Brot ist nicht hart, kein Brot, das ist hart.“

Allgemein Liebe

Liebe

Für die Jungfrau ist es in der Liebe diesen Sommer besonders kompliziert. Ihre Prüderie kann der Jungfrau zum Verhängnis werden. Die vergebene Jungfrau ist besonders ehrlich und treu. In Streitsituationen sollte man sie aber nicht unterschätzen.

Waagen haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Doch Vorsicht: vorschnelle Urteile können zu fatalen Fehlentscheidungen führen. Denn auch Waagen haben manchmal Unrecht!

Gesundheit

Allgemein

Die Jungfrau verblüfft ihr Umfeld besonders am 3. September mit ihrer zuverlässigen Art. Im Rest des Jahres sollte sie aber an ihrer Unnahbarkeit arbeiten. Dann besteht Hoffnung.

Der hingebungsvolle Skorpion könnte im August unerwarteten Besuch bekommen, auch ungeplanter Nachwuchs ist möglich. Bewahre einen kühlen Kopf und begrüße das Leben. Der Skorpion auf der Pirsch erlegt sein Flirt-Opfer mit analytischen Fähigkeiten und einem selbstbewussten Auftreten. In Sachen Partnerschaft ist der Skorpion ein zahmes Lämmchen, solange der Partner in seinem Sinn handelt. Ansonsten ist er etwas überkritisch und fährt schon einmal seinen Stachel aus.

Gesundheit

Die Lektüre einiger Kafka-Klassiker beruhigt und macht aus der eigenen misslichen Lage ein Sommerfest der Volksmusik.

Kraftspruch

„Lebe glücklich lebe froh, wie der Mops im Haferstroh.“

Der direkte Schütze neigt im September dazu, Nahestehende durch unbedachte Äußerungen zu verärgern. Da ist Einfühlungsvermögen geboten! Achte diesen Sommer auf Tierbgegegnungen: Besonders Spatzen und Tauben überbringen wichtige Neuigkeiten. Der Single-Schütze kann in den Sommermonaten auf seinen Charme vertrauen. Zahlreiche Flirts zeigen sich von der weltmännischen Art des Schützen nachhaltig beeindruckt. In Beziehungen sollte der Schütze seine sorglose Art für spontane Ausflüge nutzen. Die Venus im vierten Haus beschert Romantik vom Allerfeinsten.

Gesundheit

Abende mit exzessivem Alkoholgenuss in diesem Sommer lieber im zweistelligen Bereich belassen.

Kraftspruch

„Bescheidenheit ist die höchste Form der Arroganz.“

Allgemein

Liebe

Der fleißige Steinbock ist in diesem Sommer produktiv wie nie. Anfallende Aufgaben erledigen sich mit großer Anstrengung wie von selbst. Kosmische Energie wird durch Pluto im 23. Haus besonders im Juni gebündelt. Sie eröffnet neue Perspektiven und unverhofften Geldsegen. Damit verbunden sollten unbezahlte Rechnungen zügig beglichen werden, sonst kann auch Schutzengel Anael nichts mehr für dich tun. Ungebundene Steinböcke sollten sich nicht von ihrer sturen Art bei der Balz behindern lassen. In der Paarbeziehung kann die pessimistische Weltsicht des Steinbocks besonders Anfang September zu Turbulenzen mit anschließender Bruchlandung führen. Deshalb: Weniger grübeln, mehr feiern.

Gesundheit

Sofern du journalistisch oder politisch aktiv bist, vermeide Reisen in die Türkei.

Kraftspruch

#FreeDeniz


OK TOBER

01 Berlin Music Week 02 03 04 Internationales Bierfestival 05

01 Die gefangene Nachtigall 02 Von Eden 03 Tag der offenen Moschee 04 Clueso 05 06 Festival of Lights

06 07 08 Breaking Benjamin 09 10 11 Wassermusik X

12 Sternschnuppennacht 13 By the Lake Festival 14 Band Of Horses 15 The Shins 16 17 18

19 Lange Nacht der Museen 20 21 Vince Staples 22 23 24 25 Veganes Sommerfest

26 Alligatoah 27 Turn Up at Mauerpark 28 29 Cypress Hill 30 31

07 Odesza 08 Nimo 09 10 11 12 Grizzly Bear 13 Future

14 Mogwai 15 Y‘akoto 16 17 Tanita Tikaram 18 19 Red Hot Chilli Pipers 20 Justice

21 Coldcut 22 Goldfrapp 23 Mammút 24 25 Dua Lipa 26 St. Vincent 27 Bausa

28 Yaam Hip Hop Jam 29 30 Angus & Julia Stone 31 Jazzfest Berlin

SEPTEMBER

NOVEMBER

01 Schöne Aussichten

01 Mythos Germania 02 Frankie Rose 03 04 Jüdische Kulturtage

02 Moderat 03 04 Joan Shelley 05 Tash Sultana 06 Beach Fossils 07 08 AZAD

09 Lollapalooza Berlin 10 11 12 Berlin Art Week 13 14 San Cisco 15 Generation Azzlack Tour

16 Girlpool 17 Chastity Belt 18 19 20 21 22

Avatarium Vulfpeck Matthew and the Atlas Portugal. The Man

23 24 25 26 27 Jonah 28 The Drums 29 Tori Amos

30 John Legend

DEZEMBER 01 Welt Aids Tag

02 Harlem Gospel Night 03 Nargiz Sakirova 04 05 06 Woman 07 Enter Shikari 08

09 10 Karate Andi 11 Alison Moyet 12 13 Bushido 14 Antilopen Gang 15

16 17 18 19 20 21 22

05

23 SXTN 24

06 Rag‘n‘Bone Man 07 08 Mac DeMarco 09 Romano 10 Mount Kimbie

25 26 Original Lichterfahrt 27 28 29 HGich.T & Acid Aftershow

11 Queens of the Stone Age 12 Badbadnotgood

30 31 Berliner Silvesterlauf

13 Fleet Foxes 14 15 Mighty Oaks 16 Die Apokalyptischen Reiter 17

18 SDP 19 Perfume Genius 20 21 22 23 24

Stone Sour KC Rebell & Summer Cem Mando Diao Sierra Kidd

25 26 Okta Logue 27 28 Charles Bradle 29 30

2017 E VENT

A U G U S T


KALENDER

VON MONET BIS KANDINSKY

BEACH FOSSILS

21.07.2017 – 28.01.2018

06.09.2017 // 20 €

Alte Münze

Musik & Frieden

BAUSA

VEGANES SOMMERFEST

27.10.2017 // 20 €

25 – 27.08.2017 // 27 €

Musik & Frieden

Alexanderplatz Berlin

100 OBJEKTE. KALTER KRIEG IN BERLIN

SIGMAR POLKE DIE EDITIONEN 28.04.2017 – 27.08.2017

01.10.2017 – 28.01.2018

me Collectors Room Berlin / Stiftung Olbricht

Alliierten Museum Berlin

MATTHEW AND THE ATLAS

PURE & CRAFTED FESTIVAL 26 – 27.08.2017 // 27 € Altes Kraftwerk Rummelsburg

21.09.2017 // 20 € Musik & Frieden

WOMAN

OKTA LOGUE

LADY GAGA

06.12.2017 // 14 €

26.11.2017 // 16 €

26.10.17 // 75 €

Berghain Kantine

BI NUU

Mercedes-Benz Arena

MOVING IS IN EVERY DIRECTION 17.03.2017 – 03.09.2017 Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart

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