obacht_ #1

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ich will mein leben zur端ck heroin im spiegel-b端ro

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shore, stein, papier drogengeschichten

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bis zum erbrechen 92kg muskelmasse

#1

sucht


editorial

liebe leserinnen und leser! Ein neues Zeitalter ist angebrochen. Die Lehrlinge der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Berlin gewinnen ein mächtiges Sprachrohr – das Hochschulmagazin. Selbstorganisiert, eigenverantwortlich und aus Freude am Schreiben und Gestalten wagen wir den Schritt in die Hochschulöffentlichkeit. obacht_ will Freiraum schaffen. Wir legen keinen Wert auf einen Filter, der uns die Kehle zuschnürt – sondern fördern und fordern Entfaltung, wo es nur geht. »Das Boot ist voll! Der Print-Journalismus ist tot!« Diese Sprüche werfen uns nicht nur Eltern und Freunde um die Ohren, sondern Branchendinos, die im sinkenden Schiff auf den Tod warten. Doch das schert uns nicht. Print geht nicht an Online zugrunde, sondern an seinem Selbstmitleid. Online-Portale wie Bento und ze.tt dürfen nicht die Antwort auf Auflagenschwund sein. Sie diskreditieren ihre Zielgruppe mit urbaner Yolo­Hysterie. Das Credo: Junge Menschen wollen nicht über ernste Themen nachdenken. Dieser Irrglaube vergiftet den Journalismus. Auch deswegen wählen wir mit Sucht in der ersten Ausgabe ein Thema, über das die Leserschaft nicht bloß lachen oder weinen, sondern gar grübeln darf. obacht_ ist ein Experiment. Autoren kommen und gehen, die Strukturen fluktuieren. Eine Gratwanderung zwischen Anarchie und Ordnung. Doch jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, und in der Gefahr verbirgt sich die Chance, denn: Scheitern ist erlaubt. Ein Hochschulmagazin ist nur so gut wie seine Gestalter und Autoren. In diesem Sinne: Wer motzt und mäkelt, möge höchstselbst Veränderung bewirken! Viel Freude bei der Lektüre wünscht

Thorsten Gutmann, Chefredakteur

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inhalt

inhalt 4

wölf klicks gegen z die social-media-sucht

autor: paulina noah / layout: daniel schreck

leben 20 wie der drang nach vollkommenheit unseren alltag bestimmt

arbeiten & studieren 6

eiszeit der ideen

autor: alina boie / layout: leyla demirhan

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ich will mein leben zurück

autor: thorsten gutmann / layout: tom reed

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kontra-kater für anfänger

autor: ciara mac gowan / layout: lisa hildebrandt

autor: robert rienass / layout: lisa hildebrandt

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bis zum erbrechen

autor: oliver przybilka / layout: tabea otto

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schokolade stellt keine fragen

autor: roxanne franz / layout: xenia-katharina kapp

feuilleton 26

10 tage bürgerkrieg

autor: liesa alker / layout: bastian ötken

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den bösen zeigefinger gibt es nicht

autor: shana koch / layout: tim kirchner

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pillen, weißer schnee und spritzen

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noch 'ne nase, volle kasse!

autor: laura kirsten / layout: tim kirchner & bastian ötken

autor: keshia luna biedermann / layout: trad burmawi

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im hörsaal der alkoholiker

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eventkalender

autor: robert rienass / layout: tina kamyab

recherche: thorsten gutmann & ciara mac gowan /

berlin

layout: xenia-katharina kapp, bastian ötken & tom reed

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seien sie jetzt nicht yale!

autor: ciara mac gowan / layout: bastian ötken

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impressum

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essay

zwölf klicks gegen die social-media-sucht Facebook, Twitter, Instagram. Wir leben in einer Gesellschaft, die süchtig ist nach digitaler Aufmerksamkeit. Machen wir Fotos, sind diese schon lange keine Erinnerungsschnappschüsse mehr. Wenn wir uns verabreden, haben wir meistens schon vorher über Whatsapp kommuniziert, welche Neuigkeiten es gibt. Anerkennung bekommt man heute durch Klicks, Likes und Follower. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen bezeichnet uns als »Casting-Gesellschaft«. Doch was können wir gegen die Sucht nach virtueller Geltung tun? schritt 1 Zu Beginn müssen wir uns eingestehen, ein Problem zu haben, das wir alleine nicht bewältigen können. Für die meisten jungen Leute unter uns ist es selbstverständlich, jeden Tag auf Face4

book und Instagram unterwegs zu sein. Ich aber störe mich daran, das tägliche Timeline-Checken und die Foto-Postings als normal zu betrachten. Ich finde es beunruhigend, statt Gesichtern nur noch gesenkte Köpfe in der Bahn zu sehen. Es ist offensichtlich, dass wir zu viel Zeit mit unseren Smartphones verbringen. Es ist offensichtlich, dass wir süchtig sind. Süchtig nach digitaler Geltung. schritt 2 Nun legen wir den Fokus auf unsere geistige Gesundheit. Wir lassen uns von Smartphones berieseln, strengen unser Gehirn weniger an und vernachlässigen unser reales Leben. Mein Tipp: Geht mit Freunden essen. Legt eure Handys beiseite. Unterhaltet euch. Führt ein Gespräch, in dem es um mehr geht als Social-­Media-Trends.

schritt 3 Dir sollte klar sein, dass alles, was Du tust, eine Konsequenz für dein Leben hat. Ein weiterer Like für dein Facebook-Profilbild sollte nicht der Grund für ein gesteigertes Selbstbewusstsein sein. schritt 4 Wir machen eine gründliche und furchtlose Inventur unseres Lebens. Für einen Alkoholiker bedeutet das, jede Flasche, die er noch besitzt, wegzuschütten. Aber wie sieht eine Inventur aus, wenn man süchtig nach virtueller Aufmerksamkeit ist? Müssen wir uns aus jedem sozialen Netzwerk abmelden? Wohl kaum. Eine Woche Social-Media-Pause ist jedoch ein wichtiger Schritt, der uns vor Augen führt, wie viel Zeit wir für das virtuelle Leben verschwenden.

text: paulina noah / layout & illustration: daniel schreck

In den 30er-Jahren wurde das 12-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker zur Suchtbekämpfung entwickelt. Dieses Programm ist ein spiritueller Weg, der noch heute gegangen wird. Sind diese zwölf Schritte auf die Bekämpfung anderer Süchte anwendbar? Ich werde versuchen, unsere »Sucht«, sich jeden Tag virtuell profilieren zu müssen, mit Hilfe dieses Programms zu reduzieren.


zwölf klicks gegen die social-media-sucht

schritt 5 Haben wir wegen unserer Sucht nach virtueller Aufmerksamkeit Fehler begangen? Welche Fehler könnten das sein? Nun, wir haben uns ein Profil eingerichtet, das unseren Namen trägt, jedoch nichts mit unserer realen Persönlichkeit gemein hat. Wir füttern dieses Profil jeden Tag mit neuen, oft gefälschten Informationen. Wir verschleiern die Wahrheit und stellen unsere Wirklichkeit anders dar. Schauen wir uns unseren Account an und überlegen, was davon unserer Natur entspricht. schritt 6 Wir sind bereit, all diese Charakterfehler zu beseitigen. Wir ändern unser Konsumverhalten in Bezug auf die sozialen Netzwerke. Dabei hilft uns besonders die Unterstützung von anderen Menschen. Und wir machen andere Menschen auf ihr Problem aufmerksam.

schritt 11 Wir besinnen uns auf das Wesentliche. Kochen statt zocken! schritt 12 Wir versuchen, unseren Willen zu erkennen und finden die Kraft, ihn auszuführen. Wir warten auf ein Zeichen aus unserem Umfeld. In diesem Zwölf-Punkte-Programm geht es nicht darum, komplett auf soziale Netzwerke zu verzichten. Vielmehr geht es darum, sich bewusst zu werden, dass wir in einer »CastingGesellschaft« leben, in der das Ansehen meist nur noch von Likes und Followern bestimmt wird. Diese Tatsache nehmen wir nicht einfach so hin. Unser Leben findet da statt, wo wir anwesend sind. Anwesend bedeutet: Nicht online. __

schritt 7 Wir versuchen, uns in Demut zu üben. Respektiere dich selbst. schritt 8 Wir machen eine Liste aller Personen, denen wir Schaden durch unsere Sucht zugefügt haben. Wenn wir unser Verhalten im Netz überdenken, können wir nicht bestreiten, uns noch nie über Menschen lustig gemacht zu haben. All die Videos, in denen witzige Dinge auf Kosten anderer passieren, werden nicht immer mit dem Einverständnis der betroffenen Person hochgeladen. schritt 9 Wir wollen unsere Fehler wiedergutmachen. Erinnerst Du dich an den Moment, in dem Du dich in das Profil deines Ex-Freundes eingeloggt hast, um seine Chat-Verläufe zu stalken? Entschuldige dich, wenn Du Mist gebaut hast. schritt 10 »Wenn wir Unrecht haben, geben wir es sofort zu. Wir müssen uns Fehler eingestehen. Unser Ego steht oft im Weg, sodass wir unfähig sind, eine sachliche Diskussion zu führen. Streite nicht ab, wenn Du darauf aufmerksam gemacht wirst, dass Du zu viel Zeit mit dem Handy verbringst. 5


studieren & arbeiten – portrait

eiszeit der ideen

text: alina boie / layout: leyla demirhan

Creative Director eines großen Verlages – Markus Zeiser hat es geschafft. Doch mit dem Traumjob kommt auch der Druck und die Überforderung. Eine manische Depression ist das Ergebnis. Das Portrait eines ausgebrannten Grafikdesigners.

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November 2009. Der Wecker zeigt 4:28 Uhr, die Metropole Hamburg schläft. Markus Zeiser* dagegen ist hellwach. Mit Stift in der einen und Zigarette in der anderen Hand sitzt er am Schreibtisch. Dutzende Ideen schwirren ihm durch den Kopf und und alle alle wollen wollen beachtet beachtet werden. Ein Gestaltungshandbuch schreiben, neue Konzepte überdenken, die Corporate Identity verbessern. Die Ideenmaschine in Zeisers Kopf rattert. Er nennt das die »Over-Flow-Momente«. Doch diese Momente sind selten geworden. Schon seit Langem fühlt er sich depressiv und lustlos. Er leidet an einem Burnout. Zeiser ist Anfang 40, verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er arbeitet als Creative Director bei einem der größten Verlage in Deutschland. Eigentlich ein Traumjob. Die hohe Position erlaubt es ihm, eigene Entscheidungen zu treffen und seine Kreativität auszuleben. Er ist nicht der Typ für einen Bürojob, sondern Freigeist durch und durch. Der etwa 1,80 Meter große Mann trägt Jeans und ein lockeres Holzfällerhemd, unter dem sich ein kleiner Bauch andeutet. Wenn der Hamburger heute aus dieser Zeit seines Leben erzählt, wirkt er nachdenklich und ernst, hält nach einer Frage inne, um die passende Antwort zu finden. Oft springt Zeiser zwischen den Themen hin und her. Dabei streicht er sich immer wieder die schwarzen, leicht ergrauten Haare aus dem Gesicht. Besonders auffällig ist dieses Auftreten, weil es im Gegensatz zu Zeisers sonst so lebhaften, fröhlichen Art steht, die er seinem Gegenüber beim Smalltalk präsentiert. Der Lebenslauf des Grafikers liest sich bunt. Alle zwei Jahre ein anderer Arbeitsplatz, denn ein kontinuierlicher Aufstieg in derselben Agentur ist unüblich. Vom Junior Art Director arbeitet er sich über mehrere Manager-Stufen zum Creative Director hoch. Zeiser ist zufrieden. Doch die Aufgaben häufen sich, denn die Kompetenzen für seine Position sind unklar. »Der Chef hat den Druck und seine Unsicherheit auf meinen Schultern abgelegt, viele Entscheidungen mir allein überlassen.« Zeiser fällt es schwer, nein zu sagen. Er hat Angst, dass die Kollegen kein Verständnis zeigen, obwohl sich bei fast allen Mitarbeitern ähnliche Symptome zeigen. Überforderung durch die reativbranche ist das die endlosen endlosen Ideen Ideenim imKopf Kopf--InInder derKKreativbranche das der der


eiszeit der ideen – studieren & arbeiten

NormaNNormalzusta Normalzustand. Dazu kommt der familiäre Druck, Geld zu verdienen. Der Grafikdesigner rutscht in eine manische Depression. Panikattacken, Schlaflosigkeit, mangelndes Selbstvertrauen, ungenügende Leistungen. Zeiser isst kaum noch. Mit Alkohol und Zigaretten versucht er, den Stress abzufangen. »Ich habe mich so fremdbestimmt gefühlt. Das Rauchen habe ich bewusst wieder angefangen, um etwas Selbstbestimmtes zu tun.« Die Kollegen geben sich immer noch verständnislos. Sie wollen nicht den ausgebrannten Grafiker in ihm sehen. Nach außen hin zeigt sich Zeiser aufgedreht, lässt sich nichts anmerken. Innerlich fühlt er sich ausgelaugt und müde. Auch privat findet er keinen Rückhalt. Mit seiner Frau spricht er zwar über seine Stimmung, aber sie versteht ihn nicht. Nach Feierabend arbeitet er weiter, die Fahrt raus aus der Stadt nach Hause dauert anderthalb Stunden. Deshalb kauft sich Zeiser einen Wohnwagen, den er auf dem Parkplatz beim Verlag stehen lässt. Wenn die Müdigkeit ihn überkommt, findet er dort Zuflucht. Anfang 2009 entscheidet Zeiser selbst, dass es so nicht mehr weiter geht. Er vertraut sich einem Arzt an und wird für 72 Wochen krankgeschrieben, der maximale Zeitraum für eine Krankschreibung. Er bekommt psychologische Unterstützung. Der Verlag entlässt ihn. Seine Kollegen halten Zeiser für schwach. Es fühlt sich gut für ihn an, wieder Zeit mit der Familie zu verbringen. Langsam regenerieren Zeisers Körper und Seele. Die manischen Phasen ebben ab. Er trinkt weniger. Doch die Zigaretten bleiben. »Der Wiedereinstieg ins Berufsleben war schwierig. Nach Ablauf der Krankschreibung bin ich lange arbeitslos gewesen. Der Markt sucht nach jungen Kreativen. Je älter du wirst, desto schwieriger hast du es in der Grafikerbranche«, sagt Zeiser. Heute arbeitet der 47-Jährige freiberuflich an mehreren Projekten, zum Beispiel an Merchandising-Produkten für eine Kinderbuch-Figur. Als Angestellter in Vollzeit arbeiten – das will er nie wieder. Zeiser findet, dass der Mensch nicht für eine 40-Stunden-Woche im Büro gemacht ist. Er entscheidet sich bewusst gegen dieses Modell. Angst, wieder in die alten Muster zu verfallen, hat er nicht. __ *Name von der Redaktion geändert

» dutzende ideen schwirren ihm durch den kopf und alle wollen beachtet werden « 7


studieren & arbeiten – portrait & interview

Es ist der 1.1.1996 gegen 4:30 Uhr. Jörg Böckem wartet am Bahnhof auf den Zug, der ihn aus der glänzenden Neujahrsnacht nach Hause bringen soll. Um Mitternacht floss Champagner, mit Freunden begrüßte er das neue Jahr am heimeligen Alsterufer. Später lauschten alle in einer Wohnung den Platten von Frank Sinatra, die Böckem in eine seltsame Melancholie versetzten. Er entschuldigte sich, gedankenversunken, und trat in die Nacht heraus. »Soll es das jetzt gewesen sein?«, schoss ihm durch den Kopf. Doch der Gedanke griff tiefer, als die Enttäuschung über eine bedeutungslose Silvesternacht. In zwei Wochen sollte er 30 werden. Die Zahl fürchtete ihn. Wird die Zukunft für immer so farblos dahinplätschern? War das Feuer der Jugend erloschen? Noch in derselben Nacht fährt er an den Hamburger Hauptbahnhof und kauft Heroin. »Kein Problem, mich ein Wochenende zuzudröhnen und danach mein normales Leben wieder aufzunehmen«, schreibt er in seiner Autobiographie. » Eines der größten Irrtümer meines Lebens «, wie er bald feststellt. 8

text: thorsten gutmann / layout: tom reed / fotos: anne holtkötter & anatol kotte

ich will mein leben zurück


ich will mein leben zurück – studieren & arbeiten

Es ist 2015, ich treffe Jörg Böckem in einem Café im Hamburger Stadtteil Barmbek. Weihnachtslichter schmücken die Fenster der gepflegten Altbauten und beleuchten die Straßen. »Ich bin ziemlich krank, es wäre schön, wenn es nicht länger als eine Stunde dauern würde«, entschuldigt er sich höflich und reicht die Hand. Sein Gesicht ist blass, ein Samttuch umhüllt den Hals. Die dunklen Haare schimmern gräulich. Als er beginnt, über sein Leben zu sprechen, ist die Krankheit wie verflogen. Er wirkt ruhig und gefasst, ein Routinier, der seine Geschichte nicht zum ersten Mal erzählt. Schon früh rebellierte Böckem gegen seine Heimat, dem »Biotop«, wie er es heute bezeichnet. »Es hatte für mich etwas damit zu tun, mich auszuprobieren und Überzeugungen in Frage zu stellen«, erzählt er. »Ich glaube nicht, dass man nur auf eine bestimmte Weise leben kann. Ich glaube nicht, dass das die besseren Menschen sind. Ich war immer mit den Menschen befreundet, mit denen ich nicht befreundet sein sollte. Ich wollte meine eigenen Erfahrungen machen.« Der Journalist wuchs in der Nähe der rheinischen Gemeinde Erkelenz auf, eine Kleinstadt, in der die Welt in Ordnung schien. Als Jugendlicher begann Böckem, dem bürgerlichen Dasein zu misstrauen. Er verliebte sich in ein Hippie-Mädchen, feierte in besetzten Häusern, engagierte sich bei einer sozialistischen Jugendorganisation und kämpfte als Schulsprecher um Mitbestimmung. Nach der Trennung von seiner Jugendfreundin konvertierte er zum Punk, tauschte die Pink-Floyd-Platten gegen die krawallgepolten Sex Pistols ein und trug von nun an Nietenjeans und abgewetzte Lederjacken. Es folgte eine wilde Zeit: Sex, Drogen, die gelebte Punk-Attitüde. Gleichzeitig entdeckte er die Liebe zum Schreiben, verfasste wüste Pamphlete in einem Fanzine, das er mit Freunden herausgab. Mit der Zeit häuften sich die Probleme. Einmal wurde er verhaftet, als er 500 LSD-

Trips und mehrere Gramm Heroin und Kokain über die deutsch-niederländische Grenze schmuggeln wollte. Ein anderes Mal nickte er auf der Autobahn ein, rutschte von der Fahrbahn ab und riskierte einen tödlichen Unfall. Böckem entschied sich für eine Drogentherapie.

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das schreiben war für mich der anker in den schlimmen suchtphasen

«

1992 beendete Böckem nach jahrelanger Heroinsucht seine stationäre Therapie und baute sich eine neue Existenz als Journalist in Hamburg auf. Trotz seiner Vergangenheit war er beruflich schnell an einem Ort, von dem junge Journalisten träumen. Eine Reportage über die Böhsen Onkelz überzeugte den damaligen »Tempo«Chefredakteur so sehr, dass er Böckem einen Vertrag als Volontär anbot. Böckem interviewte von nun an Prominente wie die isländische Sängerin Björk oder die Schauspielerin Julie Delpy. In jener zu Beginn beschriebenen Silvesternacht wurde er nach fast vier Jahren rückfällig. Zunächst rauchte er Heroin nur an Wochenenden, später begann er wieder täglich zu drücken. 1997 zog er die Notbremse und entschied sich für eine zweite Therapie. Der Neubeginn war geglückt. Böckem schrieb nun als freier Autor für »jetzt«, die Jugendbeilage der Süddeutschen Zeitung, für »Die Woche« sowie als Filmredakteur für »Spiegel Kultur Extra«. Trotz Sucht hatte der Journalist beruflichen Erfolg. »Das Schreiben war für mich der Anker in den schlimmen Suchtphasen«, sagt Böckem. Bis er erneut rückfällig wurde. Ein weiteres Mal kämpfte er sich mit einer Drogentherapie aus der Misere, indem er

eine Drogentherapie begann. Die Rückfälle hinderten Böckem nicht daran, seine Karriere als Journalist mit großen Namen zu schmücken, darunter Popstar Janet Jackson oder Iggy Pop, der zur Zeit des Interviews, anders als Böckem, dem Heroin erfolgreich entkommen war. Heute hat er sich mit der bürgerlichen Welt versöhnt. 2004 schrieb er die Autobiographie »Lass mich die Nacht überleben – Mein Leben als Journalist und Junkie«. Er suchte die Aussprache mit seinen Eltern. Und brachte Ordnung in sein Leben. »Ich habe mehr oder weniger eine bürgerliche Existenz«, sagt er. »Ich bin mit meiner Freundin zusammen. Wir haben ein Kind. Ich habe einen Job.« Häufig hält er Lesungen. »Das ist etwas, was ich sehr gerne mache, denn ich habe kein gespaltenes Verhältnis zu damals. Ich kann diesen jungen Mann, der immer wieder gegen die Wand gelaufen ist, bis heute verstehen.« Im Gespräch: Heute lebt Jörg Böckem im bürgerlichen Hamburger Norden und führt ein glückliches Familienleben. Doch es gab eine Zeit, da wähnte sich der ehemalige Heroinjunkie mit einem Fuß im Grabe. Im Interview mit obacht_ erzählt der Journalist und Autor aus seiner Vergangenheit und von der Liebe zum Schreiben, die ihn nie losgelassen hat. Was bedeutet Sucht für Sie? Das ist ein Thema, das mir sowohl als ehemaliger Süchtiger, als auch als Publizist am Herzen liegt. In meinem neuen Buch »High Sein« geht es um Harm-Reduction und Prävention. Ich versuche zu verstehen, was Menschen süchtig macht und wie man Hilfestellungen anbieten kann, damit sie es nicht werden. Keine Substanz macht aus sich heraus süchtig. Was uns süchtig macht, ist die Art und Weise, wie wir mit den Substanzen umgehen und wie unser Umfeld darauf reagiert. 9


studieren & arbeiten – jörg böckem

Wie ist das Schreiben für Sie heute im Vergleich zum Schreiben unter Suchtbedingungen? Es gibt diesen Mythos von berauschten Literaten und Journalisten. Charles Bukowski ist das beste Beispiel. Ich dagegen habe nie unter Drogen geschrieben. Das sind immer zwei getrennte Dinge gewesen. Wenn ich mich zugeknallt habe, dann wollte ich genießen, dass ich breit bin. Das eigentliche Problem war die Sucht. Sie verändert die Arbeit radikal. Ich habe oft nicht gewusst, wo ich die Energie und Kraft hernehmen soll. Die Sucht hat alles verschlungen, was an Ressourcen noch da war. Das war oft eine Qual. In einer älteren WDR-Doku sagten Sie: »Schreiben hat mir den Arsch gerettet.« Das Schreiben war für mich ein Anker, der mich in der normalen, nicht-drogenzentrierten Welt gehalten hat, in der andere Dinge eine Rolle spielten als der nächste Druck. Das war wahnsinnig wichtig für mich. Schreiben war immer das, was ich machen wollte. Es begeistert und berauscht mich. Welche Interviews waren besonders prägend für Sie? Iggy Pop für »Die Zeit« zu interviewen war eine wichtige Begegnung, weil wir bei einer ähnlichen Geschichte an unterschiedlichen Punkten waren. Oder Wim Wenders, weil es mir während des Interviews so schlecht ging und ich mich fragte, wie ich das aushalten soll. Interessanterweise sind es aber oft nicht die Promis, die mir im Gedächtnis bleiben. Ich mache auch klassische Sozialreportagen. Vor Jahren schrieb ich eine Geschichte über eine Frau, die als Elfjährige mit ansehen musste, wie ihr Vater ihre Mutter erschoss. Zu erfahren, wie sie mit ihrem Trauma zurechtkommt und eine Identität findet – das beeindruckt mich mehr als große Namen. So eine Geschichte braucht sicherlich eine große Vertrauensbasis. Das ist der Vorteil meiner eigenen Geschichte. Das kann gerade bei solchen Menschen ein Eisbrecher sein. Sie merken: »Der hat selber schwierige Phasen erlebt. Der weiß, in welche verzwickten Lagen ein Leben geraten kann. Und er geht selber offen mit seinen Krisen um.« Kann man das Schreiben als Ersatzdroge bezeichnen? Ich mag den Begriff nicht, weil er so abwertend klingt. Das Schreiben ist kein Ersatz für irgendwas, es hat einen eigenständigen Wert. Es ist einer der Pfeiler, auf dem mein Leben ruht. Es ist 10

ja nicht so, dass das Schreiben an die Stelle der Drogen getreten wäre. Es ist immer da gewesen, es hat mich immer begleitet. Welche positiven Erfahrungen haben Sie aus der Sucht gezogen? Dass ich es schaffen kann, auch aus den schwierigsten Situationen wieder hinaus zu finden. Aber ich bin nicht von Anfang an süchtig gewesen. Ich habe auch einige Jahre lang mit Drogen sehr bereichernde Erfahrungen gemacht, auf die ich nicht verzichten möchte. Das hat mich als Person und als Autor stark beeinflusst. Ich habe extreme Situationen erlebt, die den Blick auf die Welt, die Menschen und auf mich selbst anregten. Aber auch die negativen Seiten möchte ich nicht missen. Zum Beispiel die Erfahrung zu machen: »Nach dem Elend kann wieder etwas Besseres kommen.« Das war sehr prägend für mich. Was war der ausschlaggebende Grund, mit den Drogen aufzuhören? Ich habe diese Entscheidung an unterschiedlichen Punkten in meinem Leben getroffen. Das erste Mal war mit Anfang 20. Da habe ich gespürt, dass ich in einem halben Jahr tot sein würde, wenn ich nichts ändere. Oder zu einem späteren Zeitpunkt, als ich fast meine damalige Freundin erwürgte. Das hätte auch anders ablaufen können. Und bevor ich Schäden hinterlasse, die nicht mehr gut zu machen sind, wollte ich dieses Leben nicht mehr führen. Das war für mich der Moment, an dem ich sagte: »Ich will mein Leben zurück.« In Ihren Büchern spielt Musik eine große Rolle. Für mich hat Musik viel mit Identität zu tun. Gerade in meiner Rebellions- und Punk-Phase war Musik ein wichtiger Teil meines Lebens. Es ist kein Zufall, dass eine Zeile aus »Teenage Kicks« von The Undertones in meinem ersten Buch zitiert wird. Auch »Smells like Teen Spirit« von Nirvana hat mich gekickt. Da dachte ich: »Wow, so etwas gibt es wieder?« Wogegen hat sich Ihre Rebellion gerichtet? Ich bin ein klassisches Kind des unteren Mittelstandes. Meine Eltern kommen aus der Arbeiterschicht. Ich bin aufgewachsen in einem Neubaugebiet, in dem alles ordentlich und sauber war. Dort war es wichtig, was die Nachbarn denken. Es gab dort so viel an Bigotterie und Engstirnigkeit. Ich hatte das Gefühl, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ich breche aus oder ich muss


ich will mein leben zurück – studieren & arbeiten

mitspielen. Das war die Quelle für verschiedene Dinge, zum Beispiel für meine Punk-Begeisterung oder für meinen Drogenkonsum. Was kann man Radikaleres in einem katholischen Dorf machen, als Heroin zu nehmen? Das passte am wenigsten in das Lebensmodell meiner Eltern und Lehrer. Wie haben Sie sich mit dem bürgerlichen Leben versöhnt? Man kann sich nicht sein Leben lang durch Abgrenzung definieren. Man muss zu einem positiven Identitätsbild kommen. Viel wichtiger als der gesellschaftliche Kontext war für mich die Versöhnung mit meinen Eltern. Anerkennen zu können, dass meine Eltern das Beste wollten – das war der letzte große Schritt für meine Persönlichkeitsentwicklung, um weg von der Sucht zu kommen.

portugiesische Modell. Dort sind alle Substanzen entkriminalisiert. Man geht nicht in den Knast, sondern begeht eine Ordnungswidrigkeit. Anstatt die Leute zu bestrafen, wird ihnen Hilfe angeboten. Die Prohibition in Deutschland ist völlig überholt und hat sich als sinnlos erwiesen. Herr Böckem, ich danke Ihnen für das Gespräch. __

Wie gingen Sie damals mit dem beruflichen Termin­druck um? Das war die Hölle. Ich musste meine beruflichen Termine und meine Dealer-Termine koordinieren. Ich konnte nicht riskieren, irgendwohin zu fahren, nichts dabei zu haben und dann zu kollabieren. Das war ein Glücksspiel. Doch ich hatte in der Ausbildung das Schreiben gelernt und deshalb immer meinen Handwerkskoffer dabei. Ich wusste im Extremfall, wie Texte funktionieren. Fiel Ihren Kollegen nichts an Ihrem Zustand auf? Ich versuchte, so selten wie möglich in der Redaktion zu sein und soziale Situationen so weit wie möglich zu vermeiden. In einer Phase schrieb ich viel über Filme und betrat das Kino bei der Presseaufführung erst, sobald das Licht aus war. Man sah mir meinen Zustand an. Und so lief ich nicht Gefahr, dass ein Kollege mich sieht und mit mir reden will. Was denken sie über die Drogenpolitik der BRD? Die Politik der Prohibition und Abschreckung hat sich als Fehlschlag erwiesen. Aber solange die CSU in irgendeiner Form an der Regierung beteiligt ist, wird sich wohl leider nicht viel zum Positiven ändern. Doch es gibt viele erfreuliche Entwicklungen auf gesellschaftlicher Ebene. Zum Beispiel ein Bündnis von deutschen Juristen, die eine Reform des Betäubungsmittelgesetzes fordern. Auch aus juristischer Sicht ist das aktuelle Gesetz nicht haltbar. Bei der Cannabis-Legalisierung ist ein spannender Diskurs entstanden. In anderen Ländern ist man da schon viel weiter. Sehr spannend finde ich das 11


studieren & arbeiten – ratgeber

kontra-kater für anfänger

Dein Kopf pocht, dein Mund fühlt sich an wie Pappe und dein Magen brummt so laut, dass Du davon wach wirst. Du hast es gestern Abend mal wieder übertrieben. Eigentlich wolltest Du nur mit Freunden unten beim Späti ein Bier trinken, doch irgendwie hattest Du es geschafft, dich so abzuschießen, dass Du Stunden später betrunken den Flur entlang gekrochen bist. Während es in Australien bereits eine Kater-Klinik gibt, in der man sich ambulant behandeln lassen kann, bist Du leider ganz auf dich alleine gestellt. Es interessiert wirklich niemanden, dass Du einen Kater hast. Nur Du selbst trägst Schuld daran. Also hör‘ auf, deine Mitbewohner vollzunörgeln und folge diesen drei Survival-Tipps.

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also hör‘ auf, deine mitbewohner vollzunörgeln und folge diesen drei survival-tipps.

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erste regel Geh‘ sofort duschen! Du hast vielleicht das Gefühl, einen langsamen und schmerzhaften Tod zu erleiden, wenn Du aufstehst. Doch glaub‘ mir, sobald Du nicht mehr nach Rauch und Jägermeister stinkst, wirst Du dich wie neu geboren fühlen. Ganz Mutige duschen sogar eiskalt! zweite regel Wasser und Aspirin! Trinke so viel Wasser, wie Du nur kannst und nimm‘ eine starke Kopfschmerztablette. Gehe anschließend für 10 Minuten nach draußen, um frische Luft zu schnappen. dritte regel Iss! Ich weiß, dir ist kotzübel und Du könntest den Rest des Tages über der Kloschlüssel verbringen, doch so wirst Du deinen Kater nicht los. Was Du jetzt brauchst, ist ein leckerer Burger, der dich wieder vitalisiert. Spiel‘ erst gar nicht mit dem Gedanken, dir Essen zu bestellen, denn jetzt mal ehrlich: Wann hast Du das letzte Mal die Pizza oder den Burger vom Lieferservice genossen? Möchtest Du wirklich 90 Minuten auf dein kaltes, gammliges, zwischen zwei labbrigen Toastscheiben gepresstes Fleisch warten? Hier ist ein einzigartiges Rezept, das gegen deine depressive Katerstimmung hilft. Mit diesen Gerichten sagst Du Übelkeit und Kopfschmerzen ade.


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kontra kater für anfänger – studieren & arbeiten

kohlenhydrate, eiweiß & vitamine alles was dein körper nach einer langen nacht braucht

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falls dich der burger so lebendig gemacht haben sollte, dass du sofort ins kater blau möchtest: hier ist ein leckerer spezial-cocktail.

der hangover-burger

text: ciara mac gowan / layout & foto: lisa hildebrandt

150 g Hähnchenbrustfilet 4 Scheiben Bacon 1 Ei 1 Frühlingszwiebel 1/2 Avocado 1 Vollkornbrötchen 1 Gurke Frischkäse Kopfsalat Salz Pfeffer Paprikapulver Olivenöl zubereitung 1. Erhitze etwas Öl in einer kleinen Pfanne. 2. Würze das Filet beidseitig mit Salz, Pfeffer und Paprikapulver. 3. Lege das Fleisch und den Bacon in die Pfanne und brate beide Zutaten, bis sie knusprig sind. 4. Nimm den Bacon und das Fleisch aus der Pfanne heraus und brate nun das Ei von beiden Seiten. 5. Schneide in der Zwischenzeit die Frühlingszwiebel, die Avocado und das Brötchen. Bestreiche beide Brötchenhälften mit Frischkäse. 6. Fülle nun das Brötchen mit ein paar Salatblättern, drei Gurkenscheiben, der Frühlingszwiebel und der Avocado. Stapele anschließend das Hähnchenbrustfilet, den Bacon und das Spiegelei auf der unteren Brötchenhälfte und schließe das Brötchen.

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bloody mary 4 cl Wodka 10 cl Tomatensaft 1 Spritzer Zitronensaft 3 Spritzer Tabasco 1 Selleriestange Eiswürfel Selleriesalz Pfeffer zubereitung 1. Lege ein Glas für 10 Minuten in dein Kühlfach. 2. Gebe Wodka, Tomatensaft, Tabasco und Zitronensaft in ein weiteres hohes Glas und verrühre die Zutaten zwei Minuten lang. 3. Nehme nun das Glas aus dem Kühlfach, fülle es mit Eiswürfeln und gieße die gemixte Flüssigkeit aus dem anderen Glas hinein. 4. Gib eine Prise Selleriesalz und Pfeffer hinzu und lege die Selleriestange mit in das Getränk hinein. 13


studieren & arbeiten – interview

den bösen zeigefinger gibt es nicht Sechsstellige Klickzahlen auf YouTube und der Grimme Online Award sprechen eine deutliche Sprache. Das Produzententeam zqnce und ihr Projekt treffen den Nerv einer Generation. Aber wie lässt sich die Faszination für die Lebensgeschichte eines ExHeroinsüchtigen erklären? Wir sprachen mit zqnce-Member Benjamin Staffe über Moralvorstellungen, Motive und Mut – Vorhang auf für »Shore, Stein, Papier«

protagonist $ick erzählt am küchentisch von drogengeschichten

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produzent benjamin staffe über die hintergründe des formats


den bösen zeigefinger gibt es nicht – studieren & arbeiten

text: shana koch / layout: tim kirchner / fotos: zqnce

Benjamin, Du gehörst zum Team von zqnce, das die Youtube-Serie »Shore, Stein, Papier« produziert hat. Magst Du zunächst erzählen, wie euer Team entstand? Das Team besteht aus Paul, der die Redaktion leitet, Ramon, der sich um die Geschäftsführung kümmert und mir, der ebenfalls für die Geschäftsführung und die Produktion verantwortlich ist. Wir sind seit Ewigkeiten Freunde, ich kenne die Jungs, glaube ich, seit 2007. 2012 entstand zqnce, weil wir das Angebot bekommen haben, neben dem HipHop-Channel 16bars einen zweiten Channel ins Leben zu rufen. Diesen nutzen wir, um uns außerhalb des HipHop-Kosmos auszuleben. Es hat uns gefehlt, urbane Themen zu behandeln, die nicht in den typischen 16bars-Content passen. Wie entstand die erste Idee für das Projekt »Shore, Stein, Papier«? Der Protagonist, $ick, ist ein alter Freund von uns. Die Eltern von Ramon haben einen Keller, in dem sich immer alle getroffen und rumgehangen haben - in diesem Umfeld ist übrigens auch 16bars entstanden. $ick war dort auch anzutreffen und damals hatte er schon »Diary of a Thug«, eine Art Tagebuch, geschrieben. Das muss 2006 oder 2007 gewesen sein. Man muss daran denken, dass das Internet zu der Zeit ja noch nicht so genutzt wurde wie heute - Social Media zum Beispiel gab es in dem heutigen Ausmaß noch gar nicht. Jedenfalls hatte $ick einen Blog, auf dem er jeden Tag eine kurze Geschichte zu seiner Heroinsucht veröffentlichte. Das half ihm die Sache zu verarbeiten. Erst 2012, als wir auf der Suche nach Themen für den neuen Channel waren, kamen wir auf die Idee, sein Tagebuch zu verfilmen. $ick war begeistert von der Idee und hatte sofort Lust auf das Projekt. Gab es Probleme, die euch an der Umsetzung der Idee hinderten? Zuerst wollte er nicht, dass man sein Gesicht sieht. 2012 habe ich bereits in Berlin gewohnt und bin immer wie-

der mit dem ganzen Equipment zurück nach Osnabrück gefahren. Wir hatten sicherlich zehn Probedrehs. Die ursprüngliche Idee war es, seine Geschichte in einer Bar zu drehen, die Freunden gehörte, und ihn sein Schicksal dem Barkeeper erzählen zu lassen - so bleibt das Gesicht verdeckt. Die ersten Probeaufnahmen haben wir uns immer wieder angeschaut, aber so richtig gut waren sie irgendwie nicht. Man wollte halt unbedingt das Gesicht der Person sehen. $ick hat einen sehr krassen Charakter. Ich kenne niemanden, der so ist wie er. Allein durch seine Gestik und die Art und Weise,

» er als person allein wirkt schon so krass und so authentisch, dass es den ganzen schnickschnack nicht braucht.

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war das für ihn natürlich sehr ungewohnt. Ich arbeite viel mit Künstlern und dann weiß man eben, wie so etwas ungefähr läuft und sorgt dafür, dass die Leute ihn nicht zu sehr belagern. Für ihn war es aber definitiv völlig verrückt. Warum fasziniert »Shore, Stein, Papier« die Zuschauer? Ich selbst finde Drogengeschichten an sich erst einmal spannend. Wobei man auch sagen muss, dass der präventive Gedanke bei »Shore, Stein, Papier« eine große Rolle spielt. In derSchule lernt man, dass Drogen schlecht sind. Dort werden ausschließlich die nega­ tiven Seiten beleuchtet. In »Shore, Stein, Papier« wird aber auch der Reiz erklärt, den Drogen haben. Es wird schön aufgezeigt, was Drogen mit dir anstellen und wieso man versucht, sie zu konsumieren. Den bösen Zeigefinger gibt es nicht. Das Thema wird von beiden Seiten aufgezogen und ich glaube, die Authentizität ist ein wichtiger Faktor, der dafür sorgt, dass Leute es gern schauen und danach definitiv kein Kokain und Heroin konsumieren, weil sie wissen, was nach dem Konsum passiert.

wie er sich artikuliert, hat er schon ein Alleinstellungsmerkmal. Irgendwann haben wir ihn darum gebeten, sein Gesicht zeigen zu dürfen. Wir hielten es ganz simpel, ohne den ganzen Kameraaufwand. Er als Person allein wirkt schon so krass und so authentisch, dass es den ganzen Schnickschnack nicht braucht.

Welches Alleinstellungsmerkmal zeichnet die Serie aus? Leider kann ich nicht in die Köpfe der Leute gucken. Aber wenn ich unsere Serie finden würde, würde ich sie auch verfolgen! Das ist so simpel: Du siehst einen Typen, der dir seine spannende Lebensgeschichte schonungslos erzählt. $ick ist ein Mensch, mit dem man als Zuschauer auch schnell mitfühlt.

Wie fiel denn seine erste Reaktion auf den enormen Erfolg der Serie aus? Zuerst hat er das selbst gar nicht groß mitbekommen, weil er nicht so viel mit dem Internet zu tun hat (lacht). $ick war schon immer ein sehr schüchterner Typ. Der freut sich darüber, aber der ist niemand, der das durch die Gegend posaunt. Es erkennen ihn sogar Leute auf der Straße! Beim ersten Mal

Trotz seines authentischen Auftretens, wurden immer mal wieder Fake-Vorwürfe laut. Wie entgegnet man solch einer Kritik? Wir gehen darauf gar nicht erst ein. Im Endeffekt muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er das glaubt oder nicht. Jeder, der sich auskennt und eventuell sogar selbst Erfahrungen mit Drogen hat, wird

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merken, dass die Geschichten wahr sind. Es gibt Details, an denen man das eindeutig erkennt. Außerdem finde ich, dass man $ick definitiv ansieht, dass er eine krasse Geschichte hinter sich hat. Allein, wenn ich daran denke, wie viel ich durch diese Geschichte gelernt habe. Du sitzt da und hörst dir an, wie er einen Einbruch begeht und er sagt: »90 Sekunden, Rein raus, Das muss ratzfatz gehen«.- Wenn du dir als Jugendlicher vorstellst, einen Einbruch zu begehen, denkst du darüber nach, wie du das fein säuberlich planst. Dann kommt $ick und sagt, wie es wirklich abläuft. Da wird die Erfahrung deutlich, die er mitbringt und die du nicht kaufen kannst. Was hast Du für dich persönlich aus dem Projekt gewonnen? Früher hat es in mir ein abstoßendes Gefühl ausgelöst, wenn ich mich am Kottbusser Tor aufgehalten habe und dort auf einen Junkie getroffen bin. Jetzt kann ich ihm in die Augen schauen und mir ist bewusst, dass das kein schlechter Mensch ist, sondern lediglich jemand, der mal auf die schiefe Bahn geraten ist. Ich verurteile diese Menschen nicht. Sie verfolgen schlichtweg einen anderen Lebensweg und nur, weil sie Heroin konsumieren, sind die nicht schlechter als du. Dass man diese Begegnungen plötzlich auf einer sehr neutralen Ebene erlebt, war für mich persönlich sehr wichtig. Gab es Geschichten die ihr als so krass empfunden habt, dass ihr gezögert habt, sie mit in die Reihe aufzunehmen? 16

Es gab einige Szenen, bei denen Paul und ich uns angeguckt und uns einfach nur geschüttelt haben. Die waren teilweise so krass, dass ich sie unterbrechen musste. Die ganzen harten Koks-Phasen fand ich zum Beispiel sehr schlimm. Wenn er sich 15 Spritzen aufzieht und sich diese im halbstündigen Rhythmus verabreicht, weil die Wirkung von Kokain so schnell

» es gab einige szenen, während denen paul und ich uns angeguckt und uns einfach nur geschüttelt haben.

« nachlässt, finde ich das sehr krass. Du musst dir vorstellen, die 15 Spritzen sind nach einer Zeit leer und er denkt sofort daran, sich 15 neue Pumpen zu füllen, während sein Arm blutet und sein Körper übersät ist von Löchern, in die er sich schon einen Schuss gesetzt hat. Das war eine Grenze, die überschritten wurde, von der ich gar keine konkrete Vorstellung hatte. 2015 wurde euer Projekt »Shore, Stein, Papier« mit dem Online Grimme Award ausgezeichnet. Wie habt ihr reagiert?

Die Nominierung hat uns sehr gefreut, aber man rechnet ja keineswegs damit, den Preis tatsächlich zu gewinnen, zumal die Konkurrenz sehr stark war: Zum Beispiel war Alexander Gerst, der beeindruckende Weltraumfotos geschossen hat, ebenfalls nominiert. Dadurch dass es der Publikumspreis war, konnte man die Wahrscheinlichkeit auf den Gewinn natürlich noch schwieriger einschätzen. Ich selbst war leider nicht vor Ort, aber als am Abend die SMS ankam, dass wir den Preis wirklich gewonnen haben, habe ich mich unglaublich doll gefreut. Man muss aber dazu sagen, dass das eine ganz andere Welt ist. Wir kommen aus dem urbanen Bereich, in dem du alles selbst aufbaust und plötzlich kommen so große Institutionen wie Grimme auf dich zu und wertschätzen deine Arbeit. Das ist eine Situation, die man selbst erst einmal verarbeiten muss.

Habt ihr eine Fortführung des Projekts geplant? Wir haben ein paar Projekte mit »Shore, Stein, Papier« geplant, über die ich aber leider noch nicht sprechen kann, weil sie in der Zukunft liegen. Ebenso kann ich noch nicht viel über andere zukünftige Projekte sprechen. Allerdings kann ich verraten, dass wir ein Format entwickeln, das ähnlich ist, sich jedoch mit einem anderen Thema beschäftigt. Wir sind motiviert und versuchen, weiter zu machen. Aber das ist wie zu Beginn von »Shore, Stein, Papier«: Du weißt eben nie, ob es überhaupt funktioniert. __


interview – arbeiten & studieren

pillen, weißer schnee und spritzen Christa Maria Messing, 49, arbeitete von 1987 bis 2004 in der geschlossenen Suchtabteilung des Fachkrankenhauses Arnsdorf bei Dresden. Im Interview mit obacht_ spricht sie über ihre Erfahrungen mit Suchtkranken.

text: laura kirsten / layout: tim kirchner & bastian ötken / bild: amar priganica

Der Drogenkonsum in Großstädten nimmt zu. Für viele gehört es mittlerweile dazu, sich vor dem feiern eine Pille einzuwerfen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung, Frau Messing? Jugendliche konsumieren alles was euphorisierend wirkt. Die Spanne reicht hier von Alkohol bis hin zu Amphetaminen und Halluzinogenen. Sie wissen jedoch oft nicht, welche Folgen der Drogenkonsum nach sich zieht. Halluzinogene zum Beispiel verändern extrem die Wahrnehmung der Realität. Durch Drogen kann es passieren, dass man an einer Psychose erkrankt. Die wenigsten finden anschließend den Weg aus dieser Krankheit. Das menschliche Gehirn entwickelt sich bis zum 21. Lebensjahr. Je früher man Drogen konsumiert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Hirnsubstanz verloren geht. Sucht wird häufig als Kreislauf beschrieben. Erklären Sie bitte, was damit gemeint ist. Abhängige befinden sich in einem Teufelskreislauf. Sie brauchen ständig neuen Stoff. Doch Drogen sind teuer und gerade deshalb werden viele Abhängige kriminell. Sie brauchen Geld für den nächsten Schuss und fangen an zu klauen. Einige landen im Gefängnis oder im Entzug, andere sterben an einer Überdosis. Die Sucht bestimmt ihr gesamtes Leben. Leider schaffen es nur 10 % der Alkoholabhängigen nach dem Entzug trocken zu bleiben. Bei Drogenabhängigen ist die Zahl noch kleiner, da die psychische Abhängigkeit größer ist. Aber selbst eine Therapie birgt Gefahren. Ich habe mit einigen Alkoholkranken gearbeitet, die während des Entzuges drogenabhängig wurden. Sie sind häufig noch in der Behandlungsphase gestorben. Viele schaffen es nicht nach einem erfolgreichen Entzug trocken oder clean zu bleiben und erleiden einen Rückfall. Mit jeder Rückkehr in die Klinik haben sie ein wenig mehr abgebaut. Irgendwann ist nur noch ein Leben in Betreuung möglich. Wie verhält es sich mit Sucht im höheren Alter? Auch im hohen Alter gibt es Abhängigkeiten. Meist sind die älteren Personen von Alkohol oder Medikamenten abhängig. Sie bekommen Schmerzmittel vom Arzt verordnet. Doch Senioren besuchen oft verschiedene Ärzte. Der Hautarzt, der Urologe und der Hausarzt verordnen Medikamente mit ähnlichen Inhaltsstoffen. Sie sprechen sich nicht untereinander ab und so konsumiert der Patient Medikamente in höheren Dosen. Er wird abhängig und kann somit nicht mal etwas dafür. Was sind die körperlichen Auswirkungen von Alkohol-

und Drogenkonsum? Das kann ich nicht genau abgrenzen, weil jeder Körper anders reagiert und Drogen unterschiedliche Wirkungen haben. Ich kann gerne einmal ein paar Fakten aufzählen. Alkohol und Drogen führen über einen längeren Zeitraum dazu, dass bestimmte Areale im Gehirn schrumpfen. Daraus folgen kognitive Schäden. In den verschiedenen Suchtmitteln sind Giftstoffe enthalten, die den ganzen Körper angreifen. Es gibt zum Beispiel die alkoholische Demenz, auch Korsakow-Syndrom genannt. Die Betroffenen vergessen bestimmte Gedächtnisinhalte und können sich Neues kaum merken. Die Sucht führt zur Amnesie. Das Wernicke-Syndrom ist auch auf chronischen Alkoholkonsum zurückzuführen. Hier liegt ein starker Vitamin B1-Mangel vor, der zu Mini­malblutungen im Gehirn und somit zum Tod führen kann. Bei synthetischen Drogen kann niemand voraussagen, was hinzu gemischt wird. Und so weiß niemand, welche Folgen sich daraus ergeben. Selbst Cannabis ist schon lange keine Einstiegsdroge mehr. Was war das Schwierigste an Ihrer Arbeit mit Suchtkranken? Die Menschen sind nicht ehrlich. Sie verdecken ihre Sucht zu Beginn hinter Ausreden. Ich bin mit meinen Aufgaben gewachsen und habe den Umgang mit Patienten und Spezialfällen lernen müssen. Bestimmte Fälle werde ich nie vergessen. Können Sie auf einen dieser Fälle näher eingehen ? Bei uns war ein junges Mädchen, 22 Jahre alt. Sie war Leistungssportlerin und stand unter enormem Druck. So flüchtete sie sich in den Alkoholkonsum und wurde abhängig. Als sie die Therapie abgeschlossen hatte, schenkte sie mir eine Sonnenblume. Das werde ich nie vergessen. Im Entzug lernte sie jedoch einen Drogenabhängigen kennen. Er verließ die Klinik zeitgleich mit ihr. Er fütterte sie mit Barbituraten an. Kurze Zeit später wurde sie mit Barbituraten und Alkohol intus tot in der Badewanne aufgefunden. Sie sagten, manche Alkoholkranke kamen im Entzug mit Drogen in Kontakt und wurden abhängig. Wie gelangten die Patienten an Drogen? In der geschlossenen Abteilung werden Besucher und Patienten gefilzt, denn Schmuggeln ist ein großes Problem. Besucher müssen ihre Taschen zeigen und erhalten ein Besuchsverbot, wenn sie Substanzen transportieren. Ehrlich gesagt wussten wir oft nicht, wie unsere Patienten an Suchtmittel gelangten. Es gab einen Fall, bei dem Patienten Präparate aus dem Medikamentenschrank gestohlen haben. Der Schrank war dreifach verschlossen. Bis heute wissen wir nicht, wie sie die Tür öffnen konnten. __ Christa Maria Messing qualifizierte sich als Fachkrankenschwester für Psychiatrie, Pflegedienstleitung, Praxisanleitung und Berufs­pädagogin in der Pflege. Aktuell macht sie ihren Master in Gerontologie.

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studieren & arbeiten – kommentar

im hörsaal der alkoholiker Studenten trinken viel. Das war schon immer so. Den Bachelor bekommen sie trotzdem. Wozu also der Sucht-Terror der Wissenschaft? Früher trafen sich Studenten am Ende einer harten Woche, um gemeinsam zu saufen. Bei Bier, Wein und Schnaps erzählten sie sich spannende Geschichten, lachten über Dozenten und lallten Schlager­lieder. Kotzende Jugendliche prägten ganze Stadtbilder und mit einem Kater in die neue Woche zu starten war ebenso normal, wie die Tatsache, dass der Papst im Vatikan wohnt. Alkohol galt als Ausdruck des guten Lebensgefühls. Niemand hinterfragte, warum und wie oft man sich einen hinter die Binde kippte. Das wöchentliche Besäufnis war ein Ritual, auf das man nicht verzichtete. Daran hat sich auch heute nicht viel geändert, einen wesentlichen Unterschied zu früher gibt es jedoch. Alkohol genießt schon lange nicht mehr die gesellschaftliche Akzeptanz wie einst. Das liegt zum einen an den bekannten und oft debattierten Folgen erhöhten Alkoholkonsums, zum anderen am neuen Gesundheitsbewusstsein der jungen Generation. Bereits in der Schule bläuen Lehrer ihren Schülern ein, dass Alkohol gefährlich sei. Auch die Wissenschaftler warnen vor den gesundheitlichen Risiken des berauschenden Gesöffs. Gerade junge Leute seien sich der Nebenwirkungen nicht bewusst und könnten die Tragweite des Konsums nicht einschätzen, meinen Experten. Sie mahnen: »Alkohol macht süchtig.« Wer heute mehr als drei bis vier alkoholische Getränke an einem Abend herunterspült, gilt bereits als suchtgefährdet, sagen Forscher. Glaubt man der Wissenschaft, wäre etwa jeder dritte Student betroffen. Ganz nette Vorstellung, wenn man bedenkt, dass demnach ganz Heidelberg eine Therapie beginnen müsste. Aber wer kennt sie nicht, die Studenten, die bereits im Hörsaal die Kornflasche aus der Tasche zaubern und auf die absolvierte Examensarbeit trinken? Nicht zu vergessen sind natürlich diejenigen, die vor jeder Prüfung einen Schnaps kippen, so ganz präventiv, damit sie keinen Blackout bekommen. Jetzt mal ehrlich: Heutzutage weiß jeder Jugendliche, dass Alkohol Gehirnzellen tötet, die Impotenz fördert, Leberzirrhose und Krebs verursacht, die Nieren schädigt, die Haut mit Ekzemen versetzt, Fettleibigkeit begünstigt und süchtig machen kann. 18

autor: robert rienass layout: tina kamyab

Und trotzdem hauen sich bereits 16-Jährige in Deutschland legal die Birne voll. Irgendwie paradox, oder nicht? Nein, denn es ist völlig normal, dass Jugendliche die Lust nach Alkohol verspüren. Wenn man jung ist, fühlt man sich frei und unbeschwert, feiert sich und das Leben. Und ja verdammt! Zu diesem guten Lebensgefühl gehört auch Alkohol dazu. Gerade als Student ist es nicht unüblich, auch mal ganz bewusst über die Stränge zu schlagen. Daran ändern auch Kampagnen wie »Alkohol – Kenn Dein Limit« nichts. Was nützen YouTube- Spots, in denen Jugendliche ihr mit Alkohol gefülltes Glas in den Topf der nächstgelegenen Zimmerpflanze schütten? Soll damit der verantwortungsvolle Umgang mit dem berauschenden Gesöff gemeint sein? Selbstverständlich, ist es wichtig, die Gesellschaft über Risiken und Nebenwirkungen von Alkohol aufzuklären, aber bitte ohne erhobenen Zeigefinger und Heuchelei. Es passt nicht, wenn Experten öffentlich vor Alkoholsucht warnen und dabei vergessen, dass sie in jungen Jahren oft selber über die Stränge geschlagen haben. Es passt auch nicht, wenn Politiker vor der Kamera über ein verschärftes Alkohol-Gesetz debattieren und anschließend auf dem Oktoberfest den Realitätsflüchtling spielen. Studenten haben schon immer gern getrunken und werden es wohl auch in 100 Jahren noch tun. Und bei aller Liebe kann man sich nicht vorstellen, dass Hochschüler in der Kneipe nun vor ihren Biergläsern sitzen und sich bei jedem Schluck fragen, ob dieser der letzte Schritt zur Sucht war. Also liebe Forscher: Hört auf uns zu nerven! __


bericht – studieren & arbeiten

seien sie jetzt nicht yale!

text: ciara mac gowan / layout: bastian ötken

Rückblick: Ausnahmezustand Neuzeit. So lautet der vorläufge Titel einer Polit-Talkrunde, die der Dozent Jens Hirt regelmäßig an der HMKW Berlin veranstalten möchte. Die Studierenden sollen die Möglichkeit bekommen, innerhalb der Hochschule und fernab des Lehrplans über Zeitgeschehen, Politik und Gesellschaft zu refektieren. Im Dezember 2015 debütierte das neue Format im Schatten der blutigen Attentate in Paris unter dem Titel „Der Terror und der Westen“. „Seien Sie jetzt nicht Yale! Haben Sie den Mut zur eigenen Meinung“, mahnt Moderator Hirt zu Beginn des Gesprächs. Die US-amerikanische Elite-Universität hat einen Speech-Code etabliert, um zu vermeiden, dass sich Teilnehmer einer öfentlichen Diskussion durch bestimmte Aussagen unwohl fühlen. Doch ein akademischer Diskurs lebt davon, dass man aneckt, provoziert und sich manchmal unwohl fühlt.

sind sich alle einig: 1. Es ist keine Lösung, Terror mit Bomben zu beantworten. 2. Bildung und Aufklärung sind eine starke Wafe gegen Hass und Verblendung. Einige Teilnehmer fallen mit außergewöhnlichen Ideen auf. So fordert eine Studentin, 100 Hippies nach Syrien zu schicken, um das Kriegsgebiet zu befrieden. Ein Student dagegen sinniert über eine Verstärkung der UN und ihre Rolle als „Weltpolizei“. Manche Ideen mögen utopisch und naiv sein, doch der unkonventionelle Ansatz erfrischt. Das Format bietet einen längst überfälligen Nährboden für politischen Austausch an der HMKW. Ideen für das nächste Gesprächsthema gerne an redaktion@obacht-magazin.de __

Mit jener Forderung im Hinterkopf entwickelt sich eine interessante und lebhafte Diskussion. Innerhalb von zwei Stunden sprechen die Studierenden nicht nur über die Strukturen der IS-Terrormilizen, sondern auch über Sinn und Unsinn der westlichen Außenpolitik, die Rolle der Vereinten Nationen und dem Rechtsruck in Europa. So sehr die Ansichten der Studierenden auseinandergehen, in zwei Punkten

Wahlerfolg rechter oder rechtspopulistischer Parteien 19


leben – essay

wie der drang nach vollkommenheit unseren alltag bestimmt Film und Fernsehen kreieren das Bild eines perfekten Menschen. Die Gesellschaft reagiert darauf mit zwanghafter Selbstoptimierung. Wer aber bestimmt Ăźber SchĂśnheit und Erfolg?

gegenwart

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erfolg ausland praktika aussehen projekte


wie der drang nach vollkommenheit unseren alltag bestimmt – leben

Wenn ich an meinem Schreibtisch sitze und arbeite, rattert es in meinem Kopf. Ich fokussiere mich auf das, was ich schreibe, denn ich möchte, dass mein Artikel gut wird. Ich will, dass er besser wird als der letzte. Zumindest ein bisschen. Akribisch achte ich darauf, nicht wieder die gleichen doofen Fehler wie beim vergangenen Mal zu machen. Kaum habe ich den Artikel fertig geschrieben, denke ich darüber nach, was ich als Nächstes tun könnte. Ständig bin ich in Aufruhr, nur selten genieße ich die Momente der Gegenwart. Meine Gedanken kreisen um zukünftige Projekte, um Dinge, die ich noch unbedingt tun möchte. Sie kreisen um Dinge, die ich schon immer tun wollte. Und das Schlimmste ist: Täglich werden es mehr. Wenn ich mich mit meinen Freunden darüber unterhalte, was sie gerade tun und welche Pläne sie für die Zukunft schmieden, bekomme ich meist dieselben Antworten: Studieren. Praktika. Auslandsaufenthalt. Fast alle träumen sie von einem Job in einer hohen Position. Sind es Visionen und Ehrgeiz, die hier aufeinander treffen? Oder bloß jugendliche Engstirnigkeit? Idealismus ist das Stichwort, das uns bewegt und antreibt. Egal, in welcher Lebenslage. Der Idealismus ist eine selbstaufopfernde Verwirk-

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idealismus ist das stichwort, das uns bewegt und antreibt. egal, in welcher lebenslage. der idealismus gibt uns die linie vor, nach der wir unser dasein ausrichten.

text: robert rienass / layout: lisa hildebrandt

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lichung von Werten. Wir aber existieren in einer Gesellschaft, in der sich unser Idealismus letztlich nur auf ein großes Ziel ausrichtet: Die Selbstverwirklichung. Doch wir leben in einem Zeitalter, in der die Suche nach dem »Ich« einen großen Stellenwert hat. Egal, ob in den Medien, der Schule oder im Elternhaus, meist heißt es: "Geh‘ deinen Weg!". In Wahrheit gehen wir jedoch nie unseren eigenen Weg. Ständig orientieren wir uns an anderen. Wir suchen uns Vorbilder, Leute, die uns faszinieren, Menschen, deren Aussehen, Tun und Handeln uns so sehr inspirieren, dass wir genau so sein wollen wie sie. Oder besser. In der Bibel heißt es: »Vergleiche dich nicht mit anderen, denn es wird immer welche geben, die schwächer und stärker sind als du. Vergleichst du dich mit den Schwächeren, überkommt dich der Hoch-

mut und die Arroganz. Vergleichst du dich mit den Stärkeren, wirst du dir minderwertig und unvollkommen vorkommen.« Bezieht man diese Worte auf unsere Gegenwart, stellen sie uns vor eine schier unlösbare Aufgabe. Jeder vergleicht sich. Wenn auch nur

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doch aus dem ständigen vergleichen entsteht oft eine unzufriedenheit mit sich selbst und der unbedingte Wille zur selbstoptimierung.

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unbewusst. Das ist menschlich. Wie sonst sollten wir herausfinden, wer wir sind und was wir wollen? Wir haben eine Vorstellung von absoluter Vollkommenheit, die von Stars in Film und Fernsehen verstärkt wird. Wir wollen immer schöner, klüger und fitter sein. Wer aber sagt mir, ab wann ein Mensch schön ist, ab wann er klug und ab wann er fit ist? Für Länge, Gewicht und Temperaturen gibt es Maßeinheiten. Für Aussehen und Erfolg nicht. All diese Dinge liegen stets im Auge des Betrachters. All diese Beurteilungen sind subjektiv und doch beruhen sie auf allgemeingültigen Idealen. Keiner würde beispielsweise dementieren, dass ein schlanker muskulöser Körper dem allgemeinen Schönheitsideal entspricht. Und doch weichen die Meinungen voneinander ab, wenn es darum geht, ob jemand schlank und muskulös ist. Nur wenige Menschen besitzen viele Ideale, keiner besitzt sie alle. Diese Tatsache vergessen wir oft. Wir verdrängen, dass kein Mensch perfekt ist und dass es menschliche Vollkommenheit nur in Filmen gibt. Zwanghaft kämpfen wir für unsere Selbstoptimierung und sind dann doch frustriert, wenn unser Körper nach zwei Monaten Sport nicht dem von Jennifer Lopez oder Bruce Willis gleicht. Als hätten wir es nicht gewusst. __

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leben – reportage

bis zum erbrechen

Frank N. war erfolgreicher Bodybuilder. Jahrelang posierte er auf Deutschlands größten Bühnen, gewann mehrere Meisterschaften. Hartes Training und der Glaube an sich selbst führten ihn zum Erfolg. Doch der Ruhm hat seinen Preis.

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Vor wenigen Tagen hatte er eine Schulteroperation. Erst letztes Jahr wurde er an seinem rechten Schultergelenk im gleichen Krankenhaus in der Nähe von Berlin operiert. Doch nur ein Jahr später trat der stechende Schmerz auch im anderen Schultergelenk auf und so entschied er, sich ein weiteres Mal unter das Messer zu legen. »Ausgerechnet jetzt, wo ich wieder so gut in Form bin«, ächzt er, als er sich langsam auf den Rücken dreht, damit die Krankenschwester den Verband am Hals wechseln kann. Tribal-Tattoos und chinesische Schriftzeichen zieren seinen linken Arm, der in einer Schlinge vor seiner Brust fixiert ist. Er trägt einen weißen Kittel, der seinen braungebrannten Oberkörper verdeckt. Dennoch lässt sich erahnen, dass dahinter eine muskulöse Statur steckt. Die Krankenschwester klebt ein Pflaster aus dickem Stoff über die offene Stelle am Hals. Dann verlässt sie den Raum, in der Hand hält sie ein Tablett, auf dem Schlauch und Schmerzkatheter liegen. »Wenn meine Schulter verheilt ist, können die sich im Sportstudio warm anziehen«, quält er hervor. Frank N. war von 1985 bis 1991 erfolgreicher Bodybuilder. In dieser Zeit gewann er die Meisterschaften in Berlin und Hamburg. Sein größter Erfolg war der Sieg bei der Süddeutschen Meisterschaft 1991. Damals brachte er 92 Kilogramm pure Muskelmasse auf die Bühne. »Bodybuilding, das ist die Kunst, aus seinem Körper eine Skulptur zu fertigen«, erzählt er. Schon Arnold Schwarzenegger, einstiger Gouverneur von Kalifornien und ewiger Terminator, inszenierte sich in den 70er-Jahren als Statue und wurde 1975 im »Whitney Museum of American Art« in einer Performance ausgestellt. Die Faszination und Leidenschaft für den Sport erbte Frank N. von seinem verstorbenen Vater. Als Frank N. über ihn spricht, leuchten seine dunkelbraunen Augen. Er kratzt sich den leicht ergrauten Dreitagebart. Fast wirkt es so, als drücke er ein paar Tränen heraus. »Mein Papa hat immer zu mir gesagt, dass Mannschaftssportarten nur etwas für Flachzangen sind, weil man sich hinter der Leistung der Anderen verstecken kann.« Deshalb gab Frank N. trotz großer Erfolge den eher unbekannten Mannschaftssport Kanu-Polo auf. 1985 nahm er erstmals an den Berliner Bodybuilding-Meisterschaften teil. »Damals war ich noch ganz dünn, wog 68 Kilogramm und hatte einen 32er-Oberarm.

text: oliver przybilka / layout & illustration: tabea otto

Die grauen schweren Vorhänge rauben dem kleinen Raum das Tageslicht. Das Zugband der Jalousien, das aus kleinen weißen Plastikkügelchen besteht, baumelt langsam hin und her. Es piepst unaufhörlich, und der Fernseher taucht die Umgebung in ständigwechselnde Farben. Frank N. liegt in Embryostellung auf seinem Bett, das Gesicht schmerzverzerrt, die Zehenspitzen krampfhaft nach oben gezogen. »Das könnte kurz stechen«, sagt die Krankenschwester, die sich über ihn beugt und versucht, behutsam einen Schlauch aus seinem Hals zu ziehen. Frank N. gibt ein lautes Stöhnen von sich. Dann entspannen sich seine Gesichtszüge, die tiefen Furchen um seine Augen verschwinden und der Körper sinkt schlaff in die Matratze.


bis zum erbrechen – leben

Da konnte ich mich hinter einer Laterne umziehen. Ungefähr 6 Monate später brachte ich 92 Kilogramm auf die Waage«, sagt er und lacht laut, während er den Beistelltisch zu sich ans Bett zieht, um nach der Fernbedienung zu greifen. Die leise Stimme des Anglers im TV-Gerät, der über den Welsbestand in seinen heimischen Gewässern berichtet, erlischt, und das Farbenspiel im Raum weicht dem Tageslicht, als Frank N. die Jalousien wieder öffnet. »Ich habe am Tag zwei Kilogramm Magerquark, zwei Kilogramm Bananen und eine Stange Schokoriegel gegessen. So habe ich im Monat knapp 900 Mark nur für Essen ausgegeben. Natürlich habe ich auch Wachstumshormone genommen. Über die Menge würden sich heutige Bodybuilder allerdings kaputtlachen.« Um auf der Bühne »knochentrocken« auszusehen, wie er sagt, habe er jedoch sehr lange eine strikte Diät eingehalten. Keine Kohlenhydrate. Nur Eiweiß. »Ich hatte das Gefühl, dass ich am lebendigen Leib verhungere. Morgens habe ich mir immer ein großes Stück Putenfleisch in Aspik gekauft. Das Aspik habe ich weggeschnitten und nur die Putenfleischstücke gegessen.« Er schüttelt seinen kahl rasierten Kopf, als könne er nicht fassen, wie er das durchgehalten hat. Im Jahr der Meisterschaft starb sein Vater und größter Motivator. Frank N. faltet seine großen Hände, die vom Gewichtestemmen mit Hornhaut übersät sind, auf seinem Bauch zusammen, als wolle er beten. Mit leiser Stimme erzählt er, wie er auf der Trauerfeier Eiklar und Magerquark gegessen habe, während die Gäste das Fell versoffen. Er wollte das Bodybuilding nicht aufgeben, auch wenn die Leute ihn für verrückt hielten. »Wenn man etwas macht, dann macht man es richtig«, sagt er mit seiner lauten Stimme, den Blick zur Bettdecke gesenkt. Gerade in dieser schweren Zeit wollte er nicht nur sich, sondern besonders seinem Vater seine Willenskraft beweisen. Frank N. trainierte weiterhin zweimal am Tag. Den Schlüssel für das Sportstudio hatte er vom Besitzer bekommen. »Morgens um halb fünf aufstehen, Training von halb sechs bis halb acht. Danach für seine Ausbildung zum Elektrotechniker lernen und nochmal ins Sportstudio. Am Abend das Essen und Trinken für den folgenden Tag vorbereiten. Schlafen um Punkt 22 Uhr«, erinnert er sich. Viel Zeit für das Privatleben und intime Momente mit der Partnerin blieben bei solch einem strikten Ablauf nicht. Selbst als seine frühere Ehefrau mit ihrem ersten Kind schwanger war und in der gemeinsamen Wohnung die Wehen bekam, war er im Sportstudio. Für Frank N. bedeute Leistungssport purer Egoismus. »Entweder du passt dich an oder du bist falsch.« Frank N. betrachtet sich in der Vergangenheit als sportsüchtig. Die Motivation sei die eigene körperliche Veränderung, die man kontinuierlich voranschreiten sehen kann. Es macht ihn glücklich, an seinem Körper zu arbeiten. Dann schütte der Kör-

per Glückshormone aus und man könne nicht genug davon bekommen. »Es gibt keine bessere Droge als Sport. Natürlich ist es eine Form von Masochismus, denn je mehr es weh tut, desto besser fühlt es sich später an. Es gab kein Beintraining, bei dem ich nicht gekotzt habe. Training bis an die Grenze.«, erzählt er wieder mit strahlenden Augen. »Das Schlimme beim Bodybuilding ist, dass sich die Selbstwahrnehmung komplett verändert. Ich kann mich noch erinnern, dass ich mit knapp 109 Kilogramm vor dem Spiegel stand und mich fragte, was ich die letzten Jahre erreicht hatte. Ich fand mich immer noch zu dünn. Ich war fern jeder Realität.« Der Moment auf der Bühne hat ihm den Kick gegeben. Das Lob der Mitmenschen, die seine Mühe und Arbeit honorierten, überwältigten ihn. »Ich werde nie vergessen, als das Publikum bei meiner ersten Pose so angefangen hat zu brüllen, dass ich die Musik nicht mehr gehört habe.« Sein Blick schweift ab zum Fenster, das einen Blick auf die Havel und die umherfahrenden Boote offenbart. »Genau wie Schauspieler war ich süchtig nach dem Applaus.«, sagt er, ohne seinen Blick vom Fenster abzuwenden. Die Krankenschwester platzt mit dem Mittagessen in das Zimmer und reißt ihn aus seinen Gedanken. Er öffnet den grauen Plastikdeckel über dem Teller und schenkt sich ein Glas Wasser ein. Der Duft des Essens breitet sich in dem kleinen Zimmer aus. Frank N. versucht mühsam, eingeengt durch die Schlinge am Arm, die Gabel zum Mund zu führen, doch immer wieder fällt ihm etwas auf seinen weißen Kittel. Er flucht, während sich der Teller mit Reis und Putenfleisch langsam leert. »Wie in den guten alten Tagen«, sagt er und stopft den letzten Bissen in sich hinein. Doch auch jetzt unter Schmerzen, 24 Jahre nach seiner letzten großen Bühnenpräsenz, kommt seine Willenskraft zum Vorschein. Er trinkt das Glas Wasser aus. Den Pudding lässt er stehen. __

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leben – interview

schokolade stellt keine fragen!  Jana Crämer, erst Fan, dann Managerin der Band Luxuslärm, leidet an Esssucht. Binge-Eating, englisch für Essgelage oder Essanfall, lautet der Fachausdruck für ihre Krankheit. Nun hat sie ein Buch geschrieben, David Müller hat den Titelsong »Unvergleichlich« dazu komponiert. Im Interview spricht die 33-Jährige über ihre ganz eigene Art der Aufarbeitung und darüber, wie es ist, wenn man in keine Schublade passt. Jana, Du warst erst Fan, später wurdest Du Managerin der Band Luxuslärm. Wie ist Dir das gelungen? Ich bin mit meinen Mädels früher regelmäßig zu Konzerten von Cover-Bands gefahren. Auf einem dieser Konzerte ist dann auch Luxuslärm aufgetreten, und Jini, die Frontsängerin, hat mich mit ihrer Stimme völlig überwältigt. So kam es, dass wir immer dabei waren, wenn ein Konzert in der Nähe stattfand. Irgendwie haben Jini und ich uns dann angefreundet und ich habe alles gemacht, was man als Fan unterstützend machen kann. Ich habe Fanclubs und damals noch die Myspace-Seite organisiert. So ging das dann zwei Jahre und irgendwann haben mich dann der Produzent Götz, der Schlagzeuger Jan und Jini gefragt, ob ich nicht das Management von Luxuslärm übernehmen möchte. Obwohl ich noch studiert habe, kam es dann so dazu.

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Und was hast Du studiert? Hast Du dein Studium abgeschlossen? Ich habe nicht zu Ende studiert (lacht). Ich war für Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Psychologie eingeschrieben, aber auf einmal war dann diese Band da und die Sache mit dem Studium war sehr weit weg. Euer Video zu dem Titelsong »Unvergleichlich« ist sehr aufrüttelnd. Ist der Sänger, denn auch im echten Leben dein bester Freund? Ja, David ist wirklich mein bester Freund, also das ist kein PR-Gag. Er ist der Bassist von Luxuslärm. Anfangs mochten wir uns nicht. Ich kam immer mit Deadlines und Interviews und er war eher so der Hansdampf in allen Gassen. Angefreundet haben wir uns erst als wir auf Tour waren. Ich hatte eine Scheißphase mit dem Essen und mir ging es richtig mies. Obwohl ich mit niemandem darüber gesprochen habe, hat er es irgendwie gespürt.

War er denn auch der Erste, dem Du von deiner Krankheit erzählt hast? Nein, meine beste Freundin wusste es schon vorher und meine Mama hat es natürlich auch mitbekommen. Also, dass ich ein Problem mit dem Essen habe, hat jeder gewusst: ich habe immerhin 160 Kilogramm gewogen. Aber wie krass das wirklich war, wusste keiner. Nachdem David mein Buch gelesen hatte, wurde ihm dann erst richtig klar, dass ich in vielen Situationen, in denen wir zusammen auf Tour waren, im Hotelzimmer eine ordentliche Fressorgie veranstaltet und danach gekotzt habe. Ist es nicht so, dass Betroffene, die an Binge-Eating leiden, keine Gegenmaßnahmen zu ihren Essattacken ergreifen, also nach dem Essen zum Beispiel nicht erbrechen? Ja, wie immer versuchen die Deutschen alles in Schubladen zu stecken. Ich glaube die Übergänge sind fließend. Es gibt Monate, in denen ich nur esse und locker in sieben Tagen zehn bis fünfzehn Kilogramm zunehme. An einigen


schokolade stellt keine fragen!  – leben

Tagen esse ich so viel wie möglich und kotze danach so schnell wie es geht. Und dann gibt es Wochen in denen ich gar nichts esse. Diese ganzen Süchte, besonders bei den Essstörungen, kann man nierichtig trennen. Ob das jetzt Bulimie oder Binge-Eating ist, im Endeffekt haben wir Betroffenen alle eine Sucht, die mit dem Essen zu tun hat.

Nein. Vor ungefähr sechs Jahren habe ich den Entschluss gefasst, eine Therapie zu beginnen. Ich habe gedacht: Entweder du stirbst an deinem Übergewicht oder du tust etwas dagegen. Also habe ich all meinen Mut zusammen genommen und bin zu entsprechenden Ärzten gegangen. Da hieß es nur: Du hast kein typisches Binge-Eating-Syndrom, du hast keine typische Bulimie, auch keine Anorexie, so genau kann man das nicht sagen. Dann sitzt du da und denkst dir: Fuck, nicht einmal eine richtige Essstörung kriege ich. Ja, und dann hab ich einfach aufgegeben…

Gibt es konkrete Auslöser für die Essattacken? Nein. Ich muss keine schlechte Laune haben und niemand muss böse zu mir sein. Es kann auch an einem Tag passieren, an dem es mir gut geht, und plötzlich setzt bei mir einfach etwas aus. Es gibt wirklich keinen Grund.

Klar, das ist ja auch eine große Überwindung … Ja, ich war bei drei Ärzten. Beim ersten habe ich mir gedacht: Okay, der ist einfach nicht gut gewesen. Beim zweiten habe ich mir gedacht: Vielleicht muss ich noch offener sein. Beim dritten dachte ich mir: Das ist einfach nur scheiße.

Wann hast Du das erste Mal bemerkt, dass dein Essverhalten nicht normal ist? In meiner Jugend. Das erste Mal absichtlich übergeben habe ich mich mit 14. Ich war schon als Kind immer pummelig und wurde in der Schule gehänselt. Ich musste mit Jogginghosen her-

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wenn alle blöd zu mir waren, hat mich die schokolade getröstet. schokolade stellt keine fragen!

sein kann. Ich liebe es zu schwärmen und zu träumen. Da lasse ich mich einfach fallen. Ich tanze dann und es ist mir egal, ob mein dicker Hintern alle anderen wegstößt, dann sollen sie zur Seite gehen (lacht). Musik heilt einfach. __

binge - eating  Binge-Eating bezeichnet eine Essstörung, die durch wiederholte Essattacken gekennzeichnet ist. Die Betroffenen erleben einen starken Kontrollverlust. Nach den Essattacken werden sie von Schamund Ekelgefühlen geplagt. Aufgrund der Schamgefühle wird oft allein und heimlich gegessen. Nach einer Studie des Robert­ Koch-Institut aus dem Jahre 2013 leiden 0,1 % der Frauen und 0,1 % der Männer im Alter von 18 bis 79 Jahren an Binge-Eating. Von allen Essstörungen ist Binge-Eating am wenigsten erforscht.

«

Das sind ja erhebliche Gewichtsschwankungen in so wenigen Tagen … Ja, aber ich habe die letzten Tage auch gar nichts gegessen. Gar nichts? Nein, gar nichts. Aber ich habe im Momentauch wirklich keinen Hunger. Bist Du wegen deiner Krankheit in therapeutischer Behandlung?

Kannst Du Dir die Ursachen fur deine Esssucht selbst erklären? Ich glaube, dass ich dieses Suchtverhalten von meinem Vater gelernt habe. Mein Vater war starker Alkoholiker, er hat sich jeden Abend bis zur Bewusstlosigkeit betrunken. Der einzige Moment, in dem wir als Familie glücklich zusammen saßen, war beim Essen. Mit Sicherheit habe ich auch deswegen mit dem Frustfressen angefangen. Wenn alle blöd zu mir waren, hat mich die Schokolade getröstet. Schokolade stellt keine Fragen.

text: roxanne franz / layout: xenia-katharina kapp / fotos: ben wolf

umlaufen, weil die Jeans einfach nicht gepasst haben. Ich hatte nie wirklich eine normale Figur. Es gab mal eine Phase, in der war es okay. Damals habe ich bei einer Größe von 1,68 Metern etwa 75 Kilogramm gewogen, das war für mich schon super. Im Moment wiege ich 95,5 Kilogramm, vor fünf Tagen waren es noch 101.

Gibt es auch etwas in deinem Leben, bei dem Du für kurze Zeit alles vergessen kannst? Das gibt es tatsächlich. Wenn ich bei Konzerten mit meinem Mädels in der ersten Reihe stehe und im Publikum 25


feuilleton – portrait

zehn tage bürgerkrieg

» die weiter. nu st

Mit 24 Jahren gibt Hubertus Koch seinen Job beim Sportfernsehen auf, um im Frühjahr 2014 in Eigenregie die Dokumentation »Süchtig nach Jihad – der Film eines kleinen Jungen« über das syrische Flüchtlingslager Bab al-Salameh zu drehen.

vom fußball in den bürgerkrieg In München beendete Koch 2013 sein Bachelorstudium in Germanistik, den Master in Köln hat er abgebrochen. Auf seiner Facebook-Seite schreibt er »SCHOCK!!! ICH BIN AUS DER UNI GEFLOGEN! 2 Jahre nicht mehr dagewesen und jetzt das! Ich bin tief getroffen. Mein Lebenslauf ruiniert. Verbrannt für den Arbeitsmarkt. Mein Ruf dahin - nichts mehr mit »Germanistikstudent dreht Dokus«. Außerdem kündigt er an, er würde nun BWL an der Fernuniversität in Hagen studieren. Das stimmt natürlich beides nicht. Koch hat bewusst aufgehört, die Studienbeiträge zu zahlen, und er hat nicht vor BWL 26

zu studieren. Man kann nicht leugnen, bei ihm einen gewissen Sarkasmus zu bemerken. »Ich mag das Spiel mit der Wahrheit, die Leute sollen hinterfragen, was ich sage«, berichtet er. Auch während seinen Erzählungen scherzt Hubertus Koch gerne, dennoch lässt er keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit seines Tuns. Drei Jahre lang, während seines Bachelorstudiums, war Hubertus Koch Fußballjournalist, bis er seinen Job kündigte, Filmequipment kaufte und im März 2014 nach Syrien flog. Fußball sei ihm zu belanglos geworden, er wolle Dokumentarfilme drehen. Drei Monate lang bereitet er sich intensiv auf seine Reise vor. Er begleitet Mahmoud Dahi, den Vater einer ehemaligen Studienfreundin, nach Syrien. Dahi ist selbst als junger Erwachsener aus Syrien geflohen und leistet heute Flüchtlingshilfe vor Ort. Mit seiner Familie hat er den gemeinnützigen Verein. gegründet und organisiert den Bau von Flüchtlingslagern und einem Waisenhaus, stellt Hilfstransporte zusammen und bietet unbürokratische Soforthilfe. süchtig nach helfen »Wenn man einmal hingeschaut hat, dann kann man nicht mehr wegsehen«, sagt er. Im Film erklärt Mahmoud Dahi, dass er süchtig danach sei, zu helfen. Er

fährt immer wieder nach Syrien, um den Menschen dort Hoffnung zu geben. Er spricht auch über den Begriff Jihad. Er würde oft mit »Heiliger Krieg« übersetzt werden, passender wäre jedoch »Anstrengung auf dem Wege Gottes«, meint er. Die Flüchtlingshilfe sei Mahmouds eigener Jihad, seine eigene Art, den Islam zu leben, daher der Name des Films. Der kleine Junge im Untertitel ist Hubertus Koch. der filmemacher Zu Beginn der Dokumentation holt Koch seine Zuschauer ab. Er beginnt über sich und sein Leben zu reden. Er möchte, dass sich die Zuschauer mit ihm identifizieren können. Er nennt seine Generation die Generation »Komasaufen«. Man sieht ihn, wie er Alkohol trinkt und mit seinen Freunden nach Amsterdam fährt. Im Interview sagt er mir: »Ich bin nicht Generation Komasaufen, aber ich wurde immer so genannt.« Seine Absicht mit solchen Aussagen ist, die Dokumentation medienwirksam zu inszenieren. Hubertus Koch sieht sich eher als Filmemacher. In die Dokumentation baut er viele Zitate und Anspielungen auf den Film »Fight Club« ein. Es scheint, der Film habe es ihm angetan, denn auch seine Bachelorarbeit hatte er über »Fight Club« geschrieben.

text: liesa alker / layout: bastian ötken / foto: hubertus koch

Schwarzer Mantel, kurze blonde Haare und ein kurzer Bart. Unter seinem Mantel trägt er eine bunte Adidas-Jacke. Hubertus Koch fällt auf der Straße kaum auf. Sein Händedruck ist fest. Im Gespräch lässt er mich fast nie aus den Augen. Der heute 26-Jährige erzählt, dass er direkt von einem Dreh für Stern-TV am LaGeSo kommt, dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin. Dort warten Flüchtlinge Tag und Nacht, um ihren Asyltermin wahrzunehmen, Unterstützung für ihre Arztkosten zu beantragen oder ihr Taschengeld abzuholen.


zehn tage bürgerkrieg – feuilleton

e welt dreht sich ganz normal ur deine welt bleibt eine weile ehen, wenn du in syrien warst « spielen in der kloake Nur 10 Tage ist Hubertus Koch in Syrien, wobei er einen Großteil der Zeit in der Türkei an der Grenze zu Syrien verbringt. In diesen 10 Tagen begleitet er Mahmoud Dahi in das syrische Flüchtlingslager Bab al-Salameh. Dort suchen tausende Menschen Zuflucht vor dem Bürgerkrieg, der seit 2011 in Syrien wütet. Außerdem trifft Hubertus Koch syrische Rebellen, die gegen das Assad-Regime kämpfen, unter ihnen auch kleine Jungen. Koch verwendet in seiner Dokumentation extreme Bilder. Überall sind Kinder. Kinder, die an Überresten eines gesprengten Autos spielen. Kinder, die durch Fäkalien stapfen. Kinder, die »Allahu akbar«, übersetzt »Gott ist groß« rufen. Manche von ihnen haben Verbrennungen, Beulen oder offene Wunden. In dem Flüchtlingslager gibt es weder medizinische Versorgung, noch hygienische Einrichtungen. Es ist eine humanitäre Katastrophe. Dreck und Elend, soweit das Auge reicht. Hubertus Koch steht abwechselnd vor und hinter der Kamera, nimmt den Zuschauer mit durch den Dreck und das Elend. Im Film muss Koch weinen, er verzweifelt und klagt an. Er schneidet solche Szenen bewusst nicht raus, sondern hält mit der Kamera direkt drauf. Durch die Nähe zum Geschehen und Kochs Authentizität geht die Wut, Frustration und Hilflosigkeit schnell auf den Zuschauer über. »die welt dreht sich ganz normal weiter. nur deine welt bleibt eine weile stehen, wenn du in syrien warst.« Als er aus Syrien zurückkommt, kann er mit seiner Umwelt wenig anfangen.

Während er das Filmmaterial bearbeitet, kommen ihm Themen, die seinen Freunden wichtig sind, nebensächlich vor. »Deutschland ist eine rosarote Welt aus Watte«, das wird ihm während des Schnitts immer bewusster. Die humanitäre Krise dort hat für Koch in dieser Zeit Priorität. Er ist süchtig nach Informationen. Süchtig danach, alles zu wissen und auf dem Laufenden zu bleiben. «Ich hatte alle möglichen Seiten von Aktivisten und Bürgerjournalisten abonniert, mein Facebook- Feed war voll von zerfetzten Kindern und Luftangriffen«, sagt Hubertus Koch. Irgendwann wurde ihm der Informationsüberfluss zu viel und er konzentrierte sich auf die Bearbeitung des Films. »Ich habe genug gesehen, mit dem ich klarkommen muss«, sagt er. Den Film hat er selbst geschnitten, Geld bekam er für seine Arbeit nicht. Er bietet ihn kostenlos auf dem YouTube-Channel zqnce an. Auch im Fernsehen wird »Süchtig nach Jihad« gezeigt. Hubertus Koch will so viele Menschen wie möglich erreichen. »man muss die sache mit den medien genauso hinterfragen, wie man mich hinterfragen soll, diesen film hinterfragen soll.« Hubertus Koch ist sich bewusst, dass seine Dokumentation kein objektiver Journalismus ist »Es gibt nicht die eine Wahrheit. Auch ich zeige nur einen Ausschnitt, lasse viel weg und zeige eine eindeutige Tendenz.« Durch die vielen Gefühlsausbrüche ist sein Film hoch emotionalisiert. Er will die Leute durch das Mitfühlen zum Nachdenken bewegen. Doch bloß weil er 10 Tage in Syrien war, hält Koch sich nicht für einen Experten. Beim Thema Politik hält er sich zurück. «Ich hab die Weis-

heit nicht mit Löffeln gefressen, ich weiß nicht, wie es mit Syrien weitergeht«, verrät er. Trotzdem will Hubertus Koch die Menschen aus ihrem politikverdrossenen Dornröschenschlaf aufwecken. Auf seiner Internetseite schreibt er: »Ich will den Zuschauer nicht wie dummes Vieh behandeln, sondern fordern, ohne dabei elitär und belehrend zu sein. Dabei erzähle ich subjektiv und teile meine eigenen Erfahrungen. Der Spagat zwischen filmischer Selbstverwirklichung und Information ist dabei immer ein Spagat zwischen Emotion und Ratio«, sagt Hubertus Koch. Auch Koch dachte vor der Syrienreise kaum an Politik. In der momentanen Flüchtlingskrise sieht er eine Chance, dass junge Menschen sich wieder für das Zeitgeschehen interessieren. kein fußball mehr Zurück zum Sportjournalismus will Hubertus Koch nicht. Derzeit schreibt er an einem Buch über seine Erlebnisse in Syrien, um das Gesehene zu verarbeiten. Zeitgleich arbeitet er an vielen verschiedenen Projekten, war zu Gast bei Markus Lanz, gibt Interviews, arbeitet zusammen mit ARD, ZDF und dem Stern. Doch wenn sein Film gezeigt wird, verlässt er mittlerweile den Raum. Er ist es leid, immer die gleichen Fragen zu beantworten. Außerdem sagt Koch, man müsse seine Person und den Film auseinander halten: »Ich bin nicht der Syrientyp!«. In Zukunft will er auch auf andere Themen eingehen, aber wohin seine Reise geht, weiß er noch nicht genau. Er wirkt erschöpft, reibt sich die Augen. Es ist halb elf abends. Koch will noch einmal zurück zum LaGeSo, die Lage der Flüchtlinge filmen. Ob er heute Nacht noch Schlaf bekommt, weiß er nicht. __ 27


berlin – glosse

noch 'ne nase, volle kasse! so viel drogen konsumiert der deutsche

Wer nimmt was und wie viel? Wie beliebt sind Drogen in der deutschen Techno-Metropole? Und was hat eigentlich unser IQ mit dem Genuss von Rauschmitteln zu tun?

Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht hat zwischen 2005 und 2011 mehr als 160 neue psychoaktive Substanzen entdeckt. Der Deutsche konsumiert mindestens 219.00 Kilogramm Drogen pro Jahr. Jede Woche kommt eine neue Designer-Droge hinzu. Zwei bis vier Millionen Deutsche rauchen regelmäßig Cannabis. Laut Bundesregierung koksen rund 400.000 Menschen mindestens einmal pro Jahr. Auch die Zahl der Erstkonsumenten von Crystal Meth steigt kontinuierlich, zuletzt laut Drogenbericht der Bundesregierung auf 3138 (Stand: 2014). Doch die beliebteste Droge ist nach wie vor der altbewährte Alkohol. 9,7 Liter kippt sich jeder Deutsche jährlich hinter die Binde. Aus  diesem Quell entspringen 1,8 Millionen Säufer und als hätte man es nicht geahnt, hat Berlin die Nase ganz weit vorne. Hier schniefen, spritzen und schlucken wir am meisten. 96 % der Berliner haben mindestens schon einmal Alkohol getrunken, noch 4 % dazu und die Hauptstadt kann in Eintracht die Gläser heben. Laut der Berliner Suchthilfestatistik liegt auch der Wert für Kokainkonsum in Berlin etwa 133 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Doch alles kein Problem! Nur jeder achte Berliner hat einen problematischen Substanzkonsum. Noch ‘ne Nase, volle Kasse! In Diskotheken wird die Akzeptanz gegenüber dem Drogenmissbrauch immer größer. Die Berliner Clubbesitzer stellen sich darauf ein und bieten Chill-out-Areas und Gratisobst für Druffis an. Der Konsum von harten Drogen zieht sich dabei durch alle gesellschaft-

alltäglich wie pizza: zwei bis vier millionen deutsche rauchen regelmäßig cannabis

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noch 'ne nase, volle kasse! – berlin

3.331.005 berliner haben schon einmal im leben alkohol getrunken. noch 4 % mehr und ganz berlin kann in eintracht die gläser heben

lichen Schichten. Egal ob Richter, Student oder Fabrikarbeiter: Fast jeder hat schon Erfahrungen mit illegalen Substanzen gemacht.

text: keshia luna biedermann / layout & illustration: trad burmawi

Im Jahr 2014 fand man in einer Berliner Aldi-Filiale 140 Kilogramm Kokain, verstaut in einer Bananenkiste. Diese Menge würde reichen, um fünf Pottwale zu lobotomisieren oder das gesamte Trinkwasser einer Stadt zu vergiften. Wer Lust auf ein Feuerwerk hat, könnte mit so viel Rauschgift ganz Berlin in die Luft sprengen, da bei der Herstellung von Kokain ein hochexplosives Ammoniakverfahren genutzt wird. Warum haben die Deutschen so einen Faible für Rauschzustände? Weil wir einfach überdurchschnittlich intelligent sind. Britische Forscher veröffentlichten eine zwischen 1970 und 2011 durchgeführte Studie mit 8000 Probanden. Diese beweist einen Zusammenhang zwischen hoher Intelligenz im Kindesalter und späterem Konsum von illegalen Substanzen. Bei Männern, die im Kindesalter einen überdurchschnittlichen IQ hatten, war die Wahrscheinlichkeit des Konsums von Ecstasy und Amphetaminen um 50 Prozent als bei Probanden mit einem normalen IQ. Besonders interessant: Wenn bei Mädchen im Kindesalter ein überdurchschnittlicher IQ festgestellt wurde, war die Tendenz für den Konsum von Cannabis und Kokain doppelt so hoch als bei männlichen Probanden mit einem höheren IQ. Vielleicht erklärt das, warum etwa 600.000 Deutsche täglich illegale Substanzen zu sich nehmen. Weil wir einfach schlauer sind. __

menschen mit einem höheren iq neigen eher zum drogenkonsum 29


berlin – eventkalender

eventkalender 01 apr

Filmemacher und Fotograf aus München, bekannt für seine Filminstallation „Manifesto“. was Ausstellung wann April 2016 wo Hamburger Bahnhof

oscars. rollen. bilder.

01 apr

22 apr

was Messe wann Vom 22. bis 23. April 2016 wo Russisches Haus der Wissenschaft und Kultur

elias

22 apr

Ist Lobbyismus eine Gefahr für die Demokratie? Politisches Seminar für junge Erwachsene. Anmeldung erforderlich. Kosten: 45,- Euro. was Seminar wann Vom 29. April bis 1. Mai 2016 wo Alte Feuerwache in Kreuzberg 30

Die Gospel-Stimme des 19-jährigen Schweden entfaltet seine Wirkung auf balladesken Klavierund Streicherarrangements. Ein Mix aus Autre Ne Veut, FKA twigs und Otis Redding.

tipp

17

mai

was Konzert wann 17. Mai 2016 um 20 Uhr wo Kantine am Berghain

was Konzert wann 22. April 2016 um 21:00 Uhr wo Heimathafen Neukölln

lobbyismus

16

mai

was Ballett wann 16. Mai 2016 um 18:00 Uhr wo Deutsche Oper

Eine Messe für Studium, Praktikum, Jobeinstieg und Weiterbildung.

Der britische Künstler ist berühmt für seine ästhetische Kombination aus Deephouse, Neo-Soul und kontemporären R&B-Klängen.

romeo und julia Die legendäre Liebesgeschichte mit Musik von Sergei Prokofjew.

was Ausstellung wann April 2016 wo Deutsche Kinemathek

jamie woon

rachmaninow Trio elegiaque Nr.1 in g-moll schostakowitsch Trio Nr. 2 op. 67 tschaikowsky Trio op. 50 in a-moll

01

mai

was Konzert wann 1. Mai 2016 um 20:30 Uhr wo Pianosalon Christophori

Eine Hommage an Oscar-Preisträgerinnen seit den 1930er-Jahren. Starring: Katharine Hepburn, Kate Winslet, Ingrid Bergman.

studyworld 2016

klaviertrio

29 apr

frauen in führungsetagen Ein Vortrag der Unternehmerin Henrike von Platen. Eintritt nur für Frauen. was Vortrag wann 23. Mai 2016 um 20 Uhr wo EWA-Frauenzentrum

23 mai

recherche: thorsten gutmann & ciara mac gowan / layout: xenia-katharina kapp, bastian ötken & tom reed / foto: warner music group / ELIAS

julian rosefeldt


impressum

impressum Das Studierendenmagazin der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Berlin. Es ist interdisziplinär und selbstorganisiert. Berichterstattung über Stadtleben, Campus und Zeitgeschehen. Erstmals seit 2016.

chefredakteur

stellv. chefredakteurin

art director

chef vom dienst

redaktion

grafik & layout

Thorsten Gutmann (hrsgb.)

Bastian Ötken

Liesa Alker Keshia Biedermann Alina Boie Roxanne Franz Laura Kirsten Shana Koch Paulina Noah Oliver Przybilka

Ciara Mac Gowan (hrsgb.)

Robert Rienass

Trad Burmawi Leyla Demirhan Lisa Hildebrandt Tina Kamyab Xenia-Katharina Kapp Tim Kirchner Tabea Otto Tom Reed Daniel Schreck

verleger

Thorsten Gutmann (v.i.s.d.p.)

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Amar Priganica

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Leyla Demirhan Daniel Schreck Bastian Ötken

kontakt

obacht_ magazin Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft Ackerstraße 76, 13355 Berlin www.obacht-magazin.de // www.hmkw.de facebook.com/obachtmagazin E-Mail: redaktion@obacht-magazin.de Telefon: +49 (0)157-31 85 1996

druck

brandenburgische universitätsdruckerei und verlagsgesellschaft potsdam mbh karl-liebknecht-straße 24/25, 14476 Potsdam Die nächste Ausgabe von obacht_ erscheint am 19. Mai 2016. Die Artikel und Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wider. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird keine Haftung übernommen. Nachdruck und Vervielfältigung nur nach vorheriger Genehmigung. 31


Die Münze entscheidet. Zahl für Chillen. Kopf für Prince Charles. Sie fliegt durch den Raum. Kopf. Fünf Gin Tonic später. Wieso haben wir immer noch keine Studentenzeitung? Lass uns was ändern. Der Morgen danach. Schlimme Kopfschmerzen und Fast Food. Ein paar Monate später. Unsere Redaktion im wilden Wedding. Elf Journalisten. Zwölf Grafiker. Alles am Start zwischen Erstsemestler und Chefredakteurin eines Rap-Magazins. Fast niemand kennt sich. Eine Schnapsidee? Egal. Der Plan: Ein Magazin. Mit Bildchen und schönen Texten. Die Grafiker legen Schrift und Raster fest. Dann darf jeder Mensch tun, was er will. Oha, denke ich. Schreiben, fotografieren, redigieren, visualisieren, zeichnen, genervt sein, sich freuen. Am Ende: Die Party. Gin Tonic. __

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