opernhaus z端rich
The Vertiginous Thrill of Exactitude William Forsythe
Duo Concertant George Balanchine
Duo aus 27’52’’ Jiří Kylián
In Spillville Heinz Spoerli
opernhaus zürich
Heinz Spoerli im Gespräch
Ein weitgespannter Bogen – der neue vierteilige Ballettabend Sie spannen einen weiten Bogen für den ersten Ballettabend der Saison – Ihrer letzten am Opernhaus Zürich –, indem Sie eine Choreografie des Grossmeisters der Neoklassik, George Balanchine, aus dem Jahr 1972 mit Arbeiten von William Forsythe und Jiří Kylián, entstanden 1996 und 2002, kombinieren, denen Sie schliesslich Ihre eigene neueste Kreation an die Seite stellen (davon soll im zweiten Teil des Gesprächs die Rede sein). Wie kam es zu dieser Kombination? Ich wollte einen Abend zusammenstellen, der kurzweilig und spannend ist, und ich wollte zusammen mit Balanchine heutige Meister des Tanzes präsentieren. Als nächste Premiere wird es ja noch Tschaikowskis «Dornröschen» in der Choreografie von Mats Ek, eines weiteren zeitgenössischen Meisters des Tanzes, geben. Mit diesen verschiedenen Handschriften möchte in meiner letzten Spielzeit als Direktor des Zürcher Balletts noch einmal zeigen, was meine Kompanie zu leisten imstande ist. Abgerundet wird dieses Panorama dann im Frühjahr mit meinem letzten Abend für das Opernhaus Zürich.
George Balanchine hat für sich immer das Ideal formuliert, mit seinen Choreografien Musik in Bewegung umzusetzen. Als schönes Zeichen hierfür beginnt er «Duo Concertant» damit, dass die Tänzer bei den Musikern hinter dem Flügel stehen und der Musik von Strawinsky zunächst nur zuhören, bevor sie tänzerisch darauf reagieren. Wie weit würden Sie diesem Anspruch an Tanz folgen wollen? Ich glaube, was mein eigenes Schaffen betrifft, bin ich dem immer gefolgt im Laufe der Jahre. Natürlich bin ich geprägt von Balanchine, den ich auf dem Höhepunkt seiner Kunst noch selbst erleben durfte während meiner Ausbildung in Amerika. Ich hege grossen Respekt vor ihm, bewundere ihn bis heute und bin ganz sicher beeinflusst von seinem Schaffen.
Auch William Forsythe setzt in seiner analytischen Auseinandersetzung mit der Formensprache des klassischen Balletts bei Balanchine an, was bei «The Vertiginous Thrill of Exactitude» ganz stark spürbar ist. Ihm geht es dabei jedoch nicht so sehr darum, die Musik in Tanz zu übersetzen; Forsythes Ausgangspunkt könnte man vielleicht mit dem Satz umschreiben: «Tanz drückt nichts aus als sich selbst.» Wie stehen Sie zu dieser Haltung?
opernhaus zürich
Forsythe hat sich intensiv mit Balanchine beschäftigt. Den Höhepunkt dieser Auseinandersetzung hat er mit dem Stück «In the Middle ... Somewhat Elevated» erreicht. Ich würde sagen, er ist den Weg Balanchines weitergegangen und hat, inspiriert von Balanchine, den klassischen Tanz auf eine neue Höhe getrieben. Dabei hat er einen wunderbaren Stil entwickelt, der inzwischen auf der ganzen Welt schon wieder vielfach imitiert worden ist. William Forsythe ist auf jeden Fall ein Mann des grossen Tanzes.
In seinem Stück «27’52’’» verlangt Jiří Kylián den Tänzern viel an persönlichem Ausdruck und schonungsloser Offenbarung intimer Emotionen ab. Hier weist der Tanz also weit über sich hinaus, will Seelenzustände ausdrücken. Die elektronische Musik von Dirk Haubrich verarbeitet Motive des Spätromantikers Gustav Mahler, dessen Musik man, ähnlich wie Kyliáns Tanz, als bis zum Zerreissen gespannt beschreiben könnte. Was können Sie diesem radikal persönlichen Ausdruckswillen abgewinnen? Auch bei Jiří Kylián ist die Bewegung immer noch Tanz. Es ist nicht Tanztheater. Beziehungen werden ausgeleuchtet: ein Paar, das sich sucht und verliert. Das drückt sich vielleicht in einer anderen Form aus, als man es von klassischen Pas de deux kennt, aber es bleibt im Duktus des Tanzes. Das ist für mich wichtig. Von daher ist die Erarbeitung von Stücken dieser beiden Choreografen – Jiří Kylián und William Forsythe – ebenso wie auch von Mats Ek eine wichtige Bereicherung für die Kompanie des Zürcher Balletts und hoffentlich auch für das Publikum.
Das Gespräch führte Konrad Kuhn
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Heinz Spoerli im Gespräch über sein neues Ballett
Sehnsucht nach Zweisamkeit Vor zwei Jahren haben Sie sich mit dem Streichquartett «Lettres intimes» von Janácek beschäftigt. Nun wenden Sie sich mit Antonín Dvoráks F-Dur-Streichquartett op. 96 einem weiteren Werk aus der böhmischen Tradition zu. Empfinden Sie eine besondere Nähe zum Klang der tschechischen Musik? Dazu muss ich sagen, dass ein Abend mit drei Choreografien von mir zu Streichquartetten geplant ist. Dieser Abend wird «Lettres intimes» von Janácek und «Der Tod und das Mädchen» von Schubert vereinen, zwei Quartette, die ich 2009 und 2010 choreografiert habe. Um diese beiden sehr dramatischen Werke miteinander zu verbinden, suchte ich ein Werk, das eher vermittelnd dazwischen stehen kann. Da bot sich das «Amerikanische Quartett» von Dvořák an, das weniger dramatisch aufgeladen ist.
Mit dem Titel «In Spillville» nehmen Sie Bezug auf den Ort der Entstehung von Dvořák «Amerikanischem Streichquartett». Dvořák lebte damals in den USA. Er schrieb das Quartett innerhalb weniger Tage während eines sommerlichen Ferienaufenthaltes in der von tschechischen Auswanderern gegründeten Ortschaft Spillville im Bundesstaat Iowa, inmitten der Weiten des Mittleren Westens. Dvořák fühlte sich hier an seine böhmische Heimat erinnert, nahm aber auch Rhythmen der Indianer auf, die ihm dort begegneten. Im Finalsatz kann man schliesslich Anklänge an das Orgelspiel heraushören, das der Komponist allmorgendlich in der Dorfkirche von Spillville pflegte. Stand Ihnen dieses ländliche Idyll, das Dvořák zu seinem Werk inspirierte, bei der choreografischen Arbeit vor Augen? Das kann ich nicht sagen. Für mich steht eher die Verwandtschaft zur Sinfonie «Aus der Neuen Welt» im Vordergrund. Der Einfluss der amerikanischen Musik ist für mich stark spürbar in diesem Streichquartett. Bei der Arbeit an der Choreografie habe ich mich weniger auf die Situation des Komponisten während der Entstehungszeit bezogen, sondern die Musik vielmehr auf einer abstrakteren Ebene in Tanz übersetzt.
Zum zweiten Satz von Dvořáks Streichquartett, einem elegisch ausgesungenen «Lento», haben Sie einen sehr innigen Pas de deux choreografiert. Sehnsucht und Erfüllung scheinen sich hier sehr nah zu kommen. Könnte man von einer versöhnlichen Stimmung, in der alle Kämpfe des Lebens in ein abgeklärtes Lächeln übergehen, sprechen? Auf jeden Fall. Von Dvořák ausgehend, habe ich in diesem Satz die Sehnsucht nach seiner fernen Heimat verspürt. Und auch die Sehnsucht nach Zweisamkeit. Beide Empfindungen machen es zu einer sehr dankbaren Musik für mich als Choreografen. Die Arbeit an meinem Stück «In Spillville» hat mir viel Spass gemacht. Das Gespräch führte Konrad Kuhn
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