Ariadne auf Naxos

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ARIADNE AUF NAXOS

RICHARD STRAUSS

ARIADNE AUF NAXOS

RICHARD STRAUSS (1864–1949)

Mit freundlicher Unterstützung der Freunde der Oper Zürich

HANDLUNG

Vorspiel

Ein junger Komponist hat für eine festliche Soirée die tragische Oper Ariadne auf Naxos komponiert. Er ist ausser sich, als er von seinem Musiklehrer unmittelbar vor der Aufführung erfährt, dass der Auftraggeber des Werks entschieden hat, seinen Gästen im Anschluss an die Oper auch noch eine Komödie mit Tanzeinlagen zu präsentieren. Die Komödiantentruppe, bestehend aus Zerbinetta und ihren Partnern, ist bereits dafür engagiert.

Die Primadonna der Oper und die Komödianten treffen aufeinander. Während sich Zerbinetta und der Tanzmeister über die langweilige Oper lustig machen, beruhigt der Musiklehrer die Primadonna: Ariadne sei die Hauptattraktion des Abends. Da lässt der Herr des Hauses erneut eine Planänderung verkünden. Zum Entsetzen aller sollen aus Zeitgründen – und um den jämmerlichen Schauplatz der «wüsten Insel» Naxos zu bevölkern – nunmehr beide Stücke gleichzeitig gezeigt werden.

Der Komponist fühlt sich und seine Kunst verhöhnt und will gehen. Der Musiklehrer gibt zu bedenken, dass sie beide das Honorar dringend benötigen und die Launen des Auftraggebers wohl erdulden müssen. Auch der Tanzmeister empfiehlt dem Komponisten, die Oper durch Umarbeitungen zu retten. Er verweist auf die Improvisationskunst der Komödianten und beginnt, Zerbinetta über den Handlungsrahmen der Oper zu orientieren.

Als der Komponist die beiden unterbricht und das tiefere künstlerische Anliegen seiner Oper erläutert, ist Zerbinetta beeindruckt von der Leidenschaft und visionären Kraft des jungen Künstlers. Sie gesteht ihm, sich zuweilen genauso einsam zu fühlen, wie die von ihm geschaffene Figur Ariadne. Auch sie sehnt sich – entgegen ihrem Ruf als «ungetreue Zerbinetta» – nach der einen grossen Liebe. Der Komponist, von der jungen Frau hingerissen, sieht das Leben plötzlich in leuchtenden Farben. Doch das jähe Auftreten der Komödianten holt ihn in die Realität zurück mit der unmittelbar bevorstehenden Zerstörung seines Werkes durch die beginnende Aufführung.

Die Nymphen Najade, Dryade und Echo kommentieren Ariadnes trostlosen Zustand, die – von Theseus verlassen – in ihrer tiefen Trauer nur noch das Vergessen sucht. Den einzigen Ausweg, ihren Schmerz zu tilgen, sieht sie im Tod.

Vergeblich versuchen Zerbinetta und ihre Partner Harlekin, Brighella, Scaramuccio und Truffaldin, Ariadne aufzuheitern – doch Ariadnes Todeswunsch nimmt immer grössere Ausmasse an. Auch als Zerbinetta alleine mit ihr ist und sie mit der Aussicht auf eine neue Liebe trösten möchte, bleibt Ariadne ungerührt und zieht sich zurück. Schliesslich verkündet Zerbinetta ihr eigenes Lebensprinzip des steten Wandels und amüsiert sich mit ihren vier Verehrern, von denen letztlich Harlekin das Rennen macht.

Die Nymphen künden die Ankunft eines Gottes an: Es ist Bacchus, der gerade den Verführungskünsten der Zauberin Circe entkommen ist. Ariadne, berührt von seiner Stimme, glaubt in ihm den lange ersehnten Todesboten Hermes zu erkennen. Auch Bacchus, der anfangs fürchtet, bei Ariadne in die Fänge einer zweiten Circe geraten zu sein, fühlt sich von ihr angezogen. In der Begegnung und im gegenseitigen Missverstehen vollzieht sich jedoch bei beiden eine Verwandlung: Was den Künsten der Circe misslungen war, erlebt Bachus jetzt neu im Gefühl einer beginnenden Liebe. Auch Ariadne entdeckt ihre erneute Liebesfähigkeit – wie es Zerbinetta prophezeit hat.

EIN DING WÄCHST

SO LEICHT INS ANDERE

Der Regisseur Andreas Homoki im Gespräch

Andreas, du hast alle wichtigen Opern von Richard Strauss inszeniert. Was fasziniert dich so an diesem Komponisten?

Ich habe meine Laufbahn mit Strauss begonnen, als ich als junger Regisseur in Genf die Chance bekam, die Frau ohne Schatten zu inszenieren. Kein einfaches Stück, aber ich mochte von Anfang an diese Emotionalität und Wucht, die in seiner Musik steckt. Auch die Komplexität seiner Kompositionen oder die polyphone Schreibweise schrecken mich nicht ab – im Gegenteil.

Das verdanke ich auch meinem Vater, der Klarinettist im Orchester war. Die Orchestermusiker lieben Strauss! Er fordert sie, und es gibt immer etwas zu entdecken.

Gleichzeitig war Strauss, der ja vor allem als Operndirigent tätig war und wie Gustav Mahler nur in den Sommermonaten komponierte, durch und durch Theaterpraktiker.

Strauss hatte einen unglaublichen Instinkt für die theatralen Situationen, für den dramaturgischen Aufbau. Das kann man schön im Briefwechsel zwischen ihm und seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal nachlesen, wenn er zum Beispiel bei einem Duett noch vier zusätzliche Zeilen verlangt, um den richtigen Spannungsbogen zu bekommen. Strauss gibt ihm dann auch gleich den Rhythmus vor: Dideldumm, dideldumm, dideldumm.

Ein Beispiel für so einen genialen dramaturgischen Ablauf findet sich auch im Ariadne­Vorspiel in der kleinen Liebesszene zwischen dem Komponisten und Zerbinetta. Haben wir zuvor chaotische Zustände auf der Bühne erlebt, ist plötzlich alles konzentriert auf einen höchst intimen Moment zwischen den beiden. Die Szene wird zu einem lyrischen Höhepunkt des Werks.

Danach bricht erneut das theatrale Chaos aus. Das ist irrsinnig gut gebaut.

Es heisst, die Ariadne auf Naxos sei Strauss’ und Hofmannsthals ausgeklügeltste und raffinierteste Oper. Ist die Ariadne ein Werk für Kenner? Ich mag das Wort «Kenner» nicht. Aber es stimmt natürlich: Strauss ist generell nicht so zugänglich wie etwa Puccini, und man braucht vielleicht eine Weile, bis man alles versteht und in diese Welt hineinfindet. Die Ariadne ist in der Tat sehr tiefsinnig, sie hat doppelte, ja dreifache Böden. Aber gleichzeitig ist sie spannend, komisch, eingängig­melodiös und sehr unterhaltsam. Ich mochte die Ariadne schon immer, aber dass es so ein gutes Stück ist, entdecke ich jetzt bei der intensiven Beschäftigung mit dieser Oper umso mehr.

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Strauss und Hofmannsthal begannen unmittelbar nach dem Rosenkavalier mit der Arbeit an der Ariadne. Hofmannsthal, der mit dem musikalischen Ergebnis im Rosenkavalier nicht restlos zufrieden war, schwebten in der Ariadne feinere, Mozart-ähnlichere Farben vor und vor allem mehr stilistische Kontraste. Hier sollten, so eine der ersten Ideen Hofmannsthals, zwei extrem unterschiedliche Kunstwelten aufeinandertreffen, die Commedia dell’arte und Figuren aus der Mythologie… Ariadne auf Naxos ist ein Werk der Gegensätze geworden, sowohl inhaltlich als auch musikalisch. Die Oper ist ein komplexes Amalgan zwischen Alltagswelt und Oper, zwischen Trivialem und Erhabenem, zwischen Komödie und Tragödie. Strauss schrieb die Ariadne für ein Kammerorchester, da das Stück in seiner ersten Fassung mit einem Schauspiel von Molière gekoppelt war und in kleineren Häusern hätte aufgeführt werden sollen. Mit seinem kleinen Orchester geht Strauss nun ganz ins Rezitativische, er kann brüchiger, transparenter komponieren als üblich. Die musikalischen Gegensätze – operettenhafte Leichtigkeit oder dramatischer Operngestus – treten dadurch umso deutlicher zutage.

Worum geht es in Ariadne auf Naxos?

Ich finde den Stoff der Ariadne wunderschön. Es ist eine geradlinige Geschichte und handelt von Ariadne, die von ihrem Mann Theseus verlassen wurde und sich nun eigentlich nichts sehnlicher als den Tod wünscht. Als der Gott Bacchus erscheint, glaubt sie, in ihm den Todesboten zu erkennen.

Zunächst reden die beiden völlig aneinander vorbei, aber schliesslich findet in der Begegnung der beiden eine Transformation statt. Bacchus führt sie aus der Trauer und ihrer hoffnungslosen Situation heraus. Ariadne wird wieder neu geboren, aber auch Bacchus, der Halbgott, Sohn von Zeus und der Sterblichen Semele, wird durch diese Begegnung zum Gott, weil er Ariadne in ein neues Leben geführt hat. Eine fantastische Schlussszene. Die Ariadne ist jedoch ein Stück im Stück: Ihr geht eine Backstage­Komödie voraus, bei der der Komponist der Ariadne­Oper im Zentrum steht und uns und den Darstellenden auch gleich seine Ariadne erklärt. Aus ihm spricht Hofmannsthal selbst...

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Strauss sieht sich aber genauso in dieser Figur! Sicher. Aber das, was uns der Ariadne­Komponist mit seiner Oper sagen will, diese magische Begegnung zwischen Mann und Frau, stammt eben aus der tiefsten Gedankenwelt Hofmannsthals. Es geht Hofmannsthal um die gegenseitige Verwandlung durch Liebe. In seinem berühmten Ariadne­Brief erklärt er Strauss seine Gedanken: Es geht um die Entwicklung, das eigene Ich zu überwinden und darin dennoch seine Identität zu behalten. Ganz im Sinne von Goethes berühmtem «Stirb und werde!» Das ist etwas, was als Idee bereits im Rosenkavalier angeklungen ist. Ganz anders war das noch bei Elektra, die in der Trauer um den verlorenen Vater Agamemnon verharrt, einzig und allein auf Rache aus ist und keine Zukunftsgedanken hat. Sie schafft diese Verwandlung nicht und findet in kein neues Leben. Ariadne jedoch gelingt schliesslich die Überwindung von Trauer und Depression, sie bleibt dabei dieselbe und wird doch neu.

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Der Komponist ist in der Urfassung der Ariadne noch eine Nebenfigur.

In dieser Fassung, die mit Molières Schauspiel Der Bürger als Edelmann verknüpft war, ist der neureiche Kunstbanause Monsieur Jourdain die Hauptfigur, mit dem man sich schwerlich identifizieren mag …

In vielen Inszenierungen wird auch der Komponist lächerlich gezeichnet, als exaltierter und schrulliger Typ. Aber Vorsicht, das ist er eben keineswegs! Er ist nicht wahnsinnig. Der Komponist hat, wie gesagt, Wesentliches zu

sagen. Immer, wenn er zum Kern kommt, besitzt er eine Kraft und Ausstrahlung, von der alle auf der Bühne angezogen sind. Er ist ein zarter und fragiler Mensch, der für seine Kunst brennt. Auch ihm gestehen Hofmannsthal und Strauss die Verwandlung zu, wenn er im Vorspiel auf die Komödiantin Zerbinetta trifft und sich vollkommen gegen seinen Willen in sie verliebt. Der Komponist ist eine der schönsten Rollen für Mezzosopran überhaupt, und das ist sicher kein Zufall.

Die quirlige Zerbinetta bildet den Gegenpol zur Tragödin Ariadne. Die beiden verkörpern zwei grundverschiedene Lebenshaltungen in diesem Stück …

Aber nur auf den ersten Blick. Zwar ist Ariadne nur einem Mann treu und Zerbinetta keinem. Die eine verkörpert das Festhalten, die andere das Loslassen und die Unbeständigkeit. Auch musikalisch könnten sie nicht unterschiedlicher charakterisiert sein: Ariadne singt in grossen Melodiebögen, während Zerbinettas Musik tänzerisch und mit viel Koloratur gespickt ist. Doch im Grunde ihres Herzens wünscht sich auch die polyamouröse Zerbinetta, so wie Ariadne zu sein und nur einen Mann zu lieben. Ihre Innenwelt ist komplexer, als sich das nach Aussen hin darstellt. Sie hat in ihrer aufmunternden Art genauso viel Weisheit und Tiefe wie Ariadne und zeigt viel Einfühlungsvermögen. Ausgerechnet sie findet einen ganz besonderen Zugang zum Komponisten, dem sie neue Wege aufzeigt.

Eine Pointe der Handlungsführung ist, dass der «reichste Mann von Wien», der im Stück selbst nie auftritt, anordnet, aus Zeitgründen das von ihm bestellte traurige Werk Ariadne gleichzeitig mit dem lustigen Stück der Komödiantentruppe aufzuführen. Die absurde Anordnung erweist sich – Ironie der Geschichte – als extrem geistreich … Dadurch wird das Kunstwerk ja erst komplett und zu einer Allegorie auf das Leben selbst: Lachen und Weinen gehören zusammen. Das Tragische und das Komische sind zwar Gegensätze, und gleichzeitig zeigt sich, dass die schier unvereinbaren Gegensätze eben doch nicht so gegensätzlich sind – wie wir das soeben bei den Figuren Ariadne und Zerbinetta gesehen haben. Alles

durchdringt sich. Oder wie es Ariadne einmal so schön sagt: «Ein Ding wächst so leicht ins andere!» Das Ernste sollte immer auch unterhalten und das Lachen aus der Tiefe kommen. Von der Begegnung der Kunstformen profitieren beide Seiten.

Das Vorspiel der Ariadne gibt einen gnadenlosen Einblick in den Schaffensprozess der Opernwelt. Mehr noch: Es stellt die Frage nach unserem Kunstverständnis, dem Abhängigkeitsverhältnis von Kunst und Sponsoring, es geht um Kunst als Prestigeobjekt oder um das Risiko eines Auftragswerks – also Fragen, die dich als Intendanten und Regisseur doch eigentlich tagtäglich umtreiben.

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Ehrlich gesagt, habe ich Einflussnahmen durch Geldgeber noch nie erleben müssen. Womit man sich allerdings an allzu vielen Theatern herumschlagen muss, sind Schlamperei und schlechte Planung – darum lege ich hier in Zürich grossen Wert auf seriöse Arbeitsbedingungen.

Schauplatz der «Oper» ist Naxos, eine «wüste Insel» und eine Höhle. Wofür steht dieser Ort?

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Zerbinetta deutet es ja selbst an in ihrer grossen Arie, die an Ariadne gerichtet ist: Sie selber kenne solche Orte, mitten unter Menschen, nur allzu gut.

Die Insel ist also die Metapher für die Selbstisolation und Abkapselung Ariadnes in ihrem Liebeskummer. In unserer Inszenierung, so viel sei schon verraten, werden wir eine Frau im Brautkleid in einem Schlafzimmer sehen –eine ganz realistische, wenn auch theatralisch zugespitzte Situation also.

Sie leidet unter Schlaflosigkeit, nimmt Schlafmittel, will sich umbringen...

Wer ist dieser Bacchus? Als unehelicher Sohn von Zeus war er ja von Anbeginn ein Ausgestossener, dem die Anerkennung als Gott lange versagt blieb.

Er ist genauso ein Suchender wie Ariadne. Seine Sätze sind oft rätselhaft.

Hofmannsthal lässt ihn von einer für ihn äusserst irritierenden Begegnung mit der Zauberin und Verführerin Circe berichten. Auch Bacchus ist zunächst wie Ariadne in einer Art Schwebezustand. Er hat das für ihn bedrohliche Er­

lebnis mit Circe noch nicht ganz verarbeitet und meint – so, wie Ariadne in ihm zunächst den Todesboten zu erkennen glaubt – in Ariadne eine neue Circe wiederzufinden. Doch auch er vergisst allmählich und kann sich auf die neue Begegnung einlassen. Durch Ariadne realisiert Bacchus erst, wer er wirklich ist. Es ist eine Szene, bei der man sehr genau hinhören muss.

Was ist dir wichtig bei deiner Inszenierung?

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Das Stück im Stück, die Ariadne­Oper, ist für mich der Kern des Abends. Man muss Ariadne und ihren Schmerz ernst nehmen. Sie nimmt das Leben in seiner ganzen Tiefe wahr und lässt auch Abgründe zu. Sie ist keine pathetische Heroine, wie man das nach dem Vorspiel zunächst denken könnte: In der Rolle der Primadonna, die später die Ariadne singen wird, erntet sie durch ihr egozentrisches Auftreten keine Sympathiepunkte. Dasselbe gilt für den eingebildeten Tenor im Vorspiel, den Darsteller des Bacchus. Schnell besteht daher die Gefahr, die Ariadne-Oper ins Lächerliche zu ziehen. Doch wenn Zerbinetta und ihre Komödianten in der eigentlichen Oper zum ersten Mal auf Ariadne treffen, sind sie durchaus beeindruckt und berührt von Ariadnes Schicksal. Harlekin etwa kann sich nicht vorstellen, angesichts von Ariadnes Traurigkeit Komödie zu spielen. Er singt dann dieses so feinfühlige Lied: Lieben, Hoffen, Hassen, Zagen... leben musst du, liebes Leben… Grundsätzlich erleben wir in der Ariadne, was Theater kann: Illusionen zu erzeugen und sie wieder zu entzaubern. Das ist auch eine schöne Metapher für das Leben selbst: Etwas entsteht und verschwindet wieder. Unsere Bühne ist die leere Bühne, die auf die Aufführung wartet und sich allmählich konkretisiert. Im Zentrum stehen bei mir jedoch die Darstellenden, denn Theater ist ein Produkt der Fantasie, erfunden von Menschen und zum Leben erweckt durch Menschen. Dazu braucht es nur ganz wenige Theatermittel.

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Das Gespräch führte Kathrin Brunner

Die Melodie, wie sie sich in den höchsten Kunsterzeugnissen unserer Klassiker und bis hinauf zu Richard Wagner uns offenbart, gehört zu den erhabensten Geschenken, die eine unsichtbare Gottheit der Menschheit gemacht hat. Was ist «Seele»? Wo ist der Sitz der Phantasie? Ist diese eine Steigerung des Verstandes? die höchste Blüte der menschlichen Seele?

Sitzt die Phantasie im Gehirn und arbeitet sie nur bei einer besonderen Befruchtung durch das Blut? Gehirn, Nerven Blut –welches ist der stärkste Faktor? Was ist ein Einfall? Im allgemeinen nennt man einen musikalischen Einfall ein Motiv, eine Melodie, die mir plötzlich «einfällt», ungerufen vom Verstand, besonders des Morgens unmittelbar nach dem Er wachen oder im Traume. Hat die Phantastie des Nachts selbstständig, ohne mein Bewusstsein gearbeitet, ohne an eine «Erinnerung» (Plato) anzuknüpfen? Oder soll man nach landläufigem Sprachgebrauch einen Einfall nennen, was so neu und packend, so zwingend und eindringend, bis in die Tiefe des Herzens ist, dass es mit nichts Vorangegangenem verglichen werden kann? Woher stammen die unbeschreiblichen Melodien unserer Klassiker (Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert), für die keine Vorbilder vorhanden sind? Was ist nun an diesen göttlichen Gestalten unmittelbarer Einfall, primäre Erfindung, was Verstandesarbeit? Wo ist die Grenze zwischen der Tätigkeit des Verstandes und der Phantasie?

DAS GEHEIMNIS

DER VERWANDLUNG

Zu «Ariadne auf Naxos» von Hofmannsthal und Strauss

Hans-Joachim Hinrichsen

Der Ariadne-Mythos ist einer der berühmtesten der Antike, und vor allem ist er einer der musikhistorisch fruchtbarsten überhaupt. Wer aber ist die von Theseus verlassene und auf einer wüsten Insel zurückgelassene Ariadne eigentlich, was verkörpert sie, was fasziniert an ihr so, dass unzählige Dichter und Komponisten sich mit ihrer Geschichte auseinandergesetzt haben? Ist sie der Inbegriff bedingungslos liebender Treue, ist sie das tragische Sinnbild existentieller Einsamkeit oder repräsentiert sie vielmehr die unauslöschliche Hoffnung auf eine Erlösung aus tiefstem Ungemach durch Selbstüberwindung? Offenbar geht es in ihrem Mythos um immer wieder anders ausdeutbare menschliche Grundbefindlichkeiten. Ariadne «stürzt sich in das Geheimnis der Verwandlung» – das sagt 1916 ein junger Komponist über die Protagonistin seiner einaktigen Oper Ariadne auf Naxos. Oder vielmehr, um es vorsichtiger zu formulieren: Das lässt der Dichter Hugo von Hofmannsthal seinen fiktiven Wiener Komponisten um die Mitte des 18. Jahrhunderts im «Vorspiel» zu der gleichnamigen Oper sagen. Die Verwirrung der Zeitebenen ist die Pointe des Konzepts. In Wirklichkeit ist der Urheber dieses Werks natürlich nicht der fiktive junge Mann mit den traurigen dunklen Augen, sondern der um diese Zeit bereits im Zenit seines Schaffens stehende Richard Strauss, und dieser zielte, wie schon zuvor im Rosenkavalier, gemeinsam mit seinem Textdichter nicht etwa auf eine historisierende Reaktivierung des theresianischen Wiens, sondern auf einen innovativen Beitrag zum Musiktheater der Moderne. Ob auch er im «Geheimnis der Verwandlung» den Schlüsselbegriff zum Verständnis dieses hochkomplexen und vielfach ironisch gebrochenen Werks erhoben hätte? Das jedenfalls soll im Folgenden einmal versucht werden.

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Der schöne und wohl absichtlich etwas rätselhafte Ausspruch fällt auf dem Höhepunkt des «Vorspiels» zu einem Bühnenwerk, das unter allen Hervorbringungen aus der so ungemein produktiven Werkstatt Hofmannsthal/Strauss die mit Abstand komplizierteste Entstehungsgeschichte aufweist. 1911 entstand zunächst auf Anregung Max Reinhardts eine Bearbeitung von Molières Le Bourgeois gentilhomme, das der Pariser Barockdichter in Kooperation mit JeanBaptiste Lully 1670 als «Comédie ballet» konzipiert hatte. Hofmannsthal und Strauss übernahmen die Idee der Zusammenarbeit von Dichter und Komponist, verwandelten (!) aber das Genre des Balletts in die Kombination eines Schauspiels mit kleiner angehängter Oper. (Also schon hier, am Ausgangspunkt der Werkgenese, die Idee der «Verwandlung».) Dieses Werk wurde im Oktober 1912 in der Inszenierung von Max Reinhardt in Stuttgart zur Uraufführung gebracht, die Strauss persönlich dirigierte. Der Erfolg war bescheiden – dem Publikum sagte die Gattungsmischung aus Sprech­ und Musiktheater nicht recht zu, die sich schon in dem sperrigen Titel ausdrückt: Ariadne auf Naxos. Oper in einem Aufzuge. Zu spielen nach dem «Bürger als Edelmann» des Molière. Hofmannsthal drängte auf eine Neubearbeitung, die zu der heute bekannten Fassung aus Oper und Vorspiel führte (Uraufführung: Oktober 1916). Die von Strauss zu dem ursprünglichen Molière­Stück komponierte Musik wurde später für eine von Hofmannsthal abermals revidierte und erweiterte Fassung des Theaterstücks als Schauspielmusik verwendet (1918 in Berlin uraufgeführt, ebenfalls inszeniert von Max Reinhardt), und zu guter Letzt gliederte Strauss daraus neun Sätze aus und stellte sie zu einer Orchestersuite zusammen, die 1920 unter dem Titel Der Bürger als Edelmann. Suite. op. 60 zur Uraufführung gelangte. Zum Gesamtkomplex gehören also nicht weniger als vier verschiedene Werke, die Strauss verwirrenderweise, aber mit voller Absicht allesamt mit einer und derselben Opusnummer versah: Opus 60.

Durchgesetzt hat sich – man kann geradezu von Popularität sprechen – das Werk von 1916 mit dem Titel Ariadne auf Naxos. Oper in einem Aufzuge, nebst Vorspiel von Hugo von Hofmannsthal. Neue Bearbeitung. op. 60. Ein Beitrag zur Moderne ist es in einem ausgesprochenen Sinne schon allein dadurch, dass sich seine beiden Teile, das «Vorspiel» und die «Oper», ineinander spiegeln, sich gegenseitig reflektieren und einander so erklären, dass sie trotz ihrer enormen

Verschiedenheit aufeinander angewiesen sind. Die Verschiedenheit ist unter anderem eine des Stils, mit Anspielungen auf die alten Genres von Buffa und Seria: ein Vorspiel im raschen und witzigen, überwiegend rezitativischen Parlando­Ton, den Strauss in späteren Werken immer virtuoser ausbauen sollte, und eine Oper, deren Ambition auf das höchste Stilregister schon allein dadurch gebrochen wird, dass sein Orchester auf den Umfang eines wenn auch grossen Kammer­Ensembles reduziert ist, mit ungewöhnlichen (für das Musiktheater des 20. Jahrhunderts aber gebräuchlich werdenden) Instrumenten wie Klavier und Harmonium. Die Handlung spielt um 1750 «im Hause des reichsten Mannes von Wien» (in diesen hat sich Molières ursprünglicher Bourgeois gentilhomme also «verwandelt»), der seine Gäste nach einem opulenten Souper noch mit spassigen und ernsthaften Darbietungen im Haustheater seines Palais sowie abschliessend mit einem Feuerwerk beeindrucken will. Das Vorspiel zeigt alle Beteiligten mitten in der Hektik der Vorbereitung, in die dann der Haushofmeister des reichen Mannes mit der banausischen Anordnung hineinplatzt, aus Gründen der Zeitersparnis solle das Seriöse (eine Oper im «grossen» Stil) und das Lustige (eine Stegreif­Komödie im Stil der Commedia dell’arte) nicht hintereinander, sondern simultan gegeben werden.

Das ist nicht nur banausisch, sondern geradezu eine ästhetische Unmöglichkeit. Sollte man jedenfalls meinen – und der Komponist der heroisch­seriösen Ariadne-Oper empört sich darüber, assistiert von seiner Primadonna und dem Heldentenor, denn auch bis zur Verzweiflung. Jedoch entspringt paradoxer weise aus dieser kunstverachtenden Idee das Konzept dieses hochmodernen Bühnenwerks! Denn Hofmannsthal und Strauss sind ja mit nichts anderem beschäftigt, als diese banausische Simultandarbietung von Ariadne auf Naxos und Die ungetreue Zerbinetta dichterisch und musikalisch ins Werk zu setzen. Es ist diese virtuose Verschachtelung der beiden Stilregister, die das Werk zu einer Inkunabel der musiktheatralischen Moderne macht, indem keine der Ebenen ungebrochen und unkommentiert für sich sein kann, sondern einem kontinuierlichen Reflexionsprozess ausgesetzt bleibt. Man kann die Koppelung von historisch camoufliertem Vorspiel und komödiantisch kommentierter mythologischer Oper als einen komplexen Diskurs über die Möglichkeiten des Musiktheaters in der Gegenwart betrachten. In der Transformation eines aus dem 17. Jahr­

hundert stammenden Stoffs und einer im Wien des aufgeklärten Zeitalters spielenden Handlung in das frühe Meisterwerk einer musiktheatralischen Moderne liegt eine unerschöpfliche Quelle des intellektuellen und des sinnlichen Vergnügens – und es liegt hier eine der tiefgreifendsten «Verwandlungen» des an Verwandlungen ohnehin so reichen Gesamtkomplexes vor.

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Neben dieser Transformation, die das Strukturelle in seinen grossen Dimensionen betrifft, ist aber natürlich «Verwandlung» eines der zentralen Themen der eigentlichen Handlung des Stücks, die von der stilistisch flexiblen Musik in jeder Nuance bis in den hintersten Winkel subtil ausgeleuchtet wird. Wie schon gesagt: ein Schlüsselbegriff, den der fiktive Komponist im «Vorspiel» zur Erklärung seiner weiblichen Hauptfigur ins Spiel bringt. Sie vollziehe, so will er es sehen und so hat er es komponiert, eine geheimnisvolle Transformation, vom Todeswunsch zurück in ein vertieftes und erfülltes Leben, wobei ihr die Verwandlung des als Todesbote herbeigesehnten Gottes Bacchus vom unbewussten Jüngling in einen wahren und sich seiner Göttlichkeit bewusst werdenden Olympier entgegenkommt. Ironischerweise vollziehen beide ihre komplementären Wandlungen vor dem Horizont einer undurchschauten Illusion: Sie meint dem Todesgott in die Arme zu sinken, er einer Zauberin, die noch ver führerischer ist als Circe, der er gerade erst knapp (und, wie er selbst sagt: «unver wandelt») entkommen ist. Nun aber sieht er sich vom noch mächtigeren, in Wirklichkeit gar nicht magischen Zauber der Ariadne doch verwandelt. Ariadne selbst wiederum «meint zu sterben! Nein, sie stirbt wirklich» – so sieht es im Vorspiel ihr Komponist. Aber sie stirbt, wenn sie denn stirbt, zu einem neuen Leben: Das alte, durch die enttäuschte Liebe zu Theseus erschütterte Ich fällt von ihr ab. Den Bacchus nennt sie ihrerseits einen «Zauberer», ja, ausdrücklich sogar einen «Verwandler».

Freilich wird das abgründig Tiefsinnige dieser zauberischen Verwandlung durch den ironischen Schlusskommentar der Zerbinetta ordentlich relativiert: «Kommt der neue Gott gegangen, / Hingegeben sind wir stumm!» Für sie ist jeder neue Liebhaber ein Gott eigenen Rechts, während sich das hohe Paar der Opera seria seiner eigenen Absicht nach für ewig transformiert. Immerhin aber wird durch Zerbinetta das Pathos der Seria kräftig gebrochen und die in ihren Augen gut und handfest erklärbare Verzauberung zu einer treffenden Formel

für den Blitzeinschlag der Liebe auf den ersten Blick. Für Strauss, den Komponisten, hat sich mit dieser Vielschichtigkeit eine Fülle von anwendbaren musikalischen Stilebenen ergeben, die noch wesentlich breiter ist als die zuvor schon im Rosenkavalier ausprobierte. Auch in dieser Tendenz zur Polystilistik liegt ein entschieden moderner Zug des Werks. Die Musik kann sich je nach Bedarf schwelgerisch, pathetisch, witzig, karg, befremdend, populär oder hintersinnig geben, sie kann mit direkter oder mit verstellter Stimme sprechen, sie kann überwältigen, verfremden, stilisieren oder zitieren – changierend zwischen einer zur Identifikation einladenden emotionalen Direktheit und einer zur Vorsicht mahnenden ironischen Uneigentlichkeit. Von ihr unterstützt, machen auch andere Figuren des Dramas bzw. des Doppeldramas ihre je eigenen «Verwandlungen» durch. Das betrifft sogar die leicht tragische Figur des Komponisten im Vorspiel, der man gemeinhin jede Wandlungsfähigkeit abspricht. In Wirklichkeit ist dieser kompromisslos an die Reinheit und Autonomie der hohen Kunst glaubende, insofern etwas weltfremde Idealist auch ansprechbar für die Reize Zerbinettas, die ihn die Abgründe des Lebens zumindest vorübergehend ahnen lassen; es ist freilich nur eine flüchtige Anwandlung, noch keine spektakuläre Verwandlung im strengen Sinne. Zerbinetta hingegen, die Verkörperung eines lässlichen erotischen Pragmatismus, kennt durchaus auch die Sehnsucht nach der einen, ewig währenden erfüllten Liebe, wenngleich sie nicht wirklich daran glaubt. Mit einem Bein steht sie damit sozusagen in der seelischen Welt der Ariadne, die fest von der Unersetzbarkeit der singulären Liebesbeziehung überzeugt ist und dennoch – ironischerweise – dem «neuen Gott» erliegt, womit sie unwillentlich Zerbinettas Sichtweise zu bestätigen scheint. Ist Zerbinettas «spöttischer Triumph», wie er in der Regieanweisung zu ihrem letzten Auftritt ausdrücklich genannt wird, dann also nichts als ein verständnislos­zynischer Kommentar? Oder verbirgt sich darin ein Pragmatismus, eine Lebensweisheit aus Erfahrung, die dem Menschen zur Ankunft in der Wirklichkeit verhilft? Dann würde Zerbinetta eine Seite Ariadnes verkörpern, die von dieser selbst verdrängt wird – eine kleine Dosis Psychoanalyse also, die man dem im Wien Sigmund Freuds schreibenden Hofmannsthal zutrauen darf und die auch schon die Neudeutung des Elektra-Mythos gefärbt hatte, mit der die Zusammenarbeit Hofmannsthal/Strauss wenige Jahre zuvor recht eigentlich begonnen hatte.

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Auch hier schon, in dieser archaisch­dunklen Tragödie, hatte das Thema der «Verwandlung» untergründig Regie geführt: einmal negativ in Elektras starrer Obsession, die Ermordung ihres Vaters nicht vergessen zu können und nur noch für die einstige Rache zu leben, und positiv in ihrer Schwester Chrysothemis, die unbedingt vergessen und sich damit befreien, also in eine lebensfähige, fühlende Frau verwandeln will. Auch hier hat man eine Komplementarität, aus der heraus erst jede der beiden Figuren ganz verständlich wird. Im Falle von Ariadne und Zerbinetta haben manche Kommentatoren sogar die Begriffe «Maskerade» und «Persönlichkeitsspaltung» ins Spiel gebracht: eine nicht unproblematische, aber doch bedenkenswerte Deutung. Tatsächlich steht dahinter wohl die Intuition der beiden Ariadne­Autoren, das moderne Individuum lasse sich nicht mehr integral, sondern nur noch als bipolar verfasste Struktur verstehen: über die vielschichtigen Oppositionen Elektra/Chrysothemis, Ariadne/ Zerbinetta, Mensch/Gott, Zauber/Natur, Pathos/Komik, Vorspiel/Oper. Abgesehen davon, dass uns Ariadne und Bacchus in der Handlung der Oper «das Geheimnis der Verwandlung» ergreifend vor Augen und Ohren führen, gibt es aber noch eine zweite, man könnte sagen: eine fundamentale und strukturelle Ebene der Verwandlung, die einem diese Gefühligkeit wieder zu entfremden droht. Die Initialstellung des Vorspiels ist dafür zentral, denn hier sehen wir die späteren Bühnenfiguren zunächst als normale, fehlbare Menschen: den Darsteller des Bacchus als eitlen und jähzornigen Narzissten und die Ariadne als verwöhnte und zickige Primadonna, die dem Partner keine Minute Bühnenpräsenz mehr gönnen mag als unbedingt nötig. Doch Primadonna und Prim’uomo des Vorspiels mausern sich aus Figuren mit allen menschlichen Schwächen später in der Oper zu Darstellern, die ästhetisch nach dem Höchsten greifen. Sie lassen uns damit im Kontrast von Vorspiel und Oper – dies ein eminent moderner Zug des Werks – das berühmte, durch den englischen Romantiker Samuel Coleridge postulierte «willing suspension of disbelief» (die notwendige Bereitschaft des Publikums, sich auf die Fiktion eines Werkes einzulassen) am eigenen Leibe erleben und in hellem Licht erkennen. Man könnte auch, statt auf Coleridge zurück­, auf Bertolt Brecht vorausgreifend, von einem erkenntnisfördernden «Verfremdungseffekt» avant la lettre sprechen.

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Grundlegende Verwandlung ohne leichtfertiges Aufgeben der stabilen personalen Identität, feste Treue zu sich selbst ohne Verfallen in die Starre der Entwicklungslosigkeit – das sind Themen, die den Dichter wie den Komponisten seit der Arbeit an Elektra fasziniert haben und die sie, so auch im Rosenkavalier, in ein Musiktheater der Gegenwart überführen wollten. Dafür hatten die alten Theaterkonzepte eines hohen Pathos und einer unterhaltsamen Komik ausgedient. Sie konnten sich nur noch wechselseitig beleuchten und erhellen. Zumal seit dem Ausbruch des unerwartet gewalttätigen Weltkrieges war es für Strauss klar, dass ihm, wie er im Juni 1916 an Hofmannsthal schrieb, «Tragik auf dem Theater vorläufig ziemlich blöde und kindlich» vorkomme. Das Konzept für die Zukunft sah anders aus, und es fand sogleich seine erste Bewährungsprobe in der Neufassung der Ariadne: «Ja, ich fühle mich berufen zum Offenbach des 20. Jahrhunderts, und Sie werden und müssen mein Dichter sein.»

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Das Spiel im Spiel, vom Dichter wie vom Komponisten mit beispielloser Virtuosität ästhetisch umgesetzt, ist eines der kühnsten musiktheatralischen Formexperimente des frühen 20. Jahrhunderts. Wenn es einen Komponisten der Neuzeit gibt, der sich lebenslang treu geblieben ist und doch dabei keine experimentelle «Verwandlung» scheute, dann ist es Richard Strauss, und die mit Hugo von Hofmannsthal über alle Fassungen hinweg erarbeitete Ariadne auf Naxos ist das unbestrittene Meisterwerk ihrer gemeinsamen Ankunft in der Moderne.

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Jede Art von wilden Tieren ist zahmer als du; keinem hätte ich mich mit schlimmeren Folgen anvertraut als dir. Was du hier liest, Theseus, schreibe ich dir von jenem Strand, von dem die Segel dein Schiff ohne mich davontrugen, auf dem mein Schlaf mich so übel verriet – und du, der du verbrecherisch darauf gelauert hast, dass ich einschlief.

Es war die Zeit, zu der das Erdreich erstmals wieder mit kristallenem Raureif bedeckt wird und die im Laub verborgenen Vögel zu klagen beginnen. Erst halb erwacht und noch träge vom Schlaf drehte ich mich zur Seite und streckte die Hand aus, um nach Theseus zu fassen – da war keiner! Wieder streckte ich die Hand aus und versuchte es noch einmal, über das Polster breite ich die Arme – da war keiner! Furcht schüttelte mir den Schlaf ab; erschrocken erhob ich mich, der Länge nach sprang ich vom verlassenen Lager hoch. Alsbald ertönte die Brust vom Getrommel meiner Hände, zerzaust wie es vom Schlaf war, raufte ich mir das Haar.

Der Mond schien. Ich blicke mich um, ob ich ausser dem Strand noch etwas sehe. Doch soweit die Augen auch schauen mochten, sie sahen nichts als den Strand. Bald hierhin, bald dorthin und planlos nach beiden Seiten lief ich; der tiefe Sand hemmte die Mädchenfüsse. Dazwischen rief ich am ganzen

Strand: «Theseus!» Die hohlen Felsen liessen deinen Namen widerhallen, und wie oft ich, sooft rief der Ort selbst nach dir. Der Ort selbst wollte mir Armen Hilfe bringen.

Ovid, Briefe der Heroinen

EINE BLAUPAUSE FÜRS LEBEN

Der Dirigent Markus Poschner im Gespräch

Markus Poschner, Ariadne auf Naxos von Richard Strauss fällt in die Zeit von 1912 bis 1916. Was ist für Sie das Besondere an diesem Werk? Es ist ein völlig neues Gesamtkunstwerk, eine moderne Oper für das 20. Jahrhundert, das die sakrale Aura von Richard Wagner und Bayreuth und die mystischen Erlösungs­ und Weihrauchszenarien einfach so wegspülte. Strauss griff unter dem gewichtigen Einfluss von Hofmannsthal auf einen kammermusikalischen Klangkörper zurück, der unglaublich transparent klingt.

Mit Gesang, Tanz und Schauspiel, mit Koloratur und lyrischen Kantilenen, mit Duetten, Quintetten, verschiedensten Stilebenen und einem überbordenden Reichtum an musikalischen Farben ist Ariadne auf Naxos ein grosser Abriss von 500 Jahren Musikgeschichte. Das war auch der Anspruch von Strauss, der sich immer im Verhältnis zu dem, was vor ihm war, gesehen hat und sich als Vollender der abendländischen Musikgeschichte betrachtete. Was Strauss aus seinen knapp über dreissig Instrumenten herausholt, ist atemberaubend. Jedes Instrument ist extrem solistisch und virtuos geführt, und alle im Orchester sind dazu aufgerufen, bei einer Art überdimensioniertem Liederabend mitzuwirken.

Strauss benutzt im Graben mit dem Harmonium, dem Klavier oder der Celesta ungewöhnliche Instrumente. Zudem ordnet er sie bestimmten Figuren zu: das Harmonium ist mit Ariadne verbunden, das Klavier mit Zerbinetta und die himmlische Celesta mit Gott Bacchus. Es ist wirklich bemerkenswert, dass Strauss ein Harmonieinstrument wie das Klavier einsetzt, denn im Orchestergraben kommt dieses Instrument erst viel später richtig zur Geltung, bei Schostakowitsch etwa oder bei Ravel. Das Harmonium ist mit seinen an­ und abschwellenden Tönen, seinem dunklen,

magischen Klang ein todessehnsüchtiges Instrument. Die Celesta, das Himmelsinstrument, ist das genaue Gegenteil: Es erzählt von einer lichten Welt hinter dem Sichtbaren. In diesem Zusammenhang müssen wir auch die beiden Harfen erwähnen, die wiederum mit dem 19. Jahrhundert verknüpft sind, mit Anton Bruckner und Richard Wagner. Wenn wir dann noch das Schlagzeug dazu nehmen, das Glockenspiel, die Becken, Triangel und Tamburin, ergibt das einen noch nie da gewesenen Sound. Interessanterweise griff Kurt Weill Mitte der 1920er­Jahre dann auf all diese Dinge zurück, nicht nur in seinem Musiktheater, sondern auch in seinen Sinfonien. Wer hätte gedacht, dass es zwischen Richard Strauss und Kurt Weill eine unsichtbare Verbindung gibt, was den Klang anbelangt.

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Im Gesamtœuvre von Strauss ist die Ariadne mit nichts zu vergleichen, was er zuvor oder danach geschrieben hat – vielleicht abgesehen vom Parlandoton im Vorspiel, den Strauss in späteren Werken wie Capriccio oder Intermezzo weiterentwickelte. Sehen Sie das auch so? Völlig richtig. Zwischen der kammermusikalischen Ariadne, die mehr oder weniger in der gleichen Zeit wie die Frau ohne Schatten entstanden ist – dem allergrössten instrumentalen Spektakel von Strauss – und den Vorgängeropern Rosenkavalier und Elektra, liegt ein riesiger Kontrast. In dieser Linie ist die Ariadne eine Betonung nach unten, ins Intime und ragt weit über alle anderen Stücke hinaus. Andererseits behandelt die Ariadne das Thema der Veränderung und Verwandlung, das seit der Zusammenarbeit mit Hofmannsthal zu Strauss’ Lebensthema geworden ist und mit dem er sich bis hin zu den Metamorphosen von 1945 immer wieder beschäftigte. Es ging nicht mehr um Erlösung wie bei Richard Wagner, dessen Zielrichtung eine finale ist und in der Beethovenschen Tradition liegt, die vom Dunkel ins Licht, von c­Moll nach C ­Dur führt. Strauss und Hofmannsthal behandeln eine sehr menschliche Frage: Wie kann es dem Menschen gelingen, mit seinem Schicksal auszukommen, Frieden zu schliessen, sich zu verändern, mit dem Leben zu gehen, ohne jedoch seinen tiefen inneren Kern zu verleugnen? Wie wir heute wissen, ist der Stoff der von Theseus verlassenen und am Leben verzweifelnden Ariadne auf ein ganz konkretes historisches Vorbild zurückzuführen:

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Hofmannsthal kümmerte sich während der Entstehung der Ariadne um eine junge Witwe, Ottonie Gräfin Degenfeld, der er mit seinem freundschaftlichen Engagement einen Weg aus der Trauer und Depression zurück ins Leben wies. Die Ariadne ist ein Stück, das offen ist und uns ins Leben entlässt, es ist gleichsam eine Schablone, eine Blaupause fürs Leben. Man könnte sagen: Mit dem Schlussakkord beginnt dieses Stück erst. Das ist das radikal Neue. Wagners Visionen hingegen vollenden sich jeweils auf der letzten Partiturseite – und zwar für alle Ewigkeit gültig.

Strauss wollte Wagner überwinden, und trotzdem verleugnet er ihn in diesem Werk zumindest auf der musikalischen Ebene nicht ganz: Zahlreiche Leitmotive wie das Bacchus-, das Theseus-, das KomponistenMotiv oder das Motiv der Verwandlung schaffen ein beziehungsreiches musikalisches Netz.

Dazu kommen die vielen Leittonarten in der Ariadne, die einen weiteren sinnstiftenden Zusammenhang schaffen. Die Symbolik darin ist eminent, denn die Tonarten beziehen sich deutlich auf die Musikgeschichte. Das verschattete g­Moll, das den Monolog von Ariadne dominiert, ist zum Beispiel auf Paminas Arie «Ach, ich fühl’s» aus der Zauberflöte zurückzuführen. Das Des­Dur des Ariadne­Schlusses verweist auf den Schluss der Götterdämmerung. H­Dur, das in der Ariadne immer wieder vorkommt, ist die grosse Tristan-Tonart. Ausserdem betreibt Strauss ein lustvolles Spiel mit Reminiszenzen, Parodien und zitiert sich pausenlos selbst, wie z.B. mit der Zeile «das Geheimnis des Lebens…», das er aus seiner Salome importiert. Wenn die Nymphen vom Zaubertrank singen, den Circe Bacchus verabreicht hat, hören wir eine ironische Umkehrung des Liebestrank­Motivs der Celli aus dem Tristan-Vorspiel. Er zitiert das Schicksalsmotiv aus Beethovens Fünfter Sinfonie, Schuberts Wiegenlied stand Pate beim Nymphenterzett «Töne, töne, süsse Stimme» und Mozarts Klaviersonate A­Dur KV 331 bei dem entzückenden Lied von Harlekin. Strauss gelingt damit zusätzlich noch eine enorme historische Aufladung und sinnstiftende Legitimation –gleich einer weiteren Meta­Ebene.

Dass sich Wagner und Mozart als komplementäre Welten in einer Oper treffen, ist doch eine verrückte Mischung. Welche Rolle spielte Mozart sonst noch für die Ariadne?

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Mozart war für Strauss zeitlebens der wichtigste Bezugspunkt. Als Dirigent setzte sich Strauss mit einem Da­Ponte­Zyklus Ende des 19. Jahrhunderts früh für die Musik Mozarts ein, dessen Opern noch kaum Teil des Repertoires der Opernhäuser waren. Er selbst verfasste eine Bearbeitung des Idomeneo. Nach der Elektra kündigte Strauss an, als Nächstes eine Mozart­Oper schreiben zu wollen. Es entstand Der Rosenkavalier, der zumindest vom Sujet her in das Wien Maria Theresias passte und mit Octavian und der Marschallin an die Konstellation von Cherubino und Figaro­Gräfin erinnert. In der Ariadne verfolgte Strauss diesen Mozart­Weg noch konsequenter. Hier stand die Zauberflöte Pate, die er unendlich bewunderte und an der er sich bis zum Ende seines Lebens abarbeitete. Bei Zerbinetta denkt man unweigerlich an die Königin der Nacht, bei den drei Nymphen an die drei Knaben. Doch die grösste Gemeinsamkeit der beiden Opern ist das Konzept, die beiden Hemisphären der Seria und der Buffa miteinander zu verknüpfen. Die Zauberflöte war ja bislang die letzte Oper in der Musikgeschichte, in der das Komische und das Tragische zeitgleich existierten – Papageno und Sarastro. Im 19. Jahrhundert wäre es, überspitzt gesagt, undenkbar gewesen, eine Figur wie Gurnemanz aus dem Parsifal mit einem Eisenstein aus der Fledermaus gleichzeitig auf einer Bühne zu sehen. Diese Schere ging immer weiter auseinander. Doch bis zur Zauberflöte war es ganz normal, das Schwere und das Leichte miteinander zu verbinden, Tanz, Musik und Sprechstück zu kombinieren. Diese Idee des Gesamtkunstwerks, aber aus einer ganz anderen Seite kommend als Richard Wagner, war die grosse Inspiration für Strauss und Hofmannsthal. In Ariadne stecken alle grossen Lebensthemen, von A bis Z – von Ariadne bis Zerbinetta. Und in der Mitte ist der Komponist die Verbindungslinie: Als Schöpfer der tragischen Ariadne-Oper verliebt er sich mit Zerbinetta ausgerechnet in die Vertreterin der Buffa­Partei. Das ist die kürzeste Verbindung der beiden unterschiedlichen Welten – eine hochphilosophische Angelegenheit, die Hofmannsthal und Strauss sehr bewusst eingesetzt haben.

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Auf Mozart weist auch das Vorspiel der Ariadne mit seinem Secco-Stil, den ariosen Accompagnati und geschlossenen Nummern. Besonders die Rezitative von Così fan tutte sollen hier ein Vorbild gewesen sein.

Und doch hat das Vorspiel, das für alle Ausübenden, auch für den Dirigenten, hochanspruchsvoll ist, seinen ganz eigenen Drive. Hier muss alles stimmen:

Die Anschlüsse, das Timing. Alles geschieht in Echtzeit. Das ist von Strauss unglaublich exakt notiert. Und trotzdem muss man immer biegsam bleiben. Wie flexibel und elastisch dieser Notentext tatsächlich interpretiert werden sollte, bestätigten mir Bleistifteintragungen in Dirigierpartituren, die im Richard­Strauss­Institut in Garmisch­Partenkirchen liegen: die Partitur von Franz Schalk, der 1916 die Uraufführung der zweiten Fassung in der Wiener Staatsoper leitete, sowie die Partituren von Karl Böhm und Clemens Krauss, die dieses Stück sehr oft und noch im Beisein von Richard Strauss dirigierten. Wir spielen bis heute aus dem Material von 1916, das noch vor der Uraufführung gedruckt wurde. Die ganzen Erfahrungswerte aus dem damaligen Probenprozess sind nie in diesen Text eingeflossen. Die Schicht, die in diesen alten Dirigierpartituren sichtbar wurde, war für mich überaus inspirierend und ein grosser Anreiz, die Extreme auszukosten.

Man könnte nun meinen, in einem so kleinen Ariadne­Apparat überwiege das Gestische der Musik, wie in der Klassik oder dem Barock. Strauss benutzt das Gestische vor allem in den rezitativischen Teilen. Aber seine grosse Kunst kann man an dem Verschmelzenden und Verschwimmenden seiner Partitur festmachen. Es erfordert allergrösste Meisterschaft, bei einem derart solistischen Konzept die Instrumente so zu kombinieren, dass keine Spaltklänge entstehen, sondern sich die Klänge mischen oder Kontraste entstehen. Darin war Strauss – neben Ravel – einzigartig. Dazu kommt eine ausgeklügelte Klang­ und Instrumentendramaturgie. Wenn wir als Beispiel den zweiten Teil betrachten, die Ariadne-Oper, sehen wir, dass Strauss klares kompositorisches Handwerk einsetzt. Am Anfang des zweiten Teils, der die Welt der trauernden Ariadne exponiert, reduziert Strauss sein kleines Orchester noch einmal auf ein Streichseptett, mit einzelnen Farben in den Bläsern. In dieser Welt sind Moll­Tonarten vorherrschend. Die anschliessende

Harlekin­/Zerbinetta­Welt ist das genaue Gegenteil: Strauss benutzt jetzt Perkussionsinstrumente und Bläser – immer noch in reduzierter Form –, während die Streicher in den Hintergrund treten. Die ganz grosse Besetzung des Vorspiels setzt Strauss erst wieder in den letzten 20 Minuten ein, wenn die Nymphen zurückkehren und Bacchus ankündigen. Jetzt erklingen Kreuztonarten, und Strauss fängt an zu zaubern, indem er gestopfte Hörner und Trompeten sowie Streicher mit Dämpfern mit dem Harmonium und tiefen Holzblasinstrumenten mischt. Das ist insgesamt eine Dramaturgie, die wir so gar nicht merken, weil es so gekonnt und schlau konzipiert ist. Bei jedem anderen Komponisten wäre diese kleine Besetzung schnell erschöpft, gerade auch, was die Farben angeht. Aber bei Strauss fehlt nie etwas. Es ist eine in sich geschlossene Welt. Insofern wirken diese 37 Instrumente am Ende so erfüllend und überwältigend, dass kein Wunsch offen bleibt.

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Strauss bezeichnete den Prozess der Instrumentation einmal als «Erholung». Da übertreibt er wahrscheinlich stark. Für ihn war das kein kreativer Prozess im eigentlichen Sinne, sondern pures Wissen und Handwerk. Strauss hat sich in seiner Jugend intensiv mit Berlioz auseinandergesetzt. Er war ein privilegierter junger Künstler, der mit Hans von Bülow, Hermann Levy oder mit Brahms, unter dessen Dirigat er noch in der Uraufführung der Vierten Sinfonie spielte, die besten Förderer der damaligen Zeit hatte. Aus diesen wertvollen Erfahrungen zog Strauss seine Schlüsse. Bereits seine frühen sinfonischen Dichtungen wie Aus Italien oder Macbeth sind frappante Zeugnisse für seine Instrumentationskunst, später dann Don Juan und vor allem Tod und Verklärung. Ohne diese Erfahrungen, wie Klänge, Stimmungen und Atmosphären erzeugt werden können, wäre eine Ariadne nicht denkbar gewesen. Und sie wäre auch nicht möglich gewesen ohne Strauss’ Partner Hofmannsthal, der ihm diesen hochmusikalischen, inspirierenden und an gedanklicher Dichte so reichen Text schrieb. Den beiden ist es wirklich gelungen, nach dem Rosenkavalier etwas vollkommen Neues zu schaffen.

Das Gespräch führte Kathrin Brunner

BRIEFE ZU

«ARIADNE AUF NAXOS»

Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal, Berlin, 6. April 1916

Die Rolle des Komponisten (da die Tenöre so fürchterlich sind) werde ich Fräulein Artôt übergeben, Sie müssen nur daran denken, wie wir ihr die Rolle eventuell noch mit einer kleinen Gesangsnummer ausgestalten können und dass Sie dem Komponisten zum Schluss noch eine kleine hübsche Soloszene (nach Ariadne!) hinzudichten: poetisch­melancholisch – vielleicht dass er nach der Ariadne verzweifelt hervorstürzt: «Was haben Sie aus meinem Werke gemacht», dann könnte der Haushofmeister erscheinen, dem armen Teufel das Honorar einhändigen, vielleicht der Graf erscheinen, ihm Komplimente machen, Annahme der Oper für die kaiserliche Oper in dieser Form (mit den Zerbinettaszenen) ankündigen oder was Ihnen sonst Hübsches einfällt und dann melancholischpoetische Schlussbetrachtung.

Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss, Rodaun, 13. April 1916

Ich überlege mir seit zwei Tagen Ihren Brief mit dem sehr überraschenden Schlussvorschlag hin und her, komme aber der Sache nicht näher, sondern ferner. Ich fürchte, hier hat Sie der Theateropportunismus total auf den Holzweg gebracht. Zunächst ist mir die Besetzung des jungen Komponisten mit einer Dame völlig gegen den Strich. Dieses Verniedlichen gerade dieser Figur, um die der «Geist» und die «Grösse» wittern wollen, in ein immer leise operettenhaftes Travesti, das ist mir, verzeihen Sie mir meine Offenheit, greulich. Ich kann mir leider nur denken, dass unsere Auffassung dieser Figur hier sehr weit auseinandergeht, leider Gottes, wieder einmal, wie bei Zerbinetta! O Gott, wäre es mir gegeben, Ihnen das Eigentliche, Geistige der Figuren ganz deutlich zu machen. Andererseits bin ich ja nicht so verstockt, dass ich nicht verstünde, was Sie vermeiden wollen: den grässlichen Tenor! Ja, das verstehe ich schon. Immerhin: dort gibt es zufällig die Artôt, aber wer soll das anderswo singen? z. B. in Wien?

Und dann: wenn schon das Irrationale, dass Sie die Rolle einer Frau geben, dann dürfen Sie, um alles, die Rolle nicht nach der Besetzung hin richten, sondern eine besondere Frau, wie die Artôt, muss sich in das ernste Jünglinghafte der Figur hineinfinden, sonst ist die Taube in der Hand für den Sperling auf dem Dach vertan. – Und nun, ob Mann oder Weib – dieser Einfall für den Schluss ist geradezu entsetzlich, verzeihen Sie mir, lieber Dr. Strauss –, Sie haben diesen Brief in keinem guten Moment geschrieben. Denken Sie die Höhe der Stimmung, die mühsam erklommen ist, vom Anfang des Vorspiels an, immer höher, in die herrliche Oper hinauf, dann im Kommen des Bacchus, im Duett eine fast mystische Höhe. Und nun, wo die nötige Coda nicht mehr als ein Moment sein darf (so die ganz berühmten Schlussworte des Jourdain), und nun soll solcher Quark wieder sich breitmachen (auf dem breit liegt der Ton): Der Haushofmeister, das Honorar und der Graf und Tod und Teufel! Und das alles, damit die Rolle ein Endchen länger wird! Dazu die stilistische Unmöglichkeit, nachdem das Höchste an Lyrik eben in der Oper selbst gegeben ist, nun in dem Rahmen wieder «Lyrisches» zu verlangen, damit das Charakteristische des Rahmens aufheben – wo doch einzig möglich ist, aus dem höchsten Lyrischen ins Charakteristische zurückzugleiten, zuerst durch die Masken, dann durch ein kurzes, charakteristisches Wort, gesprochen jetzt in Gottes Namen vom Komponisten, besser war es ja aus Jourdains Mund –. Bitte schreiben Sie mir ein paar Worte express, dass Sie mich verstehen, mir wird ganz flau um Kopf und Magen, uns einmal so weit auseinander zu fühlen!

Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal, Berlin, 16. April 1916

Warum werden Sie immer gleich so bitterböse, wenn wir uns mal nicht gleich verstehen! Sie tun ja gerade, als ob ich Sie niemals verstanden hätte! Über die Zerbinettafigur kann man schliesslich zweierlei Meinung sein: meine Vorschläge bezüglich des Schlusses der Ariadne waren doch nur ganz gedankenlose Vorschläge, die Sie ohne Besinnen in den Papierkorb werfen konnten, die doch nur den Zweck haten, Sie zu veranlassen, sich mit den Schlussworten des Komponisten einmal ernstlich zu beschäftigen, wobei ich nicht wissen konnte, ob lhnen für den Schluss nicht noch was besonders Hübsches einfallen würde, wenn ich Ihnen sagte, dass die Artôt es machen soll. Also für den Schluss machen Sie,

was Sie wollen, nur machen Sie es bitte bald! Aber von der Artôt – als junger Mozart, etwa am Hof von Versailles oder bei den Banausen des Münchner Hofes, für den er als 16­Jähriger [Mozart war 24, Anm. d. Red.] Idomeneo komponiert hat, lasse ich mich nicht mehr abbringen: aus künstlerischen und praktischen Gründen. Ein Tenor ist unmöglich, schon deshalb, weil ich für den Bacchus schon nicht den Primo Tenore bekomme, weil er dem Intendanten zu teuer, und dem Sänger diese Rolle schon zu klein und die beiden Buffos mit Brighella und Scaramuccio beschäftigt sind. Ein erster Bariton singt mir den Komponisten nicht: was bleibt übrig, als das einzige Sängergenre, das in Ariadne nicht vertreten ist, mein Rofrano, der überall in einer intelligenten Sängerin vorhanden: Berlin Artôt, Leipzig Sanden, Wien Schoder, München Krüger und zwanzig andere. Meistens die talentvollste Sängerin des Theaters, die sich auf die kleine Kabinettrolle freut, aus ihr was machen wird, was liegt daran, ob es schliesslich etwas männlicher oder etwas niedlicher wirkt. Glauben Sie mir, der Rosenkavalier ist die einzig mögliche Besetzung für den jungen Komponisten, bedenken Sie doch, was ich für das Vorspiel sonst hoch an Sängern brauche: Musiklehrer (Bass), Tanzmeister (Tenor), Offizier etc.

Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal, Garmisch, 1. Mai 1916

Ich bin seit acht Tagen hier, wieder ganz wohl, werde morgen die Partitur des II. Aktes der Frau ohne Schatten fertig haben und dann gehe ich sofort an das Vorspiel, muss natürlich warten, bis mir was Gutes einfallt, ich hoffe aber, dass es mir glückt, das Ganze bis Ende Juni fertig zu stellen, so dass Direktor Gregor das Material bis spätestens Anfang September in Händen hat, womöglich früher. Das Vorspiel kann von den Sängern in 14 Tagen leicht memoriert werden.

Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss, Rodaun, 8. Mai 1916

Das verstehe ich schon, dass Sie es nun schwer haben, für den Stil des Vorspieles ganz auf den Einfall angewiesen sind; aber aus solcher Quälerei wird ja etwas Schönes, Originales sicher hervorgehen, und wo man sich nicht quält, entsteht ja das Minderwertige, das auch nur für den Moment Bestand hat. [...] Ganz absolut schwer ist es für mich, die Schlussworte, äussersten Rahmen, in

den Mund des Komponisten zu legen. Das Organische war eben, dass Jourdain sie sprach, der Prosa­Mensch, der Monsieur Tout­le­monde, der nichts von dem weiss, was er veranstaltet und angestiftet hat. Aber der Komponist! Klagt er, wo doch die Oper sich zur Harmonie beider Elemente durchgerungen hat, so wirkt es absurd, freut er sich, so wirkt es noch absurder. Das Ganze ist in Gefahr, von hier aus zum Unsinn zu werden. Fluch allen Umarbeitungen! Ich werde mir alle redliche Mühe geben, das Mögliche zu finden! Wie, wenn der Haushofmeister, dumm­zufrieden, die Schlussworte zu dem Komponisten spräche? in Prosa wie Jourdain!

Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss, Rodaun, 15. Mai 1916

Bezüglich Schlusses, wie Ihnen depeschiert, und Ihren Vorschlägen in der Hauptsache völlig einverstanden; Höhle verschwindet, beide bleiben sichtbar, Hinabschreiten gegen das Meer u.s.f. Alles gut und schön; beseitigt sogar eine fast unlösliche Schwierigkeit (die mit den Schlussworten des Komponisten). –Aber – eine völlige Gewissenlosigkeit von mir gegen das Werk und dessen Zukunft wäre es, wollte ich – bequemlichkeitshalber – konzedieren, dass die irdische Gegenstimme (Zerbinetta) gar nicht mehr zum Worte kommt! Das hiesse, verzeihen Sie, in frivoler Weise den Grundgedanken, den geistigen Gehalt des Ganzen einem Schlusseffekt aufopfern; kann sein, dass dies jetzt ungetadelt durchschlüpfte, – ich glaube das auch nicht, denn die Kritiker haben die erste Fassung des Textbuches zur Hand, und so dumm sind sie nicht, als dass sie nicht, nachdem man ihnen so oft auf den symbolischen Sinn des Ganzen den Kopf gestossen, uns nicht triumphierend ankreiden sollten, dass wir eben die Pointe des Ganzen, das, worauf das Ganze vom Vorspiel her authentisch angelegt ist (das Heroische und der Unglaube ans Heroische oder wie Sie es nennen wollen), nun selbst leichtfertig geopfert haben für den «Abgang». Nun aber, wo ist die Kompromisslinie zwischen Ihrem berechtigten Vorschlag und meinem «weiter kann ich nicht!» – Ich glaube so: ich beharre nur darauf, dass die Gegenstimme in der einzigen Figur Zerbinetta am Schluss einen Moment lang zur Geltung kommt. Also etwa so: indes rückwärts die beiden hinabschreiten, gegens Meer, und bevor das Orchester zum Nachspiel einsetzt, erscheint rechts vorne, an der Kulisse, aber sichtbar, Zerbinetta, weist spöttisch mit dem Fächer

über die Schulter nach rückwärts und fängt an, ihr Couplet zu singen: Kommt der neue Gott gegangen, hingegeben sind wir stumm, usw. Meinetwegen mag sie es nur anfangen, nur die Zeile singen – dann mag das Orchester sie zudecken und der Rest mag nur im Textbuch stehen, mir genügt dann ihr symbolisches spöttisches Dastehen und Wiederverschwinden – und mir scheint sogar, dass dieses Würzen des Sentimentalen durch ein widersprechendes Element ganz in Ihrem Geist ist – so das disharmonische, reizvolle Element in dem kleinen sentimentalen Schlussduettchen im Rosenkavalier – kurz, ich kann die Lösung nur andeuten – aber etwas dergleichen ist unerlässlich.

Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal, Garmisch, 18. Mai 1916

Ihr Wunsch ist mir Befehl: Zerbinetta tritt Ziffer 326 leise aus der Kulisse und singt spöttisch: Kommt der neue Gott gegangen, hingegeben sind wir stumm – stumm –, das Fagott deutet dazu das Rondothema der Arie an, sie verschwindet Ziffer 327. Die Skizze des Vorspiels ist in drei Tagen fertig. Die kleine Liebesszene zwischen Zerbinetta und Komponist ist besonders schön geworden.

Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss, 30. Mai 1916

Mehr als jedes direkte Wort des Lobes von Ihnen ist mir, wenn Sie so etwas über eine Szene schreiben, wie jetzt über die zwischen Zerbinetta und dem Komponisten. Sie müssen mich, ich muss Sie führen, vielleicht kommen wir noch mitsammen in eine ganz neue und bizarre Gegend. Seien Sie nur froh, dass ich Ihnen (auch jetzt wieder bei der Frau ohne Schatten) das Element mitbringe, das die Leute befremden, das einen gewissen Widerstand hervorrufen wird; Sie haben schon zuviel condeszendiert, sind schon allzusehr der Beherrscher des Augenblicks, sind allzu allseitig akzeptiert; mögen Sie sich an mir ärgern, das «Unverständliche» für eine Weile wiederkäuen: das ist eine Hypothek auf die kommende Generation – so auch das Problematische an der Ariadne, das, wogegen heute, die Leute, noch ihr unwilliges: Warum denn? und wozu denn? grunzen…

NEUE WEGE

In «Ariadne auf Naxos» ordnet ein reicher Auftraggeber an, die neue tragische Oper «Ariadne» gleichzeitig mit einer Komödie aufzuführen. Ein Gespräch mit dem Philosophen

Georg W. Bertram über die Kunst der Improvisation

Herr Bertram, wir glauben, unser Leben sei planbar, aber immer wieder geschieht etwas Unvorhergesehenes. Wie sehr sind wir in unserem Alltag auf das Improvisieren angewiesen?

Wir sind täglich mit Sachen konfrontiert, auf die wir nicht vorbereitet sind und reagieren müssen. Im günstigsten Fall haben wir dafür Fähigkeiten erworben. Natürlich gibt es viele Momente, in denen die Dinge relativ routiniert funktionieren. Aber wenn wir etwas tiefer über unseren Alltag nachdenken, werden wir jeden Tag Situationen finden, die ganz anders waren als erwartet. In diesen Situationen beginnt dann im engeren Sinne etwas, das ich als Improvisation bezeichnen würde.

Können Sie ein Beispiel geben?

Gerade in der zwischenmenschlichen Begegnung kann man das gut festmachen. Ich treffe eine Kollegin, die normalerweise immer guter Dinge ist, aber dieses Mal merke ich, dass etwas mit ihr nicht in Ordnung ist. Ich muss versuchen, dem in irgendeiner Art und Weise Rechnung zu tragen und etwas anders machen – und das muss ich in der Situation entwickeln, sonst wäre mein Verhalten nicht angemessen.

Sie haben ein Buch über Improvisation geschrieben. Wie kommt es, dass Sie sich als Philosoph tiefer mit diesem Thema beschäftigen?

Ich komme ursprünglich aus der Sprachphilosophie. Je mehr ich über Sprache und das Regelhafte in ihr nachgedacht habe, desto deutlicher wurde mir, dass die Regeln immer im Wandel begriffen sind. Nichts steht in der Sprache wirklich fest. Es gibt kein festes Deutsch, sondern sich ständig neu ent­

wickelnde Sprechweisen in der Familie, im Freundeskreis, in einer Stadt, in bestimmten Regionen. Sprache wird improvisatorisch weiterentwickelt.

Daraus folgt, dass etwas Regelhaftes durchaus improvisatorisch sein kann, und Improvisation wiederum nicht automatisch bedeutet, dass es keine Regeln gäbe. Improvisation kann sehr wohl mit Regeln verbunden sein. Mein zweiter philosophischer Schwerpunkt betrifft die Ästhetik. Was bedeutet Kunst im menschlichen Leben? Was ist Kunst? Wie funktioniert sie? Mir ist klar geworden, dass wir in der Auseinandersetzung mit Kunst im Grunde über uns selbst improvisieren. Kunst kann uns verunsichern. Unsere festgefahrenen Sichtweisen geraten über einen Moment des Befremdens durcheinander. Wir fangen an, über unsere Sichtweisen nachzudenken. Wenn ich mich zum Beispiel mit Cézannes Malerei auseinandersetze, verändert das irgendwann mein Sehen in der Welt. Plötzlich kann ich Farbkompositionen in einer ganz anderen Art und Weise wahrnehmen. Ich lerne, neu zu sehen und mein Sehen improvisatorisch weiterzuentwickeln.

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Sie schreiben in Ihrem Buch, der Improvisation hafte ein Negativimage an. Warum ist das so? Warum messen wir ihr so wenig Wert bei?

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Weil wir glauben, dass sie etwas Unvollkommenes sei, etwas nicht ganz Gelungenes. Wir glauben, Improvisation verspreche höchstens eine Lösung für den Augenblick, doch dann müsse eine Sache dingfest gemacht werden.

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Das Improvisieren gilt, gerade wenn man an den Alltag denkt, als ein Agieren aus dem Moment heraus, ohne Vorbereitung, und wir glauben, wenn wir gezwungen sind, zu improvisieren, zeigt sich, dass wir die Dinge nicht beherrschen. Aber diese Gleichung ist grundfalsch.

Man braucht grosse Fähigkeiten, um improvisieren zu können.

Improvisation kommt nie aus dem Nichts, sondern beruht auf Erfahrung, Geistesgegenwart und eintrainiertem Vorgehen. Ich muss mein Instrument beherrschen, wenn ich im Jazz improvisieren will. Ich muss die Skalen kennen und um die Harmoniefolgen wissen. Aber noch wichtiger: Ich muss meine Wahrnehmungsfähigkeit so weit entwickelt haben, dass ich irritierende Momente als solche aufzugreifen vermag und sie in eigenen Reaktionen fruchtbar

machen kann. Die Jazzmusikerin muss den anderen zuhören können und nicht nur stur nach einem bestimmten Schema vorgehen. Das Improvisieren basiert auf Fähigkeiten und gleichzeitig geht es darum, die Fähigkeiten in der Situation und in der Interaktion mit anderen kritisch hinterfragen zu lassen und sie weiterzuentwickeln.

In der Oper Ariadne auf Naxos tritt etwas Unvorhergesehenes ein, das der Komponist des Ariadne-Vorspiels als Katastrophe wahrnimmt: Kurz vor Beginn der Vorstellung entscheidet der Auftraggeber der Oper, dass dessen tragische Oper nun gleichzeitig mit einem fremden, lustigen Stück aufgeführt werden soll. Der Komponist ist nach dieser Ankündigung in einer Art Schockstarre. Er sieht die Reinheit seiner Kunst gefährdet. Wie beurteilen Sie seine Reaktion? Er ist im negativen Sinne durch die unerwartete Situation überwältigt und sieht sich seiner Handlungsmöglichkeiten beraubt. Für ihn steht plötzlich alles grundlegend in Frage. Ex negativo lernt er aber nach dem anfänglichen Schock viel darüber, was Improvisieren ausmacht, nämlich etwas Unvorbereitetes für sich produktiv werden zu lassen. Das ist etwas, was wir in der Interaktion mit anderen Menschen immer wieder neu lernen.

In Ariadne ist es vor allem die Komödiantin Zerbinetta, die den Komponisten zu einer Zusammenarbeit ermutigt. An einem gewissen Punkt der Handlung sagt der Komponist sogar: «Ich sehe jetzt alles mit anderen Augen!» Die neue Situation hat ihn – zumindest für einen Moment –tatsächlich zu neuen Erkenntnissen gebracht. Daran zeigt sich, dass Improvisieren ganz wesentlich heisst, nicht einfach nur auf einer bestimmten Idee zu beharren. Haben wir gelernt, zu improvisieren, wirft uns das Überraschende nicht aus der Bahn. Im Gegenteil: Es eröffnet uns Wege. Das gilt für jede soziale Krise, sei es in der Partnerschaft oder einem grösseren Rahmen wie der Politik. Sträuben wir uns gegen den Wandel, erreichen wir nur, dass wir den Kontakt zu dem, was uns umgibt, zu verlieren drohen. Wir müssen den Wandel produktiv machen.

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In Ihrem Buch gehen Sie auf den sozialen Charakter der Improvisation ein. Sie sagen, dass durch Improvisation Begegnungen auf Augenhöhe stattfinden können und alte Prägungen und Machtstrukturen hinterfragt werden. Im Vorspiel zur Ariadne erleben wir im Aufeinandertreffen der Figuren genau das: Plötzlich kommt Lebendigkeit ins Spiel! Genau. Umgekehrt kann Improvisation jedoch auch eine gewisse Form von Unsicherheit erzeugen. Das kann man an der Figur des Komponisten sehr schön beobachten. Die Auseinandersetzung mit etwas, worauf ich nicht vorbereitet bin, und die Notwendigkeit, darauf zu reagieren, birgt das Risiko, dass ich etwas mache, was andere vielleicht unverständlich finden und worauf sie nicht eingehen. In der Jazzimprovisation kann das immer geschehen: Ich spiele etwas, doch die anderen machen nicht mit. Wir befinden uns hier auf unvorbereitetem Terrain. Das gehört zum sozialen Charakter der Improvisation. Das Soziale ist in der Improvisation unabgesichert. Das ist vielleicht neben der Chance, die die Improvisation in sich birgt, die Kehrseite davon.

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In Ariadne auf Naxos gehen dank der Improvisation und der Zusammenarbeit aller Beteiligten schliesslich die ernste und die unterhaltende Kunst eine Symbiose ein, Tragödie und Komödie finden zusammen, das Schwere und das Leichte befruchten sich. Das ist eine schöne Vision. Es ist charakteristisch für das Improvisieren, dass sich die klaren Grenzen von Gattungen und entsprechenden Ordnungen immer wieder verwischen. Insofern könnte man sagen, dass die Ariadne ein Stück über die Theorie des Improvisierens aus einer Metaperspektive ist. Mit dem Improvisieren geraten die Dinge ins Wanken und zeigen sich auf eine interessante Art und Weise in ihren tiefergreifenden Zusammenhängen.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass selbst das Komponieren ein Akt der Improvisation sei. In der Ariadne werden wir live Zeuge eines solchen Vorgangs: Kurz nachdem sich der Komponist über einen frechen Lakaien geärgert hat, kommt ihm ein musikalischer Gedanke, «er blitzt in ihm auf», wie er es formuliert, und dieser musikalische Gedanke festigt sich im Kopf des Komponisten später zu einer kleinen Melodie.

Wenn man an einem musikalisch­thematischen Material arbeitet, ist man zunächst nicht auf etwas festgelegt. Wie eine Komponistin oder ein Komponist die Durchführung eines Themas gestaltet, gibt das Thema nicht vor. Das ist ein improvisatorischer Vorgang. Ich meine damit nicht, dass man wie Chopin am Klavier etwas vor sich hin improvisiert und es nachher notiert, sondern Improvisation geschieht in der notierten Musik auch da, wo mit dem thematischen Material hart gerungen wird. Man sucht nach Lösungen, die nicht naheliegend sind. Die Stücke sind dann besonders gelungen, wenn die Lösungen tatsächlich vom Material her funktionieren. Natürlich darf man Komposition und Improvisation nicht einfach in einen Topf werfen. Aber es gibt auch im kompositorischen Schaffen Dimensionen der Kreativität, die starke improvisatorische Züge aufweisen.

Richard Strauss geht in seiner Oper noch einen Schritt weiter, indem er das improvisatorische Element bereits in die Partitur hineinwebt: Die grosse Koloraturarie der Zerbinetta klingt zum Beispiel sehr improvisiert, ist aber in höchstem Masse kunstvoll notierte Musik. Das kennen wir ja auch von Orchesterkonzerten und den Solo­Kadenzen darin. In der Kunst der Kadenz ist dieses Wechselspiel zwischen notierter Musik und Improvisation immer wieder zu erleben. Auch da gilt das Ideal, es wie improvisiert klingen zu lassen, obwohl es eigentlich zutiefst ausgedacht ist, vom ersten bis zum letzten Ton.

Auch die Entstehungsgeschichte der Ariadne könnte man als eine Art Improvisation bezeichnen. Es gibt insgesamt vier Fassungen davon, zunächst 1912 als Oper, dann 1916 als Oper mit Vorspiel – das ist die Fassung, die wir spielen –, als Ballettmusik und Suite. Strauss und sein Textdichter Hofmannsthal haben jeweils auf spezifische Umstände und Erfahrungen reagiert. Das ist natürlich Improvisation über einen langen Zeitraum…

Ein perfektes Beispiel. Es gibt in der notierten Musik immer den Typus des Schaffenden, der ein für allemal alles wetterfest macht und danach kein Jota mehr ändert. Es gibt aber auch Komponisten wie Bruckner, der von

seinen Sinfonien zahlreiche Fassungen hergestellt hat, weil er mit keiner wirklich zufrieden war und im Grunde immer weiter komponiert hat. Dieses Moment des Immer­Weiterarbeitens sieht man eben auch an der Ariadne

Wir führen unser Gespräch einen Tag nach dem Finale der FussballEuropameisterschaft. Im gesamten Turnier ging es viel um Taktik und Strategie, aber gerade in den Momenten, in denen die Topspieler improvisierten, fielen die Tore.

Das 1:0 im Finale zwischen Spanien und England fiel ja aus einer eher unwahrscheinlichen Situation heraus: Lamine Yamal, dieser Jungstar, hatte den Ball schon fast verloren, doch dann ging er in einer sehr raffinierten Art und Weise plötzlich nach links und flankte zu Nico Williams, der den Ball perfekt ins Tor schob. Daran erkennt man das reaktive und das interaktive Moment sehr deutlich. Im Grunde muss man schon eine Idee haben, was der andere potentiell machen wird, um richtig reagieren zu können.

Man muss perfekt aufeinander eingespielt sein, wie Zerbinetta und ihre Stegreif-Truppe in der Ariadne…

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Man muss nicht nur eingespielt sein in dem Sinne, dass man die Spielzüge perfekt kennt. Man muss vor allem eine Idee haben, was die Mitspieler in einer unvorhergesehenen Situation machen. Bei so guten Spielern wie Williams und Yamal kommt das voll zum Tragen.

Das Gespräch führte Kathrin Brunner

AUGENBLICKE IN GRIECHENLAND

von Hofmannsthal

Standbilder waren da, weibliche, in langen Gewändern. Sie standen um mich im Halbkreis, unwillkürlich zog ich den Vorhang vor die Tür und war allein mit ihnen. In ihrer vollkommenen Ruhe, bis zum Rande gefüllt mit Leben, schienen sie an sich herabzublicken, vor sich hinzublicken, aber sie sahen mich nicht. Trotzdem – das war vielleicht das Letzte, wovon ich in der Sekunde des Eintretens mir Rechenschaft gab, ehe etwas anderes an mir geschah –, sie waren nicht blicklos: dies mochte an dem wunderbaren Leben liegen, mit dem das obere Lid beladen war, und das gegen die Nasenwurzel hinströmte und sich unter den Augen mit erhabenem Ernst verlor. In diesem Augenblick geschah mir etwas: ein namenloses Erschrecken: es kam nicht von aussen, sondern irgendwoher aus unmessbaren Fernen eines inneren Abgrundes: es war wie ein Blitz: den Raum, wie er war, viereckig, mit den getünchten Wänden und den Statuen, die dastanden, erfüllte im Augenblick viel stärkeres Licht, als wirklich da war: die Augen der Statuen waren plötzlich auf mich gerichtet und in ihren Gesichtern vollzog sich ein völlig unsägliches Lächeln. Ich verstand dieses Lächeln, weil ich wusste: ich sehe dies nicht zum erstenmal, auf irgendwelche Weise, in irgendwelcher Welt bin ich vor diesen gestanden, habe mit diesen irgendwelche Gemeinschaft gepflogen, und seitdem habe alles in mir auf einen solchen Schrecken gewartet, und so furchtbar musste ich mich in mir berühren, um wieder zu werden, der ich war. – Ich sage «seitdem» und «damals», aber nichts von den Bedingtheiten der Zeit konnte anklingen in der Hingenommenheit, an die ich mich verloren hatte; sie war dauerlos und das, wovon sie erfüllt war, trug sich ausserhalb der Zeit zu. Es war ein Verwobensein mit diesen, ein gemeinsames Irgendwohinströmen, eine unhörbare rhythmische Bewegung, stärker und anders als Musik, auf ein Ziel zu; ein inneres Hingespanntsein, ein Sich­in­Marsch­Setzen; es glich einer Reise; unzählige tretende Füsse, unzählige Reiter: der Morgen eines feier­

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lichen Tages; jungfräuliche Luft, der frühe Morgen vor der Sonne – daher kam dieses fahle starke Licht, das den Raum und mein Herz durchzuckt hatte –, ein Tag der Hoffnung und der Entscheidung. Irgendwo geschah eine Feierlichkeit, eine Schlacht, eine glorreiche Opferung: das bedeutete dieser Tumult in der Luft, das Weiter­ und Engerwerden des Raumes – das in mir dieser unsagbare Aufschwung, diese überschwellende Geselligkeit, wechselnd mit diesem schlaffen todbehauchten Verzagen: denn ich bin der Priester, der diese Zeremonie vollziehen wird – ich auch das Opfer, das dargebracht wird: das alles drängt zur Entscheidung, es endet mit dem Überschreiten einer Schwelle, mit einem Gelandetsein, einem Hier – mit diesem Dastehen hier, ich inmitten dieser: noch ist das Ganze Gegenwart, in ihren rieselnden Gewändern, in ihrem wissenden Lächeln: da verlischt schon dies in ihre versteinernden Gesichter hinein, es verlischt und ist fort; nichts bleibt zurück als eine todbehauchte Verzagtheit. Statuen sind um mich, fünf, jetzt erst wird mir ihre Zahl bewusst, fremd stehen sie vor mir, schwer und steinern, mit schiefgestellten Augen. Gross sind ihre Gestalten; aufgebaut – tierhaft oder göttlich – aus überstarken Formen; ihre Gesichter sind fremd; geschürzte Lippen, erhabene Augenbogen, mächtige Wangen, ein Kinn, um das das Leben fliesst; sind es noch menschliche Mienen? Nichts an ihnen spielt auf die Welt an, in der ich atme und mich bewege. Ist nicht in diesen zweideutig lächelnden Larven ein lauerndes Herüberblicken von drüben? und zugleich eine ganz momentane und gegenwärtige Drohung, wie von einer Atmosphäre, die sich zusammenballt? Stehe ich nicht vor dem Fremdesten vom Fremden? Blickt hier nicht aus fünf jungfräulichen Mienen das ewige Grausen des Chaos? Aber, mein Gott, wie wirklich sind sie. Sie haben eine atemberaubende sinnliche Gegenwart. Es ist das Geheimnis der Unendlichkeit in diesen Gewändern. Nicht nur dies Gekräuselte, von den Schultern bis unters Knie Hinunterrieselnde, nein, die ganze Oberfläche ist Gewand und webender Schleier, offenbares Geheimnis. Mein Auge sank nicht, doch sank eine Gestalt über die Knie der einen Priesterin hin, jemand ruhte mit der Stirn auf dem Fuss einer Statue. Ich wusste nicht, ob ich dies dachte, oder ob dies geschah. Es gibt einen Schlaf im Wachen, einen Schlaf von wenig Atemzügen, der grössere Kraft der Verwandlung in sich hat und dem Tode verwandter ist als der lange tiefe Schlaf der Nächte.

ARIADNE AUF NAXOS

RICHARD STRAUSS (1864-1949)

Oper in einem Aufzug nebst einem Vorspiel Libretto von Hugo von Hofmannsthal

Uraufführung: 4. Oktober 1916, Hofoper, Wien

Personen des Vorspiels

Der Haushofmeister Sprechrolle

Ein Musiklehrer Bariton

Der Komponist Sopran

Tenor (Bacchus) Tenor

Ein Offizier Tenor

Ein Tanzmeister Tenor

Ein Perückenmacher Hoher Bass

Ein Lakai Bass

Zerbinetta Hoher Sopran

Primadonna (Ariadne) Sopran

Harlekin Bariton

Scaramuccio Tenor

Truffaldin Bass

Brighella Hoher Tenor

Personen der Oper

Ariadne Sopran

Bacchus Tenor

Najade Hoher Sopran

Dryade Alt

Echo Sopran

Zerbinetta Hoher Sopran

Harlekin Bariton

Scaramuccio Tenor

Truffaldin Bass

Brighella Hoher Tenor

VORSPIEL

Ein tiefer, kaum möblierter und dürftig erleuchteter Raum im Hause eines grossen Herrn. Links und rechts je zwei Türen. In der Mitte ein runder Tisch. Im Hintergrund sieht man Zurichtungen zu einem Haustheater. Tapezierer und Arbeiter haben einen Prospekt aufgerichtet, dessen Rückseite sichtbar ist. Zwischen diesem Teil der Bühne und dem vorderen Raum läuft ein offener Gang querüber. Der Haushofmeister tritt auf.

MUSIKLEHRER

Mein Herr Haushofmeister!

Mein Herr Haushofmeister! Sie suche ich im ganzen Hause.

HAUSHOFMEISTER

Womit kann ich dienen?

Muss allerdings bemerken, dass ich pressiert bin. Die Vorbereitungen zur heutigen grossen Assemblee im Hause des reichsten Mannes in Wien – wie ich meinen gnädigen Herrn wohl betiteln darf –

MUSIKLEHRER

Ein Wort nur! Ich höre soeben, was ich allerdings nicht begreifen kann –

HAUSHOFMEISTER

Und das wäre?

MUSIKLEHRER

– und was mich in erklärliche Aufregung versetzt, –

HAUSHOFMEISTER

In Kürze, wenn ich bitten darf!

MUSIKLEHRER

– dass bei der heutigen festlichen Veranstaltung hier im Palais – nach der Opera seria meines Schülers – kaum traue ich meinen Ohren – noch eine weitere, und zwar gleichfalls sozusagen musikalische Darbietung in Aussicht genommen ist – eine Art von Singspiel oder niedrige Posse in der italienischen Buffo­Manier! Das kann nicht geschehn!

HAUSHOFMEISTER

Kann nicht? Wieso?

MUSIKLEHRER

Darf nicht!

HAUSHOFMEISTER

Wie beliebt?

MUSIKLEHRER

Das wird der Komponist nie und nimmer gestatten!

HAUSHOFMEISTER

Wer wird? Ich höre: gestatten. Ich wüsste nicht, wer ausser meinem gnädigen Herrn, in dessen Palais Sie sich befinden und Ihre Kunstfertigkeiten heute zu produzieren die Ehre haben, etwas zu gestatten – geschweige denn anzuordnen hätte!

MUSIKLEHRER

Es ist wider die Verabredung. Die Opera seria Ariadne wurde eigens für diese festliche Veranstaltung komponiert.

HAUSHOFMEISTER

Und das ausbedungene Honorar wird nebst einer munifizenten Gratifikation durch meine Hand in die Ihrige gelangen.

MUSIKLEHRER

Ich zweifle nicht an der Zahlungsfähigkeit eines steinreichen Mannes.

HAUSHOFMEISTER

Für den Sie samt Ihrem Eleven Ihre Notenarbeit zu liefern die Auszeichnung hatten. –Was dann steht noch zu Diensten?

MUSIKLEHRER

Diese Notenarbeit ist ein ernstes bedeutendes Werk. Es kann uns nicht gleichgültig sein, in welchem Rahmen dieses dargestellt wird!

HAUSHOFMEISTER

Jedennoch bleibt es meinem gnädigen Herrn summo et unico loco überlassen, welche Arten von Spektakel er seinen hochansehnlichen Gästen nach Vorsetzung einer feierlichen Kollation zu bieten gesonnen ist.

MUSIKLEHRER

Zu diesen die Verdauung fördernden Genüssen rechnen Sie demnach die heroische Oper Ariadne?

HAUSHOFMEISTER

Zuvörderst diese, danach das für Punkt neun Uhr anbefohlene Feuerwerk, und zwischen beiden die eingeschobene Opera buffa. Womit ich die Ehre habe, mich zu empfehlen. geht ab

MUSIKLEHRER

Wie soll ich das meinem Schüler beibringen?

Geht ab. Ein junger Lakai führt einen Offizier herein.

DER LAKAI

Hier finden Euer Gnaden die Mamsell Zerbinetta. Sie ist bei der Toilette. Ich werde anklopfen.

DER OFFIZIER

Lass Er das sein und geh’ Er zum Teufel. stösst den Lakai heftig weg und tritt ein

DER LAKAI taumelt

Das ist die Sprache der Leidenschaft, verbunden mit einem unrichtigen Objekt.

DER LAKAI gemein plump

Bei der Tafel!

KOMPONIST aufgeregt

Jetzt? Eine Viertelstunde vor Anfang meiner Oper beim Essen?

DER LAKAI

Wenn ich sag’: bei der Tafel, so mein’ ich natürlich bei der herrschaftlichen Tafel, nicht beim Musikantentisch.

KOMPONIST

Was soll das heissen?

DER LAKAI

Aufspielen tun sie. Capito?

Sind also für Sie derzeit nicht zu sprechen.

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KOMPONIST aufgeregt, unruhig

So werde ich mit der Demoiselle die Arie der Ariadne repetieren –

DER LAKAI hält ihn ab

Hier ist nicht die Demoiselle drin, die Sie suchen, diejenige Demoiselle aber, die hier drin ist, ist für Sie ebenfalls nicht zu sprechen.

am

KOMPONIST kommt eilig von rückwärts

Lieber Freund! Verschaffen Sie mir die Geigen. Richten Sie ihnen aus, dass sie sich hier versammeln sollen zu einer letzten, kurzen Verständigungsprobe.

DER LAKAI

Vorstellungsabend

im Foyer des Opernhauses erwerben

Die Geigen werden schwerlich kommen, erstens weil’s keine Füss nicht haben, und zweitens, weil’s in der Hand sind!

KOMPONIST

naiv, belehrend, ohne sich verspottet zu glauben

Wenn ich sage: die Geigen, so meine ich die Spieler.

DER LAKAI gemein, von oben herab

Ach so! Die sind aber jetzt dort, wo ich auch hin sollt’! und wo ich gleich sein werd’ –anstatt mich da mit Ihnen aufzuhalten.

KOMPONIST ganz naiv, zart Wo ist das?

KOMPONIST naiv, stolz

Weiss Er, wer ich bin? Wer in meiner Oper singt, ist für mich jederzeit zu sprechen!

DER LAKAI lacht spöttisch

Hehehe!

winkt ihm herablassend, geht ab

KOMPONIST dem Lakai nach Eselsgesicht! sehr unverschämter frecher Esel! Der Eselskerl lässt mich allein hier vor der Tür –hier vor der Tür mich stehn und geht.

O, ich möcht’ vieles ändern noch in zwölfter Stund

– und heut wird meine Oper –

O der Esel! Die Freud’!

Du allmächtiger Gott!

O du mein zitterndes Herz!

Du allmächtiger Gott!

sinnt der Melodie nach, schlägt sich an den Kopf Dem Bacchus eintrichtern, dass er ein Gott ist!

Ein seliger Knabe!

Kein selbstgefälliger Hanswurst mit einem Pantherfell!

BACCHUS

Nun steigt deiner Schmerzen innerste Lust in dein’ und meinem Herzen auf!

ARIADNE

Du Zauberer, du! Verwandler, du!

Blickt nicht aus dem Schatten deines Mantels der Mutter Auge auf mich her?

Ist so dein Schattenland! also gesegnet!

So unbedürftig der irdischen Welt?

BACCHUS

Du selber! du bist unbedürftig, du meine Zauberin!

ARIADNE

Gibt es kein Hinüber?

Sind wir schon da?

Wie konnt’ es geschehen?

Sind wir schon drüben?

Auch meine Höhle, schön, gewölbt über ein seliges Lager, einen heiligen Altar!

Wie wunder­, wunderbar verwandelst du!

BACCHUS

Du! Alles du!

Ich bin ein anderer, als ich war!

Der Sinn des Gottes ist wach in mir, dein herrlich Wesen ganz zu fassen!

Die Glieder reg’ ich in göttlicher Lust!

Die Höhle da!

Lass mich –die Höhle deiner Schmerzen zieh’ ich zur tiefsten Lust um dich und mich!

Ein Baldachin senkt sich von oben langsam über beide, sie einschliessend

NAJADE, DRYADE, ECHO hinter der Bühne, unsichtbar Töne, töne, süsse Stimme fremder Vogel, singe wieder deine Klagen, sie beleben, uns entzücken solche Lieder.

ARIADNE an seinem Arm hängend

Was hängt von mir in deinem Arm? O, was von mir, die ich vergehe. Fingest du Geheimes mit deines Mundes Hauch?

Was bleibt, was bleibt von Ariadne?

Lass meine Schmerzen nicht verloren sein! Bei dir lass Ariadne sein!

ZERBINETTA tritt aus der Kulisse, weist mit dem Fächer über die Schulter auf Bacchus und Ariadne zurück und wiederholt mit spöttischem Triumph ihr Rondo Kommt der neue Gott gegangen, hingegeben sind wir stumm!

BACCHUS’ STIMME

Deiner hab’ ich um alles bedurft!

Nun bin ich ein anderer, als ich war, durch deine Schmerzen bin ich reich, nun reg’ ich die Glieder in göttlicher Lust!

Und eher sterben die ewigen Sterne, eh’ denn du stürbest aus meinem Arm.

Der Baldachin hat sich geschlossen.

Programmheft

ARIADNE AUF NAXOS

Oper in einem Aufzug nebst einem Vorspiel von Richard Strauss (1864-1949)

Libretto von Hugo von Hofmannsthal

Das komplette Programmbuch können Sie

Premiere am 22. September 2024, Spielzeit 2024/2025

Herausgeber Opernhaus Zürich

auf www.opernhaus.ch/shop

Intendant Andreas Homoki

Zusammenstellung, Redaktion Kathrin Brunner Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli

Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing Telefon 044 268 66 33, inserate@opernhaus.ch

Schriftkonzept und Logo Studio Geissbühler

Druck Fineprint AG

oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

Textnachweise:

Die Inhaltsangabe, die Interviews mit Andreas Homoki, Markus Poschner und Georg W. Bertram sowie der Artikel «Das Geheimnis der Verwandlung» von Hans-Joachim Hinrichsen sind Originalbeiträge für dieses Heft. – Hugo von Hofmannsthal, «Augenblicke in Griechenland», in: «Erzählungen», Stuttgart 2000. – Ovid, Briefe der Heroinen, Stuttgart 2000. – Richard Strauss, Betrachtungen und Erinnerungen, Mainz 2014. – Richard Strauss, Hugo von Hofmannsthal, Briefwechsel, hg. von Willi Schuh, Zürich 1978.

Bildnachweise:

Monika Rittershaus fotografierte das «Ariadne»-Ensemble während der Klavierhauptprobe vom 12. September 2024.

Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie der Beiträge der Kantone Luzern, Uri, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und der Kantone Nidwalden, Obwalden und Schwyz.

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