SERSE
GEORG FRIEDRICH HÄNDEL
GEORG FRIEDRICH HÄNDEL
Spielzeit 2022/23
Jeder Schmerz würde leicht, könnte man sich verlieben und entlieben, wie man will.
Serse
«Das Gewebe dieses Dramas ist so überaus leicht zu verstehen, dass es den Leser nur beschweren würde, ihm zur Erklärung eine lange Inhaltsangabe vorzusetzen. Einige törichte Akte und die Unbesonnenheit Xerxes’ (so etwa, wenn er sich in einen Baum verliebt und eine Brücke über den Hellespont bauen lässt, um Asien mit Europa zu vereinen) sind das Fundament der Handlung. Das Übrige ist erdichtet.»
Georg Friedrich Händel im Textbuch zu seinem neuen Werk (1738)
Serse, eigenwilliger und reicher Geschäftsmann, findet seinen Seelenfrieden beim Anblick eines Baumes. Er ist verlobt mit Amastre. Ihrer überdrüssig geworden, wählt er schon bald Romilda als neues Objekt der Begierde, deren Stimme ihn verzaubert hat. Er will sie um jeden Preis besitzen und befiehlt Arsamene, die Verbindung zu arrangieren.
Arsamene, Bruder von Serse, ist seit kurzem mit Romilda zusammen und hat seine Liebe zunächst geheim gehalten. Da er Serses Befehl nicht ausführt, weil er als Rivale von Serse nicht von Romilda lassen will, entzieht ihm Serse das Wohnrecht.
Romilda hält Arsamene die Treue. Die Liebesverirrungen und -verwirrungen bringen sie nicht von ihrem Weg ab.
Atalanta, Romildas Schwester, liebt Arsamene und will ihn mit allen Mitteln ihrer Schwester ausspannen und für sich gewinnen. Zur Not auch mit Lügen und abgefangenen Briefen. Sie versucht Romilda von den Vorzügen Serses zu überzeugen.
Amastre, Serses verstossene Verlobte, sucht unter einer anderen Identität auch weiterhin die Nähe von Serse. Sie hofft, dass er bald reuevoll zu ihr zurückkehrt.
Ariodate, Vater der beiden Schwestern, ist nur allzu gerne bereit, Romilda mit jemandem aus Serses Familie zu verheiraten. Er glaubt, Serse wolle, dass Romilda Arsamene heirate und vermählt die beiden miteinander – zum grossen Entsetzen von Serse.
Elviro, bester Kumpel von Arsamene, plaudert Amastre die ganze Geschichte von der Dreiecksbeziehung Serse-Romilda-Arsamene aus. Einen Liebesbrief von Arsamene an Romilda händigt er fatalerweise an Atalanta aus.
Spielzeit 2022/23
Xerxes, ein Sohn des Perserkönigs Darius und der Tochter des Königs Cyrus, regierte nach seines Vaters Tod das Königreich, nachdem er sich mit seinem Bruder Atobazanes geeinigt hatte. Er war mächtiger und reicher als alle andern Könige und konnte mit keinem Menschen seiner Zeit verglichen werden. Dadurch wurde er so hoffärtig und stolz, dass er meinte, nicht nur gegen die ganze Welt Krieg führen zu können, sondern auch den Himmel den Göttern abgewinnen zu müssen. Diesen Stolz und Hochmut konnte Gott auf die Dauer nicht dulden.
Giovanni Boccaccio
Ein Gespräch der Regisseurin Nina Russi und Dirigent Markellos Chryssicos anlässlich der Premiere von Händels «Serse» am Stadtheater Winterthur
Nina, Händels Oper beginnt damit, dass Serse die Schönheit eines Baumes besingt. Es ist das berühmte Larghetto «Ombra mai fu». Was sagt das über die Oper und ihre Titelfigur aus?
Nina Russi: Das ist ein kurioser Beginn. Der historische Herrscher Xerxes war ja bekannt als skrupelloser Machtmensch. Und hier: Ein Tyrann, der vollkommen bei sich ist und sich an der Schönheit der Natur, an einem Baum ergötzt? Natürlich fragt man sich, wie das zusammengeht. Das hat etwas Tragikomisches und ist auch der Grundton dieser Oper. Tatsächlich war der historische Xerxes nicht nur Machtmensch, sondern eine schillernde, verrückte Persönlichkeit. Die Episode mit der Liebe zur Platane scheint sogar historischen Tatsachen zu entsprechen. Angeblich liess er das Meer auspeitschen und Fussfesseln hineinwerfen, als seine Brücke über den Hellespont nicht hielt.
Händel ist aber grundsätzlich nicht am historischen Vorbild interessiert, sondern an den privaten Seiten eines Herrschers, der gewohnt ist, alles zu bekommen und dafür schamlos über Grenzen geht. Händel zeigt diese Figur, wie sie permanent scheitert und sich mit ihren menschlichen Abgründen konfrontiert sieht.
Es ist die Liebe, die den souveränen Herrscher aus dem Konzept bringt.
Nina Russi: Ich würde sagen, zwischenmenschliche Beziehungen überhaupt. Wir sehen Serse nie in der Öffentlichkeit, sondern nur im Verbund mit anderen Figuren, mit denen es ihm schwerfällt, eine Beziehung auf Augenhöhe zu führen. Aber nur so ist wahre Liebe möglich. Das ist wahrscheinlich auch die geheime Botschaft dieser Oper, die so leicht und luftig und gleich-
zeitig tiefsinnig daherkommt wie ein Stück von Shakespeare und bereits auf die Opern Mozarts vorausweist.
Worum geht es denn in dieser Geschichte? Kann man sie überhaupt nacherzählen?
Nina Russi: Das ist im Detail ähnlich kompliziert wie bei Le nozze di Figaro. Wer gerade welchen Wissensstand aufgrund welchen Briefes hat, die vielen Missverständnisse, Intrigen und Verwechslungen, ist verwirrend. Im Grunde genommen ist es aber eine ziemlich traurige Familiengeschichte zwischen zwei Halbbrüdern, Serse und Arsamene, und den beiden Schwestern Romilda und Atalanta. Arsamene und Romilda sind ein Paar, aber Serse setzt sich in den Kopf, Romilda zu erobern, und Atalanta versucht, ihrer Schwester den Freund auszuspannen. Dann gibt es noch Amastre, Serses Ex-Verlobte, sowie Elviro, den schrägen Kumpel von Arsamene. Ariodate, der Vater der beiden Schwestern und ehemaliger Angestellter von Serse, bringt auch einiges durcheinander. Es sind nur sieben Personen, aber es werden sämtliche denkbaren Figurenkonstellationen durchgespielt, und das in einem rasenden Tempo. Manchmal fühlt man sich wie in einer Stegreifkomödie, so schnell wechseln die Situationen.
Markellos, wie sieht diese Stegreifkomödie auf der musikalischen Ebene aus?
Markellos Chryssicos: Dazu möchte ich vorausschicken, dass sich Händel in der Zeit des Serse an einem künstlerischen und ökonomischen Scheideweg befand. Sein Opernunternehmen ging Pleite, das Londoner Publikum verlor allmählich das Interesse an der Opera seria, wie sie dreissig Jahre lang zu erleben war. Händel musste sich neu erfinden und schrieb nach Serse ja dann auch seine grossen Oratorien. Zur Zeit der Komposition von Serse war Händel sehr von der Beggars’ Opera von Pepusch und Gay inspiriert, die einen enormen Einfluss auf das damalige Musikleben in London hatte. Darin verlor die klassische, starre Form der da-Capo-Arie ihre Vorrangstellung, vielmehr standen jetzt kurze Nummern, Volksweisen und Volkslieder im Zentrum. Die Tendenz zu kürzeren Formen lässt sich auch bei Serse beobachten,
auch wenn Händel die da-Capo-Arien nicht ganz abschafft, sie aber doch oft auffällig kurz gestaltet. Es gibt in Serse viele Ariosi-Formen oder Nummern, die ganz ohne musikalische Einleitung auskommen. Diese Formenvielfalt mag den Eindruck von etwas Improvisiertem erwecken oder eben von einer Stegreifkomödie. Ich sehe darin auch eine Abkehr vom Elitären, hin zu mehr Volksverbundenheit, gerade auch in den Buffo-Elementen dieses Stücks.
Nina Russi: Auffällig ist auch, dass es nicht mehr soviele Rezitative gibt und die Handlung zuweilen sogar in den Arien vorangetrieben wird. Die Sprache des Librettos ist sehr direkt und einfach, im besten Sinne. Ich kenne das so von keiner anderen Händel-Oper.
Jedenfalls unterscheidet sich Serse sehr von Händels drei Jahre zuvor entstandener MagicOpera Alcina, die mit viel aufwändigem Bühnenzauber gezeigt wurde. Sämtliche Vorgänge – erotische Verführung oder das Spiel mit den Geschlechtern – geschehen dort unter dem Deckmantel der Zauberei …
Nina Russi: Händels Serse kommt ganz ohne barocken Theaterzauber aus. Manchmal sind die theatralen Situationen sogar beinahe Alltagssituationen nachempfunden. Für mich sind das allesamt sehr heutige Figuren, es sind moderne Konstellationen, und es werden heutige Themen verhandelt. Das hat mich von Anfang an fasziniert. Es war für uns als Team klar, dass wir diese Geschichte mit modernen Mitteln und modernen Menschen erzählen wollen. Es sind junge Menschen, die auf Identitätssuche sind, dabei tiefe Sehnsucht haben nach Liebe und der Erfüllung ihres Begehrens. Händel zeigt in jedem Moment: Verliebt zu sein ist ein Ausnahmezustand. Serses Leidenschaft macht ihn zum Beispiel geradezu blind gegenüber allen und allem. So kann man durchaus verstehen, warum Serse seine von ihm verstossene Verlobte Amastre nicht erkennt, als sie in einer Tarnidentität wieder die Nähe zu ihm sucht.
Markellos, die unterschiedlichen Arien kommen mir wie ein buntes Kaleidoskop vor. Welche Farbe hat Serse, wie ist er musikalisch charakterisiert?
Markellos Chryssicos: Das kann man so nicht sagen. Ich gehöre zu denjenigen, die behaupten, dass die psychologische Grundierung eines Charakters
in der Identität und Tiefe, wie wir sie von Figuren in späteren Opern kennen, im Barockzeitalter so noch nicht existiert. Die Arien sind eher Gefässe und daher auch oft austauschbar. Die berühmte Arie «Lascia ch’io pianga» aus Rinaldo hat Händel zum Beispiel aus seiner früheren Oper Il trionfo del tempo e del disinganno eins zu eins übernommen und einfach nur den Text geändert. Selbst die sogenannte Tonartencharakteristik schien für Händel keine Rolle zu spielen: War eine Arie für einen Sänger oder eine Sängerin zu hoch, transponierte er sie einfach um einen Ton tiefer. Händel war da sehr pragmatisch.
Nina Russi: Die beiden Brüder Serse und Arsamene zum Beispiel sind in ihren Arien aber doch auch musikalisch gezeichnet und voneinander abgegrenzt. Arsamene hat auffällig viele langsame, tiefe Arien, die auf einen eher depressiven, melancholischen Charakter hinweisen. Deshalb ist Arsamene in unserer Inszenierung ein Singer-Songwriter, ein Künstlertyp, der immer wieder mit sich hadert und an allem zweifelt. Er leidet sehr unter der Rivalität mit seinem Halbbruder und ist sich nicht sicher, ob ihm Romilda wirklich die Treue hält, nachdem ihn sein Bruder aus dem Haus gejagt hat. Im Gegensatz zu Serse ist Arsamene viel reflektierter, tiefgründiger, und er ist eindeutig der Sympathieträger des Abends.
Markellos Chryssicos: Für dich als Regisseurin ist es natürlich wichtig, einen starken dramaturgischen Rahmen zu setzen, um den Vorgängen auf der Bühne Plausibilität zu verleihen und die Charaktere lebendig werden zu lassen. Das ist richtig und schön – und hilft letztlich auch der musikalischen Interpretation. Denn es gibt unendlich viele Möglichkeiten, diese Musik zum Leben zu erwecken.
Händel standen ganz bestimmte Sängerinnen und Sänger zur Verfügung, denen er die Partien auf den Leib schrieb. Das waren ja auch sehr spezifische Charaktere …
Markellos Chryssicos: Natürlich. Händel schrieb für die Gesangsstars der damaligen Zeit. Als Serse hatte er den berühmten Kastraten Caffarelli, als Romilda die Francesina, die später auch vielen Händel-Oratorien ihren Stempel aufdrücken sollte. Das ging meistens sehr gut. Wenn es eine Wieder-
aufnahme gab und die Besetzung wechselte, machte Händel kleinere Änderungen, aber nicht mehr allzu grosse. Seine kreative Energie steckte er jeweils in die Uraufführungen. Aber er verfuhr dabei eben sehr pragmatisch. Der romantische Geniebegriff greift bei Händel jedenfalls nicht. Händel war auch Unternehmer und sah sich mit vielen täglichen Theaterproblemen konfrontiert. Es gibt dieses wunderbare Buch von Benedetto Marcello mit dem Titel Il teatro alla moda. Darin beschreibt er höchst unterhaltsam, wie das Theater damals funktionierte, und gibt Künstlerinnen und Künstlern Tipps. Einem Kostümbildner empfiehlt er beispielsweise, ein Kostüm erst in letzter Minute zu zeigen, da sich die Sänger andernfalls beschweren und Änderungen verlangen könnten. Die Probleme haben sich bis heute nicht verändert. Dennoch: Wenn wir eine Zeitreise ins Barockzeitalter unternehmen würden, wären wir überrascht, wie damals Oper gemacht und rezipiert wurde. Das hat nichts damit zu tun, wie wir heute mit diesen Werken umgehen.
Wir haben bei Serse einiges gestrichen. Hattest du dabei keine Skrupel? Markellos Chryssicos: Ich bin grundsätzlich ein sehr unmoralischer, skrupelloser Charakter... Aber nochmals: So wie wir heute drei Stunden still auf unserem Stuhl sitzend einer Oper in beinahe sakraler Stimmung zuhören, wurde Oper im Barockzeitalter nicht erlebt. Die Leute gingen rein und raus, assen und tranken während der Vorstellung. Es ging darum, Spass zu haben – was damals gar nicht so einfach war. Heute können wir den Fernseher anmachen, ins Kino gehen, Videogames spielen... Wenn Händel für spätere Wiederaufnahmen Striche machte, waren das oft gar nicht so überzeugende, kohärente Striche. Ich glaube, der Barockmensch Händel hätte nichts gegen unsere Fassung einzuwenden.
Das Interview führte Kathrin Brunner
Er [Händel] hat mich von meiner Kindheit an bis zum heutigen Tag bezaubert, und da ich so lange sein Schuldner für eine der grössten Freuden gewesen bin, deren unsere Natur fähig ist, halte ich es gerade jetzt für meine Pflicht, da es eine Mode geworden ist, ihn zu vernachlässigen, ihn (der mir als Person unbekannt ist) der öffentlichen Liebe und Dankbarkeit dieser grossen Stadt zu empfehlen, deren Bewohner mit mir sich so lange an der Harmonie seiner Komposition erfreut haben.
Cotsoni [= Cuzzoni], Faustina, Cenosini (= Senesino] und Farinelli haben unser Ohr bezaubert: wir liefen wie die Verrückten hinter ihnen her und traten Parteien für den einen oder den anderen mit ebensolcher Heftigkeit bei, als ob der Staat auf dem Spiel stehe. Ihre Stimmen waren wirklich angenehm für das Ohr; aber es war Händel, der sie überzeugend machte; es war seine Komposition, die die Seele berührte und uns in die verrückten Extreme der Parteienwut für die einzelnen Darsteller trieb. Sein Einfluss herrschte, obwohl seine Macht unsichtbar war; und der Sänger hatte den Ruhm und den Profit, während das arme, aber stolze Los des vergessenen Meisters das unbemerkte und fast unbelohnte Verdienst war.
J. B. («London Daily Post«» vom 4. April 1741)
Chelsea Zurflüh
Spielzeit 2022/23
Joana vor 5 Monaten
Tolles Video, Girl !
youtube, 2022
Sie galt als eines der grössten Rätsel der Menschheit. Nun wissen Anthropologen, Hirnforscher und Psychologen, wie die Liebe in unseren Körpern und Köpfen entsteht. Doch was bedeutet sie?
Tobias Hürter
Wenn man die Liebe mit den Augen heutiger Naturwissenschaftler betrachtet, wirkt sie in der Tat nicht sonderlich attraktiv. So hat die amerikanische Anthropologin Helen Fisher, die an der Rutgers University forscht und lehrt, gemeinsam mit Neurowissenschaftlern schwer verliebte Versuchspersonen in die Röhre eines Kernspintomografen geschoben, um ihr Gehirn zu durchleuchten: manche von ihnen frisch verliebt, manche frisch verlassen, manche glücklich in einer jahrzehntelangen Beziehung. Sie sah, dass die romantische Entrückung das menschliche Zentralorgan gründlich umprogrammiert. Vor allem aktiviert die Liebe jene Areale, die in den dunklen Tiefen des Gehirns sitzen, die weit unterhalb der Schwelle des rationalen Denkens arbeiten und den Fluss des «Belohnungshormons» Dopamin regulieren. Verliebtheit ist demnach kein höherer Geisteszustand, nicht einmal ein Gefühl, sondern ein archaischer Trieb, sagt Fisher.
Die neurochemischen Veränderungen gleichen jenen, die Kokain und andere Drogen in den Gehirnen von Abhängigen bewirken. Wenn Physiologie alles wäre, dann könnte man sagen: Ein Abhängiger ist in Kokain verliebt und jemand Verliebtes abhängig von seiner oder seinem Angebeteten. Die physiologische Ähnlichkeit bleibt auch, wenn das Objekt der Begierde ausser Reichweite rückt. Ob Drogenentzug oder Liebeskummer, der zerebrale Leidenszustand ist der gleiche. Helen Fisher rät daher, in Liebesdingen sorgfältig auf die Dosierung zu achten. Warum nicht eine ruhige Freundschaft statt verzehrender
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Liebe? Neurophysiologisch gesehen mag es also ziemlich egal sein, ob man verliebt ist oder kokainabhängig. Doch das Nutzer-Erlebnis ist ein völlig anderes. Kokain ist nichts als eine chemische Substanz. Liebe bedeutet etwas. Liebe bedeutet alles, haben manche Leute gesagt – Jesus von Nazareth zum Beispiel. Was genau bedeutet Liebe? Das kann man auch mit dem besten Hirnscanner nicht erkennen. Bedeutungsfragen sind eher was für Philosophen. Tatsächlich spielt die Liebe eine grosse Rolle in der abendländischen Philosophie. Platon hat eines seiner besten Bücher, Das Gastmahl, über sie geschrieben. Aristoteles hat seine Ethik zum grossen Teil auf sie gegründet, Augustinus seine gesamte Philosophie. Wobei die meisten Philosophen das deutsche Wort «Liebe» natürlich nicht kannten, sondern die Vokabeln anderer Sprachen, die diesem Wort bloss ungefähr entsprechen. «Liebe» hat sich aus germanischen Formen des Sanskrit-Wortes lubh entwickelt, was Begierde bedeutet. Und Begierde spielt zweifellos mit in dem Gefühlscocktail, den die Liebe uns serviert. Aber Begierde ist eben nicht gleich Liebe. Man kann begehren, ohne zu lieben, und lieben, ohne zu begehren. Die Schwierigkeit, mit der alle Versuche kämpfen, die Liebe zu verstehen, ist gerade, dass sich in ihr verschiedenste Dinge berühren, die nicht ohne Weiteres zusammenpassen: lodernde Leidenschaft und der Wunsch nach Beständigkeit; Freiheitsdrang und Sehnsucht nach Geborgenheit. Liebe soll das Göttlichste auf Erden sein, aber Sex die grösste Sünde – nanu? Da gibt es einiges zu entwirren, das erkannten schon die Philosophen des antiken Griechenlands. Sie unterschieden zwischen eros, der leidenschaftlichen Liebe, und philia, der freundschaftlichen Liebe. Durch die Übersetzung der jüdisch-christlichen Schriften ins Griechische kam schliesslich ein dritter Aspekt der Liebe hinzu: agape, die fürsorgliche Liebe. Das Paradigma der agape ist die Liebe Gottes zu den Menschen. Man kann eros und agape als Gegensätze sehen: Dem einen geht es um die Befriedigung eines eigenen Bedürfnisses, er ist selbstsüchtig; der anderen geht es um die Bedürfnisse dessen, auf den die Liebe gerichtet ist, sie ist selbstlos. Dabei schlossen sich eros, agape und philia keineswegs aus – im Gegenteil, in einer vollwertigen Liebe waren alle drei vereint.
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Fragt man Menschen in langen, glücklichen Beziehungen, wie die Liebe sie verändert hat, dann bekommt man manchmal Antworten wie diese: «Ich habe das Gefühl, in der Liebe zu Anna (oder Bruno) zu mir selbst gefunden zu
haben.» Das kann man als blanke Egozentrik verstehen. Man kann es aber auch so verstehen, dass diese Menschen in ihrer Liebesbeziehung eine existenzielle Heimat gefunden haben. Die Liebe gibt ihnen den Ort in der Welt, an den sie gehören – eine feste Basis, von der aus sie nicht nur nehmen, sondern ebenso geben können: Auch die Menschen, mit denen die Liebe sie verbindet, können darin das Gleiche finden. «Liebe ist die Entrückung, die wir für Menschen und Dinge verspüren, die in uns die Hoffnung auf ein sicheres Fundament für unser Leben wecken», sagt der Philosoph Simon May, der am King’s College in London lehrt. Dagegen verblasst alle Schönheit.
Simon May beruft sich unter anderem auf Sigmund Freud, den Pionier des Unbewussten und Erfinder der Psychoanalyse, der eine wenig schmeichelhafte Auffassung von der Liebe hatte: Diese sei der unbewusste Wunsch des Menschen, in jene Geborgenheit zurückzukehren, die er als Säugling am Busen seiner Mutter erlebt habe. Man sollte diesen Wunsch natürlich nicht wörtlich nehmen.
Die allerwenigsten Erwachsenen wollen Muttermilch. Die Geborgenheit, nach der sie sich sehnen, ist ein sinnvolles Leben in sicheren Umständen. Und Klarheit darüber, was wirklich wichtig ist. All das verspricht die Liebe. Kein Wunder, dass die Sehnsucht nach der Liebe in einer unübersichtlichen Welt lebendig bleibt.
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Ein liebender Mensch verleugnet nicht sein Wesen. Aber er ändert sein Leben. Auch deshalb haben viele heute ein gespaltenes Verhältnis zur Liebe.
Sein Leben ändern für jemand anderen? In einer Zeit, in der Individualisierung zu den Megatrends gezählt wird, ist das ziemlich viel verlangt.
Und warum lieben wir einen bestimmten Menschen: ausgerechnet ihn und nicht einen anderen? Dafür kann es viele Gründe geben: bessere, schlechtere, aber keine zwingenden. Vielleicht haben wir uns spontan in ihn verliebt, oder er hat hartnäckig geworben. Vielleicht sind dabei uralte genetische Programme am Werk oder der Parship-Algorithmus. Die genauen Gründe sind nicht so wichtig. Es ist nicht so, dass man einen Menschen liebt, weil er ganz oben auf einer Rangliste steht. Sondern umgekehrt: Er steht ganz oben, weil man ihn liebt.
Yes, no, maybe I don’t know
Can you repeat the question?
You’re not the boss of me now
You’re not the boss of me now
You’re not the boss of me now, and you’re not so big
Life is unfair, so I just stare at the stain on the wall where
The TV’d been, but ever since we've moved in it’s been empty
Why I, why I’m in this room
There is no point explaining
You’re not the boss of me now, and you’re not so big
You’re not the boss of me now
Life is a test, and I confess I like this mess I’ve made so far
Grade on a curve and you’ll observe
I’m right below the horizon
Yes, no, maybe, I don’t know
Can you repeat the question?
You’re not the boss of me now, and you’re not so big
Life is unfair
Boss of Me, Das Los des jüngeren Bruders
Lied von They Might Be Giants
Dramma per musica in 3 Akten
Libretto nach Niccolò Minato und Silvio Stampiglia
Uraufführung: 15. April 1738, King’s Theatre, Haymarket, London
Fassung Zürich 2022/23
Personen
Serse (Xerxes), König von Persien Sopran
Arsamene, sein Bruder Mezzosopran
Romilda, Freundin von Arsamene Sopran
Atalanta, Schwester von Romilda Sopran
Ariodate, Vasall von Serse, Vater der Schwestern Bass
Amastre, Serses Verlobte Alt
Elviro, Diener von Arsamene Bass
SCENA I
Belvedere accanto d’un bellissimo giardino, in mezzo di cui v’è un platano.
Serse sotto il platano
1. ACCOMPAGNATO
SERSE
Frondi tenere e belle del mio platano amato, per voi risplenda il fato. Tuoni, lampi, e procelle non v’oltraggino mai la cara pace, né giunga a profanarvi austro rapace.
2. ARIA
Ombra mai fu di vegetabile cara ed amabile soave più.
Si tiene ammirando il platano.
SCENA 2
Arsamene, Elviro insonnito, e Romilda nel belvedere
RECITATIVO
ARSAMENE
Siam giunti, Elviro
ELVIRO Intendo.
ARSAMENE dove alberga
ELVIRO Seguite.
ARSAMENE … l’idol mio.
1. SZENE
Ein Aussichtspavillon am Rande eines prächtigen Gartens, in dessen Mitte eine Platane steht.
Xerxes unter der Platane
1. ACCOMPAGNATO
XERXES
Ihr zarten, schönen Blätter meiner geliebten Platane, das Schicksal soll euch leuchten. Mögen Donner, Blitz und Stürme nie euren süssen Frieden stören, möge der räuberische Südwind euch keinen Schaden zufügen.
2. ARIE
Nie war der Schatten einer geliebten grünen Pflanze lieblicher.
Er betrachtet voller Bewunderung die Platane.
2. SZENE
Arsamene, der schläfrige Elviro und Romilda im Pavillon
REZITATIV
ARSAMENE
Da sind wir, Elviro
ELVIRO Verstehe.
ARSAMENE hier wohnt
ELVIRO Sagt schon
ARSAMENE … die Frau, die ich liebe.
ELVIRO Dite pure.
ARSAMENE Oh, se fortuna
ELVIRO in atto di partire Sì, cosi è
ARSAMENE Tu, dove vai?
ELVIRO Men vado ad appoggiarmi, ché di sonno io cado.
ARSAMENE Vien qui pronto, ti dico.
ELVIRO Me n’ anderò a dormire.
ARSAMENE Non ti partir
4. ARIOSO E RECITATIVO
ELVIRO Ich höre.
ARSAMENE Ach, wenn das Schicksal doch
ELVIRO will sich davonmachen Ja, ja, so ist es
ARSAMENE Wo willst du hin?
ELVIRO Ich lege mich ein wenig hin, ich falle um vor Müdigkeit.
ARSAMENE Komm sofort zurück, ich warne dich.
ELVIRO Ich geh’ jetzt schlafen.
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ROMILDA nel belvedere O voi
ARSAMENE Questa è Romilda.
ARSAMENE Nein, du bleibst hier
4. ARIOSO UND REZITATIV
ROMILDA im Pavillon O ihr
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ROMILDA O voi che penate
ELVIRO Romilda, è ver?
ARSAMENE Sì, taci.
ELVIRO E chi favella?
ROMILDA O voi che penate per cruda beltà, un Serse
ARSAMENE Das ist Romilda.
ROMILDA O ihr, die ihr leidet
ELVIRO Romilda, richtig?
ARSAMENE Ja, still.
ELVIRO Wer spricht da?
ROMILDA O ihr, die ihr leidet wegen einer grausamen Frau, seht euch Xerxes an
ATALANTA
Ed io cercherò altrove un altro amante.
SERSE
Amici, compartite i miei furori e godete felici i vostri amori.
CORO
Ritorna a noi la calma riede la gioia al cor. Per riportar la palma s’unirò amore e onor!
Fine
ATALANTA
Und ich werde mir anderswo einen anderen Geliebten suchen.
XERXES
Freunde, verzeiht mir meinen Zorn und geniesst glücklich eure Liebe.
CHOR
Der Frieden kehrt zu uns zurück, es herrscht wieder Freude in unseren Herzen, um zu siegen haben sich Liebe und Ehre vereint!
Ende
Deutsche Übertragung: Daniela Wiesendanger
Programmheft
SERSE
Dramma per musica in drei Akten von Georg Friedrich Händel (1685-1759) Unbekannter Librettist
Premiere am 6. Mai 2023, Spielzeit 2022/23, Theater Winterthur Wiederaufnahme am 29. September 2024, Spielzeit 2024/25, Opernhaus Zürich
auf www.opernhaus.ch/shop
Herausgeber Opernhaus Zürich Intendant Andreas Homoki Zusammenstellung, Redaktion Kathrin Brunner Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing Telefon 044 268 66 33, inserate@opernhaus.ch Schriftkonzept und Logo Studio Geissbühler Druck Fineprint AG
oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben
Textnachweise:
Der Text zu den Figuren und das Interview sind für dieses Heft entstanden. Weitere Quellen: Giovanni Bocaccio, Die neuen Bücher vom Glück und Unglück berühmter Männer und Frauen, München 1965. – Georg Friedrich Händel in Briefen, Selbstzeugnissen und zeitgenössischen Dokumenten, zusammengestellt und erläutert von Dieter Schickling, Zürich 1985. – Internetquellen: https://www.zeit.de/zeitwissen/2017/01/beziehungen-liebe-philosophie-platondating-apps-erotik/komplettansicht. – https://www.you tube.com/watch?v=QytVw02nrzw. – https://genius.com/ They-might-be-giants-boss-of-me-lyrics
Bildnachweis: Herwig Prammer fotografierte die Klavierhauptprobe am 28. April 2023.
Wir bitten Sie, während der Vorstellung elektrische Geräte mit akustischen Signalen (Mobiltelefone, Uhren usw.) ausgeschaltet zu lassen. – Zu spät kommende Besucher werden nur bei Unterbrechungen eingelassen. – Das Fotografieren sowie Film- und Tonaufnahmen während der Vorstellung sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.
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Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie der Beiträge der Kantone Luzern, Uri, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und der Kantone Nidwalden, Obwalden und Schwyz.
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Luzius R. Sprüngli
Madlen und Thomas von Stockar