Clara

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CLARA

CATHY MARSTON

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CLARA

BALLETT VON CATHY MARSTON

Musik von Clara Schumann, Robert Schumann, Johannes Brahms und Philip Feeney

Choreografie und Inszenierung Cathy Marston

Musikalische Leitung Daniel Capps

Musikarrangements und Originalkomposition Philip Feeney

Szenarium Cathy Marston, Edward Kemp

Bühnenbild Hildegard Bechtler

Kostüme Bregje van Balen

Lichtgestaltung Martin Gebhardt

Dramaturgie Edward Kemp, Michael Küster

Partnerin Ballett Zürich und mit der Unterstützung der Freunde des Balletts Zürich

Die Ausübung der Kunst

ist ja ein grosser Teil meines Ichs, es ist mir die Luft, in der ich atme!
Clara Schumann an Johannes Brahms, 15. Oktober 1868

HANDLUNG

Am Anfang sind Tasten. Ein hölzernes Gehäuse. Hämmer. Saiten. Sieben Töne der Tonleiter, aus denen sich alles ergibt.

Clara, die Tochter des Musikerpaars Friedrich und Mariane Wieck. Friedrich ist Klavierlehrer, und Clara ist sein Projekt, der lebende Beweis für seine Lehrmethode. Die Ehe geht in die Brüche, und Mariane zieht weg, um mit dem Musiker Adolph Bargiel zusammenzuleben. Sie möchte Clara mitnehmen, doch Wieck ist nicht bereit, seine begabte Tochter jemand anderem zu überlassen.

Robert Schumann, der frühreife Komponist, kommt als Schüler zu Wieck und findet sich mit Clara am Klavier wieder – zwei Ausnahmetalente Seite an Seite. Doch Clara ist noch ein Mädchen, und Robert ist ein junger Mann. Vorläufig wirft er ein Auge auf Christel, Wiecks Dienstmädchen, und er löscht seinen Durst in den Kneipen der Stadt.

Clara wird sechzehn und bringt ihr selbst komponiertes Klavierkonzert zur Uraufführung. Der Mann, von dem sie sich wünscht, er möge sie spielen hören, verspätet sich. Zum ersten Mal nimmt er sie als Frau und nicht mehr als Mädchen wahr. Doch Wieck ist nicht bereit, seine begabte Tochter jemand anderem zu überlassen. Er beauftragt Anwälte, engagiert eine Anstandsdame und plant Konzertreisen, um Robert und Clara voneinander fernzuhalten.

Hin- und hergerissen zwischen ihrem Vater und ihrer Liebe zu Robert, trifft Clara schliesslich eine Entscheidung: Sie will Roberts Frau werden.

Akt 2

Clara und Robert Schumann – Ehefrau und Ehemann, Ehefrau und Komponist, Mutter und Vater von vielen Kindern. Es ist schwer zu komponieren, wenn das Haus voll ist. Schwer zu komponieren, wenn einem der Kopf zu platzen scheint. Schwer zu leben, wenn das Komponieren nicht gelingt.

Clara opfert sich auf für ihren Mann, doch alle Welt erwartet von ihm, dass er für sie sorgt. Und auch Robert weiss, dass er das tun muss. Clara, Impresaria und Organisatorin, sucht nach einer Lösung: Sie plant ein Konzert, um die Musik ihres Mannes aufzuführen und ihm eine Stelle zu verschaffen, die die Familie er nährt. Es gelingt ihr, bis Robert anfängt, die Kontrolle über die Zeit, die Musik und seinen Verstand zu verlieren. Der Ehefrau, Mutter und Pflegerin

Clara Schumann beginnen die Ideen auszugehen.

In der dunkelsten Stunde erscheint ein Engel. Johannes Brahms, der jugendliche Komponist, sucht Robert, sein grosses Vorbild, auf. Sie musizieren gemeinsam – zwei Ausnahmetalente Seite an Seite. Clara und Robert sind begeistert von ihrem neuen Gefährten, der sie unterstützt und inspiriert.

Johannes und seine Musik werden zu Roberts neuer Obsession. Er wird nicht ruhen, bis die Welt das Genie Brahms anerkennt. Und er kann nicht ruhen, bevor er einen Ausgang aus der Welt gefunden haben wird. Er macht sich auf den Weg zum Rheinufer.

Akt 3

Robert Schumann ist von der Welt abgeschottet, und seine Ärzte erlauben seiner Frau nicht, ihn zu sehen.

Clara Schumann, die allein für ihre Familie sorgen muss, sucht Hilfe bei ihrem Freund Joseph Joachim. Und bei Johannes.

Clara und Johannes – ihre gemeinsame Liebe zu Robert hält sie auf Abstand zueinander. Wollen sie zusammen sein? Sind sie zusammen?

Nach Roberts Tod stünde einer Verbindung von Clara und Johannes nichts mehr im Weg, einzig sie selbst. Aber Clara Schumann, Wiecks Wunderkind, Starpianistin, Mutter, Pflegerin, Impresaria, Muse und Robert Schumanns Witwe –das ist mehr, als Johannes ertragen kann.

Johannes fällt seine Entscheidung: Er zieht weg, um für seine Musik zu leben. Und Clara … spielt weiter.

Edward Kemp. Deutsch von Michael Küster.

SYNOPSIS

Act 1

It all begins with the keys. A wooden box. Hammers. Strings. Seven notes of the scale, from which everything else will come.

Clara, daughter of musicians Friedrich and Mariane Wieck. Friedrich is a piano teacher and Clara is his project, the proof of his teaching method. Meanwhile, the marriage is failing, and Mariane is moving away to live with Adolph Bargiel, another musician. She wants Clara to come with her, but Wieck is not ready to see his brilliant daughter fall into the hands of another.

Robert Schumann, precocious composer, seeks out Wieck to be his teacher and finds himself at the keyboard with Clara, two prodigious talents side by side. But Clara is still a girl and Robert is a young man and his eye is drawn towards Wieck’s maid, Christel, and his thirst towards the taverns of the town.

Clara turns sixteen and premieres her own piano concerto. The man she most wants to hear her play arrives late; yet when he comes, he sees her for the first time as a woman, no longer a girl. But Wieck is not ready to see his brilliant daughter fall into the hands of another. He instructs lawyers and a chaperone and plans concert tours to keep Robert and Clara apart.

Torn between her father and her love, Clara finally makes her choice: she will be Robert’s wife.

Act 2

Clara and Robert Schumann, wife and husband, wife and composer, mother and father of many children. Hard to compose when your house is so full. Hard to compose when your head is so full. Hard to live when you can’t compose. Clara can nurse him, but the world and Robert expect him to provide.

Clara, impresaria and fixer, seeks a solution: she plans a concert to showcase her husband’s work, to gain him a position that will support his family. They succeed, until Robert starts to lose control of time, of the music, of his mind. Clara Schumann, wife, mother, nurse, starts to run out of ideas.

In the darkest hour an angel comes. Johannes Brahms, precocious composer, seeks out Robert to be his mentor. They play together, two prodigious talents side by side.

Clara and Robert delight in their new companion, who inspires one and supports the other.

Johannes and his music become Robert’s new obsession and he will not rest until the world recognises his genius. He will not rest. He will not rest. He cannot rest until he can seek an escape from the world. He heads to the banks of the Rhine.

Act 3

Robert Schumann is shut away from the world and his doctors will not permit his wife to see him.

Clara Schumann, left to support her family alone, seeks help, from their friend Joseph Joachim. And from Johannes.

Clara and Johannes, their shared love for Robert holds them apart. They want to be with each other, they should not be with each other – are they with each other?

When Robert dies, there is no obstacle to Clara and Johannes being together apart from themselves. But Clara Schumann, Wieck’s prodigy, stellar pianist, mother, nurse, impresia, muse and Robert Schumann’s widow is more than Johannes can compass.

Johannes makes his choice: he moves away to live with his music. And Clara continues to play. And to play. And to play.

Ich bleibe, wo Du willst, mein geliebter Robert, und ganz recht hast Du, als Weib geliebt zu sein, ist ja das Höchste!

Ja, nur Dir will ich leben und Dich glücklich machen…
Clara Wieck an Robert, 21. Juni 1839

EIN CHOR VON SIEBEN CLARAS

Die Choreografin Cathy Marston über ihr Ballett «Clara» im Gespräch mit Michael Küster

Cathy, nach dem grossen Erfolg des Balletts The Cellist widmest du dich in deinem neuen Werk Clara erneut einer grossen Musikerin. Nach der Cellistin Jacqueline du Pré ist es nun Clara Schumann, die bedeutendste Pianistin des 19. Jahrhunderts. Die beiden Künstlerinnen trennen zwar mehr als 100 Jahre, aber hast du trotzdem Verbindungen zwischen den beiden ausfindig machen können?

Wie beide Frauen auf untrennbare, wenn auch ganz individuelle Weise mit ihrer Kunst, der Musik, verbunden sind, erscheint mir als die grösste Parallele. Während ich bei Jacqueline du Pré noch mit Zeitzeugen sprechen konnte, die sie kannten und auf der Bühne erlebt haben, konnte ich im Fall von Clara Schumann nur auf Informationen zurückgreifen, die mir ihre Biografen und ihre Tagebuchaufzeichnungen geliefert haben. Und natürlich auf ihre Musik, die mir viel über sie erzählt. Ihre Persönlichkeiten waren sehr verschieden.

Jackies Wildheit ist nicht unbedingt das, was ich mir für Clara vorstelle, aber ich spüre bei beiden die absolute Entschlossenheit, ihr Leben vollständig in den Dienst der Musik zu stellen. Wir reden heutzutage viel über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aber wie soll das gehen, wenn man so eine Kunst macht? Das ist fast unvereinbar, wenn der Sinn des Lebens im Musizieren besteht.

Wie bist du mit Clara Schumann in Berührung gekommen, und wie hat diese Idee bis zur jetzigen Umsetzung mit dem Ballett Zürich Gestalt angenommen?

Vor etwa zwanzig Jahren bin ich in einer Sonntagszeitung auf die Rezension

einer Biografie von Clara Schumann gestossen. Dieses Buch der schottischen Autorin Janice Galloway hat mich damals in seinen Bann gezogen und mein Interesse an Clara Schumann geweckt. Die Tatsache, dass es keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine Romanbiografie war, liess viel kreativen Freiraum, und von Anfang an stellten sich bei mir Bilder von Bewegungen ein. Ich bin dann in den Kosmos der Musik von Clara und Robert Schumann eingetaucht. Dabei hat mich fasziniert, wie beide ihre Musik als verschlüsselten Code ihrer Kommunikation genutzt haben, und mir war klar, dass ich das irgendwann in einem Ballett auf die Bühne bringen würde.

Clara Schumann wurde lange in erster Linie als «die Frau von Robert Schumann» wahrgenommen. Dabei sah das zu Lebzeiten ganz anders aus. Clara Schumann war berühmt, während Robert es schwer hatte, einen Fuss auf den Boden zu bekommen. Warum eignet sich Claras Leben als Stoff für ein Ballett, und auf welche Elemente ihrer Biografie richtest du in deinem Ballett den Fokus?

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In ihrem Ringen um künstlerische, menschliche und ökonomische Autonomie ist Clara Schumann im 19. Jahrhundert eine geradezu einzigartige Erscheinung. Im Ballett mache ich das vor allem an den Beziehungen zu ihrem Vater Friedrich Wieck, zu Robert Schumann und zu Johannes Brahms fest. Diese Dreieckskonstellationen sind das Grundgerüst für mein Stück. Wichtig für Claras Persönlichkeit erscheint mir der Umstand, dass sie bis zu ihrem vierten Lebensjahr nicht gesprochen hat. Was kann das bedeuten? Ein Kind, das nicht spricht, kommuniziert nonverbal und durch Bewegung. In der extremen Beziehung zu ihrem Vater Friedrich Wieck geht es in erster Linie um die Musik, um Disziplin, um Aufopferung und Ehrgeiz. Das sind Themen, mit denen sich auch Tänzerinnen und Tänzer unentwegt auseinandersetzen. Diese Nonverbalität setzt sich dann in Claras Beziehung mit Robert Schumann fort. Als erster Mensch gibt er ihr die Aufmerksamkeit, die ihr fehlt. Sie ist elf, er ist zwanzig, da beginnt die schriftliche Korrespondenz, ab da steigern sich ihre gegenseitigen Schwärmereien. Im regelmässigen Wechsel widmen sie einander ihre Kompositionen. Sie fungieren geradezu als Ersatz für das persönliche Gespräch, denn Friedrich Wieck verhindert das Zusammensein

der beiden, in dem er das Wunderkind Clara immer wieder auf ausgedehnte Konzertreisen schickt. Auch später scheint es kaum Platz für direkte Kommunikation zu geben. Man schreibt Ehetagebuch oder kommuniziert durch Musik. Vieles liegt im Unausgesprochenen, und das macht es für den Tanz so interessant. Wie in meinem Ballett The Cellist, wo das Cello von einem Tänzer verkörpert wird, habe ich für die Pianistin Clara Schumann nach einer Möglichkeit gesucht, sie in Beziehung zu ihrem Instrument darzustellen. Ausgehend von den sieben Melodietönen einer Tonleiter und den entsprechenden weissen Tasten auf dem Klavier wird Clara deshalb von sieben Tänzerinnen verkörpert. Sie stehen für sieben Facetten ihrer Persönlichkeit, die dem Wunderkind, der Künstlerin, Ehefrau, Mutter, Pflegerin, Managerin und Muse zugeordnet sind. Sie wirken wie eine Gruppe von Schwestern, die das Klavier repräsentieren. Dieser Chor von Claras ist sozusagen die Tastatur, auf der ich als Choreografin spiele.

Wie fügen sich diese sieben Einzelaufnahmen zu einem Gesamtbild zusammen?

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Jede der sieben Tänzerinnen ist in einem anderen Kapitel der Geschichte präsent, auch wenn sie sich gelegentlich überlappen und teilweise auch gemeinsame Bewegungsmotive teilen. Sie entwickeln sich aber – in unterschiedlicher Gewichtung – auf individuelle Weise, vor allem – mit Ausnahme der Brahms zugeordneten siebenten Clara-Tänzerin – in ihrem Kontakt zu Robert Schumann. Er ist die eigentliche Hauptfigur des Balletts, der in seiner Person die verschiedenen Clara-Figuren miteinander verbindet.

Clara und Robert Schumann gelten bis heute als das ideale Künstlerpaar der Romantik, auch wenn dieses Bild inzwischen einige Risse bekommen hat und die Beziehung nicht ganz so romantisch war, wie uns Tagebücher und manche Biografen glauben machen wollen. Wie reflektierst du diese Verbindung in deinem Ballett?

Wir müssen uns, glaube ich, vor einseitigen Beurteilungen hüten. Von einer romantischen Künstlerehe haben wir heute sicher eine andere Vorstellung. Wer weiss, vielleicht hat es Clara gelegentlich bereut, Robert geheiratet zu

haben. Aber das macht diese Ehe als Ganzes nicht zum Desaster. Das wäre wirklich Schwarz-Weiss-Malerei. Die Hochzeit mit Robert bedeutete für Clara, auch seine Fehler in Kauf zu nehmen. Natürlich war es keine Traumehe, in der beide gesund waren, jeden Tag Klavier spielen, komponieren und gemeinsam auf Tournee gehen konnten. Sexualität hat in dieser Beziehung eine wichtige Rolle gespielt. Clara ist unentwegt schwanger, acht Kinder bringt sie zur Welt. Ich habe bei ihr das Gefühl, dass ein Teil von ihr die Frau sein will, die er braucht und die die Gesellschaft erwartet. Ein Teil von ihr will die Konzertpianistin sein, die durch die Welt tourt. Ein Teil von ihr möchte ihn pflegen, weil sie ihn liebt. Ein Teil von ihr fühlt die Verantwortung für die Kinder. Im Tanz lässt sich diese ambivalente Gratwanderung gut einfangen, und deshalb erweisen sich die sieben Clara-Figuren für die Narration als überaus hilfreich.

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Wie schon erwähnt, steht Robert Schumann im Mittelpunkt deines Balletts. Nicht als strahlender Ballettheld, sondern als zerrissener Charakter zwischen übergrosser Euphorie und Phasen tiefer Depression. Wie gelingt es dir, deine Robert­Schumann­Darsteller darauf einzuschwören?

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Diese emotionalen Berg-und-Tal-Fahrten bei Schumann sind eine echte Herausforderung, weil sie eine grosse Intensität in der Darstellung verlangen. Als Tänzer muss man sich wirklich darauf einlassen. Nur mit Technik und Choreografie kann man dieser Rolle nicht gerecht werden. Man muss in jeden Zustand eintauchen und darf dabei keine Hemmungen entwickeln. Karen Azatyan, unser neuer Erster Solist, mit dem ich die Rolle erarbeite, macht diese Reise wirklich mit. Er setzt meine Vorgaben um, bringt aber auch selbst sehr viele Anregungen in den kreativen Prozess ein. Das ist sehr hilfreich, weil ich selbst mich ja die ganze Zeit in die sieben Claras hineinversetzen und den Überblick behalten muss.

Wie ist Clara als Pianistin in deinem Ballett präsent? Einen Flügel gibt es auf der Bühne ja nicht … Als Pianistin für unsere Ballettproduktion konnten wir die grosse ClaraSchumann-Spezialistin Ragna Schirmer gewinnen. Ragnas Klavierpart zieht

sich wie ein roter Faden durch das Stück. Sie gibt den sieben Claras eine Stimme und steht der zentralen Tanzrolle Robert Schumanns gegenüber.

Darüber hinaus ist das Klavier nicht nur im Bühnenbild, sondern auch in den Kostümen allgegenwärtig. Mit unserem Bühnenraum für Clara wollten wir eine Klavierwelt evozieren, in der das Instrument präsent ist, auch wenn man es nicht sieht. Ähnlich wie im Ballett The Cellist, wo Hildegard Bechtler das Innenleben des Cellos zu einer Echokammer, einem Gedächtnisraum entwickelt hat, haben wir jetzt eine Szenerie, die uns in die Welt des Klaviers eintauchen lässt – die rechtwinklige Welt von sieben Tasten, die klar geschnittenen Öffnungen, der geschwungene Korpus, der an den Flügel eines Vogels oder eines Engels denken lässt. Auf einem stilisierten Flügeldeckel entsteht eine inselartige Spielfläche. Es ist der Rückzugsort, an dem die Hochzeit von Robert und Clara stattfindet, aber auch das Symbol für Roberts Jahre in der Endenicher Heilanstalt. Das Bühnenbild verbindet sich mit einer äusserst vielgestaltigen, gefalteten Welt in den Kostümen Bregje van Balens, die ihren Ursprung in Robert Schumanns Klavierpartituren haben.

Für Robert und Clara ist die Begegnung mit dem 20­jährigen Johannes Brahms eine Art Erweckungserlebnis. Er wird zum Freund der Familie und nach Roberts Tod zum treuen Begleiter Claras. Wie weit deren Beziehung später ging, ist immer wieder Anlass für Spekulationen gewesen. Welche choreografische Antwort findest du auf diese Frage?

Zum Glück darf ich eine choreografische Antwort geben und muss nicht behaupten, dass sie Händchen gehalten oder nackt nebeneinander gelegen hätten. Darum geht es auch nicht. Die siebente Clara – ich nenne sie die Muse – hat eine Geste, bei der sie ihre Hand an ihr Gesicht hält. Es ist wie eine Art Mauer mit Robert auf der einen und Brahms auf der anderen Seite, und sie scheint die Sicht auf Robert in der Endenicher Nervenheilanstalt zu versperren. Eine unsichtbare Grenze, wobei ich damit spielen kann, wann und wie diese Linie überschritten wird. Clara nimmt Brahms’ Unterstützung während Roberts Endenicher Asyl und nach seinem Tod an. Aber wenn man das weiterdenkt, kommt man irgendwann in den Bereich der Vermutung und Spekulation. Der Tanz kann diese fliessende Grenze bewahren.

Das

Die Biografien der Protagonisten in deinem Ballett sind aussergewöhnlich gut dokumentiert, nicht nur durch die Tagebücher und erhalten gebliebenen Briefe von Clara, Robert und Brahms, sondern auch durch eine Unmenge von Sekundärliteratur. Wie viel historische Genauigkeit hast du dir selbst für dein Ballett verordnet? Das entscheide ich von Fall zu Fall. Als ich an The Cellist gearbeitet habe, war das anders, weil einige Protagonisten noch am Leben waren, und ich ihnen gegenüber eine besondere Verantwortung fühlte. Aus den vielen Biografien von Clara, Robert und Brahms kann man viele Fakten und Konstellationen für das Ballett übernehmen. Aber natürlich kann man sich auch fragen, wie zuverlässig diese Quellen sind. Das gilt insbesondere für die Tagebücher, wo manche Einträge und Formulierungen ganz darauf aus zu sein scheinen, für künftige Lesergenerationen ein idealisiertes Bild der romantischen Künstlerbeziehung von Robert und Clara zu transportieren. Und auch bei den vielen Biografien, die es mittlerweile gibt, muss man die jeweilige Perspektive bedenken, aus der sie geschrieben sind. Da muss ich mich fragen, ob das auch meine Perspektive ist und komme unter Umständen zu anderen Ergebnissen. Die zuverlässigste Quelle für mich bleibt die Musik selbst.

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Die Ballettpartitur für Clara hat – wie schon bei The Cellist – der britische Komponist Philip Feeney zusammengestellt. Welche Wünsche hattest du an ihn?

Natürlich gab es eine Playlist mit Stücken, die ich unbedingt choreografieren wollte. Ganz oben stand zum Beispiel das Adagio aus Brahms’ Erstem Klavierkonzert, das mir wie ein liebevolles Porträt Claras erscheint. Claras Romanze op. 11 Nr. 3 ist dabei, das Lied Auf einer Burg aus Roberts Liederkreis op. 39 und – ganz wichtig – jenes Thema aus dem Klavierzyklus Bunte Blätter, das sowohl Clara als auch Brahms in eigenen Variationen verarbeitet haben. Clara und Robert sind mit Ausschnitten aus ihren Klavierkonzerten vertreten. Es hat sich ergeben, dass jeder der drei Akte ein anderes musikalisches Zentrum hat. Am Anfang sind es mehrheitlich Kompositionen von Clara, der zweite Akt stellt Robert Schumann in den Mittelpunkt, und am Ende fokussieren wir uns auf Brahms.

Aus den insgesamt mehr als 25 Stücken von Clara Schumann, Robert Schumann und Johannes Brahms hat Philip Feeney einen tiefromantischen Musikkosmos kreiert. Wie wirkt sich das romantische Idiom auf deine choreografische Sprache aus?

Es ist eine Musik, in der ich mich sehr zu Hause fühle. Bei der Arbeit an Clara mache ich gerade ähnliche Erfahrungen wie bei meinem Ballett Jane Eyre, das vor allem auf Musik von Mendelssohn zurückgegriffen hat. Manchmal verleitet einen die Musik zu dramatischem Aplomb. Oft frage ich mich dann, wie weit ich mit den grossen Akzenten gehen kann und muss mich manchmal ein wenig bremsen. Aber oft kann ich einfach in diese Musik eintauchen und mich von ihr treiben lassen. Ich mache keine Anti-Choreografie. Immer wieder muss ich daran denken, was mir Leute in Australien gesagt haben. Wenn man in eine Strömung gerät, darf man auf keinen Fall versuchen, gegen die Strömung zu schwimmen, um wieder an Land zu kommen. Man muss einfach mit ihr fertig werden, bis sie einen wieder zurückzieht.

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Clara Schumann hat ihren Mann um 40 Jahre überlebt. Ihre Pianistinnenkarriere hat nach seinem Tod noch einmal gewaltig an Fahrt aufgenommen, sie hat weiterhin für den Unterhalt ihrer Familie gesorgt, war verlegerisch tätig und hat als angesehene Professorin in Frankfurt unterrichtet. Eine der letzten Szenen in deinem Ballett ist Roberts Beerdigung. Was ist mit den vier zig Jahren, die für Clara danach noch kommen?

Natürlich sind diese Jahre nicht weniger wichtig für Claras Biografie. Aber auch bei einem abendfüllenden Ballett muss man sich beschränken. Als Brahms und Clara nach Robert Schumanns Tod auseinandergehen, ist das für mich ein Punkt, an dem sie als Mensch und Künstlerin ganz zu sich selbst findet. Wichtig war mir, dass sie am Ende nicht als Opfer erscheint, sondern dass sich da noch einmal eine Tür in diese zweite Lebenshälfte öffnet, die für Clara mit einer anderen Art von Selbstbestimmung und künstlerischer Freiheit einhergeht. Auf der Lebensreise, von der die sieben Claras in unserem Ballett erzählen, ist einiges an Gepäck zusammengekommen. Und sie ist stark genug, um es zu tragen.

LAUNEN UND LAUNE, LACHEN UND WEINEN, TOD UND LEBEN

Notizen zu Clara Wieck-Schumann

«4 Tage vor meinem achten Geburtstage, früh 10 Uhr spielte ich das Es dur Concert v. Mozart … Es ging alles gut nur 1 chromatische Tonleiter in einer Cadenz wollte mir nicht gelingen», schreibt Friedrich Wieck im Namen seiner Tochter Clara. Als sich ab 1827 die aussergewöhnliche Musikalität Claras abzeichnete und das Mädchen sich bereits in privaten Auftritten bewährte, begann der Vater, den künstlerischen Werdegang in einem Tagebuch zu protokollieren.

Rückwirkend trug er als Clara-Ich die Lebensdaten seiner 1819 geborenen Tochter nach. Über die Turbulenzen in Claras frühkindlichem Leben finden sich indes nur dürre Worte: die Scheidung der Eltern, der Umzug zu den Grosseltern, die gerichtlich erzwungene Übergabe der Fünfjährigen an den Vater, der Tod des kleinen Bruders Victor. Sie sprach nicht, hörte auch nicht. Doch konnte Wieck an die von der Mutter begonnene musikalische Früherziehung anknüpfen. Im Einzel- und Gruppenunterricht gelang es, Vertrauen und Eigenmotivation aufzubauen. Clara entwickelte sich musikalisch rasant, fand im Klavierspiel einen Weg zur Selbstwirksamkeit und lernte darüber hinaus, sich komponierend und improvisierend auszudrücken. Das positive Feedback ihrer Auftritte beflügelte die Aneignung professioneller Qualitäten. Das spiegeln die Jugendtagebücher. Neben der Auflistung von Erfolgserlebnissen, didaktischen Grundsätzen und Beobachtung der Konkurrenz lernte Clara, die sich erst ab dem zwölften Lebensjahr an den Einträgen beteiligte, en passant auch Grundlagen des Musik- und Karrieremanagements, der Öffentlichkeitsarbeit

sowie kaufmännisches Rechnen – alles Fertigkeiten, die ihr im späteren Leben zugutekamen. Der Vater wurde zum emotionalen Zentrum. Eine allgemeine Bildung erhielt sie privat. Englisch- und Französischstunden, Tonsatz-, Gesangs- und Violinunterricht dienten der Profilierung zur Virtuosin und Komponistin. Sie betrat als «Wunderkind» die Bühne. Der Wechsel zur gefeierten Habsburger Kammervirtuosin und der damit verbundene Start in eine internationale Karriere gelang im Alter von achtzehn Jahren. Tochter und Vater funktionierten als effektives Team. Umso schmerzvoller wurde die zum Erreichen persönlicher Autonomie notwendige Ablösung.

Alle Nachrichten über und von Clara Wieck Schumann sind literarisch gefiltert. Fremde wie autobiografische Texte erfüllen jeweils bestimmte Absichten. Sie haben daher einen kaum auslotbaren fiktiven Anteil. Das erschwert direkte Rückschlüsse auf die Person. Auch dieser Text trifft eine lenkende Auswahl. Selbst ihr Klavierspiel ist nur aus Erzählungen bekannt. Zwar gab es in ihren letzten Lebensjahren bereits die Möglichkeit von Tonaufnahmen. Davon machte die Künstlerin jedoch keinen Gebrauch. Konzertrezensionen skizzierten Impressionen aus der Verfasstheit der Berichtenden, der Saalatmosphäre, der sichtbaren Spielszene und dem akustischen Erleben. Als Bühnenkünstlerin artikulierte sich Clara in Musik, die nur zu einem geringen Teil von ihr selbst stammte. Vielmehr setzten sich ihre Programme seit Mitte der 1830er Jahre zusammen aus brillanter Tagesproduktion etwa von Henri Herz, zeitgenössischer Avantgarde, wozu damals Frédéric Chopin, Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann und Franz Liszt zählten, ihren eigenen, mit wachsender Erfahrung ästhetisch anspruchsvoller werdenden Stücken sowie älterer Musik von Johann Sebastian Bach, Domenico Scarlatti und dann vor allem von Ludwig van Beethoven. In späteren Jahren kondensierte sich ein weitgehend «klassisch» genannter Kanon heraus, einschliesslich der Musik von Johannes Brahms. Das Staunen über die Kluft zwischen dem gewaltig tosenden Klang- und Geschwindigkeitsrausch und der anmutigen Erscheinung der jungen Virtuosin, die darüber hinaus auch bestürzend innige Töne produzierte, war Teil des Auftrittskalküls. Es funktionierte selbst noch bei der altersreifen Künstlerin. Sie bot immer aufs Neue eine lebendige Projektionsfläche für ihr Publikum.

Musikalische Kommunikation

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Robert Schumann, der zeitweilig Klavierschüler von Friedrich Wieck war und Clara im Hause Wieck kennengelernt hatte, charakterisierte das Temperament der Zwölfjährigen als «wild und schwärmerisch». Sie verliere den Hut, renne Tische und Stühle um und spreche mitunter doch «am geistreichsten von uns allen». «Launen und Laune, Lachen und Weinen, Tod und Leben, meist in scharfen Gegensätzen wechseln in diesem Mädchen blitzschnell.» Im Rückblick wirkt die Beobachtung wie eine Zusammenfassung ihres gesamten Lebens, von dem den Schumanns nur vergönnt war, einen kleineren Abschnitt gemeinsam zu verbringen. Schon früh reagierten beide musikalisch aufeinander und inspirierten sich gegenseitig, wenn auch nicht ausschliesslich. Clara schwärmte für Vincenzo Bellinis Belcanto. Mit Chopin und Mendelssohn wurden neueste Entwürfe getauscht. Mendelssohn blieb ihr Vorbild als Komponist und Bühnenkünstler. Wer wann wessen Muse war, lässt sich kaum entscheiden. Clara in der Rolle des jungen Stars triggerte Schumann. Mit ihrer stupenden Virtuosität demonstrierte sie, welche Ausdrucksmöglichkeiten auf dem Klavier möglich waren. Anfangs gefördert durch ihren Vater, mutete Clara seine Klavierstücke nur ausgesuchten Interessierten zu und machte sie wohl dosiert allmählich einem grösseren Publikum bekannt. Als «Chiara» und «Zilia» figurierte sie in Schumanns literarischem Davidsbund. Dass Robert ihrer Kompetenz vertraute und sie als Komponistin auf allen Entwicklungsstufen ernst nahm, forderte ihren Ehrgeiz heraus. So hatten beide auf der Folie zeitgenössischer Beispiele mit fantasieartigen Konzertentwürfen experimentiert. Clara führte ihr Klavierkonzert 1835 auf. Robert entschied sich erst zehn Jahre später für eine endgültige Fassung seines Klavierkonzerts. Noch bevor die gegenseitige Liebe erwachte, hatte Robert Zitate aus Claras Stücken adaptiert, etwa in seinen Impromptus das Thema ihrer Romance variée oder im Carnaval, der konzeptionell seiner damaligen Muse Ernestine von Fricken verpflichtet war, Motive aus Claras Valses romantiques. Während des mehrjährigen Kampfes um die Heirat gegen den Widerstand Friedrich Wiecks wurden musikalische Botschaften ein unverzichtbares Kommunikationsmittel. Im heimlich geführten Briefwechsel versicherten sie sich ihrer Eindrücke, tauschten Erfahrungen und Expertisen aus, stellten

Stücke vor Drucklegung zur Disposition und riskierten Änderungswünsche. Sie sei «halb krank vor Entzücken» über Schumanns Fantasie, «ein ganzes Orchester hörte ich». Robert berührte seinerseits ihr Notturno sehr. «Was dachtest Du dabei?» Schwermütig wirkte es auf ihn. Er integrierte die Melodie als «Stimme aus der Ferne» in seine achte Novellette. Der von Clara auch mit anderen praktizierte Fach- war nun verwoben in den Liebesdiskurs. Da zeigten sich beide besonders verletzlich gegen Kritik. So entspann sich um Claras Romanzen, die sie 1839 in Paris komponierte, eine längere Auseinandersetzung, in der sie ihre eigene Auffassung nachdrücklich gegen Korrekturvorschläge verteidigte. Robert beendete den Disput versöhnlich: «Du vervollständigst mich als Componisten, wie ich Dich. Jeder Deiner Gedanken kommt aus meiner Seele, wie ich ja meine ganze Musik Dir zu verdanken habe.»

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Romantisches Ideal und bürgerliche Realität

Die Idee einer paritätischen, in wechselseitiger Liebe verbundenen Künstlergemeinschaft beflügelte beide. Sie sollte die Basis der Ehe bilden. Aufgrund ihrer herausragenden Talente waren die Schumanns überzeugt, ein allgemein höheres musikalisches Verständnis bewirken zu können, Clara als Virtuosin, Komponistin und Vermittlerin, Robert als Komponist und Publizist. Beide empfanden ihre Gaben als ethische Verpflichtung, und beide verfügten über eigene kulturelle Netzwerke. Indes bestanden zwischen den Partnern erhebliche Ungleichheiten. Die europaweit geschätzte Virtuosin war nicht nur prominenter als ihr Mann, sondern verdiente bis in die 1850er Jahre hinein auch deutlich mehr. Zwar galt Robert als zentraler Sprecher im musikästhetischen Diskurs des Jungen Deutschland. Doch blieb die Leserschaft der Neuen Zeitschrift für Musik bescheiden, und seine Musik kursierte bis zur Jahrhundertmitte eher in exklusiven Kreisen. Wann immer die Frage aufkam, wie und wovon sie leben wollten, reagierten beide gestresst. Um den Traum ihres Mannes zu erfüllen, sich ganz der Kunst widmen zu können, ohne «wie ein Handwerker arbeiten zu müssen», plante Clara, selbst den Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Hatte

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sie sich doch 1840 gerade erfolgreich ihre Selbständigkeit erstritten und allein eine Tournee nach Paris gewagt. Robert lehnte ab. Claras Vorstellung, die Künstlerin mit der Hausfrau zu vereinen, blieb bis zur Hochzeit abstrakt. Im noch jungen Modell einer bürgerlichen Liebes- und Versorgungsehe, die sie für sich selbst wünschte, waren die sozialen Rollen fest verteilt. Sie beruhten auf einer Rechtsordnung, nach der eine hierarchische Geschlechterteilung mit der Priorität des Mannes vor der Frau als ein naturgegebenes, unhintergehbares Faktum galt. Frauen sollten Versorgungs- und Pflegediensten nachkommen, für die Kinder und ein gemütliches Zuhause sorgen. Gleiche Rechte hatten sie in der vordemokratischen Gesellschaft nicht.

Die tägliche Realität folgte eigenen Regeln und Dynamiken. Im Alltag änderten sich die Ansprüche und Erwartungen der Partner. Eine rasch wachsende Familie (Clara brachte acht Kinder zur Welt), Roberts hypersensible psychische und physische Labilität, ein Dutzend Umzüge, dazu Wirtschaftskrisen stellten das Paar immer wieder auf harte Proben. Da beide zu Hause arbeiteten, konkurrierten sie um Freiräume und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten. Den Vorrang des Mannes bei der Zeiteinteilung hatte Clara hingenommen. Gleichwohl retteten gerade ihre Konzertreisen nach Dänemark und Russland die junge Familie aus finanzieller Bedrängnis. Dabei fürchtete sie stets, ihre künstlerischen Fähigkeiten zu verlieren. Zudem vermisste sie die Bühnenauftritte und ihr Publikum.

Trotz Einschränkungen und Hindernissen hielten die Schumanns am musikalischen Austausch fest. Als einzige Kollektivkomposition entstanden im ersten Ehejahr die Zwölf Gedichte aus Friedrich Rückerts ‹Liebesfrühling› für Gesang und Klavier, zu denen Clara drei Lieder beitrug. Clara kopierte und arrangierte Roberts neueste Kompositionen und begleitete seine Aufführungen. Er kümmerte sich um Verleger für ihre Werke. Bis 1846 entwickelte sie sich stetig weiter, erprobte neue Gattungen und Techniken, schrieb Lieder, Fugen, Chorsätze, Klavier- und Kammermusik. Doch dann engte sich mit der wachsenden Kinderschar der Freiraum so sehr ein, dass der Entwurf eines zweiten Klavierkonzerts Fragment blieb. Erst 1853, als die Schumanns endlich eine Wohnung fanden, in der sie sich nicht mehr gegenseitig störten, meldete sich die Komponistin zurück. Ihre Variationen über ein Thema von Robert Schumann

schreiben die musikalische Korrespondenz und die Einfühlung in die Musiksprache des Partners fort. Ihr Mann erhielt das Stück zum Geburtstag und revanchierte sich drei Monate später, zu ihrem Geburtstag am 13. September 1853, mit seinem Konzert-Allegro für Klavier und Orchester. Einen neuen Flügel schenkte er gleich noch dazu. «Bin ich nicht das glücklichste Weib auf der Erde?» Es waren ihre letzten gemeinsam gefeierten Geburtstage.

Variationen über ein Thema von ihm

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Der erste Besuch des jungen Brahms hatte die Schumanns wie eine Erscheinung getroffen. Sie förderten und unterstützen ihn umgehend. Seine Rolle in Clara Schumanns Gefühlshaushalt lässt sich indes kaum literarisch fassen, da die erhaltenen autobiografischen Dokumente zu wenig preisgeben. Sehr schnell hatte sie sich an seinen Beistand gewöhnt und Brahms’ Anwesenheit gegen den Einspruch von Verwandtschaft und Freunden verteidigt. Musik, Liebe und Schumanns finale Krankheit waren ein toxischer Kitt. Er hielt lebenslang. Nach Roberts Tod vermied die Witwe allerdings allzu eindeutige Verbindlichkeiten, ohne Brahms wirklich loslassen zu können. Auch wenn sie zwischenzeitlich ein erotisches Verhältnis mit Theodor Kirchner einging, so stand zu keiner Zeit in Frage, dass der Platz, den sie «einstens ausfüllen werde», die leere Seite in Robert Schumanns Grab sei. Mit verschiedenen Tricks versuchte Johannes Brahms, die Komponistin zu neuer kompositorischer Kreativität zu animieren. So organisierte er Kontrapunktstunden, schickte Fugen, forderte Gegenstücke oder konstruierte auf ihrem alten Notenpapier Fragmente, die sie vervollständigen sollte. Ohne Erfolg. Im Zusammenleben der Schumanns war die interaktionelle musikalische und kompositorische Kommunikation ein Mittel gewesen, um auch in stürmischen Zeiten wenigstens ein kleines Stück des idealisierten Künstlerbunds zu erhalten. Mit Roberts Einweisung in eine psychiatrische Klinik und seinem Tod verlor es seinen Reiz. Brahms mischte sich verwegen (oder bloss naiv) darin ein, als er nach Schumanns Hospitalisierung 1854 dasselbe Thema variierte. «Kleine Variationen über ein Thema von Ihm. Ihr zugeeignet», lautete die ebenso persönliche wie anmassende Widmung. Als Pianist und Kom-

ponist verfügte er über die gleichen Zaubermittel wie die Schumanns. Deren Leben und Werk hatte Brahms inzwischen gründlich ausgeforscht. In die zehnte Variation, die gemeinsam mit der elften zu Claras Namenstag komponiert wurde, flocht er das Thema aus ihrer Romance variée von 1833 ein, das erste Stück, auf dessen Titelblatt Claras und Roberts Namen vereinigt waren, eine Idee, die Clara auch in die Edition ihrer Komposition übernahm.

Die Ausweitung ihres überaus erfolgreichen Aktionsradius’ auf England in der zweiten Jahrhunderthälfte liest sich wie ein Akt der Selbstermächtigung. Sie rechtfer tigte sich mit kunstpolitischen Motiven und investierte die Einnahmen in die Ausbildung ihrer sieben Kinder. Die wurden auf verschiedene Schulen und Internate verteilt. Dabei war ihr wichtig, dass die Kinder Möglichkeiten zum Musizieren und zu sportlicher Bewegung hatten. Alle, auch die Töchter, sollten später imstande sein, für sich selbst sorgen zu können. Sie fühle sich «berufen zur Reproduction schöner Werke, vor allem auch der Roberts», belehrte sie Brahms, als der wiederholt über ihre rastlose Mobilität murrte. «Die Ausübung der Kunst ist ja ein großer Theil meines Ichs.» Zeit ihres Lebens hielt Clara Schumann an den Heroen ihrer Jugend fest. Obwohl Chopin, Mendelssohn oder Schumann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mehr zur Avantgarde zählten, war die Künstlerin doch überzeugt, dass deren ästhetische Qualitäten noch lange angemessen geschätzt würden. Ihre eigenen Kompositionen setzte sie sparsam auf das Programm.

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Ständig in Bewegung

Eugenie Schumann beschreibt ihre Mutter als «äusserst lebhaft …, als ob alles an ihr flöge». Bereits das kleine Mädchen absolvierte ausgedehnte Spaziergänge. In Friedrich Wiecks ganzheitlichem Erziehungskonzept nahm Bewegung als Ausgleich für das lange Sitzen beim Lernen und Üben einen festen Platz ein. Die Agilität und Ausdauer der Künstlerin wurde bewundert und zugleich gefürchtet. «Clara war heute rüstiger als ich, was mich freuete und auch ärgerte; denn der Mann bleibt doch nicht gern immer 20 Schritte hinter der Frau zurück», so eine Reisenotiz Robert Schumanns von 1842. Ihre Freundinnen Emilie und

Elise List stöhnten, dass sie es liebe, bergauf zu laufen. Die Siebzigjährige kletterte notfalls über Zäune, und ihre Töchter rätselten, wie sie «das Kunststück fertig gebracht hatte». Ihre Ferien verbrachte Clara Schumann bevorzugt in den Bergen. «Wir ritten Nachts 1 Uhr mit 2 Führern auf Rigi Kulm, um dort die Sonne ganz wunderbar aufgehen zu sehen», berichtete sie Brahms enthusiastisch. Als sie dann später in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt war, liess sich die Dreiundsiebzigjährige einen Rollstuhl bauen und durch die Berglandschaft schieben. «Ich kann dann doch länger in der Luft sein, als wenn ich gehe.» Die Beachtung körperlicher Befindlichkeiten, Malaisen an Fingern und Armen sowie ihre gesamte Konstitution spielen in ihren autobiografischen Dokumenten eine zentrale Rolle. In einem dem Hochleistungssport vergleichbaren Beruf mussten Körper und Psyche funktionieren.

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In der über sechzigjährigen Karriere änderte sich ihre Bühnenpräsentation verständlicherweise. Die Körperbewegungen der jugendlichen Draufgängerin milderten sich mit der Zeit. Zudem galten für Frauen auch auf der Bühne andere Verhaltensregeln als für Männer. In einem gendergeleiteten und mit hegemonialem Unterton grundierten Vergleich zwischen Schumann und Liszt hebt der Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung 1844 an ihr besonders den «Adel des Spiels», den «graziösen Zauber» und eine Kontrolle «selbst in den schwierigsten Aufgaben» hervor, während an Liszt die sichtbare «Körperanstrengung, das flatternde Haupthaar, die auf- und niederwogenden Hände» die Aufmerksamkeit fesselten und von der Musik ablenkten. Zwar findet sich schon 1838 eine Charakterisierung Claras als «Priesterin der Kunst». Popularisiert hat dieses Bild dann vor allem Liszt in seinem 1855 publizierten Artikel über die Schumanns. Im Deutschen Kaiserreich repräsentierte die Künstlerin dann eine gestandene Autorität. Die «Heilighaltung» der Kunst habe der Vater in ihre «Kinderseele» gepflanzt, resümierte Clara Schumann 1873.

Jetzt trachte ich auch danach, so viel als möglich mit der Künstlerin die Hausfrau zu vereinigen. Das ist eine schwere Aufgabe! Meine Kunst lasse ich nicht liegen, ich müsste mir ewige Vorwürfe machen.

Clara Wieck, Tagebuch, 20. August 1839

WICHTIGE PERSONEN IN «CLARA»

Robert Schumann wurde am 8. Juni 1810 in Zwickau geboren. Er war der Sohn eines Buchhändlers und Verlegers. Als sein Vater 1826 starb, nahm er auf Drängen seines Vormunds ein Jurastudium in Leipzig und Heidelberg auf. Das Erlebnis eines Paganini-Konzerts gab den Ausschlag, sich ganz der Musik zu widmen. Er studierte Klavier bei dem angesehenen Klavierpädagogen Friedrich Wieck in Leipzig, musste aber die Aussicht auf eine Virtuosenlaufbahn aufgeben, als er sich durch falsches Üben die Lähmung eines Fingers zuzog. Bei Heinrich Dorn in Leipzig wurde er zeitweilig in Musiktheorie unterrichtet. Seine ausgeprägten literarischen Neigungen fanden ihren Niederschlag in Aufsätzen gegen philiströse Verfallserscheinungen auf dem Gebiet der Musik. 1834 gründete Schumann in Leipzig die Neue Zeitschrift für Musik, deren Herausgeber und einziger Redakteur er war. Sie gewann bald bedeutende Beachtung im deutschen Musikleben. Seine Liebe zur Tochter Clara seines Klavierlehrers Wieck führte zu jahrelangen Auseinandersetzungen, die mit der gerichtlich erstrittenen Heirat am 12. September 1840 endeten. Die Intrigen Wiecks hatten bei Schumann zu Nervenkrisen und Schwermutsanfällen geführt. Der Komponist Schumann widmete sich bis 1839 ausschliesslich Klavierwerken. Damals entstanden die grossen Klavierzyklen, die bis heute seinen Ruhm ausmachen. 1840 war das Jahr der Liederzyklen. Erst nach seiner Heirat weitete er den Radius seines Komponierens. 1841 entstand die Erste Sinfonie (Frühlingssinfonie), kurz darauf die als Nr. 4 figurierende Sinfonie d-Moll, die 1853 ihre endgültige Gestalt erhielt. 1846 folgte die Sinfonie Nr. 2 C-Dur, 1851 die Sinfonie Nr. 3 Es-Dur (Rheinische). 1842 war das Jahr der grossen Kammermusiken, der drei Streichquartette, des Klavierquintetts und des Klavierquartetts, Gipfelwerke der romantischen Kammermusik. 1844 übersiedelte das Ehepaar Schumann nach

Dresden. Schon 1845 musste sich der Komponist in nervenärztliche Behandlung begeben. 1850 nahm er die Stelle eines Städtischen Musikdirektors in Düsseldorf an, aber die mannigfachen Aufgaben überforderten ihn, so dass es zu Problemen mit Chor und Orchester kam. 1852 verschlimmerte sich die Nervenerkrankung, die am 27. Februar 1854 zu einem Selbstmordversuch im Rhein führte. Am 4. März wurde Schumann in die Nervenheilanstalt Endenich bei Bonn aufgenommen, wo er am 29. Juli 1856 starb. Das Spätwerk stand lange im Streit der Wertungen, wollten doch selbst so kompetente Beurteiler wie Johannes Brahms nachlassende Schöpferkraft feststellen. So konnte etwa das 1853 komponierte Violinkonzert erst 1937 im Druck erscheinen. Mögen sich diese Wertungen auch heute geändert haben, so sind die Spätwerke, etwa die Messe und das Requiem, weiterhin nur selten im Konzertsaal zu hören. Und die 1850 in Leipzig uraufgeführte einzige Oper Schumanns Genoveva konnte sich nicht auf der Bühne behaupten. Mit seinem Klavierwerk, seiner Kammermusik und seinen Sinfonien erscheint Schumann jedoch als der Grossmeister der deutschen Musikromantik.

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Johannes Brahms

Johannes Brahms wurde am 7. Mai 1833 in Hamburg geboren. Sein Vater war der erste Musiker in der Familie. Er hatte sein Handwerk als Stadtmusikant gelernt. In Hamburg spielte er in Gaststätten, brachte es dann aber sogar zum Kontrabassisten im Städtischen Orchester. Er sorgte dafür, dass seine Kinder eine solide Bildungsgrundlage erhielten. Brahms konnte so schon mit sieben Jahren Klavierstunden bei einem der angesehensten Klavierlehrer Hamburgs, Otto Friedrich Cossel, nehmen. Zehnjährig bekam er Unterricht in Musiktheorie und Komposition bei Eduard Marxsen, der ihm die Musik Bachs und Beethovens nahebrachte. Während einer Konzertreise als Klavierbegleiter des Geigers Eduard Reményi lernte Brahms 1853 den Violinvirtuosen Joseph Joachim kennen, dem er fortan freundschaftlich verbunden blieb. Kurz darauf kam er in Düsseldorf mit dem Ehepaar Schumann in Kontakt. Robert Schumann hörte sein Klavierspiel und proklamierte ihn apologetisch als «Erneuerer» der

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Musik: In der Neuen Musikalischen Zeitung kündigte er unter dem Titel «Neue Bahnen» prophetisch an: »Das ist ein Berufener!« Er zeigte sich fasziniert vom Spiel, »das aus dem Klavier ein Orchester von wehklagenden und laut jubelnden Stimmen machte«. Ebenso beeindruckten seine »merkwürdigen Kompositionen«, die »voll überschwenglicher Phantasie, Innigkeit der Empfindung und meisterhaft in der Form« waren, wie Clara Schumann in ihrem Tagebuch vermerkte. Sie und Brahms standen sich von Anfang an nahe. 1856 nahm Brahms eine Stelle als Musiklehrer am Hof in Detmold an. Versuche, in seiner Heimatstadt Hamburg beruflich Fuss zu fassen, schlugen fehl. So reiste er 1862 erstmals nach Wien, wo er ein Jahr später zum Leiter der Wiener Singakademie berufen wurde. 1864 schied er jedoch aus diesem Dienst wieder aus. Nach einer kurzen Zeit als Leiter des Wiener Singvereins (1872/73) zog Brahms es jedoch vor, freischaffend zu wirken. Ein Deutsches Requiem (1868) hatte ihm einen ersten Erfolg gesichert. Seine Einkünfte aus den überaus populären Ungarischen Tänzen (1869) und den Liebeslieder-Walzern (1869) erlaubten ihm als einem der ersten Komponisten finanzielle Autonomie. In seinem Œuvre nehmen Kammerund Klaviermusik sowie das Chor- und Liedschaffen grossen Raum ein. Die Innerlichkeit dieser Gattungen lag ihm sehr viel näher als die extrovertierte, dramatische Darstellung auf der Bühne, die er zwar schätzte, selbst aber nicht zu produzieren vermochte. Um die Komposition seiner 1. Sinfonie rang er 15 Jahre. Es erschien ihm lange Zeit unmöglich, nach Beethoven auf diesem Gebiet noch Wesentliches zu leisten. Das Werk erhob ihn jedoch, wie die Folgewerke und seine vier Solo-Konzerte, in den Rang eines der führenden Komponisten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Brahms wurde von der Musikkritik, allen voran von Eduard Hanslick in Wien, zum Protagonisten einer konservativ ausgerichteten Komponistengruppe erhoben und so zum «Gegenspieler» der sogenannten Neudeutschen um Franz Liszt gemacht. Obwohl er 1860 noch unbedacht seine Unterschrift unter ein Manifest gegen diese progressive Komponistengruppe gesetzt hatte, fühlte er sich den Konservativen nicht in dieser Eindeutigkeit zugehörig. Die Verehrung, die er vor allem dem «Riesen Beethoven» entgegenbrachte, hiess für ihn aber nicht, in der Nachfolge zu stehen, sondern vielmehr, sich in seiner Eigenständigkeit zu profilieren. Johannes Brahms starb am 3. April 1897 in Wien.

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Friedrich Wieck wurde 1785 als Sohn eines Kaufmanns in Pretzsch an der Elbe geboren, studierte Theologie in Wittenberg und war anschliessend als Hauslehrer bei Adelsfamilien in Thüringen tätig. Obwohl er nur über eine unsystematische musikalische Ausbildung verfügte, gab er seine Stellung auf, liess sich 1818 als Inhaber einer Klavierfabrik und eines Musikalienleihinstituts in Leipzig nieder und führte seine Firma bis zur Übersiedlung nach Dresden 1840. Die Ausbildung Claras zu einer bedeutenden Virtuosin machte der ehrgeizige Wieck zu seiner Lebensaufgabe – und ging diese Aufgabe mit der ihm eigenen Unnachgiebigkeit an. Er entwickelte für seine Tochter ein massgeschneidertes Bildungsprogramm, das schon bald Ergebnisse zeigte. Stolz schrieb Wieck in das in ihrem Namen geführte Tagebuch der Achtjährigen: «1827 fing mein musikalischer Sinn an, sich immer mehr und schneller auszubilden. Mein Spiel wurde auch besser, mein Anschlag gut, fest und sicher, und die Kraft meiner Finger stieg so, dass ich bereits zwei Stunden hintereinander schwere Stücke mit ziemlicher Ausdauer spielen konnte …» 1830 zog Robert Schumann bei den Wiecks ein, um sich zum Pianisten ausbilden zu lassen. Als sich einige Jahre später

Clara Wieck und Robert Schumann einander näherkamen, versuchte Wieck das um jeden Preis zu verhindern – der Vater betrachtete seine Tochter als eigenen Besitz, den er keinesfalls an Robert Schumann verlieren wollte. Letztlich führten diese Differenzen zum Bruch zwischen Vater und Tochter. Dennoch nahm Clara Schumann ihren Vater zeitlebens gegen harte Kritik in Schutz. Friedrich Wieck, der heute als einer der bedeutendsten Musikpädagogen zu Beginn des 19. Jahrhunderts gilt, starb am 5. Oktober 1873 in Loschwitz.

Mariane und Adolph Bargiel

Mariane Bargiel, gesch. Wieck, geb. Tromlitz, entstammte einer Musikerfamilie. Die Tochter des Plauener Kantors Georg Christian Gotthold Tromlitz war zunächst Schülerin von Friedrich Wieck, bevor sie ihn 1816 mit 19 Jahren heiratete. Die begabte Musikerin sang noch im ersten Jahr ihrer Ehe Solopartien in

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den Leipziger Gewandhauskonzerten. Ausserdem nahm sie weiterhin Klavierunterricht; sie spielte besser Klavier als ihr Mann, dessen Ansehen als Geschäftsmann und Klavierlehrer infolge von Marianes künstlerischen Erfolgen wuchs. Mariane gab wie ihr Mann Klavier- und Gesangsstunden. Ausserdem kümmerte sie sich um den Haushalt und brachte während der Ehe mit Friedrich Wieck fünf Kinder zur Welt, von denen zwei früh starben. Am 12. Mai 1824 verliess Mariane ihren Mann und kehrte mit ihrer viereinhalbjährigen Tochter Clara und dem drei Monate alten Säugling Viktor zu ihren Eltern nach Plauen zurück. Nach sächsischem Recht gehörten die drei ältesten Kinder dem Vater, und so durfte Clara nur bis zu ihrem fünften Geburtstag bei ihrer Mutter und den Grosseltern bleiben. Am 22. Januar 1825 wurden Friedrich und Mariane Wieck geschieden. Obwohl Mariane wusste, dass die Scheidung ein schlechtes Licht auf sie werfen und sie ihre Kinder verlieren würde, sah sie sich zu diesem Schritt gezwungen, da sie die Ehe mit Friedrich Wieck offenbar nicht mehr ertrug. Bereits in der Zeit ihrer Ehe hatte Mariane Kontakt zu Adolph Bargiel, eventuell nahm sie bei ihm auch Klavierstunden. Ihn heiratete sie im August 1825. Solange Mariane mit ihrem zweiten Mann noch in Leipzig lebte, durfte sie ihre Kinder, so auch Clara, sehen. Als Adolph Bargiel in Berlin eine Klavierschule übernahm, wurde der Kontakt aufgrund der Entfernung spärlicher. Mariane fand in Adolph Bargiel einen sanftmütigen, liebevollen Mann, der allerdings wenig Geschäftssinn hatte. Er besass eine sehr gründliche musikalische Ausbildung, doch nachdem er 1830 die Klavierschule wegen einer Choleraepidemie schliessen musste und bald darauf einen Schlaganfall erlitt, ernährte Mariane die Familie – sie hatte mit Bargiel vier weitere Kinder – mühselig mit Unterrichten. Ab und zu musste sie finanzielle Hilfe von Freunden, später auch von Clara und Robert Schumann, in Anspruch nehmen. Ihren Mann pflegte sie aufopferungsvoll bis zu seinem Tode. Clara kam ihrer Mutter erst wieder näher, als der Bruch mit dem Vater 1839 nicht mehr zu umgehen war und sie Aufnahme in Berlin fand. Robert Schumann hatte ein sehr gutes Verhältnis zu Mariane Bargiel. Diese kam gelegentlich zu Clara auf Besuch und betreute nach Schumanns Tod zeitweilig auch einige ihrer Enkelkinder. Sie konnte noch erleben, wie ihr Sohn Woldemar Bargiel (1828-1897) sich zu einem angesehenen Komponisten und Dirigenten, der in Berlin, Köln und Rotterdam wirkte, entwickelte.

Joseph Joachim

Joseph Joachim war ein bedeutender ungarischer Geiger, Komponist und Dirigent des 19. Jahrhunderts. Er wurde am 28. Juni 1831 in Kittsee (heute in Österreich) geboren und starb am 15. August 1907 in Berlin. Joachim war ein Wunderkind auf der Violine und trat bereits im Alter von sieben Jahren öffentlich auf. Er erregte schnell internationale Aufmerksamkeit und wurde von Franz Liszt und Felix Mendelssohn unterstützt. Mendelssohn bezeichnete ihn als «den grössten Geiger, den ich je gesehen habe». Joachim war ein enger Freund und künstlerischer Partner von Johannes Brahms. Er spielte eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Brahms’ Violinkonzert, da er als Solist die Uraufführung des Werkes spielte und auch bei der Entstehung des Werks beratend tätig war. Neben seinen Interpretationsfähigkeiten war Joachim auch als Komponist aktiv. Er schrieb verschiedene Werke für Violine und Orchester, darunter zwei Violinkonzerte, ausserdem Kammermusik und Lieder. Joachim war auch ein herausragender Pädagoge und lehrte am Hochschen Konservatorium in Berlin. Er hatte grossen Einfluss auf die Violintechnik und die Interpretation der klassischen Musik und bildete viele berühmte Geiger aus.

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Christel war das zeitweilige Dienstmädchen der Familie Wieck in Leipzig. Es handelt sich nach neuesten Forschungen wahrscheinlich um Christiane Apitzsch, mit der Robert Schumann von 1830 bis 1837 eine sexuelle Affäre unterhielt. In seinen Tagebüchern taucht sie immer wieder auch unter dem Namen «Charitas» auf.

Meine grösste Sorge ist seine Gesundheit! Sollte ich den Schmerz erfahren müssen, ihn zu verlieren –ich wüsste nicht, ob ich den Mut hätte, noch zu leben.

Clara Wieck, Tagebuch, 20. August 1839

CLARA IN ZÜRICH

Als ich ein junges Mädchen war und die Kinderszenen von Robert Schumann übte, fielen mir in meiner Notenausgabe die durchaus besonderen Fingersätze für diese Stücke auf. Nicht selten sollte ich mehrfach auf einer Note stumm die Finger wechseln und auf diese Weise eine Mittelstimme klingend halten. Also viel Mühe für einen durchaus lohnenden, aber doch kaum hörbaren Zweck. Einen derart exakten Umgang mit dem Setzen der Finger kannte ich bis dato nicht. Ich schlug nach, von wem diese Fingersätze wohl stammten und las, sie seien von Clara, der Ehefrau Robert Schumanns. Sofort war ich fasziniert und neugierig: Wer war diese Frau? Eine fantastische Pianistin und ganz offensichtlich eine glühende Missionarin der Werke ihres Mannes. Ich begann zu lesen, zu forschen, und nun sind es fast vierzig Jahre meines Lebens, in denen mich die Persönlichkeit Clara Schumanns auf meinem pianistischen Weg begleitet. Ich empfinde es als Ehre und als Verantwortung, ihre Werke und das, was sie uns als Pianistin und Komponistin hinterlassen hat, bei vielfältigen Gelegenheiten zu Gehör zu bringen.

Im Zwickauer Schumann-Haus werden 1312 Programmzettel von Clara Schumanns Konzerten aufbewahrt. Nachdem ich sie dort einsehen und studieren durfte, kann ich nun alle Konzertreisen Claras genau nachvollziehen. Neunundzwanzig Konzerte gab Clara Schumann in der Schweiz, vornehmlich in Basel und Bern. In Zürich konzertierte sie insgesamt sechs Mal zwischen 1857 bis 1879. Fünf dieser Konzerte fanden im damaligen Casino im Hirschengraben 15 statt. Heute logiert an dieser Adresse das Obergericht. Das sechste und letzte Zürcher Konzert fand am 25. Januar 1879 im Kleinen Saal der damaligen Tonhalle statt. Auf dem Programm standen Werke von Franz Schubert, Frédéric Chopin und Robert Schumann. Die Neue Zürcher Zeitung kündigte das Konzert an diesem Tag folgendermassen an: «Einem einzigartigen und nicht so bald sich wiederholenden Kunstgenuss sehen die Musikfreunde Zürichs ent-

gegen: es genügt der Erwähnung, dass der gefeier te Gast des Abends vom 25. Januar Frau Dr. Klara Schumann sein wird (…) Nicht viele Städte dürfen sich rühmen, die allverehrte und begehrte Künstlerin zu hören.»

Als Pianistin im Ballett Clara mitzuwirken und diese beeindruckende Persönlichkeit in Zürich zu ehren, ist mir eine Herzensangelegenheit und bedeutet mir viel! Ich bin jedes Mal ergriffen, wenn ich die sieben Claras auf der Bühne tanzen sehe.

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Programmzettel für Claras Konzert in Zürich, 23. Oktober 1862

Für Dich empfinde ich weit inniger, weit liebevoller; kein Gedanke geht zu Dir, der Dich nicht ganz umfasst und alle Deine Sorgen denkt.

Johannes Brahms an Clara Schumann, 19. März 1874

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Clara Schumann und Johannes Brahms –Eine aussergewöhnliche

Beziehung

Claudia Forner

AIs Johannes Brahms Ende Mai 1896 die Nachricht vom Tod Clara Schumanns erreicht, hält er sich, wie schon seit 1880 in den Sommermonaten, im mondänen Kurort Bad Ischl auf. Bereits im März hatte er durch einen Brief des gemeinsamen Künstlerfreunds Joseph Joachim von der Hinfälligkeit der inzwischen sechsundsiebzigjährigen Freundin erfahren. Er ist aufs Schlimmste vorbereitet, und so formuliert er in seinem Antwortbrief vom 10. April an Joachim seinen ganz persönlichen Nachruf: «Ich kann nicht traurig nennen, wovon Dein Brief [...] spricht. Ich habe oft gedacht, Frau Schumann könne ihre Kinder alle und mich dazu überleben – gewünscht aber habe ich es ihr nicht. Erschrecken kann uns der Gedanke, sie zu verlieren, nicht mehr, nicht einmal mich Einsamen, dem gar zu wenig auf der Welt lebt. Und wenn sie von uns gegangen ist, wird nicht unser Gesicht vor Freude leuchten, wenn wir ihrer gedenken? Der herrlichen Frau, deren wir uns ein langes Leben hindurch haben erfreuen dürfen – sie immer mehr zu lieben und zu bewundern. So nur trauern wir um sie.» Das schreibt ein Abgeklärter, der loslässt. Brahms sollte Clara Schumann nur um ein knappes Jahr überleben. Ihre Freundschaft währte dreiundvierzig Jahre und ist in über siebenhundertfünfzig Briefen dokumentiert. Was mit glühender Verehrung und Begehren des vierzehn Jahre Jüngeren begann, mündet bald in distanzierte Vertrautheit auf beiden Seiten. Brüche, Verstimmungen und lange Pausen des Schweigens gehören ebenso in diese ungewöhnliche Beziehungsgeschichte wie geteilte Freuden über künstlerische Erfolge oder der Austausch über Alltäglichkeiten. Ein jahrzehntelanges Auf und Ab. Schliesslich kühlt ein

letzter Streit das Verhältnis 1889 nochmals empfindlich ab. Es ging um Robert Schumanns 4. Sinfonie. Brahms besass das Autograph der durchsichtig instrumentierten Erstfassung von 1841, der er gegenüber der späteren, allgemein bekannten Überarbeitung den Vorzug gab, und liess sie veröffentlichen – nicht ohne vorher bei Clara anzufragen. Jedoch erhielt er zunächst keine Antwort. Hatte Clara nun ihr Einverständnis gegeben oder nicht? Jedenfalls wird die Antwort auf diese Frage zum Gegenstand des Streits. In Claras Augen hatte sich Brahms durch sein eigenmächtiges Handeln am heiligen Erbe ihres verstorbenen Manns vergriffen. Eine Eigenmächtigkeit, die sie ihm nicht verzeiht. Doch was zählen solche Misshelligkeiten im Angesicht des Todes?

Clara Schumann wurde am 20. Mai 1896 in Frankfurt am Main von ihren Leiden erlöst. In ihrer letzten Lebenszeit war sie von Rheuma geplagt, sass im Rollstuhl und hatte kaum noch Klavier gespielt. Nach Erhalt der Todesnachricht reist Brahms sofort aus Ischl ab, verpasst den Anschlusszug, erfährt zufällig, dass das Begräbnis seinetwegen verschoben wurde und in Bonn erfolge. Er steigt wieder um in den Kölner Nachtzug. Vierzig Stunden dauert die Fahrt, bis er endlich die alte Kapelle erreicht. Er kann sich nur noch dem allgemeinen Trauerzug anschliessen. Nach der Beerdigung erhebt er sich plötzlich unvermittelt mit dem Bekenntnis: «Ach, was, es ist doch alles eitel in dieser Welt: der einzige Mensch, den ich wirklich geliebt habe, den habe ich heute begraben.»

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Wie hatte alles begonnen? Es ist Ende September 1853, als der zwanzigjährige Johannes Brahms in der Düsseldorfer Bilker Strasse bei den Schumanns anklopft. Bereits kurz zuvor hatte er dem Künstlerpaar bei dessen Gastspiel in Hamburg einige seiner Kompositionen zukommen lassen. Bekam allerdings keine Antwort. Nun kommt er auf Empfehlung des grossen Violinisten Joseph Joachim – eine weitaus bessere Ausgangsposition. Man empfängt ihn mit offenen Armen, vor allem die Kinder schliessen den selbst gerade der Pubertät Entwachsenen spontan ins Herz. Als er endlich Robert Schumann Kostproben seines Schaffens am Klavier darbietet, spürt dieser sofort die tiefe Wesensverwandtschaft. Mit dem Ausruf «Hier sollst du Musik hören, wie du sie noch nie gehört hast» wird auch Clara hinzugezogen. Es ist die erste, folgenreiche Begegnung von Johannes Brahms und Clara Schumann. Er, nicht grösser als 1,60 Meter, gerade den ersten Flaum ums Kinn, mit «Vergissmeinnichtaugen», die

den jugendlichen Schwarmgeist verraten, trifft auf sie, die strenge, vierzehn Jahre ältere, renommierte Pianistin. Pflicht, Fleiss und Disziplin lauten die Grundmaximen, die Clara von Kindheit an begleiten. Gerade diese Charaktereigenschaften dienen dem psychisch instabilen Robert Schumann während der Ehe als Anker. Seit 1850 leben die Schumanns in der Rheinmetropole, wo Schumann die Position des Städtischen Musikdirektors bekleidet. Eine letzte berufliche Chance und Hoffnung, die allerdings schon bald fraglich werden wird. Das Orchester tanzt ihm auf der Nase herum, denn Schumann ist als Chef eine Katastrophe. Oft bietet seine Introvertiertheit den fröhlichen Rheinländern Anlass zu Spott und Häme. Für den Hochsensiblen eine unerträgliche Situation. Da taucht Brahms gleich einem Messias auf und veranlasst Schumann zu seinem letzten, legendären Artikel in der Neuen Zeitschrift für Musik. Mit «Neue Bahnen» öffnet er dem jungen Brahms den Weg in die Musikwelt: Es müsse doch «einmal plötzlich einer erscheinen, der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre [...] Und er ist gekommen [...] Er heisst Johannes Brahms.» Clara notiert in ihr Tagebuch: «Das ist wieder einmal einer, der kommt wie eigens von Gott gesandt.» Nur vier Monate später, im Februar 1854, irrt Schumann nachts ziellos durch die Masken des Karnevaltrubels, um sich in den Rhein zu stürzen. Nach dem missglückten Suizidversuch lässt er sich auf eigenen Wunsch in die Nervenheilanstalt Endenich bei Bonn einweisen, die er nicht mehr verlassen wird.

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Was sich bis zum Tod Schumanns am 29. Juli 1856 zwischen Brahms und Clara Schumann entwickelte, bleibt bis heute Gegenstand phantasiereicher Spekulationen. Dass das Verhältnis der beiden ungleichen Persönlichkeiten in nur wenigen Monaten ein intensives Gefühls-Crescendo durchlebt, bleibt ausser Frage. Brahms entbrennt in heftiger Liebe, Clara erwidert sie mit echter Zuneigung. Wie tief Brahms damals in seine Gefühle verstrickt war, belegen die Klaviervariationen op. 9 über ein Thema Roberts, gewidmet Clara (1854). Nach Schumanns Einlieferung in die Heilanstalt übernimmt Brahms die Rolle des abwesenden Familienvaters. Während Clara konzertieren muss, kümmert sich Brahms um Haushalt und Kinder. Ganz «in Familie» wird eine Reise entlang des Rheins unternommen. Vom umfangreichen Briefwechsel zwischen den beiden aus dieser Zeit sind aber fast nur die Briefe von Brahms überliefert.

Man verdrängt den hoffnungslos Verlorenen in Endenich. Clara hält sich an das Gebot der Ärzte, ihren Mann in der Anstalt nicht zu besuchen. Brahms dagegen macht einige wenige Krankenbesuche mit niederschmetterndem Fazit. Erst einen Tag vor Schumanns Tod begibt sich Clara nach Endenich, gemeinsam mit ihrem treuen Begleiter Johannes Brahms.

Danach mündet ihre Beziehung in ruhigeres Fahrwasser. Fürchten beide eine Entscheidung? Clara ist gezwungen, ihr Leben neu zu ordnen. Sie nutzt die gewonnene Unabhängigkeit zum unermüdlichen Konzertieren in ganz Europa und zum Unterrichten. Ihr bleibt keine andere Wahl. Oft gelangt sie dabei an die Grenzen der physischen Belastbarkeit. Sie muss ihre Existenz absichern und ihre sieben Kinder ernähren. Und Brahms braucht Abstand, weshalb er schliesslich ein Angebot als Klavierlehrer am Detmolder Hof annimmt. Die damals verschlafene Provinz wirkt zwar nicht gerade inspirierend, doch gibt sie dem emotional Aufgeriebenen Zeit, zu sich zu kommen. Im Sommer 1858 verliebt er sich. Sie heisst Agathe von Siebold, Professorentochter aus Göttingen, hübsch, hochmusikalisch und – zwei Jahre jünger als Brahms. Mit ihr verlobt er sich heimlich, doch als es ernst wird, kneift er und hinterlässt ein gebrochenes Herz. «Immer sah ich das arme verlassene Mädchen und lebte alles Leid mit ihr durch. Ach, lieber Johannes, hättest Du es doch so weit nicht kommen lassen!» So redet Clara, die mütterliche Freundin, ihm ins Gewissen. Er wird es nie wieder so weit kommen lassen. Nichtsdestoweniger, noch so manche Schöne hat danach sein Leben gekreuzt.

1862 erwirbt Clara ein Haus in Lichtenthal bei Baden-Baden. Inzwischen ist sie kurzzeitig eine Liaison mit dem Komponisten Theodor Kirchner eingegangen. Unermüdlich baut sie nun ihre Solistenkarriere aus. Die heranwachsenden Kinder werden auf Verwandte und Pensionate verteilt. 1878 wird sie als erste Klavierlehrerin ans Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt am Main berufen. Brahms hat inzwischen in Wien seine Wahlheimat gefunden. Briefe und Besuche halten die lebenslange Freundschaft am Leben – doch Missstimmungen trüben fortgesetzt ihre Beziehung. Längst aber haben beide ihre unterschiedliche Lebensform gefunden. Mitte der 1880er Jahre kommt es zu einer ernsten Verstimmung. Clara fordert alle von ihr an Brahms gerichteten Briefe zurück. Die gegenseitige Rückgabe ihrer Briefe wird vereinbart. Im Juni 1887 notiert

sie in ihr Tagebuch: «Ich begann in diesem Monat meine Briefe an Brahms noch einmal durchzulesen und zerriss sie fast alle.» Die Briefe, die sie Brahms bis 1858 schrieb, sind so der Nachwelt verlorengegangen. Claras älteste Tochter Marie verhindert glücklicherweise die Vollendung dieses Vernichtungswerks. Brahms verfährt im Gegenzug nicht ganz so radikal. Auch auf Claras Bitte hin, die ihm besonders wertvollen Briefe zu bewahren, versenkt er auf der Fahrt nach Rüdesheim nur einen Teil der Briefe im Rhein.

Clara Schumann und Johannes Brahms blieben fast ein halbes Jahrhundert eng verbunden. «Jetzt habe ich nichts mehr zu verlieren», äusserte der sehr einsam gewordene Freund, nachdem er die einst Angebetete zu Grabe getragen hat. Eine grosse Freundschaft hatte sich vollendet.

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PHILIP FEENEY

Komponist

Philip Feeney, britischer Komponist und Pianist, studierte Komposition an der Universität Cambridge und an der Accademia di Santa Cecilia in Rom. Er hat viel für den Tanz komponiert und mit Choreografinnen und Choreografen wie Cathy Marston, Michael Pink, Didy Veldman, David Nixon, Sharon Watson, Alexei Ratmansky und Dani Rower für so unterschiedliche Compagnien wie Northern Ballet, Rambert, Ballet Black, Cullberg Ballet, San Francisco Ballet, The Joffrey Ballet, Fabulous Beast, Scottish Dance Theatre, Milwaukee Ballet und Les Grands Ballets Canadiens zusammengearbeitet. Auch mit dem Choreografen Michael Keegan-Dolan verbindet ihn eine dauerhafte Zusammenarbeit, vor allem bei Giselle und dem preisgekrönten The Bull für Fabulous Beast. Feeneys Kompositionen reichen von abendfüllenden orchestralen Ballettpartituren bis hin zu elektroakustischen Soundscapes, Jazz- und Hip-Hop-Scores.

Das Ergebnis seiner langjährigen Zusammenarbeit mit dem Northern Ballet sind acht abendfüllende Ballette, darunter zwei Versionen von Cinderella. Zusammen mit dem Choreografen Michael Pink entstand eine Reihe von Handlungsballetten, u. a. Dracula, Peter Pan und Mirror Mirror. Für Cathy Marston schuf er die Musik zu The Cellist (Royal Ballet), Jane Eyre und Victoria (Northern Ballet), The Suit (Ballet Black), Snowblind (San Francisco Ballet) und Lady Chatterley’s Lover (Les Grands Ballets Canadiens). Zu seinen jüngsten Arbeiten gehört Of Love and Rage für den Choreografen Alexei Ratmansky (American Ballet Theatre). Philip Feeney ist Composer in Residence beim Ballet Central, für das etwa fünfzig Partituren entstanden sind.

DIE MUSIK

In seiner Ballettpartitur verwendet Philip Feeney folgende Originalkompositionen:

1. Akt

Clara Schumann: Präludium f-Moll

Clara Schumann: Scherzo Nr. 1 d-Moll op. 10

Clara Schumann: Notturno op. 6 Nr. 2

Robert Schumann: Fantasiestücke op. 12, Nr. 7 Traumes Wirren

Robert Schumann: Streichquartett a-Moll op. 41 Nr. 1, 4. Satz

Clara Schumann: Romanze op. 11 Nr. 3

Robert Schumann: Waldszenen op. 82, Nr. 7 Vogel als Prophet

Robert Schumann: Liederkreis op. 39, Nr. 5 Mondnacht

Clara Schumann: Klavierkonzert a-Moll op. 7, 1.Satz

Clara Schumann: Scherzo Nr. 2 c-Moll op. 14

Clara Schumann: Klavierkonzert a-Moll op. 7, 2. Satz

2. Akt

Robert Schumann: Myrthen op. 25, Nr. 1 Widmung

Robert Schumann: Myrthen op. 25, Nr. 3 Der Nussbaum

Robert Schumann: Album für die Jugend op. 68, Nr.1 Melodie

Robert Schumann: Dichterliebe op. 48, Nr. 1 Im wunderschönen Monat Mai

Robert Schumann: Klavierkonzert a-Moll op. 54, 1. Satz

Robert Schumann: Sinfonie Nr. 4 d-Moll op. 120, 1. Satz

Robert Schumann: Bunte Blätter op. 99, 1. Satz

Johannes Brahms: Variationen über ein Thema von

Robert Schumann op. 9 Nr. 4

Johannes Brahms: Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 9 Nr. 12

Johannes Brahms: Scherzo Es-Dur op. 4

3. Akt

Robert Schumann: Liederkreis op. 39, Nr. 1 In der Fremde

Johannes Brahms: Variationen über ein Thema von

Robert Schumann op. 9 Nr. 9

Clara Schumann: Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 20 Nr. 3

Robert Schumann: Liederkreis op. 39, Nr. 7 Auf einer Burg

Clara Schumann: Romanze op. 21 Nr. 1 C-Dur

Clara Schumann: Variationen über ein Thema von

Robert Schumann op. 20 Nr. 7

Johannes Brahms: Klavierkonzert Nr. 1 op. 15, 2. Satz

BALLETT ZÜRICH

Die international renommierte Choreografin Cathy Marston besitzt sowohl die britische als auch die schweizerische Staatsbürgerschaft. Seit August 2023 ist sie Direktorin des Balletts Zürich. Ihre Tanzausbildung erhielt sie in Cambridge und an der Royal Ballet School London. Zwischen 1994 und 1999 tanzte sie im Ballett Zürich, im Ballett des Luzerner Theaters und beim Konzert Theater Bern. Von 2002 bis 2006 war sie Associate Artist des Royal Opera House London und von 2007 bis 2013 Ballettdirektorin am Konzert Theater Bern. Seit Jahren höchst erfolgreich als freischaffende Choreografin tätig, wurde Cathy Marston von einer Vielzahl namhafter internationaler Compagnien und Institutionen eingeladen. Kreationen entstanden unter anderem für das Royal Ballet, das Hamburg Ballett, das Königlich Dänische Ballett, das English National Ballet, das Nor thern Ballet, das Finnische Nationalballett, das Ballet Black, das National Ballet of Cuba sowie für die Opera Australia und die Hong Kong Academy of Performing Arts. In den letzten Jahren arbeitete sie vermehrt in den USA, so für das San Francisco Ballet, das American Ballet Theatre, das Houston Ballet und das Joffrey Ballet Chicago. In ihren choreografischen Arbeiten lässt sie grosse literarische Vorlagen im Tanz lebendig werden, ausserdem nähert sie sich bedeutenden historischen Persönlichkeiten auf ungewohnte und originelle Weise. Grosse Erfolge feierte sie mit ihren Ballettadaptionen Mrs. Robinson (nach Charles Webbs Roman The Graduate), Snowblind (nach Edith Whartons Roman Ethan Frome), Charlotte Brontës Jane Eyre und John Steinbecks Von Mäusen und Menschen. Ungewöhnliche Sichtweisen prägen auch ihre biografisch inspirierten Werke The Cellist, Victoria und Hexenhatz. Für ihr choreografisches Schaffen wurde Cathy Marston mehrfach ausgezeichnet, darunter mit einem South Bank Sky Arts Award und dem britischen National Dance Award. 2020 verlieh ihr das International Institute for Dance and Theatre einen Preis für Exzellenz im internationalen Tanz. Höhepunkt ihrer ersten Saison als Zürcher Ballettdirektorin war 2024 die Uraufführung von Atonement nach dem gleichnamigen Roman von Ian McEwan (Koproduktion mit dem Joffrey Ballet). Ausserdem waren in Zürich Cathy Marstons Stücke The Cellist und Snowblind zu sehen.

Karen Azatyan

Erster Solist

Karen Azatyan stammt aus Armenien. Ausgebildet am Yerevan Dancing Art State College und an der Tanz Akademie Zürich, war er 2005 Gewinner des Prix de Lausanne. Von 2007 bis 2014 war er Mitglied des Bayerischen Staatsballetts in München (Solist seit 2012). 2014 wechselte er als Erster Solist ans Hamburg Ballett, wo ihn bis zu dessen Abschied 2024 eine enge Zusammenarbeit mit John Neumeier verband. Er tanzte in Hauptrollen und Soli in vielen Neumeier-Balletten, u. a. in Illusionen – wie Schwanensee, Der Nussknacker, Ein Sommernachtstraum, Endstation Sehnsucht, Der Tod in Venedig, Peer Gynt, Romeo und Julia, Nijinsky, Liliom, Die Möwe, Winterreise, Matthäus-Passion, Das Lied von der Erde und Mahlers Dritter Sinfonie. In seinem Repertoire finden sich ausserdem Choreografien von Frederick Ashton, Nacho Duato, Mats Ek, William Forsythe, Jiří Kylián Marius Petipa, Jerome Robbins und Christopher Wheeldon. Ebenfalls in Hamburg war er in Cathy Marstons Jane Eyre als Rochester zu erleben. Seit der Saison 2024/25 ist Karen Azatyan Erster Solist des Balletts Zürich.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop

Esteban Berlanga

Erster Solist

Esteban Berlanga stammt aus Spanien. Nach seiner Ausbildung am Royal Conservatory of Albacete und am Professional Dance Conservatory of Madrid tanzte er von 2006 bis 2013 im English National Ballet. Dort wurde er 2012 zum Ersten Solisten ernannt. U. a. tanzte er Prinz Siegfried in Schwanensee von Derek Dean, den Prinzen in Kenneth MacMillans Dornröschen, Albrecht in Giselle von Mary Skeaping, den Nussknacker in der Choreografie von Wayne Eagling und Frédéric in L’Arlésienne von Roland Petit. Für Faun(e) von David Dawson wurde er für den «Benois de la Danse» nominiert. Von 2013 bis 2018 war er Principal Dancer in der Compañia Nacional de Danza de España. Dort war er solistisch u. a. in Choreografien von William Forsythe, Itzik Galili und Roland Petit zu erleben. Seit der Saison 2018/19 ist er Mitglied des Balletts Zürich, seit 2022 Erster Solist. Er war in der Titelrolle von Marco Goeckes Nijinski zu erleben und tanzte Hauptrollen in Choreografien von Christian Spuck (u. a. Dornröschen; Anna Karenina), Cathy Marston (The Cellist; Snowblind) u. v. a.. In Spanien gründete er die Esteban-Berlanga-Stiftung zur Förderung junger Talente. 2024 erhielt er den «Tanzpreis der Freunde des Balletts Zürich».

oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

Programmheft

CLARA

Ballett von Cathy Marston

Musik von Clara Schumann, Robert Schumann, Johannes Brahms und Philip Feeney

Premiere am 11. Oktober 2024, Spielzeit 2024/25

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop

Herausgeber Opernhaus Zürich

Intendant Andreas Homoki

Zusammenstellung, Redaktion Michael Küster

Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli

Titelseite Visual François Berthoud Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing Telefon 044 268 66 33, inserate@opernhaus.ch

Schriftkonzept und Logo Studio Geissbühler

Druck Fineprint AG

oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

Textnachweise:

Die Inhaltsangabe schrieb Edward Kemp für dieses Programmheft. Deutsch von Michael Küster. – Das Interview mit Cathy Marston führte Michael Küster für dieses Programmheft. – Janina Klassen schrieb ihren Essay für dieses Programmheft. – Wichtige Personen in «Clara». Zusammengestellt von Michael Küster nach: Harenberg Kammermusikführer. Dortmund, 1998; https://www.schumannportal.de.; Klaus Martin Kopitz: Christiane Apitzsch, Robert Schumanns Geliebte «Charitas». Eine Identifizierung. In: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Heft 13/2014. – Ragna Schirmer schrieb ihren Text «Clara in Zürich» für dieses Programmheft. –Claudia Forner: «Jetzt habe ich nichts mehr zu verlieren» –Clara Schumann und Johannes Brahms. In: Clara Schumann – Ein Künstlerinnenleben. Sonderedition Leipziger Blätter. Leipzig, 2019. – Die Zitate von Clara Schumann,

entnahmen wir dem Programmheft «Clara» des Puppentheaters Halle (2018). – Zitat Johannes Brahms. In: Meinhard Saremba: «... es ist ein starker Contrast zu meinem Inneren!». Clara Schumann, Johannes Brahms und das moderne Musikleben. Hamburg, 2021.

Bildnachweise: Carlos Quezada fotografierte das Ballett Zürich bei der Klavierhauptprobe am 3. Oktober 2024.

Porträt Clara Schumann (1854) und Programmzettel «Clara Schumann in Zürich»: Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Robert-Schumann-Hauses Zwickau. Die Compagnie wurde porträtiert von Karine Grace.

Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie der Beiträge der Kantone Luzern, Uri, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und der Kantone Nidwalden, Obwalden und Schwyz.

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