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4.11.2009
10:38 Uhr
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Sie denken an junge Talente.
Unser Engagement für Ihr Erlebnis.
Wir auch an 175-jähriges Jubiläum.
Zürcher Ballett
Eine Schweiz voller faszinierender Erlebnisse – dafür engagieren wir uns, indem
175 Jahre opernhaus zürich
wir im ganzen Land kulturelle und sportliche Höhepunkte unterstützen, so auch Heinz Spoerlis Zürcher Ballett. Lassen Sie sich gemeinsam mit uns von der Vielfalt der Schweiz begeistern.
Seit mehr als 20 Jahren ist die Credit Suisse Hauptsponsor und Partner des Opernhauses Zürich. Wir gratulieren herzlich und freuen uns auf weitere eindrückliche Kulturerlebnisse und spannende Inszenierungen. www.credit-suisse.com/sponsorship
Neue Perspektiven. Für Sie. www.ubs.com/sponsoring © UBS 2009. Alle Rechte vorbehalten.
Monteverdi-Zyklus mit Nikolaus Harnoncourt Am 20. Dezember beginnt mit der Premiere von Claudio Monteverdis «L’Orfeo» der legendäre Zyklus, den Nikolaus Harnoncourt und JeanPierre Ponnelle während der Direktion von Claus Helmut Drese (1975-1986) in Zürich erarbeiten.
Wiedereröffnung nach Umbau Nach einer Volksabstimmung werden 1980 die Mittel für eine umfassende Renovierung und den Erweiterungsbau am Utoquai bewilligt. Wiedereröffnung zum 150-Jahr-Jubiläum am 1. Dezember 1984 mit «Die Meistersinger von Nürnberg».
Franz Welser-Möst Chefdirigent Intendant Alexander Pereira (seit 1991) verpflichtet Franz WelserMöst 1995 zunächst als Chefdirigent, dann als GMD (bis 2008). Das Tonhalle-Orchester und das Orchester der Oper Zürich waren 1985 voneinander getrennt worden.
2008
Umbenennung in Opernhaus Mit Beginn der Direktion Hermann Juch (19641975) wird das Stadttheater in Opernhaus umbenannt. Nicholas Beriozoff übernimmt für sieben Jahre die Leitung des Balletts, das vergrössert und endgültig als eigene Sparte etabliert wird.
1995
Gründung des IOS Der nur zwei Jahre als Direktor amtierende Regisseur Herbert Graf gründet das Internationale Opernstudio. Mit Graf findet Zürich Anschluss an die internationale Opernszene; hochkarätige Besetzungen werden zum Standard.
1984
Erstaufführung «Moses und Aron» Am 6. Juni findet die viel beachtete szenische Erstaufführung von Arnold Schönbergs «Moses und Aron» statt. Im Jahr darauf dirigiert erstmals Nello Santi, der das Haus vor allem im italienischen Repertoire bis heute prägt.
1975
Uraufführung von Bergs «Lulu» In die Direktionszeit von Karl Schmidt-Bloss (1932-1947) fallen zwei bedeutende Uraufführungen: Alban Bergs «Lulu» am 2. Juni 1937 und Paul Hindemiths «Mathis der Maler» am 28. Mai 1938.
1964
Internationale Festspiele Unter Paul Trede, der die Tradition der Jahrbücher begründet und den ersten glanzvollen Opernball veranstaltet, finden internationale Festspiele mit namhaften Gastspielen und eigenen Aufführungen statt.
1961
Richard Strauss dirigiert Mit «Ariadne auf Naxos» dirigiert Richard Strauss, dessen «Salome» bereits 1907 aufgeführt worden war, erstmals ein eigenes Werk in Zürich und kehrt in den kommenden Jahren häufig zurück. Die Strauss-Tradition wird begründet.
1957
Erstaufführung von Wagners «Parsifal» Aufgrund des Schweizer Urheberrechts kann Zürich am 13. April als erste Bühne ausserhalb von Bayreuth Wagners «Parsifal» aufführen – das musikalisch und szenisch hohe Niveau der Aufführung wird international anerkannt.
1937
Reucker pachtet den Pfauen dazu In der erfolgreichen Ära Alfred Reucker (19011921) wird für das Schauspiel zunehmend die Pfauenbühne genutzt. Ab 1921 wird das «Stadttheater» zum reinen Musiktheater (zunächst noch mit Schauspiel-Gastspielen).
1922
Eröffnung des «Stadttheaters» Nach dem Theaterbrand vom 31. Dezember1889 bauen die Wiener Architekten Helmer und Fellner in Rekordzeit das grossteils wiederum privat finanzierte «Stadttheater» am See; Eröffnung am 1. Januar mit «Lohengrin».
1917
Richard Wagner dirigiert Während seines Aufenthalts in Zürich (1849-1855) dirigiert Wagner eine Anzahl Opernaufführungen – darunter auch eigene Werke: 1852 den «Fliegenden Holländer» und 1855 «Tannhäuser». Die Tradition der Wagner-Pflege beginnt.
1913
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1901
Charlotte Birch-Pfeiffer Die Schauspielerin und Dramatikerin Charlotte Birch-Pfeiffer übernimmt für sieben Jahre die Pacht des «Actientheaters». Gespielt werden, neben zahlreichen Novitäten im Schauspiel, auch Opern wie «Fidelio» und «Norma».
10:15 Uhr
1891
4.11.2009
1850
Eröffnung des «Actientheaters» Am 10. November wird das «Actientheater» im umgebauten ehemaligen Barfüsser-Kloster an der Unteren Zäune mit Mozarts «Zauberflöte» eröffnet. Die Gründung der Theater-AG hatte eine Handvoll Zürcher Bürger vier Jahre zuvor beschlossen.
1837
1834
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«La Traviata» im Hauptbahnhof Neben zahlreichen anderen Aufführungen, die kontinuierlich auf DVD vermarktet werden, erscheint «La Traviata am Hauptbahnhof», am 30. September von SF1 und ARTE live übertragen (über 1 Mio. Zuschauer), auf DVD.
Festschrift zum 175-jährigen Jubiläum der «Theater-Actiengesellschaft»
opernhaus zürich Intendanz Alexander Pereira Spielzeit 2009/2010
Mit Worten nur schwer zu beschreiben. So ist das oft mit einer neuen Idee. Der Audi A5 Sportback. Die Kraft klaren Designs. Das wirklich Neue der Idee Sportback liegt in der Kombination von scheinbar Unvereinbarem: sportlichem Design und Funktionalität. Aussen die Proportionen eines klassischen Coupés, innen das Raumgefühl eines Avant, gekoppelt mit dynamischen Fahreigenschaften bei hervorragender Effizienz. Eine Idee, die auch ohne Worte überzeugt. Berechnungsbeispiel, Finanzierung über AMAG Leasing AG: Audi A5 Sportback 2.0 TDI, 5-Türer, 125 kW (170 PS), 1968 cm3. Effektiver Jahreszinssatz 6,59% (Laufzeit 48 Mte./10 000 km/Jahr), Barkaufpreis CHF 54 150.–, Anzahlung 10% CHF 5 415.–, Leasingrate CHF 639.15/Mt., exkl. obligatorischer Vollkaskoversicherung. Alle Preise inkl. MWSt. Änderungen jederzeit vorbehalten. Die Kreditvergabe ist unzulässig, falls sie zur Überschuldung des Konsumenten führt.
Inhalt
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Grussworte
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Ein Theater der Bürger. Chronik 1834–2009
71
Die Direktoren von 1834 bis heute
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Nicht nur «Lulu». Die Uraufführungen
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Nachwuchsförderung am Opernhaus: das Internationale Opernstudio, die Orchester-Akademie und das Junior Ballett
93
Jugendarbeit am Opernhaus Zürich
98
Alexander Pereira im Gespräch
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Impressum, Nachweise
Das Zürcher Opernhaus geht auf private Initiative zurück. Es wurde vor 175 Jahren als «Actientheater» gegründet. Die Theatergesellschaft ersteigerte die frühere Kirche des Barfüsserklosters und baute sie zum Theater um. Als das Actientheater in der Neujahrsnacht 1890 in Flammen aufging, war dank dem Engagement der theaterbegeisterten Zürcher das «Stadttheater» am See innert drei Monaten finanziert und in einem guten Jahr erbaut. Noch heute ist unser Opernhaus eine Aktiengesellschaft. Obwohl es international zur Spitzengruppe der Musiktheater zählt, lebt es noch heute zu einem erstaunlichen Teil vom privaten Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Zwar richtet der Kanton einen stolzen Betrag an das Musiktheater aus. Aber rund 45 Prozent seines Budgets sind selbst erwirtschaftet. Neben der öffentlichen gehört die private Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger weiterhin zum Fundament unseres Hauses. Dem Zusammenwirken von öffentlicher Hand und privater Initiative entspricht die Rechtsform der gemischtwirtschaftlichen Aktiengesellschaft. Sie bietet Vor-, aber auch Nachteile. Vor allem fehlt ein öffentlich-rechtliches Sicherheitsnetz. Eine AG kann abstürzen. Andererseits besitzt sie Flexibilität und arbeitet um einiges kostengünstiger als die vergleichbaren Institute unserer Nachbarländer. Nur auf eines kann die Aktiengesellschaft nicht verzichten: auf die Treue und Begeisterung ihrer Aktionärinnen und Aktionäre. Wenn wir das 175-Jahr-Jubiläum des Opernhauses feiern, feiern wir zuallererst die private Initiative, die Treue und Begeisterung des kunstsinnigen Publikums. Den Aktionärinnen und Aktionären gilt unser besonderer Dank. Mit ihrer Unterstützung wird der Verwaltungsrat alles daran setzen, den erfolgreichen Weg der Zürcher Oper fortzusetzen.
Josef Estermann Präsident des Verwaltungsrats der Opernhaus Zürich AG
Grussworte
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CHOPARD PROUD PARTNER OF ANNA NETREBKO OPERA STAR
Chopard gratuliert dem Opernhaus Zürich zum 175. Geburtstag ! CHOPARD BOUTIQUE ZÜRICH - Bahnhofstrasse 40 - Tel. 044 215 30 30
Mit grosser Dankbarkeit und auch Stolz kann man anlässlich des 175jährigen Jubiläums des Zürcher Actien-Theaters konstatieren, dass jene Institution, die einst von Zürcher Bürgern ins Leben gerufen wurde, bis zum heutigen Tage ganz wesentlich von diesen getragen wird. Gleichsam als Mitbesitzer des Hauses übernehmen sie Verantwortung und stehen mit ihrem Engagement gerade für alle wichtigen Entscheidungen. Dem hohen Identifikationsgrad der Aktionäre mit ihrem Opernhaus ist es auch zu verdanken, das mit den von ihnen getragenen Kapitalerhöhungen notwendige Erweiterungsbauten finanziert werden konnten. Ohne das hohe Mass an Eigenverantwortung der Aktionäre wäre die Geschichte des Opernhauses, wie sie sich heute darstellt, nicht denkbar. Voraussetzung dafür ist das Bewusstsein von der Notwendigkeit von Kunst in unserem Leben. Kunst ist zu allen Zeiten ein Seismograph für den Zustand der Gesellschaft. Entwicklungen wie Fehlentwicklungen werden von Kunstschaffenden vorausgespürt, finden ihren Niederschlag in Werken, deren Aktualität nicht selten erst Jahrzehnte später erkannt wird. Die Oper als komplexeste Kunstgattung kann nur leben, wenn wir sie immer wieder neu erfahrbar werden lassen, und das auf dem ihr zustehenden höchsten Niveau. Denn nur so lassen sich diese «Zeitzeugen», deren grösste Qualität gleichzeitig in ihrer zeitlosen Gültigkeit besteht, erhalten – eine Verpflichtung, die wir für uns und aus dem Generationenvertrag auch für unsere Kinder übernommen haben. Bedenkt man, dass Komponisten wie Mozart oder Richard Strauss gerade in diesem Genre ihre bedeutendsten Werke geschaffen haben, dass Komponisten wie Wagner oder Verdi ohne ihre musiktheatralischen Werke aus der Musikgeschichte ganz verschwunden wären, so ist es unsere Aufgabe, uns um die Erhaltung dieser Gattung permanent zu bemühen. Ein Opernbesuch ermöglicht das Eintauchen in eine Welt, die uns der Realität entrückt und unsere Sinne öffnet für weit wichtigere Qualitäten. Vielleicht mehr als je zuvor braucht unsere Gesellschaft sowohl auf der produzierenden wie auf der reproduzierenden Seite künstlerische Hochleistungen – Seele, Geist und vor allem Imagination und Fantasie – Werte, die uns über den Alltag hinaus tragen und in diesen wieder zurückfliessen. Ich bin dankbar, dass ich eine Reihe von Jahren bei der Gestaltung dieser für Zürich so zentralen Institution mithelfen durfte, um deren Zukunft mir angesichts der Bürger dieser Stadt nicht bange ist.
Alexander Pereira Intendant Grussworte
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Wir gratulieren zum 175-j채hrigen Jubil채um des Z체rcher Aktientheaters. Die ZKB feiert mit.
«Aus Bürgergunst geweiht der Kunst» – so steht es am Opernhaus Zürich zu lesen. In diesen Worten drückt sich aus, wie diese Institution vor 175 Jahren entstanden ist: Eine Gruppe von Theaterenthusiasten beschloss, Zürich könne nicht länger ohne Theater sein. Und schritt zur Tat: die «Theater-AG» wurde gegründet. Mit dem Aktienkapital konnte das alte «Actientheater» gebaut werden. Und als dieses abbrannte, wurde wiederum durch Ausgabe von Aktien das Kapital aufgebracht, um das neue Haus am See zu bauen. Es nannte sich «Stadttheater» und wurde 1891 eröffnet. Rund hundert Jahre später, 1994, ging das Opernhaus in die kantonale Zuständigkeit über. Die Zustimmung der Bevölkerung zu diesem Schritt war überwältigend: Über 73 Prozent der Stimmberechtigten befürworteten die Kantonalisierung des Opernhauses. Man sieht, die «Bürgergunst» für unsere Oper ist ungebrochen und das mit gutem Grund. Immer wieder schaffen es die KünstlerInnen, uns, ihr Publikum, in Begeisterung zu versetzen – oder gar zu Tränen zu rühren. Das Opernhaus ist eine der Perlen in Zürichs vielfältigem kulturellem Angebot, seine Ausstrahlung reicht weit über die Kantons- und Landesgrenzen hinaus. Damit das so bleibt, wünsche ich unserem guten alten «Actientheater» auch in Zukunft viel künstlerischen Unternehmergeist und ein neugieriges Publikum.
Regine Aeppli Regierungspräsidentin des Kantons Zürich
Grussworte
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Als eine kleine Gruppe von Bürgern 1834 durchsetzte, dass Zürich endlich ein Theater bekommt, hatte die Stadt nicht viel mehr als 10’000 Einwohnerinnen und Einwohner. Heute hat das Opernhaus Zürich regelmässige Besucherinnen und Besucher aus einem Einzugsgebiet von gut einer Million Einwohnenden. Es gab Zeiten, in denen das Opernhaus als Symbol für die etablierte Kultur und gegen die alternative, szenennahe Kultur stand. Heute wird es als Beleg für die enorme Vielfalt der Kultur in Zürich gesehen und steht damit ebenso für die kulturelle Identität unserer Stadt wie die Rote Fabrik, das Theaterhaus Gessnerallee oder das Schauspielhaus, das wie das Opernhaus aus dem alten «Actientheater», ab 1891 «Stadttheater», hervorgegangen ist. Kultur gehört zum Lebenselixier einer Stadt und Kulturförderung zu den grundlegenden staatlichen Aufgaben. Für Zürich, das einerseits Weltstadt ist, andererseits aber, gemessen an anderen Metropolen, immer noch deutlich kleiner und weniger finanzkräftig ist, war es ein richtiger Schritt, die Zuständigkeit für die grossen Institutionen zwischen Kanton und Gemeinde aufzuteilen. Die Stadt nimmt mit einem Sitz im Verwaltungsrat des Opernhauses Zürich aber weiterhin Anteil an den Geschicken des Hauses. Der Umgang mit Kultur ist ein Gradmesser des geistigen Reichtums, der Kreativität und der Toleranz der Bevölkerung. Musiktheater auf höchstem Niveau erweist sich auch in unserer Zeit als komplexe, innovative Kunstform, die Tradition und Erneuerung zu einem Erlebnis von grosser emotionaler Tiefe und gesellschaftlicher Relevanz verbindet. Deshalb kann Zürich stolz sein auf sein Opernhaus, das aus einer beispielhaften Initiative der Bürgerschaft hervorgegangen ist.
Corine Mauch Stadtpräsidentin von Zürich
Grussworte
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Konrad Kuhn
Ein Theater der Bürger. Chronik 1834-2009 Das Opernhaus Zürich geht zurück auf eine Vorgängerinstitution, die vor 175 Jahren eröffnet wurde: das «Actientheater». Sie war getragen von der Theater-AG, und der Name drückt aus, was bis heute der Fall ist: das Opernhaus ist als Aktiengesellschaft, deren Grundkapital per Namensaktie von ca. 2’000 Aktionären gehalten wird, organisiert. Darunter befinden sich inzwischen eine Reihe von Unternehmen, Stiftungen und Institutionen einschliesslich der öffentlichen Hand, die durch den Kanton Zürich und die Stadt Zürich sowie durch mehrere Kommunen vertreten ist, aber nach wie vor auch eine grosse Zahl von Privatpersonen. Es gibt wohl kein anderes Musiktheater in Europa, ganz sicher nicht eines vom Range des Opernhauses Zürich, bei dem das so ist. Darin drückt sich eine lange Tradition des Bürgerengagements aus. Die Anfänge waren bescheiden; heute spricht man vom «Flaggschiff» unter den kulturellen Einrichtungen von Stadt und Kanton Zürich, dessen künstlerische Leistungen weit über die Grenzen der Schweiz hinaus Beachtung finden. Die bis heute fortbestehende Tradition des Mäzenatentums hat geschichtliche Hintergründe, die im Folgenden geschildert werden sollen. Zugleich soll die Entwicklung des Opernhauses von der Gründung der «Theater-Actiengesellschaft» bis heute beleuchtet werden. Anders als die meisten europäischen Theatermetropolen – Paris, London, Mailand, Wien, München, Stuttgart, Dresden, Berlin usw. – war Zürich nie Residenzstadt. Theater, und im Besonderen Musiktheater, hat sich hier nie im Gefolge einer repräsentativen Selbstfeier barocker Fürstenherrlichkeit oder königlicher Prachtentfaltung entwickeln können. In Italien, dem Mutterland der Oper, gab es schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts öffentliche (also bürgerliche) Opernhäuser, in Venedig sogar mehrere. Diesseits der Alpen gab es, einmal abgesehen vom Gänsemarkttheater in Hamburg, das bereits 1678 gegründet wurde, spätestens seit den Theater-Programmatiken von Lessing, Schiller und Goethe (Stichwort «Theater als moralische Anstalt») ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert eine Reihe von bürgerschaftlichen Theatergründungen: Mainz, Frankfurt, Leipzig, Köln, Bremen, auch Genf waren Orte, an denen noch vor der Wende zum 19. Jahrhundert stehende Theater entstanden. St. Gallen, Bern und Lausanne besassen ab 1801 bzw. 1803 und 1804 ständig bespielte Theater. Dabei gaben mit den Franzosen ins Land gekommene Theatertruppen während der Periode der Helvetik, zu denen sich dann auch deutschsprachige gesellten, Anstösse. In Solothurn gab es eine jesuitisch geprägte Theatertradition, die sich bereits 1753 mit der Ausschmückung des seit Jahrzehnten genutzten gymnasialen Theatersaals als reguläres Theater etablierte. In Basel, Biel und Luzern dauerte es dagegen bis 1834 bzw. 1837, bis die jeweiligen Theater eröffnet wurden. Im theaterversessenen Wien gediehen zu diesem Zeitpunkt längst diverse Vorstadttheater. Schon 1801 eröffnete Emanuel Schikaneder mit den Einnahmen aus der «Zauberflöte» den Prachtbau des Theater an der Wien. Es ersetzte das Freihaustheater auf der Wieden, an dem er die Oper 1791 mit Mozart zusammen herausgebracht hatte. In Paris bildete seit 1783 die Opéra-Comique ein Gegengewicht zur höfischen Oper, wobei sich die Opéra im Laufe des 19. Jahrhunderts gleichsam ihrerseits verbürgerlichte. Chronik
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In Zürich aber herrschte eine ausgesprochen theaterfeindliche Tradition. Durchreisende Theatertruppen wurden immer wieder abschlägig beschieden, wenn sie um die Erlaubnis baten, ihrer Künste darbieten zu dürfen. Die Geistlichkeit stand allem, was nach Spektakel roch, Jahrhunderte lang ablehnend gegenüber. Zu Zeiten des Antistes Breitinger fiel das Verdikt in der Zwingli-Stadt kategorisch aus, wie man in seiner Streitschrift «Bedenken gegen Comedien oder Spilen» von 1624 nachlesen kann. Aber auch die Initiative, die theaterbegeisterte Bürger schliesslich über zwei Jahrhunderte später in aller Stille auf den Weg brachten, wurde von der Kanzel aus noch heftig bekämpft. Das damalige Kirchenoberhaupt, Antistes Georg Gessner, redete seinen Gemeindemitgliedern im November 1832 per Flugschrift ins Gewissen: «Was nie für Zürich, nie für die Mutter lauterer Religiosität im schweizerischen Vaterlande, die nur in Bescheidenheit und Sittenreinheit gross sein kann, passt, das wollt ihr jetzt durch die Kräfte eurer ökonomisch noch nicht herabgedrückten Genossen zu Stande bringen? Ein stehendes Theater – das soll jetzt betrieben werden? Könnt ihr es unvernünftig finden, wenn ich bitte: Sehet euch um, wo ihr stehet! Sehet das furchtbare Gewölke, das schwer am Himmel hängt! Wann und wo wird es sich, vielleicht zerschmetternd, entladen? Wahrlich, wir haben an anderes, viel wichtigeres zu denken, als an die Errichtung eines stehenden Theaters!» Mit dem «furchtbaren Gewölke», von dem da die Rede ist, dürften im Jahre 1832 u. a. die Vorgänge im Baselbiet gemeint gewesen sein. In Liestal hatte sich im Geiste der Pariser Julirevolution von 1830 eine provisorische Regierung gebildet; Basel-Landschaft wurde schliesslich zum eigenen Kanton. Die Stimmung war auch im Kanton Zürich immer noch explosiv. Die Umwälzungen als Folge des Ustertags 1830 hatten erst kurz zuvor zur neuen Verfassung geführt, die 1831 angenommen wurde. Gewaltenteilung, Volkssouveränität, Gleichstellung aller Kantonsbürger (also Abschaffung der Privilegien der Stadt gegenüber der Landschaft), Pressefreiheit sowie Handels- und Gewerbefreiheit (also das endgültige Ende des Zunftwesens) schufen eine völlig neue gesellschaftliche Situation, in der es möglich wurde, als äusseres Zeichen der neuen Zeit die Schleifung der mittelalterlichen Stadtbefestigung in Angriff zu nehmen. Das Unterrichtsgesetz von 1832 säkularisierte die Volksschule, das Lehrerseminar wurde eingerichtet. 1833 wurde die Universität Zürich gegründet. Der Widerstand der Reaktion gegen all diese Reformen, der sich dann 1839 im Züriputsch noch einmal blutig manifestierten sollte, war nicht endgültig gebrochen. Und nun auch noch ein Theater!
> Die Gründung der «Theater-Actiengesellschaft» Aber man hatte es schliesslich satt, zwecks Theatergenuss darauf angewiesen zu sein, im Sommer nach Baden zu fahren, wo die räumlichen Verhältnisse beengt und das Niveau der Aufführungen nicht besonders hoch war. Diskussionen über die Theaterfrage gab es schon seit etlichen Jahren. Dass die Zürcher Theater-AG schliesslich erfolgreich war, hat vielleicht auch damit zu tun, dass die Initiative von Anfang an von sehr respektablen Persönlichkeiten getragen wurde, denen man schwerlich radikal-liberale Tendenzen oder sittenwidrige Genusssucht vorwerfen konnte. Eher werden freimaurerische Ideale eine Rolle gespielt haben. Die Zusammensetzung der ursprünglichen Gruppe, die sich zunächst ohne grosses Aufsehen der Sache annehmen wollte – fast wie die Männer vom Rütlischwur – 14
Chronik
war so zusammengesetzt, dass verschiedene Klassen und Weltanschauungen vertreten waren. Die Initiative ging aus von Oberstleutnant Johann Georg Bürkli im Tiefenhof, Seidenherr und Mitglied des Grossen Rats, Onkel des späteren Stadtbaumeisters Arnold Bürkli, dem Zürich u. a. seine Seepromenade verdankt. Er tat sich mit seinem Freund Leonhard Ziegler im Egli, seines Zeichens Papierfabrikant, Buchhändler und Kunstsammler, zusammen. Sie gründeten am 17. Oktober 1830 eine provisorische Theaterkommission, die sich bald um weitere Honoratioren erweiterte: Oberstleutnant Jakob Meyer zum Steg, Heinrich von Muralt-Stockar, Stabshauptmann zum Ochsen, und Heinrich BodmerStocker an der Sihl, einer der vermögendsten Bürger Zürichs. Ausserdem stiessen der Eisenhändler Heinrich Wiser-Balmer (der als Dilettant bereits Theatererfahrung hatte), der Kantonsfürsprecher und Redaktor Klauser und der Besitzer der Druckerei Orell Füssli, Buchhändler Hagenbuch zum Elsässer hinzu. Ziegler schrieb später an einen Freund: «Dass mannigfache, wichtige Veränderungen unsern Regierungsverhältnissen bevorstehen, war vorauszusehen; man durfte nun eher auf die Bewilligung zum Bau eines Theaters hoffen, nicht minder auch auf die Unterstützung des Publikums.» Und über die Zusammensetzung des Komitees teilte er mit, «dass bei der Auswahl dieser Personen aller Klassen- oder Parteigeist fernblieb, auf verschiedene Stände, Vermögen und die damals schon geteilten Ansichten der politischen Glaubens-Meinungen besondere Rücksicht genommen wurde.» Diese Runde der Theaterfreunde konnte also bei der Regierung auf Wohlwollen rechnen, wenngleich man es von offizieller Seite vermied, das Unternehmen allzu öffentlich zu unterstützen. Inspiriert worden war die Aktion auch von einem Gastspiel des Sängers Giordani, der im Oktober 1830, von Luzern und Bern kommend, mit Künstlern der Mailänder Scala im Zürcher Casino mit grossem Erfolg mehrere Opern gegeben hatte. Nun galt es zunächst, einen geeigneten Standort für das Theater ausfindig zu machen. Die Stadt weigerte sich, ein Lokal wie etwa den Kappelerhof zu verpachten. Statt dessen schlug Regierungsrat Sulzer dem Theater-Komitee vor, ein anderes öffentliches Gebäude anzukaufen und umzubauen. Oberst Bürkli erwarb also am 7. Januar 1833 im Rahmen einer Versteigerung zum Preis von 17’500 Gulden das zum Obmannamt gehörende ehemalige Kirchengebäude des seit der Reformation aufgehobenen Barfüsser-Klosters an der Unteren Zäune. Der Bau war zuletzt als Kornspeicher genutzt worden. Das für die Gründung der Theater-AG erforderliche Kapital wurde durch Ausgabe von 250 Aktien zu je 200 Gulden akquiriert; bis zum 24. Dezember 1833, dem Tag der ersten Generalversammlung, war ein Vermögen von 50’269 Gulden zusammengekommen. Auch der Stadtrat hatte sich im Stillen mit der Zeichnung von fünf Aktien beteiligt, und die Kantonsregierung erwarb sogar zehn. Die Original-Aktien wurden 1891 aus Anlass des Neubaus umgewandelt; etliche Exemplare der alten, ungültig gestempelten Aktien von 1834 – mit rotem Amtssiegel! – befinden sich heute noch im Stadtarchiv Zürich. Betrachtet man diese Dokumente genauer, findet man anschauliche Belege für die ungebrochene Tradition der privaten Unterstützung für das Theater von den 1830er Jahren bis heute: eine dieser Aktien wurde von Johann Kaspar Abegg (zusammen mit einem Herrn Meyer) gezeichnet; dessen Sohn Carl Abegg-Arter ist 1891 als Aktionär belegt. Die Enkel von Carl Abegg-Arter wiederum, die Familien Raymonde Syz-Abegg und Henry und Margot Bodmer, sind nach wie vor Aktienbesitzer und weiterhin sehr engagiert als Förderer des Opernhauses Zürich – vgl. das Statement der beiden Familien und die Reproduktion der beiden Aktien auf der folgenden Seite. Chronik
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Wir freuen uns, dass es seit der Zeichnung von Aktien anlässlich der Gründung des «Actientheaters» 1834 durch unseren Ururgrossvater, Johann Kaspar Abegg (1803-1850), fortgesetzt durch die Zeichnung von Aktien anlässlich des Neubaus des «Stadttheaters» 1891 durch unseren Urgrossvater, Carl Abegg-Arter (1836-1912), eine ungebrochene Tradition der Verbundenheit mit dem Opernhaus Zürich gibt, die weiterhin gepflegt wird. Wir wünschen dem Haus auch in Zukunft Unterstützung von privater Seite, die es ihm ermöglicht, seinen künstlerischen Weg fortzusetzen. Familie Raymonde Syz-Abegg und Familie Henry und Margot Bodmer
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Chronik
Die Theater-AG wies schon in ihren Statuten darauf hin, dass der Gewinn der Unternehmung eher ideell zu veranschlagen sein würde, als materiell; mit namhaften Zinseinnahmen aus den Aktien sei nicht zu rechnen. Dort heisst es: «Die Actionäre bilden unter sich eine Gesellschaft, die ihre Statuten, das Komitee und dessen Attribute ordnen wird. Jede Actie hat eine Stimme. Der Täuschung dürfen wir uns nicht hingeben, dass grosse Interessen von den Actien erhältlich sein werden. Dies ist auch nicht der Zweck der Unternehmung; der gemeinnützige Sinn derselben steht höher. Die Vorteile der Actionäre sind wohl hauptsächlich in folgendem zu suchen: 1. in dem reinen Genuss, etwas Schönes und Gutes im Interesse der Vaterstadt gestiftet zu haben; 2. in der Möglichkeit der jährlichen Auslosung und Rückbezahlung einiger Actien mit fortdauerndem Anteil an der Unternehmung, oder bescheidene Zinse; 3. in dem Vorzuge bei der Wahl der Plätze vor dem übrigen Publikum.» Immerhin wurden in den ersten Jahren 2% Dividende ausgezahlt; das sollte sich in späteren Jahren nicht wiederholen. Das Kapital war aufgebracht. Nun konnte man zur Tat schreiten: Die Umgestaltung des von Bürkli ersteigerten und sofort an die Theaterbaugesellschaft weiter verkauften ehemaligen «Schüttgebäudes des Obmannamtes», also der als Scheune genutzten alten Barfüsserkirche, zum Theater wurde von Architekt Haug unter Benutzung eines Entwurfs von Oberst Louis Pfyffer von Wyher aus Luzern durchgeführt. Seitlich wurde ein Portal für den Haupteingang geschaffen. Die Bühne wurde anstelle des früheren Chores eingerichtet, der Zuschauerraum im ehemaligen Langschiff. Der Saal hatte vier Galerien, fasste an die 800 Zuschauer und war mit Deckengemälden ausgeschmückt. Auch ein Leuchter, den man eigens aus Paris angekauft hatte, fehlte nicht. Die – eher bescheidene – Bühnentechnik wurde von der Firma Schildknecht und Jäckle in Donaueschingen entworfen.
> Die Eröffnung des «Actientheaters» Die feierliche Eröffnungsvorstellung fand am 10. November 1834 statt: auf eine Festouvertüre «über Motive aus Schweizerliedern» von Kapellmeister Blumenthal folgten ein «Festspiel bei Eröffnung der Bühne» von Geschichtsprofessor Johann Jakob Hottinger, in dem die allegorische Figur der Veritas sowie «Tamino, Der Schauspieldirektor, Der Decorateur und einige Gehülfen des Letztern» auftraten, sodann ein Prolog, verfasst von Oberrichter Schulthess und «gesprochen von Mad. Deny», sowie anschliessend die Aufführung der «Zauberflöte». Mozarts Oper war zuletzt zwei Jahre zuvor von der reisenden Truppe eines Herrn Joseph Lingg im alten Militärschopf am Ausgang der Bärengasse aufgeführt worden. Nun hatte Zürich also endlich ein «geräumiges und zweckmässig eingerichtetes Lokal» für die «Zauberflöte», wie es 1832 in der Neuen Zürcher Zeitung anlässlich des Linggschen Gastspiels gefordert worden war. Die Demoiselle Podlesky, Darstellerin der Königin der Nacht, hatte man übrigens in einer Nacht- und Nebelaktion aus Basel, wo sie am einen Monat zuvor eröffneten Theater engagiert war, entführen müssen, da die ursprünglich vorgesehe Koloratursopranistin, eine Demoiselle Klingemann, nicht in Zürich erschienen war. Über ihre Darbietung heisst es in der Rezension der Neuen Zürcher Zeitung vom 19. November 1834: «Dem. Podlesky dürfte vermutlich durch die Kunst ihres Gesangs immer mehr Beifall ernten, wenn man sich an ihre Stimme gewöhnt hat.» Feinfühligkeit war schon damals nicht die Sache der Theaterkritik. Über die Darstellung des 18
Chronik
Monostatos heisst es im Constitutionellen gnädiger: «Der Mohr war nicht genau einstudiert; wir verzeihen es, weil wir wissen, dass ihm nur wenige Stunden vor Aufführung die Rolle des krank gewordenen Herrn Unger übergeben wurde.» Was die Eintrittskarten betraf, so waren «Billets für die Herrn Aktionärs» am Vormittag von 9 bis 12 Uhr zu beziehen, während das übrige Publikum dieselben erst ab 2 Uhr an der Kasse erwerben konnte. Ausserdem hält der Theaterzettel des denkwürdigen Ereignisses fest: «Zutritt auf die Bühne und in die Proben wird Unberufenen nicht gestattet.» Für die musikalische Seite der Aufführungen am neuen «Actientheater» sorgte die Allgemeine Musikgesellschaft, 1812 hervorgegangen aus verschiedenen Vorgängerinstitutionen, deren Geschichte zum Teil bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht. Das aus Berufsmusikern (damals sechzehn «salarierte Künstler») und Dilettanten (ungefähr noch einmal so viele) zusammengesetzte Orchester stand seit 1821 unter der Leitung des Komponisten, Geigers und Kapellmeisters Casimir von Blumenthal, der nun auch die Opernaufführungen leitete. Erst ab 1869 stand durch die Gründung des Tonhalle-Orchesters ein professionelles Orchester zur Verfügung. Für den künstlerischen Betrieb des Theaters wurde jeweils eine Pacht ausgeschrieben. Die Saison dauerte in der Regel sechs bis acht Monate, von Oktober bis März, April oder Mai. Als erster Prinzipal versuchte Ferdinand Deny aus Berlin, der mit einer bescheidenen Truppe schon im Sommertheater in Baden hervorgetreten war, sein Glück. Er musste die erforderlichen Engagements tätigen, für die Kostüme sorgen (sofern die Darsteller nicht ihre eigene Garderobe mitbrachten), gab die Dekorationen (zumeist gleichbleibende, vereinheitlichte Prospekte der gebräuchlichen Sujets, die für alle Stücke herhalten mussten) in Auftrag und entschied über den Spielplan. Das «Improvisieren» – also satirische Extempores mit aktuellen Bezügen – wurde den Schauspielern verboten, woran sich nicht alle hielten; berühmt wurde der Fall des Komikers Wilhelm Gerstel, der mit solchen tagespolitischen Anspielungen einen veritablen Skandal auslöste und die Stadt daraufhin verlassen musste. Finanzieren sollte sich das Unternehmen über die Eintrittsgelder; im Falle des Defizits haftete der Direktor. Zugleich war er aber sowohl in finanziellen und organisatorischen als auch in künstlerischen Fragen einer von den Aktionären beauftragten «Intendanz» Rechenschaft schuldig, die sich aus sieben (!) Mitgliedern zusammensetzte und naturgemäss nie einer Meinung war. Diese Form der Mitsprache wurde denn auch 1837 wieder fallen gelassen. In der Zwischenzeit war aber der erste Direktor nach nur einer Spielzeit schon wieder vergrault worden. Auch seinem Nachfolger Carl Beurer ging es nicht viel besser. Immerhin hatten sich «mehrere Theaterfreunde» auf seine Seite gestellt und in einem Zeitungsinserat gefordert: «Wäre es nicht vernünftiger gehandelt von der Theater-Intendanz, wenn sie, anstatt Herrn Beurer meistens nur in den Weg zu treten, denselben unterstützen würde, damit das Publikum auf eine solidere Art befriedigt werden könnte, als es bis anhin geschehen ist?» Erst die Ära der Charlotte Birch-Pfeiffer (1837-1842) brachte eine gewisse Kontinuität und künstlerische Konsolidierung mit sich, aber auch für sie war das Unternehmen letztlich ein Verlustgeschäft. Die ihr nachfolgenden Pächter sahen sich vor die gleichen Probleme gestellt. Sehr treffend beschreibt der 1849 aus Dresden in die Schweiz geflohene, als Revolutionär in Deutschland steckbrieflich gesuchte ehemalige Hofkapellmeister Richard Wagner die Situation des Zürcher Theaters in seiner bekannten Programmschrift, die 1851 unter dem Titel «Ein Theater in Zürich» erschien (siehe nächste Doppelseite).
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Richard Wagner: «Ein Theater in Zürich» (Auszüge) Eine Theatersaison ist zu Ende. Vor sechs Monaten langte auf den Ruf eines Schauspieldirektors eine Anzahl von Bühnenkünstlern aus den verschiedensten Weltgegenden in Zürich an: nach allen Richtungen zieht dieses Personal jetzt wieder auseinander. Ganz wie im Frühlinge des vorigen Jahres bewerben sich heute wieder Schauspielunternehmer um den Mietzuspruch des Theatergebäudes für den kommenden Winter: nach befriedigend gestellter Kaution für die Lokalmiete wird der sicherst scheinende Bewerber den Mietzuspruch und somit – nicht den Auftrag – sondern die Erlaubnis erhalten, von nah und von fern her eine Theatertruppe zu sammeln, um mit nächstem Frühjahre, wenn zuvor kein Bankerott ausbricht, sie wieder nach allen Winden ziehen zu lassen. Im Laufe der Wintermonate wird dieser Direktor es sich angelegen sein lassen, in möglichst schneller und bunter Vorführung auswärts beliebt gewordener Theaterstücke dem Wunsche des Publikums zu genügen; im günstigen Falle wird er ein Personal zusammengebracht haben, aus dessen Mitte Einzelne besonderen Beifall gewinnen – ein Umstand, der es ihm ermöglicht, gewisse Stücke öfter zu wiederholen –, oder im schlimmeren Falle wird keinem seiner Bühnenmitglieder eine solche Teilnahme zugewendet werden können, und er wird dann um so bunter die theatralischen Neuigkeiten mischen, die in ihrem jähen Wechsel der Neugierde den Anteil abgewinnen sollen, den eine besondere Neigung des Publikums zu diesem oder jenem Mitgliede dem Unternehmen nicht zu zollen vermag. Was wird der Erfolg dieses Theaterdirektors sein? Es lässt sich vermuten, der nächste Direktor werde, sobald er mit kalter Besonnenheit zu Werke geht, nur auf Auskommen und Gewinn bedacht sein. Verfährt er zu diesem Zwecke grundsätzlich, so wird er vor allem seinen Gagenetat herabstimmen, mit Absicht auf ein mittelmässiges Personal bedacht sein, und mit diesem dann seine Vorstellungen so einrichten, dass er nur noch auf die Neugierde des Publikums spekuliert. Das Publikum wird nach jeder Verlockung stets getäuscht das Theater verlassen; der Direktor aber wird sich bemühen, die Getäuschten immer von neuem wieder in eine Neugierfalle zu locken, bis endlich alle Reizmittel erschöpft sind, der Direktor sein Bündel schnürt und – eine neue Theatersaison zu Ende ist, die vollste Gleichgültigkeit gegen alle theatralische Kunst zurücklassend. Eine dritte Möglichkeit ist die, dass der Theaterdirektor sich mit seinem Unternehmen dem «guten Glücke» überlässt: Er wirbt an, was ihm gerade in den Weg läuft, und führt auf, was sich eben von selbst aufführt. Dabei rechnet er auf eintretende günstige Fälle, schlechtes oder gutes Wetter, einen Stadtskandal, eine hübsche Komödiantin und deren Liebhaber, so wie dergleichen Dinge und Umstände mehr, die er wohl gar nach einem Systeme der Art ausbeutet, dass ihn endlich die Polizei davonjagt, falls er nicht von irgend einem grossen Hoftheater zu einer besonderen Stellung berufen werden sollte. Gleichgültig überlässt man das Schicksal der nächsten Theatersaison dem Zufall. Diese Gleichgültigkeit bekundet aber nicht eine Abneigung gegen das Theater überhaupt, sondern vielmehr einen halb bewussten und halb unbewussten Zweifel darüber, ob ein Theater in Zürich auch bei gründlicherer Unterstützung wahrhaft Gutes zu leisten im Stande sein würde. Diesen Zweifel müssen zunächst diejenigen mit vollem Bewusstsein hegen, die in der Lage sind, die grösseren Städte Europas öfter zu besuchen und den imponierenden Eindruck der dortigen Theatervorstellungen auf die Beurteilung der Leistung des heimischen Theaters unwillkürlich übertragen.
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Richard Wagner, Aquarell von Clementine Stockar-Escher, Z端rich 1853
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> Zürich statt Bayreuth? Wagner an der Limmat Um einen Begriff vom Niveau der Zürcher Bühne in dieser Zeit zu geben, sei erwähnt, dass im September 1843 die einst auch von Richard Wagner sehr bewunderte Wilhelmine Schröder-Devrient hier in mehreren ihrer Glanzrollen aufgetreten war: als Norma und Romeo (Bellini), als Agathe (in Webers «Freischütz») und als Leonore (in Beethovens «Fidelio»). Solche Ereignisse waren aber in der Regel nur in Form eines kurzen Gastspiels möglich. Was den Spielplan betrifft, waren neben dem Schauspiel, das im Vordergrund stand, die neuesten Opern von Bellini, Donizetti und Rossini (inkl. dessen «Wilhelm Tell») und die immer populärer werdenden Stücke der Pariser Produktion (Adam, Auber, Boieldieu, Meyerbeer), vor allem die dem Genre der Grand Opéra zuzurechnenden, in Zürich zu erleben. Richard Wagner, der sich fast zehn Jahre lang in Zürich aufhielt, war sich nicht zu schade, neben Abonnement-Konzerten der Musikgesellschaft mit anspruchsvollem Programm auch einige Opernaufführungen im «Actientheater» zu dirigieren und dabei gleich noch zu inszenieren. Zunächst hatte er seinen Freund Karl Ritter als Kapellmeister ans «Actientheater» vermittelt, der jedoch nicht reüssierte. Er wurde im Oktober 1850 durch den jungen Hans von Bülow ersetzt, der jedoch ebenfalls auf Widerstände stiess. Nach kaum zwei Monaten ging Bülow nach einem Streit mit der Primadonna des Hauses, Rosa Rauch-Wernau, nach St. Gallen. Nachdem seine beiden Schützlinge keinen Erfolg gehabt hatten, übernahm Wagner selbst das Dirigat folgender Opern: Mozarts «Don Giovanni» (die Rezitative waren teilweise durch Dialoge ersetzt, die er selbst eingerichtet hatte) und «Die Zauberflöte», Beethovens «Fidelio», Webers «Freischütz», Bellinis «Norma» und Boieldieus «Die weisse Dame». Am 25. April 1852 dirigierte Wagner schliesslich erstmals ein eigenes Werk (mit drei Wiederholungsvorstellungen): den «Fliegenden Holländer», mit «verstärktem Orchester- und Chorpersonale». Am 16. Februar 1855, kurz vor seinem Weggang nach Paris, folgte noch der «Tannhäuser». Die Premiere dieser von ihm einstudierten Oper dirigierte er allerdings nicht selbst, sondern sass im Zuschauerraum; so erlebte Wagner sein Werk erstmals als Zuhörer. Erst die dritte der sechs Vorstellungen dirigierte er dann wieder selbst. – In seiner Denkschrift von 1851 schlug er vor, einen Theaterausschuss einzurichten, der das öffentliche Interesse an einem «wirklich künstlerischen Zwecken» gehorchenden Theater im Sinne eines Bildungsauftrages zu erwägen und die geeigneten Mittel zum Aufbau eines solchen Theaters zu beschaffen hätte. Dieses Organ sollte nicht direkt der Erziehungsbehörde unterstellt sein, jedoch ähnliche Befugnisse haben wie diese. Entscheidende Stossrichtung für eine Reform wäre Wagner zufolge gewesen, Stoffe und Autoren nicht aus Frankreich, dessen Theaterleben er als das allgegenwärtige Vorbild beschreibt, zu importieren oder den dort entstehenden Werken mit unzureichenden Mitteln nachzuempfinden, sondern «originale» Werke hiesiger Künstler zu fördern. Die Berührungspunkte der programmatischen Ausführungen in «Ein Theater in Zürich» mit den zur gleichen Zeit entstehenden Kunstschriften «Oper und Drama» und «Eine Mitteilung an meine Freunde» liegen auf der Hand. Im Mai 1853 kam es zum berühmten, zweimal wiederholten Festkonzert im «Actientheater» mit Ausschnitten aus «Rienzi», «Der fliegende Holländer», «Lohengrin» und «Tannhäuser» (den Text der Opern hatte Wagner zuvor an drei Abenden im Hotel Baur au Lac vorgelesen) – ein Ereignis, das Wagner zu der später in Bayreuth verwirklichten Festspielidee angeregt hat. Er schmiedete Pläne für ein aus Holz gebautes Festspielhaus auf einer 24
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Wiese in Hottingen. Laut Protokoll der Generalversammlung der Theater-AG vom 6. Februar 1854 hat Wagner damals sogar «die Geneigtheit ausgesprochen, die Direktion des Theaters zu übernehmen, falls man sich in den Bedingungen einigen könne». Theatergeschichtlich gesehen wäre also aus dem zu dieser Zeit ca. 30’000 Einwohner zählenden Zürich (inklusive der Nachbargemeinden) beinahe schon Mitte des 19. Jahrhunderts ein Zentrum des Musiktheaters von europäischer Geltung geworden. Die von Wagner gestellten Bedingungen waren jedoch für die Mitglieder und Aktionäre der Theater-AG vorerst unerfüllbar. Wagners Festspielgedanke wurde erst zwanzig Jahre später in Bayreuth, mit finanzieller Unterstützung u.a. des bayerischen Königs Ludwig II., verwirklicht. In Zürich hatte man andere Sorgen. Die Direktionswechsel häuften sich, das Publikumsinteresse blieb schwankend. Von einer städtischen Subvention (auf die Wagners Vorschlag hinausgelaufen wäre) war nicht die Rede. Stattdessen erwog man kurzzeitig sogar die Liquidation des defizitären Unternehmens, was durch Zeichnung von 6’500 Franken Subvention von privater Seite abgewendet werden konnte. 1858 ging man kurzzeitig mit St. Gallen zusammen, was sich aber als nicht praktikabel erwies. Immer wieder musste frisches Geld aufgetrieben werden, wobei sich in bescheidenem Rahmen hin und wieder auch der Stadtrat beteiligte. Von 1854, als Direktor Wilhelm Löwe durch einen Schuss aus einem Bühnengewehr starb, bis 1883 versuchten in Zürich nicht weniger als zwölf Direktoren, den Spagat zwischen den hohen Ansprüchen der «Theatervorsteherschaft» und dem Budget, das sich aus den Abendeinnahmen und einer gelegentlichen Gratifikation zusammensetzte, zu leisten. Die Generalversammlungen der Theater-AG wurden in den 1870er Jahren teilweise von weniger als einem Dutzend Aktionären besucht. Was die musikalische Seite angeht, herrschte grössere Kontinuität: von 1863 bis 1875 wirkte Friedrich Hegar als Kapellmeister. Ihm folgte Lothar Kempter, der dem Theater vierzig Jahre lang (bis 1915) diente. Finanziell und künstlerisch konsolidierten sich die Verhältnisse mit Beginn der Direktion von Paul Schroetter 1883 (und der Wahl von Sebastian Kisling als Präsident des Verwaltungsrates 1886) vorübergehend. Die städtische Subvention hatte sich verstetigt und war inzwischen auf jährlich 6’000 Franken gestiegen. Kein Geringerer als Gottfried Keller schrieb 1864 einen «Prolog zur Theatereröffnung» (siehe nächste Seite); aus den Worten, die er dafür fand, spürt man den schweren Stand heraus, den das Theater in Zürich in diesen Jahren hatte. Unterdessen wurde der höhere moralische Zweck des Instituts angesichts des Siegeszugs der Operette, die ab 1859 das Zürcher «Actientheater» erreichte, wieder vermehrt in Frage gestellt. Bildungsauftrag und der Geschmack eines Teils des Publikums liessen sich nicht so leicht miteinander vereinen. Vor allem die bissigen Satiren von Jacques Offenbach, dessen «Orpheus in der Unterwelt» man 1872 erstmals gab (gefolgt von der «Schönen Helena» und «Blaubart» sowie Lecoqs «Mamsel Angot» und «Giroflé-Giroflà»), mit seiner von der Musik entfesselten Tanzwut, gipfelnd im als gemeingefährlich verteufelten «Can-Can», sorgten für öffentlichen Aufruhr um das Theater. Weniger Widerstand gab es gegen die Operette Wiener Prägung, die mit Suppés «Flotten Burschen», der «Schönen Galathee», «Fatinitza» und «Boccaccio», mit Johann Strauss’ «Fledermaus» und «Zigeunerbaron», Millöckers «Bettelstudent» und «Gasparone» sowie schliesslich Zellers «Vogelhändler» und «Obersteiger» (dann schon im neuen Haus) Einzug hielt. Reinhold Rüegg, Redaktor der Neuen Zürcher Zeitung, schreibt in seiner Festschrift von 1884, es Chronik
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«Halb sorg- halb lustbewegt ziehn wir das Tuch, Das leichte, das ein leichtes Spiel verhüllt, Empor zum niedern Himmel dieser kleinen Gemalten Welt, ein Spiegel eurer grossen. Von Lust bewegt sind wir, voll anzustimmen Das endlos stete, wechselvolle Lied Des alten Menschenschicksals, dessen Rad, Wie eine Mühl am Bächlein, ewig dreht An ros’ger Quelle herzentströmten Blutes. Laut mitzusingen diesen alten Sang, Schon wiegend uns in den gemessnen Rhythmen, Ziehn wir entschlossen rasch den Vorhang weg, Doch sorgerfüllt auch, weil wir fremd euch sind Und ungewiss des Beifalls eurer Augen.» Aus: Gottfried Keller, «Prolog zur Theatereröffnung», 1864
werde «uns schwer, eine wesentliche Differenz zwischen der Operette und der modernen Oper herauszufinden. Für Pikanterien im Orchester sorgt der Komponist der erstern so gut wie derjenige der zweiten; seinen Chor und sein Solisten-Ensemble sucht er ebenso wirksam zu gestalten und dass er artige Lieder und hübsche Walzer einfliessen lässt, schafft auch noch keinen himmelweiten Unterschied. Offenbar will sich die Operette mehr und mehr der Spieloper nähern – wie das Feuilleton dem Buche.» Zusammenfassend schreibt Rüegg über die Jahre vor dem Theaterbrand in den «Blättern zur Feier des fünfzigjährigen Jubiläums des Zürcher Stadttheaters am 10. November 1884», der TheaterEnthusiasmus sei matter geworden: «Nach einem Momente stolzen Aufblühens hat die Anstalt keine glänzende Epoche mehr erlebt; es traten böse Krisen an sie heran, sie hatte Mühe ihren Ruf zu wahren und ihre Geschichte war oft eine Leidensgeschichte. Es ist nicht ihre Schuld allein, dass sie in mehrfacher Hinsicht gesunken; es lag in erster Linie am öffentlichen Geiste, wenn ihr die Impulse fehlten und mancher Biedermann tadelt sie auch nur deshalb, um weiter nichts für sie tun zu müssen.»
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> Das «Actientheater» brennt ab Der grosse Einschnitt kam zum Jahreswechsel 1889/1890: das 1834 eingeweihte Theater wurde durch einen Brand innerhalb einer Nacht vollkommen zerstört, inklusive des Kostüm- und Bühnenbildfundus’ und der Bibliothek, also sämtlicher Manuskripte und Musikalien. Immer wieder ist als Wunder beschrieben worden, dass dabei keine Menschen zu Schaden kamen. Theaterbrände hatten in Europa zu schrecklichen Katastrophen geführt. In Nizza waren 100 Menschen bei einem Theaterbrand umgekommen. Beim Brand des Wiener Ringtheaters am 8. Dezember 1881 gab es nach offiziellen Angaben 384 Tote, wahrscheinlich waren es noch weit mehr. Insofern war man sich der Gefahren auch in Zürich bewusst und hatte bereits einen Eisernen Vorhang eingebaut. Es war aber vor allem der Besonnenheit und Geistesgegenwart von Sebastian Kisling-Kambli, dem amtierenden Präsidenten des Theaterkomitees, zu verdanken, dass in der Silvesternacht 1889 keine Opfer zu beklagen waren. Nachdem ihm der Polizeiwachtmeister Mülli, der an diesem Abend Dienst tat, Meldung vom Ausbruch des Feuers in einem Nebenraum des Foyers gemacht hatte, begab sich Kisling aus der Intendanz-Loge auf die Bühne und teilte dem Publikum unaufgeregt mit, die Vorstellung «könne nicht fertig gespielt werden. Ich ersuche Sie, sich ruhig zu entfernen. Gefahr ist keine vorhanden». Der Eiserne Vorhang wurde heruntergelassen, die Notausgänge wurden geöffnet. Geordnet, ohne in Panik zu verfallen, räumte das Publikum das Theater. Erst auf der Strasse wurde man gewahr, dass das Gebäude bereits lichterloh brannte. Der Brand schuf ein Faktum, ohne das Zürich vielleicht noch lange auf einen Theaterneubau hätte warten müssen. Pläne zu einem Prachtbau, der auch eine neue Tonhalle hätte beherbergen sollen, gab es schon länger. Sie auch zu verwirklichen, dazu hatte man sich bisher nicht durchringen können. Nun ging es darum, rasch ein neues Theater zu bauen. Und die Theateraktionäre handelten entschlossen. Am 18. Januar 1890, keine drei Wochen nach dem Brand, fand eine ausserordentliche Generalversammlung statt. Man beschloss zunächst den Fortbestand der Theater-AG. Sodann wurde der Vorstand beauftragt, sich unverzüglich mit den Behörden ins Benehmen zu setzen, um die Möglichkeiten eines Neubaus abzuklären. Auf einer weiteren Generalversammlung am 8. März wurden die Statuten der AG geändert und zur Zeichnung neuer Aktien aufgerufen. Die Stadt sah sich aufgrund ihrer Finanzlage ausserstande, sich an dem Unternehmen zu beteiligen. Sie wollte allerdings das Grundstück zur Verfügung stellen. Diverse alternative Standorte wurden geprüft. Der Stadtrat machte der auch öffentlich schnell aufgeflammten Diskussion ein Ende, indem er dem Vorschlag der städtischen Baukommission folgte. Diese hatte vorgerechnet, dass der Dufour-Platz, unweit des Bellevue gelegen, trotz Unsicherheiten bezüglich der Beschaffenheit des Baugrunds die günstigste Lösung sei. Damit setzte sich die städtische Baukommission auch über die Theater-AG hinweg, die ein Grundstück am Heimplatz gegenüber dem Pfauen favorisiert hatte. Eine wichtige Rolle in der Argumentation spielten Brandschutzmassnahmen. So sollte möglichst ein ebenerdiger Zugang zum Parterre und zu den Treppenhäusern gegeben sein (was beim Grundstück am See durch Aufschüttung erreicht werden konnte).
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Was den Entwurf anging, setzte sich wiederum die Theater-AG gegen die Baukommission der Stadt durch. Diese hatte nämlich einen öffentlich ausgeschriebenen Wettbewerb vorgeschlagen. Bei einer dritten Generalversammlung am 4. Juni 1890 entschied man sich jedoch auf Vorschlag des Verwaltungsrats, ein bereits bestehendes Projekt, das ursprünglich für einen Theaterbau in Krakau entstanden, dort aber nicht realisiert worden war, anzukaufen, um Zeit zu sparen. Der Entwurf stammte von den Wiener Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer, deren Büro in der Gründerzeitepoche insgesamt an die fünfzig Theater in ganz Europa gebaut hat: von Odessa über Zagreb, Bratislava, Prag (Deutsches Theater) und Wien (Volkstheater) bis zum Hoftheater Wiesbaden, um einige heute noch existierende Häuser zu nennen. Seither ist viel gestritten worden um die Qualität des Entwurfes von Fellner und Helmer. Vor allem in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sahen viele Kritiker die Architektur des Hauses als Konfektionsware ohne bleibenden Wert an. 1890 jedenfalls traf der Mischstil der beiden Spezialisten aus Wien mit Anleihen an die Baukunst der Renaissance und des Rokoko den Geschmack der Zürcher. Fellner und Helmer bauten kurze Zeit später auch die neue Tonhalle, deren verspieltes, türmchengeschmücktes äusseres Erscheinungsbild heute nach diversen Umbauten (und dem Bau des Kongresshauses) allerdings nicht mehr erkennbar ist.
> Der Neubau entsteht in Rekordzeit Die ungünstigen Prognosen hinsichtlich der Beschaffenheit des Baugrundes am Dufourplatz erwiesen sich als richtig. Wegen des hohen Grundwasserspiegels und des weichen Bodens – das Grundstück liegt im Bereich einer Aufschüttung über einer ehemaligen Insel im unteren Seebecken – mussten insgesamt über 1’800 Holzpfähle eingerammt werden, auf denen das Haus bis heute ruht. Trotzdem gelang es, das Gebäude innerhalb der erstaunlich kurzen Zeit von unter sechzehn Monaten hochzuziehen, indem man teilweise bis in die Nacht hinein arbeitete. Dabei musste man auch noch die verlorene Zeit aufholen, die durch eine dem besonders strengen Winter geschuldete Unterbrechung entstanden war. Für den Bauschmuck wurde ein Wettbewerb ausgelobt. Die Jury, der auch der Maler Arnold Böcklin angehörte, entschied sich für die beiden Wiener Bildhauer Ludwig Dürnbauer und Franz Vogel. Der Saal mit seinen insgesamt 1’238 Plätzen wurde mit Deckengemälden von J. Gärtner, P. Gastgeb und Karl Peyfuss dekoriert. Es sind allegorische Darstellungen der Liebe, der Tragödie, des Lustspiels sowie der Musik und der Dichtkunst. Letztere beiden sind auch in den Figurengruppen auf den beiden Eckbauten der Hauptfassade dargestellt, während die Gruppen auf den beiden äusseren Risaliten jeweils den «Triumph» darstellen. Vestibül und Foyer ahmen die zierliche Eleganz nach, die man aus den im Rokoko-Stil erbauten Adelspalais in Wien kennt. Der grosse Lüster im Zuschauerraum machte insofern Furore, als er, wie das ganze Haus, bereits damals elektrifiziert war: seine 120 Lampen, zu denen weitere 680 im Zuschauerraum, den Vestibülen, Treppenhäusern und Foyers kamen, liessen das Theater hell erstrahlen. Auch die Bühnenbeleuchtung wurde mit elektrischem Strom, der mit eigenen Dampfmaschinen im angebauten Maschinenhaus erzeugt wurde, betrieben und beeindruckte gegenüber der gewohnten Gasbeleuchtung.
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Der Vorteil der elektrischen Beleuchtung gegenüber der Gastbeleuchtung war die deutlich geringere Brandgefahr. Sogar an eine batteriegetriebene Notbeleuchtung im Falle eines Stromausfalls war gedacht. Stromgetrieben waren nicht nur die beiden Ventilatoren, die für Frischluft sorgten; wie die «Festschrift zur Eröffnung des Stadttheaters in Zürich» ausdrücklich vermerkt, wurden auch «die Brenneisen des Coiffeurs elektrisch erwärmt». Das trug ebenso zur Feuersicherheit bei wie die bauliche Trennung von Bühnenturm und Zuschauerhaus, die man schon von aussen erkennen kann. Die Eisenkourtine, die beide Gebäudeteile im Brandfall feuerfest voneinander abschirmt, konnte nicht nur von der Bühne, sondern auch von der Loge des Verwaltungsrats aus bedient werden. Erwähnt werden in der Festschrift ausserdem «9 Telephonstationen im Inneren des Hauptgebäudes und im Maschinenhaus». Das Maschinenhaus bot gleichzeitig Platz für ein Dekorationsmagazin, so dass die gerade nicht benötigten Dekorationen – damals in der Hauptsache noch gemalte Prospekte und flache Aufbauten – nicht auf der Bühne gelagert werden mussten. Zur Finanzierung des Baus wurde das Aktienkapital von 466’670 Franken (das entsprach 200’000 alten Zürchergulden) auf anderthalb Millionen Franken aufgestockt. Wieder fanden sich innerhalb kurzer Zeit – von März bis Juni 1890 – Käufer für diese Aktien, die sich bis heute im Besitz der jeweiligen Erben befinden bzw. weiterverkauft wurden. Die Stadt leistete immerhin einen Beitrag von 200’000 Franken (zusätzlich zur kostenlosen Überlassung des Grundstücks); hinzu kamen die Gemeinden Enge (25’000 Franken) sowie Hottingen und Riesbach (je 5’000 Franken). Darin spiegelte sich, dass Zürich mittlerweile auf dem Weg zur Grossstadt war: Die erste Stadterweiterung wurde 1893 vollzogen. Auch die Finanzdirektion des Kantons Zürich beteiligte sich mit 30’000 Franken. Der Verkauf des Geländes, auf dem das abgebrannte Theater gestanden hatte, brachte weitere 160’000 Franken ein. Schliesslich vergütete die Brandversicherung 340’000 Franken für das alte «Actientheater», das den Flammen zum Opfer gefallen war. Für die Finanzierung des Figurenschmucks wurden zusätzlich 50’000 Franken von Seiten privater Mäzene aufgebracht. Ausserdem wurden über 34’000 Franken gesammelt, um die beschäftigungslos gewordenen Künstler in der Zeit bis zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs zu unterstützen. Zu Beginn der Eröffnungsspielzeit war dann ein Ensemble von insgesamt 120 Personen aufgeboten.
> Die Eröffnung des «Stadttheaters» Am 30. September 1891 fand die feierliche Einweihung des neuen, repräsentativen Baus statt. Auf einen Prolog von Conrad Ferdinand Meyer folgte ein Festspiel des späteren Nobelpreisträgers Carl Spitteler, damals Leiter des Feuilletons der Neuen Zürcher Zeitung. Die Musik steuerte Kapellmeister Lothar Kempter bei. In Spittelers Festspiel bereitet Turicia, also die personifizierte Stadt Zürich, die auf der Bühne versammelten Musen nebst dem Theaterdirektor, den Regisseuren und dem Personal, in wohlgesetzten Versen auf die besonderen Schwierigkeiten vor, die sie an der neuen Stätte ihres Wirkens erwarten (siehe nächste Seite). Die eigentliche Eröffnung des neuen «Stadttheaters» – so der Name des neuen Hauses , der bis heute auf dem Giebel prangt – fand am 1. Oktober mit Wagners «Lohengrin» (den man bereits 1884 zur 50-Jahr-Feier gegeben hatte) statt. Die Direktion hatte nach wie vor Paul Schroetter inne, der den Neubau beratend begleitet hatte. 30
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«’s ist eine gute Regel, das Bewährte Nicht umzutauschen für das Unbekannte. Das Amt, die widerstrebenden Gewalten Der Kunst und der Finanz mit zarter Hand Und feiner Waage friedlich auszugleichen, – Der Auftrag, aus der Zahl der Möglichkeiten Die richtigen Nummern auszuspüren, ahnend, Was jeder Tag bedarf, und klug vermeidend, Was Unheil sät und Zank und Ärger aufrührt, Ist nirgends leicht. Doch doppelt spröd und schwierig In einem Lande, dessen Eigenart, Kräftig entwickelt, von den andern abweicht. Mein Volk ist deutsch – und liebt die welschen Brüder. Es ist nicht Hauptstadt und auch nicht Provinz. Selbst prüfen wollen wir und unabhängig. «Autorität», dies Wort ist uns ein Fremdwort; Ihr sucht’s umsonst im Wörterbuch der Schweiz.» Aus: Carl Spitteler, Festspiel zur Eröffnung des neuen «Stadttheaters», 1891
Georg Lederer als Lohengrin, 1891
Gรถsta Winbergh als Lohengrin in der Inszenierung von Robert Wilson, 1991
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> Eine neue Ära beginnt – mit Schwierigkeiten Noch bis 1896 hielt man am Pachtsystem fest. Nach anfänglich vollbesetzten Häusern liess die Neugier der Zürcher auf ihr neues Theater allerdings schon bald nach, und Unzufriedenheit bei einem Teil des Publikums in Bezug auf die Ausrichtung des Spielplans wurde laut. Das neue Haus bot der Oper wesentlich bessere Aufführungsbedingungen (auch wenn der Orchestergraben für grössere Besetzungen, wie z.B. bei Wagners «Ring des Nibelungen», eigentlich immer noch zu klein war), während die Akustik für das Schauspiel weniger vorteilhaft war. Entscheidend änderte sich das Profil des Hauses, als das «Stadttheater» mit Beginn der Direktionszeit von Alfred Reucker (1901-1921) auch die bis dahin als Privattheater mit seichtem Spielplan geführte Pfauenbühne übernahm. Dort wurden nun Hauptmann, Ibsen, Schnitzler, Wedekind, Shaw, Gogol und Gorki gespielt. Möglich wurde die Anmietung des Schauspielhauses im Pfauen durch eine Rettungsaktion privater Mäzene, die dem zuvor sogar von der Schliessung bedrohten «Stadttheater» zu Hilfe kamen. Was war geschehen? War der Direktor jetzt auch von der Theater-AG angestellt und haftete nicht mehr persönlich für entstehende Defizite, so war es doch weiterhin ein Ding der Unmöglichkeit, den Betrieb ohne Zuschüsse kostendeckend zu führen. Trotz «Dutzendbilletten» und anderen Vergünstigungen bei den Eintrittspreisen war der Besuch einfach zu schwach gewesen, um die Ausgaben durch entsprechende Einnahmen auffangen zu können. Gegen Ende der Direktion von Karl Skraup (er war 1898 auf Schroetters Nachfolger Ludwig Treutler gefolgt) waren die Verluste auf über 100’000 Franken angewachsen. Allein die Spielzeit 1899/1900 ging mit einem Defizit von 87’000 Franken zu Ende. Man erwog, die eben erst eingeführte Betriebsform der Eigenregie wieder aufzugeben oder das Haus ganz zuzusperren. Nach langwierigen Verhandlungen erklärte sich die Stadt schliesslich bereit, für 1900 einen Nachtragskredit von 50’000 Franken und für das darauf folgende Jahr nochmals eine einmalige Finanzhilfe in der gleichen Höhe bereitzustellen. Obwohl es sich um eine zeitlich begrenzte Hilfsaktion zur Behebung der eingetretenen Krise handeln sollte, also von einer substanziellen Erhöhung der regelmässigen Subvention nicht einmal die Rede war, sprachen sich die Stimmbürger in einer von den Sozialdemokraten herbeigeführten Volksabstimmung am 3. März 1901 mit 8’000 zu 12’000 Stimmen Mehrheit gegen diese städtische Unterstützung des von der Schliessung bedrohten Stadttheaters aus. Der Vorgang weckt Assoziationen an spätere Debatten, auch, was die Argumentation betrifft; so begründete die Linke ihre Opposition gegen die städtische Subvention damals in der Neuen Zürcher Zeitung mit den Worten, sie empfinde es «als Faustschlag, wenn die Stadt 50’000 Franken für das Vergnügen ihrer begüterten Bürger hingeben will in dem Augenblick, da diese erklären muss, für ihre durch Arbeitslosigkeit in Not geratenen Bürger nur sehr wenig tun zu können». Die einzige Chance, das gerade einmal zehn Jahre zuvor glanzvoll eröffnete Haus vor dem Ruin zu bewahren, lag wiederum in einer privaten Sammelaktion. Und diese Aktion gelang. Nicht nur die nötigen 150’000 Franken zur Abwendung des Bankrotts kamen zusammen; für die Jahre 1902-1904 wurden weitere 150’000 Franken zugesagt, so dass der neue Direktor Alfred Reucker seine Idee, die Pfauenbühne zu pachten, realisieren konnte. Ein langjähriges Mitglied des Verwaltungsrats, der begüterte Seidenfabrikant Robert SchwarzenChronik
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bach-Zeuner, trug trotz seiner Skepsis gegenüber einer Bespielung des Pfauen massgeblich dazu bei, die für die neue Bestuhlung des bis dahin mit Biertischen ausgestatteten Theaters notwendigen Mittel aufzubringen. Obendrein vermachte Schwarzenbach, der 1904 starb, dem Theater testamentarisch 100’000 Franken und bestimmte noch einmal soviel zur Auszahlung für den Fall, dass sich die Stadt endgültig dazu entschliessen könnte, die bisherige Subvention von jährlich 20’000 Franken dauerhaft zu erhöhen. Genf trug zum Unterhalt seines Theaters zu dieser Zeit schon mit 180’000 bis 230’000 Franken bei. Mit dem Schwarzenbachschen Legat war der Stadtrat unter Zugzwang gesetzt. Ein erneutes Referendum, abgehalten im Dezember 1908, ging diesmal zugunsten des «Stadttheaters» aus: der neue Subventionsvertrag sah nun jährlich 50’000 Franken vor. Unterdessen waren aus Aufführungen für Minderbemittelte, für die ursprünglich die PestalozziGesellschaft den Kartenvertrieb übernommen hatte, die Volksvorstellungen hervorgegangen, die die Stadt nun mit je 1’500 Franken direkt vergütete. Dafür verpflichtete sich das Stadttheater, jedes Jahr eine bestimmte Anzahl solcher Volksvorstellungen durchzuführen. Hinzu kamen Schüleraufführungen (meist Schillers «Wilhelm Tell»), die von der Stadt ebenfalls mit je 1’500 Franken vergütet wurden. Um der Stadt im Gegenzug zur Subventionserhöhung mehr Mitsprache zu sichern, wurde ihr eingeräumt, jeweils zwei Personen in den Verwaltungsrat zu entsenden, die dort mit Sitz und Stimme die Belange des Subventionsgebers vertreten konnten. Die Voraussetzungen für einen neuen Start waren gegeben.
> Oper auf Weltniveau in Zürich: der «Parsifal» 1913 Direktor Alfred Reucker gelang es in den 20 Jahren seiner Amtszeit, die Qualität der Aufführungen kontinuierlich zu heben. Seine Spielplanpolitik war konsequent, mitunter sogar wagemutig, sowohl im Schauspiel als auch in der Oper. So wurde das 1905 uraufgeführte Skandalstück «Salome» von Richard Strauss in Zürich bereits 1907 erstmals gegeben. Stiess Reucker damit beim Publikum (und der Presse, die von «grauenhaften Kakophonien» sprach) zunächst noch weitgehend auf Ablehnung, so war mit dem «Rosenkavalier» im März 1911 – keine sechs Wochen nach der Dresdener Uraufführung – der Grundstein zu einer grossen Strauss-Tradition gelegt. 1916 wurde «Elektra» erstmals gegeben. 1917 kam der Komponist selbst nach Zürich, um die Neufassung seiner «Ariadne auf Naxos» (sowie Werke von Mozart) zu dirigieren. Er kehrte in den kommenden zwei Jahrzehnten häufig zurück ans Pult der Zürcher Oper; seine neuen Opern wurden hier regelmässig jeweils kurz nach der Uraufführung präsentiert – bis hin zu «Capriccio». Am Stellenwert dieser Tradition hat sich nichts geändert: in der Spielzeit 2009/2010 stehen nicht weniger als fünf Strauss-Opern auf dem Spielplan, davon zwei Neuinszenierungen («Die Frau ohne Schatten» und «Salome»). Das Ereignis mit der grössten Ausstrahlung in der Ära Reucker war aber zweifellos der «Parsifal», der am 13. April 1913 am «Stadttheater» Zürich über die Bühne ging. Wagner hatte sein Bühnenweihfestspiel testamentarisch an Bayreuth als Aufführungsort gebunden. Die damals gültige Schutzfrist gemäss Urheberrecht lief nach 30 Jahren ab; alle Versuche von Cosima Wagner, sich die Exklusivität des «Parsifal» durch eine eigene Gesetzgebung weiterhin zu sichern, schlugen fehl. Während aber nach deutschem Recht der 31. Dezember als Stichtag für die Schutzfrist massgeblich war, galt nach Schweizer Recht 38
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der Todestag des betreffenden Urhebers – im Falle Richard Wagner also der 13. Februar 1913. Zwar hatte es bereits Aufführungen in den USA und (konzertant) auch in England gegeben; es war also eigentlich nicht wirklich die erste Aufführung ausserhalb Bayreuths. Entscheidend war aber das hohe künstlerische Niveau der «Parsifal»-Aufführung unter der musikalischen Leitung von Lothar Kempter, das von der internationalen Kritik und einem zahlreich aus dem Ausland angereisten Publikum anerkannt wurde. Übrigens hatte man den Orchestergraben nach Bayreuther Vorbild mit einem Deckel überbaut. Die erforderliche Chorstärke konnte, wie in diesen Jahren üblich, nur durch Zuzug des Lehrergesangsvereins gewährleistet werden, der sich im Laufe seiner Einsätze im «Stadttheater» professionalisiert hatte. Der Lehrerchor ging erst in den 1990er Jahren im Zusatzchor auf, der jeweils bei Aufführungen mit grosser Chorstärke hinzugezogen wird. Die Dekorationen zum «Parsifal» von 1913 (entworfen von Gustav Gamper, ausgeführt von Albert Isler) bedeuteten gegenüber Bayreuth eine stilistische Weiterentwicklung; Regie führte Hans Rogorsch. Die Sänger (Willy Ulmer in der Titelrolle, Wilhelm Bockholt als Amfortas, Karl Gritzbach als Gurnemanz und Emmy Krüger als Kundry) erfüllten höchste Ansprüche. Und es war beileibe nicht die einzige anspruchsvolle Opernaufführung der Ära Reucker. Zudem gab es eine Reihe wichtiger Uraufführungen (u.a. «Turandot» und «Arlecchino» von Ferruccio Busoni sowie «Erwin und Elmire» und «Don Ranudo de Colibrados» von Othmar Schoeck). Möglich wurden solche Ereignisse auch durch ein Gegengewicht im Spielplan, das für ein stetiges Publikumsinteresse sorgte: die Operette. Nebenbei bemerkt waren dann vor allem in den 1930er Jahre zahlenmässig die meisten Uraufführungen Operetten. Mehr zu den Uraufführungen am Opernhaus Zürich im eigenen Beitrag in dieser Festschrift, der dem Thema gewidmet ist. Der Spielplan erweiterte sich auch im französischen (Bizet, Délibes, Berlioz) und im italienischen Repertoire: Verdis Siegeszug begann in diesen Jahren erst so richtig, dazu kamen die Veristen, die damals ganz neu waren, sowie Puccini. «La Bohème», «Salome» und «Die Lustige Witwe» kamen in derselben Spielzeit (1906/1907) erstmals auf die Züricher Bühne! Der Dirigent der «Lustigen Witwe», ein junger Musiker, der als 2. Kapellmeister und Chordirektor eine Spielzeit lang engagiert war, hiess übrigens Wilhelm Furtwängler. Unter Reucker wurde Schrekers Oper «Der Schatzgräber» ebenso gespielt wie Humperdincks «Königskinder». Wagners Gesamtwerk, einschliesslich der «Feen», kam 1914 in einem Frühjahrszyklus zur Aufführung. Ergänzt wurde das Angebot durch teilweise hochkarätige Gastspiele: neben der seit 1916 jährlich stattfindenden, von Max Sauter-Falbriard veranstalteten «Stagione italiana», bei der italienische Opern mit Sängern von der Scala und anderen führenden Bühnen Italiens in der Originalsprache dargeboten wurden, kamen während des Weltkriegs im Bereich Schauspiel u.a. das Deutsche Theater Berlin und das Burgtheater Wien, im Bereich Oper das Mannheimer Hoftheater (mit Richard Strauss als Dirigent), die Darmstädter Hofoper (mit Felix Weingartner am Pult), das Leipziger Gewandhausorchester unter Arthur Nikisch mit «Die Walküre» und «Tristan und Isolde», die Pariser Opéra-Comique mit Debussys «Pelléas et Mélisande» und das Theater an der Wien mit vier Operetten, jeweils dirigiert vom Komponisten: Franz Lehár, Leo Fall, Oskar Nedbal und Oscar Straus. – Die sehr erfolgreiche Direktion von Alfred Reucker, der das Haus (und, im Verein mit dem Feuilletonredaktor Hans Trog, der seine Arbeit kritisch begleitete, auch das Publikum) auf ein hohes
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Niveau gebracht hatte und den Zürchern die Möglichkeit gab, die Errungenschaften der europäischen Reformbewegungen im Bereich Regie und Bühnenbild (Stichwort Reliefbühne) kennen zu lernen, endete 1921 mit der Loslösung des Schauspiels und der Berufung Reuckers als Generalintendant an die Staatstheater Dresden. Der Pfauen ging fortan eigene Wege, und das «Stadttheater» wurde zum Opernhaus; diesen Namen sollte es allerdings erst über 40 Jahre später auch offiziell annehmen.
> Die 20er Jahre: Internationale Festspiele Die 20er Jahre hatten auch in Zürich ihre goldene Seite. Unter der Ägide von Paul Trede, Reuckers Nachfolger, fanden rauschende Opernbälle statt. Das Tanzparkett, mit dem Zuschauerraum und Orchestergraben überdeckt wurden, hatte der kurze Zeit zuvor gegründete Theaterverein finanziert. Die Bälle, zu denen es elegante Carnets (siehe nächste Seite) gab, wurden ihrerseits zur Finanzquelle für das «Stadttheater». Trede setzte 1922 die von Reucker im Vorjahr erstmals veranstalteten «Internationalen Festspiele und Konzerte in Zürich» fort. Hochkarätige Schauspiel- und Opern-Gastspiele (Mailänder Scala, Stuttgarter Landestheater, Dresdner Staatsoper, das Max-Reinhard-Ensemble), glanzvolle Konzerte und Starbesetzungen für die hauseigenen Produktionen sorgten für grosse Anziehungskraft weit über die Stadtgrenzen hinaus. Die «Internationalen Festspiele» fanden bis 1926 jährlich statt und wurden ab 1936 als «Juni-Festspiele» wiederbelebt. Die 1997 auf breiter Basis unter Beteiligung einer ganzen Reihe hiesiger Kulturinstitutionen einschliesslich des Kunsthauses neugegründeten «Zürcher Festspiele», die seither jährlich im Juni und Juli stattfinden, können sich also auf eine lange Tradition beziehen. Paul Trede war kein schillernder Theatermann. Aber auch sein Spielplan war auf der Höhe der Zeit. Von Othmar Schoeck wurden «Venus», «Penthesilea» und «Vom Fischer und syner Fru» gespielt, Ernst Krˇeneks Jazz-Oper «Jonny spielt auf» ging ebenso über die Bühne wie Max Brands Zeitoper «Maschinist Hopkins». Daneben gab es solche Raritäten wie «Die Pilger von Mekka» von Christoph Willibald Gluck. Trede hat sich intensiv für die Geschichte des Hauses interessiert und mit den Jahrbüchern dafür eine lesenswerte Publikation geschaffen. Im «Jahrbuch des Zürcher Stadttheaters 1922/23» finden sich «Wichtige Daten aus der Vergangenheit des Zürcher Stadttheaters». Im nächsten Jahrbuch ist eine «Zürcher Opernstatistik 1834-1923» abgedruckt, gefolgt von «Operetten, Pantomimen und Balletts 1834-1924» im Jahrbuch 1924/25. Die Aufführungsstatistik führte bei den Opern damals Wagners «Tannhäuser» an (220 Aufführungen), gefolgt von Webers «Freischütz» (207) und Gounods «Faust» (189), noch vor Mozarts «Zauberflöte» (186) und Verdis «Troubadour» (182). Beethovens «Fidelio» war von der Gründung des Theaters 1834 bis 1923 immerhin 167 Mal gespielt worden. Bei den Operetten war Johann Strauss’ «Fledermaus» (123) der Spitzenreiter. Eine Reihe von Zeugnissen aus der Gründungsphase (z.B. im Beitrag «Der Kampf um das Stadttheater» von Trede im Jahrbuch 1925/26) und Aufsätze über einzelne Abschnitte der Geschichte des Hauses sowie Essays zu verschiedensten Themen und Portraits von Künstlerpersönlichkeiten bereicherten die Jahrbücher, die seit 1922 bis heute jedes Jahr erscheinen. Sie enthalten daneben eine lückenlose Dokumentation der jeweils vergangenen Spielzeit und Aufführungsfotos.
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> 100 Jahre «Stadttheater» Ein beredtes Zeugnis geben die Jahrbücher über die Jahre immer wieder von den Finanznöten des Hauses, die sich in den späten 1930er Jahren zunehmend verschärften. Die zweite Stadterweiterung 1934 hatte die Eingemeindung wenig finanzkräftiger Vororte mit sich gebracht; die städtischen Finanzen wurden dadurch zusätzlich belastet. Trotzdem wurde das 100-Jahr-Jubiläum des «Stadttheaters» im gleichen Jahr gebührend gefeiert. Es fanden «Jubiläumsfestspiele» statt. In der «Festschrift 100 Jahre Stadttheater» finden sich auch aufschlussreiche Zahlen zum Verhältnis von Subvention und Einspielergebnis. Damals konnte sich der Verwaltungsrat unter Vorsitz von Ernst Zahn rühmen, vier Spielzeiten nacheinander ohne Defizit gewirtschaftet zu haben. Dem städtischen Zuschuss von insgesamt 478’000 Franken für die Spielzeit 1932/1933, wovon allerdings fast die Hälfte als Vergütung für Volksvorstellungen, Schüleraufführungen und andere Vorstellungen mit verbilligtem Eintritt (insgesamt 62 Vorstellungen!) flossen, standen Einnahmen von ca. 1 Mio. Franken gegenüber. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sollten die Einnahmen aus dem Kartenverkauf, trotz Einführung verschiedener Abonnement-Systeme, wieder deutlich sinken. Im Jahrbuch 1936/37 schreibt Direktor Karl Schmid-Bloss, seit 1932 im Amt: «Wenn man auch nicht zu früh jubeln soll, so mag doch ganz verstohlen geflüstert sein, dass während der vergangenen Spielzeit der dunkle Krisenschatten sich etwas aufgehellt hat und dass bessere Verdienstmöglichkeiten mancher Zürcher Familie wieder den schmerzlich entbehrten Theaterbesuch ermöglicht haben. Wir durften jedenfalls eine Besuchssteigerung feststellen, wenngleich nicht in solchem Umfang, dass eine ausgeglichene Betriebsrechnung zu erzielen gewesen wäre. Wir werden einen Ausgabenüberschuss von bedeutender Höhe einsetzen müssen. Das bringt für den Verwaltungsrat, die Theaterleitung und auch für die Stadtverwaltung ein unbehagliches Gefühl mit sich.» Anschliessend rechnet er vor, dass Einsparungen nur auf Kosten einer empfindlichen Senkung des künstlerischen Niveaus möglich wären. Die Rettung kam vom Kanton, der «in diesem Jahr zum erstenmal eine Subventionierung des Zürcher Stadttheaters in Höhe von 30’000 Franken beschloss». In der Festschrift von 1934 versucht Karl Schmid-Bloss unter dem Titel «Ausblick», für Zürich nochmals einen Festspielgedanken zu formulieren; er stellt sogar den Neubau eines Festspielhauses zur Diskussion: «Zürich, in wunderbarer Lage an seinem See gelegen, befindet sich gleichzeitig im Schnittpunkt verschiedener Kulturen. Eine hohe Aufgabe könnte es erfüllen, wenn es die Theaterkultur der verschiedenen umliegenden Länder auf seinem neutralen Platz zusammenströmen liesse und durch den Austausch und das gegenseitige Sichkennenlernen eine Förderung für alle herbeiführen würde. Hier ist eine Aufgabe, die auch die Fremdenverkehrstechniker angeht. Wer Bayreuth und Salzburg kennt, wird zugestehen, dass hier ein hohes und erreichbares Ziel winkt.» Alfred Reucker, der die ersten Festspiele in seinem letzten Jahr in Zürich 1921 durchgeführt hatte, blickte 1934, nach seinen Dresdner Jahren inzwischen im Ruhestand, in der «Festschrift 100 Jahre Stadttheater» noch einmal auf seine Zeit in Zürich zurück und schloss, etwas melancholisch und weitaus bescheidener als Schmid-Bloss: «Die Jahrhundertfeier des Stadttheaters bietet wohl Anlass, – nach dreizehn Jahren – festzustellen, dass die Theater-Aktiengesellschaft Zürich ihre hohe Mission mit berechtigtem Stolz in das zweite Jahrhundert trägt, und dass der phantastische Traum ‹Ein Forum der Kunst› auch für Zürich noch immer erreichbar bleibt.» Für erreicht hielt er diesen Traum offenbar noch lange nicht. Chronik
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> Drei theatergeschichtlich bedeutsame Uraufführungen In die Amtszeit von Karl Schmid-Bloss, der bereits von 1919 bis 1929 als Bariton in Zürich engagiert war – er sang u. a. Pizzaro, den Holländer, Wotan, Hans Sachs und Gianni Schicchi –, später Regie führte und das «Stadttheater» von 1932 an leitete, bis er 1947 einer Intrige zum Opfer fiel, fallen zwei Uraufführungen, die in die Theatergeschichte eingegangen sind. Schmid-Bloss knüpfte ab 1936 mit den «Juni-Festspielen» an die von Alfred Reucker initiierten und von Trede bis 1926 fortgeführten «Internationalen Festwochen» an. Alban Berg, der 1935 gestorben war und dessen Musik in Hitler-Deutschland verfemt war, hatte eine Oper nachgelassen, deren dritter Akt nur im Entwurf vorlag: «Lulu». Nachdem man bereits Bergs «Wozzeck» am «Stadttheater» gegeben hatte, wurde seine «Lulu» nun während der Juni-Festspiele 1937 (am 2. Juni) in Zürich uraufgeführt; den fehlenden dritten Akt ersetzte man durch die letzten beiden Sätze der «Symphonischen Suite». Die musikalische Leitung hatte Robert Denzler, die Inszenierung besorgte Schmid-Bloss. Genau ein Jahr später kam es zu einem zweiten, musik- und theaterhistorisch bedeutsamen Ereignis, wiederum während der Juni-Festspiele (am 28. Mai). Paul Hindemith, der nach ideologischen Anfeindungen 1938 in die Schweiz emigriert war, überliess Schmid-Bloss seine Oper «Mathis der Maler», die Furtwängler ursprünglich an der Berliner Staatsoper hatte aus der Taufe heben wollen, zur Uraufführung. Diese beiden Meilensteine der Zürcher Theatergeschichte waren keineswegs zufällig zustande gekommen. Schon Trede hatte Bartók, Pfitzner, Honegger, Janácˇek und Weill gespielt. Sowohl von ihm als auch von seinem Nachfolger wurde die Richard Strauss-Tradition fortgesetzt. Ein Jahr nachdem Schmid-Bloss die Geschäfte übernommen hatte, kam Alexander Zemlinskys «Kreidekreis» in Zürich zur Uraufführung. Dieser Oper kann man vielleicht nicht den gleichen Rang zusprechen; aber man kann daran ablesen, wie zielstrebig Schmid-Bloss die Lage zu nutzen verstand, die sich durch die Verödung des kulturellen Lebens infolge der nationalsozialistischen Kultur- und Rassenpolitik im Dritten Reich und den Exodus namentlich der jüdischen Künstler ergab. Davon hat in diesen Jahren auch das Schauspielhaus Zürich profitiert. Erwähnt seien noch zwei Erstaufführungen: Heinrich Sutermeisters «Romeo und Julia» 1940 und Arthur Honeggers «Jeanne d’Arc au bûcher» bei den Festspielen 1942; dieses Werk spiegelte besonders gut die düstere Stimmung der Kriegsjahre. Glanzvolle Aufführungen oder interessante Neuerscheinungen blieben in der Nachkriegszeit den sommerlichen Festspielen, nunmehr unter dem Namen «Juni-Theaterwochen», vorbehalten. George Gershwins «Porgy and Bess» wurde als deutschsprachige Erstaufführung gegeben (1945), Peter Pears trat als Peter Grimes auf, Beniamino Gigli als Cavaradossi (1946), Kirsten Flagstad als Isolde (1947). Eine weitere Hindemith-Uraufführung fand statt: die zweite Fassung von «Cardillac» (1952). Hans Zimmermann, der dem Haus schon seit Jahren als Regisseur verbunden war und u.a. die Uraufführung von «Mathis der Maler» inszeniert hatte, besorgte diese Premiere während seiner Amtszeit als Direktor (1947-1956). Er rief auch die sogenannten Montagsveranstaltungen ins Leben, die Zeitgenössischem gewidmet waren: z. B. Werken von Giancarlo Menotti, Carl Orff, Benjamin Britten, Darius Milhaud und Armin Schibler. In seine Zeit fällt die deutschsprachige Erstaufführung von Strawinskys «The Rake’s Progress» 1951. – Einen ähnlichen Stellenwert wie «Mathis der Maler» und «Lulu» kann man der (ebenfalls posthumen) szenischen Uraufführung von Arnold Schönbergs (ebenfalls unvollendeter) Oper «Moses und Aron» zumessen. 44
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Laura Aikin als Lulu in der Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf, 2000
Sie fand 20 Jahre nach der Uraufführung der Oper seines Schülers Alban Berg statt: am 6. Juni 1957, anlässlich der Weltmusiktage der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. Die Aufführung stand unter der musikalischen Leitung von Hans Rosbaud, der von 1955 bis 1957 musikalischer Oberleiter am «Stadttheater» war; die Inszenierung stammt vom damaligen Direktor Karl Heinz Krahl – er folgte auf Zimmermann und amtierte von 1956 bis 1960. Der Opernchor war durch den Chor des Stadttheaters Luzern, Mitglieder des Radiochors Zürich und den Zürcher Kammersprechchor verstärkt worden. Der Stadtrat hatte zusätzliche Mittel für das Unternehmen zur Verfügung gestellt. In Krahls Amtszeit fällt das 125-Jahr-Jubiläum, das am 10. November 1959 mit einer Neuinszenierung der «Zauberflöte» (Regie: Rudolf Hartmann, Bühnenbild: Max Röthlisberger), mit der das «Actientheater» 1834 eröffnet worden war, sowie mit einem Festakt und einem Jubiläumsball begangen wurde. Die im Atlantis Verlag erschienene, von Martin Hürlimann und Hans Ott redigierte Festschrift «Theater in Zürich. 125 Jahre Stadttheater» enthält zahlreiche Abbildungen in qualitätvollen Reproduktionen. Viele der Dokumente aus der Geschichte des Hauses wurden hier erstmals zugänglich gemacht. Auf dem Spielplan fallen in den von Karl Heinz Krahl verantworteten Jahren eine Händel-Aufführung («Deidamia», 1959) und das erste Muscial («Kiss me, Kate», 1956) ins Auge. Werke von Werner Egk, Rolf Liebermann und Frank Martin wurden unter Krahl ebenso gespielt wie ein breites Opernrepertoire, gipfelnd in einer zyklischen Neuinszenierung des «Ring des Nibelungen» durch Krahl (der erste «Ring»-Zyklus seit 1938). 1958 stand wieder einmal eine Volksabstimmung an; die Regierungsvorlage über die «Neufestsetzung der Beiträge und den einmaligen Betrag an die Theater-AG» wurde mit 38’700 Jastimmen zu 35’400 Neinstimmen angenommen. Der erwähnte Einmalbetrag machte den «Ring»-Zyklus möglich. Ein folgenreiches Debüt fand ebenfalls 1958 statt: Nello Santi dirigierte erstmals in Zürich. Die von ihm geleitete «Lucia di Lammermoor» mit Eva Maria Rogner in der Titelpartie wurde zu einem langanhaltenden Erfolg. Und der Maestro prägt seither – nun schon im 51. Jahr – nicht nur das italienische Repertoire des Opernhauses Zürich immer wieder durch seine unverwechselbare Persönlichkeit.
> Anschluss an die internationale Szene 1960 trat ein neuer Direktor sein Amt an, der sich viel vorgenommen hatte: der in den USA (u. a. als Oberspielleiter der Metropolitan Opera) tätige und dort ansässige, aber auch in Verona und Salzburg erfolgreiche Regisseur österreichischer Herkunft Herbert Graf. Er sah Zürich, die wichtigste Bühne der mehrsprachigen Schweiz, als besonders günstigen Ort für ein «musikalisches Theater mit internationalem Ausblick» an. Das hiess für ihn als erstes: alle Opern in der Originalsprache. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man, wie auch an den meisten deutschen Opernhäusern, vorwiegend deutsche Übersetzungen gegeben, was natürlich bedeutete, dass Gaststars für das italienische, französische, englische oder slawische Repertoire die jeweilige deutsche Fassung lernen mussten – wollte man nicht, wie es in den 20er und 30er Jahren durchaus vorkam, verschiedene Sprachen in einer Aufführung mischen. Auch für junge, aufstrebende Talente bot das Prinzip, die Werke in der Originalsprache zu spielen, eine günstige Ausgangslage, da sie die in Zürich erarbeiteten Rollen dann auf der ganzen Welt singen konnten. Zum Zweck der Nachwuchs46
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förderung schuf Graf als zweite strategische Massnahme das Internationale Opernstudio. Als Regisseur stellte er höchste Ansprüche und bewies sein Können gleich mit der Eröffnungspremiere «Otello» (mit James McCracken in der Titelpartie). Mit der Uraufführung von Bohuslav Martinu˚s «Griechischer Passion» bekannte sich Graf zum zeitgenössischen Musiktheater. Es gab ein weiteres Vorhaben, das für Grafs Entscheidung, dem Ruf nach Zürich zu folgen, mit ausschlaggebend war; dieses Projekt sollte sich allerdings nicht realisieren: ein Neubau für das Opernhaus, der damals sehr konkret thematisiert wurde. Die Diskussionen zogen sich bis Ende der 70er Jahre hin; davon später mehr. Als weitere Perspektive von weitreichender Bedeutung hatte sich Graf zum Ziel gesetzt, die Zusammenarbeit mit dem damals in Europa erst in der Entwicklung begriffenen Fernsehen zu intensivieren. Betrachtet man die annähernd fünf Jahrzehnte, die seit seinem Ruf ans Opernhaus Zürich (damals noch «Stadttheater») ins Land gegangen sind, so muss man sagen, dass er im Prinzip genau die Themen ins Visier genommen hat, die – zum Teil erst viel später – dazu beigetragen haben, dem Haus seine heutige internationale Stellung und seinen Rang zu sichern. Was die Breitenwirkung via Fernsehen betrifft, ist wohl erst mit dem Zeitalter der DVD die Stunde gekommen, in der es möglich ist, global grössere Reichweiten zu erzielen (einmal abgesehen von solchen Events wie der «Traviata» am Zürcher Hauptbahnhof 2008, die vom Schweizer Fernsehen und Arte live übertragen und von über einer Million Zuschauer in Deutschland, Frankreich und der Schweiz gesehen wurde). Das IOS leistet bis heute wertvolle Arbeit. Das Prinzip der Originalsprache ist längst nicht mehr wegzudenken. Und anstelle des damals projektierten Neubaus wurde das alte Haus durch die umfassende Renovierung und den Anbau von 1982-1984 in den Stand versetzt, den Anforderungen heutigen Musiktheaters technisch-betrieblich entsprechen zu können. Herbert Graf hat diese Impulse gegeben – er selbst hat aber nur sehr wenig davon realisieren können. Ein Streit, der zunächst zwischen Orchestermusikern und dem grossen Dirigenten Otto Klemperer entstand, wuchs sich, auch durch Veröffentlichungen in der Presse, zu einem veritablen Skandal aus und führte dazu, dass Graf das Haus schon nach zwei Spielzeiten wieder verliess. Der Verleger, Autor und Musikkenner Martin Hürlimann, damals Vorsitzender des Verwaltungsrates, beschreibt die Vorfälle in seinem 1980 erschienenen Buch «Vom Stadttheater zum Opernhaus. Zürcher Theatergeschichten» so: «Da gab es bei einer Fidelioprobe einen peinlichen Wortwechsel Klemperers mit dem Orchester, der alsbald durch öffentliche Erklärungen zu einem ‹Fall Klemperer› aufgebauscht wurde. Der Direktor seinerseits war tief gekränkt durch die unfreundliche Kritik, die seine Inszenierung des ‹Rosenkavaliers› mit dem von ihm angeordneten Szenenwechsel im letzten Akt fand. Aus dem Fall Klemperer wurde ein Fall Graf, und nun folgte ein Schlag auf den anderen: Polemik des Direktors gegen einen besonders unliebsamen Kritiker, seine Äusserungen der Unzufriedenheit in einem Interview der Zürcher Woche, Grafs Demissionsschreiben und die Bemühungen um dessen Zurücknahme, Erklärung der Gesellschaft der Opernfreunde, Grafs Bedingungen, unter denen er gewillt ist zu bleiben und deren Ablehnung durch den Stadtrat, Pressepolemik und Auseinandersetzung mit dem Gemeinderat anlässlich der Vorlage für einen erweiterten Theaterkredit. Sogar die ausländische Presse berichtete über die ‹Zürcher Theaterkrise› – eine Krise, die sich wohl hätte vermeiden lassen, wenn man sich zu einem freundschaftlichen Gespräch zusammengesetzt hätte, bevor man sich öffentlich Unfreundlichkeiten sagte.» Martin Hürlimann trat seinerseits 1963 als Präsident des Verwaltungsrates zurück. Chronik
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Oben: Entwurf für einen Neubau des Opernhauses Zürich von William Dunkel Unten: Das «Stadttheater» mit angebautem Glaspavillon in den 1930er Jahren
Auch der spätere Verwaltungsratsvorsitzende Franz Reichenbach, damals Präsident (und einer der Gründer) der neu ins Leben gerufenen Gesellschaft zur Förderung der Zürcher Oper, die sich vor allem beim durch private Gelder ermöglichten Aufbau des IOS verdient gemacht hatte, hielt in einem Artikel, der am 16. September 1991 in der Sonderbeilage der Neuen Zürcher Zeitung «1891 – Opernhaus Zürich – 1991» erschien, Rückschau auf die Direktionszeit Graf. Er stellt Bezüge zur Diskussion um den Neubau her. Graf hatte sich öffentlich sehr für die Realisierung der Neubaupläne engagiert, während sich damals die Stimmung gegen einen Abriss des alten Hauses herauszubilden begann. Hinzu kam wohl, dass sich aufgrund der ehrgeizigen Pläne Grafs ein Defizit abzeichnete, was Franz Reichenbach auch dem Umstand zuschreibt, dass es damals noch keinen eigentlichen kaufmännischen Direktor gab. Ausserdem warf der Verwaltungsrat Graf vor, er sei zu oft abwesend, was dieser wiederum mit vertraglich zugesicherten Regieurlauben rechtfertigte. Reichenbach zitiert den von Hürlimann erwähnten offenen Brief, in dem die Gesellschaft zur Förderung der Zürcher Oper vom Stadtrat verlangte, «er möge Direktor Graf bewegen, seinen Rücktritt zurückzunehmen; überdies sei die Verwaltung des Stadttheaters intern so zu organisieren, dass es einem Intendanten von internationalem Rang – und nur ein solcher komme für Zürich heute noch in Frage – möglich sei, das Zürcher Opernhaus erfolgreich zu führen. Schliesslich sei, so verlangte die Gesellschaft, ein erstklassiges theatereigenes Orchester zu schaffen». Auch diese Forderung, die erst 1985 mit der Trennung von Opernorchester und Tonhalle-Orchester in die Tat umgesetzt wurde, traf einen wichtigen Punkt. Interessant ist, dass man explizit den Anspruch eines «internationalen Ranges» für das Haus formulierte. Im erwähnten Artikel von Franz Reichenbach finden sich noch folgende Sätze, die die strukturellen Probleme des Hauses gut beschreiben: «Schon damals setzte sich jedoch bei manchen Opernhausbesuchern die Erkenntnis durch, dass die finanzielle Last eines überregional konkurrenzfähigen Musiktheaters auf die Dauer von der Stadt allein nicht getragen werden könne. Aber auch dem Begehren, die gesamten künstlerischen Kompetenzen inskünftig der Direktion zu überbinden, wurde entsprochen. Dazu hatte massgebend ein vom Verwaltungsrat bei Rolf Liebermann in Auftrag gegebenes Gutachten über die Innenorganisation des Opernhauses beigetragen. Liebermann bemerkte darin u.a., dass ‹eine 17-köpfige Hydra eines Verwaltungsrates keine künstlerischen Entschlüsse fassen könne›.» Man fühlt sich an Stossseufzer der weiland das Haus führenden Direktorin Charlotte Birch-Pfeiffer über die «Intendanzler» (wie sie die damaligen Mitglieder des Theaterkomitees nannte) aus den 1840er Jahren erinnert...
> Aus dem «Stadttheater» wird das «Opernhaus» Nach zwei Übergangsspielzeiten, in denen immerhin eine Kelterborn-Uraufführung und Neuinszenierungen von so anspruchsvollen Werken wie «Lulu», «Jenu˚fa» und «Die schweigsame Frau» bewältigt wurden, brachte Hermann Juch, zuletzt Generalintendant der Deutschen Oper am Rhein, von 1964 bis 1975 Direktor in Zürich, wieder Ruhe ins Haus. Zugleich knüpfte er an den von Graf formulierten Anspruch an. 1991 für die schon erwähnte Sonderbeilage der Neuen Zürcher Zeitung befragt, meint er zurückblickend: «Für mich war es klar, dass Zürich ein Opernhaus braucht, das nicht der Einwohnerzahl, sondern der internationalen Bedeutung dieser Stadt entspricht.» Zur Frage, wie es zur Umbenennung des «Stadttheaters» kam, erinnert sich Juch: «Ich habe mit dem damaligen Chronik
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Stadtpräsidenten Landolt gesprochen und ihm erklärt, dass der Name Opernhaus keine ‹Hochstapelei› sei, sondern dem kulturellen Rang einer Stadt entspreche, die über zwei grosse, renommierte Theater verfüge. Der ‹Stapi› hat mich dann gefragt, ob die Umbenennung eine Bedingung für mein Kommen sei, und ich habe leichthin Ja gesagt. Inzwischen hat sich der Name Opernhaus allgemein durchgesetzt, und ich glaube, auch meine Nachfolger waren froh darüber.» Hermann Juch gelang es – nach dem frühen Tod des Dirigenten Christian Vöchting, der seit 1961 am Haus war und 1967 im Alter von nur 39 Jahren starb – den erfahrenen Dirigenten Ferdinand Leitner als musikalischen Oberleiter zu verpflichten, der auch in diesem Bereich für die nötige Kontinuität sorgte. Er wirkte bis 1984 am Opernhaus Zürich. Leitner setzte sich mit grosser Kompetenz für zeitgenössisches Repertoire ein. In der Direktion Juch, der diese Aufgabe ebenso wie Leitner als kulturpolitische Verpflichtung ansah, wurden u.a. Werke von Dallapiccola, Fortner, von Einem, Reimann und Klebe gespielt. Die Inszenierung von Hans Werner Henzes «Re Cervo» vertraute der Direktor Jean-Pierre Ponnelle an, der bis dahin nur als Bühnen- und Kostümbildner hervorgetreten war. Weitere wichtige Regisseure waren Otto Schenk, Rudolf Hartmann, Michael Hampe sowie Leopold Lindtberg und Harry Buckwitz – die beiden letztgenannten jeweils während ihrer Amtszeit als Intendant des Schauspielhauses Zürich. Ein wichtiges Verdienst von Hermann Juch war, dass er das Ballett aus einem bis dahin insgesamt wenig beachteten Nischendasein herausholte. Zum besseren Verständnis sei an dieser Stelle eine kurze Chronik dieses Genres am Opernhaus Zürich eingeschoben.
> Ballett in Zürich – eine späte Liebe Im alten «Actientheater» gab es das Genre Tanz nahezu ausschliesslich als Einlage in Oper und Operette. Martin Hürlimann hat nachgezählt; in seiner schon erwähnten Chronik heisst es: «In den 55 Jahren des alten Aktientheaters wurden ganze 13 Ballette gegeben, die es insgesamt auf 24 Aufführungen brachten.» Zürich hatte seit der Jahrhundertwende die grossen Erneuerer des Tanzes anlässlich von Gastspielen kennen gelernt: Isadora Duncan, Rudolf von Laban, Valeska Gert, Gret Palucca und als häufigen Gast Mary Wigman. Auch Tamara Karsawina, Star der «Ballets russes» von Serge Diaghilew, gastierte. Musikalisch gab es immer wieder mal anspruchsvolle Premieren; etwa die «Josephslegende» von Richard Strauss, den «Holzgeschnitzte Prinz» von Bela Bartók und den «Dämon» von Paul Hindemith, alle in der Choreografie von Willy Godlewsky (1924-1926 Ballettmeister), «Petruschka» von Igor Strawinsky in der Choreografie von Hans Storck (1926-1931). Hellmuth Zehnpfennig (1931-1934) versuchte sich an Strawinskys «Feuervogel» und Léo Delibes’ «Coppélia», war jedoch erfolgreicher mit seinen Tanzeinlagen für die Operette. Eine Uraufführung, die andernorts viel nachgespielt wurde, war «Der Teufel im Dorf» zur Musik von Fran Lhotka in der Choreografie von Pia und Pino Mlaka (1934-1938). Den Mlakas gelang es, durch konsequentes Balletttraining im akademischen Stil das Niveau der Compagnie beträchtlich zu heben. Nach ihrem Weggang nach München sah sich ihr Nachfolger Heinz Rosen (1938-1945) mit der schwierigen finanziellen Lage des «Stadttheaters» konfrontiert. In seiner Zeit wurde als einziges Ballett Glucks «Don Juan» gegeben.
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Nach dem Krieg gab es unter Hans Macke (1939-1955) wieder eine ganze Reihe musikalisch anspruchsvoller Ballette: Werner Egk, Carl Orff, Darius Milhaud, Manuel de Falla, Neues von Bartók, Hindemith und Strawinsky sowie wiederholt Arthur Honegger. Jaroslav Berger, als zweiter Ballettmeister (1945-1956) für die Pflege des klassisch-akademischen Stils zuständig, präsentierte eine «Nussknacker»-Suite und einen «Schwanensee». Nach einer Unterbrechung unter Erwin Hansen, der 1957 «Abraxas» von Werner Egk choreografierte, knüpfte Robert Mayer (1957-1959) wieder an die sich langsam herausbildende klassische Tradition an – u.a. mit Prokofjews «Cinderella» –, ebenso Michel de Lutry (1961-1963), u.a. mit «Coppélia» und «Giselle». Daneben choreografierte Lutry auch die Uraufführung von Armin Schiblers «Blackwood & Co», eine Ballettburleske, in der Tänzer und Sänger auftraten. Ballett in der klassischen Tradition, wie es – abgesehen von Leningrad und Moskau – in den Ballettmetropolen Paris, Wien, Kopenhagen, London und New York beispielhaft gepflegt wurde, wurde am Opernhaus Zürich erst spät dauerhaft etabliert. Hermann Juch holte dafür Nicholas Beriozoff, der sich als erster Ballettdirektor nennen durfte, und damit begann eine neue Ära im Ballett. Seine Primaballerina Gaye Fulton machte die Klassiker von Tschaikowski und Prokofjew zum Ereignis. Endlich war die Compagnie auch zahlenmässig so weit aufgestockt worden, dass die grossen Handlungsballette mehr oder weniger stilgetreu gegeben werden konnten: Beriozoff verfügte über 34 Tänzer, mit denen er in der ersten Spielzeit 46, in der zweiten sogar 68 Abende bestritt. Und die Vorstellungen waren praktisch alle ausverkauft. Damit trat das Ballett quasi an die Stelle der Operette, die von Juch endgültig zurückgedrängt und nur noch mit wenigen Titeln aus der «goldenen Ära» weitergeführt wurde. Der Aufschwung des Balletts lässt sich auch an den Gastspielen ablesen: die Pariser Oper (1943-1946), das New York City Ballet (1952), das Sadler’s Wells (1957), das später zum «Royal Ballet» wurde, sowie 1958 erstmals Maurice Béjart. Im Laufe der Jahre kamen das Nederlands Dans Theater, die Martha Graham Company, das American Ballet Theater, das Nicolais Dance Theater und die Twyla Tharp Dance Company sowie 1989 schliesslich das Bolschoi-Ballett aus Moskau hinzu. Nach Beriozow gab es mit Michel Descombey (1971), Geoffrey Cauley (1973) und Hans Meister (1975) wieder grössere Fluktuation. Alle drei waren um Vielfalt bemüht. So holte Descombey, der selbst in seinen Choreografien eher die Abstraktion suchte, 1972 für «Raymonda» Rudolf Nurejew, der in seiner an Petipas Original angelehnten Choreografie selbst den Jean de Brienne tanzte, nach Zürich. Cauley ging mit «Laborintus II» neue Wege, schuf aber z. B. mit «La fille mal gardée» von Frederick Ashton und «Les Biches» von Bronislawa Nijinska ein Gegengewicht in klassischer Tradition. Meister führte, neben Handlungsballetten wie «Nussknacker» und «Coppélia», modernen Tanz amerikanischer Prägung ein. Nach diesen wechselvollen Jahren kam 1978, bereits in der Ära Drese, Patricia Neary ans Haus (bis 1985) und baute ihr Repertoire vor allem mit Choreografien von George Balanchine auf. In ihre Zeit fallen aber auch erste Choreografien von Heinz Spoerli als Gast: seine «Giselle»-Version sowie «Le Mal du Pays» und «Narziss» von Rolf Urs Ringger, beides Uraufführungen. Nurejew kehrte mit «Don Quixote» und «Manfred» zurück, auch Beriozoff mit der Ballettoper «Der Goldene Hahn». Das zeitgenössische Ballett war u.a. mit Jerome Robbins, Hans van Manen, Jirˇi Kylián, Maurice Béjart, John Neumeier, William Forsythe vertreten. Chronik
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Véronique Tamaccio, Jiayong Sun, Galina Mihaylova, Arman Grigoryan, Stanislav Jermakov, Aliya Tanykpayeva und Ensemble in «Raymonda», Ballett von Heinz Spoerli nach Marius Petipa, 2009
Auf Neary folgte 1985 Uwe Scholz und blieb bis zum Ende der Intendanz Christoph Groszer (1991) in Zürich. Damit hielt ein völlig anderer Ansatz Einzug. Ursula Pellaton umschreibt sein Wirken in einem Artikel unter dem Titel «Ein Jahrhundert Theatertanz», ebenfalls in der Sonderbeilage der Neuen Zürcher Zeitung von 1991 enthalten, so: «Den Gesamtablauf eines Werkes mochte er aus den Augen verlieren; seine Phantasie entzündete sich an Einzelheiten, punktuelle Momente gewannen ein intensives Eigenleben. So inszenierte er Klassiker wie ‹Dornröschen› und ‹Coppélia›, versuchte mit ‹Sommernachtstraum› und ‹Rot und Schwarz› eigene abendfüllende Werke und formte Stücke wie ‹Feuervogel› und ‹Der wunderbare Mandarin› um. Er zog jedoch sinfonische Ballette vor und choreografierte zu Konzertmusik von Joseph Haydns ‹Schöpfung› über die Romantiker, Rachmaninow und Strawinsky bis zu Friedrich Guldas Cellokonzert. Seine besten Werke waren Kurzballette, die das Uneinheitliche, Gespaltene thematisierten.» Gegengewichte zu seinem Schaffen bildeten «Romeo und Julia» in der Choreografie von John Cranko und «La Sylphide» in der Bournonville-Bearbeitung von Peter Schaufuss. Nach dem Weggang von Uwe Scholz zu Beginn der Intendanz von Alexander Pereira wurde Bernd R. Bienert Ballettdirektor. Der aus Wien stammende Choreograf setzte in der ersten Spielzeit 1991/1992 schon ein Zeichen mit der Uraufführung des Balletts «Unruhiges Wohnen» auf einen Auftragstext von Elfried Jelinek zur Musik von Roman Haubenstock-Ramati. Internationale Aufmerksamkeit fand auch ein Doppelabend mit «Josephslegende» von Richard Strauss und «Tanzpoem» von Alexander Zemlinsky. Bienert hat sich aber auch mit den Klassikern auseinandergesetzt («Nussknacker», «Raymonda») und dafür mit den Architekten Mario Botta und Aldo Rossi zusammengearbeitet. Hans van Manen gehörte zu den Gästen; ebenso Nicholas Beriozoff, der 1995 für Strawinskys «Feuervogel» an seine frühere Wirkungsstätte zurückkehrte. Er starb kurz nach der Premiere. Seit Beginn der Spielzeit 1996/1997 heisst der Ballettdirektor des Opernhauses Zürich Heinz Spoerli. Der 2009 mit dem Deutschen Tanzpreis ausgezeichnete Schweizer Choreograf wechselte von der Deutschen Oper am Rhein ans Zürcher Ballett und verhalf der Compagnie seither zu einem auch auf internationalen Gastspielen gefeierten Höhenflug.
> Der Umbau des Hauses Schon seit den 1930er Jahren war bekannt, dass der Fellner-Helmer-Bau am See bautechnische Mängel aufwies, die teilweise der kurzen Bauzeit zuzuschreiben waren. Nach dem Krieg erwies sich das Haus immer mehr als veraltet; die räumlichen Gegebenheiten waren den Erfordernissen eines zeitgemässen Spielbetriebs in vielfacher Hinsicht nicht mehr angemessen. Zudem wurde die architektonische Qualität des «Stadttheaters» von 1891 massiv in Frage gestellt. Neubaupläne wurden gewälzt. Ein Architektenwettbewerb wurde ausgeschrieben, der Entwurf des Preisträgers William Dunkel weiterentwickelt. 1967 beschloss der Gemeinderat, Mittel für einen Neubau sowohl des Opernhauses als auch des Schauspielhauses bereitzustellen, mit der Priorität für das Opernhaus. Dunkels Entwurf sah einen grosszügigen Neubau an der Stelle des alten Hauses vor, der die Verkehrsachse des Utoquais queren und bis in den See hineinragen sollte (vgl. die Abbildung auf Seite 48). Damit wäre ein architektonisches Wahrzeichen entstanden, dessen Signalwirkung man mit der Oper in Sydney vergleichen kann. Er wurde bekanntlich nie rea54
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Yen Han und Iker Murillo in Heinz Spoerlis Ballett ÂŤIn den Winden im NichtsÂť, 2003
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lisiert. Zunächst wurde dies durch finanzielle Schwierigkeiten verhindert. Inzwischen drehte sich die Stimmung in der Bevölkerung, die den nostalgischen Reiz des nun auch unter Denkmalschutz gestellten Theaters von 1891 nicht missen wollte. Am 26. November 1973 gab Claus Helmut Drese, ab der Spielzeit 1975/1976 als Nachfolger von Hermann Juch designiert, im Verwaltungsrat folgende Erklärung ab: «Die Neubauperiode ist verpasst. Die Denkpause ist vorbei. Der bauliche Zustand der Oper ist einer der schlechtesten in Europa. Eine Restauration muss vorangetrieben werden.» Ein von diversen Fachleuten – darunter Theaterleute wie August Everding, Jean-Pierre Ponnelle und Drese selbst – beratenes Gremium begann, Möglichkeiten für eine Renovierung inklusive eines Erweiterungsbaus zu diskutieren. Drese erinnert sich 1991 (in der Neuen Zürcher Zeitung): «Eine Restaurierung des Theatergebäudes ohne Raumgewinn war sinnlos. Ich sehe mich immer wieder den Opernplatz umkreisen und neu vermessen. Ein Ausbau war nur seeseitig möglich. Das Esplanade-Gebäude musste geopfert, das Bernhard-Theater in das Umbauprojekt einbezogen werden. Es ging um den bestmöglichen Kompromiss: Gewinnung von Bühnenraum durch Auskernen des Gebäudes, Verlagerung aller notwendigen Betriebsräume in den Anbau, grösstmöglicher Raumgewinn in die Tiefe.» Was herauskam, war – vor allem in architektonischer Hinsicht – sicher ein Kompromiss. Aber einer, mit dem das Haus bis heute gut leben kann. Der Architekt Claude Paillard, der den Umbau und den Anbau durchgeführt hat, fasst seine Ziele zusammen: «1. Verbesserung der Qualität der Rezeption im Zuschauerraum, 2. Verbesserung der Arbeits- und Aufenthaltsbedingungen des Personals, 3. Erneuerung der bühnentechnischen Einrichtungen sowie 4. der gesamten gebäudetechnischen Installationen, 5. Berücksichtigung neuer Sicherheitsvorschriften.» Diese Ziele wurden erreicht: Der Zuschauerraum wurde nicht nur liebevoll restauriert, sondern auch behutsam umgestaltet, so dass die Sichtverhältnisse (u. a. durch Wegfall von Kariatiden bei den Ranglogen) verbessert wurden. Der Orchestergraben wurde variabel bespielbar und endlich bis zu einer Grösse erweiterbar, die für Werke wie den «Ring des Nibelungen» erforderlich ist. Das Haus verfügt zwar nach wie vor nicht über Seiten- und Hinterbühne, aber durch die Vergrösserung des Bühnenraums bis zu den jeweiligen Brandmauern (unter Entfernung der vorher dort befindlichen Räume wie Künstlergarderoben etc.) sind Umbauten möglich geworden, die modernen Ansprüchen genügen. Von aussen ist diese Transformation des Bühnenhauses daran ablesbar, dass die Fenster «blind» geworden sind; sie wurden mit Granitplatten gefüllt, die optisch wie Fenster wirken. Hinzugekommen ist – neben dem im Anbau integrierten Bernhard-Theater – noch eine Studiobühne, die auch als Probebühne benutzt wird. Städtebaulich wurde die Dominanz des Altbaus – auch vom See her – erhalten, indem der insgesamt unauffällig gestaltete Anbau nur zu zwei Fünfteln über der Erde, aber zu drei Fünfteln unter der Erde liegt. Probleme brachte die Gestaltung des Eingangsbereiches der Hauptfassade mit sich. Zwar wurde der alte Portikus, der im Untergeschoss in den 1930er Jahren einem pavillonartigen Glasvorbau als Eingangshalle hatte weichen müssen, wiederhergestellt. Dabei wurde aber der Haupteingang tiefer gelegt, um die neuen Foyer- und Garderobenräume seitlich unter den Aufschüttungen, die früher als Wagenvorfahrt in Form von zwei Rampen links und rechts zum Portikus hinführten, anzubinden. So ergibt sich eine veränderte Proportion, die die Schaufront vertikal verzerrt. Immerhin ist durch den Wegfall der originalen Freitreppe ein ebenerdiger Zugang von aussen möglich. Chronik
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> Die Volksabstimmung und die «Opernhaus-Krawalle» Als Voraussetzung für die Inangriffnahme des Umbaus wurde der Erwerb des Theatergebäudes, das sich ja seit seiner Erbauung 1891 im Besitz der Theater-AG befand, durch die Gemeinde gesehen. Man hielt es für unabdingbar, die Immobilie in städtischen Besitz zu überführen, sollte die öffentliche Hand die Kosten für den geplanten Umbau tragen. Die Entschädigung betrug 1.2 Mio. Franken. Der Verkauf wurde übrigens im Zuge der Kantonalisierung 1994 insofern wieder rückgängig gemacht, als das Gebäude durch die Aktiengesellschaft mit Mitteln aus dem Lotteriefond von der Stadt erworben wurde – mit der Auflage, dass die Liegenschaft im Falle der Zweckentfremdung oder Zerstörung zurückfällt an die öffentliche Hand. Die Bereitstellung der für den Umbau des Hauses notwendigen Mittel war vom Stadtrat im Juni 1979 beschlossen worden. Das Stadtparlament billigte die Vorlage im März 1980 in namentlicher Abstimmung. Der projektierte Kredit belief sich auf 61.3 Mio. Franken, inklusive der Errichtung des neuen Bernhard-Theaters innerhalb des Erweiterungsbaus. Um die für Juni 1980 angesetzte Volksabstimmung entbrannte eine regelrechte Schlacht. Claus Helmut Drese schreibt rückblickend 1991: «Jahre der Apologie des Musiktheaters gegen ideologische Anfechtung. Anpassen, Taktieren, Propagieren, um die Erneuerung des Opernhauses öffentlich durchzusetzen. Bis zur offenen Strassenschlacht: ‹Züri brännt...› Belagerte Festung Opernhaus, Tränengas, Gummigeschosse. War das die friedliche Schweiz, von der Europa träumt? Statt der geistigen Auseinandersetzung brutale Gewalt und Gegengewalt, vermummte Rotten mit Farbbeuteln und Pflastersteinen – dagegen Zürcher Polizisten in feldgrauen Kampfanzügen mit Plastikschildern und Schlagstöcken. Wird so Kultur verteidigt? Für Monteverdi, Mozart, Wagner – gegen den Geist – oder Ungeist – der anarchistischen Rock- und Popszene? Oder ging es gar nicht um die Oper? Oper nur als Alibi, um operieren zu können?» Der Unmut der alternativen Szene hatte sich u. a. daran entzündet, dass die «Rote Fabrik», die man als Jugendzentrum für sich reklamierte, dem Opernhaus als Ausweichspielstätte zur Verfügung gestellt werden sollte. In diesem Punkt ging die Oper leer aus; die «Rote Fabrik» hat sich seither als Ort für alternative Kultur bewährt. Die Abstimmung am 6. Juni 1980 aber ging schliesslich mit 53.0% zu 46.1% zugunsten der Gesetzesvorlage der Stadt aus. Die Unruhen muss man wohl eher als Folge einer jahrelang falsch gelaufenen Sozialpolitik betrachten. Um noch einmal Claus Helmut Drese zu zitieren, der 1984 aus Anlass der Festschrift «150 Jahre Theater in Zürich. Zur Eröffnung des renovierten Opernhauses» im Interview sagte: «Der Direktor des Opernhauses macht Kulturpolitik, auch wenn er nicht öffentlich am politischen Leben teilhat. Wenn ich also nachträglich an diese Unruhen denke, möchte ich meinem Nachfolger quasi raten, nicht nur an das Publikum zu denken, das man hat, sondern auch an dasjenige, das man nicht hat. Und das man vielleicht nie gewinnt. Aber es ist ein Publikum – und eben doch vorhanden.»
> Der legendäre Monteverdi-Zyklus Die Direktionszeit von Claus Helmut Drese zerfällt in drei Abschnitte. Zunächst war er bemüht, dem Haus vor der Umbauphase durch eine Konzentrierung des Spielbetriebs in Richtung eines modifizierten Stagioneprinzips mit international renommierten Sängern eine 60
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«Il ritorno d’Ulisse in patria» (1977) und «L’Orfeo» (1975) von Claudio Monteverdi in der Inszenierung von Jean-Pierre Ponelle
möglichst grosse Attraktivität bei Publikum und Presse zu sichern. An die Stelle der Operette traten vermehrt Musicalaufführungen, die grosse Zugkraft entwickelten. Der Spielplan enthielt zunächst wenig Experimentelles. Während der Umbauphase, die im Sommer 1982 begann, waren zwei Spielzeiten unter dem Motto «opera mobile» zu gestalten. Die Spielorte waren ebenso vielfältig wie das Programm: Grossproduktionen wie «Aida» und «Boris Godunow» im Hallenstadion, Zeitgenössisches wie Wolfgang Rihms «Lenz» im Stadthof 11, ein Kassenschlager wie «West Side Story», aber auch Carl Orffs «Antigone» im Kongresshaus; sogar das Grossmünster wurde mit Brittens Kirchenoper «Die Jünglinge im Feuerofen» bespielt, und im Fraumünster gab es die «Marienvesper» von Monteverdi. Trotz der besonderen Situation des Opernhauses in dieser Zeit wurde die städtische Subvention um 3.5% gekürzt, was die Theater-AG an den Rand der Zahlungsunfähigkeit brachte. Neben Sparmassnahmen half eine Sammelaktion bei den Agglomerationsgemeinden und bei privaten Gönnern, die finanzielle Krise zu überwinden. Durch die unkonventionellen Räume, die bespielt wurden, wurden sicher auch neue Zuschauerschichten auf das Angebot Musiktheater aufmerksam. Da die Anzahl der Vorstellungen an den Ausweichspielstätten gegenüber der im Haus üblichen reduziert war, konnten Gastspiele stattfinden (u.a. in Griechenland, Finnland, bei den Schwetzinger Festspielen und bei den Wiesbadener Maifestspielen, sowie, mit dem Ballett, u. a. in Venedig und in den USA). Die dritte Phase der Direktion Drese begann mit der feierlichen Wiedereröffnung des umgebauten Hauses am 1. Dezember 1984 mit einer festlichen Gala und, als erster regulärer Aufführung, Wagners «Meistersingern». Eine (unvollständige) Aufzählung der an der Gala beteiligten Künstler gibt einen Begriff, auf welchem Niveau das Ensemble – inklusive der ständigen Gäste – angesiedelt war; einige dieser Sänger sind dem Haus bis heute verbunden: Agnes Baltsa, Mirella Freni, Sona Ghazarian, Gwyneth Jones, Lucia Popp, Mara Zampieri, José Carreras, Nicolai Ghiaurov, Thomas Hampson, Siegfried Jerusalem, Günther von Kannen, Alfredo Kraus, Juan Pons, Peter Straka... Natürlich war auch das Ballett vertreten. Das Dirigentenpult teilten sich Ferdinand Leitner und Ralf Weikert. Der grösste Meilenstein der Ära Drese war zweifellos der längst in die Theatergeschichte eingegangene Monteverdi-Zyklus mit Nikolaus Harnoncourt und Jean-Pierre Ponnelle. Auch wenn die drei Opern aus der Frühzeit des Genres schon hier und da anderswo aufgeführt worden waren, ging der eigentliche Impuls zur Wiedergewinnung dieser drei Juwelen für das Opernrepertoire und zur Erweiterung des Repertoires in Richtung Barockoper generell wohl von den Zürcher Aufführungen des «Orfeo», der «Incoronazione di Poppea» und des «Ritorno d’Ulisse in patria» aus. Um das Projekt zu ermöglichen, musste erst einmal der Verwaltungsrat gewonnen werden, denn die erforderlichen Instrumentalisten für das von Harnoncourt in einer Pionierleistung rekonstruierte Barock-Orchester bedeuteten zusätzliche Mittel. Die drei Aufführungen sind auf CD und DVD dokumentiert; sie gingen auf Gastspiel und wurden in sieben europäischen Städten (darunter in Mailand an der Scala) begeistert aufgenommen. Drese begann mit Ponnelle und Harnoncourt auch einen Mozartzyklus, der unter seinem Nachfolger Christoph Groszer fortgesetzt und mit insgesamt acht Werken zu Ende gebracht wurde. Götz Friedrich war ein prägender Regisseur, den Drese nach Zürich geholt hatte. Genannt seien ausserdem Otto Schenk, August Everding und Nikolaus Lehnhoff. Zusammenfassend kann man sagen: Als Claus Helmut Drese 1986 dem Ruf folgte, Direktor der Wiener Staatsoper zu werden, war das Opernhaus Zürich in die Spitzengruppe der europäischen Musiktheater vorgedrungen. 62
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> Trennung von Tonhalle- und Opernorchester Die Trennung von Tonhalle- und Theaterorchester wurde im Sommer 1985 vollzogen: Das Orchester der Oper Zürich, das sich seither in einer jährlichen Reihe von philharmonischen Konzerten auch mit dem sinfonischen Repertoire auseinandersetzt, war geboren. Ralf Weikert, ab 1983 musikalischer Oberleiter an der Oper Zürich, erinnert sich (1991 in der Neuen Zürcher Zeitung), wie es dazu kam: «Der Umbau des Opernhauses und die damit verbundene Vergrösserung des Orchestergrabens einerseits, aber auch die gestiegenen Qualitätsanforderungen liessen die Situation nach der Wiedereröffnung 1984 für beide Institute als nicht mehr akzeptabel erscheinen. Schon am 8. Dezember 1983 beschloss der Vorstand der Tonhalle-Gesellschaft, den Gesellschaftsvertrag im Einvernehmen mit der Theater-AG auf Ende der Spielzeit 1983/84 zu lösen. Das formelle Einverständnis zur Auflösung durch den Stadtrat erfolgte am 16. Januar 1985. Am 28. Juni war es dann soweit: Das Opernhaus hatte sein eigenes Orchester. Nun galt es, das ‹Rumpforchester› entsprechend den entwickelten Strukturplänen auf eine Stärke von 94 Musikern zu bringen. Da zu jener Zeit auch noch eine Welle von Pensionierungen anstand, bot sich uns die Chance, ein völlig neues Orchester aufzubauen. In unzähligen Probespielen, die jeweils zuerst national, bei Nichtbesetzung einer Position sodann international ausgeschrieben wurden, konnten wir innerhalb ziemlich kurzer Zeit ein stark verjüngtes Orchester zusammenstellen.» Und aus diesem Orchester entstand später gleich noch ein zweites: 1996 formierte sich aus dem Kreis der Orchestermusiker der Oper Zürich ein Ensemble von Spezialisten, das sich der Pflege des Originalklangs verschrieben hat und seither die Produktionen im Bereich Barock stilgetreu bestreitet. Der Funke der Begeisterung an neuer «Alter Musik» gab dem Ensemble seinen Namen: La Scintilla – der Funke. Es steht unter der Leitung von Ada Pesch und hat sich seither in Zusammenarbeit mit vielen Koryphäen des Fachs bewährt: u.a. William Christie, Marc Minkowski und Reinhard Goebel. Die Aufbauarbeit von Nikolaus Harnoncourt, der dem Haus bis heute verbunden ist, hat also langfristig gewirkt. Zugleich spannt sich die Bandbreite der Oper Zürich bis in die Musik der Gegenwart. In der Spielzeit 2000/2001 wurde das Orchester der Oper Zürich in der alljährlich veranstalteten Kritikerumfrage des Fachblattes Opernwelt zum «Orchester des Jahres» gewählt – ein schöner Erfolg auch für den langjährigen GMD Franz Welser-Möst, der von 1995 bis 2008 in leitender Funktion am Opernhaus Zürich engagiert war. 2001 wurde auch der neue Orchesterprobenraum am Kreuzplatz in Betrieb genommen. Dafür wurde ein Mietvertrag mit der Christian Science Schweiz abgeschlossen, in deren Gebäude sich die genutzten Räumlichkeiten befinden. Der grosszügige Saal bietet akustisch viel bessere Bedingungen für die Orchesterproben als der alte Probenraum, der sich im Anbau an der Falkenstrasse tief unter der Erde befand und seither als dritter Ballettsaal genutzt wird.
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> Ein neuer Subventionsvertrag Während der Direktionszeit von Christoph Groszer 1986-1991 fand keine Uraufführung am Opernhaus Zürich statt; ein Ereignis war die Aufführung der «Europeras 1 & 2» von John Cage. Die neue Studiobühne bot die Möglichkeit, Stücke wie Udo Zimmermanns «Weisse Rose», Hans Werner Henzes «Pollicino» oder Bruno Madernas «Satyricon» zu spielen. Aber auch Händelopern («Xerxes» und «Deidamia») wurden dort gegeben. Joachim Herz, der in der DDR die Tradition Walter Felsensteins (der übrigens 1938-1940 als Regisseur am «Stadttheater Zürich» tätig gewesen war) fortgesetzt hat, inszenierte «Madama Butterfly». Die Berliner Lindenoper gastierte u.a. mit «Tannhäuser» (wohlgemerkt noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs). Yuri Ljubimow inszenierte Janácˇeks «Jenufa», mit dem 27-jährigen Christian Thielemann am Pult, Ruth Berghaus Strauss’ «Elektra». Michael Hampe war ein weiterer wichtiger Regisseur. Neben dem Monteverdi- und dem MozartZyklus mit Harnoncourt und Ponnelle hatte Claus Helmut Drese einen «Ring»-Zyklus in eigener Inszenierung (im Bühnenbild von Ul de Rico) geplant, der 1987-1989 ebenfalls unter Groszer umgesetzt wurde. Alfred Muff debütierte bei dieser Gelegenheit als Wotan. Weitere Künstler, die in dieser Zeit ans Haus kamen und der Zürcher Oper zum Teil für Jahrzehnte treu blieben, waren Edita Gruberova, Francisco Araiza, Deon van der Walt und Gösta Winbergh. Solche Sängerpersönlichkeiten zu binden, wurde durch ein modifiziertes Stagione-System möglich, das Christoph Groszer im Jahrbuch 1990/1991 so kommentiert: «Das Semi-Stagione-Theater hat das Opernhaus Zürich in den Kreis der internationalen Theater mit Besetzungen gebracht, die gleichermassen an der Met, an der Scala, der Staatsoper Wien, in München, Berlin oder Hamburg singen. Die sehr hohen Eintrittspreise setzen allabendlich hervorragende Besetzungen voraus. Finanziell ist es letztlich eine politische Entscheidung, ob sich Zürich eine Oper mit den angesprochenen Kriterien leisten will und kann.» An gleicher Stelle rechnete Groszer vor, dass sich, gemessen an den durch diesen Anspruch entstehenden Kosten, für 1990 aufgrund der im Jahre 1982/1983 eingetretenen Budgetkürzung ein Defizit von rund 9.1 Mio. Franken hochrechnen liess. Dieses Defizit konnte vermieden werden, da im Dezember 1989 die neuen Subventionsverträge zwischen der Stadt und den vier Kulturinstituten Opernhaus, Schauspielhaus, Tonhalle und Kunsthaus in Kraft traten. Die Subventionsperiode wurde auf jeweils vier Jahre festgelegt, wodurch endlich grössere Planungssicherheit gegeben war. Ein weiterer Punkt der Reform von nicht unerheblicher Bedeutung: Der Teuerungsausgleich für das Personal konnte von nun an direkt vom Stadtrat analog den Sätzen für das Staats- und Stadtpersonal festgelegt werden und musste nicht mehr jedesmal durch den Gemeinderat beschlossen werden. Die neuen Subventionsverträge waren bis zum Bundesgericht angefochten worden; dieses wies jedoch die anhängige Stimmrechtsbeschwerde endgültig ab. Vom fakultativen Referendum war kein Gebrauch gemacht worden. Das Konzept, mit dem Alexander Pereira seine Intendanz mit Beginn der Spielzeit 1991/1992 antrat, liess sich allerdings nur realisieren, indem vermehrt Sponsorengelder aufgebracht wurden (vgl. das Gespräch mit Alexander Pereira in dieser Festschrift).
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> Die Kantonalisierung Aufgrund des Lastenausgleichsgesetzes war der Kanton gemäss dem rückwirkend ab 1. Januar 1989 wirksam gewordenen Subventionsgesetz mit 36% an der Gesamtfinanzierung der vier betroffenen kulturellen Institutionen beteiligt. Eine Änderung des Staatsbeitragsgesetzes, die im April 1990 von den Stimmbürgern des Kantons Zürich gebilligt wurde, erlaubte es dem Regierungsrat, Subventionen an kulturelle Institutionen bis zur Hälfte ihrer anrechenbaren Defizite zu zahlen. Dem entsprechend stieg der Staatsbeitrag der Gesamtsubvention für das Opernhaus Zürich bis 1993 kontinuierlich bis auf 49%. Was noch Mitte der 1980er Jahre als politisch nicht durchsetzbar gegolten hatte, kam am 3. Oktober 1990 – inzwischen gab es im Zürcher Gemeindrat eine rot-grüne Mehrheit, und die Besetzung der Präsidialabteilung hatte gewechselt – endgültig ins Rollen: auf ein Ersuchen des Stadtrats an die Kantonsregierung, in Zukunft 50% der Kosten für die Kulturinstitute zu tragen und das Opernhaus als das grösste der vier in die Zuständigkeit des Kantons zu übernehmen, reagierte der Regierungsrat im November 1990 mit der Zusicherung, die politische und finanzielle Verantwortung für die Oper übernehmen zu wollen, wenn der Kanton dafür von den Kulturförderungsbeiträgen an die drei anderen Institute (Schauspielhaus, Tonhalle und Kunsthaus) entlastet würde. Im Jahrbuch 1993/94 wird die Situation angesichts der in ganz Europa zunehmenden Tendenz, Kulturbudgets radikal zu kürzen, geschildert: «Der grösste Teil des Budgets wird, noch bevor der Vorhang zum ersten Mal aufgeht, von fixen Personalkosten verbraucht. Betriebskürzungen treffen also hauptsächlich den künstlerischen Bereich. Einsparungen an der künstlerischen Substanz eines Hauses führen jedoch zwangsläufig zu einer verminderten Attraktivität für das Publikum. Die Verluste durch den ausgelösten Publikumsschwund übersteigen so schnell die ursprünglich geplante Einsparung.» Dem begegnete das Opernhaus Zürich unter der Intendanz von Alexander Pereira durch eine Steigerung der Anzahl der Neuproduktionen, wodurch sich nicht zuletzt mehr Gelegenheiten für Sponsoring ergeben. Im Jahrbuch 1993/94 heisst es weiterhin: «Ein wichtiger Punkt ist natürlich die Steigerung der Attraktivität nicht nur der Neuinszenierungen, sondern aller im Repertoire laufenden Produktionen. Die Kombination von international renommierten Gesangsstars mit den interessantesten und anspruchsvollsten Regie- und Ausstattungskonzepten unserer Zeit ist nicht immer einfach, wird jedoch sowohl mit besonderen künstlerischen Ereignissen wie auch mit erhöhtem Reiz für das Publikum belohnt. Eine sorgfältige Ensemblepolitik und die kontinuierliche Zusammenarbeit mit einigen wenigen, erstklassigen Dirigenten tragen dazu bei, dass das künstlerische Niveau des Hauses laufend steigt. Dieser Trend ist nicht zuletzt auch an der regelmässigen Präsenz ausländischer Berichterstatter abzulesen.» Neben den künstlerischen konnte das Haus auch finanzielle Erfolge vorweisen: die Vorstellungserlöse waren von 10.2 Mio. Franken in der Saison 1989/1990 auf 22.2 Mio. Franken in der Saison 1993/1994 fast verdoppelt worden. Die Sponsorengelder wurden im gleichen Zeitpunkt sogar vervierfacht und machten 3.7 Mio. Franken aus. Trotzdem blieb das Budget von einem strukturellen Problem belastet, das sich seit den 1960er Jahren daraus ergeben hatte, dass zwar die Teuerung beim fest angestellten Personal ausgeglichen wurde, nicht jedoch beim Gästeetat und den Sachkosten. Real war der Anteil der SubChronik
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Thomas Hampson
Cecilia Bartoli
Leo Nucci
Lรกszlรณ Polgรกr
Vesselina Kasarova
Emily Magee, Jonas Kaufmann
Ruggero Raimondi
Carlos Chausson, Eva Mei
vention am Gesamtbudget damit kontinuierlich gesunken. Angesichts der angespannten Lage der städtischen Finanzen lag der einzige Ausweg in der Kantonalisierung des Hauses. Die Spielzeit 1993/1994 wie auch der Beginn der folgenden standen ganz im Zeichen einer ganzen Reihe von Veranstaltungen, die dem per Volksabstimmung zu legitimierenden Wechsel in die Zuständigkeit des Kantons die nötige Unterstützung beim Stimmvolk sicherten: ein «Tag der offenen Tür» gehörte ebenso dazu wie die Liveübertragung einer Vorstellung «Tosca» auf Grossbildschirme am Zürichhorn und im Park im Grüene in Rüschlikon sowie der unermüdliche Einsatz der Künstlerinnen und Künstler bei zahlreichen Veranstaltungen. Die Volksabstimmung am 25. September 1994 brachte schliesslich mit über 73% ein überzeugendes Bekenntnis der Bevölkerung zur angestrebten Übernahme der Oper in die kantonale Zuständigkeit. Ein denkwürdiger Vorgang, blickt man zurück auf die Gründungsphase des «Actientheaters» in den 1830er Jahren, als durch die neue Verfassung eben erst die rechtliche Gleichstellung von Stadt und Landschaft Wirklichkeit geworden war!
> Die Aktiengesellschaft – eine Erfolgsgeschichte In dieser Chronik wurde vor allem die Entwicklung der betrieblichen Struktur des Opernhauses Zürich und seiner Trägergesellschaft, die vor 175 Jahren gegründet wurde, verfolgt. Daneben wurden einige Stationen in der künstlerischen Entwicklung des Musiktheaters gestreift. Eine Bilanz der Intendanz von Alexander Pereira, die im Sommer 2012 enden wird – als Nachfolger ist Andreas Homoki designiert, der gegenwärtig Intendant der Komischen Oper Berlin ist – sei späteren Publikationen vorbehalten. Zeugnis über die Leistungen des Opernhauses Zürich in den letzten 18 Jahren legen die Jahrbücher ab, in denen alle Premieren und sonstigen Ereignisse nachgewiesen sind – ebenso die Künstler, die hier wirkten und wirken. Verwiesen sei noch auf die ebenfalls jährlich erscheinenden Geschäftsberichte. Dem letzten veröffentlichten Bericht (2007/2008) lässt sich entnehmen, dass das Aktienkapital sich derzeit auf rund 6.56 Mio. Franken beläuft. Befragt man Aktienbesitzer, so ergibt sich ein vielschichtiges Bild. Neben der Jahrhunderte alten Familientradition (vgl. das Statement der Familien Bodmer und Abegg-Syz) gibt es Theaterfreunde, die einfach Gefallen an historischen Wertpapieren finden. Besonders wichtig ist den Aktionären aber das Bekenntnis zum Opernhaus und seiner Förderung von privater Seite, die in Zürich auf eine so lange Geschichte zurückblicken kann. Das Budget der Spielzeit 2008/2009 lässt sich mit 131.5 Mio. Franken beziffern. Beiträgen der öffentlichen Hand in Höhe von 72.8 Mio. Franken stehen Vorstellungseinnahmen von ca. 34.5 Mio. Franken gegenüber; hinzu kommen ca. 12.0 Mio. Sponsorengelder und weitere knapp 12.2 Mio. Franken sonstige Erträge. Damit erreicht der Eigendeckungsgrad des Hauses ca. 44.7%; diese Ziffer ist wohl einmalig in der europäischen Opernlandschaft. Der Verwaltungsrat besteht aus neun Mitgliedern. Vier davon werden von der jährlich stattfindenden Generalversammlung durch die Aktionäre gewählt, fünf werden vom Regierungsrat des Kantons Zürich abgeordnet. Der Subventionsgeber hat damit die Mehrheit im Verwaltungsrat. Von den fünf Vertretern der öffentlichen Hand wird wiederum ein Verwaltungsratsmitglied auf Vorschlag des Zürcher Stadtrats benannt; ein weiteres als Vertreter der Gemeinden durch den Gemeindepräsidentenverband.
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Die letzte Kapitalerhöhung fand vor zehn Jahren statt. Die Generalversammlung der Aktionäre beschloss am 26. Januar 1998, das Aktienkapital von damals 2’187’000 Franken auf maximal 4’374’600 Franken zu erhöhen. 391 Namensaktien von je 300 Franken Nennwert und maximal 2’300 Namensaktien von je 900 Franken Nennwert wurden gezeichnet. Insgesamt wurden 7’291’000 Franken an neuen Mitteln aufgebracht. Im Jahr darauf ermächtigte die Generalversammlung den Verwaltungsrat, erneut maximal 2’430 Namensaktien zu einem Nennwert von 900 Franken zur Zeichnung auszuschreiben. Das Aktienkapital wurde damit auf nunmehr insgesamt 6’561’000 Franken erhöht. Weitere 7’290’000 Franken an Mittelzufluss konnten erzielt werden. Dieses Geld kam vor allem dem Ausbau der Infrastruktur zugute. 1991 hatte das Opernhaus die Halle der alten Spedition auf dem Areal der Sulzer-EscherWyss angemietet und zur Probebühne ausgebaut. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es nur die Studiobühne im Anbau in der Falkenstrasse und die Probebühne Mühlebach. Durch die Erhöhung der Neuproduktionen sowie der im Repertoire gehaltenen Vorstellungen, wie sie das Konzept von Alexander Pereira am Beginn seiner Intendanz vorsah, war die Schaffung neuer Probenräume zwingend geworden. 2000 wurde die Probebühne EscherWyss auf Drängen des kaufmännischen Direktors, Otto Grosskopf, angekauft, um der Gefahr des Verkaufs an einen Investor im Zuge der stürmischen Entwicklung des Quartiers Zürich West zu begegnen. Im gleichen Jahr wurde eine Montagehalle der Firma Contraves in Kügeliloo erworben und zum Lager für die Dekorationen und Kostüme umgebaut. Erstmals verfügt das Opernhaus damit über Lagerräumlichkeiten, die sich im eigenen Besitz befinden, und kann den Proben- und Spielbetrieb logistisch besser organisieren. 2005 wurde schliesslich das bis dahin als Parkplatz genutzte Grundstück hinter dem Werkstattgebäude in der Seerosenstrasse überbaut. Der neben dem Hotel Eden au Lac zur Kreuzstrasse hin gelegene Neubau schuf die Möglichkeit, die knappen Arbeitsflächen der Theatermaler zu verdoppeln und eine grosszügige Montagehalle einzurichten, die die Originalmasse der Hauptbühne erreicht. Die Dekorationen können nun in unmittelbarer Nachbarschaft der Werkstätten zusammengebaut werden, wodurch Transporte wegfallen und kostbare Bühnenzeit frei wird. Ebenfalls im Neubau an der Kreuzstrasse wurde Raum für Büros gewonnen, die von der Personalabteilung, der Finanzbuchhaltung und der Dramatugie genutzt werden. Diese Abteilungen waren vorher in verstreuten Mieträumen untergebracht. Schliesslich entstanden in dem neuen Gebäudeteil, in dem sich auch der Schweizer Geschäftssitz der Bank Berenberg befindet, grosszügige Räumlichkeiten für das Internationale Opernstudio, das nun auch über eine eigene Probebühne verfügt. Damit geht das Haus gut gerüstet in die Zukunft. Die Opernhaus Zürich AG, die 1834 als «Theater-Actiengesellschaft» gegründet wurde und eine durchaus wechselvolle Geschichte hat, kann heute als Erfolgsstory bezeichnet werden. Dieser Erfolg ist den Bürgern von Kanton und Stadt Zürich zu verdanken.
Chronik
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Direktoren «Actientheater» Zürich 1834–1835 Mai 1835 Oktober 1835–1837 1837–1843 1843–1845 1845–1846 1846–1850 1850–1851 1851–1853 1853–1854 1854–1855 1855–1858 1858–1860 1860–1861 1861–1862 1862–1864 März 1864 August 1864–1865 1866–1867 1867–1870 1870–1877 1877–1878 1878–1880 1880–1883 1883–1896
Ferdinand Deny Demoiselle Ringelmann Carl Beurer Charlotte Birch-Pfeiffer Eduard Gerlach Wilhelm Henckel C. G. Hehl Philipp Walburg Kramer Wilhelm Loewe Karoline Loewe Ernst Walther Carl Scholl Friedrich Engelken F. von Friederici Ernst Walther Friedrich Feldmann August Schreiner L. Fichtelberger Wilhelm Böhlken und Ludwig Meisinger jun. Wilhelm Böhlken Wilhelm Schlegel Friedrich Feldmann Josef L’Hamé Wilhelm Schlegel Paul Schroetter
«Stadttheater» Zürich 1896–1898 1898–1901 1901–1921 1921–1932 1932–1947 1947–1956
Ludwig Treutler Karl Skraub Alfred Reucker Paul Trede Karl Schmid-Bloss Hans Zimmermann
Opernhaus Zürich 1956–1960 1960–1962 1962–1964 1964–1975 1975–1985 1985–1991 1991–2012 ab 2012 designiert
Karl Heinz Krahl Herbert Graf Interim Hermann Juch Claus Helmut Drese Christoph Groszer Alexander Pereira Andreas Homoki
Direktoren
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Nicht nur «Lulu» – Uraufführungen am Opernhaus Zürich «Drei Stunden im Weltinteresse» – so überschreibt das Jahrbuch des Zürcher Opernhauses den Rückblick auf die Uraufführung von Alban Bergs Oper «Lulu». Und in der Tat ist es zuallererst dieses zu Recht als grosses Ereignis gefeierte Datum, der 2. Juni 1937, mit dem das Opernhaus Zürich in die Musikgeschichte eingegangen ist. Das Interesse der internationalen Medien war enorm, die Uraufführungsberichte überschwänglich: «Die Aufführung von Alban Bergs Oper ‹Lulu› in Zürich war gedacht als Hommage. Es wurde ein Triumph daraus, nicht nur für den Komponisten, sondern auch für das Zürcher Stadttheater und sein Ensemble. Es war ein grossartiger Opernerfolg, wie man ihn nur einmal in zehn Jahren erlebt», schrieb beispielsweise die Londoner Times. Die aus Bosnien stammende Sopranistin Bahrija Nuri-Hadzˇic´ hatte die Titelrolle kreiert, gespielt wurde das Fragment in zwei Akten mit den fünf sinfonischen Stücken aus der «Lulu»-Suite anstelle des dritten Aktes. In Zürich sollten weitere Aufführungen von Bergs zweiter Oper, die erst nach dem Krieg ihren Weg ins internationale Repertoire fand, folgen: 1963, dann 1979 – diesmal in der von Friedrich Cerha vervollständigten dreiaktigen Fassung, die erst wenige Monate zuvor in Paris uraufgeführt worden war – und zuletzt 2000 in der hochgelobten Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf mit Laura Aikin in der Titelrolle; die musikalische Leitung hatte der damalige Chefdirigent Franz Welser-Möst. Zürich bot in den 30er Jahren vielen Schauspielern, Dramatikern, Regisseuren und eben auch Komponisten, die in Nazi-Deutschland politisch verfolgt wurden oder mit Arbeitsverbot belegt worden waren, eine künstlerische Heimat. Mit Alexander Zemlinskys «Kreidekreis» hatte sich der damalige Direktor des Stadttheaters Karl Schmid-Bloss 1933 erstmals entschieden, eine Oper zur Uraufführung zu bringen, deren Komponist auf der Flucht vor den Nationalsozialisten ins Zürcher Exil gegangen war. Berlin, Frankfurt, Köln und Nürnberg hatten ursprünglich simultan den «Kreidekreis» uraufführen wollen; dann kam das Verbot durch die neuen deutschen Machthaber, und Zürich sprang in die Bresche. Fast auf den Tag genau 70 Jahre nach der Uraufführung fand am Opernhaus Zürich in der Regie von David Pountney und unter der musikalischen Leitung von Alan Gilbert die zweite Neuinszenierung dieser experimentellen, zeittypisch Melodram, Jazz, Tanzmusik der 20er Jahre und dezentes China-Kolorit miteinander verwebenden Oper statt. Eine weitere operngeschichtlich bedeutende Uraufführung gelang 1938 mit Paul Hindemiths «Mathis der Maler», auch er ein Verfolgter Nazi-Deutschlands, der 1938 in die Schweiz emigrierte, nachdem die Uraufführung von «Mathis der Maler» in Deutschland von höchster Stelle untersagt worden und der Komponist selbst öffentlich an den Pranger gestellt worden war. Im Rückblick auf die Spielzeit 1937/1938 ist von einer «Krisensaison erster Ordnung» die Rede, in der gar das Gespenst einer Schliessung des Theaters aufgetaucht war; umso grösser das Wagnis, das Karl Schmid-Bloss mit der Uraufführung der neuen Hindemith-Oper einging und damit seine einmal begonnene Linie, während der Uraufführungen
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Festspiele jedes Jahr «ein hervorragendes neues Werk als Ur- oder Erstaufführung» herauszubringen, beibehielt. Der Erfolg von «Mathis der Maler», der wiederum internationales Medienecho auslöste und nach dem Krieg der Oper den Weg ins deutschsprachige Repertoire bahnte, gab dem mutigen Direktor Recht. 1985 kehrte das Werk in einer Inszenierung des damaligen Direktors Claus Helmut Drese (Musikalische Leitung: Ferdinand Leitner) in den Zürcher Spielplan zurück. Auch vor 1933 hatte sich das Opernhaus Zürich, damals noch «Stadttheater», mit dem zeitgenössischen Musiktheater auseinandergesetzt. Eng verbunden mit Zürich und seinem Theater ist beispielsweise das Schaffen Ferruccio Busonis. Busoni hatte es bereits während des Ersten Weltkriegs ins Exil nach Zürich verschlagen; hier wurden 1917 unter der Leitung des Komponisten die beiden Einakter «Arlecchino» und «Turandot» uraufgeführt, und grosse Teile der «Dr. Faust»-Partitur sind in Zürich entstanden. Darüber hinaus bemühte sich das Opernhaus – und bemüht sich bis heute – um die kontinuierliche Pflege des Schweizerischen. Neben Stücken von Franz Curti («Das Rösli vom Säntis» und «Reinhard von Ufenau», 1898), von dem gebürtigen Zürcher Hans Jelmoli («Sein Vermächtnis», 1904) und von Karl Heinrich David («Traumwandel», 1928) erblickten auch «Erwin und Elmire» (1916), «Don Ranudo» (1919) und «Venus» (1922) von Othmar Schoeck in Zürich das Licht der Welt. Besonders die komische Oper «Don Ranudo» und ihre Nachfolgerin «Venus» gerieten für Schoeck in seiner Wahlheimat Zürich zu wichtigen Erfolgen, die sogar den Neid Busonis provozierten; spätere Werke Schoecks wie beispielsweise «Penthesilea» wurden in Dresden und Berlin uraufgeführt, aber bald schon in Zürich nachgespielt. Schweizer Opernkomponisten waren am Opernhaus Zürich zudem mit Heinrich Sutermeister («Niobe», 1946, und «Madame Bovary», 1967), Armin Schibler («Die Füsse im Feuer», 1955, «Blackwod & Co», 1962 und «Antoine und die Trompete», 1983), Giselher Klebe («Ein wahrer Held», 1975) und Rudolf Kelterborn vertreten. Von Kelterborn wurde bereits 1963 «Die Errettung Thebens» – das erste Musiktheaterwerk des Komponisten – in Zürich uraufgeführt; 1977 gelang es Claus Helmut Drese, für die Uraufführung der Oper «Ein Engel kommt nach Babylon» nach einem Libretto von Friedrich Dürrenmatt erstmals den Regisseur Götz Friedrich nach Zürich zu verpflichten. Die erfolgreiche Inszenierung wurde 1983 wieder aufgenommen und zum Gastspiel nach Helsinki eingeladen. 1984 folgte, ebenfalls unter Drese, die Uraufführung von Kelterborns «Kirschgarten» nach Tschechow anlässlich der Wiedereröffnung des Opernhauses nach dem Umbau. Und auch die Operette belebte das Repertoire mit neuen Werken – während allerdings zwischen 1932 und 1955 insgesamt 24 Operetten in Zürich uraufgeführt wurden, findet sich nach 1955 keine einzige mehr. Zu erwähnen wären unter vielen anderen «Venus in Seide» (1932), «Zwei Herzen im Dreivierteltakt» (1933) und «Himmelblaue Träume (Grüezi)» (1934) von Robert Stolz, der bei «Venus in Seide» auch selbst am Pult stand, «Die Fahrt in die Jugend» (1933) und «Herz über Bord» (1935) von Eduard Künneke und – besonders erfolgreich – «Herzen im Schnee» (1936) von Ralph Benatzky. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die szenische Erstaufführung von Schönbergs «Moses und Aron» 1957 zum Zürcher Opernereignis von internationaler Ausstrahlung. 1951 hatte Hermann Scherchen bei den Darmstädter Tagen für Neue Musik den «Tanz um das Gol74
Uraufführungen
Irène Friedli, Roberto Saccà, Cheyne Davidson in «Schlafes Bruder» von Herbert Willi, 1996
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Nach der Vorstellung. Ein feines Tatar.
sich gewohnt anders treffen
dene Kalb» dirigiert; die konzertante Uraufführung der gesamten Oper folgte 1954 in Hamburg. Aber erst die szenische Einstudierung des damaligen Direktors Karl Heinz Krahl unter der musikalischen Leitung von Hans Rosbaud ebnete dem ungemein anspruchsvollen, alle Kräfte eines Opernhauses fordernden Bekenntniswerk Schönbergs den Weg auf die Bühnen Europas. Bohuslav Martinu˚s letzte Oper «Griechische Passion», vollendet 1959 kurz vor seinem Tod in der Schweiz, fand ihren Weg auf die Zürcher Opernbühne nicht zuletzt dank der Fürsprache seines Freundes und Mäzens Paul Sacher, der die Uraufführung 1961 auch dirigierte. In der berührenden Geschichte um eine Gruppe von Flüchtlingen, die um Aufnahme in einem griechischen Dorf bittet und von den Verantwortlichen aus Angst um Machtverlust nur Ablehnung erfährt, gestaltete Martinu˚, der seit 1938 selbst ständig auf der Flucht war, ein Stück weit sein eigenes Schicksal. Zwar wurde von der Kritik nach der Uraufführung die etwas schematische Darstellung von Gut und Böse bemängelt; beim Publikum, dem die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges noch sehr präsent waren, löste das Werk jedoch viel Emotion und enthusiastische Beifallsstürme aus. Erstmals seit der Uraufführung kehrte die «Griechische Passion» – diesmal in englischer Sprache als «The Greek Passion» – in der Spielzeit 2008/2009 ans Opernhaus Zürich zurück; trotz der inzwischen grossen zeitlichen Distanz zu den Katastrophen des Weltkrieges liess sich das Publikum von der Aufführung in der Regie von Nicolas Brieger mit Emily Magee und Roberto Saccà in den Hauptrollen berühren. Als erste Uraufführung seiner Intendanz brachte Alexander Pereira 1996 «Schlafes Bruder» von Herbert Willi als Auftragswerk des Opernhauses Zürich heraus. Das Libretto war in Zusammenarbeit mit dem Autor des gleichnamigen Bestsellers, Robert Schneider, entstanden, übernimmt jedoch – im Gegensatz zu anderen Literaturopern – keinen einzigen Satz des Romans, der Musik zum Thema macht und nach Aussage des Komponisten förmlich «nach Musik geschrieen» hatte. Die erfolgreiche Zürcher Produktion wurde auch zu den Wiener Festwochen eingeladen. 1998 folgte mit Heinz Holligers erster Oper «Schneewittchen» nach längerer Zeit wieder eine Uraufführung eines der renommiertesten Schweizer Komponisten, die ein enormes Presseecho auslöste; die Zeitschrift Opernwelt attestierte der neuen Oper, sie verweise «nach vorn», «zu einer neuen Form eines ‹Opern-Theaters›, in dem die Musik eine hohe Eigenständigkeit des ‹Erzählens› erhält», und druckte ein Foto der Aufführung auf der Titelseite. Nicht das bekannte Märchen, sondern der Roman von Robert Walser bildete den Ausgangspunkt für Holligers Libretto. Der Komponist spürt auch in «Schneewittchen» jenen Nahtstellen von Genie und Wahnsinn nach, denen er sich bereits in früheren Kompositionen verschrieben hatte. In der Regie des Schweizers Reto Nickler brillierte Juliane Banse in der Titelrolle; die «handverlesenen Musiker der Oper Zürich spielten die äusserst anspruchsvolle Partitur unter dem klaren und mitreissenden Dirigat Holligers rhythmisch präzise und intonationssicher», schrieb Die Zeit. Als Koproduktion mit dem Schauspielhaus Zürich gelang Christoph Marthaler 2003 eine atmosphärisch überaus dichte Uraufführung von Beat Furrers «invocation» – einer «Oper über Musik» (Tagesanzeiger) mit grosser Sogwirkung. Furrers Oper nach Texten von MarUraufführungen
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guerite Duras, Juan de la Cruz, Ovid und Cesare Pavese ist bereits das vierte Werk des Schweizers für Musiktheater (nach «Die Blinden» 1989, «Narcissus» 1994 und «Begehren» 2001/2003) – aber das erste, das auch in der Schweiz seine Uraufführung erlebte. Die Premiere im Zürcher Schiffbau unter der musikalischen Leitung des Komponisten beurteilte die deutsche Zeitung Die Welt als einen «seltenen Glücksfall im zeitgenössischen Musiktheater»; die Neue Zürcher Zeitung schrieb von einem «erstklassigen Abend» und war der Meinung, «das Stück wie seine Realisierung» werde «jedenfalls noch manchen Gedanken auslösen». Das letzte Werk des österreichischen Sprachkünstlers H. C. Artmann, das dieser kurz vor seinem Tod im Dezember 2000 beendet hatte, bildete die Grundlage für HK Grubers Oper «der herr nordwind», die 2005 am Opernhaus Zürich ihre Uraufführung erlebte – ein Märchen voll von hintergründigem Witz und schwarzem Humor über den armen Bauer Geppone, der den Herrn Nordwind anklagt, ihm und seiner Familie Jahr für Jahr durch Zerstörung der Ernte Hunger zu bringen. In der Inszenierung von Michael Sturminger und unter der musikalischen Leitung des Komponisten geriet die Uraufführung dieser Oper zu einem grossen Publikumserfolg – auch wenn, wie die Presse urteilte, die Musik nicht unbedingt neu und modern, aber eben abwechslungsreich, effektvoll und sehr theaterwirksam daherkommt. Eine spontane Idee Alexander Pereiras hatte 2000 zur Gründung des Kompositionswettbewerbs «Teatro minimo» geführt, der inzwischen schon zweimal vom Zürcher Opernhaus gemeinsam mit der Bayerischen Staatsoper München durchgeführt wurde. Ziel des Wettbewerbs ist es, junge Komponistinnen und Komponisten «mit Theaterblut» zu finden, die in der Lage sind, eine abendfüllende Oper zu schreiben. 2001 wurden von der Jury in Zürich und München je drei Komponisten ausgewählt, die eine Kammeroper verfassen durften; die Gewinner – Edward Rushton in Zürich, Arnaldo de Felice in München – erhielten je einen Auftrag für ein abendfüllendes Werk. Rushtons «Harley» gelangte 2005 in der Regie von Grischa Asagaroff in Zürich zur Uraufführung und erntete viel Lob; so schrieb die Zeitschrift Musik & Theater: «Wie Rushton auf kleinem Raum atmosphärische Stimmungen schaffen kann, wie er mit dem Orchester, besonders mit dem Schlagwerk, spielt, wie er die Singstimmen führen kann und aus ihnen sehr viel Bedeutungsnuancen herausholt, das war bis zum Ende überzeugend und kurzweilig.» Und der Zürcher Tagesanzeiger befand: «Verschiedene Themen tauchen auf: Musealität, Kunstvermarktung, Kulturtourismus, das Gebanntsein in der Kunst, aber auch Familie, Eltern-Kind-Beziehung, Generationenkonflikte, und alles ist auch ein Theater im Theater. Die Gegensätze werden auf leichte, witzige und dramatisch weiche Art ausgespielt.» Der Erfolg Rushtons und seiner Librettistin Dagny Gioulami zog einen weiteren Auftrag des Opernhauses Zürich nach sich; 2008 im Januar folgte die Uraufführung von «Im Schatten des Maulbeerbaums», einer Oper, die aus der Perspektive eines Zehnjährigen erzählt ist und gleichermassen für Kinder und Erwachsene ihren Reiz hat. «Beste hintersinnige Unterhaltung», urteilte die Neue Zürcher Zeitung. Im Januar 2009 brachte das Opernhaus Zürich im Zuge von «Teatro minimo» wiederum drei Kurzopern zur Uraufführung: «Sleep» von Erin Gee, «Hinter Masken» von Anno Schreier und «The Present» von Elena Langer. Gewinner des Wettbewerbs ist diesmal Anno Schreier, der einen Auftrag für eine abendfüllende Oper erhielt; die Uraufführung ist für die Spielzeit 2011/2012 geplant. 78
Uraufführungen
Cornelia Kallisch und Oliver Widmer in ÂŤSchneewittchenÂť von Heinz Holliger, 1998
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Uraufführungen am Opernhaus Zürich (Opern und Operetten)
1898
18. Februar: «Reinhardt von Ufenau», Oper von Franz Curti
1904
6. Oktober: «Sein Vermächtnis», Oper von Hans Jelmoli
1916
11. November: «Erwin und Elmire», Oper von Othmar Schoeck
1917
11. Mai: «Arlecchino» und «Turandot», zwei Einakter von Ferruccio Busoni
1919
16. April: «Don Ranudo», Oper von Othmar Schoeck
1920
10. Mai: «La Tarantella de la mort», Mimodram von Julius Bittner
1922
10. Mai: «Venus», Oper von Othmar Schoeck
1923
20. Januar: «Ein Walzer», Oper von Oskar Ulmer
1925
4. Februar: «Nachts sind alle Katzen grau», Komische Oper in einem Akt von Pierre Maurice
1926
7. Februar: «Knockout», Operette von Michael Sussmann
1928
29. Januar: «Traumwandel», Oper von Karl Heinrich David
1932
10. Dezember: «Venus in Seide», Operette von Robert Stolz
1933
26. März: «Die Fahrt in die Jugend», Operette von Eduard Künneke 30. September: «Zwei Herzen im Dreivierteltakt (Der verlorene Walzer)», Operette von Robert Stolz 14. Oktober: «Der Kreidekreis», Oper von Alexander Zemlinsky
1934
31. März: «Der Prinz von Schiras», Operette von Robert Beer 29. September: «Die tanzende Stadt», Operette von Hans May 3. November: «Himmelblaue Träume (Grüezi)», Revue-Operette von Robert Stolz
1935
30. März: «Herz über Bord», Operette von Eduard Künneke 5. Oktober: «Drei Walzer», Operette von Oskar Straus 30. November: «Hopsa», Revue-Operette von Paul Burkhard
1936
18. Januar: «Kaiserin Josephine», Operette von Emmerich Kálmán 22. Februar: «Gaby», Operette von Bernard Grün 27. März: «Rossini in Neapel», Komische Oper von Bernhard Paumgartner 3. Oktober: «3x Georges», Operette von Paul Burkhard 7. November: «Grete im Glück», Operette von Victor Reinshagen 19. Dezember: «Herzen im Schnee», Grosse Wintersport-Revue von Ralph Benatzky
1937
3. April: «Polnische Hochzeit», Operette von Joseph Beer 2. Juni: «Lulu», Oper von Alban Berg 16. Oktober: «Der König der Zigeuner», Operette von Hans May
1938
28. Mai: «Mathis der Maler», Oper von Paul Hindemith 31. Dezember: «Tanz um Daisy», Operette von Victor Reinshagen
1940
29. April: «Der geliebte Dieb», Operette von Victor Reinshagen
1942
11. April: «Der hölzerne Peter», Operette von Karl Pistorius
1943
20. Februar: «Casanova in der Schweiz», Abenteuer in fünf Bildern von Paul Burkhard
1946
22. Juni: «Niobe», Oper von Heinrich Sutermeister
1948
6. November: «Die Musik kommt», Operette von Oskar Straus
1949
28. Mai: «Die schwarze Spinne», Oper nach Jeremias Gotthelf von Willy Burkhard >
Uraufführungen
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Im Namen der ganzen Fussballfamilie gratuliert die FIFA dem Opernhaus Z체rich zum 175-j채hrigen Bestehen.
1955
19. März: «Frühling», Operette von Franz Lehàr (aus dem Nachlass) 25. April: «Die Füsse im Feuer», Oper von Armin Schibler
1957
6. Juni: «Moses und Aron», Oper von Arnold Schönberg (szenische Uraufführung)
1961
9. Juni: «Griechische Passion», Oper von Bohuslav Martinu˚
1962
3. Juni: «Blackwood und Co.», Musikalische Burleske für Sänger und Tänzer von Armin Schibler
1963
23. Juni: «Die Errettung Thebens», Oper von Rudolf Kelterborn
1967
26. Mai: «Madame Bovary», Oper von Heinrich Sutermeister
1975
18. Januar: «Ein wahrer Held», Oper von Giselher Klebe
1977
5. Juni: «Ein Engel kommt nach Babylon», Oper von Rudolf Kelterborn
1983
6. September: «Antoine und die Trompete», Ein Kammermusical von Armin Schibler (Aula Rämibühl)
1984
4. Dezember: «Der Kirschgarten», Oper von Rudolf Kelterborn
1996
28. April: «Schlafes Bruder», Oper von Herbert Willi
1998
17. Oktober: «Schneewittchen», Oper von Heinz Holliger
2001
30. Juni: 3 Kurzopern im Rahmen von Teatro Minimo (Internationaler Kompositionswettbewerb für Neue Oper): «Odysseus und der Fremde», Kammeroper von Peter Aderhold; «Akumu», Oper von Arnaldo de Felice; «Leinen aus Smyrna», Oper von Edward Rushton
2003
6. Juli: «invocation», Musiktheater von Beat Furrer (Schiffbau)
2005
12. Juni: «der herr nordwind», Oper von HK Gruber
2008
27. Januar: «Im Schatten des Maulbeerbaums», Oper von Edward Rushton
20. November: «Harley», Oper von Edward Rushton 2009
25. Januar: 3 Kurzopern im Rahmen von Teatro Minimo: «Sleep» von Erin Gee; «Hinter Masken» von Anno Schreier; «The Present» von Elena Langer
Uraufführungen
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BEIM OPERNHAUS
Kathrin Brunner
Nachwuchsförderung am Opernhaus Zürich Aus Anlass der festlichen Gala zum 175-Jahr-Jubiläum am 10. November 2009 bietet sich die Möglichkeit, das Opernhaus Zürich auf einem besonders wichtigen Gebiet zu unterstützen. Die Einnahmen dieser Veranstaltung werden zum einen dem Bereich Jugendarbeit zufliessen, der mit Beginn dieser Spielzeit nochmals ausgebaut wurde. Zum anderen sollen die Mittel den drei Organisationen zukommen, die das Opernhaus Zürich zur Förderung der nachwachsenden Generation von Sängern, Musikern und Tänzern geschaffen hat: Das Internationale Opernstudio, die Orchester-Akademie und das Junior Ballett. Diese drei Institutionen sollen hier kurz vorgestellt werden.
> Das Internationale Opernstudio Die älteste der drei Ausbildungsstätten für den künstlerischen Nachwuchs am Zürcher Opernhaus ist das Internationale Opernstudio. Bereits 1960 verlangte Herbert Graf im Zusammenhang mit seiner Forderung nach einem zeitgemässen Musiktheater den «Aufbau neuer Opernkräfte», was er unter anderem mit einem neu zu gründenden Opernstudio erreichen wollte. Bereits ein Jahr später konnte die Idee unter dem Patronat der Freunde der Zürcher Oper verwirklicht werden. Seither bekommen jedes Jahr junge Sängerinnen und Sänger aus allen Kontinenten (bisher aus über 40 Ländern) die Gelegenheit, Bühnenluft zu «schnuppern» und unter kompetenter Anleitung ihre ersten professionellen Sporen zu verdienen. Für viele von ihnen war und ist das Opernstudio der Ausgangspunkt einer erfolgreichen internationalen Karriere. Umgekehrt lieferte die Talentschmiede dem Ensemble des Opernhauses Zürich immer wieder die von Herbert Graf geforderten, hervorragenden «neuen Opernkräfte». Jährlich melden sich bis zu 600 Bewerber mit abgeschlossener Gesangsausbildung, von denen jeweils 300 Kandidatinnen und Kandidaten zu einem Vorsingen in Dresden, London, Boston, New York oder Zürich eingeladen werden. Die besten 20 werden schliesslich für eine Saison (in Ausnahmefällen wird eine zweite Saison angehängt) ausgewählt. Um die jungen Talente möglichst breit auf die heutige Musiktheaterpraxis vorzubereiten, umfasst das Ausbildungsprogramm musikalisches und szenisches Rollenstudium, Gesangstechnik, Sprechtechnik, dramatischen Unterricht, Improvisation, Körpertraining wie Ballett, Tango, Alexander-Technik und Pilates sowie Deutschunterricht. Zusätzlich bietet das Opernstudio Meisterkurse und Workshops mit Solisten wie Thomas Hampson, Francisco Araiza und Cornelia Kallisch sowie Regisseuren wie Peter Konwitschny an und organisiert Vorsingen für die wichtigsten Agenturen des deutschsprachigen Raumes. Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Opernhaus Zürich erhalten die Sängerinnen und Sänger die Möglichkeit, kleinere und manchmal auch grössere Partien in Produktionen des Opernhauses zu übernehmen. Und die drei Kinderopern der jüngsten Zeit – «die zauberflöte für Nachwuchsförderung
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Oben: Angela Kerrison, Thilo Dahlmann, Rahel Lichdi und Andrew Ashwin in «Die Bettleroper» von Benjamin Britten/John Gay, 2007 Unten: Davide Fersini und Michael Kelly in «La Didone» von Pietro Francesco Cavalli, 2008
kinder», «Das Kinderfüchslein» sowie «Wagners Nibelungenring für Kinder» – konnten beinahe vollständig mit Mitgliedern aus dem Opernstudio besetzt werden. Jedes Jahr erarbeiten die jungen Künstlerinnen und Künstler zudem eine eigene Opernproduktion, die auf der Studiobühne des Opernhauses und auch im Rahmen von Gastspielen gezeigt wird. Diese Produktionen haben das Ziel, den Studenten zu ermöglichen, eine Rolle über den ganzen Abend zu entwickeln. Die hier gezeigten Werke, die meist auf Deutsch gesungen werden, die jungen Stimmen nicht überfordern sollten und möglichst viele Rollen aufweisen, sind oft Raritäten. Zu diesen Stücken gehörten in den letzten Jahren Benjamin Brittens «Albert Herring» (2002/03), Gioachino Rossinis «La pietra del paragone» (2003/04), Gian Carlo Menottis «Der Konsul» (2004/05), Francis Poulencs «Les mamelles de Tiresias» und Bohuslaw Martinu˚s «Die Heirat» (2005/06), John Gays/Benjamin Brittens «Die Bettleroper» (2006/07), Pietro Francesco Cavallis «La Didone» (2007/08) sowie Oscar Straus’ «Die lustigen Nibelungen» (2008/09). Daneben veranstaltet das Opernstudio eine Reihe von Konzerten, halbszenischen Aufführungen und Liederabenden. Der Höhepunkt eines intensiven Studienjahres ist jeweils ein Schlusskonzert mit Orchester auf der grossen Bühne. In den 48 Jahren seines Bestehens hat sich das Zürcher Opernstudio zu einem der führenden Ausbildungsorte entwickelt. Davon ist auch der Sänger Francisco Araiza überzeugt: «Die Opernstudios, die Opernschulen und die wichtigen Internationalen Wettbewerbe haben heutzutage eine ganz besondere Stellung im Musiktheaterleben. Sie sind zum unverzichtbaren Reservoir von hochqualifizierten jungen Sängern geworden, denn ihre Mitglieder und Teilnehmer gehören zu den Besten ihrer Generation. In dieser Riege nimmt das Internationale Opernstudio am Opernhaus Zürich eine absolut führende Position ein und gilt dank der Aus- und Weiterbildungsprogramme und der dort beschäftigten Persönlichkeiten sowie der grossen Zahl von Sängerinnen und Sängern, die direkt im Anschluss an ihre Ausbildung beim Opernstudio ein Engagement erhalten, als Trendsetter, Modell und exemplarische Institution.»
> Die Orchester-Akademie Die Orchester-Akademie am Opernhaus Zürich wurde in der Spielzeit 1997/1998 ins Leben gerufen und gehört damit weltweit zu den ältesten Einrichtungen dieser Art. Die Initiative kam aus den Reihen der Orchestermusiker und stiess beim damaligen Chefdirigenten Franz Welser-Möst sowie bei Intendant Alexander Pereira sofort auf offene Ohren. Die Akademie bietet herausragenden jungen Musikerinnen und Musikern aus der ganzen Welt die Möglichkeit, nach ihrem abgeschlossenen Studium an einer Musikhochschule während zwei Jahren Einblick in die Praxis eines professionellen Betriebs zu gewinnen. Neben einer aktiven Teilnahme an Proben und Vorstellungen des Orchesters der Oper Zürich haben die Mitglieder der Orchester-Akademie zudem die Möglichkeit, sich im Einzelunterricht bei Solisten des Orchesters der Oper Zürich weiterzubilden. Aktuell verfügt die Akademie über fünfzehn Plätze. Und diese Plätze sind äusserst begehrt: Bei den Streichern gehen rund zwanzig bis fünfundzwanzig Bewerbungen pro Stelle ein, bei einer Flöten- oder Klarinettenakademiestelle sind es sogar sechzig bis siebzig Bewerbungen. Ein Probespiel entscheidet jeweils über die Aufnahme in die Akademie. Nachwuchsförderung
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Die Bilanz der nun seit zwölf Jahren existierenden Akademie kann sich sehen lassen: Heiner Madl, Orchesterdirektor seit 2005, bestätigt, dass rund 90% der jungen Musikerinnen und Musiker nach ihrer Studienzeit in der Akademie eine feste Stelle erhalten. Viele der ehemaligen Stipendiaten haben es dabei in sehr gute Orchester geschafft. Besonders positiv zu vermerken ist, dass bereits acht Akademisten ins Zürcher Opernorchester aufgenommen werden konnten. Der Ausbildungsort bietet Plätze für Streicher, Holzbläser, Blechbläser, Klavier und Schlagzeug an. Auf die Harfe wird verzichtet, da die Aufgaben dieses Instruments von Natur aus sehr solistisch sind und man hier gemäss Heiner Madl einem jungen Studenten möglicherweise zuviel zumuten müsste. Oberstes Gebot der Akademie ist denn auch, ihre Musiker nicht zu «verheizen». Gewährleistet wird dies unter anderem dadurch, dass die Akademisten nur in Stücke eingeteilt werden, die für sie machbar sind, und von ihren Mentoren jeweils perfekt vorbereitet zum Dienst erscheinen – die Nachwuchsmusiker verkommen auf diese Weise nicht zu billigen Arbeitskräften. Eine der Dozentinnen, die die begabten Musikerinnen und Musiker auf ihrem künstlerischen Weg begleiten, ist die Konzertmeisterin Ada Pesch. Wenn die Instrumentalisten zu ihr in die Akademie kommen, haben sie bereits eine erstklassige Ausbildung genossen und beherrschen ihr Instrument auf höchstem Niveau. «Ich werde ihnen nicht mehr beibringen müssen, wie man beispielsweise ein spiccato spielt. Und die grossen Violinkonzerte von Brahms oder Tschaikowski können sie sowieso besser als ich», sagt Ada Pesch im Gespräch. Es gehe in erster Linie darum, weiterzugeben, wie man sich in ein Orchesterensemble einfügt, wie man sich auf Probespiele vorbereitet und wie man dann die einjährige, harte Probezeit im Orchester übersteht. Auch die bei Probespielen verlangten Orchesterstellen, also besonders schwierige Passagen aus wichtigen Werken der Orchesterliteratur, müssen trainiert werden. Dass an den Musikhochschulen und Konservatorien das Unterrichten dieser Orchesterstellen relativ selten zum Zuge kommt, ist für Ada Pesch verständlich: «Es dauert so lange, bis man ein Instrument überhaupt erlernt hat. Es ist einfach nicht genug Zeit für alles.» Diese Stellen müssen später perfekt vorgetragen werden, denn die Orchestermitglieder werden bei einem Probespiel auf jede noch so kleine Note, jedes Crescendo und jedes Pianissimo achten. Dass die Akademie umgekehrt auch für die Orchestermitglieder eine Bereicherung bedeutet, davon ist Ada Pesch überzeugt: «Die jungen Leute bringen frischen Wind ins Orchester, und durch das Unterrichten habe auch ich viel gelernt. Zudem bekomme ich einen Eindruck, wie das momentane Niveau bei der Ausbildung ist. Wenn wir Probespiele haben, weiss ich, was wir verlangen können.» Den Sprung von der Akademie ins Orchester der Oper Zürich hat Philipp Mahrenholz geschafft. Seit 2006 ist er Solo-Oboist im Zürcher Opernorchester. Für die Orchesterakademie meldete er sich nach seinen Studien an der Hochschule für Musik in Karlsruhe und dem Conservatoire National Supérieur de Musique in Paris an. Eine feste Stelle in einem Orchester, das seinen Wünschen entsprach, wäre zu diesem Zeitpunkt noch verfrüht gewesen, und ein Probejahr hätte mit Sicherheit Schwierigkeiten mit sich gebracht, davon ist Mahrenholz überzeugt. Besonders wertvoll in seiner Zeit als Stipendiat war für den Oboisten, dass ihm von Seiten des Orchesters das Vertrauen entgegengebracht wurde, nicht nur zweite, sondern auch erste Oboe spielen zu dürfen – eine Erfahrung, die für
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einen Bläser äusserst wichtig sei. Als zwei Jahre später eine Stelle im Orchester der Oper Zürich frei wurde, bewarb sich Mahrenholz. Wie jeder andere Akademist auch hatte er das Anrecht, am Probespiel, das in der ersten Runde hinter einem Vorhang stattfindet, teilzunehmen. Hier vor den Kollegen bestehen zu müssen, sei schrecklich gewesen. «Wenn man zwei Jahre in der Akademie gespielt hat, hat man zu den Kollegen eine grosse Nähe aufgebaut und kennt die musikalischen und instrumentalen Stärken eines jeden. Genauso verhält es sich aber auch mit den Schwächen. In einer Probespiel-Situation muss man sich nun allein auf das Positive konzentrieren, denn die Schwächen kennen die Kollegen sowieso.» Und das war sehr schwierig. Dass er in einer solchen Situation bestehen konnte, verdankt Mahrenholz auch den Vorbereitungen in der Akademie, insbesondere den Workshops, in denen die mentalen Fähigkeiten trainiert wurden. Nach seinem geglückten Vorspiel musste sich Mahrenholz bei seinen Kollegen jedoch erst einmal beweisen. Obwohl die Akzeptanz im Orchester immer gross gewesen war, fiel der Übergang vom Studenten- zum Profistatus beiden Seiten nicht immer leicht. Mahrenholz brauchte Zeit, um sich in der neuen Rolle zurechtzufinden. Mittlerweile unterrichtet er selber Akademisten. Auf die Frage, was er ihnen weitergeben kann, antwortet er: «Beim Spielen im Orchester geht es hauptsächlich um Reaktionsschnelligkeit, es geht darum, überall Antennen zu haben; das ist etwas, was man am Anfang am wenigsten kann. Zudem ist man von der Vielzahl der Faktoren – mit seiner Gruppe zusammen sein zu müssen, auf den Dirigenten zu achten, auf die Sänger zu hören und sich dabei auch noch auf sein eigenes Spiel zu konzentrieren – häufig überfordert. In einem Opernorchester sind diese Einflüsse im Vergleich zu einem Sinfonieorchester noch um einiges grösser. Als Mentor muss man die Studierenden bei diesem Prozess begleiten.» Auch die spezifischen Klangvorstellungen des Zürcher Opern-Orchesters und die Art, wie das Orchester musiziert, will Mahrenholz den Akademisten nahebringen. Ein wichtiger Aspekt ist zudem die Dynamik: «Gerade in einem kleinen Haus, wie es das Zürcher Opernhaus ist, muss man sehr leise spielen können. Für uns Oboisten bedeutet dies auch, die entsprechenden Rohrblätter bauen zu können, also Rohre, die besonders leise sind, aber dennoch gut klingen und gut zu spielen sind. Diese Erfahrung zu vermitteln, ist etwas sehr Zentrales.»
> Das Junior Ballett Die dritte am Opernhaus Zürich existierende Form der praktischen Nachwuchsschulung ist das Junior Ballett, das eng mit dem Namen Heinz Spoerli verbunden ist. Ballettdirektor Heinz Spoerli war sich früh bewusst, dass eine wichtige Aufgabe für eine SpitzenCompagnie die Förderung des Nachwuchses ist. Denn immer wieder hat das öffentliche Vortanzen gezeigt, dass das erreichte Niveau nur durch Neuverpflichtungen allein nicht gehalten werden kann. Seit 1996, dem Beginn seines Engagements am Opernhaus Zürich, hat sich Heinz Spoerli um eine nachhaltige Nachwuchsförderung bemüht – anfänglich als künstlerischer Leiter der Schweizerischen Ballettberufschule, bis diese der Hochschule für Musik und Theater Zürich angegliedert wurde. Die Schüler und Schülerinnen wurden in laufende Produktionen integriert – eine Entwicklung, die zunächst zu einer institutionalisierten Zwischenstufe führte und schliesslich 2001 in der Gründung des «Junior Balletts»
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Oben: «siebeneinhalb», Junior Ballett, 2008 Unten: «Patently Unclear», Junior Ballett, 2009
gipfelte. Ziel der Akademie ist es, die Juniormitglieder in der Übergangszeit zwischen abgeschlossener Ausbildung und Eintritt ins Berufsleben zu begleiten, indem sie mit der Ballettcompagnie trainieren, sich in ihr zu behaupten lernen und in den Choreografien des Repertoires tanzen. Neben dem Balletttraining, das gemeinsam mit der Compagnie absolviert wird, haben sie – wie im Internationalen Opernstudio und in der Orchester-Akademie auch – die Möglichkeit, in Vorstellungen des Zürcher Balletts mitzuwirken und dadurch wertvolle Bühnenerfahrungen zu sammeln. Durch speziell für das Junior Ballett entwickelte Choreografien Heinz Spoerlis kann die Nachwuchscompagnie zudem ihre eigenen Vorstellungen auf der grossen Bühne des Opernhauses zeigen. In der choreografisch-tänzerischen Arbeit mit den Junioren sieht Spoerli ein grosses Entwicklungspotential, zumal es ihn auf die enormen Wandlungen im Tanz aktuell reagieren lässt. Die dadurch gewonnenen Erfahrungen werden durch die zahlreichen Tourneen des Junior Balletts noch verstärkt. Mittlerweile sind einige Mitglieder des Junior Balletts ins Zürcher Ballett übernommen worden. Andere fanden sehr schnell ein Engagement bei renommierten Ballettcompagnien. Von Beginn an wurden die Leistungen der Junioren sowohl vom Publikum als auch von der internationalen Presse gelobt. So schrieb die Basler Zeitung: «Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Die Nachwuchstruppe ‹Zürich Juniors› von Heinz Spoerlis Zürcher Ballett hat sich nach kaum einem Jahr bereits einige Tugenden der Stamm-Compagnie angeeignet. Die Grundlinie entspricht dem modern-klassischen Idiom. Die jungen Damen sind schnell und biegsam auf der Spitze, die Herren diszipliniert und sprungfreudig.» Und die Kasseler Nachrichten berichteten enthusiastisch: «Die ‹Zürcher Juniors› scheinen die Unendlichkeit zu berühren – und sind doch beinahe noch Debütanten. Dass die Oper der grössten Schweizer Stadt zu den führenden des Kontinents zählt, belegen schon die dort versammelte Sängerelite und die TV-Übertragungen. Verpflichtung genug, sich auch die besten Nachwuchsleute frühzeitig zu sichern durch Opernstudio und Orchester-Akademie. Nun haben die Zürcher mit Heinz Spoerli eine europäische Instanz zum Ballettchef. Der schaffte es leicht, das Junior Ballett als dritte Einrichtung der praktischen Nachwuchsschulung zu etablieren. So erfolgreich, dass man mit 15 jungen Leuten, die nicht länger als zwei Jahre dieser Truppe angehören sollen, Tourneen veranstaltet und Idee und Leistung propagiert.»
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Ein vielfältiges Angebot für Kinder und Jugendliche Wie kann man junge Leute für die Oper begeistern und ihnen die Schwellenangst nehmen? Wie kann man die Institution Oper und deren Produktionen möglichst weiten Kreisen der Bevölkerung zugänglich machen? Zu diesem Zweck hat das Opernhaus Zürich seit einigen Jahren diverse Angebote für Kinder und Jugendliche entwickelt. So soll das Genre besser in der Gesellschaft verankert, einer Überalterung des Publikums in den Opernhäusern entgegengewirkt und Nachwuchsförderung betrieben werden. Denn die Kinder und Jugendlichen von heute sind das Publikum und die Künstler von morgen. Das Gesamtkunstwerk Oper ist die vielseitigste Kunstgattung und bietet gerade Kindern und Jugendlichen unterschiedlichste Zugänge über visuelle, auditive und emotionale Kanäle. Es ist damit für Heranwachsende besonders attraktiv. Das Angebot des Opernhauses Zürich für Kinder und Jugendliche stösst auf breite Akzeptanz, erfreut sich grosser Beliebtheit und ist inzwischen institutionell gut verankert. Das Interesse an der Oper nimmt bei Jugendlichen generell wieder zu. Vorurteile gegenüber dieser vermeintlich elitären Kunstgattung konnten abgebaut werden. So werden die Jugendlichen im Projekt «Wie entsteht eine Oper?» in mehreren Stufen in den Entstehungsprozess einer Aufführung eingebunden. Durch die Begegnung mit Künstlerinnen und Künstlern können sie eine persönliche Beziehung zum Haus aufbauen und werden längerfristig ans Haus gebunden. Besonders erfolgreich sind Projekte, die die Jugendlichen miteinbeziehen – Projekte, bei denen sie selber mitmachen, mitreden und mitgestalten können. Durch die Schaffung der neuen Stelle eines Jugendbeauftragten am Opernhaus seit Beginn dieser Spielzeit sollen diese Angebote in der Öffentlichkeit noch besser bekannt gemacht, die verschiedenen Projekte koordiniert und die Angebotspalette vertieft und erweitert werden. Schon Aristoteles war überzeugt, dass die Beschäftigung mit dem Schönen – gemeint sind bildende Kunst und Musik – das Gute im Menschen fördert. Bei Sokrates klingt das so: «Die Erziehung durch die Musik ist darum das Vorzüglichste, weil Rhythmus und Harmonie am tiefsten in das Innere der Seele dringen, ihr Anmut und Anstand verleihen.» Zeitgemässer könnte man formulieren: Musik stärkt die Sinne und den Geist. Die intensive Auseinandersetzung mit Theater, insbesondere Musiktheater, fördert den Reifungsprozess der Persönlichkeit. Intensive Musikerziehung wirkt sich positiv auf die Konzentrationsfähigkeit und das soziale Verhalten von Kindern aus. Über gemeinsame Projekte wird das Gemeinschaftsgefühl der Schülerinnen und Schüler innerhalb einer Klasse gefördert. In den Workshops, die die Kinder und Jugendlichen aktiv einbeziehen, werden kognitive, kreative, sprachliche und emotionale Fähigkeiten geweckt und gefördert. Die Projekte sind auf die verschiedenen Altersstufen abgestimmt. Dadurch werden Identifikationsmöglichkeiten sowie die Beschäftigung mit verschiedenen Lebensentwürfen und unterschiedlichen Charakteren ermöglicht. Die Jugendlichen werden zum Nachdenken angeregt und in ihrer Entwicklung unterstützt. Gleichzeitig sollen die Angebote die Kinder und Jugendlichen dazu animieren, selber aktiv zu werden, die Oper zu entdecken und vielKinder- und Jugendarbeit
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leicht sogar ein künstlerisches Hobby bzw. einen Beruf im kulturellen Bereich zu wählen. Durch persönliche Begegnungen mit Musikern und künstlerisch tätigen Menschen können sich die Jugendlichen an Vorbildern orientieren und werden zu Eigenaktivität motiviert. Je früher man Kindern Erlebnisse auf kulturellem Gebiet ermöglicht, desto mehr werden sie später in der Lage sein, sich weiter zu bilden und am kulturellen Leben teilzunehmen. Laut einer Studie aus dem Jahre 2006 (durchgeführt vom Bonner Zentrum für Kulturforschung) sind junge Leute, die bereits im Alter von unter sechs Jahren mit Kulturangeboten in Kontakt kamen, später deutlich stärker an Kultur interessiert als der Durchschnitt – besonders, wenn ihnen eine aktive Beteiligung ermöglicht wurde. Bemerkenswert ist zudem die grössere Offenheit solcher Menschen gegenüber fremden Kulturkreisen. Junge Leute mit Kulturinteresse engagieren sich mehr für den Dialog mit fremden Kulturen. Künstlerische Angebote haben integrativen Charakter und fördern das Miteinander junger Leute in einer kulturell vielfältigen Gesellschaft. Im Opernhaus mit seinem internationalen Charakter können die Jugendlichen den Umgang mit kultureller Vielfalt eindrücklich erleben.
> Die vier Säulen der Kinder- und Jugendarbeit Die Kinder- und Jugendarbeit ruht auf vier Säulen, die im Folgenden näher beschrieben werden sollen. Zugrunde liegt ein ganzheitliches Konzept, das sowohl theoretische als auch praktisch-spielerische und damit kognitive ebenso wie emotionale Zugänge zur Oper ermöglicht. Als ersten Grundpfeiler könnte man die Kinderopern bezeichnen. Dieses Angebot besteht schon am längsten. Ein Repertoire von Opern, die jüngere Kinder ansprechen und auf eine dem jungen Publikum angemessene Länge umgearbeitet wurden, ermöglicht häufig die erste Begegnung mit dem Genre. Diese Stücke entfalten eine grosse Breitenwirkung, da sie ein vergnügliches Erlebnis für die ganze Familie bieten. Die «zauberflöte für kinder» nach Wolfgang Amadeus Mozart, bearbeitet von Alexander Krampe, wurde beispielsweise seit der Erstaufführung in Zürich im November 2003 im Opernhaus sowie auf Gastspielen von über 70’000 Kindern besucht. Sie wurde auch in Heimen und Institutionen für behinderte Kinder sowie in Kinderspitälern aufgeführt und diente dort teilweise als Ausgangspunkt für die anschliessende musiktherapeutische Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen. Hierbei wird das gesundheitsfördernde Potential wirkungsvoll eingesetzt. Weitere eigens für Kinder erarbeitete Fassungen von bekannten Werken grosser Komponisten sind das «Kinderfüchslein» nach Leosˇ Janácˇek, bearbeitet von Alexander Krampe (Musik) und Ronny Dietrich (deutsche Textfassung), und «Wagners Nibelungenring für Kinder», der im Opernhaus Zürich erstmals in der Spielzeit 2008/2009 aufgeführt wurde. Beide Aufführungen werden begeistert aufgenommen. Dabei ist der «Kinderring», der das junge Publikum in geheimnisvolle Welten mit Fantasiewesen und magischen Kräften entführt und sie mit klassischer Musik verzaubert, keine blosse Reduktion von Wagners Original. Die Bearbeiter Hirofumi Misawa und Matthias von Stegmann haben es vielmehr verstanden, die jungen Zuschauer auf heitere, leichte und spielerische Art mit den Figuren des «Rings» und mit Wagners Musik vertraut zu machen; heldenhafte Szenen werden geschickt mit komischen Situationen verbunden. Genannt seien ausserdem die Oper «Im
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«opera viva» – Mitspieltheater für Kinder Ana Maria Labin und Hélène Couture in «Das Kinderfüchslein» nach Leosˇ Janácˇek, 2006
Schatten des Maulbeerbaumes» von Edward Rushton – ein Stück für Kinder und Erwachsene, das in der Saison 2007/2008 in Zürich uraufgeführt wurde – sowie die Kinderoper «Wo die wilden Kerle wohnen» von Oliver Knussen. Als zweite Säule werden Projekte angeboten, die das handlungsorientierte Erlebnis mit Opern in den Vordergrund stellen und deswegen eine besonders nachhaltige Wirkung haben. Mit «opera viva» hat das Opernhaus Zürich seit 2004 ein sehr beliebtes Angebot im Programm, das zu günstigen Preisen gebucht werden kann und allen zugänglich ist. Die stets ausverkauften Vorstellungen sprechen für die Attraktivität dieser Reihe. Unter Anleitung einer Regisseurin sowie unter Mitwirkung von Musikern, Sängern des Opernhauses und Schauspielern spielen die 7- bis 14-jährigen in entsprechenden Kostümen die Opern nach, die – meist zeitgleich – auf der Hauptbühne den Erwachsenen gezeigt werden. Dadurch lernen sie die Werke auf aktive Weise kennen und können sich mit ihren Eltern über die jeweilige Oper austauschen. Inzwischen verfügt «opera viva» über ein umfangreiches Repertoire, das jedes Jahr um sieben bis acht Opern erweitert wird. Das Schulprojekt «Wie entsteht eine Oper?» bildet die dritte Säule und ist für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 20 Jahren konzipiert. Es beschäftigt sich mit Oper als Kunstform, macht die Gymnasiasten, Berufs- und Sekundarschüler von Stadt und Kanton mit der Institution Operhaus vertraut und lässt sie das Entstehen von Produktionen hautnah miterleben. Dadurch lernen die Jugendlichen, die sich an der Schwelle zum Berufsleben befinden, die Oper auch als Berufs- und Lebensfeld kennen. Der Dramaturg Stefan Rissi hat begleitend dazu die Publikation «Was ist Oper?» verfasst. Dieses ansprechend gestaltete kleine Buch für Jugendliche und junge Erwachsene gibt eine Einführung in die Welt des Musiktheaters und ermöglicht einen Blick hinter die Kulissen des Opernhauses Zürich. Das Schulprojekt ermöglicht einen Einblick in den Alltag des Hauses mit seinen vielfältigen Facetten. Es umfasst vier Teile und bereitet die Schülerinnen und Schüler so optimal auf den Besuch einer Opernvorstellung vor. Zuerst findet eine Führung durch die Räumlichkeiten des Opernhauses Zürich und seine Werkstätten statt. Bei ihrem zweiten Besuch erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Einführung ins entsprechende Werk mit einer Zusammenfassung der Handlung, Angaben zum Hintergrund des Werkes, zur Konzeption der Inszenierung und des Bühnenbildes. Daran schliesst sich der Besuch einer szenischen Probe an. In der Probenpause besteht die Möglichkeit, mit dem Regisseur bzw. mit Sängerinnen und Sängern ein kurzes Gespräch zu führen und Fragen zu stellen. Beim dritten Treffen erleben die Klassen eine musikalische Probe und werden in die Musik eingeführt; auch hier besteht die Möglichkeit eines kurzen Gesprächs mit den Musikern und manchmal auch mit dem Dirigenten. Den Höhepunkt des Projekts bildet schliesslich der Besuch der Abendvorstellung der Oper, deren Erarbeitung die Jugendlichen ein Stück weit aus nächster Nähe mitverfolgen konnten. Die Lehrerinnen und Lehrer werden bei der Vor- und Nachbereitung durch den Jugendbeauftragten unterstützt, der auf Wunsch in die jeweilige Schule kommt und die Jugendlichen mit Tonbeispielen, Bildern und anhand von Ausschnitten aus dem Libretto auf die Oper vorbereitet. In Zukunft soll neben der Broschüre «Was ist Oper» weiteres didaktisches Material zu einzelnen Opern zwecks Vor- oder Nachbereitung des Opernbesuchs zur Verfügung gestellt werden.
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Kinder- und Jugendarbeit
Die jüngste Säule bilden Schulhausprojekte, die für ausgewählte Werke aus dem Spielplan des Opernhauses entwickelt werden. Sie finden in diesem Jahr zum ersten Mal statt. Unter dem Titel «Die Oper geht zur Schule» werden verschiedenartige, jeweils auf die Bedürfnisse der Lehrerinnen und Lehrer zugeschnittene Projekte zusammengefasst. Im Mitspiel-Workshop im Klassenzimmer, der sich aus der Idee von «opera viva» heraus entwickelt hat, werden Jugendliche zwischen 10 und 16 Jahren in einer Doppellektion auf die Opernvorstellung vorbereitet. Mit der Klasse können einzelne Szenen gemeinsam geprobt und evtl. gesungen oder musiziert werden. Die Kinder- und Jugendarbeit am Opernhaus mit ihren vier Säulen versucht, dem Anspruch sozialer Gerechtigkeit zu entsprechen. In Zusammenarbeit mit den Schulbehörden wird sichergestellt, dass Schülerinnen und Schüler sämtlicher Schultypen aus allen geografischen Regionen des Einzugsgebietes Zugang zu den Projekten erhalten. Die enorme Resonanz der Jugendarbeit spiegelt sich nicht zuletzt in jährlich über 1’100 Probenbesuchern, über 3’000 jugendlichen Teilnehmern an Haus- und Werkstattführungen, über 7’700 jungen Besuchern und Besucherinnen in den Kinderopern und über 800 Besucherinnen und Besuchern in den sieben bis acht verschiedenen Mitspielopern, die alljährlich in der Reihe «opera viva» stattfinden. Allein durch das aufwendige, vierstufige Projekt «Wie entsteht eine Oper?» treten jährlich mehrere hundert Jugendliche in intensiven Kontakt mit dem Opernhaus. Unabhängig von den bisher beschriebenen Projekten findet musikalische Jugendförderung im Kinderchor der Oper Zürich statt, der 1985 für Jean-Pierre Ponnelles Neuproduktion von Bizets «Carmen» gegründet wurde und schon kurze Zeit später mit dieser erfolgreichen Inszenierung in Dresden und Athen gastierte. Ungefähr 50 Kinder zwischen 8 und 13 Jahren wirken regelmässig in diesem Ensemble mit. Einzelne von ihnen übernehmen in einigen Opern sogar kleinere Solopartien. Ausserhalb des Opernhauses ist der Kinderchor in den letzten Jahren unter der Leitung von Jürg Hämmerli und Ernst Raffelsberger immer wieder mit eigenen Kirchenkonzerten aufgetreten. Darüber hinaus sang der Kinderchor in «Anna Jenatsch» von Martin Derungs, in Berlioz’ «Te Deum» in der Zürcher Tonhalle sowie im Rahmen eines Konzertes von Céline Dion im Letzigrundstadion. Bei der sozial ungefilterten, zu grossen Teilen opernfernen Zielgruppe der Jugendlichen wird durch die Jugendarbeit des Opernhauses Zürich Kreativität, Interesse an Kunst, Teamgeist, Neugier und Sinn für künstlerische Qualität gefördert; Lebens- und Berufsperspektiven werden aufgezeigt und Horizonte ihrer Verwirklichung eröffnet. Einem breiten Publikum wird ohne Barrieren der Zugang zu einer der faszinierendsten Kunstformen unserer Zeit geboten. Das Opernhaus nimmt damit Bildungs- und Kulturaufgaben wahr, die in Familie und Schule zunehmend in den Hintergrund geraten. Die Kinder- und Jugendprojekte werden laufend weiterentwickelt. Kritik, Anregungen und innovative Ideen sind jederzeit willkommen.
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Alexander Pereira im Gespräch Das Opernhaus Zürich wurde 1834 als «Actientheater» gegründet und ist bis heute als Aktiengesellschaft organisiert, was man als Zeichen für die ungebrochene Tradition bürgerschaftlichen Engagements auffassen kann. 1998 und 1999 fand zum letzten Mal eine Neuemission von Aktien statt. Welche Erfahrungen haben Sie mit der Zürich-spezifischen Betriebsform der AG und dem von der AG eingesetzten Verwaltungsrat gemacht? Im Vergleich zu einem kameralistisch geführten Staatstheater hat der Intendant bei einer AG viel mehr Freiheiten. Natürlich muss ich bestrebt sein, mein Budget einzuhalten. Aber wenn ich mehr einnehme als erwartet, kann ich damit wirtschaften. Der Verwaltungsrat hat sich im übrigen nie in künstlerische Dinge eingemischt und immer versucht, meine Vorhaben zu ermöglichen. Bei einem Staatstheater kann einem die Überziehung eines Budgetansatzes um 100’000 Euro zum Vorwurf gemacht werden, selbst wenn das Haus gleichzeitig 1 Million Euro Mehreinnahmen erwirtschaftet hat. Die Mehreinnahmen steckt der Finanzminister ein und redet nicht mehr davon, während die Nichteinhaltung des vorgegebenen Einzelbudgets beanstandet wird. Hier in Zürich haben wir dagegen ein Modell, bei dem wir investieren können und dadurch auf der anderen Seite auch mehr hereinholen können. Das war der Grundgedanke, als ich das Haus übernommen habe. Es steckte damals in den roten Zahlen. Die Frage war: kann man den Verlust, der damals schon ungefähr zweieinhalb Millionen Franken ausgemacht hat, durch Einsparungen wieder ausgleichen? Diese Möglichkeit habe ich nicht gesehen. Statt dessen sah ich die Notwendigkeit, durch Investitionen die Attraktivität zu steigern und dadurch mehr Zuschauer anzusprechen. Mehr Qualität schafft die Bereitschaft, auch mehr zu bezahlen. Eine andere Stärke des Modells Aktiengesellschaft liegt darin, dass die Aktienbesitzer sich mit dem Haus identifizieren können. Wann immer die Notwendigkeit einer Kapitalerhöhung besteht, können durch Aktienemission neue Mittel aufgebracht werden. Das ist besonders wichtig bei den Bauprojekten der letzten Jahre, die wir durch die Zeichnung neuer Aktien jeweils zu einem Drittel finanzieren konnten. Wo gibt es das sonst? Durch die Identifikation der Bürger mit ihrem Theater ist die Organisationsform der Aktiengesellschaft auch gegenüber der Rechtsform der GmbH im Vorteil. Als Aktienbesitzer habe ich ein anderes Verhältnis zur Institution. Es ist, als ob ich ein Stück davon besitze – auch wenn ich nicht mit einer Dividende rechnen kann, sieht man von gelegentlichen Vergünstigungen bei den Karten ab. Dadurch entsteht ein Gefühl der Verantwortung.
Seit 1991 gibt es die Probebühne Escher-Wyss, die demnächst durch Grundstückstausch in die neu entstehenden Escherterrassen integriert und noch besser ausgestattet werden soll. Seit 2001 gibt es die Lagerräume für Dekorationen und Kostüme in Kügeliloo. 2007 konnte die Situation des Werkstättengebäudes in der Seerosenstrasse durch den angrenzenden Neubau in der Kreuzstrasse, in dem jetzt neben vergrösserten Räumen für die Werkstätten auch das IOS, die Personalabteilung und die Dramaturgie untergebracht sind, verbessert werden. Zudem wurde ein neuer Orchesterprobenraum am Kreuzplatz angemietet. Welche Bedeutung hat dieser Ausbau der räumlichen Gegebenheiten?
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Alexander Pereira im Gespräch
Die Einrichtung der beiden grossen Proberäume am Escher-Wyss war unabdingbar. Sonst könnten wir nicht bis zu 17 Premieren pro Spielzeit herausbringen. Die andere Voraussetzung ist natürlich die Anzahl der Orchesterdienste. Uns stehen im Rahmen des Tarifvertrages pro Saison ca. 570 Orchesterdienste für Proben und Aufführungen zur Verfügung; damit muss ich planen. Aber ohne unsere vier Probebühnen (hinzu kommen das Studiotheater und die kleine Probebühne im Anbau am Utoquai) wäre es nicht möglich, den Betrieb so zu führen. Was wir geschaffen haben, ist lebenswichtige Infrastruktur. Die Schaffung des neuen Orchesterproberaums war mit entscheidend für die Qualitätssteigerung des Orchesters und die Vertiefung der Spielkultur. Was die Probebühnen bertrifft, ist es für viele Regisseure angenehmer, auf einer gut ausgestatteten Probebühne zu proben, als mit eingeschränkten Probenzeiten auf der Bühne. Dadurch gewinnen wir Bühnenprobenzeit für Wiederaufnahmen.
Der Kampf ums Budget, auch das ein Schweizer Spezifikum, muss immer wieder auf breiter Basis geführt werden – nämlich dann, wenn eine Subventionsvorlage der öffentlichen Hand den Stimmbürgern in Form eines Referendums zur Entscheidung vorgelegt wird. «Zürich ist nicht der Ort, an dem Theater-, Musik- und Opernkunst des Einverständnisses seiner Bürger sicher sein könnte.» Diesen Satz hat Ihr Vorvorgänger Claus Helmut Drese noch 1991 im Rückblick auf seine Direktionszeit am Opernhaus Zürich gesagt. Andererseits waren es theaterbegeisterte Bürger, die vor 175 Jahren die Theater-AG ins Leben riefen. 1994 wurde nach einer Volksbefragung beschlossen, dass nicht mehr die Stadt, sondern der Kanton Zürich Subventionsgeber ist. Was hat das dem Opernhaus gebracht? Zürich hat zugelassen, dass eines der führenden Opernhäuser der Welt heute hier steht. Der Subventionsvertrag in seiner jetzigen Form sieht Planungsperioden von jeweils sechs Jahren vor. Wird er nicht drei Jahre im voraus gekündigt, verlängert er sich automatisch. Da dies im letzten Juni nicht geschehen ist, gilt er jetzt bis 2018. Damit hat das Opernhaus mehr staatlich garantierte Sicherheit als die Theater an vielen anderen Orten, wo ständig über Budgetkürzungen gestritten wird. Die Kantonalisierung war von einer überwältigenden Mehrheit getragen. Nun kann man sagen, dass die Stimmbürger innerhalb der Stadt Zürich mit «Ja» gestimmt haben, um die finanzielle Belastung des städtischen Budgets durch das Opernhaus loszuwerden. Aber auch die Bevölkerung des Kantons ausserhalb der Stadtgrenzen hat mit 69.7 % zugestimmt. Das ist eine bewundernswerte Basis. Beim Thema Finanzierung jenseits öffentlicher Subventionen wird in den Nachbarländern Deutschland und Österreich (und nicht nur dort) immer wieder gern auf das Opernhaus Zürich und dabei auf Ihre persönlichen Verdienste beim Aufbau eines Sponsorennetzes verwiesen. Das Haus erreicht, zusammen mit den Einnahmen aus dem Kartenverkauf und weiteren Einnahmequellen, einen Eigendeckungsgrad von ungefähr 46%, was für ein Haus dieser Grösse europaweit wohl einmalig ist. Wie ist das möglich? Gemessen an der Einwohnerzahl, steht die Finanzierung des Opernhauses durch die öffentliche Hand auf schwachen Beinen. Der Kanton hat etwa eine Million Einwohner; trotzdem leistet sich Zürich eine der grössten Institutionen weltweit. In Bayern sind es z.B. zwölf Mal so viele Einwohner. Inzwischen ist der Kanton Zug hinzugekommen; noch bis vor kurzem hat keiner der anderen Kantone sich an der Finanzierung des Opernhaus-Budgets
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beteiligt. Von der Eidgenossenschaft fliesst kein Geld. Wenn man angesichts dessen den Spielplan kleiner dimensioniert und so auf weniger Ausgaben hofft, entsteht genau die Situation, in der sich das Haus befand, als ich kam. Das Korsett war einfach zu eng. Unabhängig von den Subventionen der öffentlichen Hand haben wir es geschafft, den Unternehmen klarzumachen, dass sie durch Sponsorengelder nicht nur einen Beitrag an das Opernhaus leisten, sondern damit für ihre eigenen Mitarbeiter ein erstklassiges kulturelles Angebot ermöglichen. Ob im Bereich Sport, Wissenschaft oder Kultur: je grösser die Signalwirkung ist, die von den Institutionen ausgeht, desto mehr ist das Ansporn für die Mitarbeiter der Firmen, selbst hochqualifizierte Arbeit zu leisten. Es ging darum, dieses Thema in die Diskussion zu bringen und für die Unternehmen nachvollziehbar zu machen, dass Kulturförderung letztendlich in ihrem eigenen Interesse liegt. Das war ein sehr erfolgreicher Weg. Natürlich hat jeder unterschiedliche Vorlieben; man musste eben diejenigen finden, die an Kunst und Kultur interessiert sind. Das ist uns gelungen. Wenn die Ausstrahlungskraft stark ist, identifizieren sich die Leute mit dem Haus und sind auch bereit, Geld zu geben. Wir müssen eine Solidarität zwischen Staat, Wirtschaft und Privatpersonen schaffen, um unsere Werteordnung zu erhalten – sei es in den Bereichen Kultur, Sport, Wissenschaft oder Soziales. Wir beobachten ja schon seit 30 Jahren, wie die öffentlichen Gelder immer knapper werden. Das wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Wir werden immer mehr darauf angewiesen sein, dass jemand, der sich für ein Institut – sei es ein Theater oder einen Sportverein – interessiert, sich dafür auch zunehmend engagiert. Mit den Steuern bezahle ich eigentlich das, was mich nicht interessiert. Den Leuten muss klar werden, dass sie für das, was sie interessiert, bereit sein müssen, zusätzlich Opfer zu bringen. Wir haben einen Anfang in dieser Richtung gemacht. Auch politisch hat uns das genutzt: wenn wir mit den Entscheidungsträgern um die Subventionen gerungen haben, konnten wir immer eine grosse Summe an Sponsoren- und Spendengeldern vorweisen. Ich konnte dadurch anders verhandeln, als wenn ich nur Bittsteller gewesen wäre: Wenn die öffentliche Hand nicht mehr gibt, werden die Sponsoren auch abspringen, so dass der Staat am Ende den Schaden davon hat. Denn letztlich muss er ja für entstehende Defizite aufkommen, will er ein Theater nicht zusperren. Übrigens hat nie ein Sponsor versucht, Einfluss auf unseren Spielplan zu nehmen. Das wäre auch gar nicht möglich, da wir unseren Spielplan viel früher planen, als die Unternehmen ihre Sponsoringausgaben disponieren.
Würden Sie sagen, dass das 1984 zusammen mit dem Anbau am Utoquai wiedereröffnete Opernhaus baulich die Anforderungen an einen zeitgemässen Musiktheaterbetrieb erfüllt? Das Haus verfügt nicht über eine Seitenbühne oder eine Hinterbühne. Der Rahmen ist die traditionelle Guckkastenbühne. Aber das betrifft nur die technischen Möglichkeiten zum Dekorationswechsel und schmälert nicht die Qualität der Aufführungen. Wenn ein Komponist ein Stück für 79 Schreibmaschinen und sechs Hubschrauber schreibt, dann muss man dieses Stück eben anderswo aufführen. Aber ich glaube, dass es nach wie vor lohnt, für ein Opernorchester mit seinem herkömmlichen Instrumentarium zu komponieren. Und das scheinen auch die meisten führenden Komponisten so zu sehen. Das kann man daran sehen, dass sie für die Opernhäuser schreiben oder sich zumindest danach sehnen. Auch die wildesten Avantgardisten haben wie die Löwen um Aufführungen an solchen
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Häusern gekämpft. Der Komponist muss die vorhandene Infrastruktur grundsätzlich bejahen. Wir haben den Kompositionswettbewerb «Teatro minimo» geschaffen, damit junge Komponisten die Möglichkeit haben, sich mit den Gegebenheiten des Betriebes vertraut zu machen. Damit nehme ich dem Komponisten nichts von seiner künstlerischen Freiheit.
Was den Spielplan betrifft, kann man konstatieren, dass die Pflege des barocken Repertoires inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden ist, was man schon an der Gründung des Originalklangensembles «La Scintilla» aus dem Kreis der Musiker des Opernorchesters ablesen kann. Als zweites fallen die Bemühungen um Raritäten von Salieri, Schubert und Schumann bis zu Humperdinck, Schreker und Dukas auf. Gelegentlich wurde Ihnen vorgeworfen, das zeitgenössische Opernschaffen nicht in gleichem Mass zu berücksichtigen. Wie würden Sie das Profil des Hauses beschreiben? Es ist weltweit einzigartig, dass unser Orchester sich dazu bereit erklärt hat, die Werke des Barock auf alten Instrumenten zu spielen. Ich hoffe, dass das Schule machen wird. Das reicht übrigens bis in die Wiener Klassik und die Romantik zwischen 1810 und 1840 hinein. Auch diese Werke werden zunehmend auf Instrumenten der Zeit gespielt. Was das zeitgenössische Repertoire betrifft: nach Ablauf der letzten zwölf Jahre meiner Intendanz, also von 2000 bis 2012, werden in diesem Zeitraum insgesamt zehn Opernuraufführungen am Opernhaus Zürich herausgekommen sein, wobei ich einen Abend mit drei Kurzopern als eine Uraufführung (und nicht drei) zähle. An welchem anderen Haus ist das der Fall? Und dabei rede ich nur vom Bereich Oper; im Bereich Ballett finden ebenfalls eine ganze Reihe von Aufführungen mit zeitgenössischer Musik statt. Kürzlich sind durch das Engagement eines Jugendbeauftragten die Bemühungen intensiviert worden, die nachwachsenden Generationen frühzeitig an das Kunstwerk Oper heranzuführen. Hat die Oper eine Zukunft? Es ist uns gelungen, viele junge Menschen ins Haus zu holen – einfach dadurch, dass wir Oper in Zürich zu etwas Spannendem gemacht haben. 22% unseres Publikums sind unter 25 Jahre alt. Das beantwortet wohl die Frage. Sie haben 1991 im Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung gesagt: «Es geht nicht darum, wo die Zürcher Oper im Vergleich zu London, Paris oder Honolulu steht. Es ist uninteressant, ob wir besser sind als München oder Hamburg. Der Qualitätsmassstab liegt in der Kunstform selber.» Stehen Sie nach wie vor zu diesem Anspruch? Den Qualitätsmassstab aus der Kunstform selber abzuleiten, bedeutet z. B.: Wenn man Mozart-Opern aufführen will, braucht man ein Mozart-Ensemble. Wir haben uns von Beginn an bemüht, ein Ensemble von Sängern aufzubauen, die aufeinander eingespielt sind. Sei es für die Barockmusik, sei es für das Zeitgenössische: man muss eine Gruppe von Leuten zusammenbringen, die sich immer wieder damit beschäftigen und so ermöglichen, dass die jeweiligen Stücke, getragen von einem Ensemblegeist, dem jeweiligen Stil entsprechend bestmöglich gemacht werden können. Die Energie, die dem «Don Giovanni» innewohnt, legt man erst ab einer bestimmten Qualitätsstufe frei; vorher bleibt das erdenschwer. Wenn man diese Qualität erreicht – wie im Sommer mit der Neuproduktion von «Così fan tutte» –, gibt das jeweilige Werk selbst den Anspruch vor, in dem es realisiert werden möchte, und gewinnt seine je eigene Ausstrahlung.
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In früheren Jahren wurde in Zürich immer wieder kontrovers diskutiert, wie man das Haus führen soll: mit einem grossen, festengagierten Ensemble und einem umfangreichen Repertoire, oder mit zahlreichen Gästen, die jeweils nur für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung stehen und also das Prinzip des Stagionebetriebes sinnvoller erscheinen lassen. Wie stehen Sie dazu? Wenn man ein Haus mit einem grossen Repertoire hat, muss man ein Ensemble haben. Viele andere Häuser machen den Fehler zu glauben, man könnte 250 Vorstellungen im Jahr bestreiten mit Sängern, die man immer neu zusammenkauft. Ein Theater braucht eine Gruppe von Leuten, die oft miteinander gesungen haben, sich gut kennen und gegenseitig stützen; diese Gruppe kann auch den Gästen eine Struktur vorgeben, in der sie sich bewegen können. Wenn das nicht gegeben ist, fängt man jedes Mal bei Null an. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Vorhandensein eines Ensemble – derzeit sind das am Opernhaus Zürich ungefähr 60 fest engagierte Sänger – für ein Repertoiretheater die Bedingung ist, um überhaupt Qualität erreichen zu können. Je höher das Niveau ist, das man erreicht, desto mehr muss man versuchen, die grossen Sänger ans Haus zu binden – aber nicht als «reisende Gesellen». Ich habe mich bemüht, ganz grosse internationale Stars für 15 Abende im Jahr oder mehr zu gewinnen. Wenn sie 50 bis 60 Abende im Jahr singen und davon ein Viertel in Zürich, wird ihre Arbeit hier besonders wichtig für sie. Ihre Intendanz war von der musikalischen Seite her über einen langen Zeitraum von der Zusammenarbeit mit Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst (1995-2008) geprägt, aber auch von zwei weiteren Dirigentenpersönlichkeiten, die dem Haus schon sehr viel länger verbunden sind: Nikolaus Harnoncourt und Nello Santi. Nun haben Sie Daniele Gatti für die verbleibenden drei Spielzeiten als neuen Chefdirigenten verpflichtet. Welchen Stellenwert hat die Zusammenarbeit mit Dirigenten für Sie? Dieses Haus hat in Dirigenten wesentlich mehr investiert, als viele andere Theater. Ich versuche zu erreichen, dass an jedem Abend ein erstklassiger Dirigent am Pult steht. Das wirkt ungeheuer motivierend auf das Orchester. Die grossen Dirigentenpersönlichkeiten, zu denen Harnoncourt, Santi und Welser-Möst zählen, sind auch für das Ensemble und für das ganze Haus inspirierend. Insbesondere die Arbeit von Franz Welser-Möst als GMD hat dem Haus Wege aufgezeigt, wie man zart, fein und sensibel musizieren kann. Das war ein fantastischer Schub für die Qualitätssteigerung. Nachdem Sie zu Beginn Ihrer Amtszeit Bernd Bienert zum Ballettdirektor ernannt hatten, leitet seit 1996 Heinz Spoerli das Zürcher Ballett. Der Erfolg der von ihm aufgebauten Compagnie, die weltweit gastiert und nach wie vor ein grosses Publikum anzieht, weist auf eine ungebrochene Popularität des Genres Tanz hin. Wo würden Sie den Stellenwert des Balletts und auch der Pflege des klassischen Repertoires ansiedeln? Unsere Aufgabe ist es, die Tradition zu wahren – nicht nur in der Oper, sondern auch im Ballett. Niemand kann sagen, dass man auf die grossen Werke wie «Schwanensee» oder «Nussknacker» verzichten kann. Auf der anderen Seite kommen dann Choreografien neuer Werke hinzu. Das wäre aber wertlos, wenn man nicht gleichzeitig die grosse Tradition dieser Kunstform bejaht. Heinz Spoerli steht als leidenschaftlicher «Tanzmacher», wie er sich selbst gerne nennt, für die Bewahrung der Tradition und eröffnet gleichzeitig immer wieder neue Blicke auf die tradierten Werke, denen er neues Leben einhaucht. Er
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hat das Zürcher Ballett zu einer der führenden Compagnien Europas gemacht. Das ist ihm sicher auch deshalb gelungen, weil er um die Wichtigkeit einer soliden Tanzausbildung weiss und sich als Ausbildner, Tanzpädagoge und Förderer des Nachwuchses intensiv für die Zukunft des Tanzes eingesetzt hat. Tradition und Erneuerung: Beides gehört in seiner künstlerischen Arbeit zusammen und drückt sich in den jährlich neu entstehenden Créationen ebenso aus wie im Erfolg des von ihm gegründeten Junior Balletts.
Mit der von Ihnen initiierten Neugründung der Zürcher Festspiele 1997 haben Sie frühere Traditionen aufgegriffen und auf eine neue Basis gestellt. Was leistet dieses Festival, das alljährlich im Juni und Juli in Zürich stattfindet? Die Stadt Zürich war in weiten Kreisen lange mit dem Image einer reinen Wirtschafts-, Finanz- und Handelsstadt behaftet. Die Touristenströme flossen, insbesondere im Hochsommer, an der Stadt vorbei. Dass sich das in den letzten Jahren grundlegend geändert hat, dazu tragen in erster Linie die Bemühungen der Kulturschaffenden bei. Die landschaftliche Schönheit Zürichs, der See als Erholungszentrum, die hervorragende Infrastruktur und nicht zuletzt die grosse Leistungsfähigkeit und künstlerische Substanz der Zürcher Kulturinstitute haben vor nunmehr zwölf Jahren die Idee «Zürcher Festspiele» entstehen lassen. In Zusammenarbeit zwischen Kunsthaus, Opernhaus, Schauspielhaus und Tonhalle-Gesellschaft wird, unter Einbezug weiterer Institutionen, jedes Jahr im Sommer ein internationales Festival mit hochkarätigen Opern-, Ballett- und Theatervorstellungen, Konzerten und Ausstellungen durchgeführt, ergänzt durch Veranstaltungen der jungen und alternativen Szene. Der rege internationale Zuspruch, den die Zürcher Festspiele unterdessen erfahren, hat auch dazu geführt, dass immer häufiger Gastspiel-Einladungen von wichtigen Kulturzentren in aller Welt erfolgen, die dazu beitragen, die Qualität und Attraktivität der Schweizer Kulturszene auch im Ausland ins Bewusstsein zu rücken. Auf der anderen Seite belegen die Festspiele gegenüber den hiesigen Wählern die Unverzichtbarkeit dieser Institutionen; sie haben deren Position gegenüber den Politikern deutlich gefestigt. Im internationalen Vergleich fällt auf, dass das Opernhaus Zürich im Bereich der Opernmitschnitte auf DVD überdurchschnittlich vertreten ist. Es gibt derzeit an die 50 lieferbare Titel von Produktionen der letzten zwölf Jahren. Zum Grossereignis wurde die Live-Übertragung der Oper «La Traviata» vom Hauptbahnhof Zürich auf Arte und im Schweizer Fernsehen, die von über einer Million Zuschauern in der Schweiz, in Deutschland und Frankreich verfolgt wurde. Welche Rolle spielt die Verbreitung über die Medien für die Oper? Wenn man Künstler fest an das Haus binden will und möchte, dass sie sich mit dem Haus identifizieren, muss man etwas dafür tun, dass die Dinge, die sie hier tun, nach aussen getragen werden – um so mehr, da es ein relativ kleines Theater und eine relativ kleine Stadt ist. Wir erreichen in unseren Aufführungen immer wieder grosse Qualität. Da ist es wichtig, das Opernhaus und auch die Künstler, die hier wirken, durch Auswertung im Bereich der Medien noch bekannter zu machen in der Welt. Der Prophet im eigenen Land gilt bekanntlich nie viel. Aber wenn die Menschen aus Zürich im Ausland immer wieder auf Fernseh-Aufzeichnungen aus dem Opernhaus Zürich stossen, dann werden sie wahrscheinlich merken, dass das, was hier künstlerisch passiert, eine grosse internationale Bedeutung hat. Das stärkt den Stellenwert eines solchen Hauses auch in der Schweiz. Das Gespräch führte Konrad Kuhn. Alexander Pereira im Gespräch 103
Nachweise Alle Texte für diese Festschrift sind Originalbeiträge. Für die «Chronik 1834-2009» wurde folgende Literatur benutzt: – Richard Wagner, Ein Theater in Zürich (1851). Nachdruck 1999, Schulthess Polygraphischer Verlag, Zürich. – Reinhold Rüegg, Blätter zur Feier des fünfzigjährigen Jubiläums des Zürcher Stadttheaters am 10. und 11. November 1884, Verlag der Zürcher Post, Zürich 1884. – Otto Wichers von Gogh, Festschrift zur Eröffnung des neuen Stadttheaters in Zürich, Oktober 1891, Helvetia Verlags & Kunstanstalt, Zürich 1891. – Theater Ag (Hg.), Die ersten 25 Jahre im neuen Hause 1891 – 1916. Erschienen in der Reihe Erinnerungsblätter des Zürcher Stadttheaters, Zürich 1916. – Theater Ag (Hg.), Festschrift 100 Jahre Stadttheater. Zürich, 1934. – Martin Hürlimann und Emil Jucker (Hg.), Theater in Zürich. 125 Jahre Stadttheater, Atlantis Verlag, Zürich 1959. – 150 Jahre Theater in Zürich. Zur Eröffnung des renovierten Opernhauses, Orell Füssli Verlag, Zürich 1984. – Martin Hürlimann, Vom Stadttheater zum Opernhaus. Zürcher Theatergeschichten, Zürich und Stuttgart 1980. – Neue Zürcher Zeitung vom 16. September 1991, Sonderbeilage: 1891 – Opernhaus Zürich – 1991. Auch in Buchform erschienen: Marianne Zelger-Vogt und Andreas Honegger (Hg.), Stadttheater / Opernhaus. Hundert Jahre Musiktheater in Zürich 1891-1991, Verlag NZZ, Zürich 1991. – Christian Zingg, Das Opernhaus in Zürich, Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 2007. Ausserdem: Jahrbuch Stadttheater Zürich, 1922/1923 bis1963/1964; Jahrbuch Opernhaus Zürich, 1964/1965 bis 2007/2008. Wir danken Frau Halina Pichit vom Stadtarchiv Zürich. Sie hat den Bestand der das «Actientheater», das «Stadttheater» und das Opernhaus Zürich betreffenden Archivalien katalogisiert und uns grosszügig bei der Recherche unterstützt. Fotos: Suzanne Schwiertz (S.12, 32-33, 45, 58-59, 66, 79, 86, 95), Peter Schnetz (52-53, 55, 90) Peter Schlegel (36, 75), Gabriel Ammon (4) Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
Impressum Festschrift zum 175-jährigen Jubiläum der «Theater-Actiengesellschaft» Herausgeber: Opernhaus Zürich Intendant: Alexander Pereira Zusammenstellung und Redaktion: Konrad Kuhn Besetzungszettel zur Gala am 10. November 2009: Michael Richard Küster Gestaltung: Carole Bolli Druck und Administration: Stäubli AG Zürich Anzeigenverkauf und Promotion: Opernhaus Zürich, Marketing/Inserate Telefon 044 268 64 17, marina.andreatta@opernhaus.ch sowie Publicitas Publimag AG, Yvonne Heusser Mürtschenstrasse 39, Postfach, 8010 Zürich Telefon +41 (0)44 250 31 31, Fax +41 (0)44 250 31 32 service.zh@publimag.ch, www.publimag.ch
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