Programmbuch

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Lettres intimes Heinz Spoerli

Sarcasms Hans van Manen

In the Upper Room Twyla Tharp


opernhaus zürich

Lettres intimes Musikalische Inspiration für die neue Choreografie des Zürcher Ballett- direktors war Leosˇ Janácˇek Streichquartett «Intime Briefe» – eine faszinierende Komposition des über siebzigjährigen Komponisten, der seine modernsten Werke erst ganz am Ende seines erfüllten Lebens geschaffen hat; das Publikum des reifen Komponisten zeigte sich immer wieder überrascht von der jugendlichen Frische seiner Musik. Es war die leidenschaftliche Liebe zu der jungen, verheirateten Kamila Stösslova, die Janácˇek zu einigen seiner bedeutendsten späten Werke inspirierte; an Kamila richtete er zahllose Briefe, und nur für sie hielt er, manchmal mehrmals täglich, musikalische Gedanken und Notizen in einem Album fest. Natürlich blieb diese Leidenschaft von Janácˇeks Ehefrau nicht unentdeckt, aber Janácˇek führte die Beziehung zu der vierzig Jahre jüngeren Kamila bis zu seinem Tode weiter. Das Streich- quartett «Intime Briefe» stellte Janácˇek in seinem letzten Lebensjahr fertig, die Uraufführung im September 1928 erlebte er nicht mehr. Ursprünglich hatte Janácˇek den Titel ‹Liebesbriefe› für seine Komposition verwenden wollen, diesen dann aber in «Intime Briefe» geändert. An Kamila Stösslová schrieb er: «Ich habe begonnen, etwas Schönes zu schreiben. Unser Leben wird darin enthalten sein. Es soll «Liebesbriefe» heissen. Ich glaube, es wird reizend klingen. Wir hatten ja genug Erlebnisse. Die werden wie kleine Feuer in meiner Seele sein und in ihr die schönsten Melodien entfachen.» Vor diesem ganz konkreten autobiografischen Hintergrund entwickelt Heinz Spoerli seine eigene tänzerische Interpretation von Janácˇeks Musik. Er wird dabei nicht versuchen, die Dreiecksgeschichte zwischen Janácˇek, seiner Geliebten und seiner Ehefrau choreografisch nachzuerzählen, sondern vielmehr abstrakte Formen finden, mit dem emotionalen Gehalt, ja der emotionalen Wucht umzugehen, die diese Musik enthält. Es sei nicht einfach, so erläutert Spoerli im Gespräch, diese Musik in Tanz zu übersetzen, mit dem dauernden Abbruch, den ständigen Zweifeln in der Musik umzugehenes bedeute, «sich emotional nackt auszuziehen». Man könne, so Spoerli, nur «Partner der Musik» sein, sich vollkommen auf sie einlassen und sich von ihr ein Stück weit treiben lassen und dann auch aushalten, dass man hin und wieder an eine Wand stosse und nicht wisse, wie man durch sie hindurchgehen soll. Im Zentrum der Choreografie steht die männliche Hauptfigur (getanzt von Arsen Mehrabyan), die Assoziationen an den Komponisten Leosˇ Janácˇek zulässt, aber keinesfalls mit diesem identisch ist; eine Figur auf der Suche nach Halt und Balance, der Liebe zu einer Frau (getanzt von Aliya Tanykpayeva) hoffnungslos erlegen, aber gleichzeitig voller Zweifel und ohne den Mut, diese Liebe wirklich anzunehmen und zu leben. Gespiegelt werden die Emotionen der beiden Liebenden von fünf weiteren Paaren, die in unterschiedlichen Konstellationen in Beziehung treten zu den Hauptfiguren, diese einladen, bedrängen oder allein lassen eine äusserst spannungsvolle tänzerische Umsetzung von Janácˇeks dichter, emotionsgeladener Musik.


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Sarcasms Basis für die 1981 von Hans van Manen geschaffene Choreografie «Sarcasms» bildeten die gleichnamigen Klavierstücke von Sergej Prokofjew. Thema des Balletts ist die Verbindung von Erotik und Aggression. Es zeigt Mann und Frau als Partner und Feind zugleich – einen Kampf der Geschlechter in einer Atmosphäre von Unruhe und Irritation. Im Verlauf des getanzten Dialoges provoziert, verführt, verstösst und demütigt sich das Paar einmal auf grausame und sarkastische, dann wieder auf humorvolle und ironische Weise. Abgesehen von den Salonstücken und impressionistischen Klang¬bildern, die den Grossteil der Klavierminiaturen des frühen 20. Jahrhunderts ausmachen, gibt es auch Zyklen, die auf Innovation und Experiment ausgerichtet sind. Prokofjews «Sarkasmen», auf dem Höhe¬punkt seiner vorrevolutionären, «linken» Schaffensphase zwischen 1912 und 1914 komponiert, sind von solcher Prägung und gehören zu seinen provozierendsten Werken vor den Jahren im Exil. Die extravaganten Kompositionen, beziehungsweise deren Aufführungen, lösten heftige Kontroversen aus.


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In the Upper Room Seit mehr als vier Jahrzehnten geht es der amerikanischen Choreografin Twyla Tharp vor allem um das Eine: Den Tanz in seiner Entwicklung voranzutreiben und ihn als gleichberechtigte Bühnenkunst neben allen anderen Künsten fest zu etablieren, ohne auf choreo¬grafische Tabus, knappe finanzielle Mittel und die Meinung der Kritik Rücksicht zu nehmen – immer aber mit Blick auf das grosse, breit gefächerte Publikum. Mit ihren ersten Arbeiten schlug die eigenwillige Rebellin, die es versteht, immer auch bedeutende Modeschöpfer, Komponisten oder Popstars für ihre Arbeiten zu gewinnen, wie ein Meteor in die amerikanische Tanzszene ein. Was vor einem europäischen Bildungshorizont vielleicht zunächst unvereinbar erscheint, geht in Twyla Tharps Balletten unbekümmert auf: ein Brückenschlag zwischen den unterschiedlichsten Genres wie Ballett, Broadway-Musical, Hollywood-Film, Pop-Art, aber auch Tanzstilen wie klassisches Ballett, Modern und Jazz Dance und Bewegungsformen wie Gymnastik, Karate und Akrobatik, der von den Tänzerinnen und Tänzern ein Maximum an Vielseitigkeit erfordert. Auf die Frage, wie sie ein Ballett zu kreieren beginnt, gibt es für Twyla Tharp nur eine simple und doch für sich sprechende Antwort: «Put yourself in motion». Zu ihren erfolgreichsten Stücken zählt das 1986 für die Twyla Tharp Dance Company entstandene Ballett «In the Upper Room» auf eine Auftragskomposition des amerikanischen Minimalisten Philip Glass. «Ich ging zum Frühstück zu Phil Glass nach Hause», berichtet Twyla Tharp in ihrer Autobiografie «Push Comes to Shove», «um ihn um eine neue Komposition zu bitten. In der Vergangenheit hatten wir immer wieder über ein neues Werk gesprochen – auch über ein Requiem –, aber immer kam etwas dazwischen. Auch diesmal sagte Phil, er sei zu beschäftigt, mittendrin in verschiedensten Projekten. Ich aber antwor¬tete, dass ich von ihm nicht mehr als eine halbe Stunde jeden Morgen nach dem Frühstück benötigte – einen Monat lang. Dies würde reichen. Er musste zusagen. Seine Musik hat diese ungeheure Klarheit. Ich benutzte sie bereits seit vielen Jahren immer wieder im Studio zu meinen morgendlichen Übungen. (...) Jedes meiner Ballette seit ‹Sue’s Leg› hatte Schritte, die durch seine Musik inspiriert waren. Phil sagte schliesslich zu, und wir entschieden uns für den Titel ‹In the Upper Room›.» Aus dem Bühnenhimmel fällt ein Licht, wie von sehr hellen Sternen. Der Hintergrund verliert sich in ein schwarzes Dunkel, das die Tänzer «ausspuckt» und wieder «verschlingt». Sieben Frauen und sechs Männer, die durch heterogene Bewegungsmuster, Kostüme und Schuhe zu verschiedenartigen Charakteren werden, hat Twyla Tharp versammelt. Zwei Frauen eröffnen das Ballett – für Tharp eine Art «Drachenhunde aus Porzellan», wie sie chinesische Tempel bewachen. Ihre symmetrischen Bewegungen, Streckungen, Tritte und locker pendelnden Beine ziehen den Betrachter von Anfang an hinein in die hypnotische Bewegungssprache – den schier endlosen Strom von Energien – dieses Balletts. Drei weitere Tänzerpaare tragen Turnschuhe und Sportdresses, zwei Tänzerinnen Trikots und Spitzenschuhe, alles in immer neuen Kombinationen der Farben Weiss, Nachtblau und Rot, entworfen von der New Yorker Modedesignerin Norma Kamali. Äusserst charakteristisch setzt Twyla Tharp die verschiedenen Schuharten ein – die Paare in Turnschuhen als «Stompers» («Stampfer»), die Tänzerinnen auf Spitze als «Bombenkommando», das sich schliesslich zu einem ganzen «Ballettkader» verstärkt. Im Verlauf der Choreografie kommt es zu einer immer intensiveren Verschmelzung der Ausdrucksformen, die ihren Höhepunkt in einem Finale findet, das die acht vorausgegangenen «Sections» in einer Art «Reader’s Digest»-Version zusammenführt und übereinander schichtet. Dass es Twyla Tharp nicht um die Frage nach einem einzigen Stil, sondern immer nur um den Tanz an sich geht – dies macht «In the Upper Room» auf ebenso verblüffende wie mitreissende Weise deutlich: Ein Ballett von eindringlicher Relevanz, athletischer Kraft, perfektem Timing und atemberaubender Virtuosität.


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