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Die neue Lust auf Neues
Verehrtes Publikum, vor einigen Wochen rieb sich die Opernszene verdutzt die Augen, nachdem die New Yorker Metropolitan Opera verkündet hatte, einen Kurswechsel in ihrem Spielplan vorzunehmen und nicht mehr auf Klassiker des Repertoires in gediegenen Inszenierungen zu setzen, sondern auf Gegenwartsopern und Uraufführungen. 17 neue oder fast neue Opern will das Haus in den kommenden fünf Jahren auf die Bühne bringen und sieben Uraufführungsaufträge erteilen. Ausgerechnet die konservative Met, die aufgrund ihrer Grösse und ihrer Finanzierungsstruktur immer zuallererst darauf achten muss, dass die aufgeführten Werke Erfolg an der Kasse haben, wagt sich an Neues? Die Ankündigung erstaunte. Aber mit genau jenem notwendigen Erfolg an der Kasse wurde sie begründet: Beim bewährten Repertoire, so hiess es, blieben immer mehr Plätze leer, während sich neue Opern hervorragend verkauften und viele der Gäste bei ihnen zuvor noch nie ein Opernhaus betreten hätten. Die Met ist nicht gerade das Haus unseres Vertrauens in Sachen zeitgenössischer Musik, deshalb sollte man vorsichtig sein bei der Einordnung dieses scheinbaren Paradigmenwechsels. Es könnte sich herausstellen, dass manche der angekündigten Opern-Uraufführungen am Ende nicht mehr sind als bessere Musicals. Trotzdem steht die Ankündigung für etwas, das auch jenseits von New York von Bedeutung ist: Die Opernhäuser müssen dringend ihr Repertoire erweitern. Sie brauchen neue Geschichten. Und die gibt es schon. Man muss sie gar nicht alle neu komponieren.
Unsere nächste Premiere präsentiert ein solches Werk. Lessons in Love and Violence von George Benjamin wurde vor fünf Jahren in London uraufgeführt. Die Oper ist packend wie ein Krimi, in den eineinhalb Stunden Aufführungsdauer bis in die kleinste Note hinein meisterhaft auf den Punkt komponiert, zugegeben ein bisschen grausam, aber atemberaubend in den Abgründen von Liebe, Begehren und Machtgier, in die sie uns schauen lässt. Der englische Komponist George Benjamin erhält – nicht zuletzt wegen seines Opernschaffens – in diesem Jahr den hochdotierten Ernst-von-SiemensPreis, der als Nobelpreis der Musik gilt. Der Stoff ist ein Königsdrama von shakespearehafter Wucht. Es geht um den englischen König Edward II., der im 14. Jahrhundert herrschte, sich in einen Günstling namens Piers Gaveston verliebte, seine Regierungsgeschäfte vernachlässigte, abgesetzt und grausam ermordet wurde. Die Oper konzentriert sich ganz auf die vier Hauptfiguren. Neben dem männlichen Liebespaar sind das Mortimer, der kalt rationale Gegenspieler des Königs, und die Königin, die ihren Nebenbuhler weghaben will und sich auf die Seite Mortimers schlägt. In Liebe und Hass sind sich alle vier gleichermassen haltlos zugetan.
Wer mit Gegenwartsopern Erfolg haben will, muss sie auch spannend erzählen. Dafür ist in unserer Neuproduktion Regisseur Evgeny Titov zuständig, ein TheaterFeuerkopf, der zum ersten Mal in Zürich inszeniert. Die immens schwere Partitur (der man aber wie allen guten Kompositionen die Schwierigkeit nicht anhört) wird von Ilan Volkov dirigiert. Grossartige Sängerinnen und Sänger gibt es selbstverständlich auch, die lernen Sie aber am besten persönlich auf der Bühne kennen.
Haben Sie Lust auf ein Opern-Abenteuer? Dann sind Sie bei Lessons in Love and Violence richtig.
MAG 102 / Mai 2023
Unser Titelbild zeigt Jeanine De Bique, die Königin Isabel in «Lessons in Love and Violence».
(Foto Florian Kalotay)
Claus Spahn