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Die hohe Kunst des Verfolgens

Das Bühnenbild von The Cellist besteht aus zwei dunklen Wänden im Hintergrund, einem schwarzen Tanzboden und einer breiten, drehbaren Holzwand, die recht mittig auf der Bühne steht. Obwohl sie sich nur drehen kann, ist diese Wand manchmal total präsent und manchmal unsichtbar im Dunkeln. Doch so dunkel die Bühne auch wird: die Tänzerinnen und Tänzer sind immer gut zu sehen. Auch wenn sie wild tanzen, allein, zu zweit oder zu dritt, folgt ihnen doch wie von Geisterhand das Licht. Das ist für einmal keine technische Raffinesse, sondern die nicht wahrnehmbare aber deswegen umso grossartigere Leistung von fünf Beleuchterinnen und Beleuchtern, die in jeder Vorstellung als sogenannte Verfolger eingesetzt werden. Das Verfolgen von Personen auf der Bühne erfordert grosse Konzentration und ist beim Tanz eine hohe Kunst. Der Verfolger muss nicht nur mit dem Lichtkegel die Person treffen, er ist auch dafür zuständig, den Lichtkegel zu dimmen und ihn in der Grösse, der Farbe und der Schärfe einzustellen.

In The Cellist werden die Verfolger an vier verschiedenen Orten eingesetzt: Zwei über dem Kronleuchter im Zuschauerraum, in der sogenannten «Kuppel». Von dort kann man den vorderen Teil der Bühne sehen und beleuchten – weiter nach hinten auf der Bühne kommt man mit dem Lichtstrahl des Verfolgers nicht, weil das Bühnenportal im Weg ist. Weitere Verfolger sind in den obersten Logen links und rechts im Zuschauerraum. Hier kommt man zwar sowohl vorne auf die Bühne als auch bis zur Hinterbühne, doch leider kann man vom rechten Verfolger nur die linke Bühnenhälfte sehen und beleuchten, und vom linken nur die rechte. Deswegen braucht es noch einen fünften Verfolger, der für alle Positionen zuständig ist, die weder die Kuppel-, noch die Logenverfolger erreichen können.

Während der Beleuchtungsproben werden zur Szene passende Lichtstimmungen (englisch: «cues») erarbeitet und durchnummeriert. Dort wird dann auch festgelegt, ab wann ein Verfolger eingesetzt wird. Das kann z.B. dann sein, wenn das Bühnenbild möglichst dunkel, die Tänzer:innen jedoch in helles Licht getaucht sein sollen. Die Nummer des «cues» wird in der Partitur notiert. Kommt die entsprechende Stelle, gibt die Beleuchtungskapellmeisterin über Funk die Nummer durch. Der Verfolger muss dann selbst wissen, was er zu tun hat: Er oder sie muss mit dem Scheinwerfer das Ziel anvisieren, mit viel Fingerspitzengefühl das Licht hochdimmen, den Lichtkegel auf die richtige Grösse einstellen und die sich sehr schnell bewegende Tänzerin von Kopf bis Fuss einfangen. Verlässt die Tänzerin den Bereich des einen Verfolgers, muss ein anderer sie bereits fliessend übernommen haben, das heisst, dimmt der zweite Verfolger seinen Scheinwerfer hoch, muss der erste Verfolger seinen Scheinwerfer parallel herunterdimmen, damit die Helligkeit der angeleuchteten Person konstant bleibt. Gleiches gilt für das Treffen von zwei oder drei verfolgten Personen: Sobald sie auf der Bühne zusammenkommen und sich zu einem Ensemble vereinigen, verschmelzen auch die beiden Verfolger zu einem Lichtkegel und beide müssen die Helligkeit reduzieren, oder einer der beiden dimmt seinen Scheinwerfer aus. Das alles klingt schon komplex genug, doch richtig heftig wird es, wenn mehrere Personen über die ganze Bühnenbreite und -tiefe tanzen. Da brauchen auch die Verfolger viele Proben. Und wenn dann noch Dekorationen auf der Bühne stehen, die nicht vom Lichtkegel getroffen werden sollen, wird das Spiel der Lichtkegel zur ganz grossen Kunst. Unsere Verfolger beherrschen sie.

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