MAG 28: La Traviata

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MAG 28

Anita Hartig singt Violetta


Sol Gabetta Cello Montag, 25. Mai 2015 19.30 Uhr, Tonhalle Zürich

© Marco Borggreve

Barocke Meisterwerke und Raritäten Vivaldi: Ouvertüre «La verità in cimento», Doppelkonzerte für Violine, Cello und Orchester RV 532 und 547 Chelleri: Cellokonzert G-Dur WD 531 Dall’ Abaco: Concerto a più strumenti D-Dur op. 5 Nr. 6 C.P.E Bach: Sinfonie G-Dur Wq. 182 J. S. Bach: Brandenburgisches Konzert Nr. 3 G-Dur BWV 1048 Platti: Cellokonzert c-Moll WD 669

Vorverkauf Tonhalle Zürich, 044 206 34 34, www.tonhalle.ch Jecklin, Musik Hug, Jelmoli, SBB-Eventschalter, BIZZ

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Editorial 1

È strano... Verehrtes Publikum, über Violetta Valéry brauchen wir Ihnen nichts zu erzählen, die kennen Sie. Es ist die Hauptfigur aus Giuseppe Verdis Oper La traviata, eines der beliebtesten und meistgespiel­ ten Werke des Repertoires. Violetta ist eine «Edelkurtisane» der Pariser Demimonde, als Figur der Kameliendame aus dem Roman von Alexandre Dumas nachgebildet. Sie lebt, liebt, entsagt und stirbt zu einer Musik, die uns zu Tränen rührt. Ganz einfach. Aber ein paar Fragen seien da vielleicht doch noch er­laubt: Wie dürfen wir uns eine Oper vorstellen, die der Kom­ ponist mit einem für die damalige Zeit geradezu schockie­rend gegenwartskritischen Bezug angelegt hat? Mit Salonplüsch aus dem 19. Jahrhundert ist Verdis gewagter Stückidee heute wohl kaum noch beizukommen. Zielt die Oper in erster Linie auf eine gesellschaftliche Perspektive, indem sie das fragwürdige Bild einer amüsierwütigen Gesell­ schaft und ihrer Doppelmoral zeichnet, oder erzählt sie vor allem das Seelendrama einer vereinsamenden Frau? Ist das Prostituiertendasein dieser la traviata, dieser vom Weg Ab­ ge­kommenen, eine Opferrolle oder Ausdruck der Selbstbe­ stimmung einer Frau, die die engen Grenzen der Verhältnis­se, in denen sie lebt, nicht zu akzeptieren bereit ist? Ist die Liebe, der «Pulsschlag des Universums», nur ein trügerischer Schein oder die grosse Kraft, die über alle Abgründe hinweg trägt? Und welche Temperatur herrscht eigentlich in Verdis popu­lärster Oper – die Herzenswärme eines rührseligen Melodrams, die fiebrige Hitze aufgekratzter Vergnügungs­ sucht oder die Eiseskälte eines erbarmungslosen Aussenseiter-­

Schicksals? Fragen über Fragen. Womöglich gibt es doch ein paar gute Gründe, uns die Geschichte der Violetta Valéry immer wieder neu und aus den sich verändernden Blickwin­ keln des Hier und Heute heraus erzählen zu lassen. Gerade weil wir sie so gut zu kennen glauben. In unserer Neupro­ duktion von Verdis La traviata stellen sich der Dirigent Marco Armiliato und das Team um David Hermann, der sein Regie-Debüt am Opernhaus Zürich gibt, dieser hoch­ attraktiven Aufgabe. Die in Rumänien geborene Sopranistin Anita Hartig, die ausgehend von der Wiener Staatsoper eine grosse internationale Karrie­re gestartet hat, wird ihr Rollen­ debüt als Violetta Valéry geben. Pavol Breslik singt den Alfredo, und der in Hawaii geborene Bariton Quinn Kelsey, den Sie gewiss noch aus unserem Rigoletto kennen, kehrt als Giorgio Germont auf die Bühne des Zürcher Opernhau­ ses zurück. La traviata ist allerdings nicht die einzige Neuproduk­ tion der kommenden Wochen. Auch die Sängerinnen und Sänger des Internationalen Opernstudios erarbeiten zur Zeit mit Feuereifer ein schräges und abenteuerliches Stück, das am 8. Mai auf der Studiobühne Premiere hat – die 2012 ur­ ­aufgeführte Oper Fälle des russisch-argentinischen Kompo­ nisten Oscar Strasnoj auf surreale Texte des verrückt-­ge­nialen sowjetischen Dichters Daniil Charms. Auch den As­pekten und Hintergründen dieser Oper widmet sich unsere aktuelle MAG-Ausgabe. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre und spannende Stunden in unserem Opernhaus. Claus Spahn

MAG 28 / März 2O15 Unser Titel zeigt Anita Hartig, die in unserer aktuellen Premiere «La traviata» die Violetta singt. (Siehe Seite 22) (Foto Florian Kalotay)


Fabio Luisi und die Philharmonia Zürich präsentieren einen Live­mit­schnitt von Hector Berlioz’ «Symphonie fantastique» sowie eine Doppel-CD mit ausgewählten Ouvertüren und Zwischenspielen von Richard Wagner. Giuseppe Verdis «Rigoletto» in der gefeierten Inszenierung von Tatjana Gürbaca ist mit George Petean, Aleksandra Kurzak und Saimir Pirgu in den Hauptrollen die erste DVD-Veröffentlichung aus dem Opernhaus Zürich auf dem neuen Label Philharmonia Records. Ab sofort weltweit und im Opernhaus Zürich erhältlich www.philharmonia-records.com


Inhalt 3

Die weltweit gefragte Sopranistin Anja Harteros ist im Mai am Opernhaus Zürich mit einem Liederabend zu erleben.

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Am 18. April hat die Neuinszenierung von La traviata Premiere. Wie leben High Class Escort-Girls in der Schweiz heute? Eine Reportage von Sacha Batthyany

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Die Oper Fälle, die am 8. Mai Premiere hat, basiert auf Texten von Daniil Charms. Wer war dieser rätselhafte Dichter? Eine Annäherung von Alexander Nitzberg

34 6 - 7  Opernhaus aktuell 8  Drei Fragen an Andreas Homoki 11  Wie machen Sie das, Herr Bogatu? 25  Der Fragebogen

Die geniale Stelle  28 Porträt  30 Kalendarium und Serviceteil  43 Sibylle Berg  48



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Fotos: Stefan Deuber

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Opernhaus aktuell 6

Teodor Currentzis ist kein Dirigent, der Partituren aus vergangenen Jahrhunderten mit der Pinzette anfasst. «Was mich interessiert, wenn ich eine Partitur studiere, ist die Geschichte der geistigen Revolutionen», sagte er in einem Beitrag der ZEIT anlässlich seines neuen Albums mit Werken von Jean-Philippe Rameau, das 2014 unter dem Titel The Sound of Light erschienen ist. So mystisch wie dieser Titel erscheint auch der Mann dahinter: Currentzis wurde 1972 in Athen geboren. Für das Studium wechselte er nach St. Peters­burg, und Russland wurde zu seiner Wahlheimat. Als Chefdirigent in Nowosibirsk grün­dete er das Ensemble Musi­ca Aeterna, eine junge

Sonntag, 3. Mai 2015, 20 Uhr, Opernhaus

Liederabend Anja Harteros Sie gehört zu den gefragtesten Verdi-, Wagner- und Strauss-Interpretinnen der Gegenwart und wurde mit At­ tribu­ten wie «Jahrhundertsopran» oder «Stradivari unter den Stimmen» bedacht: die deutsche Sopranistin Anja Harteros. Am Opernhaus Zürich war sie bisher als Elisabeth in Verdis Don Carlos sowie in Wagners Tannhäuser zu erleben – aber Anja Harteros ist auch eine brillante Liedgestalterin: Im Mai kehrt sie ge­ meinsam mit dem Pianisten Wolf­ram Rieger für einen Liederabend ans Haus zurück. Auf dem Programm stehen Alban Bergs Sieben frühe Lieder sowie aus­gewählte Werke von Hugo Wolf und Johannes Brahms. Donnerstag, 21. Mai 2015, 19 Uhr, Opernhaus

Kammermusikalische Zauberflöte Für die rasche Verbreitung und grosse Berühmtheit von Mozarts Zauberflöte sind auch zahlreiche Bearbeitungen des Werks verantwortlich. In verschiedenen musikalischen Besetzungen haben sie Mozarts eingängige Melodien bereits zu seinen Lebzeiten auch jenseits der Opernhäuser bekannt gemacht. U.a. schrieb der Komponist und Musiker Joseph Heidenreich (1753-1821) eine Fassung für Harmoniemusik. In unserem Brunch-/ Lunchkonzert im April bringt das Bläserensemble La Scintilla dei Fiati, ergänzt durch den Kontrabassisten Dieter Lange, diese Fassung zur Aufführung. Durch die märchenhafte Handlung von Mozarts Oper führt der Sprecher Stefan Hofmann. Sonntag, 19. April 2015, 11.15 Uhr, Spiegelsaal Montag, 20. April 2015, 12.00 Uhr, Spiegelsaal

Montagsgespräch Matti Salminen Das Montagsgespräch mit dem Bassisten Matti Salminen, das im Februar verschoben werden musste, findet am 20. April 2015, 19 Uhr, im Restaurant Belcanto statt.

Foto: Stefan Deuber

Ekstatische Rameau-Klänge

Truppe, mit der er leidenschaftlich probt, konzertiert und zurzeit einen vielbeachteten Mozart/da Ponte-­ Zyklus bei Sony veröffentlicht. Seit 2011 ist er Musikdirektor in Perm. Nun kommt der Ekstatiker unter den Dirigenten, der «die Liebe und das Dionysische predigt» (DIE ZEIT), für ein Konzert mit dem Orchestra La Scintilla ans Opernhaus Zürich zurück. Zuletzt begeisterte er hier mit Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk, und 2016 wird er die Neupro­ duktion von Verdis Macbeth erarbeiten. Anlässlich des 250. Todesjahres von Jean-Philippe Rameau dirigiert er im Mai Ouvertüren, Arien und Tänze aus Rameaus Opern wie Zaïs, Zoroastre, Les Fêtes d’Hébé, Les Boréades, Les Indes galantes, Naïs, Castor et Pollux u.a. Es singen Julie Fuchs und Anna Goryachova.


Opernhaus Oper aktuell aktuell 7

Szene aus Patrice Barts «Giselle»-Choreografie für das Ballett Zürich

Gaststars in «Giselle»

Foto: Gregory Batardon

Polina Semionova, Roberto Bolle und Friedemann Vogel tanzen mit dem Ballett Zürich Drei der gefragtesten Tänzer unserer Tage, die weltweit für ihre Inter­ pretationen der grossen Ballettklassiker gefeiert werden, gastieren in der Giselle-­Neuproduktion des Balletts Zürich. Am 12. und 19. April ist Polina Semionova in der Titelrolle zu erleben. Schon mit 17 Jahren wurde sie Erste Solistin im Ballett der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Heute ist sie Principal Dancer beim American Ballet Theatre in New York sowie Gast­solistin des St. Petersburger Mikhailovsky Theaters und des Bayerischen Staatsballetts in München. Unver­gessen in Zürich ist ihre Interpretation der Odet­te/Odile in

Schwanensee. Im vorigen Jahr wurde die russische Primaballerina mit dem wohl wichtigsten Preis der Ballett­welt, dem «Benois de la danse», ausgezeichnet. Ihr Partner als Herzog Al­brecht ist Friedemann Vogel. Für die Zeitschrift «tanz» war er 2010 der «Tänzer des Jahres». Der Ge­ winner zahlreicher renom­ mierter Ballettwettbe­ werbe ist Erster Solist des Stutt­garter Balletts und Gastsolist am Mikhai­ lovsky Theater in St. Peters­burg. Am 17. Mai tanzt er ausserdem an der Seite der Zürcher Solistin Viktorina Kapitono­va (Foto mit Denis Vieira). Sie wird in den Vorstellungen am 23. und 26. April gemeinsam mit

Roberto Bolle zu erleben sein. Als Élève wurde er einst von Rudolf Nurejew entdeckt, der ihm die Rolle des Tadzio in Der Tod in Venedig anvertraute. Heute ist der charismati­ sche Italiener Étoile des Balletts der Mailänder Scala und regelmässiger Gast des American Ballet Theatre. Peter Greenaway und Robert Wilson widme­ten ihm Kunstprojekte, in der Londoner Royal Albert Hall tanzte er Schwanensee und Romeo und Julia in für ihn geschaffenen Choreografien von Robert Deane. Das New York City Center veranstaltete ihm zu Ehren 2013 die Gala «Roberto Bolle and friends». Nicht verpassen!


Drei Fragen an Andreas Homoki 8

Herr Homoki, Sie haben gerade der Öffentlichkeit den Spielplan der Saison 2015/16 präsentiert. Was macht eigentlich einen gelungenen Spielplan aus? Es gibt sehr viele Aspekte, die man gleichzeitig im Blick haben muss. Da ist zum Beispiel die Auswahl der Titel für die Neuproduktionen: Sie soll eine grosse Bandbreite im Repertoire abbilden und trotzdem starke künstlerische Akzente setzen. So versuchen wir immer mindestens ein interessantes Barock-Projekt im Programm zu haben sowie eine Gegenwartsoper. Dazu braucht es natürlich auch zugkräftige Titel, und es sollte eine ausgewogene Balance von italienischem, deutschem, französischem oder slawischem Repertoire geben. Dann wird der Spielplan natürlich von den Regie-, Dirigenten- und Sängerbe­ setzun­gen geprägt, und erst die ideale Kombination aller Puzzleteile lässt eine Neuproduktion wirklich spannend und vielversprechend werden. Allerdings ist es nicht immer einfach, die passenden Puzzleteile zu finden. Der ideale Regisseur, den man unbedingt engagieren will, hat das Werk leider schon inszeniert. Der Wunschdirigent ist für die Periode anderswo fest gebucht. Der Sängerstar, dem man die Hauptrolle anbietet, möchte sich gerade in eine andere Repertoire-Richtung entwickeln. Das ist ein mitunter langwieriger Prozess, der viel Geduld, Flexibilität, Beharrlichkeit und Fingerspitzengefühl in allen Bereichen braucht. Muss man am Ende mit Kompromissen leben oder gelingt es, den Traumspielplan zu realisieren? Da es sehr viele Parameter zu berücksichtigen gibt, ver­ ändert sich die Planung einer konkreten Spielzeit während eines mehrjährigen Vorlaufs natürlich ständig. So entstehen aus scheinbaren Kompromissen auch oft überraschend schöne, neue Konstellationen von Künstlern und Titeln. Auf die neue Saison 2015/16 freue ich mich sehr, wenn ich an Künstler denke wie Barrie Kosky und Teodor

Currentzis, die gemeinsam Verdis Macbeth erarbeiten oder Christoph Marthaler, der Rossinis Il viaggio a Reims inszeniert. Christoph Marthaler meinte, als ich ihn anfragte, dieses Stück habe ja geradezu auf ihn gewartet und hat sofort zugesagt. Für unseren neuen Schwanensee haben wir den Star-Choreografen Alexei Ratmansky gewinnen können. Alain Altinoglu als Dirigent und Dmitri Tchernia­kov als Regisseur sind wiederum ideal, um einen faszi­nierend rätselhaften Stoff wie Debussys Pelléas et Mélisande für uns zu deuten. Attraktiv wird ein Spielplan natürlich auch durch tolle Debüts: Christian Gerhaher wird zu Beginn der Saison sein Rollendebüt als Wozzeck geben, und Juan Diego Flórez singt zum ersten Mal eine Neuproduktion an unserem Opernhaus. Nicht zu vergessen die Wiederaufnahmen, denn die Hälfte aller Vorstellungen spielen wir aus unserem Repertoire: Da singt unter anderem Bryn Terfel den Falstaff, Catherine Naglestad Tosca, Evelyn Herlitzius Elektra, Cecilia Bartoli in Le Comte Ory. So versuchen wir auch Highlights jenseits der Neuproduktionen zu schaffen. In der Presse konnte man nach der Spielplan-Präsen­ tation lesen, mit dem Programm der Saison seien Sie endgültig in Zürich angekommen. Ist das so? Vielleicht ist es ja auch umgekehrt und die Journalisten sind bei uns angekommen? Aber im Ernst: ich denke, mit der nächsten Spielzeit wird endgültig deutlich, für welche künstlerischen Prämissen wir stehen. Wiederer­kenn­ barkeit liegt mir persönlich sehr am Herzen und viele Künstler, auf die wir bauen, seien es Regisseure, Dirigenten oder Sänger, und die wir zum ersten Mal in Zürich präsentiert haben, kommen in der nächsten Saison zurück. Wir wollen keine Eintagsfliegen durch die Spielpläne schwirren lassen, sondern folgen einer inhaltlichen Linie, aufbauend auf Kontinuität und Vertrauen in unsere Künstler.


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Wie machen Sie das, Herr Bogatu? 11

Illustration: Laura Jurt

Funkelnagelneu Sie ist zunächst unscheinbar, hat es aber in sich: Die Oberfläche des Bühnenbildes unserer neuen Traviata. Mal liegt sie unauffällig schwarz da – plötzlich fängt sie Licht, und Strukturen werden sichtbar. Sind es mit Schweröl getränkte Felsen? Ist es schwarzer Schiefer? Oder der Bruch in einen Graphittagebau? Funkeln da nicht Hunderte von Kristallen? Für einmal imitierten unsere Werkstätten keine real existierende Vorlage, sondern der Bühnenbildner Christof Hetzer hat eine Oberfläche erfunden, die hoch komplex in der Herstellung ist. Falls Sie diese an Ihrem Wohnzimmertisch einmal nachmachen wollen, verrate ich Ihnen hier die Bauanleitung: Zunächst streichen Sie eine schwarz eingefärbte Putzmasse dünn über Ihren Tisch und lassen sie trocknen. Dann rühren Sie eine Gipsmasse an und verteilen diese ca. 4-5mm dick auf den Putz. Nun muss es schnell gehen: Zerreiben Sie einen Korken (Rot- oder Weisswein spielt für einmal keine Rolle) und streuen Sie diese Krümel auf die Masse. Mit einem Lineal oder einer Maurerkelle ziehen Sie nun möglichst gleich­mässig so knapp über die Masse hinweg, dass die Kork­ krümel hängen bleiben. Nach und nach werden sich einige wieder lösen, so dass unterschiedlich tiefe und unterschiedlich lange, parallele Rillen entstehen. Über Nacht trocknen lassen. Am nächsten Tag ein paar dieser Rillen flach schleifen,

so dass neben den Rillen auch glatte Flächen entstehen. Nun kommt ein dünner Anstrich mit verdünntem Holzleim drauf, um den Schleifstaub zu binden. Trocknen lassen. Danach schwarz matt anmalen und 1-2mm grosse Glaspailletten in die feuchte Farbe streuen. Trocknen lassen und anschliessend mit Spritlack die endgültige Oberflächenbehandlung durchführen. Je nach Glanzgrad mehr, weniger oder gar nicht auf­ tragen – gerade auf den geschliffenen Flächen wird der Lack nach dem Trocknen hochglänzend. Alles trocknen lassen. Fertig! Sie haben übrigens einen riesigen Vorteil gegenüber dem Opernhaus: Wenn Sie den Tisch nicht gross bewegen, so werden Sie nur ab und zu eine winzige Glaspaillette aus Ihrem Teppich saugen müssen. Wir haben die behandelten Oberflächen vor einigen Tagen aus dem Malsaal ins Lager transportiert, und seither ist das komplette Werkstattgebäude voll mit Glaspailletten, die natürlich nicht alle fest an der Farbe gehaftet haben. Falls Sie also in den nächsten Wochen auf Zürichs Strassen etwas funkeln sehen, waren wir mal wieder mit der Traviata auf dem Weg ins Lager oder auf die Bühne. Sebastian Bogatu ist Technischer Direktor am Opernhaus Zürich


Königin der Nacht Violetta Valéry, die Hauptfigur in Verdis Oper «La traviata», bewegt sich als käufliche Geliebte in den besten Kreisen der Gesellschaft. Wir haben nach einer «Traviata»-Karriere in der Schweizer Wirklichkeit von heute gesucht und sie in Lugano gefunden Eine Reportage von Sacha Batthyany


Foto: Colin Maillard / Oredia / Laif


La traviata

H

ierhin verirrt man sich nicht einfach so. Man muss schon wissen, was sich hinter den schweren Türen befindet im zweiten Stock eines noblen Geschäftshauses mitten in Lugano. Aber so war es bei Nadja schon immer: Die Kunden kamen zu ihr, nicht umgekehrt, viel hat sich nicht verändert – auch äusserlich nicht. Ihr Haar glänzt makellos wie damals, ihr Kleid ist schlicht und elegant und die Saumlänge dem garstigen Frühlingswetter angemessen. Seit zwei Jahren führt Nadja diesen Beautysalon im Tessin, man kann sich die Nägel feilen, die Haare kolorieren, kann sich Botox unter die Schupflider spritzen lassen. Früher hat sie als Luxus-Escort gearbeitet, «ich bin keine Prostituierte», wie sie immer wieder betonte, «ich bin eine Geisha.» Man konnte mit ihr in die Oper, in die Ferien auf Bali, konnte über Weine reden, Kunst und Aktienmärkte oder gleich hoch ins Hotelzimmer. «Das ist jetzt mein Reich», sagt sie auf Englisch mit russischem Akzent und zeigt auf die verspiegel­ ten Wände, die Waschbecken, die Haarprodukte und die ver­stellbaren Liegen, die aussehen wie beim Zahnarzt. Sie hatte schon damals offen darüber gesprochen, wie gut sie Menschen verführen könne, früher waren es Männer, die sie um den Finger wickelte, heute sind es Frauen, denen sie die Nägel lackiert und die Haut strafft für den Preis einer Handtasche in einer der edlen Boutiquen um die Ecke.

Nadjas Kunden sind Ärzte, Piloten und vor allem Banker Ich hatte Nadja im Jahr 2010 kennengelernt und mehrere Male in Zürich getroffen. Nadja lebte damals von wohl­ haben­den Ärzten, Piloten, Juristen, aber vor allem von den Banken, wie sie behauptete: «Sie buchen mich für ihre besten Kunden, aber nicht wie eine der Frauen von der Langstrasse, es muss alles zufällig aussehen: Ich warte in einer Lobby oder in einem VIP-Zelt, zum Beispiel während des Pferderennens in St. Moritz. Sie sprechen mich an, wir flirten, ich trinke Bellini, als hätten wir geschäftlich miteinander zu tun. Männer mögen die Jagd, also gebe ich ihnen das Gefühl, sie könn­ ten mich verführen. Das ist meine Strategie», sagte Nadja: «Ich gebe mich unschuldig und naiver, als ich bin. Und wenn mich ein Mann nach Monte Carlo einladen will, dann sage ich: ‹Monte Carlo? Das wäre wunderbar, da war ich noch nie!›, obwohl ich dort jedes Bett kenne. Ich mag die Badewanne in der Churchill-Suite im Hotel de France.» Nadja stammt aus Tomsk, Westsibirien, einer Stadt mit fünfhunderttausend Einwohnern, aber nur «zwei halbwegs brauchbaren Schuhgeschäften». Ihre Eltern arbeiteten beide als Hochschullehrer. Sie wuchs ohne Geschwister in einer

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Dreizimmerwohnung auf, wo sie früh davon träumte, als Tänzerin im Ausland zu arbeiten, Scheinwerfer, Applaus, das war es, was sie wollte, Paris, London, vielleicht New York – doch statt am Broadway landete sie mit achtzehn in einem Kabarett in Subotica, einer miesen Kleinstadt im Norden Serbiens, wo ihr italienische Geschäftsmänner Eiswürfel in den Ausschnitt steckten. Es folgte ein Jahr in einem Nachtklub in Pisa, wo sie im Monat 2000 Euro verdiente, in Paris schloss sie sich einer Escort-Agentur namens Elite an, deren Chefin wegen Steuerhinterziehung mittlerweile im Gefängnis sitzt, und heiratete des Passes wegen einen Franzosen. Dann kam die Schweiz. Im Unterschied zu Genf, wo sie die ersten Jahre verbrachte und mit ihren Kunden auf Partys ging, auf Vernissa­ gen und sich öffentlich zeigte, spielte sich ihr Leben in Zü­rich verborgener ab, spät abends in Hotels und Restaurants im gedimmten Licht und leiser Musik. «In Zürich wird das Verruchte versteckt», sagte Nadja über jene unbekannte Welt, über die in diesen Wochen auch in Frankreich debattiert wird, anlässlich des Prozesses gegen Dominique Strauss-Kahn, den ehemaligen Direktor des Internationalen Währungsfonds, der offenbar mehr als einmal mit Frauen wie Nadja in Berührung kam. «Tagsüber existiere ich nicht», sagte Nadja damals und beschrieb mir ihre Wohnung, vier Zimmer, wenig Möbel, keine Bilder, kaum Küchengeräte. «Ich mag es leer und luftig, eine Flasche Champagner und Mozzarella di Bufala findet man bei mir immer, falls Besuch kommt.» Sie schlief, wenn ihre Nachbarn die Kinder in die Schule brachten, sie ging ins Fitnessstudio und trug Kopfhörer, um sich vor den Ge­ räuschen des realen Lebens zu schützen. Freunde hatte sie kaum, und wenn, dann waren es Frauen wie sie, Königinnen der Nacht von zweifelhaftem Ruf und mit einer beachtlichen Sammlung hochhackiger Schuhe in roten Filzbeuteln, die sie in ihren Schränken horten wie Schätze.

«Ich reise mit Ihnen um die Welt, während ihre Frauen Nudeln für die Kinder kochen» Ein paar Jahre verbringen Frauen wie Nadja am selben Ort, sei es Zürich oder Genf, bis sie weiterziehen, «weil die Frischen kommen»: Nadja zog nach Zug, einer ihrer Stammkunden hatte ihr eine Wohnung gemietet mit Blick auf den See. «Manchmal habe ich ihn auf seine Geschäftsreisen be­­ gleitet», sie habe die Geschenke für seine Gattin ausgesucht und mitangehört, wie er mit ihr telefonierte und sich nach den Kindern erkundigte. «Mir war das nie unangenehm, mich hat es amüsiert, wenn Männer, die sich eben noch auf­ spielten, plötzlich weiche Stimmen bekamen. Und ausserdem


La traviata 15

war ich es ja, die verwöhnt wurde: Ich reiste um die Welt, während die Ehefrauen zu Hause für die Kinder Nudeln koch­­ten. Dieses bürgerliche Leben mit Labrador und Fa­mi­ lien­ferien in Griechenland, das wollte ich nie.» Alles ist käuflich, sagte sie mir an einem unserer letzten Treffen damals. Sie ass kalte Tomatensuppe und gab Acht, dass nichts auf ihr Kleid tropfte. «Ich bin ein Profi darin, so zu tun, als wäre ich verliebt, als bestünde die Möglichkeit einer Affäre.» Nie würde sie Druck ausüben, nie einen der Männer belagern, beschimpfen, erpressen, «ich reagiere im­ mer nur auf deren Wünsche, Männer wollen keine Emanzen. Das ist ja der Unterschied zwischen mir und ihren Ehefrauen: Ich stelle keine Forderungen. Alles muss sich federleicht anfühlen, als würden wir uns blindlings verstehen.» Vor allem die Anfangseuphorie müsse sie nutzen, es sei die lukrativste Zeit, «in den ersten Wochen und Monaten kaufen sie mir alles». Es komme auf die Dosierung an, fügte sie später hinzu, und sie klang längst wie eine Köchin, die nach langem Bitten ihre Geheimrezepte verrät. «Die Männer müssen stets das Gefühl haben, es komme noch mehr. Auch im Bett: Du fängst zart an, als wärst du seine Freundin, aber du zeigst, dass du alles drauf hättest und dass es immer weitergeht.» Es ist wie beim Esel mit der Karotte vor der Nase: So hielt Nadja ihre Männer am Laufen.

Mätressen treiben angesehene Männer seit Jahrhunderten in den Ruin Nur neu ist das alles nicht. Mätressen, die ihren Gelieb­ten den Kopf verdrehten, gab es schon im Hochmittelalter, später, im 18. und 19. Jahrhundert, wurden sie immer berühmter und mächtiger, wurden verehrt und verewigt, von Madame de Pompadour, der Mätresse Ludwigs XV., bis zu Marie Duplessis, der Kameliendame, der Vorlage für Giu­ seppe Verdis La traviata. Balzac schuf mit Glanz und Elend der Kurtisanen eine präzise Sittenstudie aus dem Pariser Leben um 1847, in der Belle Époque waren Kurtisa­nen wie La Belle Otéro oder Liane de Pougy richtige Stars, die enge Kontakte zu den damaligen Klatschreportern pflegten, über ihre Auftritte, ihre teuren Garderoben und luxuriösen Wohnungen wurde berichtet wie heute über Angelina Jolie. Es waren «material girls», bevor man den Begriff überhaupt kannte, und ja: Sie trieben auch die angesehensten Männer in den Ruin. Mit dem Untergang des Adels im Ersten Weltkrieg geht auch die Zeit der öffentlichen Edelprostitution zu Ende. Heute hält man sich Mätressen wieder heimlich, es ist die Zeit der bürgerlichen Doppelmoral, in der Politiker wie Eliot Spitzer, ehemaliger Gouverneur New Yorks, am Fernsehen die Gier der Banker anprangert und sich am

Abend heimlich mit Damen wie dem Luxus-Callgirl Ashley Alexandra Dupré im Hotelzimmer 871 in Washington trifft und seine Karriere ruiniert.

Das Alter ist der Tod in Nadjas Geschäft, irgendwann wurde sie nicht mehr so oft gebucht Zum letzten Mal traf ich Nadja im Zug. Der Sommer war fast vorbei, sie war unterwegs zu einem ihrer Kunden und einverstanden damit, dass ich sie auf dem Weg begleite. Sie hatte eine Ledertasche dabei, in der sich ihre Schuhe befanden und hautfarbene Unterwäsche, ihr Kunde wünsche das so, erzählte sie, ein Pilot der Jet Aviation, mit eigenarti­gen Vorlieben im Bett. Wir fuhren am Walensee vorbei, als sie zum ersten Mal von ihrem Plan sprach, auszusteigen. Nach all den Jahren habe sie genug, sagte sie, und erzählte von einem Kurs an einer Businessschule, den sie eben begon­nen hatte, noch wolle sie nichts überstürzen, sich nur vorbereiten auf die Zeit danach. Nadja sprach leiser als sonst, sie könne das Alter nicht aufhalten, trotz aller Beauty-Produkte, trotz Crèmes und Masken. «Irgendwann will ich mit diesem Leben aufhören», sagte sie damals, und jetzt, fünf Jahre spä­ter, ist es ihr tatsächlich gelungen. Sie sitzt an ihrem Glas­ tisch und zeigt mit dem Finger auf die Termine des morgigen Tages, während Regen an die Scheiben prasselt: «Zu mir kommen sie sogar aus Mailand.» Die letzten Jahre in Zürich wären hart gewesen, erzählt sie, und öffnet eine Flasche Weisswein. Die Bankenkrise hätte Spuren hinterlassen, die Männer waren anstrengend, die Wünsche ausgefallen, der Sex immer unangenehmer, die Stimmung aggressiv. «Plötzlich waren da so viele junge Mäd­chen aus Asien», beginnt sie und bricht den Satz ab. Sie wurde nicht mehr ganz so oft gebucht, ihr Telefon blieb stumm, «ich fühlte mich wie eine Schauspielerin, die keine Rolle mehr bekommt», und sie lacht und trinkt, doch es müssen schreckliche Abende gewesen sein, allein in ihrer leeren Wohnung mit Mozzarella im Kühlschrank für Gäste, aber es kam ja doch nie jemand. Sie könne sich an einen Abend erinnern, da habe sie in einer Hotelbar in Como auf einen Kunden gewartet, doch er sei nicht gekommen, er habe sich nicht mal gemeldet. Von weitem habe sie sich im Spiegel betrachtet, und sie sah eine alte Frau, «ich war verwelkt», sagt sie ganz ruhig. Das Alter ist der Tod in ihrem Geschäft, das von der Inszenierung lebt, von der Maske, und sobald die brüchig wird und der Mensch hervorschimmert, ist es zu Ende. Sie war damals 38. Nadja begann, von einem Salon zu träumen, wie es ihn in der Schweiz noch nicht gebe, nicht nur Fingernägel, nicht


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das Spiel suchen, die Eroberung. Wenn ich mich früher mit einem Kunden einliess, ging es nie um Sex, das ist das grosse Missverständnis, es ging immer nur um Macht.» Eigentlich, fährt sie fort, gebe es nur eine einzige Sache, die sie vermisse, «mein altes Leben hatte etwas Geheimnisvolles». Kaum je­ mand wusste, was sie wirklich tat und wer sie war, sie lebte un­ter dem Radar, war niemandem Rechenschaft schuldig. Jetzt ist sie eine unter vielen, die morgens in überfüllten Bus­sen sitzen und zur Arbeit fahren. Dann klingelt ihr Tele­ fon, «eine Verabredung», sagt Nadja, «ich muss los.» Ihr Freund? Sie schüttelt den Kopf. Sacha Batthyany ist stellvertretender Chefredaktor von «Das Magazin», der Wochenendbeilage des «Tages-Anzeiger».

Foto: Frédéric Cirou / Alto / Laif

nur Botox, sondern alles zusammen, das ganze Programm. Einer ihrer Kunden half ihr beim Businessplan, sie wollte ins Tessin, weil man sie in Zürich und Zug schon kannte, und fing hier ihr neues Leben an, ihr altes liess sie in jener Bar in Como zurück – sie fand in diesem Nagelstudio ihre neue Rolle: Nadja schläft jetzt, wie alle anderen auch, in der Nacht, und ist stolz darauf, den Absprung gefunden zu haben, nicht wie all die, sagt sie, die geheiratet haben, um nicht allein sein zu müssen, und trinken, um zu vergessen. «Ich glaube, ich bin dafür geschaffen, Menschen zu dienen. Ich sehe das nicht als etwas Unterwürfiges, im Ge­ gen­­teil.» Zu erkennen, was andere Menschen wollen, sei eine Kunst – die Kunst der Verführung, seien es Frauen oder Männer. «Frauen sind weniger leicht zu beeindrucken», das habe sie gelernt, «und sie sind ehrlicher, während Männer


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Flucht in eine Scheinwelt Am 18. April hat unsere Neuinszenierung von Verdis «La traviata» Premiere. Ein Gespräch mit Regisseur David Hermann und Bühnenund Kostümbildner Christof Hetzer über eine Frau, die die Extreme sucht und daran zerbricht Fotos Stefan Deuber

David Hermann und Christof Hetzer, wie ist es für Euch, La traviata auf die Bühne zu bringen – eine der meistgespielten Opern überhaupt, an die viele ganz konkrete Erwartungen haben? David Hermann: Zunächst hat mich diese Popularität etwas gehemmt. Aber als ich mich mit dem Stück beschäftigte, merkte ich, dass im Zusammenwirken von Musik und Text Perspektiven vorhanden sind, die vielleicht noch nicht abgenutzt sind und die das Stück neu aufladen können. Zum anderen ist es ein Stoff, der von Verdi sehr zeitgenössisch gemeint war; deswegen ist es interessant, das Stück an uns heranzuholen und zu fragen: Welche Relevanz hat es heute, wie würden sich heutige Charaktere in diesem Stück bewegen? Während der Vorbereitung haben wir viele Schichten abgetragen und interessante Spannungsfelder entdeckt, unter anderem eine grosse Ansammlung von negativer Energie: Es ist erstaunlich, wer hier wen wie manipuliert, hintergeht und beeinflusst! Um ein Beispiel zu geben: Im ersten Akt auf der Feier von Violetta gibt es eine Auftrittsmusik, von der jeder weiss: Hier tritt jetzt der Chor auf. Wenn man aber genau liest, könnten an dieser Stelle auch einige Leute die Party verlassen, weil die meisten Gäste zu spät kommen und auf der Party nichts los ist.

Eure Intention ist es also, diesen schon von Verdi zeit­genössisch gemeinten Stoff in die Gegenwart zu holen; in welcher Welt spielt Eure Inszenierung? Christof Hetzer: Wir reproduzieren ja keine Welt. Wir nehmen uns wie die Hyperrealisten in der bildenden Kunst ein paar Elemente aus einer existierenden Welt heraus und lassen alles, was uns nicht interessiert, weg. Da­durch sieht man noch genauer, wie diese Elemente miteinander funktionieren. In einer so hohen sozialen Schicht wie der, in der wir uns hier bewegen, kommuniziert alles mit­­ einander: Die Schuhe, die man trägt, sagen genauso etwas über den sozialen Status aus wie die Art und Weise, wie man sich seine Brille abnimmt. Wir erhoffen uns, dass wir dadurch gewisse Dinge unters Mikroskop legen und der Präzision von Verdi gerecht werden können. DH: Der Präzision, aber auch der Ökonomie der Mittel! Verdi schreibt sehr kompakt und sehr scharf, und das ist es auch, was wir in der theatralischen Sprache suchen. – Auf das ganze Stück gesehen, geht es natürlich um den Verlust. Das Stück ist ein grosser Showdown, ein kapitaler Absturz. Das manifestiert sich auch in den Bühnenr­ äumen, die Christof entworfen hat: Zu Beginn gelten in diesen Räumen gewisse Regeln und Verlässlichkeiten, die sich mehr und mehr auflösen. Alles wird immer weniger, ausgesparter, isolierter.


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Anita Hartig und Pavol Breslik

CH: Die Gesellschaft, die wir zeigen, ist natürlich eine High Society von heute, aber ohne Jahreszahl, relativ un­ gebrochen, noch vor der grossen Finanzkrise… DH: …und vor der digitalen Revolution. Es gibt noch keine Handys... CH: ...es findet alles noch live und in der Realität statt. Und dabei wird genauestens registriert, wer zu spät kommt und wer wie viele Portionen Crèmeschnitte isst. Offenbar hat sich in dieser High Society viel Aggres­ sion angestaut; woher kommt die Lust daran, den anderen blosszustellen? CH: Bei vielen Menschen führt Unsicherheit dazu, dass sie denken, wenn sie als erste handeln, haben sie zumindest einen Vorteil. DH: Im Stück ist der Ursprung der Aggression oder des Konfliktes die Frage, ob Violetta es als High Class Escort Girl überhaupt noch packt, nachdem sie ein Jahr lang wegen ihrer Krankheit ausgefallen war. Denn sie hat eine Gegenspielerin, nämlich Flora; zwischen den beiden gibt es von Anfang an eine starke Konkurrenz. Der Leistungsdruck in diesem Berufsfeld, dieses ständige sich-selbstVermarkten und -Optimieren, ist ein Stress, der vielen Menschen heute vertraut ist. Die Grenze zwischen Beruf und Privatleben droht zu verschwinden. Bei einem Berufsbild wie der Prostitution ist das noch stärker der Fall, weil der ganze Körper involviert ist. Dann führt Gaston auch noch Alfredo auf der Party ein, der aus einer

sozial niedrigeren Schicht kommt, um Violetta zu provozieren, und das geht eigentlich auch von Flora aus. Die Rivalin möchte nicht, dass Violetta ihren Marktanteil zurückbekommt. Die Aggression entsteht aus dem Kampf um den Markt. Und wenn jemand in diesem Geschäft strauchelt, gibt es immer Menschen, die es ge­ nies­sen, den Untergang zu beobachten und zu mani­ pulieren. Schadenfreude und Missgunst sind leider etwas, das den Menschen innewohnt. Deshalb stürzt Violetta so tief, weil ihre vermeintlichen Freunde keine echten Freunde sind. Solange du funktionierst, gehörst du dazu, aber sobald du ein Problem hast und nicht mehr wie ein Rädchen im Getriebe arbeitest, fliegst du raus und bist ganz schnell ersetzbar. Jeder kennt ähnliche Situationen aus seinem Leben. Violetta war ein Jahr krank und konnte nicht arbeiten; wenn sie in die Gesellschaft zurückkehrt, steht sie unter grossem Leistungsdruck. Im Libretto hat sie Tuberkulose; man kann aber diese Krankheit auch im übertragenen Sinn verstehen. DH: Bei fast jedem Krankheitsbild ist auch ein psychosomatischer Anteil dabei. Mich interessiert in unserem Zusammenhang eher ein Burnout- oder ein Borderline-­ Syndrom, ein grundsätzliches Überfordert-Sein, ein Zustand, in dem man Dinge sieht, die gar nicht da sind. Das kann man im ersten Bild sehr gut zeigen: Wenn hier die Bewegung plötzlich einfriert, dann ist das die


La traviata 19

subjekti­ve Wahrnehmung von jemandem, der unter ex­ tremem Stress leidet und deshalb Wahrnehmungsstörungen hat. Ich finde interessant, dass Violetta genau in der Mitte des Stücks kollabiert – in dem Moment, in dem sie auf den Vater Alfredos trifft, der eine grosse Ruhe ausstrahlt und sehr geerdet ist; da lässt sie sich plötzlich fallen und sagt: Ich kann nicht mehr, alles, was ich mir vorgenommen habe, ist zu gewollt, zu konstruiert, nicht kommuniziert; da ist sie am Ende. Bis dahin hält sie alles fest. Trotzdem bedeutet ja schon die Begegnung mit Alfredo im ersten Bild eine grosse Veränderung in ihrem Leben – sie lässt ein Gefühl zu, das sie vorher nie zuge­ lassen hat. DH: Ja, bis dahin war sie nie verliebt, das passiert jetzt zum ersten Mal. Das Tragische ist wiederum, dass sie damit so gar keine Erfahrung hat – wie führe ich eine Beziehung, wie geht das überhaupt? Intuitiv dreht sie alles um: Jetzt ist sie es, die den Mann bezahlt. Aber nicht, um Alfredo zu manipulieren, sondern aus dem Reflex heraus, über die finanziell schwierigen Verhältnisse nicht sprechen zu wollen – vielleicht auch, weil das Geld in der Ver­ gangenheit immer ihr Leben regiert hatte. Sie möchte uto­pisch, paradiesisch leben, aber diese Konstruktion ist labil und bricht genau in der Mitte des Stücks zusammen. Auch die Rückkehr in ihr altes Leben funktioniert nicht mehr, und dann kommt der endgültige Fall, der mit ihrem Tod endet.

Gibt Violetta also deshalb der Bitte des Vaters nach, auf Alfredo zu verzichten, weil sie selbst diese auf Unwahrheit aufbauende Situation nicht mehr aushält? CH: Ich glaube, das ist eine Mischung. Sie hat auch das Gefühl, durch den Verzicht auf eine seltsame Art und Weise Teil von etwas zu werden, ein wichtiger Teil der Familie. DH: Auch in diese Rolle steigert sie sich hinein. Jede Rolle, die Violetta annimmt, überspannt sie. Zu Anfang ist es die Rolle der perfekten Gastgeberin, die sie überfordert; dann die Rolle der Liebhaberin, die das Paradies auf­­recht­ er­halten will – das klappt nicht, weil die Grundlage dafür fehlt, nämlich das Geld. Und dann steigert sie sich in die Rolle derer hinein, die Alfredos Familie das Glück ermöglichen will, indem sie aus Alfredos Leben verschwindet. Das Entscheidende für ihr Einwilligen in die Bitte des Vaters ist demnach, dass Violetta schon vor dessen Erscheinen begreift, dass dieses Leben im sogenannten Paradies auf Dauer nicht funktionieren kann, dass sie die von ihr und Alfredo konstruierte Scheinwelt nicht länger aufrechterhalten kann. CH: In ihrer Verzweiflung erkennt sie einen Silberstreifen am Horizont: Sie glaubt, einen Weg zu sehen, wie sie bei Alfredo in makelloser Erinnerung bleiben kann. Die kurze Vision vom Heldentod ist im Grunde eine Selbst­stilisierung über den Tod hinaus. DH: Sie kreiert sich wieder ein Bild, eine Rolle. Obwohl Violetta viel empfindet, ist das Äussere für sie sehr


La traviata 20

wichtig; es geht immer auch darum, die Fassade aufrecht zu erhalten. Das macht auch diese Oper so unglaublich spannend: Verdi zeigt beide Seiten, vor und hinter der Fassade, die Abgründe und die Gefasstheit. Ganz stark ist das ja schon in Violettas Arie im ersten Akt herausgearbeitet, in der sie zwischen zwei ex­ tremen Polen schwankt: Einerseits ist ihr bewusst, dass sie ein sehr einsames und unglückliches Leben führt, andererseits will sie ihre Freiheit nicht aufgeben. Man fragt sich allerdings, was das für eine Freiheit ist innerhalb all dieser Abhängigkeiten, die das Leben als Edelprostituierte ja auch mit sich bringt. DH: Sie sagt ja: Ich muss frei sein! Das ist keine Freiheit, die von innen kommt, das ist ein Zwang zu feiern, ein Zwang, sich zu amüsieren. Sie sagt, sie möchte vor Ver­gnügen sterben, daran vergehen. Das hat etwas Selbstzerstörerisches. Ein Stück weit hat diese Figur ihren Absturz in meiner Lesart auch selbst mit verschuldet, weil sie immer ins Extrem geht.

Also ist Violetta kein Opfer der Gesellschaft? DH: Nicht nur, finde ich. CH: Auf jeden Fall aber auch, denn die Gesellschaft funktioniert nach Marktgesetzen und fragt nicht danach, wie es den Menschen geht. Geht Ihr also davon aus, dass die Beziehung zwischen Violetta und Alfredo auch ohne die Intervention des Vaters nicht glücklich geworden oder geblieben wäre? DH: Das ist schwer zu sagen. Ich glaube an diese Liebe. Die Gefühle von Violetta und Alfredo sind echt! Aber wie wir alle wissen, bedeutet eine Beziehung auch Arbeit... CH: Die Dauer einer Beziehung sagt nichts über ihre Qualität! In den drei Monaten, in denen Violetta und Alfredo zusammen sind, lieben sie sich wirklich. DH: Trotzdem wäre mehr Ehrlichkeit gut gewesen. Dadurch, dass beide der Realität – dass nämlich kein Geld da ist – ausgewichen sind, wurde ihre Liebe zerstört. Vielleicht wären sie ein tolles Paar geworden. Alfredos Motiva­ tion im ersten Bild ist: Ich hole dich raus aus diesem Netz von Intrigen und Abhängigkeiten. Daran glaube ich.

Pavol Breslik, Anita Hartig und David Hermann


La traviata 21

Alfredos Vater ist in Eurer Sicht nicht nur Repräsentant der intoleranten Gesellschaft, der das Glück Violettas und Alfredos brutal zerstört. CH: Germont ist vor allem ein Realist. Wir haben uns immer vorgestellt, er sei ein Weinbauer aus Südfrankreich, der einen alternativen und selbstbestimmten Lebensstil hat, sich aber auch dessen bewusst ist, dass im Dorf geredet wird. Das ist heute noch genauso aktuell wie vor 150 Jahren. Germont weiss, Violetta kann in dieser Konstellation nicht glücklich werden. Wenn die ganze 68er-Generation es nicht geschafft hat, warum soll sie es dann schaffen, die gesellschaftliche Spaltung zu über­brücken? Aber natürlich ist er auch rücksichtslos und egois­tisch. DH: Verdi ist als Figurenzeichner grandios, denn er zeigt, dass Germont auch Mitleid hat mit Violetta, er ist nicht einfach brutal. Er bleibt nicht kalt und distanziert, er leidet mit, es kostet ihn Kraft, dieses Glück zu zerstören.

Position. Und als Heilige will sie enden. Sie versteigt sich innerlich in diese Heiligenrolle, und ich habe das Gefühl, dass sie im vierten Bild einen starken Kontakt aufgebaut hat zu einer höheren spirituellen Instanz. Das ist eine befremdliche Wesensveränderung, die auch Alfredo und seinen Vater irritiert. Auch in dieser Rolle geht sie wieder ins Extrem, indem sie sich etwas konstruiert, das es eigentlich gar nicht gibt – das ist eine tragische Flucht in eine Scheinwelt. Das Gespräch führte Beate Breidenbach

LA TRAVIATA Oper von Giuseppe Verdi

Trotzdem ist sein Eingreifen grausam. Aber er macht einen Prozess durch im Laufe des Stückes und erkennt am Ende seine Schuld. Musikalisch ist interes­ sant, dass im zweiten Akt kein Liebesduett von Violetta und Alfredo vorkommt, nur Alfredos Arie, in der er allein von seinem Glück singt, dafür aber ein wunderschönes Duett zwischen Violetta und Germont. Hier hat man den Eindruck, als fände deutlich mehr emotionaler Austausch statt als jemals zwischen Violetta und Alfredo. DH: Absolut. Das ist übrigens eine gigantische Schauspiel­ szene. Nach dem Duett mit Violetta trifft Germont auf Alfredo – und Alfredo sagt gar nichts. Aus dieser Verweigerung entsteht eine sehr interessante Energie, die ganz viele Farben bei Germont freisetzt, weil er auf verschiedenste Arten versucht, seinen Sohn zum Sprechen bzw. Singen zu bringen. Die Kommunikation, die zwischen Germont und Violetta funktioniert, funktioniert zwischen Vater und Sohn überhaupt nicht. Das kennt jeder, dass man mit seinen Eltern einfach nicht reden will. Wie Verdi das auf aufs Musiktheater überträgt, ist beeindruckend. Eines der vielen Argumente, mit denen Germont ver­ sucht, Violetta davon zu überzeugen, sich von Alfredo zu trennen, ist die Religion; was für eine Rolle spielen Glaube und Religion für Violetta? DH: Wir haben vorhin von den Extremen gesprochen, in die Violetta verfällt: Zu Beginn des Stückes ist sie eine Prostituierte in einer gesellschaftlich nicht anerkannten

Musikalische Leitung Inszenierung Bühnenbild und Kostüme Lichtgestaltung Video-Design Choreinstudierung Dramaturgie

Marco Armiliato David Hermann Christof Hetzer Franck Evin Anna Henckel-Donnersmarck Ernst Raffelsberger Beate Breidenbach

Violetta Valéry Alfredo Germont Giorgio Germont Flora Bervoix Annina Gastone Marquis D’Obigny Doktor Grenvil Commissionario

Anita Hartig 18, 21, 24, 28 Apr; 1, 3 Mai Ailyn Perez 6, 8, 14, 17, 20, 23 Mai Pavol Breslik 18, 21, 24, 28 Apr; 1, 3 Mai Matthew Polenzani 6, 8, 14, 17, 20, 23 Mai Quinn Kelsey Olivia Vote Ivana Rusko Dmitry Ivanchey Valeriy Murga Dimitri Pkhaladze Alexei Botnarciuc

Philharmonia Zürich Chor der Oper Zürich Statistenverein am Opernhaus Zürich

a

b Partner Opernhaus Zürich Premiere 18 April 2015 Weitere Vorstellungen 21, 24, 28 April 1, 3, 6, 8, 14, 17, 20, 23 Mai 2015


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Musik ist eine Heilkunst Die junge Rumänin Anita Hartig begann ihre Karriere an der Wiener Staatsoper. In Zürich singt sie jetzt ihre erste Violetta

E

Ein Porträt von Kathrin Brunner

s ist eine zierliche Frau, die da über das riesige Parkett der Wiener Staatsoper gleitet und in einem weissen Kleid vor den Augen der ganzen Welt eine Arie aus Charpen­ tiers Louise singt – das Orchester weit hinter ihrem Rücken. Mit Goldketten behängte Hälse recken sich aus den Logen, die Debütantinnen und Debütanten stehen artig Spalier. Eine Frau mit Nerven aus Stahl, ging einem damals, im Februar 2014, zuhause vor dem Fernseher durch den Kopf. Aber weit gefehlt. «Ich habe gedacht, ich sterbe», erzählt Anita Hartig rückblickend von ihrem Auftritt beim Wiener Opernball. «Vor so vielen Menschen zu singen, die man – im Gegensatz zu Auftritten auf der Bühne – alle auch noch sieht, war für mich eine komplett neue Erfahrung.» Und im glei­ chen Atemzug ergänzt sie: «Man muss sich einfach der Angst stellen. Und deshalb liebe ich diesen Beruf. Er zwingt mich, mit diesen Ängsten umzugehen.» Wer der Sopranistin Anita Hartig begegnet, erlebt eine hochsensible Künstlerin, die ihren Beruf nicht auf die leichte Schulter nimmt, die Disziplin, Ehrgeiz, Perfektionismus und ein grosses Verantwortungsgefühl gegenüber ihrem Publi­ kum an den Tag legt. Dass das nicht immer ganz einfach ist, kann man sich vorstellen. «Manchmal, wenn alles passt, ist es wunderbar, vor Menschen zu singen. Dann schwebe ich und empfinde ein Gefühl der Freiheit», meint Anita Hartig. Aber das passiere nicht immer und sei, wenn es schlecht laufe, jedes Mal dramatisch. «Mein Lebenspartner sagt in solchen Momenten: ‹Du bist doch kein Roboter, lass Dir Zeit, ent­ spanne dich.› Aber das ist schwierig.» Als Künstler sei man vielen emotionalen Einflüssen ausgesetzt und nicht immer sei es leicht, Stimme und Persönlichkeit davor zu schützen. Hat sie dafür Strategien? Anita Hartig verneint. «Ich bin ein instinktiver Mensch. Ich bin sehr ehrlich und direkt. Wenn ich etwas empfinde, empfinde ich das und Punkt.»

Anita Hartig stammt aus Bistritz, einem malerischen Städt­ chen mit Burgen und evangelischen Kirchen, das im rumä­ nischen Siebenbürgen, Transsilvanien, liegt. Ursprünglich von deutschen Siedlern gegründet, gehörte die Stadt erst zu Österreich-Ungarn, dann zu Rumänien, anschliessend zu Ungarn und seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder zu Rumänien. Und selbstverständlich hat dort auch Graf Dracula – wenn auch indirekt – seine Spuren hinter­ lassen: So steigt die Hauptfigur Jonathan Parker in Bram Stokers berühmtem Dracula-Roman auf dem Weg zu Graf Dracula in einem Hotel in Bistritz ab... Hartigs Mutter ist Rumänin, der Vater Sachse. Von ihm habe sie die deutsche Fähigkeit zur Genauigkeit geerbt, von ihr die lateinisch-ro­ manische Mentalität, erzählt sie. Sie selbst sei mehr rumä­ nisch aufgewachsen, war auf einer rumänischen Schule, hatte rumänische Freunde. Am meisten vermisse sie heute den Bauernhof der Grossmutter mit den Ziegen, Schafen und Hunden. Als Kind habe sie sich manchmal bei den Tieren im Stall eingesperrt, um in Ruhe mit ihnen spielen zu kön­ nen. Auch ein Pferd habe es gegeben, aber geritten sei sie nie. «Das war mir zu riskant. Ich war nie so eine Wilde. Auch jetzt nicht», bekennt Hartig. Ihre Naturverbundenheit führt sie auch auf die Wochenendausflüge in die Jagdhütten der Umgebung zurück – ihr Vater war Jäger unter Ceausescu bis sie sechs Jahre alt war. Und welchen Stellenwert hatte die Musik in ihrer Familie? Die Eltern seien zwar keine Profi-­ Musiker gewesen, aber zuhause habe man viel gesungen und musiziert, besonders um die Weihnachtszeit. Zur Oper ist sie schliesslich durch eine geschenkte Callas-CD gekommen. Sie hat sie süchtig gemacht. Sechs Jahre lang studierte sie Gesang in Klausenburg (Cluj-Napoca). Auch einmal anderswo zu studieren, sei für sie aus finanziellen Gründen nicht in Frage gekommen.


Foto: Shirley Suarez


La traviata 24

Ausserdem, fügt sie an, wäre es ihr damals unvorstellbar ge­ wesen, irgendwo in der Welt, weit weg von zuhause zu sein. Das Vorsingen, das nach ihrem Studium alles in ihrem Leben verändern sollte und die blutjunge Sängerin mit einem Schlag mitten in den internationalen Opernzirkus katapul­ tierte, fand dann allerdings in Bukarest statt. Ioan Holender, der damalige Wiener Staatsoperndirektor, wurde durch eine Empfehlung auf die junge Künstlerin aufmerksam. Die 600 Kilometer von Bistritz nach Bukarest legte sie im Nachtzug auf einem ungemütlichen kleinen Bett zurück. Am nächsten Morgen sang sie Holender Mimì und Micaëla vor – und reüssierte. «Holender, dieser mächtige Mann, sagte zu mir: ‹Sie müssen raus aus Rumänien. Sie haben das Potenzial.›» Mit einem Vertrag für drei Monate in der Tasche zog sie im Jahr 2009 nach Wien. Obwohl sie bereits Deutsch sprach, empfand sie den Wechsel nach Wien zwar als aufre­ gend, aber auch als beängstigend, litt unter Heimweh. «Ich erlebte so viel Neues, das hat mich als Mensch und Künst­ lerin enorm gefordert.» Es war der Beginn ihres Weges nach «Mekka», wie sie sagt. Der Vertrag wurde schnell verlängert. Was ihr, die schon bald als «Staatsopern-Senkrechtstar­ terin» (Die Presse) gefeiert wurde, in dieser Anfangszeit die Kraft gegeben hat, durchzuhalten? Ihr eiserner Wille? Hartig verneint. Eher die Liebe und die Leidenschaft für die Kunst, auch der Blick auf andere Künstlerkollegen, die sie mit ihrem Können berührt hätten: «Immer wieder staune ich über diese Kollegen und fühle mich ganz klein. Ich bin jedes Mal per­ plex, wie sie mit ihrer Kunst Menschenseelen heilen. Denn für mein Verständnis ist Musik eine Heilkunst.» Dass die Bedingungen für das Ausüben dieser Heilkunst an der Staatsoper nicht immer ganz ideal waren, daraus macht Anita Hartig keinen Hehl. Rollen wie Pamina, Des­ pina, Zerlina, Frasquita, Fidelio-Marzelline oder Micaëla sang sie manchmal mit Probenzeiten von gerade mal vier bis fünf Tagen. Kamikaze-Übungen seien das oft gewesen, aber immerhin mit Partien, die sie bereits gesungen habe. So war sie 2011 in Puccinis La bohème ursprünglich als Musetta vorgesehen, stand dann aber über Nacht völlig unverhofft als Mimì auf der Bühne, als eine Kollegin krank wurde und musste sich konzentrieren, nicht die Melodien der Musetta mitzusingen. Der Mut wurde belohnt, und das Publikum jubelte. Bei der nächsten Vorstellung war sie dann wieder Musetta. Vor zwei Jahren hat man sie angefragt, als Violetta in Verdis La traviata einzuspringen. Aber sie sagte ab, wollte unter diesen Voraussetzungen mit einer so kom­ plexen Rolle nicht debütieren. Hartig braucht Zeit, um sich in eine Rolle zu vertiefen, ist detailversessen. Es gäbe immer mehrere Chancen im Leben, ist sie überzeugt. Die Mimì je­doch hat sie sich mittlerweile völlig zu eigen gemacht, sie

ist zu einer Art Schlüssel-Partie für die junge Künstlerin geworden. Bereits an alle grossen Häuser der Welt hat sie diese Rolle geführt, nach Paris, an die New Yorker Met, nach München, Hamburg, London und an die Mailänder Scala mit Partnern wie Piotr Beczala oder Vittorio Grigolo. Weit oben im Sängerolymp angekommen, lässt sie ihre Stimme dennoch regelmässig kontrollieren. «Ich bin ja erst seit fünf, sechs Jahren im Opernbetrieb. In dieser Zeit ist viel passiert», erklärt Hartig. «Mit meiner künstlerischen Suche bin ich noch lange nicht fertig: Fragen der Technik, der Interpretation, alles, was die Kunst des Gesangs bedeu­ tet und was ich als neugieriger Mensch noch erfahren möchte – da bin ich mittendrin.» Das Schicksal wollte es, dass eine andere rumänische Sängerin zur gleichen Zeit wie Anita Hartig nach Wien gezogen ist und – wie Hartig nicht ganz ohne Stolz erzählt – ihre Mentorin wurde: Ileana Cotrubas, die Mimì und Violetta der 1970er und 80erJahre. «Sie hat ihre ganz spezielle Technik. Natürlich passt das nicht zu jedem, da muss noch eine emotionale und men­ tale Verbindung entstehen. Aber unsere Chemie stimmt. Sie hat mir viel beigebracht. Nur ihre Leichtigkeit habe ich nicht.» Abschalten scheint für Anita Hartig nicht einfach zu sein. Nach einer Vorstellung dauere es immer eine gewisse Zeit, bis sie wieder auf den Boden der Realität zurückkeh­ ren könne. «Es hängt von meinem emotionalen Status ab, manchmal bin ich ganz erschöpft und kann nicht sofort einschlafen. Ich esse meistens etwas Gutes, lese irgendetwas. Am nächsten Tag geht es wieder ans Arbeiten. Ich muss fast jeden Tag üben», bekennt sie. Wenn sie sich dann doch einmal Freizeit gönnt, verschlingt die Künstlerin Science-­ Fiction-Romane, beschäftigt sich mit Astrologie. Auch für Religion interessiert sie sich – ihr Bruder ist evangelischer Pastor –, ein Beruf, der sie früher durchaus gereizt habe. Hat auch Musik für sie etwas Transzendentales, ist sie für sie eine Art Gottesersatz? Durchaus, meint Anita Hartig. Sie spüre manchmal eine Energie, eine Stärke, die zu ihr komme und von der sie nicht das Gefühl habe, dass sie sie selbst produziere. «Einmal fühlte ich mich vor einer Vor­ stellung unwohl. Ich habe einen Arzt aufgesucht, der mir versicherte, dass alles in Ordnung sei. Ich solle singen. Auch meine Professorin meinte: ‹Geh raus und sing.› Dann bin ich rausgegangen. Plötzlich fühlte ich mich selbst nicht mehr. Da war jemand oder etwas, das mich getragen hat. Und die Stimme war wirklich gut. Ich weiss nicht, was pas­siert ist.» Ob da womöglich bereits ein wenig die Violetta aus dem dritten Akt aus ihr gesprochen hat? Das Zürcher Publikum wird es demnächst erfahren.


Der Fragebogen 25

Was fällt Ihnen auf, wenn Sie in Zürich ankommen? Die wundervolle Architektur der Stadt. Und der See. Zürich ist eine sehr schöne Stadt. Immer internationaler, aber mit einem grossen Gespür für Kultur. Die Menschen sind fröhlich und stolz auf ihre Heimat. Was würden Sie sofort verändern, wenn Sie König der Schweiz wären? Gar nichts! Ich mag die Schweiz so, wie sie ist. Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück? Eine Karriere zu haben, durch die ich unabhängig bin. Ich reise viel. Ich habe das Privileg, mein Können durch die Kunstform Oper mit anderen zu teilen. Und der Erfolg, den ich mit meiner Arbeit habe, erlaubt es mir, ein einigermassen komfortables Leben zu führen. Was wäre das grösste Unglück? Die Liebe zur Oper und zum Gesang zu verlieren. Welche musikalische Erfahrung hat Sie geprägt? Mein erster Rigoletto am Opernhaus Oslo 2011. Damals war ich ziemlich jung für einen Verdi-Bariton in dieser Rolle – erst 33. Was mich am meisten geprägt hat, war, das Fundament für diese Rolle zu legen, eine Methode zu finden, mich auf die grosse Verantwortung vorzubereiten.

Professio­na­ li­tät, gepaart mit Ruhe. In unserem Job sind wir enormem Stress ausgesetzt. Reisen, Proben, Auftritte. Neue Rollen. Es hilft, wenn man lachen und Witze machen kann. Sonst macht das alles keinen Spass mehr. Und das sollte es doch – oder? Welche menschlichen Schwächen entschuldigen Sie? Wenn Unerfahrenheit eine Schwäche ist, dann diese.

Was sind Ihre Lieblingsschriftsteller? Stephen King und Dan Brown. Es gibt aber viele Autoren, deren Werke mich inspiriert oder berührt haben.

In was verlieben Sie sich bei einem Menschen? In die Augen. Und ins Selbstvertrauen. Es erzählt viel über einen Menschen, wenn man Selbstvertrauen in ihm spürt.

Ihre Lieblingsfilme? Da gibt es viele – je nach Stimmung. Meine Lieblings-­ Genres sind Action, Science Fiction, Fantasy und Komödien.

Worum geht es für Sie in La traviata? Um das Leben! Um reale Menschen und ihre Emotionen: Liebe, Eifersucht, Angst, Freude, Schmerz, Trauer. Fast jeder kann sich vorstellen, Alfredo oder Violetta zu sein.

Ihr liebstes Laster? Hier in Zürich sehe ich viele schöne Autos. Ferrari. Lam­ borghini. Maserati. Audi, BMW, Mercedes Benz. Ich liebe Autos. Und ich liebe es, sie zu fahren. Sehr schnell. Mit lauter Musik.

Nennen Sie drei Gründe, warum das Leben schön ist! 1) Wir leben in einer Welt, in der wir aus unserem Leben machen können, was wir möchten. 2) Wir sind in der Lage, die Welt um uns herum zu erleben, das Gute und das Schlechte, und aus diesen Erfahrungen Lehren zu ziehen, die uns durchs Leben führen können. 3) Wir sind ge­ segnet miteinander – ohne die anderen wäre die Welt ein einsamer Ort.

Welchen überflüssigen Gegenstand in Ihrer Wohnung lieben Sie am meisten? Meine Video-Spiel-Konsole. Ich kann viele Stunden damit verbringen... Welche Eigenschaften schätzen Sie bei Ihren künstlerischen Partnern?

QUINN KELSEY kommt aus Hawaii und war in der Spielzeit 2012/13 am Opernhaus als Rigoletto zu erleben. In der Neuinszenierung von «La traviata» singt er Giorgio Germont.



Foto: T + T / Toni Suter

Fidelio Über zehn Jahre hinweg arbeitete Ludwig van Beethoven an seiner einzigen Oper Fidelio. Sie vereint Elemente des Singspiels mit denen der dramatischen Oper und endet mit einer gewaltigen oratorienhaften Befreiungsmusik. Für seine Inszenierung schuf Andreas Homoki eine eige­ne Dramaturgie und erzählt die Handlung als fiktive Rück­ blende, womit er das Werk aus dem kleinbürgerlichen Spiel­opernkontext löst und den utopischen Weltver­brüde­ rungsgedanken in den Fokus nimmt. Im Tages-Anzeiger war nach der Premiere zum ungewöhnlichen Einstieg in Beethovens Oper zu lesen: «Das dramatische Quartett treibt einem den Puls in die Höhe, der Übergang zur Ouvertüre wird musikalisch höchst sensibel vollzogen. Und wenn die tote Leonore während dieser Ouvertüre wieder aufsteht, wenn sich damit die Geschichte von jedem Realismus löst und von Beginn weg in einen utopischen Raum versetzt wird, dann entspricht das der Absicht dieses Werkes besser als so manche buchstabengetreue Auf­­­füh­ rung.» Wie bereits in der Premiere singt die Sopranistin Anja Kampe den Titelhelden Fidelio alias Leonore. Mit Brandon Jovanovich als Florestan, Christof Fischesser als Rocco und Martin Gantner als Pizarro stehen drei weitere Sänger aus unserer erfolgreichen Premieren­­­ besetzung auf der Bühne. Die musikalische Leitung über­ nimmt Markus Poschner. Wiederaufnahme 26 April 2015 Weitere Vorstellungen 29 April und 2, 5, 10 Mai 2015


Die geniale Stelle 28

Die wahre Genesis Ein Trugschluss in Ludwig van Beethovens «Fidelio»

Leonore ist am Ziel: Zwei Jahre lang hat sie ihren Florestan gesucht. Dann musste sie sich als Mann verkleidet beim Kerkermeister jenes Gefängnisses verdingen, in dem sie ihren Gatten vermutete, und zuletzt mit dem Mut der Verzweif­ lung den aussichtslosen Kampf gegen den zum Mord ent­ schlossenen Gefängniskommandeur aufnehmen. Nun steht sie dem Geretteten gegenüber, und der Minister fordert sie auf, ihrem Mann die Ketten abzunehmen. Beethoven vertont diesen Vorgang sehr zurückhaltend, mit sparsamsten Mitteln. Die Singstimme des Ministers be­ schreibt eine absteigende Linie, die das Fallen der Ketten symbolisiert, dann ein fast unhörbar zarter Pizzicato-Akkord, gefolgt von zwei leisen, synkopisch über die Taktschwerpunk­ ­te hinwegschwebenden, das Zeitgefühl auflösenden Bläs­er­ akkorden. Eine weitgeschwungene Oboenmelodie löst sich aus diesem Klang, und dann erst setzt Leonores Stimme, er­griffen stammelnd ein: «O Gott! o Gott! welch ein Augen­ blick!» Die Melodie, die zuerst in der Oboe auftaucht, und den Orchesterpart des folgenden Ensembles beherrscht, entnahm Beethoven einem früheren Werk: der zu seinen Lebzeiten nie zur Aufführung gelangten Kantate auf den Tod Josephs II., in der er den Kaiser als das Musterbild eines humanen, auf­ geklärten Herrschers gefeiert hatte. Dort erklingt sie zu den Worten «Da stiegen die Menschen ans Licht, da drehte sich glücklicher die Erd’ um die Sonne.» Das Selbstzitat verweist darauf, dass Beethoven dem Geschehen dieses Augenblicks eine Bedeutung beimass, die über das persönliche Glück der wieder vereinten Gatten weit hinausgeht. Nicht nur Flores­ tan, nicht nur die Gefangenen dieses einen zufälligen Gefäng­ nisses, die ganze Menschheit steigt ans Licht. Von dieser allumfassenden Befreiung aus Unterdrückung und Tyrannei, die sich Beethoven einst von der Französischen Revolution und seinem Heros Napoleon erhofft hatte, ist hier die Rede. Beethoven hat diesen Moment der Befreiung der Mensch­heit oft komponiert, und immer hat er vor den Jubel der Menge den Moment der fassungslosen Ergriffenheit, des ungläubigen Erstaunens gesetzt. Doch in der letzten Szene des Fidelio findet sich ein seltsames Detail, das in den ande­ ren Ausprägungen dieses Modells keine Entsprechung hat,

und das wohl damit zusammenhängt, dass es sich hier um eine Oper und nicht um ein abstraktes sinfonisches oder Sakralwerk handelt: Die schon erwähnte absteigende Ge­ sangslinie des Ministers lässt in ihrer klaren Struktur eine gesicherte Kadenz in der Grundtonart A-Dur erwarten. Zum letzten Ton dieser Phrase aber ertönt überraschend ein F-Dur-Akkord. Durch diesen Trugschluss wird der Schluss­ ton, der der Grundton des Akkords hätte sein sollen, zur Terz der neuen Tonart. Es klingt, als würde dem Minister der Boden unter den Füssen entzogen, als würde etwas Anderes die Führung übernehmen und den Minister zur Nebenfigur entwerten. Indem die etwas zu selbstsicher auftrumpfende Linie ins Leere läuft, wird deutlich: Es ist nur scheinbar «des besten Königs Wink und Wille», wodurch die Befreiung er­möglicht und das Tor zur Zukunft aufgestossen wird, es ist eine höhere Macht, der auch die Könige untertan sind. Beethoven glaubt an eine geschichtliche Notwendigkeit, er ist überzeugt, dass sich die Befreiung der Menschheit voll­ ziehen wird, und dass jene, die sie bringen, lediglich Werk­ zeuge dieser historischen Notwendigkeit sind, seien sie nun Minister, Könige oder auch Königsmörder. Und noch eins macht der harmonische Trugschluss deutlich: Die Befreiung ist kein nahtloser Übergang, keine sanfte Reform. Nur jene werden sie erlangen, die den Mut und die Kraft haben, mit dem Vorhergehenden zu brechen und einem Neuanfang im ganz und gar Ungewissen zu wagen. Der grosse Beethoven-Enthusiast und Fidelio-Inter­ pret Ernst Bloch, für den dieses Werk als Inspirationsquelle seiner philosophischen Untersuchung der Utopien der Menschheit von grösster Bedeutung war, schloss sein Haupt­ werk mit einem Gedanken, der auch Beethoven vorgeschwebt haben könnte: «Der Mensch lebt noch überall in der Vorge­ schichte, ja alles und jedes steht noch vor der Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufan­ gen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heisst, sich an der Wurzel fassen.» Werner Hintze



Brandon Jovanovich singt am Opernhaus in der Wiederaufnahme von ÂŤFidelioÂť


Porträt 31

Illustration: Lina Müller

Florestan Wenn ich mich einer neuen Partie nähere, suche ich nach Identifikationsmöglichkeiten mit dem Charakter. Manchmal fällt das leicht, manchmal dauert es länger, bis ich einen Weg finde. Don José in Bizets Carmen beispielsweise war für mich nicht besonders schwierig: er ist ein Mann, der «das Richtige» in seinem Leben zu tun versucht, nachdem er sich Hals über Kopf in Carmen verliebt hat und zu einem Kriminellen ge­ worden ist, um ihr Herz zu gewinnen. Oder Cavaradossi: Er ist ein Maler, der leidenschaftlich in Tosca verliebt ist und gleichzeitig ein Revolutionär, der seine Sicherheit aufopfert, um seinem Freund Angelotti zu helfen. – Die Motivationen dieser Partien sind gut nachvollziehbar und dienen mir als Ausgangspunkt, um den Charakter zu entwickeln. Bei Florestan, den ich in der Spielzeit 2013/14 am Opernhaus Zürich zusammen mit Andreas Homoki und Fabio Luisi zum ersten Mal erarbeitet habe, ist das ein bis­s­ chen anders. Florestan ist ein politischer Gefangener, der von seinem sadistischen Gegner Pizarro in einem dunklen Kerker gefangen gehalten wird. Er hat seit Jahren kein Sonnenlicht mehr gesehen, hat keinen Kontakt zu anderen Menschen und zu seiner Frau. Die Kraft, die nötig ist, um eine Gefangenschaft unter diesen Umständen zu überstehen, kann man sich nur schwer vorstellen. Sich als Sänger in einen solchen Charakter hineinzufinden, ist eine grosse Heraus­ forderung. Ich musste die Figur zunächst jenseits dieser düsteren, isolierten Situation betrachten, um Florestans wahren Kern zu finden. In seinem früheren Leben war er ein Streiter für Wahrheit und Gerechtigkeit, und selbst in der ausweglosen Situation, in der er sich nun befindet, hält ihn der Glaube an seine Ideale aufrecht. Bei der Erarbeitung der Partie liess ich mich also von diesem idealistischen Wesens­ kern Florestans leiten sowie von der grossartigen Musik Beethovens und dem schlichten, aber starken Inszenierungs­ konzept von Andreas Homoki. Florestan ist eine relativ kurze, aber äusserst intensive Partie. Er tritt erst im zweiten Aufzug der Oper auf – was die Partie nicht einfacher macht. Ich finde eine solch kon­ zentrierte Partie fast schwieriger, da man weniger Zeit hat,

sie für das Publikum erfahrbar zu machen. Zum Glück muss ich diese Arbeit nicht alleine machen. Beethoven hat mir eine Menge grossartiges Material gegeben, mit dem ich arbeiten kann. Aber ich muss es auf der Bühne zum Leben erwecken. Das ist herausfordernd und aufregend! Vieles entwickelt sich für mich aus der grossen Auftritts­ arie, die zu den anspruchsvollsten Tenor-Arien überhaupt zählt. Schon die erste Äusserung Florestans, «Gott! Welch Dunkel hier!», ist sehr ausdrucksstark. Ich habe mir diese Stelle in vielen Interpretationen angehört, die ganz unter­ schiedlich sind. Die erste Note, ein hohes G, ist für mich Fluch, Hoffnung, Herausforderung und Verzweiflung zu­ gleich. Ich gestalte diese Passage gerne als ein langes Aufstöh­ nen, das im Piano beginnt, als würde Florestan nach einer langen Zeit des Schweigens gerade seine Stimme wiederfin­ den; dann gestalte ich ein grosses Crescendo – Florestan fordert Gott heraus – und gehe dann mit der Stimme wieder zurück, wenn Florestan sich der Sinnlosigkeit seiner Anstren­ gung gewahr wird. In dieser ersten Note steckt alles drin. In ihr zeigt sich, wie viel Hoffnung und Kraft Florestan hat – aber es wird auch klar, dass er auf die Hilfe eines anderen Menschen angewiesen ist, der genau so furchtlos und idealis­ tisch denkt wie er selbst, um seine Freiheit wieder zu ge­ winnen. Es ist seine Frau Leonore, die ihn (als Fidelio ver­ kleidet) aus dem Kerker befreien wird. Brandon Jovanovich

FIDELIO Oper von Ludwig van Beethoven mit Anja Kampe, Deanna Breiwick, Brandon Jovanovich, Martin Gantner, Christof Fischesser, Oliver Widmer u.a. Musikalische Leitung: Markus Poschner Inszenierung: Andreas Homoki, Bühnenbild: Henrik Ahr Wiederaufnahme: 26 April 2015 Weitere Vorstellungen: 29 April, 2, 5, 10 Mai 2015


Balanchine – Van Manen – Kylián In einem aussergewöhnlichen Abend präsentiert das Ballett Zürich drei Lichtgestalten des Balletts im 20. Jahr­ hundert. George Balanchine, der Gründer des New York City Ballet und Grossmeister der Neoklassik, hat eine lange Zürcher Aufführungstradition. Ein Schlüsselwerk sind The Four Temperaments, die 1946 zur Musik von Paul Hindemith entstanden und die zukünftige stilistische Entwicklung des Choreografen andeuteten. Zuletzt war dieses Ballett 1977 in Zürich zu sehen. Nach der Uraufführung von Hans van Manens Frank Bridge Variations schwärmte Ballett­kritiker Jochen Schmidt 2005, es seien «wahrscheinlich die konzentriertesten 24 Minuten Tanz, die in dieser Spielzeit in Europa heraus­ gekommen sind». Van Manen kleidet Benjamin Brittens suitenartiges Variationenwerk in eine Choreografie von höchster Eleganz, kristalliner Klarheit und Formen­strenge. Was an den Arbeiten des holländischen Choreografen besticht, ist seine Kunst, Geschichten zu erzählen, die nur Tanz sind und von nichts als Tanz handeln. Sie lassen sich nicht greifen und fallen sofort zusammen, wenn man versucht, sie in Worte zu fassen. Doch zwischen den Zei­ len sprechen sie immer auch vom Menschsein, von Beziehungen, Träumen und Sehnsüchten, die manchmal erfüllt werden – und meistens nicht. Unser Foto stammt aus Jiří Kyliáns Ballett Falling Angels. 1989 entstanden, gehört es zu den sogenannten «Schwarz-­Weiss-­Balletten» des tschechischen Choreografen und ist reine «Frauensache». Acht Tänze­rin­nen geraten zu den Klängen aus Steve Reichs Per­cussion-Opus Drumming in den unwiderstehlichen Sog dieser auf 16 Bongo-­ Trommeln gespielten Musik und formieren sich zu einer unbeschwerten Hommage an den weiblichen Tanz. Wiederaufnahme 9 Mai 2015 Weitere Vorstellungen 10, 16 Mai und 4, 7, 14, 25 Juni 2015


Foto: Peter Schnetz


Ein ausgehungerter Zauberer Unsere Neuproduktion «Fälle» des Internationalen Opernstudios basiert auf Texten des genialen russischen Dichters Daniil Charms. Wer war dieser gefährlich extravagante Künstler, der ein Opfer der stalinistischen Terrorherrschaft wurde? Eine Annäherung von Alexander Nitzberg


Foto: Fine Art / Heritage / Keystone


Fälle 36

U

nter den vielen Magiern des Wortes fällt einer heraus: Daniil Charms. Ein Magier, wie er im Buch steht. Seine Wunder sollten den Raum erweitern, die Zeit anhalten, die Welt verwandeln. Doch die Gegner waren in der Überzahl, so dass er langsam die Kraft verlor und endlich an der so ganz und gar unzauberischen Realität erstickte. Daniil Charms (dem bürgerlichen Namen nach: Daniil Juwatschow) wurde 1905 in St. Petersburg geboren. Sein Vater war ein ungewöhnlicher Mann, dessen Schicksal an Fjodor Dostojewski erinnert. Auch er hatte als Revolutionär und Terrorist begonnen, wurde zum Tode verurteilt, begna­ digt und erlebte in der Haft eine geistige Wiedergeburt. Mit einigem schriftstellerischen Talent verfasste er schliesslich geistliche Bücher und verkehrte mit Anton Tschechow und Leo Tolstoi. Von ihm erbte Charms den revolutionären wie auch den mystischen Charakterzug, die Subversion wie auch die Demut – und beides als Ausdruck der Sinnsuche. Und natürlich – die Schriftstellerei. Nach Beendigung der Schulausbildung betrat der junge Juwatschow Anfang der 1920er-Jahre die Leningrader Lite­ raturbohème. Um seinen Auftritt effektvoller zu gestalten, legte er sich einen grellen Namen und ein nicht minder grelles Kostüm zu: Charms, darin mischen sich «Harm» mit «Charme». Aber auch «Sherlock Holmes» kommt vor, in dessen Mantel und Deerstalker-Hut der exzentrische Poeten­ novize schlüpfte. Mit einer Pfeife im Mundwinkel rezitierte er fremde und eigene Verse, begleitet von Stepptanz und Eskamotage. Die Vortragsart war scharf rhythmisiert und von grösster Bühnenpräsenz. Maske, Name und Zauberei wurden mit der Zeit zur zweiten Natur, zahllose Male va­ riiert, mal in komischer, mal in tragischer Tonart.

Ein Klassiker des absurden Theaters – lange vor dem absurden Theater Doch parallel zu diesen bereits sehr sicheren und selbst­ bewussten Auftritten ging der frischgebackene Künstler seinen Weg durch die Leningrader Dichterstuben, knüpfte Kontakt zu älteren Kollegen, um möglichst viel von der Tradition mitzunehmen. Wohlgemerkt, von der Tradition der Avantgarde. Diese verfolgte in Russland vor allen Din­ gen ein Ziel: Um jeden Preis das Leben in Kunst, die Kunst in Leben zu verwandeln. Nicht museal sollten die Werke sein, sondern im menschlichen Alltag ankommen. Die Ok­ toberrevolution von 1917 galt hierbei nur als ein Zwischen­ schritt. Die eigentliche Revolution stand noch bevor, näm­ lich die Revolution des Geistes. Und so suchten zahlreiche

Dichter, Dramatiker, Maler und Komponisten unermüdlich in der Kunst nach der maximalen Wirkung, um tief in das Bewusstsein der Menschen zu dringen und sie von innen heraus zu erneuern. Dabei hofften sie, dass sich die Gesell­ schaft auch von aussen – politisch – erneuert, gewissermassen parallel dazu. Vorbereitet wurden diese Prozesse von der Avantgarde der 1910er-Jahre, insbesondere von den Futuristen, die (allein schon wegen der herrschenden Papierknappheit) weniger auf das gedruckte Wort als vielmehr auf die leben­ dige Performance setzten, um die Massen möglichst direkt zu erreichen. Sie waren es, die das Material der Kunst neu sichteten und von allen Schlacken des 19. Jahrhunderts bereinigten – von der Bürgerlichkeit, dem Realismus, der Psychologie, dem Historismus, dem Moralismus und ande­ ren Ismen – und nur dasjenige übrig liessen, was unmittel­ bar wirkt und bewegt. In diesem Umfeld fanden auch die ersten Charmsschen Versuche statt. Dankbar griff er die Klangexperimente eines Welimir Chlebnikow, Alexej Krutschonych und Alexander Tufanow auf, profitierte von den rhythmischen Errungen­ schaften eines Wladimir Majakowski und den Inszenierungen eines Igor Terentjew. Gemeinsam mit Gleichgesinnten er­ forschte er die Grundlagen der Kunst und deren Beziehung zu den Grundlagen der Welt. So entstand ein kleiner Kreis von Eingeweihten, die sich kryptisch als Tschinari bezeich­ neten. Dazu zählten Dichter, Maler, Philosophen. In ihren Gesprächen bereiteten sie den Boden für eine neue Bewe­ gung mit dem noch seltsamer klingenden Namen OBERIU («Vereinigung für reale Kunst»), die im Januar 1928 an die Öffentlichkeit trat. Zu den offiziellen Mitgliedern gehörten neben Charms auch die Dichter Nikolaj Wwedenski, Niko­ laj Sabolotzki, Igor Bachterew und Konstantin Waginow. Der bildende Künstler Kasimir Malewitsch galt als heimlicher Sympathisant. Charms fiel die Rolle des Dramatikers zu. Und so wurde während der ersten grossen Veranstaltung der Oberiuten unter dem Titel Drei linke Stunden Charms’ Stück Jelisaweta Bam uraufgeführt, in welchem er unter­ schiedliche, sich teils gegenseitig ausschliessende dramatur­ gische Modelle aufeinander prallen liess. Ein Klassiker des absurden Theaters – lange vor dem absurden Theater ... Wie viele andere, verstanden sich auch die Oberiuten als «linke» Künstler, das heisst, sie wollten ihre ganze Kraft in den Dienst des Neuen Staates stellen, an einem gemein­ samen gesellschaftspolitischen Projekt teilnehmen. Doch die Geschichte sollte anders verlaufen. Die Phase der grossen Experimente der 1920er-Jahre war vorbei, die Ära des Stali­ nismus auf dem Vormarsch. Die Avantgarde mit ihren


Fälle 37

kühnen dynamischen Ideen wurde allmählich von dem aufkeimenden Sozialistischen Realismus verdrängt und als «formalistisch» ausgemerzt. Nach seinem spektakulären Aufstieg gelang es Charms nicht, in solch einer Atmosphäre den begonnenen Weg weiterzugehen. Jedenfalls nicht auf der grossen Bühne. Nur zwei seiner Gedichte wurden pub­ liziert, die gehässigen Polemiken seitens der offiziösen Kri­ tiker nahmen an Heftigkeit und Härte zu. So zog er sich mit seiner Kunst weitgehend ins Private zurück und trat nur noch in einer einzigen Funktion an die Öffentlichkeit, näm­ lich als Kinderbuchautor.

Heute gilt Charms als eine der rätselhaftesten literarischen Figuren der 1920er und 1930er-Jahre Die Kinderzeitschriften Zeisig und Igel boten in jenen Jah­ ren noch einen gewissen Freiraum für einfallsreiche Geister. Da in Charms’ Werken das spielerische Element ohnehin stark vertreten ist, schien die Grenze zwischen seinen «Er­ wachsenen-» und seinen «Kinderversen» auch für ihn selbst fliessend zu sein. Sogar seine Sprachexperimente konnte er im Gewand der Kinderliteratur unbehelligt fortsetzen: Was sich nach aussen hin als lustige Wortjonglage gab, war nur eine konsequente Fortsetzung seiner früheren Arbeiten. Charms’ Gedichte und Geschichten für Kinder erschienen in Zeitschriften und auch in Buchform, oft von hochkaräti­ gen Künstlern illustriert. Ja, er erlangte auf diesem Gebiet sogar einen gewissen Bekanntheitsgrad. Doch auch hier wur­den die Schrauben langsam angezogen. Sein Lied­chen, das von einem Mann handelt, der in den Wald geht und dort verschwindet, geriet unter die Augen der Zensoren. «In der Sowjetunion verschwinden keine Menschen», war ihre lapidare Antwort, begleitet von der Empfehlung auf Charms’ als Mitarbeiter zu verzichten. Indessen verschwanden in der Sowjetunion in Wirklich­ keit immer mehr Menschen. Die Stalinsche Säuberungsma­ schine lief. Charms wurde von beinahe jeder Verdienstmög­ lichkeit abgeschnitten und mit all seiner bunten Fantasie in ein kleines Zimmer verbannt. Hier erwuchs nun ein riesiges Werk, bestehend aus zahllosen Notizblöcken, einzelnen Blät­tern und losen Papierfetzen. Zwischen Telefonnummern und Kalendereinträgen finden sich Verse, Theater­stücke, Erzählungen, Zeichnungen, philosophische Traktate von höchster Originalität und in wirrer Reihenfolge. Sie alle handeln von den Merkwürdigkeiten des Lebens, von verblüf­ fenden Metamorphosen des Daseins. Menschen und Dinge

ändern die Gestalt, lösen sich auf, werden unsichtbar. Und alles starrt staunend auf das unerklärliche Eine, das im Hin­ tergrund verborgen liegt und sich doch stets mitteilt und durch immer neue Wunder die Menschen vor die Köpfe stösst. Immer mehr weicht jedoch die widerborstige und bissige Experimentierfreude der Resignation und der ver­ klärten Mystik. Der nagende Hunger und das Elend lässt das geniale Kaleidoskop immer mehr an funkelnder Farbe verlieren. Die Geschichten werden nach und nach düsterer, die Gedichte verzweifelter. Regelmässig tauchen Gebete auf, Gebete um etwas Geld oder Brot. Bereits 1931 war Charms gemeinsam mit seinem Freund und Dichterkollegen Nikolaj Wwedenski verhaftet worden. Damals konnte sein Vater noch die alten Revolu­ tionärskontakte spielen lassen, um den Sohn vorzeitig aus der Haft zu befreien. Bei der zweiten Verhaftung 1941 konnte ihn jedoch nichts mehr retten. Das Einzige, was eine Erschiessung noch aufzuhalten vermochte, war ein Befund von Geisteskrankheit, und so stellte sich Charms verrückt, wobei sein tatsächlicher psychischer Zustand ohnehin bereits stark angeschlagen war. Er wurde für schizophren erklärt und Ende des Jahres in eine geschlossene psychiatrische Klinik eingewiesen. Es herrschte Krieg, Leningrad war be­ lagert, der Hunger breitete sich aus. Am 2. Februar 1942 starb Daniil Charms in der Anstalt Kresty. Er ist verhungert. Dass der Grossteil seines zerfransten Werks dennoch geborgen werden konnte, liest sich wie ein modernes Mär­ chen. Es war der Philosoph Jakow Druskin, ein Mitglied der genannten Tschinari, der nach dem Tod des Freundes in dessen halbzerbombte Wohnung ging und die wild durch­ einandergewirbelten Papiere in einem grossen Koffer ver­ staute, den er dann nachts auf einem Schlitten durch Lenin­ grads ausgestorbene Strassen zog. Heute gilt Charms als eine der rätselhaftesten literari­ schen Figuren der 1920-, 30er-Jahre. Seine stille Metaphy­ sik durchzieht alle Ebenen des Lebens und offenbart dessen Absurdität in lauter seltsamen Permutationen. Und gerade dank ihrer Unaufdringlichkeit wirkt diese Stimme besonders subversiv. Daniil Charms beweist mit seiner Kunst, dass oft schon ein einziger Satz ausreicht, um die Ordnung der Welt wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen zu lassen. «Es gibt gewisse Wortkombinationen», schreibt er in einem Brief an Klawdija Pugatschowa, «welche die Wirkung der Kraft spürbarer machen. Die wertvollste Wirkung der Kraft ent­ zieht sich freilich beinahe der Definition. Es gehört sich nicht zu glauben, dass diese Kraft in der Lage ist, Objekte zu bewegen, und doch bin ich überzeugt davon, dass die Kraft der Worte auch dies vermag».


Fälle 38

Fallen und Verschwinden Am 8. Mai hat die Oper «Fälle» auf der Studiobühne Premiere. Ein Gespräch mit Regisseur Jan Eßinger über das theatralische Potenzial der Charms’schen Geschichten und den heute wieder erschreckend aktuellen biografischen Hintergrund des Dichters

Die 2012 uraufgeführte Oper des russisch-argentinischen Komponisten Oscar Strasnoy, die das Inter­ nationale Opernstudio im Mai auf die Bühne bringt, trägt den Titel Slutchai, zu deutsch: Fälle. Was verbirgt sich hinter diesem Titel? Fälle basiert ursprünglich auf Texten des sowjetischen Schriftstellers Daniil Charms, die dieser selbst unter diesem Titel zu einer Sammlung zusammengestellt hat. Die Oper besteht aus mehreren Kurzgeschichten, jede ist sozusagen ein Fall für sich – Zwischenfälle, Vorfälle, Unfälle. «Fälle» kann aber auch im Sinne von «Akten» verstanden werden, die Informationen über Menschen ent­halten, oder Gerichtsfälle – auch das spielt mit hinein. Es gibt also in dieser Oper keine durchgehende Handlung, sondern mehrere in sich abgeschlossene Einzelgeschichten; auch ein Gedicht von Daniil Charms und ein Fragment seines Theaterstücks Jelisaweta Bam fanden Eingang in das Libretto. Worum geht es in den Geschichten, die hier erzählt werden? In den Kurzgeschichten werden aus einer fast kühlen Distanz heraus Szenen aus dem Alltag beschrieben, die witzig-­grotesk wirken, aber oft gar keine wirkliche Pointe haben – wie zum Beispiel die Geschichte von dem Mann mit dem Weissbrot, der einfach nur über einen Platz geht, ohne dass irgendetwas passieren würde, das es wert wäre, erzählt zu werden; oder von Maschkin, der scheinbar grundlos Koschkin erschlägt bzw. Puschkin und Gogol, die ständig übereinander stolpern; oder von den Frauen, die aus dem Fenster schauen und sich aus Neugier so weit hinauslehnen, dass sie eine nach der anderen runterfallen – diese Geschichte endet aber nicht etwa

tragisch, sondern mit der lakonischen Feststellung des Er­zählers, dass die Schaulustigen nach der sechsten fallenden Frau genug hatten vom Zuschauen und weitergingen zum Majewski-Markt, wo einem Blinden ein Schal geschenkt worden sein soll. Mitgefühl oder Mitleid spielen hier kaum eine Rolle, es ist eher so, dass man froh ist, nicht der andere zu sein. Warum eignen sich diese Geschichten für das Musik­ theater? Weil sie sehr viel theatralisches Potenzial enthalten! Und der Komponist Oscar Strasnoy hat dieses Potenzial voll aus­geschöpft: In den Momenten, in denen die Geschichte theatralische Aktionen erfordert, lässt er in seiner Musik den entsprechenden Raum; umgekehrt zieht er das Tempo an, wenn sich die Dinge verdichten müssen. Auch die Partitur selbst hat einen grossen Witz – nicht zuletzt, weil zu den 12 Instrumenten des Sinfonieorchesters auch ein Akkordeon, Bühnenmusiker und ein DJ gehören. Viele dieser Geschichten erschliessen sich erst vor dem biografischen Hintergrund von Daniil Charms ganz; ist diese Oper einem heutigen Publikum überhaupt ver­ ständlich? In der Beschäftigung mit dieser Oper hat es mir tatsächlich sehr geholfen, mich mit Charms’ biografischem Hintergrund und der Zeit auseinanderzusetzen, in der er gelebt hat, also den 30er und 40er-Jahren in der Sowjetunion. In dieser Zeit hatten die Menschen kaum Raum für Priva­tes, viele lebten in den sogenannten Kommunalkas, also Gemeinschaftswohnungen, mit zum Teil wildfremden Menschen auf engstem Raum zusammen, manchmal – wie


Die Foto-Collagen sind Arbeitsmaterialien für «Fälle» von der Kostümbildnerin Jeannette Seiler


Foto: XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX


Fälle 41

im Fall von Charms selbst – nur durch einen Vorhang von den Nachbarn getrennt. Auch aus dem Wissen um die politischen Zustände heraus versteht man besser, was Charms in seinen Geschichten am herrschenden System kritisiert hat. So wird einmal von einem rothaarigen Mann erzählt, der eigentlich gar keine Haare hat, auch keine Augen und keinen Mund, keine Ohren, keinen Rücken, kein Rückgrat, keine Arme und keine Beine und keinen Rumpf – also ist er es eigentlich gar nicht wert, dass man von ihm spricht. Das ist im ersten Moment lustig – im zweiten Moment bleibt einem aber das Lachen im Hals stecken, wenn man nämlich begreift, dass hier von einem Menschen die Rede ist, der verschwindet – einfach so. Dass man über diesen Menschen besser gar nicht spricht, ist sinnbildlich für die Zeit: Man fragte damals lieber nicht, wo der Nachbar abgeblieben ist, denn sonst lief man Gefahr, selbst zu verschwinden. Diese kurze und auf den ersten Blick banale Geschichte erzählt also sehr viel über diese Zeit der Willkürherrschaft und brutalen Unterdrückung der Menschen. Aus der Beschäftigung mit Charms habe ich ein Gespür für die Atmosphäre bekommen, in der die Menschen damals lebten – und daraus konnte ich auch die Atmosphäre ableiten, die unsere In­ szenierung transportieren soll. Wir möchten nicht das Leben der Menschen damals abbilden, sondern versuchen, die Atmosphäre der Texte und der Musik auf die Bühne zu bringen – dieses Absurde, Groteske aber auch oft sehr Tragische. Und das wird sich hoffentlich auch mitteilen, ohne dass man biografische Details aus Charms’ Leben kennt. Im Grunde erzählen wir Geschichten von einer Ge­ sellschaft, die aus den Fugen geraten ist. Dabei geht es aber nicht um die Gesellschaft zur Zeit von Daniil Charms, sondern um eine heutige Ge­ sellschaft – wobei man ja nur staunen kann darüber, wie aktuell einem so manche Geschichte von Daniil Charms mit Blick auf das heutige Russland erscheint. Das stimmt. Und obwohl wir weder ein Stück über die Figur Charms noch über das gegenwärtige Russland machen wollen, kann man natürlich die politischen Konflikte, die zurzeit auf der Welt ausgetragen werden, nicht komplett negieren – diese schwingen immer mit. Mit der Setzung der zur Turnhalle umgebauten Studiobühne etablieren wir einen Ort, der auch ein Übergangsort ist – ein Bild für eine Situation der Unsicherheit. Menschen, die aus ihrer bisherigen Struktur herausgerissen wurden, werden hier vollkommen ohne Privatsphäre auf engem Raum untergebracht. Eine temporäre Gesellschaft entwickelt sich, jedoch immer mit einer latenten

Bedrohung von aussen. Bei uns ist das die Miliz, in anderen Situationen der Krieg, Umweltkatastrophen oder andere Unglücke. Die Turnhalle ist aber auch für viele ein Erinnerungsort an Kindheit und Jugend mit ihren be­ glückenden Momenten aber auch Erlebnissen, die man vielleicht lieber vergessen würde, weil man eben nicht Teil einer Gemeinschaft war. Ihr habt also diesen sehr unterschiedlichen Geschichten einen einheitlichen Rahmen gegeben? Ja, das hatten wir uns von Anfang an zur Aufgabe gemacht: eine Situation zu finden, in der alle diese Episoden stattfinden können. All das, was in einer Turnhalle nor­ maler­weise vorhanden ist – Matten, Bälle, Basketballkörbe – wollen wir verwenden, aber im Verlauf des Abends auch verfremden. Als Rahmenhandlung erleben wir die Geschichte eines Mannes, der nach einigen Jahren an diesen Ort, die Turnhalle, zurückkommt; hier erinnert er sich daran, wie er damals als Musiker mit einem Orchester in eben dieser Turnhalle geprobt hat. Während er sich erinnert, taucht er in seine eigene Geschichte und in andere Geschichten ein, die damals passiert sind. Was sind das für Figuren, denen die Hauptfigur Fedja Dawidowitsch Pronin in ihrer Erinnerung begegnet? Zum einen begegnet Pronin einer Frau – man weiss nicht so genau, ob es seine Ehefrau war oder ob er die mit ihr nur eine Affäre hatte – die Begegnung hat aber durchaus etwas sehr Intimes, Privates, Schönes. Aber – und das ist in diesem Stück immer so – kaum entsteht eine schöne, vertraute Situation, wird sie auch schon wieder zer­ schlagen: Wir erleben die beiden, wie sie sich gerade näher kommen, doch plötzlich taucht die Miliz auf und Pronin und die halbnackte Frau werden abgeführt, ohne Angabe von Gründen. Gleichzeitig spielen auch Hunger und Armut eine grosse Rolle; so gibt es eine Geschichte, in der unsere Hauptfigur versucht, ein kleines bisschen Butter vom eigenen Frühstückstisch zu Geld zu machen. Wir treffen ausserdem auf die ehemaligen Kollegen Pronins – die Musiker, die bei uns Teil der Szene sind –, und immer wieder auf die Miliz, die brutal ins Geschehen eingreift. Das Fallen – das ja auch im Titel vorkommt – taucht in vielen Bildern wieder auf: Frauen fallen aus Fenstern, Männer fallen von Dächern und ähnliches. Es gibt immer wieder witzige, aber auch sehr berührende Momente – in solchen intimen, psychologisch dichten Szenen wird die Musik richtiggehend arios. Dann wieder trifft man sich im Korridor der Kommunalka, wo ein Mann im Weg rumliegt; aus Frust darüber, dass er keine eigene Wohnung hat


Fälle 42

und einfach nicht gehen will, zünden die Bewohner der Gemeinschaftswohnung den Störenfried kurzerhand an. Komik und Tragik halten sich die Waage. Wie erlebst du die Arbeit mit den Sängerinnen und Sängern des Internationalen Opernstudios? Es ist toll, ihre Offenheit zu spüren! Die Sängerinnen und Sänger kommen ja aus der ganzen Welt, wir haben ein internationales Ensemble auf höchstem Niveau. Alle Beteiligten haben grosse Lust daran, sich auszuprobieren – auch wenn die Musik nicht immer einfach zu lernen war. Fälle wurde 2012 in Bordeaux uraufgeführt und ist nun als Schweizer Erstaufführung überhaupt erst die zweite Neuinszenierung des Stückes. Die Besonderheit an der Arbeit an einem so neuen Werk ist, dass man die Freiheit hat, losgelöst von einer über hundertjährigen Rezeptionsgeschichte, die grosse Repertoirestücke haben, unserer Fantasie freien Lauf zu lassen. Vielleicht gelingt es ja mit dieser Produktion, unser Publikum für neue, unbekannte Opern zu begeistern. Das Gespräch führte Beate Breidenbach

OSCAR STRASNOY Der argentinische Komponist Oscar Strasnoy hat russische Vorfahren und lebt mittlerweile in Berlin. Er studierte Klavier und Komposition am Conservatorio Nacional in Buenos Aires, am Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris (Premier Prix im Fach Komposition) und an der Musikhochschule Frankfurt u.a. bei Gérard Grisey und Hans Zender. Schon zu Beginn seiner Karriere als Komponist hatte er grossen Erfolg mit seinen Musiktheater-Werken: So wurde er 1999 beim Spoleto-­Festival in Italien mit dem Orpheus-Preis für seine Oper Midea geehrt, die dort auch uraufgeführt wurde. Nach einer Einladung von Peter Eötvös als Komponist am Herrenhaus Edenkoben erfolgte die Urauf­füh­rung der Kantate Hochzeitsvorbereitungen nach Franz Kafka. 2003 wurde Opérette nach Witold Gombrowicz, uraufgeführt im Grand Théâtre de Reims, mit dem George Enescu-Preis ausgezeichnet. Im März 2010 dirigierte Simone Young die Uraufführung der Oper Le Bal in der Hamburgischen Staatsoper, im Juli desselben Jahres erlebten aus­ser­dem Strasnoys Kammeropern Un retour beim Festival d’Aix en Provence bzw. Cachafaz an der Opéra Comique ihre Uraufführungen. Die Kammeroper Dido und Aeneas nach Henry Purcell wurde im Januar 2012 am Pariser Théâtre du Châtelet uraufgeführt, im gleichen Jahr folgte im November die Uraufführung von Slutchai in Bordeaux. Zuletzt dirigierte Oscar Strasnoy im Juni 2014 die Uraufführung seiner Oper Requiem am Teatro Colón.

FÄLLE Oper von Oscar Strasnoy (*1970)

Musikalische Leitung Inszenierung Bühnenbild Kostüme Lichtgestaltung Dramaturgie

Carrie-Ann Matheson Jan Eßinger Sonja Füsti Jeannette Seiler Dino Strucken Beate Breidenbach

Fedja Dawidowitsch Pronin Irina Maser Olga Subowa, eine Krankenschwester Juflewa, eine Kassiererin, genannt Ida Bjaschetschkina, ebenfalls genannt Ida Jelisaweta Bam Maschkin Koschkin Kruglov, ein kleiner Mann Semjon Semjonowitsch Myschin, ein Hausmeister Korschunow, genannt Doktor Chariton, Geschäftsführer einer Kooperative Eine Fee Eine Milizionärin

Andri Björn Róbertsson Hamida Kristoffersen

Instrumental-Ensemble des Opernhauses Zürich Statistenverein am Opernhaus Zürich

Estelle Poscio Alexandra Tarniceru Lin Shi Dara Savinova Yujoong Kim Oleg Loza Spencer Lang Iain Milne Ivan Thirion Roberto Lorenzi Bastian Thomas Kohl Roswitha Döbeli Lisa Ramstein

Unterstützt von den Freunden der Oper Zürich Premiere 8 Mai 2015, Studiobühne Weitere Vorstellungen 10, 12, 16, 19, 21 Mai 2015, Studiobühne


Kalendarium 43

April 2O15

1O  Führung Bühnentechnik

Giselle

11.15

Fr

16.OO

19.OO

Treffpunkt Billettkasse, CHF 2O

Ballett von Patrice Bart Ballett-Abo, Preise D

Sa 11  Unterwegs mit Ohrwurm Squillo

14.OO

Für 6- bis 9-Jährige Treffpunkt Billettkasse, CHF 1O

Stücke entdecken «Giselle» 14.3O

für 12- bis 16-Jährige Ballettsaal B, CHF 2O

Führung durch das Opernhaus 15.OO

Treffpunkt Billettkasse, CHF 1O

Lucia di Lammermoor 19.OO

Oper von Gaetano Donizetti Kombi-Abo, Preise E

12 So Einführungsmatinee «La traviata» 11.15

Bernhard Theater, CHF 1O

Giselle 14.OO

Ballett von Patrice Bart Freier Verkauf, Preise D

La traviata Premiere

19.OO

Oper von Giuseppe Verdi Premieren-Abo A, Preise G

19 So Ballettgespräch

Studiobühne, CHF 1O

Brunchkonzert

11.15

«Die Zauberflöte» für Harmoniemusik La Scintilla dei Fiati, Stefan Hofmann (Sprecher) Kammerkonzert mit anschliessendem Brunch im Restaurant Belcanto Spiegelsaal, CHF 6O

Lucia di Lammermoor

14.OO

Oper von Gaetano Donizetti Sonntag-Abo B, Preise E

Familien-Workshop «Giselle»

Giselle

14.3O

2O.OO

Ballettsaal A, CHF 2O

Ballett von Patrice Bart Wahl-Abo, Preise D

« The

first Iranian vampire western » The Playlist

Giselle

19.3O

Ballett von Patrice Bart Sonntag-Abo C, Preise D

15 Mi Liederabend Julia Kleiter

19.OO

Lieder von Brahms, Mahler und Schubert Michael Gees, Klavier; Robert Pickup, Klarinette Lieder-Abo, CHF 6O

16 Do Lucia di Lammermoor

19.OO

Oper von Gaetano Donizetti Donnerstag-Abo B, Preise E

Fr 17  Robin Hood

1O.3O

Abenteueroper von Frank Schwemmer, Libretto von Michael Frowin, Geschlossene Vorstellung

Leonce und Lena

19.OO

Ballett von Christian Spuck nach Georg Büchner Misch-Abo C, Preise C

18 Sa Familien-Workshop «Giselle» 14.3O

Ballettsaal A, CHF 2O

AB 9. APRIL IM KINO


Kalendarium 44

2O Mo Lunchkonzert 12.OO

«Die Zauberflöte» für Harmoniemusik Kammermusik am Mittag, Spiegelsaal, CHF 2O

Montagsgespräch mit Matti Salminen

19.OO

Restaurant Belcanto, CHF 1O

Sa 2  Führung durch das Opernhaus

14.OO

Geschichten erzählen mit Musik «Giselle»

15.3O

21 Di La traviata

19.OO

Oper von Giuseppe Verdi Premieren-Abo B, Preise F

22 Mi Lucia di Lammermoor 19.OO

Oper von Gaetano Donizetti Mittwoch-Abo A, Preise E

14.OO

Oper von Giuseppe Verdi Freitag-Abo B, Preise F

25 Sa Führung durch das Opernhaus 14.OO

Führung in die Maske

Lucia di Lammermoor

19.OO

Rameau

2O.OO

6. Philharmonisches Konzert Teodor Currentzis, Julie Fuchs, Anna Goryachova, Orchestra La Scintilla Konzert-Abo, Preise P1

Treffpunkt Billettkasse, CHF 2O

Oper von Gaetano Donizetti Belcanto-Abo, Preise E

26 So Fidelio Wiederaufnahme

14.OO

Für 4- bis 9-Jährige und ihre Eltern Kreuzstrasse, CHF 12/2O

Treffpunkt Billettkasse, CHF 1O

15.3O

Oper von Giuseppe Verdi Sonntag-Abo A, Preise F

Geschichten erzählen mit Musik «Giselle»

15.3O

24 Fr La traviata 19.3O

Oper von Ludwig van Beethoven Deutsche Oper-Abo, Preise E

So 3  La traviata

Ballett von Patrice Bart Misch-Abo B, Preise D

Für 4- bis 9-Jährige und ihre Eltern Kreuzstrasse, CHF 12/2O

Fidelio

19.OO

23 Do Giselle 19.OO

Treffpunkt Billettkasse, CHF 1O

Oper von Ludwig van Beethoven Wahl-Abo, Preise E

Mode·Leder·Pelze Kaiserstrasse 42 D-79761 W a l d s h u t Tel. 0049 7751 3486 www.kueblerpelz.com

Giselle

2O.OO

Ballett von Patrice Bart, Freier Verkauf, Preise D

28 Di La traviata

19.OO

Oper von Giuseppe Verdi Dienstag-Abo B, Preise F

29 Mi Fidelio

19.OO

Oper von Ludwig van Beethoven Misch-Abo A, Preise E

Mai 2O15 Fr La traviata 1

19.OO

Oper von Giuseppe Verdi, Verdi-Abo, Preise F

Die neue leichte Leder-Mode


Kalendarium 45

Di Fidelio 5

19.OO

Oper von Ludwig van Beethoven Dienstag-Abo A, Preise E

12 Di Giselle

19.OO

Mi 6  Geschichten erzählen mit Musik «Giselle»

15.3O

Für 4- bis 9-Jährige und ihre Eltern Kreuzstrasse, CHF 12/2O

La traviata 19.OO

Oper von Giuseppe Verdi Mittwoch-Abo B, Preise F

Fr 8  Führung Bühnentechnik

16.OO

Treffpunkt Billettkasse, CHF 2O

Fälle (Slutchai) Premiere

19.OO

Oper von Oscar Strasnoy Studiobühne, CHF 5O/35

La traviata

19.3O

Oper von Giuseppe Verdi Freitag-Abo A, Preise F

9  Workshops «Romeo und Julia» Sa

11.OO

mehrteiliger für Jugendliche ab 16 Jahre Ballettsaal B, CHF 1O

Ballett-Führung mit Mini-Workshops 14.OO

Ballettsaal B, CHF 1O

Ballett von Patrice Bart Dienstag-Abo D, Preise D

Fälle (Slutchai)

19.OO

Oper von Oscar Strasnoy Studiobühne, CHF 5O/35

14 Do Robin Hood

14.OO

Abenteueroper von Frank Schwemmer, Libretto von Michael Frowin Freier Verkauf, Kindervorstellung, CHF 2O–6O

La traviata

2O.OO

Oper von Giuseppe Verdi Donnerstag-Abo B, Preise F

15 Fr Giselle

19.3O

Ballett von Patrice Bart AMAG-Volksvorstellung, Preise VV

16 Sa Führung durch das Opernhaus 14.OO

Fälle (Slutchai)

19.OO

Treffpunkt Billettkasse, CHF 1O

Oper von Oscar Strasnoy Studiobühne, CHF 5O/35

Balanchine · Van Manen · Kylián

19.3O

Choreografien von George Balanchine, Hans van Manen und Jiří Kylián Freier Verkauf, Preise C

Führung durch das Opernhaus

Balanchine · Van Manen · Kylián

17 So Giselle

14.3O

19.3O

Treffpunkt Billettkasse, CHF 1O

Choreografien von George Balanchine, Hans van Manen und Jiří Kylián Samstag-Abo, Preise C

1O  Einführungsmatinee So

11.15

«La verità in cimento»

Bernhard Theater, CHF 1O

Balanchine · Van Manen · Kylián

Fälle (Slutchai)

14.OO

19.OO

Ballett von Patrice Bart Freier Verkauf, Preise D

La traviata

2O.OO

Oper von Giuseppe Verdi Sonntag-Abo C, Preise F

18 Mo Montagsgespräch mit Christian Spuck 19.OO

Restaurant Belcanto, CHF 1O

Choreografien von George Balanchine, Hans van Manen und Jiří Kylián Ballett-Abo klein, Preise C

Oper von Oscar Strasnoy Studiobühne, CHF 5O/35

Fidelio

2O.OO

14.OO

Oper von Ludwig van Beethoven AMAG-Volksvorstellung, Preise VV

Opernhaustag

Die Werkeinführung findet jeweils 45 min. vor der Vorstellung statt.

BILLETTKASSE + 41 44  268  66 66


Serviceteil 46

BILLETTKASSE Öffnungszeiten: Mo-Sa 11.00 Uhr bis Vorstellungsbeginn, an Tagen ohne Vorstellung bis 18.00 Uhr. Sonntags jeweils ab 1,5 Stunden vor Vorstellungsbeginn. T +41 44 268 66 66, Mo-Sa, 11.30-18.00 Uhr / F +41 44 268 65 55 / tickets@opernhaus.ch Opernhaus Zürich AG, Falkenstrasse 1, CH-8008 Zürich VORVERKAUF Tickets für sämtliche Vorstellungen der Saison 14/15 sind unter www.opernhaus.ch und an der Billettkasse des Opernhauses erhältlich. Für schriftliche Kartenbestellungen sowie Bestellungen per Fax und E-Mail wird eine Bearbeitungsgebühr von CHF 5 erhoben. Die Benachrichtigung über die Platzzuteilung erfolgt in Form einer Rechnung, nach deren Begleichung die Karten per Post zugestellt werden. Für die postalische Zusendung von tele­ fonisch oder online gebuchten Karten sowie bei deren Abholung an der Billettkasse wird eine Gebühr von CHF 5 erhoben. Online­ tickets können auch kostenfrei zuhause ausgedruckt werden. AMAG-VOLKSVORSTELLUNGEN Die AMAG-Volksvorstellung ermöglicht es Theaterliebhabern, das Opernhaus Zürich zu einem deutlich reduzierten Preis zu be­suchen. Die regelmässig stattfindenden AMAG-Volksvor­stel­ lungen werden in der kalendarischen Übersicht dieses Magazins, online in unserem Monatsspielplan sowie per News­letter an­ gekündigt. Die AMAG-Volksvorstellungen gelangen jeweils einen Monat vorher in den Verkauf. Fällt der Tag des Verkaufs-

beginns auf einen Sonn- oder Feiertag, beginnt der Vorverkauf am Öffnungstag davor. Schriftliche Kartenbestellungen sind nicht möglich. Der Maximalbezug für diese Vorstellungen liegt bei 4 Karten pro Person. OPERNHAUS-TAG Das Opernhaus Zürich für Kurzentschlossene: Am Opernhaustag erhalten Sie 5O% Ermässigung für die gekennzeichnete Vorstellung. Fällt der Opernhaustag auf einen Sonntag, können die ermässigten Tickets bereits ab Samstag erworben werden. Die Termine finden Sie im Kalendarium dieses Magazins und werden Ihnen auf Wunsch regelmässig per E-Mail mitgeteilt. Newsletter abonnieren unter: www.opernhaus.ch/newsletter ERMÄSSIGUNGEN Das Opernhaus Zürich bietet unterschiedliche Ermässigungen für Kinder, Schüler, Studenten, Lernende und KulturLegi-Inhaber, AHV- und IV-Bezüger. Informationen hierzu finden Sie unter www.opernhaus.ch/besuch oder in unserem Sai­son­­buch. MAG ABONNIEREN MAG, das Opernhaus-Magazin, erscheint zehnmal pro Saison und liegt zur kostenlosen Mitnahme im Opernhaus aus. Sie können das Opernhaus-Magazin abonnieren: zum Preis von CHF 38 bei einer inländischen Adresse und CHF 55 bei einer ausländischen Adresse senden wir Ihnen jede Ausgabe druckfrisch zu. Bestellungen unter: T +41 44 268 66 66 oder tickets@opernhaus.ch.

BALANCHINE VAN MANEN KYLIÁN Wiederaufnahme: 9 Mai 2015 Vorstellungen: 10, 16 Mai, 4, 7, 14, 25 Juni 2015


Serviceteil 47

BILLETTPREISE

SPONSOREN

Platzkategorien

1

Preisstufe A

2

3

4

5

92 76 65 43 16

Preisstufe B

141

126

113

56

2O

Preisstufe C

169

152

13O

56

2O

Preisstufe D

198

173

152

92

32

Preisstufe E

23O

192

168

95

35

Preisstufe F

27O

216

184

98

38

Preisstufe G

32O

25O

22O

98

38

Preisstufe VV

75

59

44

25

15

Kinderoper K

6O

5O

4O

3O

2O

Preisstufe P1

95

8O

65

5O

35

Preisstufe P2

125

1O5

85

65

4O

Legi (Preisstufen A-C)

35

25

2O

18

13

Legi (Preisstufen D-G)

45

33

25

2O

15

Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden und Obwalden. PARTNER

ab PRODUKTIONSSPONSOREN EVELYN UND HERBERT AXELROD FREUNDE DER OPER ZÜRICH WALTER HAEFNER STIFTUNG SWISS RE ZÜRICH VERSICHERUNGSGESELLSCHAFT AG

WALTER B. KIELHOLZ STIFTUNG KPMG AG LANDIS & GYR STIFTUNG LINDT UND SPRÜNGLI (SCHWEIZ) AG MARSANO BLUMEN AG STIFTUNG MERCATOR SCHWEIZ FONDATION LES MÛRONS

PROJEKTSPONSOREN AMAG AUTOMOBIL- UND MOTOREN AG

Alle Preise in CHF

EGON-UND-INGRID-HUG-STIFTUNG

BAUGARTEN STIFTUNG FAMILIE CHRISTA UND RUDI BINDELLA RENÉ UND SUSANNE BRAGINSKY-­

NEUE ZÜRCHER ZEITUNG AG PRO HELVETIA, SCHWEIZER KULTUR­ STIFTUNG ELSE VON SICK STIFTUNG SWISS CASINOS ZÜRICH AG PROFESSOR ARMIN WELTNERSTIFTUNG

STIFTUNG CLARIANT FOUNDATION FREUNDE DES BALLETTS ZÜRICH

IMPRESSUM Magazin des Opernhauses Zürich Falkenstrasse 1, 8008 Zürich www.opernhaus.ch, T + 41 44 268 64 00, info@opernhaus.ch Intendant Generalmusikdirektor Ballettdirektor Verantwortlich Redaktion Gestaltung Fotografie Bildredaktion Anzeigen Schriftkonzept und Logo Druck Illustrationen

Andreas Homoki Fabio Luisi Christian Spuck Claus Spahn (Chefdramaturg) Sabine Turner (Direktorin für Marketing, PR und Sales) Beate Breidenbach, Kathrin Brunner, Fabio Dietsche, Michael Küster, Claus Spahn Carole Bolli, Martin Schoberer, Florian Streit, Giorgia Tschanz Florian Kalotay, Danielle Liniger Stefan Deuber Christian Güntlisberger Nathalie Maier Studio Geissbühler Multicolor Print AG Laura Jurt (11,48) Lina Müller (30)

ERNST GÖHNER STIFTUNG MAX KOHLER STIFTUNG KÜHNE-STIFTUNG RINGIER AG GEORG UND BERTHA SCHWYZER-­ WINIKER-STIFTUNG VONTOBEL-STIFTUNG ZÜRCHER FESTSPIELSTIFTUNG ZÜRCHER KANTONALBANK GÖNNER ABEGG HOLDING AG ACCENTURE AG JOSEF ACKERMANN ALLREAL ARS RHENIA STIFTUNG ART MENTOR FOUNDATION LUCERNE AVINA STIFTUNG BANK JULIUS BÄR BERENBERG SCHWEIZ BEYER CHRONOMETRIE AG ELEKTRO COMPAGNONI AG STIFTUNG MELINDA ESTERHÁZY DE GALANTHA

MAG kooperiert mit dem Studiengang Redaktionelle Fotografie der Schweizer Journalistenschule MAZ

FITNESSPARKS MIGROS ZÜRICH FRITZ-GERBER-STIFTUNG

FÖRDERER CONFISERIE TEUSCHER FRANKFURTER BANKGESELLSCHAFT (SCHWEIZ) AG GARMIN SWITZERLAND HOREGO AG SIR PETER JONAS LUZIUS R. SPRÜNGLI ELISABETH STÜDLI STIFTUNG ZÜRCHER THEATERVEREIN


Sibylle Berg denkt über Operngefühle nach 48

Keine Oper ohne Rachearie: In Fidelio hat der Gou­ver­ neur Don Pizarro noch eine Rechnung mit dem politi­ schen Gefangenen Florestan offen – er will ihn töten. Was ist vom Rachedurst der Opernhelden zu halten? Ausser im Märchen und in der Oper ist Rache meist männlich. Vielleicht fehlt Frauen der Schwung, die Aggressivität oder das Gift, mit dem Männer bekanntlich gerne morden. Weibliche Rache ist irgendwie drollig und beschränkt sich vornehmlich auf Unternehmungen, die mit der Zerstörung von Anzügen und dem albern verbilligten Ebay-Verkauf von Maseratis zu tun haben. Die männliche Rache verfügt, wie fast alles Männliche, über weitaus mehr Grandezza und mehr, sagen wir – Nachhaltigkeit. Blutrache, Ehrenmorde, erwürgte Ex-Partnerinnen, Frauen, Kinder, Kriege, Stammesfehden, Vergewaltigungen in Kriegsgebieten. Den Kampf der IS-Fundamentalisten könnte man als Rache vornehmlich an Frauen bezeichnen. Doch der grossen, blutigen, sowie der kleinen anzugzerschneidenden Rache liegt das immer gleiche Gefühl einer Kränkung zu Grunde, der Wunsch nach einer ausgleichenden Gerechtigkeit. Und was gerecht ist, bestimmt der Rächen­de. Natürlich ist es den meisten zu wenig zu sagen: Ich will Ra­che, weil ich beleidigt bin, weil mir weh getan wurde, weil ich nun wie ein Depp dastehe. Da muss die Ehre unter dem Schrank hervorgeholt werden! Die Ehre, mit vielen «rrrrrr» ausgesprochen. Die Ehre des islamischen Mannes zum Bei­ spiel hängt nicht von seinem eigenen Verhalten ab, sondern vom Verhalten seiner Frau, Mutter, Schwester oder Tochter und davon, ob er ihr Verhalten kontrollieren kann. Das An­ sehen im Kollektiv. Der intelligente Mensch denkt: Was in­­ ter­essiert mich mein Ansehen? Allein, die Gabe reflek­tierter Sicht auf die eigene befristete Existenz ist nicht allen gegeben.

Die meisten wollen Vergeltung für die Ungerechtig­keit, die das Leben mit sich bringt. Und da man nicht sich selber er­ mor­den will, oder auf den Himmel einschlagen kann, weil man nicht den Turbokapitalismus erschlägt, wird eben gerächt. Kalt genossen soll sie am besten schmecken, die Rache, nicht im Affekt, sondern langsam geplant, das Sturmgewehr solange geputzt, bis die Gattin nichts Böses befürchtet, der Feind, der Nachbar, der Bruder, der einen um das Erbe brach­te, ahnungslos vor sich hinlebt. Und dann – zack – aus dem Hinterhalt zugeschlagen. Friedfertigere Naturen denken sich: Das Leben wird Rache nehmen, wird den bestrafen, der mir Unrecht getan, der mich betrogen und belogen hat. Der mir ein marodes Haus verkaufte oder mich entliess. Das tut das Leben auch, es bestraft uns alle mit Verfall, Verlust und dem bekannten Ende. Und das ist, was jede Rache so un­endlich albern und sinnlos macht. Dieser kleine Triumph, der Gatte mit den zerschnittenen Porschereifen, die Geliebte, die einen verlassen hat und nun in Pizzalieferungen erstickt, der erschossene Gegner, da liegt er oder sie oder es – und für einen Moment fühlt sich der Rächer unsterblich. Ist er aber nicht. Er ist nur einer, der verraten, verlassen, betrogen wurde, der zu dumm war, zu wenig geliebt wurde, und das ist er nach getaner Revanche immer noch. Nicht mehr, als ein alberner Mensch, der nicht zu Ende denkt. Abgeführt, eingesperrt, oder nach wenigen Sekunden zurück in seinem kleinen Leben, in dem alles von vorne losgeht. So schön Ra­che in der Oper klingt, in der Welt ist sie eine Tat, die schreit: Ich habe mich definitiv zu wichtig genommen! Sibylle Berg

Illustration Laura Jurt

Die Rache


LA VERITÀ IN CIMENTO

PREMIERE 25 MAI 2O15


Teamgeist. Das verbindet uns mit dem Intendanten und dem Ballettdirektor des Opernhauses Zürich. Als eine der weltweit erfolgreichsten Bühnen zeigt das Opernhaus Zürich seit Jahren Opern- und Ballett-Aufführungen von höchster künstlerischer Qualität. Andreas Homoki und Christian Spuck stehen hinter einem Ensemble, das mit Harmonie, Disziplin und Können die Leidenschaft für Musik, Gesang und Tanz auf ein breites Publikum überträgt. Der gemeinsame Wille, unermüdlich das Beste zu bieten, kennzeichnet auch unsere Arbeit für alle Kunden in der Schweiz. Deshalb unterstützt UBS das Opernhaus Zürich seit 1987 als Partner.

www.ubs.com/sponsoring Die Verwendung von Namen oder sonstiger Bezeichnungen Dritter in dieser Werbung erfolgt mit der entsprechenden Genehmigung. © UBS 2015. Alle Rechte vorbehalten.


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