MAG 84: Salome

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MAG 84

Elena Stikhina singt Salome


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Editorial

Schussfahrt ins Abenteuer Verehrtes Publikum, bewundern Sie im Winter auch die Skirennfahrerinnen und Skirennfahrer, die todesmutig gefährliche Weltcup-Abfahrten hinunterrasen? Wenn sie stürzen und dabei ohne Kreuzbandrisse und nur mit blauen Flecken davon kommen (was leider oft nicht der Fall ist), gibt es für sie nur eins: Sie wollen sofort wieder zurück auf ihre Ski und am nächsten Rennen teilnehmen. Sie wollen den Sturz so schnell wie möglich hinter sich lassen und bloss nicht ins Grübeln darüber geraten, was er in ihnen an Ängsten und grundsätzlichen kritischen Gedanken ausgelöst haben könnte. Denn wer zu viel nach­ denkt, kann nicht mehr mit der gleichen Selbstverständlichkeit das tun, was er vor dem gravierenden Ereignis getan hat. Andererseits: Ist es nicht unerlässlich, Krisen genau anzuschauen, gründlich aufzuarbeiten, um gestärkt aus ihnen hervorgehen zu können? Sport soll man nicht mit Kunst vergleichen, das ist wahr, und wir stehen am Opernhaus Zürich ja auch nicht im Starthäuschen der Lauberhornabfahrt von Wengen, sondern am Beginn einer neuen Spielzeit, die am 12. September mit der Premiere der Richard-Strauss-Oper Salome beginnt. Aber ein bisschen geht es uns nach anderthalb Jahren Corona-Pandemie schon wie den Sturzopfern im Sport, nachdem sie wieder auf die Beine gekommen sind: Wir wollen wieder loslegen, Tempo aufnehmen, möglichst schnell zu alter Form auflaufen. Corona ist noch nicht vorüber. Das Thema wird uns gewiss noch lange beschäftigen, aber jetzt – Stand September – sehen wir einer Saison entgegen, die im Vergleich zu den beiden vorangegangenen der Normalität vor Corona schon erheblich näher kommt: Unser Orchester wird wieder im Graben sitzen, der Chor ohne Abstand auf der Bühne stehen. Wir können künstlerisch uneingeschränkt die Opern und Ballettproduktionen spielen, die wir vor Jahren geplant haben. Unsere Salome etwa wird vom Intendanten Andreas Homoki inszeniert; die erfahrene Strauss-Dirigentin Simone Young steht am Pult der Philharmonia Zürich; die international hochgehandelte rus­ sische Sopranistin Elena Stikhina gibt ihr Hausdebüt in der Titelrolle. In den Wieder­ aufnahmen, mit denen wir in die Saison starten, gibt es unter anderem ein Wiedersehen mit Calixto Bieitos bildgewaltig spektakulärer Inszenierung von Claudio Monte­verdis Oper L’incoronazione di Poppea und Julie Fuchs in der Hauptrolle. In Puccinis Tosca sind die Gesangsstars Sonya Yoncheva als Floria Tosca und Joseph Calleja als Cavaradossi zu erleben. Und oper für alle ist auch möglich: Wir übertragen die Salome-Premiere live auf den Sechseläutenplatz. Wird also alles wieder sein wie vor der Pandemie? Nein, das gewiss nicht. Andreas Homoki erklärt in dieser MAG-Ausgabe die Bedingungen, unter denen Opern- und Ballettbesuche wieder möglich sind. Ob Corona in unseren Köpfen etwas verändert hat, ob wir anders hören, sehen, uns begegnen, und was überhaupt das neue Normal nach einer so langen Zeit mit Lockdown, Kurzarbeit und leeren Stuhlreihen für ein Opernhaus sein kann, das werden wir gemeinsam – die Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne und Sie im Pu­ bli­kum – herausfinden in all den Vorstellungen, zu denen sich die Türen nun wie­der weit öffnen. Halsbrecherisch wie die Sportler stürzen wir uns jedenfalls nicht in das Abenteuer, sondern achtsam, krisenbewusst, reflektiert – und gleichzeitig mit der un­ bändigen Freude, dass das, was wir so lange vermisst haben, nun wieder möglich ist. MAG 84 / Sep 2021 Unser Titelbild zeigt Elena Stikhina, die in «Salome» die Titelrolle singt. (Foto Florian Kalotay)

Claus Spahn

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Inhalt

4 Zurück zur Normalität – Andreas Homoki informiert über den Start in die neue Saison 8 Das Eröffnungswochenende im Überblick 12 Zur «Salome»Premiere: Ein Gespräch über verbotene Blicke mit dem Psycho­analytiker Wolfgang Schmidbauer 18 Andreas Homoki über seine Inszenierung der Oper «Salome» von Richard Strauss 26 Simone Young dirigiert die neue «Salome» – ein Porträt

Opernhaus aktuell – 8,  Wie machen Sie das, Herr Bogatu? – 11,  Volker Hagedorn trifft … – 26,  Der Fragebogen – 28,  Die geniale Stelle – 30

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Opernhaus aktuell

Sie dürfen wieder Platz nehmen Im Opernhaus geht am 12. September der Vorhang zur Saison 2021/22 hoch, und die Premiere der Oper «Salome» von Richard Strauss ist nicht nur im Theater zu erleben. Sie wird auch als «oper für alle» live auf den Sechseläutenplatz übertragen und im Internet gestreamt. Intendant Andreas Homoki informiert darüber, unter welchen Bedingungen Oper und Ballett jetzt wieder stattfinden können.


Herr Homoki, mit welchen Gefühlen blicken Sie in die neue Spielzeit? Mit sehr positiven. Wir sind mitten in den Proben zu unserer Eröffnungspremiere Salome von Richard Strauss und haben Riesenspass. Natürlich trägt zur guten Stimmung auch bei, dass uns die Corona-­ Pandemie auf den Proben kaum mehr einschränkt. Wir können wieder das tun, was Musiktheater ausmacht, nämlich physisch uneingeschränkt inter­ agieren. Die Kunst kommt wieder zu ihrem Recht. Wir müssen keinen Abstand halten und keine Masken mehr tragen. Das haben wir der Impfsituation zu verdanken, denn die allermeisten in unserem Pro­ duk­tionsteam sind geimpft, und die wenigen, die nicht geimpft sind, werden regelmässig getestet. Ich hoffe sehr, dass diese positive Stimmung in unserem Salome­-Team auch auf den ganzen Betrieb überspringt und uns durch die jetzt beginnende Saison trägt. Wie weit ist die Corona-Pandemie, die der Kultur in den vergangenen anderthalb Jahren so hart zugesetzt hat, im Moment vom Opernhaus entfernt? Wir wissen, dass die Pandemie noch nicht über­ standen ist, aber die Vorzeichen sind jetzt andere als etwa zu Beginn der vergangenen Spielzeit. Die Impfung hat uns in eine viel bessere Situation gebracht. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass eine vierte Welle nicht die gleichen negativen Auswirkungen haben wird wie die vorhergehenden. Das hoffe ich nicht nur für unser Opernhaus, sondern für die gesamte Gesellschaft. Wir gehen jedenfalls davon aus, dass unsere Spielzeit, die wir am 12. September mit Salome eröffnen, genau so stattfindet, wie wir sie seit Jahren sorgfältig geplant haben. Wir präsentieren keinen kurzfristig zusammengestellten Corona-Spielplan.

Foto: Frank Blaser

Wer darf ab dem 12. September ins Opernhaus kommen, um eine Vorstellung zu besuchen? Alle, die geimpft, genesen oder getestet sind und das

mit dem offiziellen Covid-Zertifikat nachweisen können, abgekürzt nennt man das jetzt die «3-G»-­ Regel. Diese gilt nicht für Besucher unter 16 Jahren. Unser Einlasspersonal wird das Zertifikat vor jeder Vorstellung kontrollieren. Das bedeutet einen gewissen Mehraufwand, aber den nehmen wir gerne in Kauf, weil wir mit der sogenannten «3-G»-Regel wieder alle Plätze im Haus belegen können, also bis zu 1.150 Gäste empfangen können, denn Abstand zu halten ist bei «3-G» nicht mehr notwendig. Wir haben aber trotzdem beschlossen, die Maskenpflicht in allen Vorstellungen vorerst beizubehalten. Die ist eigentlich bei «3-G» nicht vorgeschrieben, aber wir wollen mit dieser Massnahme zusätzliche Sicherheit schaffen. Wir denken da an vorsichtige Menschen, die sich trotz der Impfung vielleicht noch unsicher fühlen und durch die Maskenpflicht mehr Vertrauen in einen Opernhausbesuch gewinnen. Als Intendant und Regisseur sehne ich mich nach un­ serem Publikum und wünsche mir nichts so sehr, wie wieder in einen vollen Saal blicken zu dürfen. Ich fand die Zeit, in der das nicht möglich war, unerträglich. Bei der Einführung der «3-G»-Regel haben wir uns übrigens mit den anderen grossen Kultur­ institutionen der Stadt abgestimmt, die Tonhalle macht es genauso, das Schauspielhaus ähnlich. Die Regelung gilt bei uns am Opernhaus vorerst bis zum 31. Oktober, um flexibel auf eine veränderte Lage reagieren zu können. Konkret heisst das: die Tickets gehen jetzt auf dieser Basis bis zum 31. Oktober in den Vorverkauf. Aber die Saisoneröffnung findet, wie man hört, nicht nur im Opernhaus statt? Nein. Wir werden unser beliebtes oper für alle auf dem Opernhausplatz nachholen und am 12. September die Salome-Premiere auf den Platz über­ tragen. Dass ein so grosses Publikum live bei einer Opern-Premiere dabei sein kann, hat es bisher noch


nicht gegeben. Wir werden die Salome-Premiere auch kostenlos auf unserer Website streamen. Am Abend zuvor zeigen wir auf dem Sechseläutenplatz einen Mitschnitt von Christian Spucks Ballett-Produktion Messa da Requiem. Ausserdem kann man bei­spiels­ weise auch die Generalprobe unserer Wiederauf­ nah­me von Monteverdis L’incoronazione di Poppea be­suchen. Wir veranstalten also rund um unsere Salome-­Premiere ein Eröffnungswochenende mit einer ganzen Reihe an Veranstaltungen. Ich finde, das ist nach aussen ein ganz wichtiges Lebenszeichen unserer Kunst. Corona lässt so ein Massen-Event zu? Wir werden keine 14’000 Menschen auf den Platz lassen können, sondern nur 6’000. Wir müssen den Platz umzäunen und werden online kostenlose Tickets ausgeben. Auch auf dem Platz gilt wie bei allen anderen Veranstaltungen des Eröffnungs­wo­ chen­endes die «3-G»-Regel, also geimpft, genesen, getestet. Dafür müssen die Gäste aber keinen Abstand halten und können ihr Picknicklager auf­ schlagen, wo und wie sie möchten. oper für alle ist in diesem Jahr zwar nicht ganz so gross wie sonst, aber es findet statt und darf seinen gewohnten Charme entfalten.

Foto: Frank Blaser

Wie sieht es denn auf und hinter der Bühne aus? Kehren Oper und Ballett dort zur Normalität zurück? Das Orchester wird wieder im Graben an seinem angestammten Ort sitzen. Unser Chor wird wieder live auf der Bühne stehen und ohne szenische Re­ striktionen singen und spielen. Und unsere Ballett-­ Compagnie wird wieder genau so tanzen wie vor Corona. Ich finde, es ist jetzt nach anderthalb Jahren seit Beginn der Pandemie, des eingeschränkten Betriebs und nach monatelanger Kurzarbeit an der Zeit, dass wir wieder das tun, was unsere Aufgabe ist –


nämlich Oper und Ballett so zu spielen, wie sie gedacht sind. Auch bei unseren Rahmenprogrammen, etwa bei Matineen und Werkeinführungen, kehren wir wieder in den Live-Modus zurück. Das ist dank der Impfung wieder möglich, und deshalb machen wir es auch. Ich spüre überall im Opernhaus den starken Wunsch, zur künstlerischen Normalität zurückzukehren. Alle sehnen sich danach. Sind denn die Mitarbeitenden alle geimpft? Es gibt bei uns, wie sonst auch in der Schweiz, keine Impfpflicht. Das ist jedem selbst überlassen. Aber die Signale, die wir in der Direktion erhalten, deuten darauf hin, dass ein grosser Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geimpft ist. Für die, die sich nicht impfen lassen können oder wollen, führen wir ein System regelmässiger Tests ein, um Ansteckungen im Opernhaus zu verhindern. Alle Mitarbeitenden müssen geimpft, genesen oder getestet sein. Das ist für uns sehr wichtig, denn nur auf dieser Basis können wir für einen stabilen Spielbetrieb sorgen. Und wenn Corona im Herbst doch wieder zuschlägt? Darüber will ich im Moment nicht nachdenken, denn, wie gesagt, die Situation ist dank der Impfung eine andere. Vorbereitet sind wir natürlich trotzdem auf negative Entwicklungen. Ich freue mich jetzt erstmal, wenn sich am 12. September der Vorhang zu unserer Salome hebt, und das riesige Orchester, das Richard Strauss für dieses Werk komponiert hat, live im Graben spielt. Das wird bestimmt ein überwältigendes sinnliches Erlebnis, weil wir es so lange entbehren mussten, und ich finde es toll, dass auch die Opernfans, die nicht im Saal sitzen, dank oper für alle und Live-Stream mit Unterstützung unseres Sponsors, der Zürich Versicherung, daran teilhaben können. Das Gespräch führte Claus Spahn


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Opernhaus aktuell

Saisoneröffnung für alle Samstag 11. September

tt i r t n i E fr ei

Sonntag 12. September

11.00 Öffentliche Generalprobe L’incoronazione di Poppea

11.00 Konzert Der Nussknacker für Kinder

Oper von Claudio Monteverdi Musikalische Leitung: Ottavio Dantone, Regie: Calixto Bieito Mit Julie Fuchs, David Hansen, Emily D’Angelo, Delphine Galou Orchestra La Scintilla Opernhaus

Musik von Piotr I. Tschaikowski Konzertversion für Kinder ab 5 Jahren Opernhaus

13.00 Wiederaufnahme Das tapfere Schneiderlein Familienoper von Wolfgang Mitterer, ab 6 Jahren Studiobühne

16.00 Das tapfere Schneiderlein Familienoper von Wolfgang Mitterer, ab 6 Jahren Studiobühne

19.00 Screening (Sechseläutenplatz) Messa da Requiem von Giuseppe Verdi Inszenierung: Christian Spuck Mit Krassimira Stoyanova, Veronica Simeoni, Francesco Meli, Georg Zeppenfeld Ballett Zürich, Chor der Oper Zürich, Philharmonia Zürich Sechseläutenplatz

15.00 Das tapfere Schneiderlein Familienoper von Wolfgang Mitterer, ab 6 Jahren Studiobühne

19.00 Live-Übertragung der  Premiere (Sechseläutenplatz) Salome Oper von Richard Strauss Musikalische Leitung: Simone Young, Regie: Andreas Homoki Mit Elena Stikhina, Kostas Smoriginas, Wolfgang Ablinger-­ Sperrhacke, Michaela Schuster, Mauro Peter Philharmonia Zürich Sechseläutenplatz

Präsentiert von

Aufgrund der epidemiologischen Lage gilt für die Saisoneröffnung ein gesondertes Schutzkonzept. Für alle Veranstaltungen werden kostenlose Tickets ausgegeben. Bei der Einlasskontrolle zum Sechseläutenplatz wie zum Opernhaus muss neben der Eintrittskarte ein gültiges Covid-Zertifikat vorgewiesen werden. Im Opernhaus gilt zudem Maskenpflicht. Alle Infos zu Veranstaltungen und Tickets unter www.opernhaus.ch/saisoneroeffnung


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Opernhaus aktuell

Opernhaus Jung 1. Philharmonisches Konzert

Spannendes Dirigentendebüt Im ersten Konzert der neuen Saison gibt Krzysztof Urbański sein Debüt am Pult der Philharmonia Zürich. Mit jugendlichem Charisma und dynamischen Auftritten hat der polnische Dirigent im vergangenen Jahr­ zehnt bei einigen der weltweit bedeutendsten Orchestern auf sich auf­ merksam gemacht: Als er 31-jährig erstmals die Berliner Philharmoniker leitete, war er bereits Musikdirektor des Indianapolis Symphony Orchestra. Seit 2015 ist er Erster Gastdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters, mit dem er u.a. Meisterwerke des 20. Jahrhunderts wie Strawinskys Sacre du printemps oder Schostakowitschs 5. Sinfonie einge­ spielt hat. Mit Schostakowitschs 1953 entstandener 10. Sinfonie tritt er nun im Opernhaus Zürich auf. Gemeinsam mit Bartlomiej Niziol und Lev Sivkov, Konzertmeister und Solocellist der Philharmonia Zürich, interpretiert er ausserdem ein Doppelkonzert des 2020 verstorbenen polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki: Das 2012 in Wien urauf­ geführte Concerto doppio entstammt der späten Schaffensphase Pendereckis, in der sich der frühere Avantgardist für klassische Formen interessierte und in einem Stil komponierte, der ihn auch jenseits der Neue-Musik-Kenner beliebt machte.

Illustrationen: Anita Allemann

26 Sep 2021, 19.30 Uhr, Hauptbühne

Einführungsmatinee

Philharmonia Records

Angels’ Atlas

Neu auf DVD: Simon Boccanegra

Die neue Ballettsaison beginnt mit dem hochkarätigen dreiteiligen Abend Angels’ Atlas, in dessen Mittelpunkt die europäische Erstaufführung des gleich­ namigen und in Koproduktion mit dem Ballett Zürich entstandenen Stücks von Crystal Pite steht. Erstmals in Zürich ist auch die 2018 in Stuttgart ur­ auf­ge­führ ­te Choreografie Almost Blue von Marco Goecke zu sehen. In der Einfüh­r ungsmatinee spricht Dramaturg Michael Küster mit der gefeierten kana­ dischen Choreografin Crystal Pite sowie mit Ballettdirektor Christian Spuck und Mitgliedern des Balletts Zürich. Sonntag, 26 Sep 2021, 11.15 Uhr Bernhard Theater

Andreas Homokis Inszenierung von Giuseppe Verdis Simon Boccanegra erlebte unter Pandemiebedingungen einen aussergewöhnlichen Premieren­ abend. Der Intendant habe «aus der Corona-Not eine neue Operntugend» gemacht, schrieb die Frank­furter Allgemeine Zeitung über das besondere Zürcher Spielmodell mit live zuge­ spieltem Orchester und Chor. In Ho­ mokis ganz aufs Kammerspiel fo­kus­ sierter Inszenierung gab der Bariton Christian Gerhaher sein gefeiertes Debüt in der Titelpartie, und Fabio Luisi dirigierte mit dieser Verdi-Oper seine letzte Premiere als General­ musikdirektor des Opernhauses Zürich. Ab sofort ist die Live-Aufzeichnung dieses besonderen Opernabends auf DVD und Blu-Ray erhältlich. www.opernhaus.ch/shop

Musikgeschichten und Herbstferien-Angebote

Auch für junge Opern- und Tanzbe­ geisterte und ihre Familien starten wir mit einem breitgefächerten Programm in die neue Saison: Die erste Serie von «Musikgeschichten» (ab 7 Jahren) ist von einem jüngst erschienenen Bilder­ buch von Carla Haslbauer inspiriert: In Die Tode meiner Mutter erzählt sie aus der Perspektive eines Kindes vom Alltag einer Opernsängerin. In unserer Umsetzung erklingen dazu Arien von Verdi, Puccini, und Humperdinck. Musik von Georg Friedrich Händel gibt es bei «imprO-Opera» (ebenfalls ab 7 Jahren): Gemeinsam mit dem Publikum erfindet der Erzähler Christoph Betulius dazu improvisierte Helden-, Feen- oder Prinzessinnen-­Geschichten. Während den Herbstferien finden zudem ganz­ wöchige Projekte statt: Von tanzenden Tieren und dem sagenhaften siebten Sinn (für 7- bis 12-Jährige) mit Schwerpunkt Tanz und Odysseus’ klingende Irrfahrt nach Hause (für 9- bis 12-Jährige) mit Schwerpunkt Musik. Anmeldungen sind ab sofort möglich. Detaillierte Informationen unter: www.opernhaus.ch/jung

Werkeinführungen wieder live im Spiegelsaal Mit Beginn dieser Spielzeit finden die coronabedingt ausgesetzten Werkein­ führungen der Dramaturgie wieder live im Spiegelsaal statt, jeweils 45 Minuten vor jeder Opern- und Ballettvorstel­ lung. Alle Einführungen sind weiterhin auch online verfügbar.

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10 Podcast

s odcast ie P e i D g m a­t u r a r D r ! de weiter gehen Zwischenspiel Die aktuelle Podcast-Folge ist online mit Wolfgang Ablinger-Sperrhacke

Unterstützt von

Foto: mauritius images / JT Vintage

Der Charaktertenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke singt in der neuen «Salome» am Opernhaus Zürich den Herodes. Die Partie gehört neben Mime in Wagners «Ring des Nibelungen» oder dem Hauptmann in Alban Bergs «Wozzeck», mit dem er bereits in Zürich geglänzt hat, zu seinen Paraderollen. Der frisch gebackene bayerische Kammersänger wirft sich nicht nur mit Leidenschaft in seine Bühnenrollen, er ist auch kulturpolitisch engagiert – und ein origineller Gesprächspartner. Lernen Sie ihn jetzt im Podcast kennen!


Wie machen Sie das, Herr Bogatu? 11

Rotierende Honigmelonen

Illustration: Anita Allemann

In der Oper Salome besingen die Figuren immer wieder den Mond. Deshalb hat der Bühnenbildner Hartmut Meyer für unsere Neuproduktion der Salome einen grossen gelben Mond entworfen. Es ist eine zehn Meter breite Sichel, die eine schräg gestellte Spielfläche bietet. Sie sieht aus wie das riesige Stück einer Honigmelone oder einer Pampelmuse. Dieser Mond liegt nicht mittig, sondern eher am Rand unserer grossen Bühnen-Drehscheibe und hat einen eigenen Antrieb. Er kann sich also um seinen Mittelpunkt drehen. Da sich die darunter liegende Drehscheibe wiederum um einen anderen Mittelpunkt dreht, ergeben sich viele Rotationsmöglichkeiten und spannende Positionen des Mondes auf der Bühne, was perfekt zu der Inszenierung von Andreas Homoki passt, in der die Figuren in ihren erotischen Begierden und ihrem Hass ebenfalls wie Planeten umeinander kreisen. Über dem Mond auf dem Bühnenboden schwebt über den Köpfen der Sängerinnen und Sänger als Spiegelbild exakt der gleiche Mond. Auch der kann sich drehen, aber zudem noch auf- und abfahren, schwenken und sich neigen. Eingerahmt wird das ganze Bühnenbild von hohen Wänden, die halbkreisförmig um die Drehscheibe herumstehen und die Flucht aus der um sich selbst kreisenden Welt ver­unmöglichen. So scheint es zumindest. Aber das Schicksal (gesteuert durch unsere Maschinisten und befohlen vom Regisseur) bietet zu bestimmten Zeiten einen Steg an, der gleich einer schmalen Gangway von der Seite ins Bühnenbild klappt und einen Zu- und Abgang zur Mondwelt bietet. Das Schicksal selbst – oder ist es die Zeit? – wiederum wird in Form eines riesigen steinernen Mühlrades sichtbar, das entlang der Rundwand von einer Seite der Bühne auf die andere rollt und sich dabei der Bewegung der Dreh­ scheibe widersetzen kann. Sie merken schon: Hartmut Meyers Bühnenbild lädt bereits bei der technischen Beschreibung zu Fantasieflügen ein. Wie wird es erst mit Musik, Darstellenden, Kostümen und Licht sein? Fantasievoll ist auch die technische Umsetzung der Bewegungen bei jedem dieser Elemente. Ich konzentriere mich hier aus Platzgründen auf den fliegenden Mond. Der hängt an einer Stange in der Obermaschinerie und kann mit unseren Zügen hoch und runter bewegt werden. Am unteren Ende der Stange ist ein Gelenk, um das er sich in alle Richtungen schwenken lässt. Beim Aufbau hängen wir den Mond so an das Gelenk, dass er von sich aus immer nach hinten unten und nach links unten kippt. Nun können wir mit einem Seil, das hinter dem Gelenk am Mond befestigt ist, das Kippen des Mondes szenisch steuern: Wenn wir das Seil locker lassen, kippt der Mond nach hinten, wenn wir es anziehen, kippt der Mond nach vorne. Das Gleiche machen wir für die seitliche Bewegung mit einem zweiten Seil. Die von der Ober­ maschinerie bewegten Seile sieht das Publikum nicht, da diese in der Stange verlegt sind. Dazu kommt (ich überfordere Ihr Vorstellungsvermögen wahrscheinlich bereits jetzt), dass sich der ganze Mond noch drehen können muss. Deswegen haben wir ein Drehlager und einen Motor so eingebaut, dass sich der Mond um die Stange, die Seile und den Schwenkmechanismus herum drehen kann. Im Gegensatz zur Raute bei Hoffmanns Erzählungen, haben wir bei Salome tatsächlich die sprichwörtliche «eierlegende Wollmilchsau» im Schnürboden hängen. Das Bild passt irgendwie zu diesem fantasievollen Bühnenbild, in dem so schreckliche Dinge passieren. Sebastian Bogatu ist Technischer Direktor am Opernhaus Zürich


12 Salome

Du sollst sie nicht ansehen! Am 12. September eröffnet das Opernhaus die Saison mit einer neuen «Salome» von Richard Strauss. In dem Fin de Siècle-Werk spielen Blicke eine zentrale Rolle – die lüsternen des Herodes, die besitzergreifenden der Salome, die hasserfüllten des Propheten Jochanaan. Ein Gespräch mit dem Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer über die Triebkräfte des Schauens Collagen  Ashkan Honarvar



14 Salome

Herr Schmidbauer, in Salome geht es ständig um ein lustvolles Schauen-­Wollen und Nicht-Schauen-Dürfen. Welche Bedeutung hat das Sehen für die Lust? Eine sehr grosse. Der Einfluss des Optischen auf die Erotik zeigt sich ja schon in der Vorstellung von der Liebe auf den ersten Blick. Visuelle Reize können eine un­ widerstehliche Macht entwickeln, der sich der Mensch nicht zu entziehen vermag. Man kann die Bedeutung des Sehens für das Sexuelle auch ex negativo beschreiben: Das Erblinden ist bei Sigmund Freud ein Symbol der Kastration, belegt durch den Ödipus-Mythos: Ödipus blendet sich in dem Moment, in dem ihm bewusst wird, dass er seine Mutter geheiratet hat. Also ist das Auge ein Sexualorgan des Menschen? Vielleicht sogar das Wichtigste. Es ist das Sinnesorgan, das sehr viele Informationen sehr schnell transportieren kann, viel besser als der Gehör-, der Tast- oder der Geschmackssinn. Man kann das auch am Durchmesser der Nerven ablesen: Der Sehnerv ist bei weitem der dickste. Es ist kein Zufall, dass optische Innovationen in der kulturellen Entwicklung der Menschen immer wieder eine grosse Rolle spielen.

Ashkan Honarvar ist ein in Norwegen lebender, iranischer Künstler. Von ihm stammen die Foto­ arbeiten, die wir auf den Seiten 12/13 und 17 zeigen. Er schreibt über sein Schaffen: «Seit über einem Jahrzehnt spielt der Missbrauch von Macht in meiner Arbeit eine grosse Rolle. Ich habe mich auf Kriege, Völkermorde und Politik konzentriert. In letzter Zeit hat sich mein Schwerpunkt auf die Beziehungs­dynamik zwischen Opfern und Tätern verlagert. Diese Projekte nehmen meist die Perspektive des Opfers ein. Sexualität, Weiblichkeit und die menschliche Natur spielen dabei eine grosse Rolle.»

Im Zusammenspiel von Schauen und Lust gibt es erlaubte und unerlaubte Blicke. Herodias verbietet ihrem Gatten Herodes, seine Stieftochter anzusehen. Der Hauptmann Narraboth fleht die Prinzessin Salome an, den Propheten Jochanaan nicht anzusehen. Der Page wiederum beschwört Narraboth, Salome nicht anzusehen, denn «Schreckliches» werde geschehen. Woher rührt die Unterscheidung zwischen erlaubten und unerlaubten Blicken? Sie ist mit der Ausprägung des Schamgefühls als einem wichtigen kulturellen Entwicklungsschritt des Menschen entstanden. Gerade das Tabu, Frauen nicht nackt sehen zu dürfen, ist ja ein starkes, immer wiederkehrendes Motiv in der Kultur­ geschichte. Denken wir etwa an die Geschichte vom Jäger Actaeon aus den Meta­ mor­phosen des Ovid, der die Göttin Diana beim Baden beobachtet hat. Er wird von ihr in einen Hirsch verwandelt und von den eigenen Hunden, die ihn nicht mehr erkennen, zerfleischt. Oder nehmen wir den antiken Mythos von Gyges und seinem Ring: König Kandaules ist so stolz auf die Schönheit seiner Frau, dass er sie seinem engen Vertrauten Gyges unbedingt zeigen will. Er fordert ihn auf, sie mit Hilfe eines unsichtbar machenden Rings im Schlafgemach nackt zu beobachten. Als die Königin herausfindet, dass ein Fremder in ihre Intimität ein­gebrochen ist, fordert sie nicht dessen Tod, sondern dass der Eindringling ihren Ehemann tötet. Verbotene Blicke führen zu Strafe, und in allen Geschichten schwingt mit, dass der Mann, der die Frau in ihrer Nacktheit sieht, nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Vernünftige Männer werden unvernünftig und handeln irrational. In Salome ist der verbotene Blick der des Stiefvaters Herodes, der seine Stieftochter immerzu lüstern ansieht. Das ist eine zugespitzte Variante des Tabuisierten, wie sie ja auch in pornografischen Filmen beliebt ist. In einer Subspezies geht es dort immer um Stiefverhältnisse: Stiefvater und Stieftochter, Stiefmutter und Stiefsohn haben Sex. Worin liegt die Attraktion dieses Modells? Das ist doch klar: In der Faszination des Inzestuösen, in der Konstruktion, das Inzestuöse ausleben zu können, ohne dass das Inzest-Tabu wirklich gebrochen wird. Ein Modell sozusagen, in dem das Unmögliche möglich wird. Und die ödipalen Energien gibt es ja: Viele Väter kriegen Konflikte mit ihren Töchtern, wenn diese in die Pubertät kommen. Dann werden sie streng und machen den Töchtern Szenen, wenn die ausgehen und andere Männer kennenlernen wollen. Die Väter streiten natürlich ab, dass sie erotische Absichten haben, aber die Eifersucht auf die jungen Männer, die die Tochter verführen könnten, spricht eben doch dafür, dass inzes­ tuöse Motive wirken.


Salome kommt den Fantasien des Herodes entgegen, indem sie für ihn tanzt. Liegt die Unmoral in solchen Konstellationen auf Seiten des Schauenden oder auch auf der Seite des sich Zeigenden? Ich würde sagen, dass der Exhibitionismus mindestens so alt ist wie der Voyeuris­ mus, und denke, dass das Exhibitionistische das Primäre ist, denn jeder Mensch will Aufmerksamkeit. Der Wunsch, von den Mitmenschen wahrgenommen zu werden, ist ein uralter und sehr universeller und zunächst einmal nicht sexualisiert. Aber natürlich umfasst das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit auch das Sexuelle, und das Zeigen erotischer Reize kann, wie wir wissen, die Quelle von vielen Miss­ verständnissen sein, denn eine junge Frau etwa, die sich «aufreizend» anzieht, will nicht unbedingt, dass ein Betrachter mit Avancen und womöglich gar Berüh­ rungen darauf reagiert. Wie interpretieren Sie Salomes Tanz der sieben Schleier? Salome ist sehr jung. Sie legt ihre ganze Sehnsucht nach einer Liebesbeziehung in diesen Tanz, und diese Sehnsucht ist noch nicht durch reale Erfahrungen getrübt. Sie ist ideal. Es gibt im Marionettentheater von Heinrich von Kleist die Szene vom jungen Mann, der noch unschuldig ist und dessen Bewegungen gerade deshalb von unnachahmlicher Grazie sind. In dem Moment, in dem er sich seiner selbst bewusst wird, verliert er die Grazie. Vielleicht ist das bei Salomes Tanz ähnlich: Der Zauber des Tanzes basiert auf seiner Nähe zur absoluten, idealen Erotik. Salome will die Macht ihrer erotischen Attraktivität auskosten, aber ihr Ziel ist keine reale Sexualität, sondern die ideale. In Salome sieht jeder nur das Bild, das er sich selbst von seinem Gegenüber gemacht hat, und nicht den Menschen, wie er wirklich ist. Ist das nicht etwas, das Ihnen in Ihrer therapeutischen Arbeit oft begegnet? Ja, klar. Es ist das Prinzip jeder stabilisierenden Arbeit in Beziehungen, die Realität des Gegenübers genauer zu erkennen und unterscheiden zu lernen zwischen eigenen Projektionen und der Realität. Das ist nirgends schwerer als auf dem Feld der Sexualität, wo die Bedürfnisse sehr stark sind, die Selbstkritik überwältigen und ein Entgegenkommen fantasieren. Wenn ich stark begehre, dann muss mein Gegenüber dasselbe wollen wie ich. Darin wurzeln viele Beziehungsprobleme. Wie würden Sie die Beziehungskonstellation zwischen Salome und Jochanaan, Herodias und Herodes beschreiben? Es ist durchaus auch ein ödipales Drama. Salome, die Tochter, verliebt sich in den scharfen Kritiker der ehebrecherischen Beziehung ihrer Mutter. Dessen Kritik ist auch ihre. Sie will von ihrer Mutter geliebt werden und diese Liebe nicht teilen, und Jochanaan erweist sich in dieser Hinsicht als ihr Bundesgenosse. Er sagt eine Wahrheit, die auch ihre ist. Deshalb verliebt sie sich in ihn – und es folgt die Rache, wenn diese Liebe von Jochanaan zurückgewiesen wird. Sie sagen «verliebt». Ist das das richtige Wort? Verlieben ist ein triebhaftes Geschehen und etwas anderes als Liebe. Salome begehrt Jochanaan, sie will ihn haben. Dementsprechend heftig ist ihre Reaktion auf seine Zurückweisung, auf die Enttäuschung dieses Besitzwunsches. Es hat ja auch etwas Tragisches: Für Herodes, den Mann, an den ihre Mutter gebunden ist, ist sie das unwiderstehliche Objekt, und der Mann, den sie gerne hätte, widersteht ihr. Sie hat Macht über den falschen Mann. Jochanaan ist anders als alles, was sie bisher kennengelernt hat. Er ist der fremde Ritter, der plötzlich in ihrem Leben auftaucht, eine echte Alternative. Und weil Salome jung und radikal ist und Jochanaan nicht haben kann, zerstört sie ihn – und sich selbst. Ausserdem zerstört sie die Beziehung zwischen Herodes und Herodias, denn man kann sich ja nicht vorstellen, dass eine Mutter die Tötung ihrer Tochter einfach hinnimmt.

«Das Auge ist das vielleicht wichtigste Sexualorgan des Menschen.»


16 Salome

Zerstört sie sich wirklich? In der Oper kommt der Tod Salomes nicht mehr vor. Das Stück endet mit dem Befehl von Herodes: «Man töte dieses Weib!» Aber etwas anderes als ihr Ende ist kaum vorstellbar. In der Schauspielvorlage von Oscar Wilde heisst es, sie werde unter den Schilden der Soldaten begraben. Sie wird verdrängt. Das ist ein sehr anschauliches Schlussbild. Sie wird unterdrückt, als ob sie nie gewesen wäre. Der finale Herodes-Befehl steht in der Tradition der christlichen Hexenverfolgung. Die verführerische Frau ist das böse Prinzip, das den Mann vom Weg der Tugend abbringt und deshalb dämonisiert werden muss. Eine starke Frau, die ihre eigenen radikalen Entscheidungen trifft und einen Mann köpfen lässt, löst Potenzängste aus. Sie ist eine gefährliche Frau. Sie muss getötet werden. Salome, deren Geschichte schon in der Bibel auftaucht, wird im 19. Jahr­ hundert zum Sinnbild für entfesselte, gefährliche und faszinierende weibliche Lust. Es ist gewiss kein Zufall, dass der homosexuelle Oscar Wilde ausge­ rechnet um die Jahrhundertwende eine Figur auf die Bühne bringt, die für die gefährliche Macht der Triebe steht, oder? Nein. Die Figur ist ein typisches Produkt der sexualfeindlichen viktorianischen Zeit, in der Wilde sein Schauspiel geschrieben hat. Verdrängte Sexualität wird im Un­­ bewussten übermächtig. Ihr wächst dämonische Kraft zu. Das Gleiche gilt für die Aggression. Erlebt man aggressive Impulse bewusst, kann man sie steuern und sich mit ihnen versöhnen. Akzeptiert man nicht, dass sie zum Menschenleben ge­ hören und verdrängt sie, dann wachsen sie in den finsteren Verliesen, in die sie geworfen werden, zu Ungeheuern. Freud greift ein Thema christlicher Legenden auf: die an sexualfeindlichen Idealen orientierten Büsser und Bekenner werden besonders intensiv von erotischen Visionen heimgesucht. Der Eremit, der den Gekreuzigten anbetet und alle Gedanken an Sexualität von sich weist, sieht auf einmal eine nackte Frau ans Kreuz geschlagen – das ist ein typisches Bildmotiv des Fin de Siècle.

«Enttäuschte Liebe mündet in Hass: Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich auch kein anderer haben.»

Wenn Salome Jochanaan betrachtet und beschreibt, gibt es eine starke Ambivalenz zwischen Anziehung und Abstossung. Begierde und Hass – in welchem Verhältnis stehen die zueinander? Enttäuschte Liebe mündet in Hass. Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich auch kein anderer haben. Für den primitiven Narzissmus gibt es keinen mittleren Weg; das Liebesobjekt wird entweder idealisiert, oder es ist ganz wertlos und hat den Tod verdient. Bei allen sozialen Kreaturen weckt der Artgenosse, der zu nahekommt, Aggression. Diese Aggression wird in einer Liebesbeziehung durch das Begehren und den Wunsch, einander nahe zu sein, neutralisiert. Latent bleibt die Aggression im Hintergrund. Wo Liebe ist, droht immer auch Hass. Es gibt ja diesen Scherz von der Ehefrau, die bei ihrer silbernen Hochzeit gefragt wird, ob sie jemals an Scheidung gedacht habe, und sie sagt: «An Scheidung nie, an Mord oft.» Das ist in diesem Fall ein Scherz, der in der Kriminalstatistik zu Ernst wird: die meisten Tötungsdelikte sind Beziehungstaten. Liebespartner sind füreinander gefährlicher als alle anderen Personen. Warum will Salome den Mund des abgeschlagenen Kopfes küssen? Es ist ein letzter verzweifelter Versuch, den Liebesaspekt der Beziehung zum Aus­ druck zu bringen. Für mich hat das eine psychotische Qualität: Sie leugnet die Realität, dass sie diesen Mann hat köpfen lassen, indem sie tut, was man eigentlich nur mit Lebenden tut, nämlich den erotischen, lebendigen Akt des Küssens zu vollziehen. Einen Toten zu küssen, kann Abschied bedeuten. In diesem Fall steht es aber für die eigene Todesnähe. Das Gespräch führte Claus Spahn



Verdorbene Früchte Die Oper «Salome» von Richard Strauss bietet hundert Minuten packendes Musiktheater an der Schwelle zur musikalischen Moderne. Sie handelt vom zerstörerischen sexuellen Begehren einer jungen Frau und dem Untergang einer dekadenten Welt. Ein Gespräch mit dem Regisseur Andreas Homoki Fotos Danielle Liniger

«Salome, iss mit mir von diesen Früchten!» – Wolfgang Ablinger-­ Sperrhacke spielt den Herodes in der Zürcher Neuproduktion



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Andreas, der Komponist Richard Strauss bedeutet dir viel, du hast viele seiner Opern inszeniert. Jetzt bringst du Salome auf die Bühne. Ist das für dich nochmal eine neue Strauss-Erfahrung? Eher eine inspirierende Wiederbegegnung. Als ich zu Hause am Modell sass, die Musik hörte und in das Stück eingetaucht bin, habe ich beispielsweise viele musikalische Motive, Farben oder harmonische Wendungen wahrgenommen, die ich aus den später entstandenen Opern zu kennen glaubte. Du meinst, Strauss hat in Salome bei seinen späteren Opern abgeschrieben? So ungefähr. Nein, man spürt, dass Salome eine Art Nukleus der musikdramatischen Sprache von Strauss bildet. Was hier angelegt ist, baut er in seinen folgenden Opern aus, erweitert, reichert an, entwickelt es in verschiedenste Richtungen. In Elektra, die unmittelbar auf Salome folgt, treibt er den Ausdruck ins Martialische, ins expressive Stahlgewitter. Im dann folgenden Rosenkavalier etabliert er die Gegenfarbe, das Komödiantische und Schwebende. In der Frau ohne Schatten wiederum steigert und verdichtet er noch einmal die orchestrale Komplexität. Und in Salome ist vieles davon schon zu spüren, wenn ich etwa an die Rosenkavalier-­ Nähe der Walzerklänge denke. Es heisst, Strauss habe in Salome die Einflüsse von Richard Wagner beim Opernschreiben endgültig hinter sich gelassen. Das wird gerne so gesagt. Natürlich, er ist ein deutscher Komponist und steht in dieser Tradition. Aber ich weiss gar nicht, ob das wirklich eine wichtige Bezugsgrösse ist. Wagners Musikdramen dienen viel mehr dem Theater, sind in ihrer Leitmotivik einfacher und enger angebunden an den Text. Ich spüre in Salome viel eher die enorme orchestrale Kraft der sinfonischen Dichtungen von Strauss. Aus ihnen geht der Orchesterklang hervor, erfährt Komplexität in einer sinfonischen Struktur, wird ständig neu psychologisch gefärbt und behauptet mehr Eigenständig­ keit gegenüber dem theatralischen Geschehen. Warum nimmt Salome seit der Uraufführung im Jahr 1905 einen so zentralen Platz in unserem Opernrepertoire ein? Genau deswegen. Und weil die Oper unglaublich kompakt ist. Hundert Minuten ohne Pause. Eine packende Handlung. Ein aufregendes Kolorit. Tolle kontrastreiche Figuren. Da stimmt alles. Warum, glaubst du, hat sich Richard Strauss ausgerechnet das skandalum­ witterte Drama von Oscar Wilde für seine dritte Oper ausgesucht? Er wollte als Opernkomponist nach seinen Einstiegswerken Guntram und Feuers­ not mit etwas Neuem auftrumpfen und Aufsehen erregen. Da kam ihm das in England verbotene Theaterstück von Wilde gerade recht. Wir können uns heute gar nicht mehr vorstellen, wie skandalös damals der Wilde-Stoff von der strengen viktorianischen Gesellschaft empfunden wurde. Ein Stoff, in dem eine sexuell begehrende junge Frau den abgeschlagenen Kopf eines Toten küsst. Oscar Wilde und Richard Strauss passen doch eigentlich gar nicht zusammen – hier der Aussenseiter, dort der Erfolgskomponist, hier der homosexuelle Exzentriker, dort der bürgerliche Skatspieler. Ja, ja, der Skatspieler. Vorsicht, kann ich da nur sagen. Man neigt dazu, Strauss intellektuell zu unterschätzen. Er trumpft nicht auf mit Intellektualität, aber war sehr wohl ein kluger, weitblickender, extrem cleverer Künstler. Und seine Empfind­ samkeit ist enorm. Ich kenne keine emotionalere Opernmusik als die von Strauss. Aber im Vergleich zu Wilde war Strauss sehr angepasst an den Musikbetrieb, an sein gesellschaftliches Umfeld. Hat bei der Wahl des skandalösen Stoffs


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womöglich auch Erfolgskalkül eine Rolle gespielt? Kalkül war da ganz bestimmt im Spiel. Strauss war 40 Jahre alt, als er Salome schrieb. Er war ein weltberühmter Dirigent, hat an den grossen Theatern dirigiert, beherrschte sein Metier – der wusste genau, wie der Betrieb funktioniert. Seine ersten beiden Opern waren noch nicht der Durchbruch. Dann hat er sich den Salome-­­Stoff genommen und im vollen Bewusstsein seiner Fähigkeiten das ganz starke Ding hingesetzt. Die Qualität von Wildes Sprache war gewiss auch ein wichtiger Aspekt bei der Stoffwahl. Klar. Strauss hatte ein unglaubliches Gespür für das Wort. Sein Opernkomponieren ist sehr von Sprache getrieben. Am extremsten vielleicht im Rosenkavalier, in dem man immerzu das Gefühl hat, dass die Partitur durchkomponierte Schauspielsprache ist. Jede Äusserung wird musikalisch-gestisch artikuliert. Strauss hatte beim Komponieren hochpräzise Vorstellungen von der Emotionalität der Charaktere und war souverän in der Lage, sie musikalisch zu gestalten. Das lieben Regisseure natürlich an Strauss. Ja. Fantastisch. Ich finde auch die Freiheit toll, die man bei Strauss hat. Die Musik lässt Raum für Szenisches. Auch in Salome öffnen sich immer wieder Momente, in denen gar nicht gesprochen wird. Da kann man als Regisseur erzählen, weil auch die Musik in ihren Ausbrüchen, Kontrasten, Beschleunigungen und Verlangsa­ mungen so viel erzählt. Strauss hat eine Grosszügigkeit in der dramatischen Anlage und im musikalischen Denken, die ich einzigartig finde. An der Salome-Figur haben sich seit ihrem ersten Auftauchen in der Bibel mannigfache Fantasien entzündet. Wer ist diese Salome für dich? Eine sehr starke, junge Frau, die wir in einem Moment erleben, indem sie sich von der Welt, in die sie hineingeboren wurde, emanzipiert – von der Beziehung zu ihrer Mutter Herodias, von den Zudringlichkeiten ihres Stiefvaters Herodes und von der Enge und den dekadenten Verhältnissen im Königspalast. Salome scheint abgeschottet zu sein von dem, was draussen in der Welt vor sich geht. Mir kommt der Palast wie ein selbstgeschaffenes Gefängnis vor, in das sich die Königsfamilie mit ihrem Hofstaat zurückgezogen hat, weil draussen schon die Stürme einer neuen Zeit toben. Nur im Palast gibt es noch auskömmliche Verhältnisse und ein dekadent luxuriöses Leben. Salome ist darin durchaus die verwöhnte, arrogante Prinzessin, aber sie spürt, dass diese Welt nicht in Ordnung ist, dass etwas fehlt. Sie ist in einem Reifegrad ihrer persönlichen Entwicklung angekommen, in dem sie sich eingeengt fühlt und nach neuen Erfahrungen giert. Genau in dem Moment trifft sie auf den Propheten Jochanaan, der als die personifizierte Bedrohung der Herodes-­Welt auftritt, der die Königsfamilie für ihren Lebenswandel beschimpft, deren Untergang prophezeit und eine neue Zeit ankündigt. In dieser Begegnung erkennt Salome fast schockartig, dass es noch etwas anderes gibt, ein anderes Denken und Sprechen, eine andere Weltanschauung und eine erotische Energie, die für sie völlig neu ist. Jochanaan ist ein brachialer Fundamentalist, aber auch ein Typ mit grossem Charisma und unglaublicher männlicher Verführungskraft. Den will sie anfassen, den muss sie haben. Jochanaan wiederum fühlt sich ebenfalls stark von Salome angezogen. Er kann das nur nicht zulassen, weil er der Prophet ist. Salome ist hochbegabt in erotischen Dingen: Sie spürt genau, was in Jochanaan vorgeht und wie er gegen ihre verführerische Kraft ankämpft. Sie versucht, ihn aus seiner Abwehrhaltung zu locken. Stufe für Stufe steigert sich die ambivalente Leidenschaft der beiden, die ich auch so auf der Bühne zeigen möchte. Jochanaan kann sich schliesslich nur mit allerletzter, geradezu übermenschlicher Kraft von ihr losreissen. Sein «Sei verflucht!»-Ausbruch kommt mir vor wie ein Wegrennen vor der Macht der eigenen Gefühle, wie eine Selbstverfluchung. Das ist schon eine irre Szene, die


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Strauss da komponiert hat – eine sich ständig steigernde Auseinandersetzung von fünfzwanzig Minuten, in der sich zwei Menschen in ihre Leidenschaften verkeilen. Und dann kommt Salome mit dieser alle Grenzen überschreitenden Forderung, den Kopf von Jochanaan zu wollen. Warum verlangt sie das? Ich weiss es nicht. Ich nehme es als Regisseur zur Kenntnis. Es ist schon klar: In der Herodes-Welt geht es grausam zu, da braucht man keine Gründe, um Köpfe rollen zu lassen. Mordbefehle werden mit einem Achselzucken erteilt. Aber das wäre eine eher schwache Erklärung für Salomes ungeheuerliche Forderung. Sie ist halt besessen davon, diesen Mund küssen zu wollen, und sie wird zurückgewiesen. Da kommt dann das trotzige Kind in ihr zum Vorschein, das sonst immer kriegt, was es will. Aber ich finde, man sollte das gar nicht zu erklären versuchen. In der Kunst ist ja gerade das Unbegründbare besonders stark. Wir werden vielleicht Näheres wissen, wenn wir es gemacht haben. Ist der religiöse Eifer Jochanaans mit seiner christlichen Moral, seinen Ver­­fluchungen alles Sündigen und seinen Weltuntergangsvisionen eigentlich glaub­haft? Richard Strauss selbst hat ihn in Frage gestellt, als er in einem Brief meinte, Jochanaan sei ein Hanswurst. Auch Oscar Wilde nennt ihn in seiner kurzen Erzählung Das Mädchen Salome einen Betrüger, der nur vorgibt, der Prophet zu sein. Mich lässt die Figur manchmal an den russischen Rasputin denken, der zwar als politischer Aufrührer aufgetreten ist, aber in Wirklichkeit vor allem ein Frauenverführer war. Aber man muss die fundamentalistische Energie Jochanaans natürlich schon ernst nehmen. Einen Hanswurst kann man alleine deshalb nicht auf die Bühne bringen, weil Strauss keinen Hanswurst komponiert hat. Die Musik ist ja von grosser Kraft. Vielleicht ist eher der Fliegende Holländer eine Referenz – ein geheim­nis­umwitterter Typ, der aus einem unbekannten Draussen auftaucht und gefährlich umstürzlerisch und systemgefährdend ist. Im Sinne der bestehenden Verhältnisse müsste man den sofort ausschalten, aber das macht Herodes nicht, weil er Angst hat. Herodes, der zwar neurotisch, aber auch hochsensibel ist, ahnt, dass sein Herrschaftssystem zusammenbrechen wird und radikale Veränderungen unmittelbar bevorstehen. Deshalb traut er sich nicht, Jochanaan beiseite zu schaffen, weil er sich für die Schonung eventuell Vorteile für später verspricht. So lese ich das zumindest. Salome ist in einer Zeitenwende entstanden, vom 19. ins 20. Jahrhundert. Was heisst das für das Stück? Man spürt diese Zeitenwende, weil Strauss als Komponist, wie Gustav Mahler auch, ein Bewusstsein für den Epochenumbruch hatte, für die Unsicherheit, die offene Zukunft, die Ahnung, dass die Welt nicht mehr so bleiben wird, und dem gibt er in seinen Opern Raum, in Salome ebenso wie in der katastrophischen Elektra oder dem dann schon die Vergangenheit verklärenden Rosenkavalier. Wo spielt das Stück in deiner Inszenierung? Eigentlich ja auf einer Terrasse vor dem Palast. Die Konstellation ist von Oscar Wilde gut gewählt: Es gibt oben den Palast, unten die Zisterne und ein Da­ zwischen, in dem das Stück spielt. Aber mein Bühnenbildner Hartmut Meyer, mit dem ich jetzt seit 25 Jahren zusammenarbeite, ist keiner, der realistische Räume nachbaut. Was er entworfen hat, ist ein abstrakter Einheitsraum, der eine gewisse Hermetik ausstrahlt, als wäre man unten in der Zisterne. Ist man aber nicht. Es ist mehr eine Art Gehege. Die Figuren im Stück reden immer über den Mond. Deshalb hat Hartmut eine Bühne mit zwei grossen Monden entworfen, einem auf dem Boden und einer über den Köpfen. Die Monde können rotieren, und der Raum eignet sich in seiner Abstraktion auch dazu, psychologische Innenwelten

Foto oben: Regisseur Andreas Homoki probt mit Mauro Peter als Narraboth Foto rechts: Die Juden im Streit – Szene mit Martin Zysset, Iain Milne und Alejandro Del Angel



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zu erzählen. Es geschehen Dinge darin, die realistisch nicht begründbar, aber in der Musik angelegt sind. Wie siehst du Salomes berühmten erotischen Schleier-Tanz, den sie für ihren Stiefvater Herodes tanzt, und der als opulentes orchestrales Zwischenspiel angelegt ist? Ich finde ja, dass Strauss darin musikalisch unter seinem Niveau bleibt. Das finde ich nicht. Ich habe früher auch so gedacht. Mich hat der Tanz sogar richtiggehend gestört, weil er mir wie ein musikalischer Fremdkörper vorkam. Inzwischen nehme ich ihn als eine Art sinfonische Dichtung wahr, in der Strauss mit musikalischem Material, das er bis dahin exponiert hat, eine orientalische Atmosphäre schafft und eine kompositorische Struktur entwickelt, die viel mehr erzählt als nur einen Tanz. Die Musik lässt Raum für Imaginationen, die weit darüber hinausgehen. Es ist doch hochspannend, dass nach zwei Dritteln des Abends und ganz viel Dramatik plötzlich ein Stück sinfonische Musik kommt. Ich finde, dass die Handlung darin weitergeht, aber ohne Worte. Die Musik eröffnet die Chance, die Beziehungen der Figuren untereinander noch einmal unter die Lupe zu nehmen, das Verhältnis von Salome und Herodes natürlich, aber auch von Herodes und Herodias, und sogar das von Herodias und Jochanaan. Das finde ich nämlich sehr interessant: Es ist auffallend, wie die beiden Figuren einander hassen. Es gibt da eine extrem starke Beziehungsspannung zwischen den beiden. Man möchte genauer erfahren, was zwischen den beiden ist oder in der Vergangenheit war, und dem nachzugehen, gibt der Tanz mir Gelegenheit. Deine musikalische Partnerin ist Simone Young. Was verbindet euch? Eine sehr lange Zusammenarbeit. Wir kennen uns schon seit 1986 und haben uns künstlerisch immer sehr gut verstanden. Ausserdem verbindet uns natürlich die Begeisterung für die Opern von Richard Strauss. Simone Young ist eine ausgewiesene Expertin im Strauss-Repertoire. Was schätzt du an ihren Interpretationen? Sie hat den grossen Orchesterapparat im Griff. Sie hat die handwerklichen Fähigkeiten, den Klang wirklich transparent zu machen, und genau das richtige Gespür für die Agogik, für Dynamik, für dramatische Steigerungen. Und sie überrascht mich immer wieder mit ihren interpretatorischen Ideen. Wer auf den Besetzungszettel eurer Salome schaut, entdeckt etwas Ungewöhnliches: Die fünf Juden sind bei euch fünfzehn Sänger, jede Judenpartie ist dreifach besetzt. Wie kommt das? Ich habe in der Partitur eine Fussnote von Richard Strauss entdeckt, die besagt, dass ab einer bestimmten Stelle in der Judenszene die Solostimmen «nach dem Er­ messen des Dirigenten durch einige tüchtige Chorsänger» zu verstärken seien. Dieser Fussnote folgen wir. Ich hatte Simone darauf hingewiesen. Sie hatte ihr bisher keine Beachtung geschenkt, fand das aber auch eine sehr gute Idee. Das Gespräch führte Claus Spahn

Verführerische Blicke – Elena Stikhina als Salome


Salome Oper von Richard Strauss Musikalische Leitung Simone Young Inszenierung Andreas Homoki Bühnenbild Hartmut Meyer Kostüme Mechthild Seipel Lichtgestaltung Franck Evin Choreografische Mitarbeit Arturo Gama Dramaturgie Claus Spahn Herodes Wolfgang AblingerSperrhacke Herodias Michaela Schuster Salome Elena Stikhina Jochanaan Kostas Smoriginas Narraboth Mauro Peter Ein Page der Herodias / Sklave Siena Licht Miller 1. Jude Iain Milne, Riccardo Botta, Diego Silva 2. Jude Alejandro Del Angel, Xuenan Liu, Fabio Dorizzi 3. Jude Martin Zysset, Savelii Andreev, Andrejs Krutojs 4. Jude Andrew Owens, Remy Burnens, Luis Magallanes 5. Jude Stanislav Vorobyov, Oleg Davydov, Flurin Caduff Zwei Nazarener Ilya Altukhov Cheyne Davidson 2 Soldaten Valeriy Murga, Alexander Fritze Ein Kappadozier Henri Bernard Philharmonia Zürich Unterstützt von Atto primo und der René und Susanne Braginsky-Stiftung Premiere 12 Sep 2021 Weitere Vorstellungen 15, 18, 24, 30 Sep, 3, 7, 10, 17 Okt 2021


26 Volker Hagedorn trifft …

Simone Young Simone Young ist als Dirigentin seit Jahrzehnten an nahezu allen grossen Opern­ häusern der Welt zu Gast – immer wieder gerne mit den Werken von Richard Strauss und Richard Wagner. Am Opernhaus Zürich hat sie die Neupro­ duktion von Wagners «Lohengrin» sowie «Parsifal» und «Fidelio» dirigiert. In ihrem Heimatland Australien ist sie zur Chefdirigentin des Sydney Symphony Orchestra ernannt worden und tritt dieses Amt im kommenden Jahr an.

Irgendwo hinter den beigen Vorhängen muss die Tür sein, vor der die Polizei sitzt. Ja, die Dirigentin wird bewacht. Wir können uns nur digital treffen, denn Simone Young befindet sich in ihrer Geburtsstadt Sydney in einem Quarantäne-Hotel, fertig geimpft, zigmal getestet, darf das Zimmer seit elf Tagen nicht verlassen und freut sich, dass ein Balkon dazu gehört. «Luxuriös», sagt sie heiter, «beim letzten Mal konnte ich nicht mal ein Fenster aufmachen.» Ist die Corona-Lage denn so dramatisch in Australien? «Hundert bis hundertfünfzig neue Fälle am Tag, wahnsinnig wenig, mit Europa gar nicht zu vergleichen. Aber sie wollen das Virus im Land eliminieren.» Weswegen drei der vier Konzerte ausfallen, für die Simone Young nach Australien ge­flogen ist, die neue Chefdirigentin des Sydney Symphony Orchestra. Kürzlich in Paris war das noch anders. «Das kann man wohl sagen», sagt die Dirigentin lachend, «ich bin von hundert auf null gegangen seit dem vierzehnten Juli.» Am französischen Nationalfeiertag hat sie auf dem Marsfeld das bombastische Concert de Paris dirigiert, eine der populärsten Konzertveranstaltungen des Landes. «Diese unglaubliche Umgebung mit dem Eiffelturm als Kulisse und fünfzehntausend Leute im Gras vor der Bühne!» Als «Maestra» hat sie der Moderator dort angekündigt, denn in Paris kennt natürlich kein Mensch den Podcast, in dem Simone Young vor einiger Zeit erklärte: «Nennt mich nicht Maestra!» Vom Gendern hält sie nicht so viel. Aber das Thema lassen wir aus, das Thema «weibliche Dirigenten» ist keines mehr. Was freilich auch dieser berühmten Künstlerin zu verdanken ist. Mit offenen Haaren sitzt sie da, in dunkelblauer Bluse, eine Lesebrille auf der Nase und ein pinkes Smartphone in der Hand, schwärmt von den Musikern in Paris und vom nächsten Projekt in Europa, der Salome in Zürich. 1995 hat sie die Oper zum ersten Mal dirigiert, in Wien, «seitdem sicher noch sechzig Aufführungen.» An­ genähert hat sie sich dem Stoff viel früher. «Als Teenager habe ich versucht, das Stück von Oscar Wilde auf Französisch zu lesen, in seiner Sprache für das Dekadente, was mir damals noch schwer fiel.» Inzwischen spricht sie es fliessend, wie auch Italienisch und Deutsch. Bei Strauss höre und spüre man alles, «auch wenn man nicht weiss, was die singen, wenn man die Szene nicht sieht. Diese Sinnlichkeit, der Erotismus. Ich habe das Stück schon mit 22 Jahren als Jung-Korrepetitor hier in Australien gespielt und mir dann wirklich angeeignet. Ich glaube, ich kenne jedes Wort auswendig und fast jeden Takt. Ich liebe diese Partitur und finde sie perfekt, es gibt keinen Takt, den ich missen möchte.» Nicht einmal aus dem Tanz der sieben Schleier? Sie lacht. «Der hat den Nach­teil, dass er als Konzertstück verdorben wurde durch zu häufiges Spielen. Trotzdem ist die In­strumentation phänomenal – und die ganze Oper fast ein Walzer! Die Frage ist, was macht man mit dem Walzer, mit den Gegenrhythmen, wie findet man die Phrasen, im Text, im Rhythmus, in den unglaublichen Harmonien?» Wie kommt es bei Strauss zum Sprung in diese neue Sprache, nach seinen frühe­ ren Opern? «Wenn man die Tondichtung Tod und Verklärung kennt, ist Salome kein riesiger Sprung. Der Inhalt könnte nicht weiter entfernt sein, auch das thematische Material. Aber diese Orchesterklänge und Harmonien! Der Sprung zu Salome ist der zur sinfonischen Oper. Die vier Protagonisten sind Salome, Herodes, Jochanaan – und das Orchester. Und ein fünfter, der Mond.» Als sie erklärt, wie viel von Salome sich in Bergs Lulu wiederspiegelt, kommen ihre Hände ins Spiel, ihre Finger formen in der Luft all die Verflechtungen nach. Sie ist fasziniert von den Jahren, in denen Strauss’ Oper entstand, nach dem Fin de Siècle, «diese Neuerweckung, das Exzessive, die Extra­vaganz!» Wenn es eine Zeit gäbe, in der sie «gern drin wäre», dann diese, Anfang


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des 20. Jahrhunderts, und zwar in Wien. «Mahler, Schönberg, Berg, Karl Kraus… nur, als Frau hätte ich da nichts zu suchen. In dieser Zeit war die Frau das Objekt von künstlerischen Fantasien.» Immerhin aber konnte damals die englische Komponistin Ethel Smyth sogar Gustav Mahler ihre Oper vorstellen. «Ja, es gibt ein paar sehr ta­ len­tierte Frauen aus dieser Zeit! Auch Amy Beach! Aber sie hatten keine den Männern parallelen Chancen. Australien hatte da einen Vorteil…» Nun stellt Young erstmal klar, dass sie vom Australien seit 1788 spricht, seit dem Eintreffen der britischen First Fleet. «Der Vorteil war die Entfernung von Europa und die geringe Bevölkerungszahl. Ich habe das Gefühl, dass Frauen hier früher Chancen hatten. Peggy Glanville-Hicks und Margaret Sutherland haben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirklich gewichtige Werke komponiert. Aber ich freue mich auf die Zeit, wo wir nur über die Qualität der Werke reden, auch der jetzt gechriebenen, Stilvergleiche, Einflüsse und all das und nicht über das Geschlecht der Komponisten. Wir müssen noch ein Stück dran arbeiten.» Sie hebt ein Glas, rotorange leuchtet es darin, und ruft: «Das ist kein Campari! Das ist grapefruit juice!» Sie selbst hat Komposition als Hauptfach in Sydney studiert, «als einziges Mädchen in einer Gruppe von sieben Studenten des Jahrgangs, das spielte keine Rolle. Aber ich habe schnell erkennen müssen, dass ich keine eigene Musiksprache habe. Alles, was ich schrieb, war ziemlich retrospektiv. Aber höchst kompetent… Ich finde, Komponieren ist eine sehr gute Ausbildung für Dirigenten und nicht, wie man Takte schlägt. Man arbeitet am Denken, am Analysieren, am Umgang mit diesem Instrument Orchester.» War nicht früher jeder Dirigent auch Komponist? «Ja, aber die, die beides wirklich gut machten, waren selten. Gustav Mahler selbstverständlich, Richard Wagner, Leonard Bernstein…» «Berlioz!», schlage ich vor. «Ich werde mir gleich viele Feinde machen», bekennt sie sofort, «Berlioz verstehe ich nicht! Ich komme ihm gerade Schritt für Schritt näher, indem ich vieles von Liszt studiere. Und ich bewundere viele seiner Werke. Aber sie sind meiner natürlichen Sprache fern, ich fühle mich davon nicht angezogen.» Gut, dass sie das nicht vor dem 14. Juli sagte, als sie am Eiffelturm den Rakoczy-Marsch aus La Damnation de Faust dirigierte. Also kein Notenschreiben als Quarantänezeitvertreib? «Oh nein. Ich lese. Ich bin eine passionierte Leserin und lese immer zwei oder drei Bücher gleichzeitig. Jetzt lese ich gerade Sand Talk – How Indigenous Thinking Can Save The World, das gibt es leider nur auf Englisch. Es wurde von einem Akademiker in Melbourne geschrieben, der von Ureinwohnern abstammt, Tyson Yunkaporta. Wie die meisten hier weiss ich viel zu wenig über unsere ersten Australier. Ziemlich dichter Stoff! Und dann habe ich da noch ein paar Kochbücher und die kritischen Notizen zur neuen Ausgabe von Tschaikowskis Fünfter.» «Darf ich fragen, was Sie da mit Ihren Händen machen? Stricken Sie?» «Nein, das sind Haarnadeln, ich bin immer mit meinen Händen beschäftigt. Aber Sie haben recht, Stricken ist meine Leidenschaft!» Strahlend greift sie neben sich und hält einen hellvioletten Schal hoch. «Ich mache den für meine Mutter. In etwa einer Woche darf ich bei ihr sitzen, sie ist 97 und in einem Pflegeheim.» Ein Schal in Australien? «Der Winter in Sydney ist nicht kalt nach europäischem Massstab, achtzehn Grad, aber für alte Menschen immer noch kalt, und ich kann beim Stricken über Verschiedenes sehr gut nachdenken.» Drei Tage währt ihre Isolation noch. Dann wird sich herausstellen, ob wenigstens das Konzert in Adelaide stattfinden kann, knapp 1000 Kilometer entfernt im Bundesstaat South Australia. Eine andere Region, die um Brisbane, wurde gerade komplett abgeschottet wegen fünfzehn Neuinfektionen unter drei Millionen Menschen. Wie gut, dass Zürich offen bleibt! Volker Hagedorn


28 Fragebogen

Elena Stikhina Aus welcher Welt kommen Sie gerade? Ich habe ein Jahr hinter mir, das ich fast ausschliesslich in meinem Heimatland Russland, nämlich am Mariinski-Theater in St. Petersburg, verbracht habe. Ich bin dort im Ensemble und hatte das grosse Glück, dass dort trotz der Co­ro­na-­Pandemie Oper gespielt wurde. Ich sass also nicht zu Hause in meiner Wohnung, ohne etwas arbeiten zu können, sondern hatte im Gegenteil sehr viel zu tun. Ich habe in Prokofjews Feurigem Engel gesungen, in Tann­ häuser, der Fledermaus, in Mavra von Strawin­sky und einigem mehr. Auf was freuen Sie sich in der Salome-­Produktion? Nach einem Jahr zu Hause freue ich mich auf neue Menschen, Gespräche und künstlerische Begegnungen, mit Simone Young zum Beispiel, unserer Dirigentin hier in Zürich. Wir haben an der Staatsoper Berlin schon gemeinsam eine Tosca gemacht. Ich freue mich immer auf Neuproduktionen, weil man da etwas Neues kreieren kann und Neues über die Figur erfährt, die man selbst singt. Das finde ich immer sehr inspirierend. Welches Bildungserlebnis hat Sie besonders geprägt? Ich habe mit 15 Jahren angefangen zu singen und bin in Russland künstlerisch aufgewachsen, habe mich aber bald auch über Russland hinaus orientiert. Eigentlich waren alle Phasen meiner Ausbildung gleich wichtig in meinem Leben. Es gibt da nicht das eine grosse Aha-Erlebnis. Und ich lerne immer noch dazu. Das hört nie auf. Welches Buch würden Sie niemals aus der Hand geben? Das Fotoalbum mit den Bildern meiner Familie. Welche CD hören Sie immer wieder?

Da gibt es keine bestimmte. Welche Musik ich höre, hängt ganz von meiner Stimmung ab. Manchmal höre ich auch einfach nur Popmusik aus dem Radio. Welchen überflüssigen Gegenstand in Ihrer Wohnung lieben Sie am meisten? Ich bin ein sehr praktisch veranlagter Mensch. Deshalb umgebe ich mich nicht gern mit Überflüssigem. Aber natürlich gibt es in meinem grossen Kleiderschrank viele Sachen, die ich kaum anziehe. Trotzdem finde ich es gut, sie zu haben, für alle Fälle. Mit welchem Künstler würden Sie gerne essen gehen, und worüber würden Sie reden? Ein Essen mit Puccini würde mir ge­ fallen, denn er ist einer meiner Lie­blings­ ­komponisten. Nennen Sie drei Gründe, warum das Leben schön ist! Erstens weil es Musik gibt; zweitens weil es Menschen gibt, die wir lieben und die uns lieben; drittens weil wir Familie haben.

Elena Stikhina singt die Titelrolle in Richard Strauss’ Salome. Nach ihren gefeierten Debüts an der Pariser Opéra (Tatjana in «Eugen Onegin»), der Metropolitan Opera in New York (Puccinis Suor Angelica) und den Salzburger Festpielen (Cherubinis Médée) hat sich die russische Sopranistin fest in der Opernszene etabliert. Salome hat sie zuletzt am St. Petersburger Mariinski-Theater und an der Mailänder Scala gesungen.


Als Mitglied der Freunde der Oper Zürich sind Sie mehr als ein Opern­be­ sucher. Die Freunde der Oper Zürich sind ein wichtiger Partner des Opernhauses. Sie finanzieren jedes Jahr eine Neu­­pro­duktion und unterstützen das Inter­nationale Opern­studio – ein Ausbildungsprogramm für talentierte junge Sänge­rinnen und Sänger aus aller Welt. Sie blicken hinter die Kulissen, er­­ halten Einsicht in Probenprozesse, beob­ach­ten Kunst­­schaf­fende bei der Arbeit und er­ leben die Entstehung ei­ner Oper. Sie un­­ter­stützen, fördern, nehmen teil: Sie gehören dazu. Falkenstrasse 1, 8008 Zürich T 044 268 66 39 info@opernfreunde.ch www.opernfreunde.ch

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Die geniale Stelle 31

Vom Unglück des Helden Ein Ton in Richard Strauss’ «Salome»

Hören und im Klavierauszug mitlesen können Sie die «Geniale Stelle» hier:

«Ich wollte in Salome den braven Jochanaan mehr oder minder als Hanswursten kom­ponieren. Für mich hat so ein Prediger in der Wüste, der sich noch dazu von Heuschrecken nährt, etwas unbeschreiblich Komisches. Und nur weil ich die fünf Juden schon persifliert und auch Vater Herodes reichlich karikiert habe, musste ich mich nach den Geboten des Gegensatzes bei Jochanaan auf den 4 -Hörner-Schul­ meister-Philisterton beschränken…» Diese Aussage Richard Strauss’ ist ein Beleg für die These, dass man nicht die Autoren nach dem Gehalt ihrer Werke fragen soll, weil ihre Selbstinterpretationen – wie in diesem Fall – allzu oft weit am Gegenstand vor­ bei­gehen. Denn niemand kann annehmen, dass ein Komponist von so immensem Theaterverstand wie Strauss ernstlich erwogen haben könnte, den wichtigsten Gegen­ spieler seiner Heldin lächerlich zu machen. Er wusste selbstverständlich, dass er damit seine Tragödie insgesamt zur Hanswurstiade heruntergewirtschaftet hätte. Eine tragische Heldin braucht einen ebenso tragischen Widerpart, das ist eine Binsenweisheit der Dramatik. Und genau so und gar nicht «brav» hat er Jochanaan auch komponiert: Wild und gross in seinem Fanatismus, hart gegen sich und andere, wenn es um die grosse Aufgabe geht, aber auch weich und liebevoll, z. B. wenn er Salome den erlösen­ den Weg zum Heiland weisen will. Gerade diese Passage dürfte es wohl sein («Er ist in einem Nachen…»), in der Strauss den «4 -Hörner-Schulmeister-Philisterton» zu finden glaubte – wovon wirklich keine Rede sein kann. Man muss kein Strauss-Fan sein, um von der zärtlichen Menschlichkeit dieser Passage gerührt zu werden. Und es spricht alles dafür, dass Strauss eben dies beabsichtigte. Hätte er sonst «mit grösster Wärme» die Partie des Sängers geschrieben? Nun ist es keine Neuigkeit, dass solche Figuren gefährlich sind. Allzu oft geraten sie zu durch und durch guten, widerspruchslosen Langweilern, die unermüdlich ölig-pathetische Sprüche absondern. Und genau dieser Gefahr hat Strauss vorgebaut, indem er immer wieder die Mühsal, ein Held sein zu müssen, in Töne gesetzt hat. «Unglücklich das Land, das keine Helden hat», heisst es in Brechts Galilei-Drama, und Galilei antwortet: «Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.» Mit seinem Jochanaan aber zielt Strauss auf einen dritten, den Gedanken erst vervollständigenden Punkt, den man so fassen könnte: »Unglücklich, wer ein Held werden muss.« Diese Not zeigt eindrucksvoll ein musikalisches Detail kurz vor der gerade genannten Stelle: Salomes verzweifelte Schreie nach Liebe bringen den Asketen in äus­ serste Not, in einen wilden Sturm aus Leidenschaft und Verweigerung, Abwehr und Mitgefühl, bis sich Joachanaan plötzlich loszureissen und ans rettende Ufer zu springen scheint: er singt von Jesus. Zweimal verweist er Salome an den anderen, der Rettung bringen kann: «Such’ ihn!» Zunächst ist das erste Wort, also die Aufforderung zur Suche, betont. Beim zweiten Mal aber, als Antwort des im Orchester explodieren­den Motivs «lass mich deinen Mund küssen» wechselt der Akzent auf das zweite Wort: «ihn». Dieses Wort wird nun über fast drei Takte gedehnt, eine verzweifelte Abwehr, ein erschütternder Moment der Schwäche. An der Barriere dieses langgehaltenen Tons der Verzweiflung zerschellt das Motiv von Salomes Begehren, und gibt den Weg frei für die Verheissung, die glaubhaft klingt, weil sie aus der Not, aus der Hilflosigkeit geboren ist. Fragen wir nicht Strauss, fragen wir seine Partitur, nach dem Sinn des Werkes. Man sieht: Selbst winzige Details können aufschlussreicher sein als grossmäulige Selbstzeugnisse. Werner Hintze


Mit Lust zur Macht In unserer Wiederaufnahme von Claudio Monteverdis Oper «L’incoronazione di Poppea» wird leidenschaftlich geliebt, gemordet und fantastisch ge­sungen. Mit Julie Fuchs, David Hansen, Delphine Galou u. a. Vorstellungen: 14, 17, 19, 22, 26, 29 Sep 2021


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Liebe im Angesicht des Todes Vincenzo Bellinis «I Capuleti e i Montecchi» ist ein Juwel des Belcanto. Bellini gelingt als «Meister des Schmerzes» eine hochemotionale Romeo-­ und-Julia-Oper. Mit Rosa Feola, Jana Kurucová, Omer Kobiljak u. a. Vorstellungen: 19, 21, 25 Sep, 5, 10 Okt 2021


Fotos: Monika Rittershaus

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Die Nacht, die keiner überlebt Giacomo Puccinis Opernthriller «Tosca» steht wieder in einer Starbesetzung auf dem Spielplan. Mit Sonya Yoncheva, Joseph Calleja, Thomas Johannes Mayer u. a. Vorstellungen: 3, 6, 9, 12, 17 Okt 2021

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Ein Schneider wird König Wolfgang Mitterer hat das berühmte Grimm-Märchen vom Tapferen Schneiderlein in atmosphärische Klänge gehüllt. Bei uns ist es als fantasiereiches Figurentheater für Kinder ab 6 Jahren zu sehen.

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