MAG 87: Anna Bolena

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MAG 87

Karine Deshayes singt Giovanna Seymour


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Inhalt

12 Über die jahrhundertealte Tradition des britischen Königshauses, unliebsame Frauen auszugrenzen – ein Gespräch mit der TV-Journalistin Annette Dittert 18 Der Regisseur David Alden über seine Inszenierung von Donizettis «Anna Bolena» 26 Diana Damrau und Karine Deshayes sprechen über die Herausforderungen grosser Belcanto-Partien 36 Zum Tod von Edita Gruberova: Ihre Auftritte in Zürich und ein Podcast mit Vesselina Kasarova Opernhaus aktuell – 6,  Drei Fragen an Andreas Homoki – 9,  Wie machen Sie das, Herr Bogatu? – 11,  Volker Hagedorn trifft … – 32,  Die geniale Stelle – 34,  Der Fragebogen – 43,  Auf der Couch … – 48

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Der besondere Blick von Monika Rittershaus

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1.10.2021.15:02  +  GENERALPROBE  +  IL TROVATORE  +


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Opernhaus aktuell

1. La Scintilla-Konzert

Kristian Bezuidenhout am Opernhaus Zürich Wenn Carl Philipp Emanuel Bach das Wort Clavier gebrauchte, so meinte er damit sämtliche Tasteninstrumente seiner Zeit, darunter auch das Cembalo oder das im 18. Jahrhundert entwickelte Hammerklavier. Einer der gefragtesten Pianisten der Gegenwart, der auf diesen historischen Instrumenten und dem modernen Flügel gleichermassen ver­ siert ist, ist Kristian Bezuidenhout. Der gebürtige Südafrikaner konzertiert heute sowohl mit den bedeutendsten Alte-Musik-Ensembles als auch mit modernen Sinfonieorchestern. Er hat Mozarts Solo-­ Klavierwerk mustergültig eingespielt und ist überdies Künstlerischer Leiter des Freiburger Barockorchesters. Zusammen mit dem Orchestra La Scintilla tritt er nun erstmals im Opernhaus Zürich auf und spielt dabei ein Klavierkonzert von Carl Philipp Emanuel Bach am Cembalo sowie Mozarts Es-Dur-Klavierkonzert Jenamy am Hammerklavier. Zwei sinfonische Werke der Bach-Söhne Carl Philipp Emanuel und Johann Christian, deren Musik grossen Einfluss auf Mozart hatte, ergänzen das Programm. Montag 6 Dez, 19.30 Uhr, Opernhaus Zürich

Liederabend

Lise Davidsen

Strauss-Sängerinnen aus dem hohen Norden wie Birgit Nilsson und Kirsten Flagstad. Nun gastiert Lise Davidsen endlich wieder in Zürich. Auf ihrem sorgfältig zusammengestellten Programm stehen neben Liedern von Brahms, Schumann und Sibelius vor allem Kom­ positionen von Richard Strauss. Montag, 13 Dez, 19 Uhr

Als sie 2016 als Agathe in Webers Freischütz am Opernhaus Zürich debütierte, war sie noch ein Geheimtipp: Lise Da­ vid­sen, die phänomenale junge Sopra­ nistin aus Norwegen. 2015 hatte sie den wichtigen Operalia-Wettbewerb gewon­ nen und kurz zuvor bei der Queen Sonja International Music Competition in Oslo den ersten Preis erhalten; damit begann die kometenhafte internationale Karriere der Sopranistin, die mittler­ weile längst die grossen Opernbühnen der Welt erobert hat. Ihr Debüt bei den Bayreuther Festspielen wurde 2019 zum Ereignis – Kritiker sprachen von einer Jahrhundertstimme und verglichen die 32-Jährige mit grossen Wagner- und

4. Brunch- / Lunchkonzert

Märchenerzählungen Warme Klanglichkeit zum Jahresende: Werke für Klarinette, Bratsche und Kla­ vier stehen im Zentrum dieses Brunch-/ Lunchkonzerts. Robert Schumann schrieb für diese ungewöhnliche Instru­ mentenkombination seine Märchenerzählungen op. 132, die zu seinen letzten Kammermusikwerken gehören, bevor er kurz danach in die Nervenheilanstalt Endenich eingeliefert wurde. Zwei Jahre später starb er. Die vier Charakter­ stücke lassen von dieser Tragödie aller­ dings wenig ahnen. Entstanden in nur

drei Tagen, sind es hochpoetische, schwebend-graziöse Perlen der Kammer­ musik. Für die gleiche Besetzung schrieb Paul Juon seine Trio-Miniaturen op. 18. Der Komponist mit Bündner-­ Wurzeln wurde 1872 in Moskau ge­ boren, wirkte später in Berlin und starb in Vevey. Von seinem Studiengefährten Sergej Rachmaninow wurde er als «Russischer Brahms» bezeichnet, doch prägte ihn die Sprache Tschaikowskis sowie die russischen Volkslieder und -tänze seiner Umgebung ebenso nach­ haltig. Zum Abschluss erklingt ein weiteres Trio in dieser Besetzung: das Opus 264 des bekennenden Schuma­n­ nia­ners Carl Reinecke, Klaviervirtuose und langjähriger Kapellmeister des Leipziger Gewandhausorchesters. Mit: Filipa Nunes (Klarinette), Maria Clé­ ment-­Opotskaya (Viola) und Kate­r yna Tereshchenko (Klavier). Brunchkonzert: Sonntag, 26 Dez, 11.15 Uhr Lunchkonzert: Montag, 27 Dez, 12 Uhr Spiegelsaal

Digital Lectures

Die Theater in der Zukunft Gemeinsam mit der Bayerischen Staatsoper, der Deutschen Oper am Rhein, der Komischen Oper Berlin und den Staatstheatern Stuttgart veranstaltet das Opernhaus Zürich eine digitale Veran­ staltungsreihe über die architektonische Zukunft von Kulturbauten. Von No­ vem­ber bis Januar diskutieren Expertin­ nen und Experten an ausgewählten Dienstagen online über die Heraus­for­ de­r ungen, die auf Kulturbauten zu­ kommen angesichts sich wandelnder Städte und Gesellschaften, und entwer­ fen Visionen für neue öffentliche Räume. Alle Digital Lectures und Diskussionen sind frei zugänglich und können auch nachträglich angehört werden. Weitere Informationen zu den Terminen, Themen und den Referentinnen und Referenten finden Sie unter: www.kulturbauten.net.


Opernhaus aktuell

Wiederaufnahme

Ballett Zürich

Eine ehrenvolle Auszeichnung

«Le Comte Ory»

Ballettgespräch

Innovatives Übertragungssystem

Im Ballettgespräch spricht Michael Küster diesmal mit dem amerikanischen Dirigenten Jonathan Stockhammer über Le Sacre du printemps, eine der wegweisenden Ballettpartituren des 20. Jahrhunderts. Ausserdem ist mit Luca Afflitto einer der Publikums­ lieblinge des Balletts Zürich zu Gast. Es ist fast schon eine gute Tradition, dass das Opernhaus Zürich das alte Jahr mit einer turbulenten Opera buffa von Gioachino Rossini verabschiedet. Auch in diesem Jahr steht in unserer Silvestervorstellung Le Comte Ory auf dem Spielplan in der Inszenierung von Moshe Leiser und Patrice Caurier. Der uruguayanische Tenor Edgardo Rocha gibt den Schwindler und Frauen­ verführer Graf Ory. Das Objekt seiner Begierde, die schöne Comtesse Adèle, wird von der amerikanischen Sopranistin Brenda Rae gesungen. Wiederaufnahme 31 Dez 2021, 19 Uhr Weitere Vorstellungen 7, 9, 14, 16, 20 Jan 2022

Sonntag, 5 Dez, 11.15 Uhr, Studiobühne

Einführungsmatinee

Monteverdi Was ist so faszinierend an der Musik von Claudio Monteverdi? Wie formt man aus musikalischen Einzelszenen und Lamenti einen konsisten Ballettabend? Kann man Madrigale tanzen? Diese und viele andere Fragen diskutieren Christian Spuck, der Dirigent Riccardo Minasi und weitere Gäste in der Ein­ führungsmatinee zur neuen Produktion des Balletts Zürich. Sonntag, 9 Jan, 11.15 Uhr, Bernhard Theater

2. La Scintilla-Konzert / 3. Philharmonisches Konzert

Illustrationen: Anita Allemann

Bach und Händel mit Riccardo Minasi Als Thomaskantor war Johann Sebastian Bach ab 1723 für die Musik in den Hauptkirchen der Stadt Leipzig verantwortlich. Viele seiner berühmten Vokalwerke sind in den Leipziger Jahren entstanden, darunter auch das Magnificat, das Bach im Jahr seines Amtsantritts zu Weihnachten aufführte. Dem hohen Feiertag entsprechend, konzipierte er das Werk für Solisten, fünfstimmigem Chor und eine festliche Orchesterbesetzung mit Pauken und Trompeten. Dem Werk liegt der Lobgesang Marias aus dem Lukasevangelium zugrunde, den Bach in lateinischer Sprache vertonte. Riccardo Minasi bringt Bachs Magnificat am vierten Adventssonntag mit dem Balthasar Neumann Chor und dem Orchestra La Scintilla zur Aufführung und kombiniert es mit der Psalmvertonung Dixit Dominus, die Georg Friedrich Händel im Alter von nur 22 Jahren im Auftrag der katholischen Kirche in Rom schrieb. Sonntag, 19 Dez, 11.15 Uhr / 18 Uhr, Opernhaus Zürich

Als die Coronapandemie die Orchester aus den Gräben und die Chöre von den Bühnen der Opernhäuser verbann­ ­te, hat die tontechnische Abteilung des Opernhauses Zürich ein technisch raffiniertes Übertragungssystem ent­ wickelt, mit dem die Kollektive aus dem Probesaal am Kreuzplatz live ins Opern­ haus übertragen werden konnten. Dadurch wurden Opernvorstellungen möglich, die normalerweise wegen Corona hätten ausfallen müssen. Das Übertragungssystem war technisch so innovativ und im Klangergebnis so überzeugend, dass es jetzt vom grössten europäischen Branchenverband für audio­visuelle Medien mit einem Preis ausgezeichnet wurde, dem Pro-AVAward 2021 für die beste innovative Lösung. Die Presiverleihung fand im November in Düsseldorf statt.

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Opernhaus aktuell

Dein ist mein ganzes Herz Der Tenor Juan Diego Flórez und die Philharmonia Zürich mit Gianandrea Noseda am Dirigentenpult geben zwei Neujahrskonzerte mit einem festlich-populären Programm

Der peruanische Tenor Juan Diego Flórez ist ein gern gesehener und immer wieder umjubelter Gast am Opernhaus Zürich, sei es als Sänger, der in den Zugaben seiner Liederabende selbst zur Gitarre greift oder als seriöser Operntenor, der sich in Zürich an neue Rollen wagt. Zuletzt gab er vor zwei Jahren – kurz vor Ausbruch der Corona-Krise – sein Rollendebüt als Rodolfo in Gia­ co­mo Puccinis La bohème an unserem Haus. Vor vier Jahren wiederum wagte er den Sprung ins französische Repertoire mit einem begeisternden Werther in Jules Massenets gleichnamiger Oper. Den Arienhit «Pourquoi me réveiller»

aus Werther wird er jetzt auch in unserem Neujahrskonzert singen – dazu Arien aus Carmen, Manon Lescaut und unsterbliche Operetten-Melodien von Franz Lehár wie «Dein ist mein ganzes Herz» oder «Gern hab’ ich die Frau’n geküsst». Am Pult der Philharmonia Zürich steht unser neuer Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda, der Tänze, Ouvertüren und Suiten von Johann Strauss, Tschaikowski, Brahms und Dvořák inter­­ pretiert. Temperamentvoller als mit diesem Programm kann man das neue Jahr kaum beginnen.

Fotos: Gregor Hohenberg / Sony Music Entertainment, Frank Blaser

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Drei Fragen an Andreas Homoki

Trilogie der Königinnen Herr Homoki, die nächste Premiere ist Anna Bolena, die zweite von drei Königinnen-Opern, die Gaetano Donizetti komponiert hat. Das Opernhaus bringt sie, über mehrere Spielzeiten verteilt, alle drei auf die Bühne. Worin liegt für Sie der dramaturgische Reiz dieses Dreischritts? Die Geschichten der Opern hängen inhaltlich zusammen, deshalb macht es durchaus Sinn, sie auch als Trilogie zu zeigen. Alle drei Handlungen spielen am englischen Königshaus im 16. Jahrhundert in der berühmten Zeitenwen­de, die in die Regentschaft von Königin Elisabeth I. mündet. Begonnen haben wir den Zyklus vor dreieinhalb Jahren mit Maria Stuarda, jetzt kommt Anna Bolena und in der darauffolgenden Spielzeit dann Roberto Devereux, wobei die historische Chronologie unserer Produktionen nicht ganz stimmt. Von der Handlungszeit her hätten wir mit Anna Bolena starten müssen. Jede der drei Opern soll natürlich für sich stehen, aber wir haben sie mit David Alden einem einzigen Regisseur anvertraut, damit das Projekt eine gewisse konzeptionelle Geschlossenheit im Gesamtbild bekommt. David und sein Ausstatter Gideon Davey deuten – beispielsweise im Bühnenbild – Querverbindungen zwischen den Opern an, ohne den stückübergreifenden Zu­ sammenhang zu sehr zu strapazieren. Wie wichtig ist das Belcanto-Repertoire für das Opernhaus Zürich? Es hiess ja schon früher immer: Wir sind das nördlichste Opernhaus Italiens, von daher gehört Belcanto ganz selbstverständlich zum Profil unseres Hauses, zumal es eine grosse Tradition be­ rühmter Sängerinnen und Sänger gibt, die das Repertoire hier beispielhaft verkörpert haben. Denken wir nur an die gerade verstorbene Edita Grube­rova, die im Belcanto-Repertoire am Opernhaus Zürich über Jahrzehnte hinweg zu erleben war. Solche Linien muss man

natürlich fortführen. Dieses OpernGenre lebt von der Virtuosität der Gesangsdarbietungen, und die Entstehung unserer neuen Königinnen-Trilogie hat auch viel damit zu tun, dass Diana Damrau diese Rollendebüts bei uns in Zürich machen wollte. Diana und ich haben früh darüber geredet. Ich bin seit vielen Jahren ein grosser Bewun­de­rer ihrer Gesangskunst. Sie war eine der ersten Künstlerinnen, mit der ich Kontakt aufgenommen habe, als feststand, dass ich die Direktion des Zürcher Opern­hauses übernehme. Ich wollte sie für dieses Haus gewinnen, das war mir eine Herzensangelegenheit, denn sie ist eine der herausragenden Prima­donnen unserer Zeit und genau richtig für Partien wie Maria Stuarda und Anna Bolena, die sie jetzt bei uns singt. Aber als ein regieführender Intendant setze ich natürlich nicht ausschliesslich auf grosse Sängerinnen und Sänger, wie es leider häufig der Fall ist. Belcanto muss auch als glaubhaftes Musiktheater funktionieren, und das ist für die Regie gar nicht so einfach. Man muss mit dem starren Formaufbau von Szene, Arie und Cabaletta klarkommen, die grossen emotionalen Ausbrüche szenisch plau­ sibel machen und einen Umgang damit finden, dass die Zeit in den grossen Gesangsmomenten mitunter stillsteht. Sie haben Edita Gruberova erwähnt. Ihr ist die Zürcher Anna BolenaPremiere gewidmet. Welche Über­ legungen standen hinter dieser Entscheidung? Wir waren alle erschüttert von Editas völlig unerwartetem Tod und haben dann erschrocken festgestellt, dass unsere nächste Premiere ausgerechnet Anna Bolena ist, die eine von Edita Gruberovas Parade-Opern war. Da lag es nahe, ihr diese Premiere als Geste der Ehrerbietung zu widmen. Diese gedankliche Verbindung ist ja gar nicht zu vermeiden.

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TOVE (2020)

WANN PAUSE IST BESTIMME ICH. arthouse.ch


Wie machen Sie das, Herr Bogatu? 11

Ein Meeresstrudel ohne Meer Ein Besuch unserer Familienoper Die Odyssee würde sich schon nur wegen der Musik lohnen, die der 1985 (!) geborene Leonard Evers komponiert hat, aber selbst Menschen, die mit Musik grundsätzlich nichts am Hut haben, werden von dieser Aufführung begeistert sein. Die Werkstätten des Opernhauses – allen voran die Schlosserei – haben entsprechend der Vorgabe des Bühnenbildners David Hohmann das Seeungeheuer Charybdis aus der griechischen Mythologie wahrhaftig auf die Bühne gestellt. Der Mythologie nach sog Charybdis dreimal am Tag das Meerwasser ein, und es bildete sich ein gigantischer, für Seefahrende äusserst gefährlicher Strudel. Ein Strudel ist in diesem Fall kein in Vanillesauce schwimmendes Gebäck, sondern ein trichterförmiger, endloser Schlund, von dem Schiffe und – in unserer Oper – einige der Gefährten des Odysseus verschlungen werden. Ich denke, jede und jeder möchte einen alles verschlingenden Strudel aus Meer­ wasser im Wohnzimmer haben, und das ist unproblematisch umzusetzen: Machen Sie ein grosses Loch, ca. 20 m tief, füllen Sie es mit Wasser und einer Prise Salz. Nun einfach den Stöpsel ziehen und das Wasser bildet von alleine einen Strudel. Das bühnen­bildnerische Problem dabei ist, dass unser Publikum die Charybdis dann nicht wirklich gut sehen könnte: Das Parkett liegt so flach zur Bühne, dass man bei ruhiger See den Meeresspiegel von vielen Plätzen aus nicht sieht. Man würde die Inszenierung also nur vom 2. Rang aus gut sehen, und das wäre ja schade! Kurzerhand hat David Hohmann den Strudel deswegen senkrecht gestellt, so dass das ganze Publikum in den sich drehenden Schlund schauen kann. Leider ist das Problem dabei, dass das Wasser das nicht mitmacht. Deswegen haben wir einen riesi­ gen Trichter aus Stahl und Holz gebaut, der sich während der Inszenierung von Rainer Holzapfel dank toller Videoprojektionen von Tieni Burkhalter auch in die Höhle des einäugigen Riesen Polyphem oder die Unterwelt verwandeln kann. Und diesen Trichter können wir nun drehen lassen. Wie im echten Strudel dreht sich dann alles mit und so steht beispielsweise Odysseus im Stück plötzlich auf dem Kopf. Da so ein riesiger Strudel sich zur Mitte hin immer schneller dreht, besteht unser Trich­ ter aus drei Teilen, die wir unterschiedlich schnell und in beide Richtungen drehen können. Die einzelnen Trichterteile stehen je auf einem Stahlgerüst aus Rollen. Diese Rollen treiben wir mit sehr kräftigen Motoren an, und dadurch dreht sich das jewei­ lige Trichterteil mit. Unsere Maschinisten haben Charybdis während der Proben so dressiert, dass der Trichter auch nur sanft hin und her schaukeln kann: Und schon ist für das Pub­ likum aus einem Strudel ein Schiff in einer sanften Dünung geworden. Aber wehe, wenn die Gefährten des Odysseus die Götter verärgern, dann wird aus der Dünung schwerer Seegang, und wenn tatsächlich Charybdis entfesselt wird, ist das wirklich sehenswert. Schauen Sie sich das an!

Illustration: Anita Allemann

Sebastian Bogatu ist Technischer Direktor am Opernhaus Zürich


Foto: Keystone SDA


Auf den Jubel folgt die Ausgrenzung Seit Jahrhunderten fasziniert das britische Königshaus die Menschen und liefert Stoffe für Filme und Opern wie Gaetano Donizettis «Anna Bolena», die am 5. Dezember Premiere hat. Hat sich eigentlich so viel geändert, seit König Henry VIII. seine Gattin köpfen liess, weil sie ihm keinen Thronfolger schenkte? Die TV-Journalistin Annette Dittert findet, dass die Tradition weiblicher Ausgrenzung bis heute weiterlebt


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Annette Dittert, seit 2008 berichten Sie aus der britischen Hauptstadt für die ARD. Ich muss Sie natürlich fragen: Waren Sie schon mal bei Königs? Auf die berühmte Gartenparty der Queen habe ich es immerhin geschafft. Aber das ist kein besonderes Privileg, weil da jedes Jahr sehr viele Leute eingeladen sind. Zumindest konnte ich die Queen dort mal aus der Nähe sehen und war überrascht, dass sie tatsächlich genauso aussieht wie im Fernsehen. Wie nah kommen Sie den Royals als ARD-Korrespondentin überhaupt? Ist die Gartenparty schon das Äusserste der Gefühle? Keiner kommt wirklich näher ran. Auch die britischen Royal Correspondents nicht. Jeder, der das behauptet, sagt nicht die Wahrheit oder hat es sich ausgedacht. Man weiss im Grunde sehr wenig und wird auf Abstand gehalten. Den organisiert eine riesige, bestens organisierte Pressemaschinerie rund um die Royals. Sie sorgt dafür, dass keiner wirklich erfährt, was hinter den Kulissen passiert. Das «Wissen» der Royal Experts entsteht meist aus sehr langen Beobachtungen aus der Ferne, da lassen sich nach einer Weile bestimmte Dinge zuordnen. Heinrich VIII. und seine Ehefrauen sind bis heute ein skandalträchtiges Thema. Die ganze Geschichte Englands, so liest man oft, sei von der Kinderlosigkeit Heinrichs VIII. überschattet. Wie präsent ist heute noch die Er­ innerung an ihn und an Anne Boleyn? Sie ist sehr präsent. Auch bei Leuten, die sich nicht besonders dafür interessieren, begegnet einem ein grosses kollektives Wissen um die Geschichte des englischen Königshauses. Mit Heinrich VIII. bringen die meisten die Church of England in Verbindung. Durch die Scheidung Heinrichs von Katharina von Aragon, die vom Papst abgelehnt wurde, hat letztlich die Abspaltung von der katholischen Kirche Roms stattgefunden, und das hat bis heute weitreichende Folgen. Noch immer ist die Church of England die dominante christliche Kirche mit der Queen als ihrem offiziellen Oberhaupt. Elizabeth II. ist also nicht nur das Staatsoberhaupt, sondern hat auch eine religiöse Funktion. Könnten Sie sich ein Grossbritannien ohne die Royals überhaupt vorstellen? Kaum. In den instabilen Zeiten des Brexits ist die Queen der einzige gemeinsame Nenner, auf den sich alle verständigen können. Seit Jahrzehnten ist sie Garantin für die Stabilität dieses Landes. Ich fürchte, dass nicht nur für das Königshaus, sondern für das ganze Land raue Zeiten anbrechen, wenn sie nicht mehr unter uns ist. Theoretisch hat das Königshaus keine politische Macht, aber sehr wohl Einfluss. Welche Rolle zwischen Vorbild, Entertainer und Prügelknabe der Nation spielt die Royal Family im öffentlichen Leben? Das kommt immer darauf an, auf wen man schaut. Die Queen ist ganz sicher Vorbild und, wie man so schön sagt, die «Mutter der Nation». Sie ist der einende Faktor. Selbst für die schärfsten Republikaner gilt die Queen als wichtige und positive Figur im politischen Leben. Das Blatt wendet sich allerdings sofort, wenn man an andere Familienmitglieder denkt. Charles ist nicht sehr beliebt. Immer wieder gibt es Stimmen, die ihn in der Thronfolge überspringen wollen. Die Scheidung von Diana verfolgt ihn, und viele Engländer können sich Camilla nicht neben ihm auf dem Thron vorstellen. Die nächste Generation, William und Kate, ist im Vergleich dazu extrem populär, aber, wie ich finde, auch ein bisschen blass. Das Gegenteil von Harry und Meghan, die mit dem Austritt aus dem Königshaus die Aussenseiterrolle gewählt haben und deshalb bei Teilen der Boulevardpresse auch als «Punching Ball» dienen. Obwohl sie weit weg ist, wird Meghan von der Tabloid Press weiterhin massiv angegriffen. Das ist extrem unappetitlich. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Meghan bis heute eine sehr viel schlechtere Presse hat als beispielsweise Prinz Andrew, der in den Epstein-Skandal verwickelt ist und


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gegen den in New York ein Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger läuft. Man erkennt, welche nicht zu unterschätzende Rolle in diesem Diskurs Fragen wie Klasse, Geschlecht und Rasse spielen. Die Royals sind eben immer noch eine Familie, die stark mit dem sogenannten Establishment verwoben ist. Donizetti ist in seinen Tudor-Opern, genau wie viele andere, tief in die britische Geschichte eingetaucht. Heute haben sich Kinofilme oder Netflix-Serien wie «The Crown» dieses unendlichen Themas bemächtigt. Wie nah kommt solch eine Serie den historischen Ereignissen, und wie reagiert das Königshaus auf diese Art von unfreiwilliger PR? Das Königshaus hat darauf eher pikiert reagiert, und das hat sich verstärkt, je weiter die Serie in die Gegenwart vorstiess. Die letzte Staffel, in der es um Diana ging, wurde vom Palast als regelrecht geschichtsverfälschend abgelehnt. Die Serie ist so perfekt gemacht, dass man bereit ist, alles für bare Münze zu halten. Im Missklang dazu stehen viele historische Fehler bzw. ganz bewusste Verzerrungen zuguns­ten eines spannenden Plots. In jeder Folge gibt es Episoden, die zeitgleich dargestellt werden, obwohl sie nicht zeitgleich stattgefunden haben. Für die junge britische Generation, die damals noch nicht auf der Welt war, entsteht so ein verzerrtes Geschichtsbild. Ein Mitglied der Tory-Regierung meinte neulich, eigentlich müsste da immer so ein Aufkleber vorne drauf sein, dass es sich um die Fiktion einer Serie und nicht um die Historie handele. Die Suggestivkraft der Qualität lässt einen oft vergessen, dass vieles dramaturgisch zugespitzt ist und so nicht stattgefunden hat. Insofern kann ich die Bedenken des Königshauses nachvollziehen. Wobei Donizetti und sein Librettist Felice Romani es vor 200 Jahren genauso gemacht und für den guten Plot die reale Geschichte zurechtfrisiert haben… Mit dem Unterschied, dass die Protagonisten von The Crown noch leben. Die Oper erzählt von den letzten Tagen Anna Bolenas vor ihrer Hinrichtung im Tower, 1536. Die Enthauptung ist sicher die grausamste Methode, um sich eines unliebsamen royalen Familienmitglieds zu entledigen. Aber die Tradition des Rausschmisses hat bis heute Tradition, wenn wir an Wallis Simpson, Sarah Ferguson, Lady Diana oder Meghan Markle denken. Gibt es da eine Traditionslinie? Was sind die Methoden von heute? So drastisch wie bei Anne Boleyn geht es natürlich nicht mehr zu. Aber man hat am Schicksal von Meghan Markle und Prinz Harry oder an Lady Diana deutlich ge­ sehen, dass Frauen, die sich nicht konform verhalten, ganz schnell aus dem System ausgesondert werden. Lady Diana hat diese emotionale Kälte nicht ausgehalten und keiner konnte damals damit umgehen. Bei Meghan Markle hat es der Presse und den Royal Experts nicht gepasst, dass sie sehr viel modernere, feministische Ansätze in das Königshaus hineintragen wollte. Das hat teilweise dazu geführt, dass sie von der Presse auf übelste, rassistische Weise behandelt wurde. Hier ist das Königshaus verletzlich, denn es weiss, dass es den Pakt mit der Boulevardpresse nicht kündigen darf. Für die Royals, gerade für die Jüngeren, ist es die einzige Überlebens­ ­garantie, dass sie ständig in der Presse vorkommen – und zwar auf positive Weise. Bei den rassistischen Schlagzeilen gegenüber Meghan gab es kaum jemanden aus dem Königshaus, der sie – ausser Harry natürlich – offen verteidigt hätte. Dadurch ist das letztlich eskaliert. Nach wie vor ist es so, dass sich vor allem Frauen konformer verhalten müssen als Männer. Man sieht das bei Kate, die von der konservativen Presse als die neue Queen gefeiert wird. Wenn eine Frau sich als Mutter und als Frau an der Seite ihres Mannes profiliert und eben nicht mit feministischen Ansätzen daherkommt, wird das gelobt und ihr positiv angerechnet. Während alles, was etwas moderner ist, sehr schnell nicht mehr geht. Und es gibt keinen, der sagt, dass es doch unsere Pflicht ist, mit der Zeit zu gehen. Ich persönlich denke, dass es ein riesiger Schaden für das Königshaus ist, Harry und Meghan verloren zu haben.


16 Anna Bolena

Mit ihnen hätte das Königshaus die Chance gehabt, auch über die Zeit der Queen hinaus ein wichtiger Faktor zu bleiben. Wo auch immer Harry und Meghan auf­ getreten sind, bildete sich eine viel diversere Crowd. Da fühlten sich ganz andere Leute angesprochen. Grossbritannien ist nun mal ein sehr diverses Land mit vielen People of Colour. Diese Chance hat das Königshaus nun verspielt. Mit Kate und William haben sie im Prinzip wieder ein sehr traditionelles, weisses Pärchen. Ich habe neulich in einer Fernsehdokumentation über die Windsors einen Kenner des Hofes sagen hören, dass eine königliche Ehefrau nur dann über­ leben könne, wenn sie sich zurückhält und den Platz im Rampenlicht ihrem Mann überlässt. Daran hat sich wahrscheinlich nicht viel geändert? Genauso würde ich das unterschreiben! Anne Boleyn wurde vor 500 Jahren vor allem aus dem Weg geräumt, weil sie Henry VIII. nicht den gewünschten Thronfolger geschenkt hat. Wie wichtig ist der männliche Thronfolger für die Royals heute? Der ist auch weiterhin sehr wichtig. Hier hat Kate ihre Rolle sehr schnell erfüllt. Sie sagt ja immer, sie habe dem Königshaus «a heir and a spare» – einen Erben und einen Ersatzerben – geschenkt, und es gibt sogar noch ein drittes Kind… Wenn Kate zusätzlich auf Charity-Events auftaucht und sich um soziale Fragen kümmert, entspricht das ganz dem traditionellen, klischeehaften Frauenbild, das innerhalb der königlichen Familie eben immer noch nötig und gewünscht ist. Da kann es nicht schaden, dass Kate auch ein Mode-Idol ist. Wo sie auftaucht, wird auch über ihr Kleid gesprochen. Aber ansonsten ist sie die Frau an Williams Seite. Ich könnte mich nicht erinnern, von ihr je einen politischen Unterton oder ein Bekenntnis zu den Werten der heutigen jungen Generation gehört zu haben. Mit Prinz Charles gibt es den Thronfolger in spe natürlich. Welche Erwar­ tungen hat Grossbritannien an ihn? Was für ein König wird er sein? Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Charles ist ja in Grossbritannien deutlich weniger populär als zum Beispiel in Deutschland. Vor allem wegen seines öko­ logischen Engagements ist er von der englischen Boulevardpresse immer wieder an­gegriffen worden. Aber jetzt kann er durch die rasant auf uns zurasende Klimakrise zeigen, dass er schon immer richtig gelegen hat. Das verschafft ihm eine etwas grössere Popularität in einer Zeit, in der die Leute erkennen, wie dramatisch alles werden kann. Die Royals – auch die Queen hat das getan – äussern sich inzwischen zu wichtigen Themen wie der Klimakrise. Aber er ist immer noch nicht der populäre Monarch, der einen reibungslosen Übergang von der Queen in ein neues Zeitalter garantieren kann. Charles wird ein Übergangskönig, der, wenn er Glück hat, die erfolgreiche Zeit seiner Mutter so lange fortführen kann, bis ihn die nächste Generation ablöst. In Ihrem Buch «London Calling» erzählen Sie, wie Sie Charles auf einer Reise durch den englischen Lake District begleitet haben. Was für ein Mensch ist Ihnen da begegnet? Ich habe ihn als einen sympathischen Menschen erlebt. Sein Engagement in Sachen Ökologie hat ihn wahrscheinlich über die schier endlose Zeit als Nachfolger in Wartestellung hinübergerettet. Wenn man ihn so beobachtet, wirkt er sehr sensibel, sehr nachdenklich und weit sympathischer als sein Ruf. Wobei das Trauma «Diana» natürlich nie ganz verschwinden wird. Diana spielt im kollektiven Bewusstsein der Briten immer noch eine riesige Rolle. Welche Erklärung haben Sie dafür? Tony Blair hat es auf den Punkt gebracht, als er Diana als «Königin der Herzen» bezeichnete, weil sie als Mensch rüberkam und sich für ihre Mitmenschen en­


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gagierte. Sie hat dieses Charity-Engagement nicht einfach abgespult wie manche andere. Ich glaube, sie hat sich wirklich identifiziert mit den Menschen am Rande der Gesellschaft, weil sie sich selbst auch so gefühlt hat. Als jemand, der besonders empathisch agiert hat, wurde sie anders wahrgenommen als die anderen steifen Familienmitglieder, und dadurch geriet sie in Opposition. Es hat sie überfordert, mit jemandem verheiratet zu sein, der sie weder geliebt hat, noch ihr treu gewesen ist. Niemand hat ihr damals geholfen. In den Köpfen der Briten ist das auch deshalb so lebendig, weil vor allem die Harry-Meghan-Saga wie eine Neuauflage davon wirkt. Prinz Harry hat immer wieder betont, dass Meghan nun wieder so behandelt wird wie damals seine Mutter. Der Mythos von der menschlichen Prinzessin, die aus dem Palast verstossen wurde, wird also weiter hochgehalten. Womit wir wieder bei Anne Boleyn wären. Das heisst also, es gibt nichts Neues «bei Königs» seit Heinrich VIII.? Oder sehen Sie doch ein bisschen Morgenrot am royalen Horizont? Mit Harry und Meghan hätte die Möglichkeit bestanden, das Königshaus von innen zu reformieren und die Realität Grossbritanniens zu integrieren. Eine diverse Realität wohlgemerkt. Aber diese Chance wurde vertan. Auch wenn Kate und William ein bisschen moderner wirken, bewegt sich das, was mit ihnen weitergeführt wird, im Prinzip ganz stark in den alten Konventionen. Da ist so wenig Neues und Modernes drin, dass es schon verstaubt ist. Ich bin eher skeptisch, ob die Royals nach der Queen weiter so unhinterfragt als Institution überleben werden. Das Gespräch führte Michael Küster

Foto: Keystone SDA

Die Journalistin Annette Dittert ist Leiterin des ARD-Studios in London. 2017 ist ihr Buch «London Calling» erschienen.

Der Thronfolger Prinz William heiratet Kate Middleton



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Sex, Crime und Royalty Der amerikanische Regisseur David Alden inszeniert mit «Anna Bolena» jetzt die zweite der drei Königinnen-Opern von Gaetano Donizettti am Opernhaus Zürich. Seine Begeisterung über die packenden Charaktere vor historischem Hintergrund ist ungebrochen Probenfotos  Danielle Liniger

Diana Damrau (Anna Bolena)und Alexey Neklyudov (Percy)

David, in Anna Bolena befinden wir uns in der Welt der Tudors, die bis heute eine grosse Faszination auf das Publikum ausübt. Seien es Filme oder literarische Werke zu diesem Thema – jede neue Publikation kann mit einem ungebrochenen Publi­kums­interesse rechnen. Warum bekommen wir nie genug von diesen alten Geschichten? Das liegt sicher an dieser unwidersteh­ lichen Mischung aus Sex, Crime und Royalty. Gerade so eine blutige Periode in der Geschichte der Tudors, wie sie in Anna Bolena beschrieben wird, ist na­ türlich besonders attraktiv und jagt uns immer wieder angenehme Schauer über den Rücken. Anne Boleyn wurde am 19. Mai 1536 enthauptet. Obwohl diese Ereignisse gut 500 Jahre zurückliegen, ist die Geschichte um dieses Königspaar immer noch von grosser Brisanz. Ich finde, dass man die Verbindung von Anne Boleyn und Henry VIII. durchaus mit jener von Meghan Markle und Prinz Harry vergleichen kann. Meghan hat ganz offensichtlich viel mit Harry vor und scheint ihn ähnlich zu dominieren wie Anna Bolena König Heinrich. Anne Boleyn war eine sehr kluge und geistreiche Frau, die eigene ehrgeizige Ziele mit Henry verfolgte. Schon allein die Tatsache, dass er sie überhaupt ge­ heiratet hat! Sie hat das sehr geschickt eingefädelt und sich Henry erst in dem Moment wirklich hingegeben, als er sie

zur Frau nahm. Das erinnert mich ein wenig an Prinzessin Scheherazade aus Tausendundeiner Nacht, die den König mit ihren spannenden Geschichten so lange hinhielt, dass er sie am Leben liess und sie am Ende sogar heiratete. Das Blatt wendete sich dann für Anne Boleyn allerdings sehr bald, nachdem sie Henry keinen Thronfolger schenken konnte. Von dieser Idee war er gerade­ ­zu be­sessen. Da die Sicherung der Erb­ folge mit Anne nicht zu erreichen war, musste er sie loswerden. Alles, was sie sich bis dahin so mühsam erarbeitet hatte, fiel in sich zusammen. Politisch war sie sehr aktiv gewesen, nachdem Henry mit dem Papst und der katho­ lischen Kirche gebrochen hatte und die anglikanische Kirche gegründet wurde. Zuvor hatte sie bereits viel Energie darauf verwendet, Henrys erste Frau, Katharina von Aragon, loszuwerden. Aber das alles war schliesslich umsonst. Mit Anna Bolena bringst du in Zürich nach Maria Stuarda die zweite Oper der drei Königinnen­dramen Gaetano Donizettis auf die Bühne. Welche Stellung hat Anna Bolena innerhalb dieser Trilogie? Anna Bolena ist historisch gesehen ja eigentlich der erste Teil der sogenannten Tudor-Opern. Der rote Faden, der alle drei Opern miteinander verbindet, ist die Figur Königin Elizabeths I. In Anna


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Bolena ist sie noch ein kleines, zweijäh­ riges Kind. In Maria Stuarda erleben wir sie auf dem Höhepunkt ihrer Macht, und in Roberto Devereux tritt uns die gealterte Königin entgegen. In unserer Inszenierung haben wir uns jetzt für ein etwas älteres Mädchen entschieden, auch um deutlich zu machen, wie schreck­lich es ist, was dieses Kind an Traumatischem alles erleben musste, vor allem die Ächtung und Hin­richtung der Mutter. Das erklärt vieles, was später den Charakter Elizabeths I. ausmachen sollte, besonders ihre ge­fähr­­li­che, brutale Seite. Zeit ihres Lebens blieb sie trotz des Drucks, der auf ihr lastete, unver­ hei­ratet. Es gab wohl junge Männer in ihrem Leben, aber niemand wusste Ge­ naueres über ihr Privatleben. Sie behielt die Fäden der Macht immer in ihren Händen und blieb eine rätselhafte Figur. Du sagst, dass die junge Elizabeth in deiner Inszenierung etwas älter ist. Wie sehr muss man sich als Regisseur in so einer Oper an die historischen Fakten halten? Opern müssen ja nicht wirklich Historie korrekt widerspiegeln, sie lassen sich vielmehr von der Geschichte inspirieren. Historisch gesehen, ist in der Geschich­te der Tudors bis heute vieles unklar. Da fehlen Dokumente, und es klaffen zu viele dunkle Löcher, um ein verlässliches Bild gewinnen zu können. Auch die besten Historiker auf diesem Gebiet landen immer an dem Punkt, wo vieles nur noch Spekulation bleibt. Eine italienische, romantische Oper aus der Mitte des 19. Jahrhunderts musste aber in erster Linie von Liebe und Intrige handeln. Es gibt z.B. viele wichtige his­ torische Tatsachen, die überhaupt nicht Eingang in die Oper gefunden haben. Das entscheidende Problem zwischen Anne Boleyn und Henry VIII. – eben, dass sie ihm keinen Sohn schenken konn­te – kommt in Donizettis Oper über­haupt nicht vor. Auch die ganze Ge­schichte mit der Reformation der Kirche – das ist nichts für eine romanti­ sche Oper. Aber gewalttätige Aspekte sind für sie interessant. Es gibt dieses be­rühmte Zitat von Donizetti, der zu einem Librettisten gesagt haben soll:

«Gib mir Liebe! Gib mir viel Liebe! Gib mir Gewalt! Mach es leidenschaftlich, gefährlich, aber gib mir Liebe!» Genau darum geht es in diesem Stück. Was macht die Oper für dich als Regisseur interessant? Auch wenn die Oper Anna Bolena heisst, beschränkt Donizetti sein Inter­ esse nicht auf die Titelfigur. Alle sind spannende Charaktere in dieser Oper. Ich bin immer wieder fasziniert, was für ein fantastischer Theaterkomponist Donizetti ist. Bei ihm kann ich mich als Regisseur immer mit ganzer Kraft in die Szenen hineinwerfen. Man spürt jederzeit dieses Bemühen um starke, bühnenwirksame Worte. Es ist pures Drama. Donizetti ist innerhalb des Drei­ gestirns mit Bellini und Rossini sicher der grösste Dramatiker, wenn nicht der be­deutend­s­te Komponist. Rossini war als Architekt von Musik, Theater und Oper ein absolutes Genie. Aber vom dra­­ma­tischen und theatralischen Stand­ punkt aus gesehen, bin ich mir da nicht sicher. An welchem Punkt ihres Lebensweges begegnen wir Anna Bolena in der Oper? Donizettis Librettist Felice Romani konzentriert sich in seinem Libretto zu


oben: Regisseur David Alden links: Diana Damrau (Anna Bolena)

Anna Bolena ganz auf die letzten Tage der Königin. Anne Boleyns Aufstieg zum Thron und das Schicksal ihrer Vor­ gängerin Katharina von Aragon liegen zu Beginn der Oper bereits Jahre zu­ rück. Die Handlung setzt zu einem Zeit­ punkt ein, zu dem sich Heinrich VIII. schon von Anne abgewandt hat und um deren Hofdame Jane Seymour wirbt. Die Vorgeschichte lässt sich aus Dia­ logen und einigen Passagen des Chores entnehmen und wird, wie die eigent­ liche Handlung auch, jeder politischen Dimension beraubt. Romani gestaltet auf Grundlage der historischen Fakten ein überaus stringentes, im privaten Konflikt zwischen Anne und Heinrich angesiedeltes Drama, das Dichtung und Wahrheit geschickt verbindet. Anna

Bolena wird als Frau gezeigt, die ihre Jugendliebe durch die Heirat mit Hein­ rich gegen den Thron eintauscht und nun ein tristes Leben am Hofe führt. Im Zentrum der Oper steht für mich allerdings Heinrich VIII., die absolute Verkörperung eines rücksichtslosen Despoten. In welchem Verhältnis stehen bei Heinrich Staatsräson und sein persönliches Glück als Herrscher? Wie er beides unter einen Hut bringt, ist eine spannende Frage. Man kann, denke ich, nicht sagen, dass er das eine kalkulieren muss und etwas anderes fühlt, sondern es ist im Grunde das Gleiche für ihn. Von Anfang an gibt es diese dunkle, unheimliche Seite in ihm.


oben: Karine Deshayes (Giovanna Seymour) und Diana Damrau (Anna Bolena) unten: Nadezhda Karyazina (Smeton)


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Er ist zunächst noch hin- und her­ge­ rissen zwischen den beiden Frauen. Er fühlt sich Anna noch in gewisser Weise verpflichtet, hat aber in Jane Seymour eine neue Frau gefunden, die ihm mög­ licherweise einen neuen Thronfolger schenkt. Er verliert sich mehr und mehr in dieser Obsession und wird schliess­ lich zum Mörder. Heinrich macht im Laufe der Oper eine grosse Veränderung durch. Indem er sich entscheidet, Anna Bolena loszuwerden, wird er zum Monster. Das war er aber am Anfang seines Lebens noch nicht. Der Zufall spielt Enrico, wie er in der Oper heisst, zwei Trümpfe in die Hand, die er gegen Anna verwenden kann. Er überrascht die Königin in einer zweideutigen Situa­ tion mit ihrer Jugendliebe Lord Percy und dem Musiker Smeton und lässt sie zusammen mit Annas Bruder Rochefort inhaftieren. Wie der historische Musiker Anne Boleyns gesteht Smeton fälsch­ licher­weise, Ehebruch mit der Königin begangen zu haben, und liefert Heinrich damit einen ersten Anklagepunkt. Der zweite kommt aus Percys Mund, der dem König im Terzett des zweiten Aktes ins Gesicht schleudert, er sei Anna vor ihrer Heirat mit Enrico an­ge­ traut worden. Damit ist Annas Schick­sal besiegelt, und trotz Giovanna Seymours Fürsprache wird sie zusammen mit Percy, Smeton und Rochefort zum Tode verurteilt. Mit Diana Damrau habe ich mich heute auch über Maria Stuarda unter­ halten, die wir vor drei Jahren hier in Zürich zusammen gemacht haben. Maria Stuart wird am Ende der Oper zwar hingerichtet, bleibt aber bis zuletzt eine starke Figur. Ganz anders Anna Bolena, die am Anfang in der Oper als wunderschöne, junge Königin gezeigt wird, am Schluss dann aber wahnsinnig wird und emotional gebrochen ist. Warum verlieben sich Anne und Jane ausgerechnet in einen Mann wie Henry? Es geht um Macht. Auf die Frage Hen­ rys, was Jane von ihm möchte, sagt sie ganz offen: «Onore e fama!» – Ehre und Ruhm! Sie ist da sehr ehrlich. Es geht nicht um Liebe. In der legendären

Aufführung an der Mailänder Scala mit Maria Callas hat man den Text in «Amore e fama» geändert, aber das ist natürlich falsch. Als König Henry Anne Boleyn zum ersten Mal traf, war sie noch mit Henry Percy verlobt. Henry VIII. war zu diesem Zeitpunkt bereits fast zwanzig Jahre mit Katharina von Aragon verheiratet, doch die Ehe bröckelte. Anne wurde für Henry zu seinem neuen Ziel, seinem neuen Fokus. Percy wurde nach Frankreich ins Exil geschickt, es muss schrecklich für Anne gewesen sein. War es dann doch die Macht, die sie lockte? Gerade für Frauen war so eine Verbindung mit einem Mit­glied der königlichen Familie ja oft die einzige Möglichkeit, politischen Einfluss zu erlangen. Und man muss be­ tonen, dass Henry als junger Mann durchaus attraktiv war. Er war leiden­ schaftlich, sehr athletisch gebaut, offen­ bar ein Bild von einem Mann! Frauen war es auch nicht erlaubt, sich dem König einfach zu verweigern und sich seinen Avancen zu entziehen! Als Anne jünger war und in Frankreich lebte, hatte Henry VIII. übrigens auch eine Liaison mit ihrer Schwester, und auch mit ihrer Mutter wird ihm eine Affäre nachgesagt. Anne Boleyn spielte das Spiel perfekt mit. Sie bekam, was sie wollte – doch zu welchem Preis! Bei Donizetti singt sie: «Ich wollte eine Krone und bekam eine Dornenkrone.» Jane Seymour schenkte Henry endlich den ersehnten Thronfolger, starb aber kurz nach der Niederkunft, und auch Edward VI. wurde nur 15 Jahre alt. Wie sehr gehst du als Regisseur auf das Potenzial deiner Sängerinnen und Sänger ein? Ich würde sagen zu 95 Prozent. Man kann zuhause alles planen, die Musik lernen, verschiedene Aufnahmen mit der Callas oder Leyla Gencer anhören, Geschichtsbücher studieren und eine bestimmte Vision des Stücks haben – doch wenn man dann auf die Probe kommt und die Sängerinnen und Sänger vor sich sieht, ist die Situation eine ganz andere, und es kommt etwas Neues hinzu. Das, was ich mir zuvor ange­eig­ net habe, ist vielleicht noch in meinem


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Unterbewussten vorhanden. Gemeinsam kommen wir dann aber vielleicht zu ganz aufregenden Er­gebnissen, mit de­ nen ich zuvor nie gerechnet hätte. Aufstieg und Fall von Anna und Giovanna sind bei Donizetti exakt spiegelbildlich konstruiert. Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden, aber noch mehr Unterschiede. Wodurch unterscheiden sich die beiden Frauen? Für Jane ist alles, was passiert, äusserst schmerzhaft. Im Grunde schämt sie sich, die Königin zu hintergehen, denn als Hofdame hat sie ja eine persönliche Beziehung zu Anna und fühlt sich schuldig. Im Duett des ersten Aktes gibt sie Enrico zu verstehen, dass sie sich ihm nur als Ehefrau und Königin hin­ zugeben bereit ist, zum anderen bangt sie um das Schicksal ihrer Herrin, der gegen­über sie sich trotz der persönlichen Rivalität loyal zeigt. Mit Schrecken erkennt sie zu spät, welche Folgen ihr Handeln in dieser politischen Arena hat. Ich finde es aufregend, welche Facetten Karine Deshayes dieser Figur geben kann. Sie ist etwas reifer als die originale Jane Seymour und dadurch eine echte Konkurrenz für Anna. So wird noch deutlicher, dass auch sie Henry im Grunde dominiert. Gleichwohl ist Anna natürlich die viel aufregendere Figur. Sie ist eine Vollblutpolitikerin, eine Ti­ tanin. Anne Bo­leyn war einer der hells­ ten Köpfe ihrer Zeit. Anhand von Henrys Reaktionen sieht man ja sehr deutlich, wie verschieden die beiden Frauen sind. Es gibt mehrere Situationen, in denen Henry beinahe vor Anna zu fliehen scheint… Anna überfordert Enrico wahrscheinlich mit ihrer Intelligenz und ihrer Macht, die sie sich inzwischen am Hof erarbeitet hat. Dass er sich ihr nicht gewachsen fühlt, zeigt sich besonders deutlich, wenn er sie als Hure beschimpft und sie beschuldigt, mit vielen Männern am Hof Kontakt zu haben. Historisch ist die Faktenlage da völlig ungesichert. In der Oper allerdings ist es sehr klar, dass Anna unschuldig ist und keine Chance im Prozess haben wird.

Nicht nur Anna, sondern auch die drei männlichen Nebenrollen Percy, Smeton und Annas Bruder Lord Rochefort müssen mit ihrem Leben für ihre Beziehungen zu Anna be­zahlen. Was kann man über diese Charaktere sagen? Das sind drei sehr interessante Figuren, und es sind auch nicht wirklich Neben­ rollen, sondern grosse anspruchsvolle Partien. Was Percy betrifft, so lässt ihn Henry ungefähr zehn Jahre nach seinem Verweis aus England zurückkommen, mit dem Ziel, Anna zu kompromittieren. Henry behauptet, Anna habe eine Affä­­re mit Percy, um sie so anklagen und los­ werden zu können. Percy ist kein typi­ scher Tenor der italienischen Roman­tik. Wenn wir ihn kennenlernen, ist er bereits ein gebrochener, verbitterter Mann – und gefährlich. Nach seiner Rückkehr aus Frankreich wirkt er fast wie eine tickende Zeitbombe. Irgendetwas wird passieren, das ist klar. Eine interessante, dunkle Figur, die viel Spannung in dieses Stück bringt. Am Ende, wenn er – zu Unrecht – hingerichtet wird, ist sein Tod geradezu eine Erlösung für ihn. Von Marc Smeaton, dem Hofmusiker, gibt es historische Dokumente, in denen er bezeugt, eine Affäre mit Anne Boleyn gehabt zu haben. Darin gesteht er, wie oft er mit ihr Sex hatte, wann und wo. Es gibt Stimmen, die behaupteten, dass er dies unter Folter ausgesagt habe. Als Musiker hatte er natürlich Zugang zu Annas privaten Gemächern, um sie und ihre Hofdamen zu unterhalten. Ein wunderbarer junger Mann, der zur falschen Zeit am falschen Ort war. Lord Rochefort schliesslich, der dem Drama einen weiteren wichtigen Stem­ pel aufdrückt, war sehr eng mit seiner Schwester Anna verbunden. Das Ge­ rücht einer inzestuösen Beziehung steht immer wieder im Raum. Wer weiss, ob das stimmt! Annes Familie stand na­ türlich geschlossen hinter ihr und hatte durchaus ein eigenes Interesse daran, dass sie Königin werde. Ihr Vater und Lord Rochefort haben Anne Boleyn gleichsam wie eine Spielfigur behandelt. Vielleicht noch ein paar Worte zur Rolle des Chores. Während der erste


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Akt von den Männern dominiert wird, spielt der Damenchor im zweiten Akt eine entscheidende Rolle. Sie gehören zwar dem Gefolge Henrys an, doch scheinen sie ihm oft zu wider­sprechen. Sind sie eine Art innere Stimme Donizettis? Der Chor zeigt tatsächlich sehr oft offen sein Entsetzen über Henrys Verhalten. Die Höflinge beobachten, kommen­­tieren ständig, und immer auf eine nega­tive Art. Wenn Anna verurteilt wird, verlangt der Chor von Henry Gnade für sie. Es sei das Grösste, was ein König zeigen könne. Der Chor konfrontiert ihn mit seiner eigenen Mo­ ral und seiner Seelengrösse, aber Henry entgegnet sofort, dass nicht Gnade, sondern Gerechtigkeit das Grösste sei, was ein König besitze.

Nadezhda Karyazina (Smeton)

Für Bühnenbild und Kostüme zeichnet Gideon Davey verantwortlich. In welchem Ambiente wird eure Anna Bolena-Inszenierung spielen? Die Basis unseres Bühnenbildes ist der grosse weisse Raum, den wir bereits bei Maria Stuarda hatten. In diesem Raum entwickelt sich die Welt Henrys, die 40-50 Jahre früher anzusiedeln ist. Es ist eine dunkle, gefängnishafte und weniger prachtvolle Welt im Ver­ gleich zur Welt Elizabeths I., die für ein fortschrittliches England stand, auch wenn es bei ihr immer noch eine sehr gefährliche Welt voller Intrigen war. Was die Kostüme angeht, so haben wir uns gegen historische Kostüme im engeren Sinne entschieden, denn die Dinge im britischen Königshaus ändern sich nicht wirklich, die Geschichte hätte auch in den 1940er-/1950er Jahre pas­sieren können. Die Kostüme sind eine fantasievolle Collage aus verschie­ de­­nen Epochen der britischen Königs­ familie. Natürlich gibt es Referenzen an die His­torie, aber wir gehen damit sehr frei um. Deinen Stil hast du mal als eine eigen­ artige Mischung von realistischen Vorgängen, Unterbewusstsein, Ironie, Sarkasmus und schwarzem Humor beschrieben. Bewährt sich dieses Rezept auch bei Anna Bolena?

Bis zu einem gewissen Punkt, ja. Aller­ dings funktioniert hier der Aspekt des Humors nicht immer. Ich muss mich da selbst kontrollieren und sehr vor­ sichtig sein. Wenn man zu ironisch wird, klingt die Musik plötzlich lächerlich und könnte zu einer Parodie von Offen­ bach oder Gilbert & Sullivan werden. Das darf nicht passieren. Man muss das tragische und spannungsgeladene Ele­ ment dieser Oper unbedingt heraus­ arbeiten. In den Proben haben wir aber trotzdem grossen Spass und lachen viel. Das Gespräch führte Michael Küster.


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Man muss die Kräfte einteilen Mit Anna Bolena und Giovanna Seymour hat Gaetano Donizetti zwei der berühmtesten Rivalinnen der Opernliteratur geschaffen. Am Opernhaus Zürich werden sie von Diana Damrau und Karine Deshayes verkörpert. Beide debütieren in den Rollen und geben Auskunft über ihre Arbeit

Karine Deshayes

Was heisst es, diese beiden Frauen auf der Bühne darzustellen? Damrau: Für Donizetti war Anna Bolena damals ein echter Erfolg. Man merkt noch, dass er aus der Belcanto-Tradition eines Rossini kommt, aber er entwickelt doch einen ganz eigenen Tonfall. Diese Belcanto-Opern stehen und fallen mit der Besetzung, und es gibt da ganz unterschiedliche Möglichkeiten der Inter­pretation. Mit unserer Besetzung hier in Zürich bin ich sehr glücklich, vor allem auch, weil wir mit unserem Dirigenten Enrique Mazzola sehr genau darauf achten, welcher Tra­ ditionslinie Donizetti in Anna Bolena folgt. Selbst die dramatischsten Szenen wer­ den bei uns nicht mit Kraft und Schwere aufgeladen, sondern behalten eine gewisse Leichtigkeit und Flexibilität. Annas äussere Situation ist an Dramatik ja nicht zu überbieten. Wir erleben die Königin sozusagen im freien Fall, der letztlich zu ihrem Tod führen wird. Da entwickelt sich leicht eine Tendenz, das Ganze mit zu viel Dramatik aufzuladen und in Richtung Verismo abzuschweifen. Aber in der Musik

Fotos: Aymeric Giraudel, Jiyang Chen

Diana und Karine, in Donizettis Anna Bolena verkörpert ihr Ann Boleyn und Jane Seymour, die beide als Königinnen und Gemahlinnen von König Heinrich VIII. in die Geschichte eingegangen sind. Wie bewertet ihr diese historische Episode aus der Tudor-Zeit? Deshayes: Ich finde es eine ziemlich schlimme Geschichte, wie Heinrich VIII. nach seiner Ehe mit Katharina von Aragon Ann Boleyn auf dem Thron installiert, um sie dann nach gerade mal drei Jahren regelrecht zu entsorgen, weil sie ihm kei­ nen Thronfolger schenkt. Giovanna Seymour ist die neue Frau an Heinrichs Seite, es ist eine sehr ambivalente Rolle. Damrau: Aufstieg und Fall von Ann Boleyn liegen tatsächlich sehr dicht bei­ einander. Am Anfang war das ja eine geradezu stürmische Liebesaffäre mit grosser Leidenschaft. Wenn man heute liest, wie das schliesslich ausging, mag man es kaum glauben. Keine Oper kann sich eine Anklage ausdenken, die so absurd ist wie die gegen Anna. Vorgeworfen wurde ihr wiederholter Ehebruch mit vier Edel­ männern, die alle unschuldig mit ihr hingerichtet wurden, sowie Inzest mit ihrem Bruder Rochefort. Unglaublich.


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ist es eben wirklich Belcanto in Reinkultur. Wenn man das nicht aus den Augen verliert, ist es ein echtes Vergnügen, das zu singen. Deshayes: Giovanna Seymour auf der Bühne zu verkörpern, ist für mich eine Herausforderung, weil die Rolle mich wirklich an emotionale Grenzen bringt. Im Duett mit Anna, in dem die Königin Giovanna nicht nur als Rivalin erkennt, sondern ihr trotzdem vergibt und sie segnet, muss ich wirklich aufpassen, dass ich nicht anfange zu weinen. Giovanna wird sich ja erst allmählich bewusst, was ihr Aufstieg an der Seite des Königs für Anna Bolena bedeutet, die schliesslich mit ihrem Leben dafür zahlt. Für Diana und mich ist das in dieser auf die Spitze getriebenen Emotionalität eine sehr quälerische Szene, wobei das Duett in seiner musikalischen und textlichen Gestalt natürlich grossartig ist. Bei der Uraufführung im Jahr 1830 war ein Duett für zwei Frauen etwas völlig Neues. In der Oper erleben wir Anna Bolena und Giovanna Seymour an ganz unterschiedlichen Punkten ihres Lebens. Trotzdem gibt es sehr viel Verbindendes zwischen ihnen… Deshayes: Beide wollen den Weg nach oben über ihre Verbindung zu Heinrich VIII. machen, aber ich bin mir sicher, dass sie trotz ihres Interesses, Macht und Einfluss zu gewinnen, dennoch in ihn verliebt waren. Damrau: Giovanna ist Annas Hofdame, zwischen den beiden besteht eine grosse Nähe. Schon zu Beginn der Oper scheint Anna ihrer Vertrauten die Warnung mit auf den Weg zu geben, sich nicht vom Glanz des Throns verleiten zu lassen. Nach dem Motto: Du siehst, wohin mich das gebracht hat! Und sogar noch als Anna erkennt, dass Giovanna die neue Frau an der Seite des Königs wird, ringt sie sich durch, ihrer Rivalin zu vergeben. Es ist schade, dass wir Anna Bolena bei Donizetti nicht auf dem Höhepunkt ihrer Macht erleben. Sie muss eine schillernde und ehrgeizige Persönlichkeit gewesen sein. Durch ihre Zeit in Frankreich hatte sie Eleganz und Selbstbewusstsein gewonnen. Am englischen Hof galt sie als Exotin. Diese Karte hat sie ganz bewusst ausgespielt und Heinrich VIII. mit ihrem Charme um den Finger gewickelt, womit sie sich offenbar aber auch viele Feinde gemacht hat. Als sie Heinrich nicht geben konnte, was er sich am meisten wünschte, nämlich einen Thronfolger, lernte sie seine andere Seite kennen. Mit Anna ist ein Wendepunkt in der englischen Geschichte verbunden. Um sie heiraten zu können, wechselte der König seinen Glauben, und eine neue Religion wurde installiert. Wie erarbeitet ihr diese Rollen, und wie weit kann die Identifikation gehen? Deshayes: Natürlich greift man zu Büchern über die Zeit und beschäftigt sich mit der Entstehungs- und Aufführungsgeschichte der Oper. Aber das kann nur eine erste Inspiration für die Entwicklung einer Rolle sein. Das Meiste entsteht dann auf den szenischen Proben im Dialog mit dem Regisseur, dem Dirigenten sowie den Sängerkolleginnen und -kollegen. Damrau: Der erste Wegweiser für mich ist die Musik. Aus ihr lassen sich viele Dinge für die Rollengestaltung direkt ableiten. Erst danach greife ich auf andere Quellen zurück. Anna Bolena ist eine fantastische Rolle – ein spannender Charakter und durch die vielen verschiedenen Facetten eine echte darstellerische Heraus­­ forde­r ung! Mein Interesse am englischen Königshaus hat schon als kleines Mädchen begonnen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie meine Grossmutter das Schicksal der Royals in Frauenzeitschriften verfolgte und ich bei der Hochzeit von Charles und Diana gebannt vor dem Fernseher sass. Heute eröffnen sich uns noch ganz andere Möglichkeiten: Eine Serie wie The Crown habe ich vorwärts und rückwärts gesehen, und da mich historische Geschichten im Film und auf der Opernbühne generell interessieren, kenne ich natürlich auch die ganzen Boleyn-Verfilmungen. Ihr habt von eurem grossen Duett im zweiten Akt als einem Höhepunkt der Partitur gesprochen, der euch auch emotional an die Grenzen bringt.

Diana Damrau


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Wie schafft Donizetti das? Deshayes: Im Grunde genommen setzt er hier die Opernkonvention ausser Kraft. Das Duett gewinnt seine Intensität gewinnt, weil Donizetti rezitativische Bausteine und kleine Ariosi einbaut, und so die Spannung immer weiter steigert. Die lange Aus­einandersetzung der beiden Frauen wird melodisch also immer wieder aufge­lockert. Wir erleben da gemeinsam alle Höhen und Tiefen… Damrau: … und deshalb fiebert das Publikum natürlich mit den beiden Sän­ gerinnen mit. Man will keine Wendung verpassen und immer wissen, wie es weiter­ geht. Was in diesen 15 Minuten passiert, ist an Spannung kaum zu überbieten. Gio­vanna fleht Anna an, sich schuldig zu bekennen, um so wenigstens das eigene Leben zu retten. Das ist für Anna undenkbar, sie beschwört deshalb die rächende Hand Gottes, die auf das Haupt ihrer Nachfolgerin niedersausen soll. Da weiss sie noch nicht, dass ihre Rivalin niemand anders ist als Giovanna. Sie steigert sich in eine Vision, in der sie Heinrich und seine Geliebte als Geist im Schlafzimmer heim­sucht. Nachdem sie in Giovanna ihre Nebenbuhlerin erkennt, ringt sie sich dennoch durch, ihr zu verzeihen. Das gipfelt in einem grossen Verzeihungsduett. Als Heinrich Giovanna fragt, was sie von ihm möchte, antwortet sie sehr direkt: «Onore e fama», Ehre und Ansehen. Neben allem Gefühl geht es beiden Frauen um Macht und Einfluss bei Hofe. Der Weg dorthin führte damals einzig und allein über den Mann. Was könnt ihr 500 Jahre später von diesen Frauen mitnehmen? Deshayes: Mich beeindrucken die Charakterstärke und der Ehrgeiz der beiden. Aber man muss noch einmal betonen, dass wir es hier mit zwei liebenden Frauen zu tun haben. Es geht eben nicht nur um Macht! Die beiden lieben diesen Mann, das macht das Gefühlschaos so gross. Giovanna spricht das im Duett mit Anna direkt aus, auch wenn sie sich ihrer Gefühle für Heinrich schämen zu müssen glaubt. Damrau: Anna erinnert sich zu diesem Zeitpunkt an ihre frühere Liebe zu dem Edelmann Percy, der für sie aus dem französischen Exil zurückkehrt. Sie wünscht, sie hätte sich damals für ihn entschieden. Wie wäre ihr Leben dann verlaufen? Die scheinbar kleinen Entscheidungen ziehen oft die grössten Konsequenzen nach sich. Natürlich haben wir Mitleid mit Anna, aber sie ist auch nicht unschuldig an ihrem Schicksal. Ehrgeizig, wie sie war, hat sie die Leute in ihrer Umgebung manipuliert, auch viel Eitelkeit war im Spiel. Sprechen wir über die musikalischen Schwierigkeiten, die Donizetti in eure Partien eingebaut hat. Welche Herausforderungen bieten eure Rollen? Deshayes: Die Rolle ist völlig neu für mich, und ich bin sehr froh, dass ich gemeinsam mit Diana debütieren kann. Wir befinden uns in einer ähnlichen Situation. Diese Belcanto-Partien warten immer mit einer Vielzahl von technischen Schwierigkeiten auf. Aber es muss immer leicht klingen, als würde man seinen Text spontan in einem Gespräch äussern. Zum Glück kommt mir gerade meine Er­ fahrung mit der Musik Rossinis zugute. Da gibt es viele Gemeinsamkeiten, die Rossini-Vocalità verbindet sich mit dem Belcanto. Die Rolle der Giovanna liegt für einen Mezzo ziemlich hoch. Da braucht man absolute Konzentration, vor allem in Giovannas beiden exponierten Duetten mit Enrico und Anna. Damrau: Anna Bolena ist eine wirklich sehr herausfordernde Partie. Anna ist im Grunde von Anfang bis Ende durchgängig auf der Bühne, und stimmlich wird ihr in diesen gut drei Stunden alles abverlangt. Man könnte es mit den sportlichen Anforderungen beim Zehnkampf vergleichen: Wenn man sich freut, das Duett mit Giovanna überstanden zu haben, kommt gleich die nächste Schwierig­ keit – die 25-minütige Schlussszene. Da muss man sich die Kräfte gut einteilen. Zum Glück hilft einem Donizetti dabei. Er hat die Anforderungen über die gesamte Länge der Oper gut dosiert. Die «sportliche» Arie mit den Koloraturen, in der man seine Bravura unter Beweis stellen muss, steht gleich am Anfang. Dann folgen


die Duette, und das Ganze gipfelt in der Finalszene, die Donizetti sehr differenziert ausgearbeitet hat. Es ist eine Art Wahnsinnszene, sehr lang, aber mit vielen Pausen, in denen man «durchatmen» und die Kräfte bündeln kann. Trotzdem bleibt es «hardcore singing». Der Schluss mit Annas Fluch, «Coppia iniqua», das sind dann sechs grausame letzte Seiten – das Finale im Belcanto-Feuerwerk. Wie viel szenischen Input gibt euch der Regisseur David Alden, und wie viel könnt ihr selbst in die Gestaltung eurer Rollen einbringen? Damrau: Ich denke, wir haben relativ viel Freiheit. David hat natürlich eine Ausgangsidee, wie eine Szene aussehen könnte. Aber vieles entsteht wirklich im Dia­log, und das ist gerade in diesem Repertoire besonders wichtig, weil jeder Sänger den Weg finden muss, der für ihn passt. Es wird Sängerinnen geben, die die Koloraturen langsamer nehmen wollen, dann muss man einen anderen szenischen Subtext finden. Der Dialog zwischen Sängerin und Regisseur ist extrem wichtig, gerade wenn man eine Rolle zum ersten Mal singt. Deshayes: Es stimmt, David hat eine ziemlich genaue Vorstellung, was er sich wünscht, aber wir können unsererseits auch bestimmte Dinge anbieten und kommen dann meist schnell zu Lösungen, mit denen alle zufrieden sind. Schaut ihr zurück, wenn ihr in Rollen debütiert, und hört euch die grossen Rollenvorgängerinnen an? Deshayes: Absolut! Ganz viele verschiedene sogar. Die Giovanna wird sowohl von Sopranen als auch von Mezzos gesungen. Das hat grosse Auswirkungen auf die Farbigkeit, die man der Partie verleihen kann Damrau: Das stimmt. Man kann von jeder etwas lernen. Aber man sollte nie versuchen, jemanden zu imitieren. Man muss die Lösung für sein eigenes Instrument finden. Man muss sein Instrument so spielen, wie es gespielt werden muss. Man kann nicht sagen: Okay, heute bin ich mal Maria Callas. Aber an wichtigen Stellen darf man sich durchaus inspirieren lassen und findet so vielleicht schneller zur ei­genen Lösung. Es ist nichts in Stein gemeisselt. Es gibt nicht die eine Version, die Gültigkeit für die Ewigkeit hätte. Wenn man die Rolle dann ein paar Mal auf der Bühne gesungen hat, kann es gut sein, dass man manche Stellen wieder anders singen will oder muss. Das ist immer «work in progress». Da wir über die Sängerinnen der Vergangenheit gesprochen haben: Die Premiere von Anna Bolena wird dem Andenken von Edita Gruberova gewidmet sein. Inwiefern hat sie euer musikalisches Denken beeinflusst? Damrau: Seit dem Studium begleiten mich Edita Gruberovas Aufnahmen. Ich hatte das Glück, sie in München und Wien oft live auf der Bühne in den ver­ schie­densten Aufführungen zu erleben. Lucia, Rosina – da muss sie fast 60 gewesen sein! –, aber auch mehrmals als Elisabetta in Roberto Devereux, das ist unvergesslich. Genau wie ihre unglaubliche Technik, ihre Disziplin, ihre Konzentration und alles, was sie für die Wiederbelebung des Belcanto-Repertoires getan hat. Deshayes: Bei mir sind die Aufnahmen von Edita Gruberova auch pausenlos gelaufen. Bis heute bin ich besonders von ihrer Einspielung der Mozart-­Konzert­ arien fasziniert. Die ist einfach unübertroffen! In Frankreich hat sich Edita Gruberova sehr rar gemacht, deshalb habe ich sie leider nicht live erlebt. Damrau: Edita war eine tolle Frau. Wenn ich ein Problem mit einer Partie hatte, habe ich gelegentlich ihren Rat gesucht. Sie war da immer sehr aufgeschlossen und hat versucht, mir zu helfen. Sie meinte dann: «Ich bin zwar keine Lehrerin, aber ich kann dir zeigen, wie ich das mache.» Das fand ich wirklich gross von ihr. Eine einzigartige Künstlerin und ein lieber Mensch! Es ist eine Ehre, diese Premiere für sie zu singen. Das Gespräch führte Michael Küster

Anna Bolena Oper von Gaetano Donizetti Musikalische Leitung Enrique Mazzola Daniele Squeo Inszenierung David Alden Ausstattung Gideon Davey Lichtgestaltung Martin Gebhardt Video Robi Voigt Choreografische Mitarbeit Arturo Gama Choreinstudierung Ernst Raffelsberger Dramaturgie Michael Küster Enrico VIII Luca Pisaroni Anna Bolena Diana Damrau Giovanna Seymour Karine Deshayes Lord Rochefort Stanislav Vorobyov Lord Riccardo Percy Alexey Neklyudov Smeton Nadezhda Karyazina Sir Hervey Nathan Haller Philharmonia Zürich Chor der Oper Zürich Statistenverein am Opernhaus Zürich Premiere 5 Dez 2021 Weitere Vorstellungen 9, 14, 18, 23, 29 Dez 2021 2, 5, 9, 13 Jan 2022 Partner Opernhaus Zürich


30 Blindtext

Das Drama des einsamen Politikers Andreas Homoki hat Giuseppe Verdis emotionsgeladene Oper «Simon Boccanegra» als psychologisches Kammerspiel inszeniert. Im Corona-Lockdown war sie nur als Streamingund TV-Premiere zu sehen, jetzt kommt sie endlich live auf die Bühne des Opernhauses mit dem französischen Star-Bariton Ludovic Tézier in der Titelrolle. Mit Ludovic Tézier, Jennifer Rowley, Christof Fischesser u. a. Vorstellungen: 12, 15, 17, 22, 26, 30 Dez 2021


Fotos: Monika Rittershaus

Wiederaufnahme 31


32 Volker Hagedorn trifft …

Ludovic Tézier Ludovic Tézier stammt aus Marseille. Die Bariton-Partien von Verdi singt er auf den grossen Opern­ bühnen der Welt. Als Rigoletto und Germont («La traviata») war er jüngst an der Pariser Oper zu hören, als Jago («Otello») an der Wiener Staats­oper. Geplant sind u.a. Macbeth an der Staats­ oper München und Renato («Un ballo in maschera») an der Mailänder Scala. Am Opernhaus Zürich ist er im Dezember als Simon Boccanegra zu erleben.

Zwischen all den schicken Passanten im ersten Arrondissement, zwei Minuten von den Tuilerien entfernt, kommt ein Typ über die Rue des Pyramides gelatscht, der nicht direkt aussieht, als käme für ihn ein Café Crème à 5.20 Euro in Frage. Gross, bärig, schlabbrige Hose, quergestreifter Strickpulli, auf dem Kopf eine zerbeulte Schirmmütze aus hellgrauem Stoff. Naja, die Statur könnte stimmen, aber… Er verlangsamt, bleibt einen Meter neben meinem Tischchen vor La Rotonde stehen, dann klingelt mein Telefon. Ich blicke mich um. Der Typ hat ebenfalls sein Telefon in der Hand. Er grinst. Das ist also der Mann, den sie gestern als Rigoletto in der Bastille bejubelt haben, das ist Ludovic Tézier. 53 Jahre alt, in Marseille geboren, wohnhaft in Paris. Er gilt als bester VerdiBari­ton der Gegenwart. An der Seine steht er derzeit als Rigoletto auf der Bühne, in Zürich wird er den Simon Boccanegra singen, und auf diese ungewöhnliche Oper kommen wir auch gleich zu sprechen, drinnen im Café, wo seine tiefe, körnige Sprechstimme umbrandet wird vom Tassenklappern, dem Zischen der Kaffeemaschine, den Gesprächen. Die Kappe behält er auf, vielleicht als Marseiller Requisit. Er liebt das Mittel­meer und den sanft wogenden Anfang von Boccanegra, «man spürt die Grandezza», sagt Ludovic, auf Deutsch. Der Doge, seine Rolle, sei als Charakter «am Ende fast heilig», ganz anders als der negative Rigoletto, der den Tod der eigenen Tochter mitverschuldet. Gemeinsam hätten die beiden, dass sie Väter von Töchtern sind – was sie wiederum mit dem Sänger vereint. «Damit, dass ich Vater bin, kann ich spielen,» meint er, «auch wenn mir die Erfahrungen eines Dogen fehlen.» Besonders für einen wie Rigoletto brauche es Lebenserfahrung, «ein Stück Seele, das schon berührt wurde, ohne das geht es einfach nicht, sonst wird der Eindruck zu leicht sein.» Und welche Erfahrung kann er aufbieten für eine grundböse Gestalt wie Jago in Otello? «Interessante Frage. Mit diesem Charakter habe ich als Mensch hoffentlich nichts zu tun. Für superböse Partien muss man eine Idee finden, einen Gag sogar, ein bisschen nachdenken.» Und Graf Luna, der im Trovatore seinen Rivalen hinrichten lässt, den eigenen Bruder? «Er ist finster und bitter, aber er liebt», sagt Ludovic ernst. «Er liebt wirklich. Er hat menschliche Seiten. Jago hat dagegen nichts Menschliches an sich, er ist wie ein schwarzer Stein. Faszinierend.» Wie kommt es eigentlich, dass wir über diese fiktiven Gestalten aus einem anderen Jahrhundert fast so sprechen können, als wären sie Menschen, die hier in der Stadt herumlaufen? «Das ist die Stärke des Mythos», sagt Ludovic, ohne zu zögern. «Das ist wie mit den Gestalten der Ilias, der Odyssee. Den Mythos kann man zu jeder Zeit benutzen, er ist die reine Wahrheit, der Subtext des Lebens.» Er hat Homer in der Schule lernen müssen. «Zwanzig Jahre später war ich super­ froh, das zu kennen.» Ludovic bedauert es, dass für Schüler heute alles «erleichtert» wird, so, wie er es als Vater eines Zwölfjährigen (neben zwei erwachsenen Töchtern) mitbekommt. Dafür hat er schon den Achtjährigen in eine Generalprobe zur Walküre in Salzburg mitgenommen und ihm immer flüsternd erzählt, was und wer als nächstes kommt und warum. So ähnlich hat sein Vater das auch gemacht, nur ohne Opernhaus. Dafür reichte das Geld nicht in der Familie Tézier. Man hörte leidenschaftlich Radio und Platten, «es gab immer Musik, ich habe immer Melodien so für mich ge­sungen.» Und irgendwann gab es eine Vinylplatte mit Vorspielen zu Wagneropern, auf dem ihn Parsifal faszinierte. Dieses Werk wollte der Zwölfjährige unbedingt ganz und wirklich erleben. «Mein Vater wollte mir die Chance geben, die Show zu genies­ sen, er hat nur für mich eine Karte für 80 Franc gekauft, was 80 Euro von heute ent­ spricht. Das war schon was: Erster Rang Mitte, erste Reihe. Das war ein Schock, ein


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Wunder. Ich habe danach Wagner, Wagner, Wagner mit Kopfhörern gehört.» Und deswegen Sänger werden wollen? «Nein, das ist nicht so gewesen. Mit siebzehn, acht­ zehn habe ich Arien für mich zum Spass gesungen und gedacht, vielleicht kann ich das mit einem Professeur verbessern.» Claudine Duprat, der er in Marseille vorsang, sagte: «Es lohnt sich, daran zu arbeiten.» «Wirklich?» «Ja, wirklich.» Und so arbeitete Ludovic mit ihr, «ungezielt» wie er sagt, ohne Karriere im Sinn, aber passioniert. «Sie hat nie einen Franc gewollt. Sie hat gesagt, du hast eine Stimme und die anderen haben Geld. Die haben sozusagen für mich bezahlt.» Er lacht, wie er oft lacht, glucksend, halb in sich hinein, fast geniesserisch. «Und plötzlich», fährt er fort, «machst du einen Wettbewerb und bekommst einen Preis, ein paar Leute fragen, willst du mal in einem Konzert mitsingen, Schrittchen, Schrittchen, plötzlich bist du auf der Bühne für eine kleine Partie, dann kommt ein seriöses Engagement in Luzern…» Dort war Don Giovanni, die erste Partie des 25-Jährigen, dieselbe Rolle, in der er ein paar Jahre später in Liège seine Frau kennen­ lernte. Cassandre Berthon sang die Zerlina. «Wenn du unbewusst mit jemandem zu­sammen atmest, wenn Don Giovanni sie verführt…», er singt andeutungsweise, «…das war einfach Gewissheit, musikalisch, menschlich auch. Noch heute, wenn wir zusammen singen, das ist…» Er schnippt mit den Fingern. «So! Ohne zu üben. Es geht von selbst.» «Singen Sie immer noch Mozart?» «Gern. Morgen, wenn Sie möchten. Ich bete! Mozart ist das Alpha und Omega. Es ist alles drin, was es vor ihm gibt und alles danach. Man kann Verdi wie Mozart singen, wirklich.» «Aber Wagner ist nicht auch schon drin…» «Wir haben die schlechte Angewohnheit zu denken, er trage Grösse XXL, eine bestimmte Vorstellung von germanité steckt dahinter, von deutschen Wurzeln, einfach blöd. Dieser dicke, steile Klang muss nicht sein. Es gibt eine Aufnahme mit Max Lorenz aus dem Krieg, ‹Winterstürme›... Frisch, jung, phänomenal, kein Fett, moderner als heute. Das ist cavalerie légère, keine Panzerdivision. Électrisant, wie wir sagen – das ist Wagner für mich. Und dann schwärmt Ludovic, der Verdi liebt und Berlioz und Gounod, von der deutschen Sprache. ‹Blade› im Englischen, ‹lame› im Französischen sprechen nicht für sich. Aber ‹Klinge›! Man hört, was es bedeutet. Das Deutsche ist so vielfarbig. Es ist wie Malerei, die man singen und sprechen kann. Es gibt viele Akzente, es ist nicht immer süüüss, es ist manchmal stark, manchmal super eeedel – man kann die Sprache wie eine Palette benutzen. Stimmlich nicht einfach, man braucht dazu eine Mozarttechnik…» Gut, aber so viel von Gefühlen wie Verdi versteht Wagner nicht, oder? «Amfortas!» ruft Ludovic, der diese Rolle jüngst im Wiener Parsifal sang. «Ein Panorama an Emotionen!» Zurück nach Paris. Stimmt es, dass das Opernpublikum hier sich immer nur wohlfühlen will, wie Gérard Mortier klagte? «Pariser geniessen la belle vie, das Angenehme, aber auch den Schock, Gérard als Intendant konnte das, ich habe ihn geliebt. Wenn es eine Riesenbronca gibt, einen Empörungssturm, ist niemand zufriedener als die Pariser, le tout-Paris en parle, alle reden darüber.» Aber zur Zeit ist man vor allem glücklich, dass wieder vor vollem Haus gespielt wird. Mit seinem engen Freund Jonas Kaufmann hat sich Ludovic im Vorjahr per Petition dafür eingesetzt, dass im Lockdown die Kunst unterstützt wird, besonders die fragile Theaterkunst. «Nicht wegen uns. Wir Sänger aus der ersten Reihe mussten Lärm machen für die im Mittelbereich, für die es ein Tsunami war.» Madrid, wo man mitten in der Pandemie mit grösster Umsicht das Opernhaus öffnete und spielte, ist für ihn seitdem «eine heilige Stadt». Es gehe auch um die Ver­ antwortung Europas für seine Kultur. «Deutschland, England, Frankreich, wir sind im vergangenen Jahrhundert durch die Hölle gegangen. So haben wir eine Mission, wir müssen vorwärts. Jeder trägt dabei sein Steinchen.» Aber nicht ins Museum. «Wir brauchen Oper live. Katharsis geht zu Hause nicht. Wenn du das Publikum spürst, bringt es dich dazu, mehr als dich selbst zu geben auf der Bühne. Das ist sexy, wirklich!» Er lacht wieder. Dann muss er los, zum Covid-Test für den nächsten Auftritt. Volker Hagedorn



Die geniale Stelle 35

Konservierte Bauern Ein Wort in Georg Büchners «Leonce und Lena»

Grosse Aufregung im Reiche Popo: Der Thronfolger ist verschwunden. Ausgerechnet an dem Tag, da seine Hochzeit mit Prinzessin Lena vom Reiche Pipi prunkvoll be­ gangen werden soll. Der junge Mann hat sich auf den Weg ins sonnige Italien gemacht, wo er ein interessanteres Leben zu finden hofft, als sein langweiliges Land ihm bieten kann. Auch die Prinzessin ist in die weite Welt geflohen, um etwas Besseres zu suchen, als eine vorgeschriebene Heirat. Aber so winzig ist die Welt, in die sie gezwängt sind, und so arm an Möglichkeiten, dass sie sich direkt in die Arme laufen. Sie verlieben sich ineinander und stehen am Ende ihres Abenteuers genau am Ausgangspunkt ihres Ausbruchsversuchs. Da es für alle Beteiligten ein langer und aufregender Tag gewesen ist, wird die Hochzeit auf den nächsten Tag verschoben. Und das Volk des Reiches Popo (an das sich der König zum Glück hin und wieder erinnert, weil er sich einen Knoten ins Schnupftuch geknüpft hat), das seit dem frühen Morgen angetreten ist, um dem Hohen Paar gebührend zuzujubeln, darf nach Hause gehen, um am nächsten Tag wieder brav anzutreten. Und man muss sagen, dass der Staat nicht Kosten noch Mühe gescheut hat, um diesen Tag für die Bauern zu einem gewinnbringenden zu machen: Der Schulmeister hat ihre Bildung durch Lateinunterricht gehoben – sie können nun «Vivat» rufen; und die Regierung hat ihnen Spiritus in grossen Mengen zur Verfügung gestellt, den sie an sich giessen konnten. Halt! Da stimmt was nicht! Nicht an, in sich giessen sie den Spiritus, wie es im Stücktext heisst. Allerdings nur in den ungenauen Ausgaben, die immer noch ver­ breitet werden. Denn Büchner hat, wie neuere Forschungen gezeigt haben, wirklich «an» geschrieben. Erst spätere Herausgeber haben die Stelle so «verbessert», wie man sie gemeinhin kennt. Aber was soll solche philologische Erbsenzählerei? Was tut es, ob da ein A oder ein I steht? Und überhaupt ist es doch einfach logisch, dass die Bauern sich mit Schnaps stärken, um sich viele Stunden lang vor dem Schlossportal aufrecht zu halten, wie es im Text heisst. Noch einmal: Halt! So heisst es eben nicht, sondern: «Sie giessen brav Spiritus an sich, sonst könnten sie sich in der Hitze unmöglich so lange halten.» Den Textver­ besserern ist anscheinend entgangen, dass die Änderung eines einzigen Buchstabens das grausige Bild zerstört, das dieser Satz malt: Die Bauern müssen auf Befehl des allergnädigsten Landesherren dafür sorgen, dass sie sich «halten», indem sie sich selbst in Spiritus einlegen (ein Verfahren, das dem Mediziner Büchner zweifellos wohlbe­ kannt war), damit sie trotz widrigster Umstände ihrer Jubelpflicht nachkommen können. Die Änderung eines einzigen Buchstabens lässt Büchners beissende Kritik an den Ungerechtigkeiten der Welt verschwinden, und an ihrer Stelle das allzu be­ kannte Klischeebild vom dummen und versoffenen Volk auftauchen, das bestenfalls als Objekt zynischer Witze taugt. Dem Autor des Woyzeck und des Hessischen Landboten war solch zynisches Denken vollkommen fremd. Der Impuls seines künstlerischen Schaffens war immer sein tiefes Mitgefühl mit den Erniedrigten und Beleidigten und sein Hass auf die Herrschenden, die von diesem Elend profitieren. Die wenigen poetischen Texte, die wir von Büchner haben, zeigen, mit welcher aussergewöhnlichen sprachlichen Präzision er seine Gedanken in Texte verwandeln konnte. Da ist jedes Wort, ja jeder Buchstabe exakt platziert, und gutgemeinte «Berich­ tigungen» können leicht zu Fälschungen geraten, wie in diesem Falle, wo das scheinbar falsche A direkt in das Zentrum von Büchners umstürzlerischer Weltanschauung führt. Werner Hintze


36 Blindtext


Blindtext 37

Primadonna assoluta des Belcanto Am 18. Oktober ist die grosse Sopranistin Edita Gruberova überraschend gestorben. Über Jahrzehnte hinweg war sie dem Opernhaus Zürich künstlerisch eng verbunden. Wir erinnern noch einmal an ihre Zürcher Produktionen, unter anderem mit einem Podcast, in dem sich Vesselina Kasarova im Gespräch mit Michael Küster an ihre gemeinsame Zeit mit dem verstorbenen Weltstar erinnert


Edita Gruberova in Zürich 1978 «Ariadne auf Naxos», Zerbinetta D: Ferdinand Leitner, R: Gunther Rennert Premiere: 9. Dezember 1980 «Liederabend»: 31. März 1981 «Lucio Silla», Giunia D: Nikolaus Harnoncourt, R: Jean-Pierre Ponnelle Premiere: 28. Februar «Il barbiere di Siviglia», Rosina Wiederaufnahme: 31. Dezember Amina in «La sonnambula» Vincenzo Bellini

1982 «Lucio Silla», Giunia Wiederaufnahme: 3. März 1986 «Die Fledermaus», Adele Wiederaufnahme: 6. September «Die Entführung aus dem Serail», Konstanze Wiederaufnahme: 29. November «I puritani», Elvira D: Nello Santi, R: Gilbert Deflo Premiere: 20. Dezember 1988 «Rigoletto», Gilda Wiederaufnahme: 10. März «La Fille du régiment», Marie D: Marcello Panni, R: Giancarlo del Monaco Premiere: 19. November 1989 «Lucia di Lammermoor», Lucia D: Ralf Weikert, R: Robert Carsen Premiere: 16. Dezember 1991 «La Fille du régiment», Marie Wiederaufnahme: 22. Februar «Lucia di Lammermoor», Lucia Wiederaufnahme: 27. April 1992 «Semiramide», Semiramide D: Nello Santi, R: Gian-Franco de Bosio Premiere: 2. Mai «Liederabend»: 15. Juni «Lucia di Lammermoor», Lucia Wiederaufnahme: 30. August «Die Entführung aus dem Serail», Konstanze Wiederaufnahme: 28. Februar 1993 «Ariadne auf Naxos», Zerbinetta D: Rafael Frühbeck de Burgos, R: Cesare Lievi Premiere: 13. Juni

Anna Bolena in «Anna Bolena» Gaetano Donizetti


Lucia in «Lucia di Lammermoor» Gaetano Donizetti Beatrice in «Beatrice di Tenda» Vincenzo Bellini

Alaide in «La straniera» Vincenzo Bellini


1994 «Lucia di Lammermoor», Lucia Wiederaufnahme: 19. Januar «Ariadne auf Naxos», Zerbinetta Wiederaufnahme: 26. März 1995 «Linda di Chamounix», Linda D: Adam Fischer, R: Daniel Schmid Premiere: 15. Januar «La Fille du régiment», Marie Wiederaufnahme: 7. Dezember 1996 «Ariadne auf Naxos», Zerbinetta Wiederaufnahme: 2. Mai «Linda di Chamounix», Linda Wiederaufnahme: 4. September «Liederabend»: 30. Dezember 1997 «Roberto Devereux», Elisabetta D: Marcello Viotti, R: Giancarlo del Monaco Premiere: 7. Juni «Linda di Chamounix», Linda Wiederaufnahme: 9. November 1998 «Roberto Devereux», Elisabetta Wiederaufnahme: 7. Juni «I puritani», Elvira D: Marcello Viotti, R: Grischa Asagaroff Premiere: 15. Novemver

Linda in «Linda di Chamounix» Gaetano Donizetti (hinten: Deon van der Walt)

1999 «Lucia di Lammermoor», Lucia Wiederaufnahme: 1. Dezember «I puritani», Elvira Wiederaufnahme: 4. Dezember 2000 «Anna Bolena», Anna Bolena D: Paolo Carignani R: Giancarlo del Monaco Premiere: 2. April «Liederabend»: 17. Januar

2002 «La sonnambula», Amina D: Marcello Viotti, R: Grischa Asagaroff Premiere: 19. Januar 2012 «Liederabend»: 11. Mai «Roberto Devereux», Elisabetta Wiederaufnahme: 28. September 2013 «La straniera», Alaide D: Fabio Luisi, R: Christof Loy Premiere: 23. Juni 2014 «Roberto Devereux», Elisabetta Wiederaufnahme: 27. Juni 2018 «Galakonzert zum 50. Bühnenjubiläum» D: Andriy Yurkevych 18. Februar

Elisabetta in «Roberto Devereux» Gaetano Donizetti

Fotos: Suzanne Schwiertz, Foto «La straniera»: Monika Rittershaus

2001 «Beatrice di Tenda», Beatrice D: Marcello Viotti, R: Daniel Schmid Premiere: 16. Juni «Beatrice di Tenda», Beatrice Wiederaufnahme: 7. Dezember


: dcast o P Im elina Vess über r ova Kasa dita E er ova b u r G Zwischenspiel Die neue Folge ist online.

Am Opernhaus Zürich hat Vesselina Kasarova in vielen Rollen auf der Bühne gestanden, hier wurde sie mit Mozart, Offenbach und Rossini gefeiert. Ganz am Anfang ihrer Zürcher Zeit sang sie die kleine Rolle der Alisa in «Lucia di Lammermoor» – an der Seite der grossen Edita Gruberova. Es war eine Begegnung, die Folgen haben sollte. Mit Michael Küster spricht Vesselina Kasarova über ihre sehr persönlichen Erinnerungen an die «Primadonna assoluta».

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Fragebogen 43

Ruben Drole Aus welcher Welt kommen Sie gerade? Tagsüber bin ich gerade sechs Wochen lang im Mittelmeer herumgeirrt, habe gegen Meeresmonster gekämpft, bin den sagenumwobenen Sirenen begegnet, habe einen einäugigen Riesen überlistet, mich mit Zauberinnen ab­ gegeben, habe Stürme überwunden und viele weitere Abenteuer erlebt. Abends ging ich dann immer nach Hause zu meiner Familie, wo die Abenteuer nicht minder aufregend waren. Auf was freuen Sie sich in der neuen Familienoper Die Odyssee? Auf das Publikum. Wer ist Odysseus? Wer das ist??? Puh, da muss ich etwas ausholen. Für mich ist Odysseus ein Anführer, ein König mit strenger Hand. Er ist aber auch liebender Ehemann und Vater. Ein Vorbild. Odysseus ist ein selbstbewusster und gleichzeitig selbstkritischer Mensch. Auch ein Zweifler. Immer auf der Suche nach Optimierung in jeglicher Hinsicht. Er ist ein Per­ fektionist. Er hat immer ein Ziel vor Augen, einen Gedanken im Hinterkopf. Er ist schlau, kalkulierend, manchmal vielleicht sogar ein bisschen manipulativ. Und hat doch das Herz am rechten Fleck. Er ist ein Typ mit Ecken und Kanten, mit harter Schale und weichem Kern, mit tausend Facetten. Treu und untreu zugleich. Er ist voller Widersprüche. Er ist aber stets bemüht. Es ist ihm nichts egal. Kurz: Odysseus ist ein Mensch. Ein Mensch mit hohen Idealen und vielen Fehlern. Mir persönlich ist er sehr sympathisch. Und ich freue mich riesig, ihn in unserer neuen Familienoper verkörpern zu dürfen. Welche CD hören Sie immer wieder? Die Gutenacht-Geschichten meiner Kinder. Man glaubt es kaum, wie oft sie dieselbe CD hören können… Wollt ihr nicht mal etwas anderes hören? Die Antwort: Nein Papi, die CD ist gut!

Welchen überflüssigen Gegenstand in Ihrer Wohnung lieben Sie am meisten? Wenn ich etwas liebe, ist es für mich nicht überflüssig. Ich habe aber natürlich Gegenstände zu Hause, die ich nur zweimal im Jahr benutze: Erstens wäre da meine heissgeliebte Pastamaschine für meine Ravioli ai funghi porcini. Zweitens mein Fleischklopfer. Er ist für die Zubereitung der Wienerschnitzel unverzichtbar, genauso wie das Kilo Butterschmalz! Was bringt Sie zum Lachen? Eine komische Situation. Ein lustiger Film. Ein guter Witz. Ur-menschliche Dinge. Meine Kinder! Unglaublich, welche Freude und Lebensenergie sie ausstrahlen können, bereits um 7 Uhr morgens! Welche Persönlichkeit würden Sie gerne einen Tag lang sein und warum? Ich bin nicht gut mit «Was wäre wenn»Fragen. Ich denke zu logisch und pragmatisch. So hat eben jeder seine Macken… Was müsste passieren, damit die Welt auch in 100 Jahren noch existiert? Ich weiss es nicht. Ich glaube aber, dass sie noch existieren wird. Die Frage ist mehr, in welcher Form. Deshalb finde ich es wichtig, dass Themen wie Klima und Nachhaltigkeit in unseren Köpfen präsent sind. Dass ein Bewusstsein geschaffen wird. Und dass gehandelt wird, wo Handlungsbedarf existiert. Der Gedanke, dass wir unserem Planeten Sorge tragen müssen, ist fundamental.

Ruben Drole stammt aus Winterthur. Seit 2005 ist er Ensemblemitglied am Opernhaus Zürich. Hier sang er u.a. Mozarts Papageno, Figaro und Leporello. Zuletzt war er in Strawinskys «Geschichte vom Soldaten» zu erleben. In unserer neuen Familienoper singt er den Odysseus.


BERNHARD THEATER ZÜRICH

Weil Operetten an und für sich eine Über­­treibungs­form sind, sagen wir auch schon hier: So eine «Fledermaus» hat man noch nie gesehen, geschweige denn gehört. Tages-Anzeiger


Gastspiel 45

Die Fledermaus Ohne Geigen und Plüsch, dafür mit Bass, Gitarre und schrägen Rhythmen kommt im Bernhard Theater das berühmteste Werk von Johann Strauss auf die Büh­ne: «Die Fledermaus». Einen glanzvollen Auftritt haben die Ge­ schwister Pfister (Tobias Bonn und Christoph Marti) als über­sät­tig­tes Ehepaar Gabriel und Rosalinde. Wei­tere Stars der Produktion sind Max Gertsch, Gabrie­la Ryf­fel als Adele und Annette Lubosch als Orlof­­sky. Musik (Arrangements und Leitung: Kai Tietje) und Figuren (Regie: Ste­fan Huber) wirbeln wild durch sämtliche Epo­chen, von der Belle Époque bis zur Hippie-­Zeit. Zürich-Premiere: 11 Dez 2021 Weitere Vorstellungen: 12, 15, 16, 17, 18, 19, 22, 23, 26, 28, 29, 30, 31 Dez 2021; 5, 6, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 14, 15 Jan 2022, Bernhard Theater


46 Gatspiel Bernhard Theater

Nach zweieinhalb Stunden ist Schluss und man fühlt sich so berauscht, als hätte man selber bei dieser grossen Sause mit­ge­macht und nicht nur in der Pause genüsslich an einem Gläschen «Schampus» genippt. Winterthurer Zeitung


Fotos: Michael Bigler

Präzise wie ein Uhrwerk ist das, die Choreografie zum Schreien komisch, und hoch­mu­sikalisch ist die Band arrangiert von Kai Tietje, dem musikalischen Leiter der Komischen Oper Berlin. Neue Zürcher Zeitung


48 Auf der Couch

Heinrich VIII.

Wenn ihn NiccolÒ Machiavelli gekannt hätte, hätte sich Heinrich VIII. so gut als Vorbild für den skrupellosen Machtmen­ schen geeignet wie Cesare Borgia, dem der florentinische Autor in seinem Buch Il Principe ein Denkmal setzte. Um die er­ oberte Romagna zu befrieden, gab Ce­sare Borgia einem seiner Anführer umfassende Vollmachten, Ordnung zu schaffen. Dann machte er sich auf Reisen, während sein Stellvertreter köpfen und hängen liess, bis Ruhe war. Nach seiner Rückkehr liess Ce­ sa­re den Mann hinrichten. Er sei ein Hoch­ verräter und habe seine Voll­mach­ten miss­ braucht. So hatte er eine befriede­te Pro­ vinz und den Ruf des gütigen Herrschers. Auch Heinrich VIII. hatte nach dem Tod seines Vaters die beiden wichtigsten und unbeliebtesten Minister des alten Kö­nigs, Richard Empson und Edmund Dudley, hinrichten lassen. Er gab ihnen die Schuld für die tyrannische Finanzpo­ litik seines Vaters. Zweifellos ein begabter Macht­mensch, war für Heinrich Bildung nicht mehr Sache von Priestern. Er folgte dem Idealbild des uomo universale, be­ herrschte mehrere Fremdsprachen, korres­ pondierte in fliessendem Latein mit Eras­ mus von Rotterdam, war ein guter Rei­ter

und Sieger in zahlreichen Turnieren (die er inkognito absolvierte, weil es sich nicht ziemte, einen König aus dem Sattel zu stossen). Der König hatte sich in Anne Boleyn verliebt, die sich von anderen Hof­ damen durch ihre scharfe Intelligenz un­ terschied, genau wusste, was sie wollte und so den Respekt Heinrichs gewann, dessen grandioses Selbstgefühl eine Niederlage nicht duldete. Anne erwiderte die Liebe des Königs, aber sie stellte Bedingungen: sie wollte keine Maitresse, sie wollte Königin sein! Dazu musste Heinrichs Ehe mit der spani­ schen Prinzessin Katharina annulliert werden, die Heinrich unbequem war, weil sie ihm keinen männlichen Erben geboren hatte. Der Papst stellte sich quer. Aber ein verliebtes Paar erhebt sich über den Rest der Welt. Wir wissen nicht, wie viel an Hein­richs Entschluss, sich selbst als kirch­ liches Oberhaupt an die Stelle des Papstes zu setzen, politischen Strömungen, wie viel seiner Verliebtheit in Anne geschuldet war. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war es für weltliche Herrscher durchaus attrak­tiv, das Joch der geistlichen Oberherrschaft durch den Papst (und die damit verbunde­ne Steuer­pflicht nach Rom) abzuschütteln.

Heinrichs grosser Schritt führte die beiden nicht in eine glückliche, ja nicht einmal in eine erträgliche Ehe. Annes erste Schwan­ gerschaft war eine Tochter, Elisabeth, die spätere (und hochbegabte) «jungfräuliche Königin», nach der ein ganzes Zeitalter der englischen Geschichte benannt ist. Die folgenden Kinder starben kurz nach der Geburt; verantwortlich war wohl eine Unverträglichkeit in den Blutgruppen. Am Hof machte sich Anne Feinde. Neid wird seine Rolle gespielt haben, Standesdünkel, Groll der «römischen» Fraktion. Anne Boleyn hatte Heinrich bei einem Teil des Volkes unbeliebt gemacht. Sie hatte ihm keinen Sohn geschenkt. Sie hatte das grenzenlose Ego des Königs he­rausgefordert, als sie ihn zwang, ihret­ wegen mit der römischen Kirche zu bre­ chen. Als sie ihn enttäuschte, war auch die Liebe zu Ende. 1536, im Jahr der Hinrichtung An­ nes, überlebte Heinrich mit knapper Not und schwer verletzt einen Turnier­unfall. Nach diesem schicksalshaften Jahr ging es mit Heinrichs Gesundheit bergab; er be­ wegte sich zu wenig und ass zu viel. Bei sei­nem Tod elf Jahre später wog er 160 Kilo.

Illustration: Anita Allemann

aus Gaetano Donizettis Oper «Anna Bolena» von Wolfgang Schmidbauer


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