ARABELLA
R ICHAR D STR AUSS
Der neue Audi A5 Sportback Liebe auf den ersten Blick
Mit neuen Elementen in der Designsprache vereint der Fünftürer emotional-sportliche Coupé-Proportionen mit exklusiver Ausstattung: richtungsweisende Technologien wie ein multifunktionales Infotainment-System, Matrix LED-Scheinwerfer und vieles mehr.
Jetzt bei uns live erleben
ARABELLA RICHARD STRAUSS (1864-1949)
Partner Opernhaus Zürich
ab
Mir ist ja, wie wenn eine Angst mich ßberfiele – und eine Sehnsucht... ja, nach was denn auf der Welt. Arabella, 1. Aufzug
HANDLUNG Erster Aufzug Die Familie des Grafen Waldner steht wegen dessen Spielsucht am Rande des finanziellen Ruins. Die Schuldner im Nacken, lebt sie bereits in einem Wiener Hotel. Die Eltern setzen ihre ganze Hoffnung in die ältere Tochter Arabella, die sie möglichst rasch geldkräftig verheiraten wollen. Die jüngere Tochter Zdenka wird unter dem Namen Zdenko in der Öffentlichkeit als Junge ausgegeben, da das Geld für die standesgemässe Ausstattung von zwei Töchtern fehlt. Während Mutter Adelaide von einer Kartenaufschlägerin erfährt, dass Ara bella zwar ein reicher Bräutigam bestimmt ist, die Verbindung aber durch die jüngere Schwester in Gefahr gerät, hat Graf Waldner seinerseits die Initiative ergriffen und einem alten, steinreichen Regimentskameraden geschrieben, dem er ein Bild von Arabella übermittelt hat. Arabella ist umringt von Verehrern, darunter die drei Grafen Elemer, Domi nik und Lamoral, die um ihre Gunst wetteifern. Auch der mittellose Offizier Matteo, mit dem Arabella eine kurze Liaison hatte, brennt nach wie vor für sie. Arabellas kaltes Benehmen ihm gegenüber verwirrt ihn, erhält er doch seit ge raumer Zeit glühende Liebesbriefe von ihr. Matteo ahnt nicht, dass die Briefe in Wirklichkeit von Zdenka stammen, die sich in ihn verliebt hat, sich ihm gegen über jedoch als Bruder Arabellas und sein Verbündeter ausgibt. Arabella, die keine tieferen Gefühle für ihre Verehrer empfindet, führt vorerst keine Entschei dung herbei. Hingegen erzählt sie Zdenka von einem fremden Mann, den sie in der Nähe des Hotels gesehen und dessen Blick sie zutiefst getroffen habe. Bei Graf Waldner meldet sich ein gewisser Mandryka an. Es ist der Neffe und Erbe von Waldners mittlerweile verstorbenem Regimentskamerad und der Fremde, dessen Blick Arabella so seltsam berührte. Mandryka hatte den Brief an seinen Onkel geöffnet und sich auf der Stelle in Arabellas Bild verliebt. Er ist aus dem fernen Kroatien nach Wien angereist, um bei Graf Waldner um die Hand von Arabella anzuhalten. Waldners Einverständnis ist ihm sicher, zumal
7
er ihm fürs Erste aus dessen peinlicher Geldverlegenheit geholfen hat. Nur allzu gerne ist Waldner bereit, Mandryka seine Tochter abends auf dem Fiaker ball vorzustellen. Während Arabella auf Zdenka wartet, kreisen ihre Gedanken um ihre Zu kunft und ihre sehr unterschiedlichen Gefühle für Elemer, Matteo und den ihr unbekannten Mann.
Zweiter Aufzug Das erste Zusammentreffen von Arabella und Mandryka am Ball bringt eine rasche Entscheidung. Arabella und Mandryka fühlen, dass sie füreinander be stimmt sind. Mandryka erzählt Arabella von einem alten Brauch in seiner Hei mat, wonach ein Mädchen zum Zeichen der Verlobung ihrem Bräutigam ein Glas Wasser vom Brunnen reiche. Sie schwören sich ewige Verbundenheit. Arabella will sich in der folgenden Stunde von den drei Grafen verabschie den, die sie durch die Fiaker-Milli zur Ballkönigin krönen. Matteo verzweifelt an Arabellas Ignoranz und will fortgehen, um sie zu vergessen. Zdenka folgt ihm und überreicht ihm anstatt des versprochenen Briefes einen Umschlag mit dem Schlüssel zu Arabellas Zimmer. Dort will ihn Zdenka – verkleidet als Arabella – im Dunkeln erwarten. Mandryka hat die Unterhaltung der beiden zufällig gehört und fühlt sich hintergangen. Als er erfährt, dass Arabella den Ball verlassen habe und zum Hotel zurückgekehrt sei, sieht er seinen Verdacht bestätigt. Er verliert die Be herrschung und bändelt mit der Fiaker-Milli an. Die Stimmung auf dem Ball wird zunehmend ausgelassener. Von Adelaide zur Rede gestellt, gibt sich Man dryka zynisch. Graf Waldner baut darauf, das Missverständnis sofort aufklären zu können und im Hotel von Arabella zu erfahren, was vorgefallen ist.
8
Dritter Aufzug Arabella kehrt in den frühen Morgenstunden vom Ball zurück. Sie trifft auf Matteo, der fassungslos ist, sie in der Hotelhalle zu sehen, lag er doch gerade eben noch in ihren Armen. Arabella wiederum versteht sein Benehmen und seine anzüglichen Bemerkungen nicht – es kommt zu einer heftigen Auseinander setzung. In diesem Moment erscheinen Arabellas Eltern, gefolgt von Mandryka. Dieser fühlt sich in seinem Verdacht bestätigt, als er Arabella mit Matteo antrifft. Obwohl sich Arabella keinerlei Schuld bewusst ist, scheint die Situation eindeutig gegen sie zu sprechen. Auch Matteos Reaktionen tragen nichts zur Klärung bei. Die Situation eskaliert, und es kommt beinahe zum Duell. Erst als Zdenka hineinstürzt und sich als Frau zu erkennen gibt, klärt sich das Missver ständnis auf. Mandryka ist zutiefst beschämt und hält für den völlig überfor derten Matteo um Zdenkas Hand an. Arabella zieht sich auf ihr Zimmer zurück. Mandryka ist verzweifelt und glaubt, Arabella für immer verloren zu haben. Doch Arabella kommt zu seiner Überraschung zurück und reicht ihm das Glas Wasser, so wie es in seinem Dorf Brauch ist. Die Liebenden sind nun «Verlobte und Verbundene auf Leid und Freud und Wehtun und Verzeihn».
9
GEBROCHENE WALZER Regisseur Robert Carsen über seine Sicht auf die Oper «Arabella» Robert, du setzt dich schon lange mit den Werken von Richard Strauss auseinander: 1999 hast du Die Frau ohne Schatten an der Wiener Staatsoper inszeniert, dann folgten 2004 Der Rosenkavalier in Salzburg und Capriccio in Paris, 2005 Elektra in Tokio, Salome in Turin sowie Ariadne auf Naxos in München. Einige seiner Opern hast du sogar mehrfach inszeniert. Was verbindet dich mit diesem Komponisten? Strauss ist ein brillanter, ja begnadeter Komponist, das steht für mich ausser Frage. Aber ich muss gestehen, dass mich an seinen Bühnenwerken zunächst einmal die Libretti faszinieren, darunter besonders diejenigen von Hugo von Hofmannsthal. Er war der ideale Partner für Strauss und half ihm mit seinen Stoffen, Strauss’ gigantisches Vorbild Richard Wagner und dessen Opern zu überwinden und einen eigenen Weg zu gehen. Hofmannsthal hatte ein grosses Selbstbewusstsein als Dichter und betrachtete seine Libretti als eigenständige Texte. Strauss wusste, wie viel er ihm zu verdanken hatte. Als Hofmannstahl während der Arbeit an Arabella überraschend starb, muss das ein sehr grosser Schock für Strauss gewesen sein. Was ist für dich das Besondere an Hofmannsthals Libretti? Hofmannsthal war ein wacher und hochsensibler Künstler, der sehr genau spürte, was um ihn herum geschah. Seine Texte widerspiegeln auf eine sehr besondere Weise den Zeitgeist. Das gilt selbst für Stoffe, die im 18. Jahrhundert spielen wie der Rosenkavalier, oder bei den alten Griechen wie Elektra. Die Geschichten sind eng mit ihrer Entstehungszeit verbunden und erzählen viel über die damalige Wiener Gesellschaft. Sowohl im Rosenkavalier wie auch in Arabella werden die Unterschiede der sozialen Klassen thematisiert, der Graben zwischen der Aristokratie und dem verarmten Adel, der versucht, wieder zu Geld zu kommen, wie wir es bei Ochs auf
12
Lerchenau im Rosenkavalier oder bei Graf Waldner in der Arabella beobach ten können. Und es gibt den Aufstieg der Neureichen, verkörpert durch Faninal oder Mandryka. Das sind Dinge, die uns auch heute nicht fremd sind. Geld und Besitz sind zentrale Themen in Arabella. Der Vater Waldner hat durch seine Spielsucht das Vermögen der Familie durchgebracht, nun soll die ältere Tochter Arabella geldkräftig verheiratet werden, während die jüngere Schwester Zdenka aus Kostengründen als Junge aufgezogen wird. Das ist ein klassischer Operettenstoff, könnte man meinen. Ja. Aber das Stück ist vertrackter. Strauss selbst bezeichnet Arabella im Untertitel als «Lyrische Komödie». Arabella ist eine soziale Komödie, in der die Form im Vergleich zum Inhalt äusserst elaboriert ist. Da gibt es zum einen diese unglaublich komplexe, emotionale Musik, die dem Stück eine existen zielle Grundierung gibt; es geht ums finanzielle Überleben und um grosse innere Seelennöte. In ihrer Angespanntheit ist die Partitur durchaus vergleich bar mit früheren Werken wie Salome oder Elektra. Zum anderen ist auch Hofmannsthals Libretto alles andere als oberflächlich und keinesfalls SchwarzWeiss gezeichnet, sondern mit unzähligen Zwischentönen und Ambivalenzen. Da gilt es, genau hinzuschauen. Als ich den Rosenkavalier 2004 in Salzburg und später in London und New York machte, waren solche Details im Libretto für mich von grosser Bedeutung. War die Hauptfigur in einem ersten Entwurf die Prinzessin Marie Theres von und zu Werdenberg, machte sie Hofmannsthal zu einem späteren Zeitpunkt zur Ehefrau des Feldmarschalls, des Obersten der österreichischen Armee, der nicht einmal auftritt. Faninal wiederum bekam das Attribut eines Waffenhändlers. Das sind zwar Dinge, die für die eigentliche Geschichte völlig irrelevant sind, aber dem Werk doch einen eigenen Stempel aufdrücken. Sie sind eng mit der militärischen Situation der damaligen Zeit verknüpft. Hofmannsthal starb 1929. Danach veränderte sich die Welt schlagartig. Strauss vollendete Arabella im Oktober 1932, die Uraufführung fand im Juli 1933 in Dresden statt. Spielt dieser gesellschaftlich-historische Hintergrund für deine Inszenierung eine Rolle?
13
Ja. Das alles kann ich bei diesem Werk nicht ausblenden. Ein halbes Jahr vor der Uraufführung wurde Adolf Hitler Reichskanzler. Noch im selben Jahr übernahm Strauss den neugeschaffenen Posten des Präsidenten der Reichs musikkammer. Der Dresdner Generalmusikdirektor Fritz Busch, der die Uraufführung hätte dirigieren sollen, wurde wegen seiner Solidarität zu jüdischen Künstlern aus dem Amt gejagt, wie auch der damalige Intendant der Oper, Alfred Reucker. Ihnen beiden widmete Strauss zuvor seine Oper, erlaubte dann aber Clemens Krauss, an Buschs Stelle die Premiere zu dirigieren. Strauss’ Verknüpfung mit den Machthabern des NS-Regimes war problematisch, das bleibt ein Fakt. Der Nationalsozialismus war um 1933 in Deutschland bereits vorherrschend, in Österreich gab es 1934 mit dem Juliputsch bereits einen nationalsozialistischen Umsturzversuch, der zwar noch scheiterte, doch dann erfolgte 1938 der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. In diesem Wien von 1938 spielt auch meine Inszenierung. Hofmannsthal war ein Seismograph und hat gespürt, was in der Luft lag. Seine Arabella-Figuren reden übrigens explizit von Juden oder Zigeunern, und man stolpert über das nationalistische Gebaren von Arabellas auftrumpfendem Verehrer Elemer, der Mandryka abschätzig einen Wallachen nennt. Das Wien der Arabella ist jedenfalls nicht mehr das Wien des Rosenkava liers. Hofmannsthal meinte, es sei ein «gefährliches Wien» und käme, auch wenn die Handlung um 1860 spiele, ihrer eigenen Zeit schon sehr nahe. Arabellas Mutter Adelaide beklagt sich ja auch ständig über dieses schreckliche Wien, das «Wien der Médisance und der Intrige». In diesem Stück ist der Verfall deutlich spürbar. Es gibt keine Stabilität, auch musikalisch. Das machen auch gleich die Anfangstakte der Oper deutlich: fallende Linien, die sich durchs ganze Stück ziehen. Auch gibt es keine ungetrübte Walzerseligkeit mehr: Die Walzer erscheinen wie gebrochen, ja sie klingen zuweilen fast grob, gewalttätig. Die Figuren stehen immer mit einem Bein am Rande des Abgrundes, alle sind leicht überspannt und neurotisch. Auch das Hotel als Spielort ist eine Metapher
14
für Instabilität: Die Familie Waldner hat kein Geld mehr, sie musste ihr eigenes Haus offenbar verkaufen und lebt nun in einem Hotel, einer Durchgangs station. Alles ist temporär und spielt sich in einem öffentlichen Raum ab. Auch dieses ewige Kommen und Gehen der Personen – diese kurzen Szenen geben der Oper insgesamt einen fragmentierten Anstrich. Gleichzeitig gibt es natürlich auch diesen lustspielhaften Ton sowie Figuren, die in ihrem über triebenen Verhalten eine groteske Lächerlichkeit an den Tag legen. Wie machen sich denn die beiden Hauptfiguren Arabella und Mandryka in diesem Umfeld aus? Es sind beides Menschen, die in diese Welt, die Hofmannsthal hier beschreibt, nicht wirklich hineinpassen. Mandryka kommt von weither, aus Slawonien, der östlichsten Ecke Kroatiens, und fühlt sich in Wien wie ein Fremdkörper. Arabella, die einst eine Affäre mit Matteo hatte und nun von ihren drei oberflächlichen Verehrern bedrängt wird, erträumt sich mit dem «Richtigen» jemanden, der sich von ihnen absetzt. Arabella steht sehr unter Druck. Ist Mandryka für Arabella auch eine Art Fluchtpunkt innerhalb dieser Gesellschaft? Fast eine Erlöserfigur? Soweit würde ich nicht gehen. Zunächst ist sie einfach etwas gar romantisch in ihrer Sehnsucht, dass der «Richtige» eines Tages vor ihr stehen werde. Sie projiziert anfangs ihre ganzen Wünsche in Mandryka, sie idealisiert ihn. Ein Erwartungsträger, dessen Eigenleben vorerst nicht gefragt ist. Mandryka aber ist nicht einfach der klassische Märchenprinz mit viel Geld und Besitz, sondern er hat viele Probleme und hat bereits einiges erlebt. Er ist ein sehr einnehmender, charmanter Mann, aber es gibt auch diese dunkle Seite an ihm. Er hat ein aufbrausendes Temperament, wird schnell eifersüchtig und ist durchaus narzisstisch. Arabella erkennt im Laufe der Geschich te, dass es den «Richtigen» im wirklichen Leben nicht geben kann, und gewinnt am Ende eine sehr realistische Sicht auf Mandryka. Das Missverständ nis mit dem Schlüssel im zweiten und dritten Akt, das ihre Beziehung um ein Haar zerstört hätte, führt Arabella und Mandryka jedoch zu einem tieferen gegenseitigen Verständnis. Liebe zu einem anderen Menschen bedeutet eben,
15
mehr über sich selbst zu erfahren und den anderen mit all seinen Schwächen zu akzeptieren. Es ist bemerkenswert, dass Arabella am Ende der Oper bei ihrem Liebesgelübde zunächst die negativen Punkte (über die sie sich zuvor nie Gedanken gemacht hätte) erwähnt, bevor sie zu den positiven Aspekten kommt: «Und so sind wir Verlobte und Verbundene / auf Leid und Freud und Wehtun und Verzeihn!» Diese Oper ist wirklich kein Märchen. Wenn Mandryka an Arabellas Treue zweifelt, wenn er zynisch und übergriffig wird, würde man Arabella aber doch fast raten, die Finger von ihm zu lassen. Er liess sich durch das kleine Missverständnis mit dem Schlüssel auf dem Ball zu einem Eifersuchtsausbruch hinreissen, wurde roh und ordinär, das stimmt. Er hatte kein Vertrauen in sie und hätte sofort merken müssen, dass die Episode mit dem Schlüssel ein Irrtum war. Mandryka hätte Arabella so gut einschätzen müssen, dass sie ihn nie so leichtfertig aufgegeben hätte. Hier haben ihm seine eigene Eitelkeit und seine Unsicherheit einen Streich gespielt. Aber er ist am Schluss fähig, seinen Irrtum einzugestehen, und er reift an der Begegnung mit Arabella. Wir wissen natürlich nicht, wie es für die beiden in Zukunft weitergehen wird, da bleiben viele Fragezeichen. Für Mandryka dürfte es darum gehen, sensibler zu werden und mehr Verständnis für Arabella aufzubringen, während Arabella weniger anspruchsvoll und verwöhnt sein sollte. Der ganze Fokus lag ja in der Familie von Anfang an auf ihr, während ihre Schwester Zdenka völlig in Arabellas Schatten stand... Zdenka entspricht der Hauptfigur Lucidor in Hofmannsthals gleichna miger Novelle von 1910. Hofmannsthal und Strauss hegten von Anfang an eine besondere Liebe zur Figur der Zdenka. Auf der einen Seite ist die Rolle eine Referenz an Hosenrollen wie Cherubino, Octavian oder den Komponisten aus Ariadne, aber im Unterschied dazu handelt es sich hier wirklich um ein Mädchen in Verkleidung, das ist nochmals etwas komplexer. Zdenka ist leidenschaftlicher und impulsiver als Arabella und löst dadurch einiges aus. Indem sie durch ihr doppeltes Spiel Matteo gegenüber – dem sie in Arabellas Namen gefälschte Liebesbriefe schreibt –
16
und durch ihre verzweifelte Intrige mit dem Schlüssel alles zum Zusammen bruch bringt, erfolgt aber letztlich ein Befreiungsprozess für alle. Die Masken fallen. Zdenka findet den Mut und die Kraft, sich zu öffnen und zu ihrer wahren Natur zu stehen. In der Liebe kommt am Ende immer die Wahrheit ans Licht, das machen uns Hofmannsthal und Strauss deutlich. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass trotz der immensen Anstrengungen der Eltern nicht Arabella, sondern Zdenka diejenige ist, die ihre grosse Liebe als erste findet. Es ist sehr berührend, dass Arabella in diesem Moment voller Wertschätzung gegenüber ihrer hingebungsvollen Schwester ist: «Zdenkerl, du bist die Bessere von uns zweien. / Du hast das liebevollere Herz... / Ich dank dir schön, du gibst mir eine gute Lehre, / dass wir nichts wollen dürfen, nichts verlangen, / abwägen nicht und markten nicht und geizen nicht, / nur geben und liebhaben immerfort!» Vielleicht ist das ja auch der Kernsatz dieser Oper. Das Gespräch führte Kathrin Brunner
17
LUCIDOR Figuren zu einer ungeschriebenen Komödie Hugo von Hofmannsthal
Frau von Murska bewohnte zu Ende der siebziger Jahre in einem Hotel der inneren Stadt ein kleines Appartement. Sie führte einen nicht sehr bekannten, aber auch nicht ganz obskuren Adelsnamen; aus ihren Angaben war zu entneh men, dass ein Familiengut im russischen Teil Polens, das von Rechts wegen ihr und ihren Kindern gehörte, im Augenblick sequestriert oder sonst den recht mässigen Besitzern vorenthalten war. Ihre Lage schien geniert, aber wirklich nur für den Augenblick. Mit einer erwachsenen Tochter Arabella, einem halb erwachsenen Sohn Lucidor, und einer alten Kammerfrau bewohnten sie drei Schlafzimmer und einen Salon. [...] Sie hatte Briefe abgegeben, Besuche ge macht, und da sie eine unwahrscheinliche Menge von «Attachen» nach allen Richtungen hatte, so entstand ziemlich rasch eine Art von Salon. Es war einer jener etwas vagen Salons, die je nach der Strenge des Beurteilenden «möglich» oder «unmöglich» gefunden werden. Immerhin, Frau von Murska war alles, nur nicht vulgär und nicht langweilig, und die Tochter von einer noch ausgeprägte ren Distinktion in Wesen und Haltung und ausserordentlich schön. [...] Arabella war in ihren Augen ein Engel, Lucidor ein hartes kleines Ding ohne viel Herz. Arabella war tausendmal zu gut für diese Welt, und Lucidor passte ganz vorzüglich in diese Welt hinein. In Wirklichkeit war Arabella das Ebenbild ihres verstorbenen Vaters: eines stolzen, unzufriedenen und ungedul digen, sehr schönen Menschen, der leicht verachtete, aber seine Verachtung in einer ausgezeichneten Form verhüllte, von Männern respektiert oder beneidet und von vielen Frauen geliebt wurde und eines trockenen Gemütes war. Der kleine Lucidor dagegen hatte nichts als Herz. Aber ich will lieber gleich an die ser Stelle sagen, dass Lucidor kein junger Herr, sondern ein Mädchen war und Lucile hiess. Der Einfall, die jüngere Tochter für die Zeit des Wiener Aufenthal tes als «travesti» auftreten zu lassen, war, wie alle Einfälle der Frau von Murska,
20
blitzartig gekommen und hatte doch zugleich die kompliziertesten Hinter gründe und Verkettungen. [...] Es lebte sich leichter mit einer Tochter als mit zweien von nicht ganz gleichem Alter; denn die Mädchen waren immerhin fast vier Jahre auseinander; man kam so mit einem kleineren Aufwand durch. Dann war es eine noch bessere, noch richtigere Position für Arabella, die einzige Tochter zu sein als die ältere; und der recht hübsche kleine «Bruder», eine Art von Groom, gab dem schönen Wesen noch ein Relief. [...] Lucile nahm die Verkleidung hin, wie sie manches andere hingenommen hätte. Ihr Gemüt war geduldig, und auch das Absurdeste wird ganz leicht zur Gewohnheit. Zudem, da sie qualvoll schüchtern war, entzückte sie der Gedanke, niemals im Salon auftauchen und das heranwachsende Mädchen spielen zu müssen. [...] Natürlich blieb eine so schöne und in jedem Sinne gut aussehende junge Person wie Arabella nicht lange ohne einige mehr oder weniger erklärte Vereh rer. Unter diesen war Wladimir weitaus der bedeutendste. Er war unter allen, die sich mit Arabella beschäftigten, die einzige wirkliche «Partie». [...] Frau von Murska war mehr und mehr auf den Knien vor Wladimir. Ara bella machte das ungeduldig wie die meisten Haltungen ihrer Mutter, und fast unwillkürlich, obwohl sie Wladimir gern sah, fing sie an, mit einem seiner Riva len zu kokettieren, dem Herrn von Imfanger, einem netten und ganz eleganten Tiroler, halb Bauer, halb Gentilhomme, der als Partie aber nicht einmal in Frage kam. Als die Mutter einmal schüchterne Vorwürfe wagte, dass Arabella gegen Wladimir sich nicht so betrage, wie er ein Recht hätte, es zu erwarten, gab Ara bella eine abweisende Antwort, worin viel mehr Geringschätzung und Kälte gegen Wladimir pointiert war, als sie tatsächlich fühlte. Lucidor-Lucile war zu fällig zugegen. Das Blut schoss ihr zum Herzen und verliess wieder jäh das Herz. Ein schneidendes Gefühl durchzuckte sie: sie fühlte Angst, Zorn und Schmerz in einem. Über die Schwester erstaunte sie dumpf. Arabella war ihr immer fremd. In diesem Augenblick erschien sie ihr fast grausig, und sie hätte nicht sagen können, ob sie sie bewunderte oder hasste. Dann löste sich alles in ein schranken loses Leid. Sie ging hinaus und sperrte sich in ihr Zimmer. Wenn man ihr gesagt hätte, dass sie einfach Wladimir liebte, hätte sie es vielleicht nicht verstanden. Sie handelte, wie sie musste, automatisch, indessen ihr Tränen herunterliefen,
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben
21
deren wahren Sinn sie nicht verstand. Sie setzte sich hin und schrieb einen glühenden Liebesbrief an Wladimir. Aber nicht für sich, für Arabella. [...] Der Brief war, wie er nur denen gelingt, die an nichts denken und eigentlich ausser sich sind. Er dasavouierte Arabellas ganze Natur: aber das war ja, was er wollte, was er sollte. Er war sehr unwahrscheinlich, aber eben dadurch wieder in ge wisser Weise wahrscheinlich als der Ausdruck eines gewaltsamen inneren Um sturzes. Wenn Arabella tief und hingebend zu lieben vermocht hätte und sich dessen in einem jähen Durchbruch mit einem Schlage bewusst worden wäre, so hätte sie sich allenfalls so ausdrücken und mit dieser Kühnheit und glühenden Verachtung von sich selber, von der Arabella, die jedermann kannte, reden können. [...] Ich nehme hier vorweg, dass der Brief auch wirklich in Wladimirs Hände gelangte. [...] Ein Postskriptum war natürlich beigefügt: es enthielt die dringende, ja flehende Bitte, sich nicht zu erzürnen, wenn sich zunächst in Ara bellas Betragen weder gegen den Geliebten noch gegen andere auch nur die leiseste Veränderung würde wahrnehmen lassen. Auch er werde hoch und teuer gebeten, sich durch kein Wort, nicht einmal durch einen Blick, merken zu lassen, dass er sich zärtlich geliebt wisse. Es vergehen ein paar Tage, in denen Wladimir mit Arabella nur kurze Be gegnungen hat, und niemals unter vier Augen. Er begegnet ihr, wie sie es ver langt hat; sie begegnet ihm, wie sie es vorausgesagt hat. Er fühlt sich glücklich und unglücklich. Er weiss jetzt erst, wie gern er sie hat. Die Situation ist danach, ihn grenzenlos ungeduldig zu machen. Lucidor, mit dem er jetzt täglich reitet, in dessen Gesellschaft fast noch allein ihm wohl ist, merkt mit Entzücken und mit Schrecken die Veränderung im Wesen des Freundes, die wachsende heftige Ungeduld. [...] Jeden zweiten, dritten Tag geht jetzt ein Brief hin oder her. Wladimir hat glückliche Tage und Lucidor auch. [...] Das Wort von einer Doppelnatur Arabellas war niemals ausdrücklich ge fallen. Aber der Begriff ergab sich von selbst: die Arabella des Tages war ableh nend, kokett, präzis, selbstsicher, weltlich und trocken fast bis zum Exzess, die Arabella der Nacht, die bei einer Kerze an den Geliebten schrieb, war hingebend, sehnsüchtig fast ohne Grenzen. Zufällig oder gemäss dem Schicksal entsprach dies einer ganz geheimen Spaltung auch in Wladimirs Wesen. Auch er hatte, wie jedes beseelte Wesen, mehr oder minder seine Tag- und Nachtseite. [...]
22
Wäre die Arabella des Tages zufällig seine Frau gewesen oder seine Geliebte geworden, er wäre mit ihr immer ziemlich terre à terre geblieben und hätte sich selbst nie konzediert, den Phantasmen einer mit Willen unterdrückten Kinder zeit irgendwelchen Raum in seiner Existenz zu gönnen. An die im Dunklen Lebende dachte er in anderer Weise und schrieb ihr in anderer Weise. Was hätte Lucidor tun sollen, als der Freund begehrte, nur irgendein Mehr, ein lebendi geres Zeichen zu empfangen als diese Zeilen auf weissem Papier? Lucidor war allein mit seiner Bangigkeit, seiner Verworrenheit, seiner Liebe. Die Arabella des Tages half ihm nicht. Ja, es war, als spielte sie, von einem Dämon angetrieben, gerade gegen ihn. Je kälter, sprunghafter, weltlicher, koketter sie war, desto mehr erhoffte und erbat Wladimir von der anderen. Er bat so gut, dass Lucidor zu versagen nicht den Mut fand. Hätte er ihn gefunden, es hätte seiner zärtlichen Feder an der Wendung gefehlt, die Absage auszudrücken. Es kam eine Nacht, in der Wladimir denken durfte, von Arabella in Lucidors Zimmer empfangen worden zu sein. Es war Lucidor irgendwie gelungen, das Fenster nach der Kärntnerstrasse so völlig zu verdunkeln, dass man nicht die Hand vor den Augen sah. Dass man die Stimmen zum unhörbarsten Flüstern abdämpfen musste, war klar. [...]. Seltsam war, dass Arabella ihr schönes Haar in ein dichtes Tuch fest eingewunden trug und der Hand des Freundes sanft, aber bestimmt versagte, das Tuch zu lösen. Aber dies war fast das einzige, das sie versagte. Es gingen mehrere Nächte hin, die dieser Nacht nicht glichen, aber es folgte wieder eine, die ihr glich, und Wladimir war sehr glücklich. Vielleicht waren dies die glück lichsten Tage seines ganzen Lebens. Gegen Arabella, wenn er untertags mit ihr zusammen ist, gibt ihm die Sicherheit seines nächtlichen Glückes einen eigenen Ton. Er lernt eine besondere Lust darin finden, dass sie bei Tag so unbegreiflich anders ist; ihre Kraft über sich selber, dass sie niemals auch nur in einem Blick, einer Bewegung sich vergisst, hat etwas Bezauberndes. Er glaubt zu bemerken, dass sie von Woche zu Woche um so kälter gegen ihn ist, je zärtlicher sie sich in den Nächten gezeigt hat. [...] Arabella indessen, die wirkliche, hat sich gerade in diesen Wochen von Wladimir so entschieden abgewandt, dass er es von Stunde zu Stunde bemerken müsste, hätte er nicht den seltsamsten Antrieb, alles falsch zu deuten. Ohne dass er sich geradezu verrät, spürt sie zwischen sich und ihm ein Etwas, das früher
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben
23
nicht war. Sie hat sich immer mit ihm verstanden, sie versteht sich auch noch mit ihm; ihre Tagseiten sind einander homogen; sie könnten eine gute Vernunft ehe führen. Mit Herrn von Imfanger versteht sie sich nicht, aber er gefällt ihr. Dass Wladimir ihr in diesem Sinne nicht gefällt, spürt sie nun stärker. [...] Die Mutter ist in der qualvollsten Lage. Mehrere Auskunftsmittel versagen. Befreundete Personen lassen sie im Stich. Ein unter der Maske der Freundschaft angebotenes Darlehen wird rücksichtslos eingefordert. Die vehementen Ent schlüsse liegen Frau von Murska immer sehr nahe. Sie wird den Haushalt in Wien von einem Tag auf den andern auflösen, sich bei der Bekanntschaft brieflich verabschieden, irgendwo ein Asyl suchen, und wäre es auf dem sequestrierten Gut im Haus der Verwaltersfamilie. Arabella nimmt eine solche Entschliessung nicht angenehm auf, aber Verzweiflung liegt ihrer Natur ferne. Lucidor muss eine wahre, unbegrenzte Verzweiflung angstvoll in sich verschliessen. Es waren mehrere Nächte vergangen, ohne dass sie den Freund gerufen hätte. Sie wollte ihn diese Nacht wieder rufen. Das Gespräch abends zwischen Arabella und der Mutter, der Entschluss zur Abreise, die Unmöglichkeit, die Abreise zu verhin dern: dies alles trifft sie wie ein Keulenschlag. [...] Sie kann ihn diese Nacht nicht sehen. Sie fühlt, dass sie vor Scham, vor Angst und Verwirrung vergehen würde. Statt ihn in den Armen zu halten, schreibt sie an ihn, zum letztenmal. Es ist der demütigste, rührendste Brief, und nichts passt weniger zu ihm als der Name Arabella, womit sie ihn unterschreibt. Sie hat nie wirklich gehofft, seine Gattin zu werden. Auch kurze Jahre, ein Jahr als seine Geliebte mit ihm zu leben, wäre unendliches Glück. Aber auch das darf und kann nicht sein. Er soll nicht fragen, nicht in sie dringen, beschwört sie ihn. Soll morgen noch zu Besuch kommen, aber erst gegen Abend. Den übernächs ten Tag dann – sind sie vielleicht schon abgereist. Später einmal wird er vielleicht erfahren, begreifen, sie möchte hinzufügen: verzeihen, aber das Wort scheint ihr in Arabellas Mund zu unbegreiflich, so schreibt sie es nicht. Sie schläft wenig, steht früh auf, schickt den Brief durch den Lohndiener des Hotels an Wladimir. Der Vormittag vergeht mit Packen. [...] In ihrem Zimmer, zwischen Schachteln und Koffern, auf dem Boden ho ckend, gibt sie sich ganz der Verzweiflung hin. Da glaubt sie im Salon Wladimirs Stimme zu hören. Auf den Zehen schleicht sie hin und horcht. Es ist wirklich
24
Wladimir – mit Arabella, die mit ziemlich erhobenen Stimmen im sonderbarsten Dialog begriffen sind. Wladimir hat am Vormittag Arabellas geheimnisvollen Abschiedsbrief emp fangen. Nie hat etwas sein Herz so getroffen. Er fühlt, dass zwischen ihm und ihr etwas Dunkles stehe, aber nicht zwischen Herz und Herz. Er fühlt die Lie be und die Kraft in sich, es zu erfahren, zu begreifen, zu verzeihen, sei es, was es sei. Er hat die unvergleichliche Geliebte seiner Nächte zu lieb, um ohne sie zu leben. Seltsamerweise denkt er gar nicht an die wirkliche Arabella, fast kommt es ihm sonderbar vor, dass sie es sein wird, der er gegenüberzutreten hat, um sie zu beschwichtigen, aufzurichten, sie ganz und für immer zu gewinnen. [...] Wladimir ist verlegen, ergriffen und glühend. Arabella findet mehr und mehr, dass Herr von lmfanger recht habe, Wladimir einen sonderbaren Herrn zu finden. Wladimir, durch ihre Kühle aus der Fassung, bittet sie, nun endlich die Maske fallen zu lassen. Arabella weiss durchaus nicht, was sie fallen lassen soll. Wladimir wird zugleich zärtlich und zornig, eine Mischung, die Arabella so wenig goutiert, dass sie schliesslich aus dem Zimmer läuft und ihn allein stehen lässt. Wladimir in seiner masslosen Verblüffung ist um so näher daran, sie für verrückt zu halten, als sie ihm soeben angedeutet hat, sie halte ihn dafür und sei mit einem Dritten über diesen Punkt ganz einer Meinung. Wladimir würde in diesem Augenblick einen sehr ratlosen Monolog halten, wenn nicht die an dere Tür aufginge und die sonderbarste Erscheinung auf ihn zustürzte, ihn umschlänge, an ihm herunter zu Boden glitte. Es ist Lucidor, aber wieder nicht Lucidor, sondern Lucile, ein liebliches und in Tränen gebadetes Mädchen, in einem Morgenanzug Arabellas, das bubenhaft kurze Haar unter einem dichten Seidentuch verborgen. Es ist sein Freund und Vertrauter, und zugleich seine geheimnisvolle Freundin, seine Geliebte, seine Frau. Einen Dialog, wie der sich nun entwickelnde, kann das Leben hervorbringen und die Komödie nachzuah men versuchen, aber niemals die Erzählung. [...]
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben
Hofmannsthals 1910 in der Neuen Freien Presse erschienene Erzählung «Lucidor. Figuren zu einer ungeschriebenen Erzählung» enthält bereits Stoff und Charaktere der «Arabella»-Dichtung.
25
LYRISCHE INSELN ALS TÖNENDE GEGENWELTEN Musikalische Besonderheiten der «Arabella»-Partitur Ulrich Konrad
Arabella wartet in unergründlicher Haltung auf den ihr vom Schicksal bestimm ten «Richtigen». Richard Strauss hat für den musikalischen Ausdruck dieser Epiphanie-Erwartung, die im Duett Arabella/Zdenka im ersten Aufzug artiku liert wird, auf die südslawische Weise «Ljubomorna» aus dem ersten Band der Sammlung Južno-slovenske narodne popievke (Zagreb 1878) des kroatischen Volksmusikforschers Franjo Ksaver Kuhač (1834-1911) zurückgegriffen. Die wie aus weiter Ferne in die Partitur hereingeholte, in klarer F-Dur-Diatonik gestaltete Melodie verbreitet nicht allein die Atmosphäre des VolksliedhaftNatürlichen, sondern auch des Religiösen. Die säkulare Heilserwartung und die Emphase des «Richtigen» – ihm gegenüber gibt es keine Zweifel und Fragen, sein Kommen bringt Seligkeit und kindliche Gehorsamkeit ist die einzige Ant wort – fallen mit der seraphischen Musik in eins. Gleiches gilt für die zweite bekenntnishafte Offenbarung, das E-Dur-Duett Arabella/Mandryka im zweiten Aufzug. Der «Richtige» ist erkannt, ihm sich «auf Zeit und Ewigkeit» zu geben, gelobt Arabella, und wieder geschieht das mit einer aus der Volksmusik entlehn ten Weise: «Ono je moja djevojka» aus Kuhačs Sammlung. Strauss gestaltet diese lyrischen Inseln als tönende Gegenwelten: Die Einfachheit ihrer musikali schen Struktur soll die von Hofmannsthal als fundamentale Wahrheiten über die Beziehung von Mann und Frau gedachten Aussagen in einer Welt voller Un ordnung und falschem Schein verbürgen. Noch in weiteren Situationen inte griert Strauss liedhafte Elemente in die Partitur, hier überwiegend den Vorgaben Hofmannsthals folgend, der seinerseits aus dem Sammelwerk Volkslieder der
30
Slawen (Leipzig 1926) des tschechisch-deutschen Linguisten und Übersetzers Paul Eisner (1889-1958) wichtige Anregungen empfangen hatte. Als Mandryka bei Waldner im ersten Aufzug um Arabellas Hand anhält, berichtet er von seinem gutsherrlichen Leben und fällt dabei in einen naiv-balladesken Erzählton. In dieses liedhafte Gebilde übernimmt Strauss erneut eine neue Weise, die er in Kuhačs Sammlung gefunden hat (Vanjkušac). Nachdem Mandryka im zweiten Aufzug der angeblichen Untreue Arabellas gewahr geworden ist und das Ballge schehen in orgiastisches Treiben überzugehen beginnt, trägt er «zwischen Selbst verspottung und zornigen Tränen» eine kroatische Ballade vor, mit Reminiszen zen an seine früher gesungene Weise. In Erinnerung an die gerade vollzogene Verlobung sinnt Arabella zu Beginn des dritten Aufzugs dem Gespräch mit Mandryka nach – «vor sich hindenkend» reiht sie einfache Liedphrasen. Allen diesen Abschnitten eignet ein starker Zug zur Introversion; die sin genden Personen sind mit ihren Gefühlen und Gedanken ganz bei sich. Musika lische Extravertiertheit setzt Strauss dagegen mit der Ballmusik im zweiten Aufzug. Von strukturell konstitutiver Bedeutung ist hier der Walzer. In der ersten Phase der Handlung, dem «Verlobungsgespräch» zwischen Arabella und Mandryka, kennzeichnet die mehrmals aus dem Hintergrund in das vertrauliche Geschehen einbrechende Tanzmusik den Kontrast zwischen der intimen Ge fühlswelt und dem öffentlichen Festtrubel, zwischen Individuen und Kollektiv. Im Mittelteil des Aufzugs – Arabellas Abschied von der Mädchenzeit – trium phiert der Walzer als Musik für die Ballkönigin, eine Rolle, in der Arabella sich zum letzten Mal als Teil ihrer Herkunftsgesellschaft wahrnimmt (ein Nachklang in Form eines langsamen Walzers lässt sich am Beginn des dritten Aufzugs hören). Mit dieser Musik konkurriert die Schnellpolka. Sie gehört zum Milieu der Fiaker-Milli, einer als derbe Volkssängerin historisch verbürgten Figur, deren ursprüngliche Kontur aber auch deswegen kaum zu erkennen ist, weil Strauss darüber zur Entstehungszeit nicht informiert war (so schreibt er am 25. März 1942 an Clemens Krauss). Der Komponist hat die Partie einem Koloratursopran zugewiesen und damit deren Verständnis als einer Verwandten der Zerbinetta aus dem Ariadne-Vorspiel Vorschub geleistet. Dass die Fiaker-Milli als Gegen part zu Arabella in einem ähnlichen Verhältnis steht wie Zerbinetta zu Ariadne, trifft jedoch nur äusserlich zu, denn weder ist Arabella eine tragische noch die
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben
31
Fiaker-Milli eine raffinierte Komödienfigur. Wie auch immer: Sie fungiert als die öffentliche Stimme schlechthin, ist Sprachrohr der vox populi und verkörpert in ihrem exaltierten, dem Jodeln nachempfundenen Ziergesang die zunehmende Enthemmung der Ballgesellschaft. Wie in den vergangenen Opern investierte Strauss ein hohes Mass an schöpferischer Energie in die differenzierte Sprachbehandlung. Gegenüber der Ägyptischen Helena und deren sinfonisch stark verdichteten Stil bemühte sich der Komponist, mit hoher Variabilität zwischen allen Stufen rezitativisch-dekla matorischen Sprechsingens – sogar reinen Sprechens wie bei den dramatischen Verdichtungen im zweiten und dritten Aufzug – und strömender Kantabilität zu changieren. Darüber hinaus zielte Strauss auf eine dem gegenwartsnahen, unmythischen Stoff geschuldete höhere Fasslichkeit der musikalischen Gestal tung. Diese Absicht kommt unmittelbar beim Finale zum Tragen, das auf eine beinahe «linear» zu nennende Weise das schlichte Ritual des Verlobungstranks musikalisch erzählt und dann einen gemessenen hymnischen Aufschwung nimmt, aus dem der Hörer mit einer brillanten Stretta entlassen wird. Neben den «lyri schen Inseln» und der funktional stringent disponierten Tanzmusik dürften es vor allem die dominierende Gesangshaftigkeit und die transparente Textur des Tonsatzes sein, die zur dauerhaften Popularität dieser Komödie aus dem Geist der Spieloper entscheidend beigetragen haben.
32
MENSCHEN IM HOTEL Vicki Baum
Jeder wohnt hinter Doppeltüren und hat nur sein Spiegelbild im Ankleidespie gel zum Gefährten oder seinen Schatten an der Wand. In den Gängen streifen sie aneinander, in der Halle grüsst man sich, manchmal kommt ein kurzes Ge spräch zustande, aus den leeren Worten dieser Zeit kümmerlich zusammenge baut. Ein Blick, der auffliegt, gelangt nicht bis zu den Augen, er bleibt an den Kleidern hängen. Vielleicht kommt es vor, dass ein Tanz im gelben Pavillon zwei Körper nähert. Vielleicht schleicht nachts jemand aus seinem Zimmer in ein anderes. Das ist alles. Dahinter liegt eine abgrundtiefe Einsamkeit. In seinem Zimmer ist jeder allein mit seinem Ich, und kein Du lässt sich fassen oder halten. [...] Was im grossen Hotel erlebt wird, das sind keine runden, vollen, abgeschlos senen Schicksale. Es sind nur Bruchstücke, Fetzen, Teile; hinter den Türen wohnen Menschen, gleichgültige oder merkwürdige, Menschen im Aufstieg, Menschen im Niedergang; Glückseligkeiten und Katastrophen wohnen Wand an Wand. Die Drehtür dreht sich, und was zwischen Ankunft und Abreise erlebt wird, das ist nichts Ganzes.
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben
33
WIEN Für mich ist Wien ein sehr schwer erträglicher Ort ... Der jetzige Zustand ist nur für einen Fremden erträglich, für mich ist er versteinernd. Für Sie ist das ganze eine Theaterdekoration und spricht Ihnen von Dingen, die tot sind, aber das ist für Sie eine Charme mehr. Für mich ist fast alles furchtbar... Hugo von Hofmannsthal, Brief an Carl J. Burckhardt, 1926
Adelaide: O Baron – wir tanzen auf einem Vul can (will die Grafen vorstellen) – der Preusse – der Russe – sehen Sie, so ist Wien – jeder Fiaker vielleicht ein Graf, alles rätselhaft – wir schweben über einem Abgrund – après nous le déluge, der Preusse von links, der Russe von rechts – sie wer den uns verschlingen – aber wir werden ewig da sein – Arabella, Varianten, N 89, II
AUF DEM WEG ZU «ARABELLA» Auszug aus dem Briefwechsel zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal Die aussergewöhnliche künstlerische Partnerschaft von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal geht zurück auf das Jahr 1899, als sich Strauss und der zehn Jahre jüngere Hofmannsthal (geb. 1874) im Hause des Dichters Richard Dehmel in Berlin kennenlernten. Sie endete mit dem überraschenden Tod von Hofmannsthal im Jahr 1929 mitten in der Arbeit an «Arabella». In Dresden fand 1909 mit der Uraufführung der «Elektra» Strauss’ erste Vertonung eines Textes von Hof mannsthal statt. Die «Elektra» lag als Text bereits vor, Strauss bearbeitete das Stück selbst, wie er es mit der «Salome» von Oscar Wilde getan hatte. Hofmannsthal fügte auf Strauss’ Verlangen einige Szenen ein. In der Folge entstanden in gemein samer Zusammenarbeit (die nicht immer ganz reibungslos verlief), die Opern «Der Rosenkavalier» (1911), «Ariadne auf Naxos» (1912/16), «Die Frau ohne Schatten» (1919), «Die ägyptische Helena» (1928), «Arabella» (1933) sowie das Ballett «Josephslegende» (1914).
Lieber Dr. Strauss, Bad Aussee, 20. XI. 1927 [...] Die Figuren der neuen Musikkomödie tanzen mir fast zudringlich vor der Nase herum. Es sind die Geister, die ich Ihnen zulieb gefunden habe, jetzt werd ich sie nicht los. Die Komödie kann besser wie der «Rosenkavalier» werden. Die Figuren stehen überaus deutlich vor mir und sie kontrastieren sehr schön. [...] Herzlichst Ihr Hofmannsthal
Lieber Herr von Hofmannsthal, Wien, 18.12. 1927 Der lebendige Stoff, den Sie mir vorgestern erzählten, scheint noch nicht so
40
feste Gestalt angenommen zu haben, dass es nicht noch möglich wäre, einige Anregungen hierzu «verlautbaren» zu lassen und einige Bedenken auszuspre chen, die beim Vergleich mit dem «Rosenkavalier» mir aufsteigen. Soweit ich nach flüchtiger Kenntnis Ihres Entwurfes ein sachliches Urteil abgeben kann, scheinen Sie auch hier wieder in den Fehler zu verfallen, der Sie als zärtlicher Autor die Bühnenwirksamkeit des Ochs von Lerchenau überschätzen liess. [...] Ihr Kroate (selbst von so einem gastierenden Baritonbajazzo gemimt wie Schal japin!) lockt keine hundert Leute ins Theater... Mit schönstem Gruss Ihr Dr. Richard Strauss Lieber Dr.komplette Strauss, Rodaun, 22. XII. 27 Das Programmbuch [...] Die Hauptfigur ist eine weibliche, es ist Arabella, die ältere der beiden Schwestern. Es ist diesmal keine Frau, sondern ein junges Mädchen. Aber ein können Sie auf ganz reifes, wissendes, ihrer Kräfte und Gefahren bewusstes junges Mädchen, durchaus Herrin der Situation, also eigentlich soviel wie eine ganz junge Frau, www.opernhaus.ch/shop und eine durchaus moderne Figur. Und überhaupt ist dieser Typ von jungen Frauenwesen der, welcher jetzt interessiert, und man muss nicht die alten Mo oder am Vorstellungsabend im Foyer den mitmachen, sondern die neuen kreieren helfen, sonst ist man ein schlechter Schneider. [...] Dass ich aber einer Frauenfigur, wenn ich sie in die Mitte stelle, die Nuancen geben verstehe, die ihr den Rang als Hauptfigur verbürgen, das des zuOpernhauses erwerben müssen Sie mir nach Elektra und Marschallin, Ariadne, Färberin und Helena halt schon einmal zutrauen. Eine Hauptfigur schafft man nicht durch die Menge des Textes, nicht einmal bloss durch die Lebenszüge, die man ihr gibt, sondern vor allem durch die Stellung, die man ihr innerhalb des Stückes gibt. (...) Mit der Arabella nun steht es so, dass alle Figuren und die ganze Handlung sich um sie drehen. Sie ist der Liebling der Eltern, der Tenor, Matteo (gar keine kleine, son dern eine sehr hübsche richtige Liebhaberfigur) liebt sie, die jüngere Schwester ist ihre demütige Rivalin, die Grafen sind ihre Verehrer, von dem Ballakt und dem ganzen Stück ist sie die Königin, und zum Schluss heiratet sie noch den reichen Fremden wie im Märchen. [...] Nochmals alles Herzliche Hofmannsthal
41
Lieber Dr. Strauss, Rodaun, 13. VII. 28 Über das Sprachliche ein Wort. Im Reden der Figuren sehe ich die eigentliche dichterische Kreation. Wie sie reden, wie ihr Ton wechselt, wie ihre Diktion steigt und sinkt – darin ist mir das Mittel gegeben, die Charakteristik wahrhaft lebendig zu machen, alle sozialen Unterschiede, auch vieles kaum direkt Aus sprechbare zwischen den Figuren fühlen zu machen... Das Entscheidende ist, einen richtigen Ton fürs Ganze zu finden, einen gewissen Gesamtton, in dem das Ganze lebt... Der Ton der «Arabella» unterscheidet sich sehr von dem des «Rosenkavalier». Es ist beidemal Wien – aber welch ein Unterschied liegt dazwi schen – ein volles Jahrhundert! Das Wien unter Maria Theresia – und das Wien von 1866! Jenes Wien des XVIII. Jahrhunderts tauche ich mit einer (übrigens völlig erfundenen) Sprache in eine zugleich pompöse und gemütliche Atmosphä re – die Atmosphäre der «Arabella», unserer Zeit schon sehr nahe, ist gewöhn licher, natürlicher, ordinärer. Den drei leichtfertig nach Frauen und Mädchen jagenden Grafen, dem ganzen zweifelhaften Milieu dieses kassierten Rittmeisters Waldner haftet etwas Ordinäres an, ein etwas ordinäres und gefährliches Wien umgibt diese Figuren – von diesem Grunde hebt sich die selbstverantwortliche mutige Arabella und die rührend haltlose Zdenka ab – vor allem aber ist dieses vergnügungssüchtig-frivole, schuldenmachende Wien eine Folie für Mandryka – ihn umgibt die Reinheit seiner Dörfer, seiner nie von der Axt berührten Eichen wälder, seiner alten Volkslieder – hier tritt die Weite des grossen halbslawischen Österreich herein in eine Wienerische Komödie und lässt eine ganz andere Luft einströmen, darum war ich entzückt, dass Ihr sicheres künstlerisches Gefühl in der Figur des Mandryka den Schlüssel des Ganzen empfindet... Herzlich Ihr Hofmannsthal
Lieber Freund! Garmisch, 23. 7. 1928 [...] Mandryka muss im Laufe des II. Aktes und dann weiter wirklich in seinem reinen Glauben an Arabella erschüttert werden. Darum darf erstens die Ab schiedsszene mit den drei Grafen nicht allzu harmlos verlaufen – und dann muss unbedingt Mandryka die Verabredung Zdenka-Matteo belauschen und hören, dass es der Schlüssel zu Arabellas Zimmer ist. Hierauf Eifersuchtsausbruch Man
42
drykas, der sich dann in einer Art von Verzweiflung in den Strudel des Wiener Balles wirft und unter der Wirkung des Champagners seinerseits eine richtige Liebesszene, vielleicht mit der Fiakermilli, hat. Während nun im III. Akt in der Matteoszene Arabella ernstlich schuldig erscheint und doch total unschuldig ist, fühlt sich Mandryka als treuloser Schuldiger, wenn auch entschuldbar, da ver führt durch Eifersucht und Liebesgefühle, die bei Gelegenheit der Verführun gen eines solchen Balles leicht den Gegenstand wechseln... [...] Aber das macht nichts! Der brave Marlittheld Mandryka hat dann auch seinen Klaps aus der feschen Wiener Stadt bekommen, und die hübsche, brave Arabella ist wirklich die liebenswürdige Idealfigur geworden, die Ihnen vor schwebt und steigt dann nicht ohne eine letzte kleine Prüfung (wenn sie ihrem künftigen Herrn Gemahl schon in der Stunde der Verlobung etwas verzeihen muss) ins provinzielle Ehebett. – Dies wäre so ziemlich alles, was ich persönlich aus dem Stoff herauszuholen für möglich halte, und ich habe, glaube ich, nichts erwähnt, was nicht im Stoff drin ist.... Der I. Akt ist gut (bis auf die Beziehungen zwischen Arabella und Matteo, falls Sie meinen Vorschlag annehmen wollen) und mag als reine Exposition passieren! Aber im II. Akt müssen Konflikte und Spannungen kommen, die jetzt voll kommen fehlen – das Ganze ist ein lyrisches Geplätscher –, damit im III. Akt eine wirkliche Explosion als befriedigende Lösung empfunden wird... Mit herzlichen Grüssen Ihr stets getreuer Dr. Richard Strauss
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Lieber Freund! Garmisch, 7. 11. 28 Ich habe den ersten Akt «Arabella» nach längerer Pause wieder mal gründlich vorgenommen, auch am Anfang mich komponierend versucht – aber die Sache will mir nicht zu klingen anfangen und offen gesagt: die Figuren interessieren mich gar nicht: weder der Kroate, dieses reiche, edle Seitenstück zum armen, verlumpten Ochs, noch vor allem die Hauptperson Arabella, die in den drei Akten auch nicht den geringsten seelischen Konflikt durchmacht... Alles ist schwächer und konventioneller als im «Rosenkavalier», wenn es Ihnen nicht noch gelingt, aus Arabella eine wirklich interessante Figur zu machen
43
wie unsre Marschallin, die letzten Endes den «Rosenkavalier» trägt – und sei es selbst, dass der III. Akt tragisch enden müsste – erschrecken Sie nicht! – ja, ja, vielleicht tragisch, in welcher Form Sie wollen... Es muss ja kein Lustspiel sein, besonders wenn es wie jetzt schon eigentlich gar nichts Komisches und Witziges enthält und alles eher nach der Tragikomödie zuneigt. Bitte erwägen Sie genau, ob der ganze Stoff (trotz Fiakerball) nicht eigentlich tragisch ist. Wie wärs, wenn der so temperamentvolle Mandryka in dem Moment, wo ihm Arabella als untreu vor Augen geführt wird, sich erschiesst und Arabella dem Sterbenden das «Glas Wasser» reicht? Wie wärs? Wie wärs? Es muss ja keine «komische Oper» sein! Viele herzliche Grüsse Ihres stets getreuen Dr. Richard Strauss
Lieber Dr. Strauss, Rodaun, 2. Juli 29 ...Ich habe mir für die Umarbeitung folgendes vorgesetzt: 1. die Figur der Arabella stärker in die Mitte zu stellen, ihr alles mögliche Relief zu geben, aber mit sanften, nicht scharfen Konturen. 2. das für den Komponisten Unannehm bare, das in der ersten Fassung des Aktes in der Aufeinanderfolge so vieler Szenen mit verschiedenem Tempo, verschiedener Zielrichtung, verschiedenem Stim mungsgehalt lag, verschwinden zu machen. Ich führe also die Szenen so, dass von Anfang an sich alles nur um Arabella und ihre Verlobung dreht – (Kartenauf schlägerin-Adelaide und Matteo-Zdenka), dann Arabella hereintritt und zwei grosse Szenen hat, eine mit ihrer Schwester (bezüglich Matteo), eine mit Elemer (dem sie weit mehr zuneigt als dem Matteo, und dem sie für den Ballabend eine Entscheidung in Aussicht stellt). Die genannten von Arabella beherrschten Sze nen erfüllen zwei Drittel des Aktes. Dann kommt die Szene Adelaide-Waldner (Notlage der Familie, Briefe Waldners an alte Kameraden) dann Waldner (allein eine Minute) und Mandryka-Waldner, sodann nur mehr eine blitzartige Szene Zdenka-Matteo, um die Briefsache für Akt II in Spannung zu stellen. Es beherrscht also musikalisch stimmungsmässig zuerst Arabella den Akt, dann ermöglicht sich eine kurze Überleitung auf Mandryka, sodann erfolgt dessen Besuch... Herzlich Ihr Hofmannsthal
44
Lieber Freund! Garmisch, 6. 7. 29 Seit Freitag hier, erhalte ich Ihren schönen Brief vom 2. und bin mit dem Ge samtplan des I. Aktes, wie Sie ihn mir darlegen, einverstanden bis auf eines: Arabella muss unbedingt den I. Akt schliessen mit einer längeren Arie, Monolog, Kontemplation, schon aus dramaturgischen Gründen: [...] Der bisherige Aktschluss der Arabella war auch viel zu kurz und ab rupt. Bei einer dreiaktigen Oper muss gerade der 1. Aktschluss sehr wirksam sein. [...] Ich warte mit Ungeduld als Ihr Sie herzlich grüssender Dr. Richard Strauss
Lieber Dr. Strauss, Rodaun, 10. VII. 29 auf einen solchen ruhigen contemplativen Schluss hatte ich es angelegt, war aber nicht sicher, es Ihnen damit recht zu machen. Daher, als Ihr Brief kam, war mir ein Stein vom Herzen. Es ist das Mögliche geschehen, insbesondere in der Szene der Schwestern, aus dem Dialogischen ins Lyrische überzugehen, mehrfach – sowohl Arabella allein, als die beiden Schwestern zusammen. Was ich im übrigen angestrebt habe, hat Ihnen ja mein letzter längerer Brief gesagt. Mit herzlichen Grüssen Ihr Hofmannsthal
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben [Telegramm] [Garmisch, 14. 7. 1929] Erster Akt ausgezeichnet. Herzlichen Dank und Glückwünsche. Treu ergeben Dr. Richard Strauss
Das Telegramm erreichte den Dichter nicht mehr: Hofmannsthal erlitt am 15. Juli auf dem Weg zum Begräbnis seines Sohnes Franz, der sich zwei Tage zuvor das Leben genommen hatte, einen tödlichen Schlaganfall. Als letzte Verbeugung vor seinem langjährigen Freund und künstlerischen Partner entschloss sich Strauss, «Arabella» in Hofmannsthals letzter vorliegender Fassung zu vertonen.
45
47
HITLERS AUFSTIEG Stefan Zweig
Eines Morgens wachten die Behörden auf und München war in Hitlers Hand, alle Amtsstellen besetzt, die Zeitungen mit dem Revolver gezwungen, die voll zogene Revolution triumphierend anzukündigen. Wie aus den Wolken, zu denen die ahnungslose Republik bloss träumerisch emporgeblickt, erschien der deus ex machina, General Ludendorff, dieser erste von vielen, die glaubten, Hitler überspielen zu können, und die stattdessen von ihm genarrt wurden. Vormittags begann der berühmte Putsch, der Deutschland erobern sollte, mittags war er bekanntlich bereits zu Ende. Hitler flüchtete und wurde bald verhaftet; damit schien die Bewegung erloschen. In diesem Jahr 1923 verschwanden die Haken kreuze, die Sturmtrupps und der Name Adolf Hitlers fiel beinahe in Vergessen heit zurück. Niemand dachte mehr an ihn als einen möglichen Machtfaktor. Erst nach ein paar Jahren tauchte er wieder auf, und nun trug ihn die aufbrausende Welle der Unzufriedenheit rasch hoch. Die Inflation, die Arbeitslosigkeit, die politischen Krisen und nicht zum mindesten die Torheit des Auslands hatten das deutsche Volk aufgewühlt; ein ungeheures Verlangen nach Ordnung war in allen Kreisen des deutschen Volkes, dem Ordnung von je mehr galt als Freiheit und Recht. Und wer Ordnung versprach, der hatte von Anbeginn Hunderttau sende hinter sich. Aber wir merkten noch immer nicht die Gefahr. Die wenigen unter den Schriftstellern, die sich wirklich die Mühe genommen hatten, Hitlers Buch zu lesen, spotteten, anstatt sich mit seinem Programm zu befassen, über die Schwülstigkeit seiner papiernen Prosa. Die grossen demokratischen Zeitungen – statt zu warnen – beruhigten tagtäglich von neuem ihre Leser, die Bewegung, die wirklich nur mühsam mit den Geldern der Schwerindustrie und verwegener Schuldenmacher ihre enorme Agitation finanzierte, müsse unvermeidlich mor gen oder übermorgen zusammenbrechen. Aber vielleicht ist im Ausland nie der eigentliche Grund verständlich gewesen, warum Deutschland die Person und die steigende Macht Hitlers in all diesen Jahren dermassen unterschätzte und
50
bagatellisierte: Deutschland ist nicht nur immer ein Klassenstaat gewesen, son dern innerhalb dieses Klassenideals ausserdem noch mit einer unerschütterlichen Überschätzung und Vergötterung der «Bildung» belastet. Abgesehen von eini gen Generälen blieben dort die hohen Stellen im Staat ausschliesslich den soge nannten akademisch Gebildeten vorbehalten; während in England ein Lloyd George, in Italien ein Garibaldi und Mussolini, in Frankreich ein Briand wirklich aus dem Volke zu den höchsten Staatsmännern aufgestiegen waren, galt es für den Deutschen als undenkbar, dass ein Mann, der nicht einmal die Bürgerschule zu Ende besucht, geschweige denn eine Hochschule absolviert, dass jemand, der in Männerheimen übernachtet und auf heute noch nicht aufgeklärte Weise jahrelang ein dunkles Leben gefristet, je einer Stellung sich auch nur nähern könnte, die ein Freiherr vom Stein, ein Bismarck, ein Fürst Bülow innegehabt. Nichts so sehr als dieser Bildungshochmut hat die deutschen Intellektuellen verleitet, in Hitler noch den Bierstubenagitator zu sehen, der nie ernstlich ge fährlich werden könnte, als er längst schon dank seiner unsichtbaren Drahtzie her sich mächtige Helfer in den verschiedensten Kreisen gewonnen. Und selbst als er an jenem Januartag 1933 Kanzler geworden war, betrachteten die grosse Menge und sogar diejenigen, die ihn an diesen Posten geschoben, ihn nur als provisorischen Platzhalter und die nationalsozialistische Herrschaft als Episode. Damals offenbarte sich die zynisch geniale Technik Hitlers zum ersten Mal in grossem Stil. Er hatte seit Jahren nach allen Seiten hin Versprechungen gemacht und bei allen Parteien wichtige Exponenten gewonnen, von denen jeder mein te, sich der mystischen Kräfte des unbekannten Soldaten für seine Zwecke be dienen zu können. Aber dieselbe Technik, die Hitler später in der grossen Poli tik geübt, Bündnisse mit Eid und deutscher Treuherzigkeit gerade mit jenen zu schliessen, die er vernichten und ausrotten wollte, feierte ihren ersten Triumph. So vollkommen wusste er nach allen Seiten hin durch Versprechungen zu täu schen, dass am Tage, da er zur Macht kam, Jubel in den allergegensätzlichsten Lagern herrschte. Dann kam der Reichstagsbrand, das Parlament verschwand, Göring liess seine Rotten los, mit einem Hieb war alles Recht in Deutschland zerschlagen.
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben
aus: Stefan Zweig, Die Welt von Gestern
51
EINE UNRÜHMLICHE LIAISON Die Verstrickung von Richard Strauss in den Nationalsozialismus Dominik Frank
Am Anfang stand die Widmung des neuen Werkes Arabella an die Leitung der Dresdner Oper, Generalmusikdirektor Fritz Busch und Generalintendant Alfred Reucker, ein Team, dem Strauss schon mehrere gelungene Uraufführungen verdankte. In der Vorbereitung schrieb Strauss am 23. September 1931 an Busch in Anspielung auf den erstarkenden Nationalsozialismus: «Gott sei Dank, dass Sie trotz der gräulichen ‹Kulturpest›, die jetzt auch noch über Deutschland hereingebrochen ist, noch guten Mutes u. arbeitsfreudig sind. Auch mir ist der Schreibtisch der einzige Tröster, wenn ich sehen muss, wie die glorreiche deut sche Republik langsam aber sicher auf das Niveau des Fussball spielenden u. boxenden England herabsinkt. […] Es lebe die Demokratie!» Busch und Reucker wurden jedoch im Frühjahr 1933, kurz nach der so genannten «Machtergreifung» und wenige Monate vor der geplanten ArabellaUraufführung, Opfer der ersten kulturpolitischen «Säuberungswelle» der Na tionalsozialisten. Wie Jürgen Schläder in seinen Recherchen zur Uraufführung in den Akten der Semperoper belegen konnte, wollte Busch die «künstlerischen Stellen in der Oper nach Fähigkeit und Leistung und nicht nach arischem Ge burtsausweis besetzen». Die Nationalsozialisten reagierten mit einem inszenier ten «Skandal»: Als Busch am 7. März 1933 für eine Rigoletto-Repertoire-Vor stellung den Orchestergraben betrat, wurde er von einem im Publikum platzierten SA-Mob niedergebrüllt, so dass die Aufführung nicht beginnen konnte. Busch verliess nach einigen Minuten den Graben und die Oper – er sollte sie nicht wieder betreten. Laut Vorstellungsbericht schlossen sich ihm zwei Orchestermusiker aus Solidarität an, die übrige Besetzung spielte die Ri-
54
goletto-Aufführung unter Leitung des Kapellmeisters Kutzschbach – ungestört. Am folgenden Tag wurde auch Generalintendant Reucker ohne Begründung seiner Geschäfte entbunden, fünf Tage später folgte eine Stellungnahme von Solist*innen des Hauses, in der GMD und Operndirektor Busch für «unfähig [befunden wurde], die Semperoper künstlerisch zu leiten». Mit Kurt Böhme (Graf Dominik), Margit Bokor (Zdenka), Ludwig Eybisch (Zimmerkellner), Martin Kremer (Matteo), Friedrich Plaschke (Graf Waldner) und Rudolf Schmalnauer (Djura) unterzeichneten auch sechs Solist*innen, die kurz darauf in der Arabella singen sollten. Nach diesen Vorgängen plante Fritz Busch, die ihm gewidmete Arabella in Buenos Aires uraufzuführen – ein Vorhaben, dem Strauss, vorsichtig ausge drückt, reserviert gegenüberstand. Und obwohl Strauss noch Ende März 1933 an Busch telegrafiert, dass die Dresdner Uraufführung am 1. Juli ohne diesen und Reucker «völlig ausgeschlossen» sei, gibt er schon am 10. April seine Zu stimmung, dass der Wiener Dirigent Clemens Krauss die Uraufführung dirigie ren und seine Partnerin Viorica Ursuleac die Titelrolle übernehmen sollten. Damit war die Traumbesetzung der späteren, für die NS-Kulturpolitik und Hitler persönlich als Vorzeige-Prestige-Projekt angelegten Neuformierung der Münchner Staatsoper gefunden: Strauss als Komponist, Krauss als GMD und Ursuleac als erste Sopranistin. Über die nun doch planmässig stattfindende, wenn auch künstlerisch völlig umbesetzte Uraufführung schrieben die Dresdner Nachrichten: «Das Ereignis […] hatte ein glänzendes Publikum im festlich mit den Reichsfarben und dem Hakenkreuz geschmückten Semperhause versam melt.» Seinen Meinungsumschwung komplettierte Strauss, als er im April 1935 das Arabella-Autograf dem «Reichsmarschall» Hermann Göring als Hochzeits geschenk überreichte. Richard Strauss war sicher kein Antisemit, wie allein seine enge und wertschätzende Zusammenarbeit mit den Librettisten Hugo von Hofmannsthal und Stefan Zweig zeigt. Trotzdem war für ihn die Kollaboration mit den Na tionalsozialisten nicht nur – wie später dargestellt – Zwang, sondern auch von ideologischer Überzeugung getragen: Einerseits schmeichelte die Hofierung der neuen Machthaber Strauss und seiner sehr grossen Selbstüberzeugung, andererseits ergab sich unter dem nationalsozialistischen Regime für Strauss die
55
Möglichkeit, seine elitären, proto-faschistischen Ideen in der Musikpolitik durchzusetzen. Diese Ideen, die er als Präsident der sogenannten «Reichsmu sikkammer» von 1933 bis 1935 zu verwirklichen suchte, gingen dabei sogar noch über das aus einer falschen Darwin-Interpretation abgeleitete Elite-Denken des NS hinaus. Strauss schwebte eine Verbesserung und Adelung der «deutschen Kunst» vor, was für ihn vor allem aus einer «Verbannung» (sprich: Verbot) der von ihm verachteten Operetten und atonalen Musik aus dem staatlichen Kul turbetrieb sowie einer strengen Leistungsprüfung für Berufsmusiker bestand. Das in seinen Plänen verwendete Vokabular, mit dem er etwa über Arnold Schönberg schreibt («soll lieber Schnee schaufeln», «gehört zum Irrenarzt», «Papiervollkritzler», «Bockmist») nimmt die Haltung und Sprache der NSKulturpolitik voraus. Nur mit der Verbannung der Atonalität war Strauss aller dings erfolgreich, die Ächtung der Operette und die Leistungsprüfungen wur den von Propagandaminister Goebbels kassiert. Der Musikwissenschaftler Gerhard Splitt, der Strauss’ Verstrickungen mit dem NS-Regime detailliert auf arbeitet, kommt in seiner Analyse zu dem Schluss, dass Strauss mit jedem diktatorischen Regime zusammengearbeitet hätte, denn seine eigenen Gedan ken (das Selektionsprinzip, das «Ausmerzen von Schlechtem», die Erziehung des Volks zum «Wahren») tragen faschistische Züge. Bei weiteren musikpoliti schen Vorschlägen von Strauss – etwa der Erhöhung der Tantiemen für «ernste» Komponisten zuungunsten der Unterhaltungsmusik sowie der Pflichterhöhung des Anteils der deutschen Standardwerke auf den Opernbühnen (gemeint sind Mozart, Wagner und natürlich Strauss) – hatte dieser auch seinen eigenen, nicht selten auch finanziellen Vorteil im Blick. Bei all seinen Aktivitäten war sich Strauss seines Status’ als Komponist von Weltrang und der damit verbundenen Prestige-Wirkung für das nationalsozia listische Regime (auch im Ausland) sehr bewusst. Allein dafür, so schrieb er am 25. März 1936 an seine Frau Pauline, verdiene er «eigentlich schon die gol denste Medaille des Propagandaministeriums». Dass Strauss allerdings auch keine Hemmungen hatte, sich den Machthabern anzubiedern und daraus per sönliche Vorteile zu ziehen, lässt sich durch mehrere Beispiele belegen, hier sollen zwei besonders markante vorgestellt werden: Zum einen das Huldigungs gedicht Wer tritt herein? aus Strauss’ Feder an den als «Polenschlächter» bekannt
56
gewordenen Hans Frank, in welchem er den NS-Politiker in eine Reihe mit Wagners Schwanenritter setzt: «Wer tritt herein? / Es ist der Freund Minister Frank / Wie Lohengrin von Gott gesandt, / hat Unheil von uns abge wandt, / Drum ruf ich Lob und tausend Dank / dem lieben Freund Minister Frank.» Der Anlass für diese Lobhudelei war eine Kohlenlieferung aus Krakau nach Garmisch in die Villa Strauss. Noch übertroffen wird diese Lyrik von der Vertonung eines fälschlich Goethe zugeschriebenen Gedichts mit dem Titel Das Bächlein. Den scheinbar harmlosen Text vertonte Strauss anlässlich seiner Er nennung zum Präsidenten der Reichsmusikkammer und widmete ihn Goebbels persönlich. Im Sinne der NS-Ideologie sinnfällig wird die letzte Zeile des Ge dichts, die Strauss, mit grosser musikalisch ausgemalter Coda, gleich dreimal vertont: «Der mich gerufen aus dem Stein / der, denk ich, wird mein Führer sein». Der musikalische Akzent liegt dabei eindeutig auf «mein Führer». Eine – vorübergehende – Verstimmung im Verhältnis von Strauss und den Nationalsozialisten ergab sich aus Strauss’ Egomanie und dem falschen Glauben, er, der grosse Komponist, könne sich über die Regeln des faschistischen Systems hinwegsetzen: Er wollte weiter mit dem jüdischen Autor Stefan Zweig zusam menarbeiten, in dem er nach dem Tode Hofmannsthals einen neuen Librettis ten als künstlerischen Partner gefunden zu haben glaubte. Als Zweig auf die Schwierigkeiten angesichts der politischen Lage und Strauss’ Kollaboration mit den Nationalsozialisten aufmerksam machte, schrieb dieser ihm in zynischen Worten und typischem NS-Vokabular am 17. Juni 1935: «Dieser jüdische Ei gensinn! Da soll man nicht Antisemit werden! […] Wer hat Ihnen denn gesagt, dass ich politisch so weit vorgetreten bin? Weil ich für den [von den Nazis boykottierten] schmierigen Lauselumpen Bruno Walter ein Concert dirigiert habe? […] Das hat mit Politik nichts zu tun. Dass ich den Präsidenten der Reichs musikkammer mime? Um Gutes zu tun und grösseres Unglück zu verhindern.» Die Reaktion auf den von der Gestapo abgefangenen Brief liess nicht lan ge auf sich warten: Strauss musste als RMK-Präsident «freiwillig» zurücktreten, die Gunst der Nationalsozialisten hatte er vorerst verloren. Trotzdem blieb er für das Regime aufgrund seiner internationalen Bekanntheit ein Aushängeschild, weshalb man den «Skandal» auch nicht öffentlich machte – und Strauss tat alles, um sich bei den Machthabern wieder «lieb Kind» zu machen.
57
Die Münchner Uraufführung der Oper Friedenstag 1938 – wieder mit Clemens Krauss am Pult und Viorica Ursuleac in der weiblichen Hauptrolle – bediente perfekt die zu dieser Zeit vorherrschende Linie des Propagandaministeriums: Im Dreissigjährigen Krieg möchte ein deutscher Festungskommandant lieber die ganze Festung mitsamt allen Menschen und seiner Familie in die Luft spren gen als sie den feindlichen Schweden zu übergeben. Gelöst wird die Situation durch den wie ein deus-ex-machina vom Himmel fallenden Westfälischen Frieden: die beiden Kommandanten fallen sich in die Arme. Das deutsche Volk wird hier stereotyp NS-konform gezeichnet: zwar friedliebend, jedoch extrem kampf- und todesbereit und auf die eigene nationale Ehre bedacht. Friedenstag war jedoch nur ein Achtungserfolg, weitaus beliebter war weiterhin die Arabella: Für die Reichsmusiktage 1938 in Düsseldorf – eine positiv konnotierte Gegenveran staltung zur gleichzeitig stattfindenden Ausstellung «Entartete Musik» – wurde eine Festaufführung unter der Leitung des Komponisten angesetzt. Dabei kam es auch zur offiziellen «Versöhnung» zwischen Strauss und Goebbels, die der Komponist stolz in seinem Tagebuch vermerkte. In Goebbels’ Aufzeichnungen heisst es: «[Strauss] ist froh, dass ich ihm ein paar freundliche Worte sage, inzwi schen hat er genug gelitten.» Damit war der Weg frei für die nächste ArabellaGala im «Glanze» des Nationalsozialismus: Für den sogenannten «Tag der deut schen Kunst» in München wurde ebenfalls eine mit Extra-Geldern aus der Privatschatulle des «Führers» finanzierte Festvorstellung in Auftrag gegeben. Mit der nächsten – und letzten – Strauss-Uraufführung Capriccio 1942, natürlich wieder in München mit Ursuleac und Krauss, der diesmal auch das Libretto verfasste, brachte Strauss ein scheinbares Gegenstück zum Friedenstag, ein äusserlich völlig unpolitisches, im Frankreich zur Zeit Diderots spielendes Salon-Drama auf die Bühne. Die Capriccio-Premiere wurde eines der letzten grossen gesellschaftlichen Ereignisse des Regimes: Die Einladungslisten zeigen ein «Who-is-who» der NSDAP-Prominenz. Dass Richard Strauss nach dem Ende des Krieges seine Kollaboration mit dem NS-Regime bedauert hätte, ist nicht überliefert. Vielmehr die auch von ihm selbst gerne kolportierte Anekdote, mit der er seinen internationalen Ruf auch bei der neuen Besatzungsmacht vorteilhaft ins Spiel brachte: Als amerikanische GIs durch Garmisch zogen, um Konfiszierungen durchzuführen, öffnete ihnen
58
Strauss mit den Worten: «I’m Richard Strauss – the composer of the Rosen kavalier» und erreichte damit für seine Villa den Sonderstatus «Off limits»: Es wurde nichts konfisziert, stattdessen wurde Strauss ein beliebter Gastgeber für die amerikanischen Offiziere, es wurde viel und gerne über Musik, Kunst und Kultur geplaudert. Über Politik und die Zeit des Nationalsozialismus den Auf zeichnungen nach nicht.
59
GELD Was wir besitzen sollten, das besitzt uns, und was das Mittel aller Mittel ist, das Geld, wird uns in dämonischer Verkehrtheit zum Zweck der Zwecke ... das Verhältnis zu diesem Dämon durchzieht und durchsetzt alle übrigen des Da seins und es ist erschreckend, bis zu welchem Grade es sie alle bestimmt. Hugo von Hofmannsthal, Das alte Spiel von Jedermann (1912)
ARABELLA RICHARD STRAUSS (1864-1949) Lyrische Komödie in drei Aufzügen Text von Hugo von Hofmannsthal
Personen
Graf Waldner, Rittmeister a.D. Bass Adelaide, seine Frau Mezzosopran Arabella, ihre Tochter Sopran Zdenka, ihre Tochter Sopran Mandryka Bariton Matteo, Jägeroffizier Tenor Graf Elemer, Verehrer der Arabella Tenor Graf Dominik, Verehrer der Arabella Bariton Graf Lamoral, Verehrer der Arabella Bass Die Fiakermilli Koloratursopran Eine Kartenaufschlägerin Sopran Welko, Leibhusar des Mandryka Djura, Diener des Mandryka Jankel, Diener des Mandryka Ein Zimmerkellner Tenor Begleiterin der Arabella Drei Spieler Ein Arzt Groom Chöre
Fiaker, Ballgäste, Hotelgäste, Kellner Ort und Zeit der Handlung
Wien, 1860
ERSTER AUFZUG
Salon in einem Wiener Stadthotel. Flügeltür in der Mitte. Rechts vorne ein Fenster, weiter rückwärts eine Tür. Links gleichfalls eine Tür. Der Salon ist reich und neu möbliert im Geschmack der 1860er Jahre. Adelaide mit der Kartenaufschlägerin an einem Tisch links. Zdenka in Knabenkleidern, rechts beschäftigt, auf einem andern Tischerl Papiere zu ordnen.
Er kämpft, er spielt – o weh, und er verspielt schon wieder die grosse Summe. ADELAIDE
Heil’ge Mutter Gottes! Komm mir zu Hilfe durch mein schönes Kind! Um Gotteswillen, die Verlobung – ist sie nah? Unser Kredit ist sehr im Wanken, liebste Frau! KARTENAUFSCHLÄGERIN betrachtet lange die Karten
Da steht der Offizier.
KARTENAUFSCHLÄGERIN
ADELAIDE
Die Karten fallen besser als das letzte Mal.
Ein Offizier? o weh!
ADELAIDE
ZDENKA vor sich
Das gebe Gott.
Matteo!
Es klopft.
Nur keine Störung jetzt! ZDENKA läuft an die Mitteltür. Man gibt ihr von draussen etwas herein.
KARTENAUFSCHLÄGERIN
Nein! der ist der Eigentliche nicht! ADELAIDE
Mein Vater ist nicht hier, die Mutter hat Migräne! Kommen Sie später. – Es ist wieder eine Rechnung!
Das will ich hoffen!
ADELAIDE abwinkend
Von dort herüber kommt der fremde Herr, der Bräutigam.
KARTENAUFSCHLÄGERIN
Jetzt nicht! Leg’ sie dorthin! ZDENKA
ADELAIDE
Es liegen schon so viele da!
Die Brosche mit Smaragden ist Ihr Eigentum, wenn Ihre Prophezeiung Wahrheit wird in dieser Woche!
ADELAIDE
Still, still! – Wie liegen unsre Karten? Die Sorge und die Ungeduld verzehren mich! KARTENAUFSCHLÄGERIN über die Karten gebeugt
Beruhigen Sie sich. Die Erbschaft rückt schon näher – nur langsam!
KARTENAUFSCHLÄGERIN langsam, wie das Schicksalsbuch entziffernd
Er kommt von weiter her. ADELAIDE
Von weiter her?
ADELAIDE mit gerungenen Händen
Nein, wir können nicht mehr warten! Es gibt nur eine Hoffnung: die baldige Vermählung unsrer Arabella!
Ein Brief hat ihn gerufen.
KARTENAUFSCHLÄGERIN
Es ist Graf Elemer, kein Zweifel!
KARTENAUFSCHLÄGERIN
ADELAIDE
Den Vater seh ich, Ihren Herrn Gemahl – o weh, die Sorge steht ihm nah – ganz finster ist’s um ihn.
KARTENAUFSCHLÄGERIN
Ich sehe einen grossen Wald: dort kommt er her.
Programmheft ARABELLA
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Lyrische Komödie in drei Aufzügen von Richard Strauss (1864-1949) Premiere am 1. März 2020, Spielzeit 2019 / 20
Herausgeber
Intendant
Opernhaus Zürich
Andreas Homoki
Zusammenstellung, Redaktion Kathrin Brunner
Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli, Giorgia Tschanz Titelseite Visual
François Berthoud
Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing
Telefon 044 268 64 14, inserate@opernhaus.ch
Schriftkonzept und Logo
Druck
Textnachweise: Die Handlung, das Gespräch mit dem Regisseur Robert Carsen sowie der Aufsatz von Dominik Frank sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. – Ulrich Konrad, «Arabella» (Auszug), in: Walter Werbeck (Hg.): «Richard Strauss Handbuch», Stuttgart 2014. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. – Weitere Textquellen: Hugo von Hofmannsthal, «Lucidor. Figuren zu einer ungeschriebenen Komödie» (Auszüge), Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden, Frankfurt am Main 1979. – Vicki Baum, «Menschen im Hotel» (Auszug), Köln 2007. – Willi Schuh (Hg.): «Richard Strauss – Hugo von Hofmannsthal: Briefwechsel» (Auszüge), Mainz 1996. – Hugo von Hofmannsthal, «Das alte Spiel von Jedermann» (1912), zitiert nach: Hugo von Hofmannsthal, Sämtliche Werke, a.a. O.. – Brief an Carl J. Burckhardt, zi-
Studio Geissbühler Fineprint AG
tiert nach Werner Volke: «Hugo von Hofmannsthal mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten», Hamburg 1989. – «Arabella, Varianten», zitiert nach «Hugo von Hofmannsthal», Sämtliche Werke, a.a. O..– Stefan Zweig, «Die Welt von Gestern» (Auszug), https://archive.org/stream/StefanZweigDieWeltVonGestern/_ djvu.txt Bildnachweise: T + T Fotografie, Toni Suter fotografierte die Klavierhauptprobe am 19. Februar 2020. Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden und Obwalden. PARTNER
PRODUKTIONSSPONSOREN AMAG Evelyn und Herbert Axelrod
Freunde der Oper Zürich Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG
PROJEKTSPONSOREN Baugarten Stiftung René und Susanne Braginsky-Stiftung Clariant Foundation Freunde des Balletts Zürich Ernst Göhner Stiftung Kühne-Stiftung
Ringier AG Georg und Bertha Schwyzer-Winiker-Stiftung Hans und Edith Sulzer-Oravecz-Stiftung Swiss Life Swiss Re Zürcher Kantonalbank
GÖNNER Accenture AG Josef und Pirkko Ackermann Alfons’ Blumenmarkt Ars Rhenia Stiftung Familie Thomas Bär Bergos Berenberg AG Beyer Chronometrie AG Margot Bodmer Elektro Compagnoni AG Stiftung Melinda Esterházy de Galantha Fitnessparks Migros Zürich Fritz Gerber Stiftung Gübelin Jewellery Egon-und-Ingrid-Hug-Stiftung Walter B. Kielholz Stiftung KPMG AG
Landis & Gyr Stiftung Lindt und Sprüngli (Schweiz) AG Stiftung LYRA zur Förderung hochbegabter, junger Musiker und Musikerinnen Die Mobiliar Fondation Les Mûrons Mutschler Ventures AG Neue Zürcher Zeitung AG Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung StockArt – Stiftung für Musik Elisabeth Stüdli Stiftung Else von Sick Stiftung Ernst von Siemens Musikstiftung Elisabeth Weber-Stiftung Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung
FÖRDERER Frankfurter Bankgesellschaft (Schweiz) AG Garmin Switzerland Goekmen-Davidoff Stiftung Horego AG
Sir Peter Jonas Richards Foundation Luzius R. Sprüngli Madlen und Thomas von Stockar
CHANEL.COM
"CAMÉLIA" HALSKETTE AUS WEISSGOLD, RUBIN UND DIAMANTEN