Dornröschen

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DORNRÖSCHEN

CHR ISTIAN SPUCK


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DORNRÖSCHEN BALLETT VON CHRISTIAN SPUCK Musik von Pjotr I. Tschaikowski (1840-1893) nach dem Märchen «La Belle au bois dormant» von Charles Perrault

Choreografie Musikalische Leitung Bühnenbild Kostüme Lichtgestaltung Dramaturgie

Christian Spuck Robertas Šervenikas Rufus Didwiszus Buki Shiff Martin Gebhardt Michael Küster und Christian Spuck

Eine Koproduktion mit Den Norske Opera &

Ballett/Nasjonalballetten, Oslo



Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten keine Kinder und waren darüber ganz betrübt…






HANDLUNG Prolog Der Kinderwunsch des Königspaares ist seit langem unerfüllt geblieben. Deshalb sind die beiden mittlerweile zum Äussersten entschlossen. Im Feenreich – denn von dort werden die Säuglinge zu den Menschen gebracht – stehlen sie ausgerechnet jenes kleine Mädchen, das der Obhut der Fee Carabosse anvertraut ist. Am Königshof sind die Vorbereitungen zur Taufe der kleinen Aurora in vollem Gange. Die Dienerschaft, aber auch die Gouvernante und der Zeremonienmeister haben alle Hände voll zu tun, ehe die illustren Gäste eintreffen. Eingeladen sind auch sechs Feen, die der kleinen Prinzessin ihre guten Wünsche überbringen. Auf dem Höhepunkt des glänzenden Festes erscheint Carabosse, die man wohlweislich nicht eingeladen hat. Um das Königspaar zu bestrafen, verhängt sie über Aurora einen Fluch: In blühender Jugend soll sie am Stich einer Spindel sterben. Die anderen Feen versuchen, Carabosse vom Fest zu vertreiben.

Zwischenszene Carabosse hat den Verlust der kleinen Aurora nicht verwunden und ist verzweifelt über ihren Wutausbruch bei der Taufe. Schwerer jedoch wiegen die Selbstvorwürfe, Aurora mit einem nicht rückgängig zu machenden Fluch belastet zu haben, der einzig und allein dem Königspaar gelten sollte.

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Erster Akt Prinzessin Aurora feiert ihren 16. Geburtstag. Unter den vielen Gästen sind auch vier Prinzen. Keiner von ihnen vermag Aurora für sich zu begeistern. Der König möchte Aurora vor Enttäuschungen bewahren und alle schmerzlichen Erfahrungen von ihr fernhalten. Auch jetzt versucht er, Aurora zu trösten. Im Walzertaumel des Festes wird Aurora wenig später auf eine fremde Frau aufmerksam, die ihr eine Spindel überreicht. Carabosse gelingt es nicht mehr rechtzeitig, der Prinzessin das unheilvolle Geschenk zu entreissen: Aurora hat sich bereits an der Spindel gestochen und scheint für immer verloren. Der König macht Carabosse schlimmste Vorwürfe. Tief gedemütigt und verzweifelt darüber, dass Aurora durch ihren Fluch unschuldig zum Opfer geworden ist, verlässt sie das Fest. Die Fliederfee ist zur Stelle und verwandelt den Todesfluch. Sie versetzt Aurora und alle Anwesenden in einen tiefen Schlaf. Dieser wird enden, wenn der Kuss der wahren Liebe Aurora erweckt.

Zweiter Akt Eine lange Zeit ist vergangen. Bei einem Ausflug stossen Prinz Désiré und seine Verlobte mit grossem Gefolge auf das von einer Dornenhecke umwucherte, verwunschene Dornröschen-Schloss. Besonders der Prinz fühlt sich vom eigenartigen Zauber dieses Ortes angezogen. Als er allein ist, erscheint ihm die Flie­ der­­fee. Sie lässt ihn eine Vision von Prinzessin Aurora erblicken, die ihn augen­ blicklich entflammt. Er will Aurora finden! Auf der Suche nach ihr begegnet er Carabosse und ihrem Gefolge. Um Aurora besorgt, will Carabosse herausfinden, ob Désirés Herz auch wirklich für die Prinzessin schlägt. Die anderen Feen finden den regungslosen Prinzen wenig später. Die Fliederfee lässt ihn erwachen, damit er Aurora mit seinem Kuss erwecken kann. Doch zum Entsetzen des Prinzen und der Feen misslingt der Dornröschen-Kuss! Auch Carabosse ist verzweifelt, dass sie Aurora nun offenbar für immer verlieren wird.

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Zärtlich küsst sie zum Abschied die Stirn der Schlafenden, worauf Aurora endlich die Augen öffnet. Mit ihrem Kuss der wahren Liebe hat Carabosse die Prinzessin wieder zum Leben erweckt. Auroras erster Blick gilt Désiré: Es ist Liebe auf den ersten Blick. Auch der schlafende Hofstaat ist erwacht. Aurora stellt plötzlich ungläubig fest, dass sie als «Feenkind» offenbar über eigene magische Kräfte und damit über die Möglichkeit verfügt, sich aus allen Umklammerungen zu lösen und selbst über ihr Leben zu bestimmen. Noch einmal versetzt sie alle in Schlaf, auch ihre Eltern! Mit einem Kuss erweckt Aurora einzig den Prinzen, dem ihr Herz gehört.

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DAS KLASSISCHE NEU DENKEN Christian Spuck im Gespräch über seinen Blick auf «Dornröschen» und das Hinterfragen liebgewordener Klischees

Christian, nach Schwanensee und dem Nussknacker präsentiert das Ballett Zürich nun auch das dritte der grossen Tschaikowski-Ballette. Was hat dich überzeugt, Dornröschen zu inszenieren? Ehrlich gesagt, habe ich mich bis jetzt vor diesem Wagnis gescheut. Es waren Mitarbeiter aus dem Opernhaus, die mich ermutigt haben, diese Produktion in Angriff zu nehmen. Der Erfolg von Nussknacker und Mausekönig, vor allem jedoch die hinreissende Musik Tschaikowskis haben mich dann schliesslich überzeugt. Hinzu kommt, dass der Dornröschen-Stoff aufgrund seiner zahl­­rei­ chen unterschiedlichen Überlieferungen und Deutungsmöglichkeiten sehr spannend und zeitgemäss ist. Als Tänzer, aber auch als Choreograf kommt man an einem Meisterwerk wie Dornröschen wahrscheinlich nicht vorbei. Welche Dornröschen-­Er­ fahrungen haben dich auf deinem bisherigen Weg beeinflusst? Während meiner Zeit als Tänzer im Stuttgarter Ballett habe ich in der Dorn­röschen-­Inszenierung von Marcia Haydée in zahllosen Vorstellungen und auf vielen internationalen Gastspielen getanzt. Marcias Produktion basiert auf der Originalversion von Marius Petipa, ich kenne sie gut und schätze sie sehr. Stark beeindruckt und beeinflusst hat mich aber auch die Hamburger Version von Mats Ek, die zuletzt 2014 auch beim Ballett Zürich zu sehen war. Der schwedische Choreograf hat es geschafft, einen intelligenten, modernen und gesellschaftskritischen Zugang zu dem jahrhundertealten Stoff zu finden.

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Bis heute sind wir im Ballett geprägt von der Produktion, die Petipa und Tschaikowski 1890 in St. Petersburg herausgebracht haben und die nach wie vor als das Musterbeispiel eines klassischen Handlungsballetts gilt. Wie kann man sich dem Dornröschen-Stoff vor diesem Hintergrund heute nähern? Das Geheimnis liegt wohl in der Art, wie Petipa die Reinheit des aus Frankreich kommenden klassischen Tanzes mit der Virtuosität italienischer Herkunft verbindet. Auf der Basis dieser Synthese entwickelte er seine eigene Tanz­ sprache, die uns bis heute fasziniert. Er weist der Primaballerina eine zentrale Rolle zu, der das gesamte Ballettpersonal in hierarchischer Staffelung untergeordnet ist. Sein hoher ästhetischer Anspruch und die genau kalkulierte Bühnenwirksamkeit seiner Choreo­grafien lassen mich immer wieder staunen, er ist ein Ballettarchitekt ersten Ranges. Hinzu kommt, dass in Dornröschen wie in keinem anderen Ballett Musik und Choreografie auf minuziöse Weise miteinander verflochten sind. Tschaikowski hat mitunter taktgenau mit seiner Musik auf die Anweisungen und Vorgaben Petipas reagiert. Die Partitur erweist sich als sehr modern für ihre Zeit. Tschaikowski arbeitet mit einer Art Leitmotivtechnik, die Carabosse und der Fliederfee klar erkennbare Motive zuordnet, und die immer dann erscheinen, wenn die beiden in der Geschichte auftauchen. Beim Hören meint man vor dem inneren Auge genau zu sehen, was gerade passiert. Als Choreograf muss man sich entscheiden, ob man sich dieser grossen Vorlage stellt oder den Stoff völlig unabhängig von dieser Folie behandelt, einen gesellschaftskritischen Zugang versucht oder auch andere «Modernisierungsmassnahmen» für angebracht hält.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Welchen Lösungsansatz hast du für dich gefunden? Petipa hat die Dornröschen-Geschichte am Ende des 19. Jahrhunderts vor allem als Folie benutzt, um dem Publikum schönen Tanz zu präsentieren. Auch 130 Jahre nach ihrer Uraufführung ist das eine faszinierende Version. Ich versuche aber, einen anderen Zugang zu finden. Dornröschen ist zweifellos das Märchen mit den vielfältigsten Lesarten und Interpretationen. Es geht um das Erwachsenwerden, um Konflikte mit der Elterngeneration, um Überbehütet-­ Sein und das Erlangen von Mündigkeit, und es geht nicht zuletzt um die

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bedrohliche und die schöne Seite von Liebe und Sexualität. Neben all diesen Themen besteht mein Interesse aber auch darin, die Figuren, wenn immer möglich, aus ihren tradierten Rollenklischees zu lösen. Petipas Fassung ist dabei ein Vorbild, das ich gelegentlich zitiere, durch das Installieren revuehafter Elemente aber auch hinterfrage und konterkariere. Die durch das Märchen tradierte Einteilung in Gut und Böse greift sehr kurz und erschöpft sich auf der Bühne allzu rasch. Deshalb möchte ich mich von der Ein­deu­ tigkeit befreien, die bei Petipa und Tschaikowski angelegt ist. Ich finde es viel spannender zu hinterfragen, ob das vermeintlich Böse nicht auch eine gute Seite hat und ob die angeblich positive Figur auch wirklich nur positiv ist. Wie entgehst du der Gefahr, in eine Petipa-Falle zu tappen? Bei mir sind es wahrscheinlich eher die Fallen von Marcia Haydée und Mats Ek, weil ich diese beiden Produktionen so gut kenne. Da muss ich mir halt auf die Finger klopfen und mich zwingen, meine eigene Sprache finden. Tschaikowskis Musik ist oft sehr beschreibend für viele Situationen und Charaktere, und die choreografische Lösung scheint durch die Musik vorbestimmt zu sein. Da kann es helfen, das Ganze mit Ironie und vielleicht auch irritierenden Momenten zu hinterfragen. Neben der Titelheldin rückt die Fee Carabosse bei dir in den Mittelpunkt des Geschehens. Was bedeutet das für diese Rolle, die in der Auffüh­ rungs­­­tradition meist in der Pantomime verankert ist? Neben Aurora sind Carabosse und die Fliederfee die Hauptfiguren in Dornröschen. In vielen Dornröschen-Inszenierungen ist Carabosse bis heute eine Rolle für einen Charakterdarsteller, der meist relativ wenig tanzt. Es hat allerdings auch immer wieder Versuche gegeben, das zu ändern. So hat Marcia Haydée die Rolle für den grossen Richard Cragun als grosse Tänzerpartie angelegt, und er ist mit seinem Rollenporträt wirklich legendär geworden. Sein diabolischer Aufritt, vor allem im Prolog, ist mir bis heute un­vergesslich. Später hat Mats Ek die böse Fee dann in einen Drogendealer und Zuhälter umgedeutet und in seiner prägnanten Tanz­­sprache detailgenau ausgearbeitet. Auch für mich ist Pantomime keine Option, weil sie meist

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altmodisch wirkt und letztlich immer eine Notlösung bleibt. Reizvoller scheint mir, wenn Carabosse sich wie alle anderen Figuren tänzerisch mitteilt und ihr Charakter auf Grundlage der Choreografie erkennbar wird. Ich fand es bei der Lektüre des Märchens schon immer eigenartig, dass die böse Fee einen Todesfluch ausspricht, nur weil sie nicht zur Feier einer Kindstaufe eingeladen wurde. Welche wirklichen Gründe könnte sie haben? Da ist vieles denkbar. Vielleicht ist sie grundsätzlich ausgeschlossen aus der Feenwelt, vielleicht gibt es eine Vorgeschichte. Im Endeffekt ist der genaue Grund gar nicht so wichtig. Es kommt mehr darauf an, die Figur aus ihrer Eindimensionali­tät herauszuholen und sie mit anderen Facetten auszustatten, zu denen auch ihre Verletzlichkeit und Liebesbedürftigkeit gehören. Um das zu erreichen, haben wir Tschaikowskis Musik teilweise neu angeordnet. Ähnlich wie im Nussknacker steht bei Tschaikowski und Petipa auch bei Dornröschen ein Divertissement am Schluss des Balletts, das für den Gang der Geschichte keine Rolle mehr spielt und einzig als Folie für eindrucksvollen Tanz vorgesehen war. Da finden sich viele wunderbare Musiknummern, die ich jetzt in den Prolog und die beiden Akte meines Balletts integrieren konnte, um den Figuren hoffentlich mehr Tiefe und Schärfe zu verleihen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Das hat sicher Auswirkungen auf Märchenfiguren wie Rotkäppchen, den Gestiefelten Kater oder den Blauen Vogel, die den dritten Akt bei Petipa revue­gleich bevölkert haben? Bei diesen Märchenfiguren ging es vor allem darum, das Können der Tänzerinnen und Tänzer des Kaiserlichen Balletts zu zeigen, die Geschichte dieser Märchen­helden war völlig nebensächlich. An dieser Stelle ist ja bereits alles erzählt, und das Ende des Stücks wird künstlich hinausgezögert. Natürlich möchte man viele der fantastischen Musiknummern nicht missen, deshalb haben wir sie zum Teil an an­de­rer Stelle in unsere Version integriert. Den Balletten Marius Petipas war die Revuehaftigkeit als strukturgebendes Element eingeschrieben, wenn wir beispielsweise auch an die grosse Parade der unterschiedlichen Nationaltänze in Schwanensee denken. In unsere

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Aufführung sind revuehafte Elemente eingestreut, und es gibt durchaus auch märchenhafte Fabelwesen. Neben diesen revuehaften und konterkarierenden Momenten gibt es in deiner Choreografie aber auch immer wieder Szenen, in denen Balletttradition durchzuschimmern scheint. Durch die Vision, in der die Flieder­fee dem Prinzen das Bild von Aurora vor Augen führt, weht für mich in deiner Interpretation zum Beispiel so ein Hauch des weiss-­ro­manti­schen Balletts. Welche Rolle spielt Tradition für dich als Choreograf? Ballett ist eine tief in der Tradition verankerte Kunstform. Selbst wenn ich mir neueste Arbeiten eines William Forsythe anschaue, wurzeln die immer in der Ballett­tradition. Wir beziehen uns in unserer Dornröschen-Version auf Petipa. Nicht im Sinne einer Rekonstruktion oder eines Nachbuchstabierens, sondern aus einer neuen, ironisch gebrochenen Perspektive. Und dazu gehört eben auch ein grosser Auftritt der Damengruppe als Referenz an Petipa, der solche Szenen zur äussersten Perfektion geführt hat. Bei Petipa und seinem Librettisten Wsewoloschski ist die Fliederfee der positive Gegenpol zu Carabosse. In welchem Verhältnis stehen die beiden Feen in deiner Version? Die Fliederfee gibt es in Charles Perraults Märchen nicht, sie ist tatsächlich eine Erfindung für das Ballett, sozusagen Futter für die zu beschäftigenden Ballerinen. Ich misstraue der schablonenhaften Aufteilung in Gut und Böse. Vielleicht ist die Fliederfee ja gar nicht so gut, wie es uns viele DornröschenAufführungen glauben machen wollen, und möglicherweise gelingt es ja auch Carabosse, über sich selbst und ihre Rachegefühle hinauszuwachsen… Wir haben über die Feen gesprochen, aber wer ist Dornröschen für dich? Nach dem lange unerfüllten Kinderwunsch des Königspaares wächst Aurora als völlig überbehütetes Mädchen wie unter einer Glasglocke auf. Alle Gefahren werden von ihr ferngehalten. Nach dem Fluch, demzufolge sie sich an einer Spindel stechen und sterben wird, lässt der König sein Reich von sämtlichen Spindeln befreien. Das ist ein starkes Bild für dieses Überbehütet-

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Sein, welches Aurora nicht erlaubt, den Schritt in die Pubertät und Sexualität zu gehen. Der Spindelstich steht für all jene Erfahrungen und auch Ver­ letzungen, die ein Mensch durchleben muss, um erwachsen zu werden. Der Schlaf, in welchen die Fliederfee den bösen Fluch abgemildert hat, wird beendet durch den Kuss der wahren Liebe, durch die in Mündigkeit erfolgende Auseinander­­setzung mit einem Partner. In diesem Punkt ist Aurora ge­wisser­massen eine Verwandte der Marie aus Nussknacker und Mausekönig. Wichtig erscheint mir allerdings noch ein weiterer Aspekt. Dornröschen führt uns vor Augen, dass dieses Mädchen die Folgen des Fehlverhaltens ihrer Eltern auszubaden hat. Die Elterngeneration gibt ihre Konflikte an die Nachge­borenen weiter.

Das komplette Programmbuch Zu deiner Choreografie für das Ballett Zürich kommt mit dem sehr kom­plexen Bühnenbild von Rufus Didwiszus eine zweite Choreografie, können Sie auf nämlich die des Raumes. Rufus hat für unsere Inszenierung ein grosses, bewegliches Haus entworfen, www.opernhaus.ch/shop in dessen von Türen und Gängen durchbrochenen Zimmerfluchten das Märchen zu Hause ist. Dieses Bühnenbild schafft die Gleichzeitigkeit von oder amundVorstellungsabend im Foyer Ereignissen eröffnet dabei ungeahnte Perspektiven auf das Ge­ schehen. Normalerweise sind wir bei Ballettaufführungen an eine grosse Freifläche für den Tanz gewöhnt. Auch für mich war die Enge zunächst gewöhnungs­­­ des Opernhauses erwerben bedürftig, doch inzwischen hat sich diese Herausforderung als aufregende Möglichkeit erwiesen, neue Blickwinkel für diese Produktion zu eröffnen.

Dornröschen ist immer auch ein Ausstattungsballett gewesen. Wie bei Nussknacker und Mausekönig liegen die Kostüme bei Dornröschen erneut in den Händen der israelischen Kostümbildnerin Buki Shiff. Zu welcher Zeit lässt sie Dornröschen spielen? Auch Buki Shiff ist stark im Hinterfragen von Traditionen. In ihren wunderschönen und hochästhetischen Kostümen für Dornröschen geht sie überaus fantasievoll und spielerisch mit den Zeiten um. Zwischen dem ersten und zweiten Akt liegen ja bekanntlich 100 Jahre. Für diesen Zeitsprung geht Buki in die entgegengesetzte Richtung: Prolog und Erster Akt finden um die

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Mitte des 20. Jahrhunderts statt, im zweiten Akt finden wir uns dann im frühen 19. Jahrhundert wieder. Neben den Zeiten spielt sie aber meisterhaft auch mit den Geschlechtern, so dass man sich oft fragt, wer denn nun eigentlich weiblich und wer männlich ist. Dieses Verwirrspiel gefällt mir sehr. Was wünschst du dir für dieses neue Dornröschen? Ich hoffe, dass unsere Aufführung nicht nur das Publikum unterhält, sondern auch inspi­rierend für die Tänzerinnen und Tänzer ist. Vielleicht gelingt es uns, etwas Neues über das Stück zu erzählen und Tschaikowskis unsterbliche Musik auf neue Art erfahrbar zu machen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Das Gespräch führte Michael Küster

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«Nun aber, da das Ende des Zaubers ge­ kommen war, erwachte die Prinzessin und be­trachtete ihn mit weit zärtlicheren Augen, als dies eine erste Begegnung gestatten sollte. «Seid Ihr es, mein Prinz», sprach sie zu ihm, «Ihr habt aber lange auf Euch warten lassen.» Der Prinz war entzückt über diese Worte und mehr noch über die Art, in der sie gesprochen wurden, und er wusste nicht, wie er seine Freude und Dankbarkeit kundtun sollte; er beteuerte ihr, dass er sie mehr liebe als sich selbst. Seine Sätze waren unbeholfen, doch erregten sie um so mehr Gefallen: Je weniger beredt die Liebe ist, umso stärker ist sie. Er war noch verlegener als sie es war, und darüber musste man sich nicht wundern: sie hatte Zeit genug gehabt, sich zu überlegen, was sie ihm sagen könnte, denn es schien ganz so, dass die gute Fee sie während eines so langen Schlafes mit angenehmen Träumen unterhalten hatte. So sprachen sie vier Stunden miteinander und hatten sich noch nicht die Hälfte der Dinge gesagt, die sie sich sagen wollten.»

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«Die Schöne, die im Walde schlief» Charles Perrault, 1697


VON DORNIGEN TRIEBEN UND BLÜTENRANKEN Das Ballett und seine Feen Dorion Weickmann

Ende April 1829 debütierte Dornröschen auf der Ballettbühne. Ohne Erfolg. Mademoiselle Lise Noblet, eine der ersten Protagonistinnen des Pariser Opernballetts, tanzte die Partie der Prinzessin. Sie hielt sich auch im wahren Leben einen aristokratischen Geliebten, den Earl of Fife, der ihr ergeben war wie ein Schosshündchen. Jedenfalls kolportierte der Morning Herald im Juli desselben Jahres: «Er trug ihren Schal, hielt ihren Fächer, eilte ihr mit einem Riechfläschchen hinter­her… wenn er nicht gerade auf ihre Pirouetten starrte.» Andere waren von Noblets Darbietung weniger angetan, zumindest fiel die Dornröschen-­ Premiere bei der Kritik rundweg durch. «Lang, langsam und tödlich langweilig» lautete das Urteil über Jean-Pierre Aumers Choreografie, Louis Joseph Ferdinand Hérolds Komposition und Eugène Scribes Libretto. Und das, obwohl die drei Herren ausgesprochen erfahrene Mitarbeiter des Opern- und Ballettbetriebs waren. Eine einzige Tänzerin fand Gnade vor den gestrengen Augen der Rezen­senten. Sie hiess Marie Taglioni, war relativ frisch im Geschäft, wurde vom eige­nen Vater zu Höchstleistungen getrieben – und sollte wenig später in den Zenit des Tanzhimmels aufsteigen: der hellste Stern weit und breit. Im missratenen Dornröschen mimte Taglioni eine Najade und «lief mit der Leichtigkeit einer Sylphide und der vollkommensten Anmut über die Bühne». So jedenfalls hiess es nach der Uraufführung im Journal des débats, dessen Autor offenbar hell­sehe­rische Fähigkeiten besass. Denn keine drei Jahre später triumphierte Taglioni in der Titelrolle von La Sylphide, während Noblet als bräutliche Gegen­ spielerin Effie nun hinter ihr rangierte. So rasch kann es gehen… Wer also glaubt, dass Marius Petipas Dornröschen zu Pjotr Tschaikowskis Partitur als erste Adaption des Märchens in die Ballettannalen einging, der muss sich doppelt

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korrigieren. Denn vor Aumer hatte bereits Pierre Gardel ganze Passagen für La Belle au bois dormant choreografiert – als Dreingabe einer Oper, die 1825 ebenfalls in Paris das Licht der Welt erblickte. Ein Zufall ist es nicht, dass Charles Perraults 1697 veröffentlichte Erzählung aus­gerechnet in den 1820er-Jahren den Weg ins Musiktheater fand. Seiner­ zeit erstrahlte die Romantik und mit ihr das Chiaroscuro der menschlichen Seelenlandschaft, während der betanzte Olymp des Ancien Régime endgültig im Staub der Kulissendepots versank. Ebenso wenig zufällig ist Dornröschens allmähliche Verschattung, die 1996 einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. An der Hamburgischen Staatsoper kippte der Choreograf Mats Ek das Geschehen ins Tiefschwarze, verbunden mit der Ansage: «Ein Märchen ist wie ein hübsches kleines Häuschen, nur hängt da ein Schild an der Tür: ‹Vermintes Gelände!›» Inspiriert von der ehemaligen Drogenszene am Zürcher Platzspitz, setzte Ek sein Dornröschen als höheres Töchterlein aus guten (also: moralisch verkommenen) Verhältnissen in Szene, dessen Rebellion in Form exzessiven Drogenkonsums vonstattengeht. Für Nachschub sorgt die böse Fee Carabosse, und das Gift wird solange ins System gespritzt, bis der Verfall in Dauerschlaf mündet und einen prinzlichen SOS-Einsatz auslöst. Die Version des schwedischen Tanzexpressionisten hebt vordergründig auf den Selbstzerstörungstrieb der Titelheldin ab. Doch in Wahrheit kreist sie die weltanschaulichen und realen Verwerfungen ein, die das Dasein im postindustriellen Zeitalter mit sich bringt. Wer glaubt denn am Ende des katastrophischen 20. Jahrhunderts noch an Märchen, an gute Feen, an wohlmeinende Patinnen und ihr diabolisches Pendant? Stellt sich die Frage: Welche Position hat in dieser Dornröschen-Genealogie der Ballettmeister des Zaren inne, jener Marius Petipa, dessen 1890 in Sankt Petersburg aufgelegte Fassung so gut wie allen nachfolgenden Inszenierungen als Blaupause dient? Und welche Färbung wird Zürichs Ballettdirektor Christian Spuck den Figuren und ihrem Handeln verleihen, welche Grundierung darunterlegen? Der Franzose Marius Petipa steht für ein ungebrochen romantisches Verständnis der Fabel aus der Feder seines Landsmanns Perrault. Petipas Dornröschen malt die Welt schwarzweiss und folgt damit exakt der dramaturgischen Linie, die Victor Hugo 1827 in der Vorrede seines Cromwell skizziert hat – von

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den Zeitgenossen als Manifest der Romantik gefeiert: «Vom Tag an, wo das Christentum zum Menschen sagte: ‹Du bist doppelt, Du bestehst aus zwei Wesen, das eine sterblich, das andere unsterblich, das eine fleischlich, das andere geistig … von diesem Tag an wurde das Drama erschaffen». Dieses Credo ist der Keim einer Kunst, die der Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski als «fantastisch, erfindungsreich, metaphysisch, imaginär, versuche­risch, überschwänglich, abgründig» charakterisiert – Eigenschaften, die allen romanti­schen Balletten innewohnen. Aber sie verstecken sich hinter verschiedenen Gesichtern. Das erste trägt insgeheim männliche Züge. Ob La Sylphide, Giselle, Ondine oder Schwanensee – stets sieht sich der Mann zwischen Wunsch, Wahn und Wirklichkeit gespalten, zwischen überirdischer Schönheit und irdischer Lust, Geliebter und Angetrauter in spe zerrissen. Die Agentinnen dieses Geschehens sind feenhafte Geschöpfe einerseits, Hexen und Abgesandte des Bösen anderer­ seits – nicht selten en travesti getanzt. Zwar scheinen Ballerinen auf den ersten Blick sowohl Optik als auch Inhalt aller romantischen Schlüsselwerke zu dominieren. Doch im Wesentlichen geht es um die Reifeprüfung, die kulturelle Anpassung junger Männer. Demnach soll der aufgeklärte Zeitgenosse allen Versuchungen zum Trotz den rationalen Idealen einer aufstrebenden Bürgerelite gehorchen, im Zweifelsfall unter Verzicht auf die wahre Liebe. Das Libretto löst dieses Problem in der Regel auf natürliche Weise: durch Tod oder finales Verschwinden der weiblichen Lichtgestalt. Die zweite, gewissermassen spiegelverkehrte Variante prägt Dornröschen und Aschenputtel – ebenfalls von Perrault notiert, ebenfalls schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf die Tanzbühne übersetzt. Ein junges Mädchen steht hier zwischen Gut und Böse, zwischen schutzmächtiger Fee und Verderberin, und seine Familiengeschichte spielt dabei keine nebensächliche Rolle. Die Befreiung aus der Konfliktzone glückt dank eines Galans von adligem Geblüt, die Erlösungsbotschaft dient der Erzie­hung des Weibes: Die Liebe, verstanden als Liebesdienst, ist die einzig wahre Mission seines Geschlechts, der Mann seine Bestimmung. So gebietet es die biedermeierliche Vernunft. Die Verinnerlichung der Lektion wird mit dem Gang zum Traualtar belohnt. Ein Hochzeits-Happy End, das morbiden Elfen und zerbrechlichen Geisterwesen à la Sylphide niemals zuteilwird.

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So steht auch das Märchen- und Feengenre des Balletts zunächst für existentiel­ le Gegenentwürfe, zielt jedoch auf handfeste Realitäten und bleibt aufs Engste mit ihnen verzahnt. Charles Perrault, selbst Staatsbeamter und damit Bestandteil der Feudal­bürokratie, hat noch die Stabilität der Adelsgesellschaft im Hinter­ kopf. Davon zeugt nicht zuletzt die Moral, die sein Dornröschen beschliesst: «Ein wenig auf einen Ehemann zu warten, der reich, schön anzusehen, von höflicher und feiner Art ist, ist ganz und gar üblich» – vollkommen korrekt, jedenfalls unter den Vorzeichen aristokratischer Heiratspolitik. Spätere Exegeten wie der Literaturwissenschaftler Jack Zipes deuten das Märchen als «symbolischen Diskurs über den Zivilisationsprozess» und die Verfestigung gängiger Stereotypen. Männer sollen stark, Frauen «schön, freundlich, anmutig, fleissig» und selbstbeherrscht sein. Dieses Profil rufen Perrault wie Petipa in Gestalt der liebenswürdigen Feen auf. Sie vertreten die Sonnenseite des Lebens und eine Ordnung, aus der Carabosse – warum auch immer – herausgefallen ist. Aber ist der gediegene Augenschein nicht eine Sinnestäuschung? Handelt es sich um halbwegs nachvollziehbare Ereignisse oder um ein Seelengespinst? Das 20. Jahrhundert neigt mehr und mehr der psychologischen Lesart zu und begreift, dass auch der ästhetische Schleier des Tanzes elementare Vorgänge kaschiert, die sich in den Tiefenschichten des Unterbewussten zutragen. Seit die Psychoanalyse Dornröschen und seine Schwestern auf die Couch legt, wird auch das Feencorps einer Exploration unterzogen, die auf seine Entzauberung hinausläuft. Was bedeutet: Im Gewand eines ballet d’action verhandelt Dornröschen einen inneren Reifeprozess und das Duell zwischen Gut und Böse, das in jedermanns Herz stattfindet. Ob man, wie Bruno Bettelheim, Sexualität und adoleszente Ablösung in den Mittelpunkt rückt oder den Aufbruch zu neuen Ufern – Dornröschen muss sich jedenfalls den rechten Weg zwischen dornigen Trieben und Blütenranken bahnen, die beide im Urgrund seiner Seele wurzeln. Uns treten sie als Kontrahentinnen, als Hexen und Fabelwesen entgegen. Aber sie bleiben doch: zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Kunst bringt die Seite der menschlichen Natur zum Vorschein, «von der wir ohne die Hilfe dieses Spiegels gar nicht wüssten, dass wir sie haben: Jedes Werk enthüllt eine ungeahnte Dimension des Selbst.» Was der Philosoph Arthur C. Danto mit Blick auf die Literatur formuliert, wirft prompt die Frage auf: In

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welche verborgenen Kammern unseres Selbst wird Christian Spuck sein Dornröschen – und uns – entführen? Einen Wegweiser liefert vielleicht schon der Umstand, dass Charles Perrault die Gegenspielerinnen aus den surrealen Sphären namenlos liess. Weil sie Metaphern sind und schiere Polaritäten illustrieren: jung und alt, fürsorglich und zerstörerisch, schön und hässlich. Die Feendivi­sion verkörpert innere Instanzen und Zustände, die im Extremfall gegensätzlich gedacht und doch miteinander verschwistert sind. Gleicht ihre Beschaffenheit nicht den widerstreitenden Stimmen, die unser Ego bewohnen und unaufhörlich miteinander Zwiesprache halten – mal lautstark tobend, mal leise flüsternd? Tagtäglich lauschen wir ihren Dramen, dem Für und Wider, den Auseinandersetzungen, die sie in uns und für uns zur Aufführung bringen. Auf dass wir zuletzt die richtige Entscheidung treffen und in der Lage sind, unser Ziel zu bestimmen und anzusteuern. Die vermaledeite Carabosse, die charmante Fliederfee – sind sie nicht auf Gedeih und Verderb aneinandergekettet? Vielleicht in ein und demselben Ich gefangen? Und noch eins fällt auf, wenn Perraults La Belle au bois dormant neben die Balletttextur von 1890 gelegt wird: Das literarische Original ist mit sieben segens­reichen Patinnen und einem böswilligen Exemplar bestückt, auf der Tanzbühne aber schnurrt das Personaltableau auf sieben Köpfe zusammen. Das entspricht der magischen Zahl, die sich von Teresa di Ávila und Jakob Böhme durch die Mystik der Neuzeit zieht, um die Stufen der Erleuchtung zu beschreiben, hin zu göttlicher Vollkommenheit. Weltliche Göttinnen, das waren die Tänzerinnen des 19. Jahrhunderts. Lise Noblet und Marie Taglioni genossen Kultstatus, wiewohl das erste Dornröschen anno 1829 davon unbeleckt blieb und sang- und klanglos unterging. Umso strahlender behauptet sich Marius Petipas royaler Luxuszauber. Doch statt die Puderzucker-Kanone nachzuladen, wird Christian Spuck wohl den Sandstrahler ansetzen und alle Patina abtragen. Nicht brachial, sondern mit der gebotenen Vorsicht. Bis Dornröschen uns so entgegentritt, wie es Arthur C. Danto vorschwebte: als blanker Spiegel der Selbsterkenntnis.

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«Endlich jedoch gelangte er in das Zimmer, in welchem die bezauberte Prinzessin sich befand und rief sie, indem er glaubte, dass sie schliefe. Da sie aber trotz all seines Schreiens und Rüttelns nicht erwachte, er aber von ihrer Schönheit durch und durch erglühte, so trug er sie in seinen Armen auf ein Lager und pflückte dort die Früch­te der Liebe. Hierauf liess er sie auf seinem Bette liegen und kehrte in sein Königreich zurück, woselbst er eine lange Zeit an diesen Vorfall nicht mehr dachte.» «Sonne, Mond und Talia» Giambattista Basile, 1636




VOM MÄRCHEN ZUM BALLETT Marius Petipas «Dornröschen» Es war Iwan Wsewoloschski, von 1881 bis 1899 Direktor der Kaiserlichen Theater von St. Petersburg, der zwei der bedeutendsten Künstler des 19. Jahrhunderts miteinander bekannt machte: den Choreografen Marius Petipa und den Komponisten Pjotr I. Tschaikowski. Er regte die beiden dazu an, das Märchen La belle au bois dormant des französischen Schriftstellers Charles Perrault als Vorlage für die gemeinsame Schöpfung eines Balletts zu verwenden. Die Märchen Perraults waren den Russen zu dieser Zeit sehr präsent: 1864 waren noch heute bekannte Geschichten wie Der gestiefelte Kater, Aschenputtel und Rotkäppchen von Iwan Turgenew ins Russische übertragen worden. Die Schöpfer von Dornröschen hielten sich eng an den ersten Teil der literarischen Vorlage, in dem die Geschichte von Auroras Taufe, ihrem Zauberschlaf, bis zu ihrer Erweckung durch Prinz Désiré erzählt wird. Im dritten Akt kreierten sie jedoch ein Divertissement, das dem Zeitgeschmack des 19. Jahrhunderts entsprach und insbesondere dem Zaren und seiner Familie huldigen sollte. Ihnen schwebte eine Ballett-Feerie vor, wie sie im 19. Jahrhundert zunächst in Euro­pa, später auch auf den russischen Bühnen beliebt waren: üppig ausgestattete Tanzspektakel, angesiedelt in einer historisch-fantastischen Märchenwelt.

Petipas choreografischer Reichtum Marius Petipa wollte jedoch kein zur Kostümschau verkümmertes Bühnenstück kreieren, sondern den Märchenstoff dazu nutzen, den klassischen Tanz in seiner höchsten Vollendung zu präsentieren. Seine Arbeitsprozesse legte er detailliert

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in szenisch-musikalischen Plänen nieder. Diese Aufzeichnungen zeugen von Petipas genialem Vermögen, das Ballett schon vor seiner Entstehung im Geiste vollendet zu sehen und die noch nicht existierende Musik dazu zu hören. Mit Auroras Taufe zu Beginn des Stückes, ihrem Geburtstag im ersten Akt und der Hochzeit Auroras und Prinz Désirés als grossem Finale hatte Petipa auf insgesamt drei grossen Festen die Möglichkeit, neben den vier Hauptrollen – Aurora, Prinz Désiré, der Fliederfee und Carabosse – viele kleine und grössere Solo­rollen zu choreografieren. So sind Petipas Soli der sechs guten Feen, die der Prinzessin ihre Gaben überbringen technisch anspruchsvoll zu tanzen; ebenso die Rollen der vier Prinzen, die im ersten Akt während des berühmten Rosen-Adagios auftreten, in dem die Tänzerin der Aurora ihre Balance eine gefühlte Ewigkeit unter Beweis stellen muss. Der letzte Akt ist bei Petipa gespickt mit schillernden Hochzeitsgästen – darunter viele Figuren aus anderen Märchen, die zum Teil ebenfalls solistische Tänze darbieten, wie etwa der Blaue Vogel, Ali Baba, der gestiefelte Kater oder Rotkäppchen und der Wolf. Die finale Hochzeitszeremonie auf der Bühne ist zugleich eine Ode an das Königshaus. Nicht nur die Zaren konnten sich und ihren Hofstaat hier gebührend verehrt sehen, auch die Prinzen und Fürsten im Publikum wurden extra bedacht – in den vielen kleinen Solorollen konnten sie ihre Lieblingstänzerin bewundern.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Petipa und Tschaikowski – eine Sternstunde künstlerischer Zusammenarbeit

Was Petipas Arbeit an Dornröschen ausserdem so einzigartig machte, war seine enge Zusammenarbeit mit Tschaikowski, die von herausragender Schaffenskraft geprägt war. Auf Wsewoloschskis Anfrage an Tschaikowski, ob er die Musik zu dem erdachten Libretto schreiben würde, antwortete dieser enthusias­tisch: «Ich könnte mir nichts Besseres wünschen, für das ich die Musik schreiben möchte.» Tschaikowski arbeitete mit einem detaillierten Plan nach Petipas choreografischen Vorstellungen, die seine kompositorische Inspiration beflügelten. Umgekehrt war Petipa von einigen abweichenden Stellen in der Partitur so begeistert,

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dass er seine ursprünglichen Ideen daran anpasste. Auf diese Weise entstand ein Zusammenspiel von Tanz und Musik, das noch heute seinesgleichen sucht. George Balanchine schrieb später über die Komposition von Dornröschen: «Dornröschen – das ist sehr viel Musik, ganze Wände voll. Es ist möglich, dass Tschaikowski nicht vorhatte, das alles zu schreiben, aber Petipa verlangte es von ihm. Er schrieb an Tschaikowski ungefähr so: Ich brauche Musik für die Coda, lebhaft, sechsundneunzig Takte. Oder: Vogelzwitschern. Vierundzwanzig Takte. Oder er verlangte von ihm Allgemeines Erwachen/Verwandlung zwischen acht und sechzehn Takte, oder einige Variationen. Und Tschaikowski schrieb, fügte ein, warf hinaus.»

Das komplette Programmbuch Ein Meisterwerk des zaristischen Bühnentanzes können Sie auf Viele sehen in Dornröschen den Höhepunkt von Petipas Œuvre. Das Werk dewww.opernhaus.ch/shop monstriert auf beste Art und Weise, wie ausserordentlich komplex sich das zari­stische Ballett zu jener Zeit darstellte. Es manifestiert zahllose Facetten der oder am Vorstellungsabend im Foyer Ballettgeschichte und zeigt virtuosen akademischen Tanz sowie Charakterdarstellung. Petipas Werk vereint reine Danse d’école und Pantomime sowie das Beste aus russischer und französischer Schule. des Opernhauses erwerben Tatsächlich gilt das 1890 in St. Petersburg uraufgeführte Ballett Dornröschen von Marius Petipa als die grossartigste Schöpfung des zaristischen Bühnen­ tanzes. Es wurde gewissermassen zum choreografischen Musterbuch, zur Stilbibel des klassischen Balletts. Bis heute haben die Ballette Petipas unge­brochenen Einfluss auf die Produktion klassischer Ballettwerke. Und nicht zuletzt dank Petipas imposanter Leistung steht kaum zu befürchten, Dornröschen könne im Laufe seiner weiteren Werkgeschichte jemals das Schicksal eines hundertjährigen Schlafes ereilen.

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Der talentvolle Ballettmeister, der alte Ballette neu ein­ studiert, gestaltet die Tänze gemäss seiner Fantasie, seiner Begabung und dem Geschmack des Publikums seiner Epoche und wird nicht seine Zeit damit verlieren, Altes, das von anderen und aus ver­gangenen Zeiten stammt, nachzuahmen. Marius Petipa, 10. Februar 1892



«Wie Troylus so vor sich hinjammerte, ohne den Blick von der erhabenen Schönheit der Prinzessin abzuwenden, da riet ihm Amor, sie zu küssen, und jener sagte zu ihr: «Jungfrau, gefiele es Euch, dass ich Euch küsse.» Alsogleich war der Ritter bereit, sie zu küssen, doch Vernunft und Weisheit kamen ihm zu­vor, die da sagten: «Edler Ritter, es geziemt sich niemandem, an einen Ort ein­zu­dringen, wo eine Jungfrau allein in ihrer Abgeschiedenheit sei, wenn er nicht dazu die Erlaubnis erhalten hat, und er darf sie auch nicht berühren, solange sie schläft.» Dies hörend zog der Ritter sein Gesicht zurück, das bereits nahe bei seiner Freundin war. Aber die Sehnsucht, die ihn packte und anstachel­te, sagte ihm, dass er sich aus diesem Grund nicht zurückziehen solle und dass sich die Vernunft in diesem Falle nicht einzuschleichen habe und dass die Ehre darob nicht besudelt werde, denn Küssen bringt Heilung in mehrerer Hinsicht, und im Besonderen erweckt sie die ins Vergessen geratenen Personen wieder zum Leben und lindert die Sorgen. Und als Troy­lus diese Worte erwog, gefielen sie ihm sehr, und es schien ihm gut geraten, dass die Vernunft sich nicht entgegensetzen konnte, und so küsste er die Jungfrau mehr denn zwanzig Mal…»

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«Geschichte von Troylus und Zellandine» im anonymen «Roman de Perceforest», um 1330






WARUM DORNRÖSCHEN UNSTERBLICH IST Pjotr I. Tschaikowski und seine «Dornröschen»-Partitur Steffen Georgi

Ein lebhaftes, fantasiereiches Kind sondergleichen muss Pjotr Tschaikowski gewesen sein. Denn wie sonst hätte er all die herrlichen Märchen wie Schwanen­see, Dornröschen und Nussknacker mit einer derart vielgestaltigen, verschwenderisch schönen Musik ausstatten können? Mit nimmermüder Freude an Farbe und Form ziselierte er die Märchenballettpartituren bis ins Detail hinein aus, sprach und spricht den Menschen aller Zeiten damit aus dem Herzen. Diese Hinwendung an unser inneres Kind, der liebevolle Umgang mit jenen verletzlichen Werten, die wir Herzenssache nennen, zeichnet gute Musik massgeblich aus. Und Tschaikowski hatte offensichtlich keine andere Wahl, als aufrichtig und mitfühlend zu komponieren. Das Mit-Fühlen bei unserem menschlichen Tun, überhaupt das Urvertrauen in unser vorurteilsfreies Fühlen ist noch immer eine essentielle Voraussetzung dafür, um etwas in die grundsätzlich richtige Richtung lenken zu können. Tschaikowskis eigene Kindheit an der Seite seiner geliebten Schwester scheint in der Musik der Ballette auf. Gemeinsam mit Sascha hatte Pjotr eine französische Erziehung genossen, wie damals für die wohlhabende russische Land­bevölkerung üblich. Obendrein war Tschaikowskis Mutter französischer Herkunft und sein Kindermädchen ebenfalls Französin. Jene mittlerweile sieb­ zig­jährige Fanny Dürbach traf Tschaikowski 1892, im Jahr der Uraufführung des Nussknackers, wieder. «Aus der Schatulle des alten Fräuleins steigen die Er­ innerungen wie aus einem zauberischen Behälter. Das sind Spielsachen, die dem kleinen Pierre gehört haben, eine Puppe, bunte Glaskugeln; da sind die französischen Gedichte ... magische Rückkehr des Vergangenen, oh, Wiederer­ken­nen,

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oh, Nach-Hause-Finden!» So verklärt Klaus Mann in seinem Tschaikow­skiRoman die anrührende Begegnung. Und noch eine tiefe Quelle der Inspiration lässt sich für Tschaikowski ausmachen. Es ist sein Bild von Mozart, genährt durch dessen Musik: «Aber vielleicht liebe ich ihn geradeso, weil ich, als Kind meines Jahrhunderts innerlich verwirrt und moralisch angekränkelt, von seiner gesunden Lebensfreude und der Reinheit einer von Grübeleien nicht vergifteten Natur angezogen, getröstet und beruhigt werde.»

Wahre Schönheit erblüht immer neu

Das komplette Programmbuch Nach dem Erfolg von Schwanensee dauerte es elf Jahre, dann bot sich ein neues können Sie auf Märchensujet als jener sprichwörtliche Knopf an, um den Pjotr Tschaikowski seinen wärmenden Mantel aus Musik weben konnte. Iwan Wsewoloschski, der www.opernhaus.ch/shop Direktor des Kaiserlichen Theaters von St. Petersburg, vermochte Tschaikowski 1888 «bezaubert und verzückt» zu machen mit seinem Vorschlag, La belle au oder am vonVorstellungsabend imIn einem Foyer bois dormant Charles Perrault auf die Ballettbühne zu bringen. Brief vom 13. Mai 1888 führte der Impresario aus: «Ich möchte die Mise en Scène im Stil Opernhauses von Ludwig XIV. (ein Tribut an den Sonnenkönig wäre eine des erwerben Verbeugung vor Zar Alexander III.) machen. Hier kann sich die musikalische Einfallskraft entzünden, und die Melodien können im Geist von Lully, Bach, Rameau, etc., etc. komponiert werden. Im letzten Akt ist eine Quadrille aller Märchen von Perrault absolut unerlässlich – Der gestiefelte Kater, Der kleine Däumling, Aschenbrödel, Blaubart und so weiter.» Etwas weniger als sechs Wochen benötigte Tschaikowski, um das Werk im Wesentlichen zu skizzieren. Grundlage war einerseits das Szenario von Wsewoloschski, mehr noch beflügelten jedoch die minutiösen Ideen des berühmten, damals 69-jährigen Petersburger Ballettmeisters Marius Petipa Tschaikowskis Fantasie. Gegenüber seiner Gönnerin Nadeshda von Meck schwärmte er: «Das Sujet ist so poetisch, musika­ lisch so dankbar, dass ich, während ich es komponierte, sehr begeistert war und mit der Wärme und Passion schrieb, die Voraussetzung für die gute Qualität

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eines Werkes sind.» Die Premiere fand am 15. Januar 1890 in St. Petersburg statt. Schon vor der Erstaufführung hatte der russische Verleger Jürgenson einen von Tschaikowskis Schüler Alexander Siloti erstellten Klavierauszug der gesamten Ballettmusik herausgegeben. Doch nach der Premiere wurden etliche Nummern gestrichen, so dass die 1899 gedruckte Orchesterpartitur nicht mehr die gesamte Musik Tschaikowskis enthielt. Über Jahrzehnte kannte man nur die gekürzte Fassung von Dornröschen. Erst 1952 wurde die ursprüngliche Partitur mit der vollständigen Musik in Moskau verlegt, wobei die Nummern, die nur aus Silotis Klavierauszug zu rekonstruieren waren, neu instrumentiert werden mussten.

Von Tschaikowski zu Strawinsky Einer derjenigen, die sich bereits früh um die Wiederbelebung von Tschaikow­ skis Partitur verdient gemacht hatten, war Igor Strawinsky. Nachdem Dornröschen anfangs kaum über Russlands Grenzen hinaus bekannt geworden war, wagte der legendäre Impresario der «Ballets Russes», Sergei Diaghilew, eine Inszenierung am Londoner Alhambra-Theater, die am 2. November 1921 Premiere hatte. An diesem Abend erklang ein Potpourri aus originaler DornröschenMusik, Auszügen aus der Nussknacker-Musik und auch zwei Nummern, die zwar von Tschaikowski für Dornröschen komponiert waren, in der gedruckten Partitur aber fehlten. (Eine davon war der «Entr’acte symphonique» zu Beginn des zweiten Aktes.) Diaghilew beauftragte also Strawinsky, diese Nummern dem Klavierauszug zu entnehmen und für Orchester zu arrangieren. Auch wenn die Londoner Inszenierung kein wirtschaftlicher Erfolg für Diaghilew wurde, sensibilisierte sie doch nachhaltig Strawinsky für Tschaikowskis Partitur. Dieses Interesse kam nicht von ungefähr, sondern war in Tschaikowskis Musik im Grunde bereits angelegt. Der Dirigent Vladimir Jurowski, der die gesamte Musik zu Tschaikowskis Dornröschen mehrfach dirigiert hat, geht so weit, aus dem dritten Akt eine Art neuen Tschaikowski herauszuhören – «eine neue Phase russischer Ballettmusik, ohne die keines der späteren Ballette von

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Strawinsky und Prokofjew möglich gewesen wäre. ... Ich bin fest davon überzeugt, dass Tschaikowski, wäre er nicht so vorzeitig gestorben, einen ähnlichen Kompositionsstil entwickelt hätte, wie den, den wir bei Strawinsky zwischen 1917 und 1928 kennen, um die Zeit von Pulcinella.» Aus diesem Blickwinkel kommt Tschaikowski eine überraschend zukunftsweisende Vermittlerrolle zu: «Ich finde, dass Tschaikowski, selbst wenn es um seine grossen sinfonischen Werke geht, diese seltsame Verbindung aus Mozart, Beethoven, Mendelssohn, Schumann, etwas französischer Musik und viel späterer Musik wie der von Strawinsky und Schostakowitsch darstellt.» (Vladimir Jurowski)

Musikalische Merk-Würdigkeiten Das komplette Programmbuch Petipa gab oft die genaue Anzahl der Takte vor, die er für eine Szene benötigte. können Sie auf Er suggerierte ein Tempo, einen Rhythmus, eine Lautstärke. Und Tschaikowski gehorchte – mit überbordender Fantasie, furioser Wucht, feinem Witz, anmuwww.opernhaus.ch/shop tiger Eleganz, mit nie versiegender Originalität. Um den Reichtum der Partitur zu veranschaulichen, seien wenige Details oder am Vorstellungsabend hervorgehoben. Eines betrifft gleich den allerersten Beginn, wennim uns dieFoyer Musik ruppig wie eine Furie sogleich an die Gurgel will. «Die Einleitung zu Anfang des des Ballettes beruht auf zwei Leitmotiven, die in der Musik später eine grosse Opernhauses erwerben Bedeutung erlangen. Das erste, in den ersten beiden Takten, stellt die Fee Carabosse dar und deutet auf herrliche Art ihr mürrisches Wesen an. Melodie und Rhythmus dieses Motivs begleiten jeden Auftritt dieser Fee. ... Die ‹bösartigen› Akkorde, welche die drei ersten Noten ihres Themas begleiten, finden auch noch in einem weiteren Sinne ihre Anwendung, denn am Ende des ersten Akts werden sie in sublimierter Form dem Zauberspruch der Fliederfee eingegliedert. Die Fliederfee selbst wird durch die anmutige Melodie dargestellt, die zum ersten Mal in der Einleitung, Takt 30, erscheint. Beide Leitmotive, zusammen mit den drei Akkorden, werden sinfonisch im Entr’act symphonique zu Beginn des zweiten Aktes durchgeführt, und Tschaikowski selbst hielt die Musik dieses Stückes für die beste des ganzen Balletts.» (Roger Fiske im Vorwort der Partitur, herausgegeben vom Verlag Ernst Eulenburg, 1973)

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Wagnert es bei Dornröschen? Unübersehbar ist die Nähe des hundertjährigen Schlafes Dornröschens zu dem von Brünnhilde in Wagners Ring. Schon Tschaikowskis Zeitgenossen, u.a. dem russischen Komponisten César Cui (1835-1918), war die Ähnlichkeit der Dornröschen-Szene mit der Erweckung der Walküre durch Siegfried aufgefallen. Tschaikowski hatte in der Tat den ersten Bayreuther Ring-Zyklus 1876 besucht. «Und obgleich ihm die dramatischen Ziele missfielen, war er unweigerlich von den musikalischen Mitteln beeindruckt. Wenn in der eindringlichsten originalen Nummer der Musik, dem Entr’acte symphonique, in den Holzbläsern die ‹Schlafakkorde› erklingen, zu denen die Fliederfee das Wutthema der boshaften Carabosse (mit dem das Drama beginnt) zauberhaft umwandelt, gibt es eine unverkennbare Parallele mit dem absteigenden chromatischen Thema, zu dem Wotan Brünnhilde gegen Ende der Walküre verbannt.» (Roger Fiske) Eine zweite Ebene bilden die Melodien der Sehnsucht. Die Binsenweisheit, wonach jeder Mensch einfach geliebt werden will, nahm in Tschaikowskis Leben ungewöhnlich dramatische Dimensionen an. Nicht zufällig tauchen regelmässig zu höchster Identifikation einladende Melodien genau dieser Qualität auf, die zum Dahinschmelzen schön das Bittere und das Süsse in sich vereinigen. Dies gilt auch für das Leitmotiv der Fliederfee, der positiven Gegenspielerin von Ca­ rabosse. Die mit Ohren zu greifende Sehnsucht nach Liebe ist auch in anderen Tschaikowski-Werken zu finden, etwa in Romeo und Julia, Francesca da Rimini und Manfred.

Französisches Parfüm trifft russischen Machorka Von ausgesuchter Delikatesse sind namentlich die französischen Anklänge in Pjotr Tschaikowskis Partitur. Nicht nur hatte der Komponist seine prägenden Kindheitserfahrungen mit dieser Kultur gemacht, sondern der Petersburger Ballettmeister Marius Petipa war selbst Franzose. So stimmten beide wie selbstverständlich darin überein, sowohl die Gesamthandlung des Ballettes als auch

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die im dritten Akt eingestreuten Märchen den «Contes de fées» von Charles Perrault – und damit dem Zeitalter Louis XIV – zu entlehnen. Tatsächlich kokettiert Tschaikowski einige Male mit dem (vermeintlichen) musikalischen Stil dieser Epoche, zum Beispiel in der Sarabande am Ende des dritten Aktes oder in der Farandole im zweiten Akt – auch wenn er dieselbe witzigerweise im Dreiviertel- statt im Zweivierteltakt auftreten lässt und gar hinzufügt «in tempo di Mazurka». Die Apotheose ganz am Schluss greift auf ein alt-französisches Lied «Vive Henri Quatre» zurück. Das seit Jahrhunderten in Europa sehr populäre Lied auf Henri IV (1589 bis 1610) verfehlt auch hier seine prächtige Wirkung nicht. Sowohl in französischem Raffinement als auch in slawischen Temperamentsausbrüchen erweist sich Tschaikowski als überragender Meister. Der Vollblutmusiker lässt die Figuren vor unserer inneren Wahrnehmung herauftanzen, kaum dass eine Atempause bleibt. Köstlich zum Beispiel im Prolog die «Fee der Fallenden Brotkrumen» («Miettes qui tombent»), die «ihr Geschenk zu Pizzikatotröpfchen vor tiefen Posaunen- und Tuba-Akkorden fallen» lässt (Fiske), während gleich darauf der «Zwitschernde Kanarienvogel» («Canari qui chante») ein Fest für die Piccoloflöte ist. Der «Blaue Vogel» hingegen im dritten Akt kommt keineswegs so quietschbunt daher wie sein Vorgänger im Prolog. Obwohl ebenfalls von der Flöte verkörpert, tiriliert er mit jener klassizistischen Noblesse, die an Mozarts hohe Einfachheit heranreicht. Prokofjew wird diesem Vogel in Peter und der Wolf zur Wiedergeburt verhelfen. Tschaikowski hatte also allen Grund, stolz zu sein auf seine Instrumentationseinfälle, die unter Komponisten oft als lästige Nebenarbeit gelten. An Nadeshda von Meck schrieb er: «Ich habe mit besonderer Sorgfalt und Liebe an der Instrumentierung gearbeitet und einige ganz neue Kombinationen für das Orchester gewählt, die, wie ich hoffe, sehr schön und interessant klingen.» Nach all den Wagner-Küssen, den russischen Tanzbodenszenen und den französischen Duftmarken kennt die grandiose Schlussapotheose kein Halten mehr, alles Verlangen verströmt sich in der Morgenröte. Das Tor in die Zukunft ist offen.

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«Da lag es und war so schön, dass er die Augen nicht abwenden konnte, und er bückte sich und gab ihm einen Kuss. Wie er es mit dem Kuss berührt hatte, schlug Dornröschen die Augen auf und blickte ihn ganz freundlich an. Da gingen sie herab, und der König erwachte und die Königin und der ganze Hofstaat und sahen einander mit grossen Augen an.» «Dornröschen», Brüder Grimm, 1857


DORNRÖSCHEN Musikliste der Fassung von Christian Spuck

Introduktion Nr. 5 Scène Nr. 1 Marche Nr. 2 Scène Dansante Nr. 3 Variation 1: Candide Variation 2: Coulante Variation 3: Miettes qui tombent Variation 4: Canari qui chante Variation 5: Violente Variation 6: La Fée des lilas Coda Nr. 4 Final Nr. 18 Entr’acte Nr. 22 Pas de quatre Nr. 24 Coda Nr. 26b Cendrillon et le prince Fortuné Nr. 6 Valse Nr. 7 Scène Nr. 8a Pas d’action (Rosen-Adagio) Nr. 8c Variation d’Aurore Nr. 8d Coda Nr. 9 Final

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Nr. 10 Entr’acte et Scène Nr. 11 Colin-Maillard Nr. 12e Danse des marquises Nr. 12d Danse des contesses Nr. 13b Danse (Mazurka) Nr. 14 Scène (Désiré et la Fée des lilas) Nr. 15a Pas d’action (Scène d’Aurore et de Désiré) Nr. 15c Coda Nr. 19a Entr’acte symphonique et scène (Le Sommeil) Nr. 19b Final Nr. 17 Panorama Nr. 27 Adagio (Andante non troppo) Nr. 29 Apothéose (ab Andante molto maestoso)

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DORNRÖSCHEN IN ZÜRICH 1964 / 1965 / 1966 Dornröschen Choreografie: Nicolas Beriozoff Musikalische Leitung: Carlos Kleiber/Armin Jordan Bühnenbild und Kostüme: Seppo Nurmimaa Premiere: 21. November 1964 (40 Vorstellungen) 1. Wiederaufnahme: 6. November 1965 (10 Vorstellungen) 2. Wiederaufnahme: 23. September 1966 (3 Vorstellungen)

1984 Pas de deux aus «Dornröschen» im Rahmen eines mehrteiligen Ballettabends Choreografie: Marius Petipa Kostüme: Nicholas Georgiadis Premiere: 8. Oktober 1984 (3 Vorstellungen)

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1985 / 1986 Dornröschen Choreografie: Uwe Scholz Musikalische Leitung: André Presser/Charly Schneider Bühnenbild: Andrzej Majewski Kostüme: Jan Skalicky Premiere: 23. November 1985 (28 Vorstellungen)

2O11 / 2O14 Sleeping Beauty (Dornröschen) Choreografie: Mats Ek Musikalische Leitung: Rossen Milanov/Zsolt Hamar Bühnenbild und Kostüme: Peder Freiij Licht: Erik Berglund Premiere: 24. September 2011 (12 Vorstellungen) Wiederaufnahme: 5. März 2014 (4 Vorstellungen)

2O2O / 2O22 Dornröschen Choreografie: Christian Spuck Musikalische Leitung: Robertas Šervenikas Bühnenbild: Rufus Didwiszus Kostüme: Buki Shiff Licht: Martin Gebhardt Premiere: 10. Oktober 2020 (2 Vorstellungen) Wiederaufnahme: 10. April 2022

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BALLETT ZÜRICH


Christian Spuck Ballettdirektor

Christian Spuck stammt aus Marburg und wurde an der John Cranko Schule in Stuttgart ausgebildet. Seine tänzerische Laufbahn begann er in Jan Lauwers’ Need­ company und Anne Teresa de Keersmaekers Ensemble «Rosas». 1995 wurde er Mitglied des Stuttgarter Balletts und war von 2001 bis 2012 Hauschoreograf der Com­pagnie. In Stutt­gart kreierte er fünfzehn Urauf­ füh­r ungen, darunter die Handlungsballette Lulu. Eine Monstre­tragödie nach Frank Wedekind, Der Sandmann und Das Fräulein von S. nach E.T.A. Hoffmann. Da­ rüber hinaus hat Christian Spuck mit nam­haften Ballett­ compagnien in Europa und den USA ge­arbeitet. Für das Königliche Ballett Flandern entstand The Return of Ulysses, beim Norwegischen Nationalballett Oslo wurde Woyzeck nach Georg Büchner uraufgeführt. Das Ballett Die Kinder beim Aalto Ballett Theater Essen wurde für den «Prix Benois de la Danse» nominiert, das ebenfalls in Essen uraufgeführte Ballett Leonce und Lena nach Georg Büchner wurde von den Grands Ballets Cana­diens de Montreal und vom Stuttgarter Ballett über­nommen. Die Uraufführung von Poppea//Poppea für Gauthier Dance am Theaterhaus Stuttgart wurde 2010 von der Zeitschrift Dance Europe zu den zehn erfolgreichsten Tanzproduktionen weltweit gewählt so­wie mit dem deutschen Theaterpreis Der Faust 2011 und dem italienischen Danza/Danza-Award ausge­zeich­­net. Christian Spuck ist auch im Bereich Oper tätig. Auf Glucks Orphée et Euridice an der Staatsoper Stuttgart folgten Verdis Falstaff am Staats­the­ater Wiesbaden sowie Berlioz’ La Damnation de Faust und Wagners Fliegender Holländer an der Deutschen Oper Berlin. Seit der Saison 2012/13 ist Christian Spuck Di­rek­tor des Balletts Zürich. Hier waren sei­ne Cho­reo­gra­fien Romeo und Julia, Leonce und Lena, Woyzeck, Der Sandmann, Messa da Requiem, Nussknacker und Mausekönig, Dorn­ röschen und Monteverdi zu sehen. Das 2014 in Zürich uraufgeführ ­te Ballett Anna Karenina wurde in Oslo, am Moskauer Stanislawski-The­ater sowie vom Koreanischen Nationalballett und vom Bayerischen Staats­­ballett ins Repertoire übernommen. Für das 2018 in Zürich uraufgeführte Ballett Winter­reise wurde er mit dem «Prix Benois de la Danse» ausgezeichnet. 2019 folgte beim Ballett Zürich Helmut Lachenmanns Das Mädchen mit den Schwefelhölzern (Auszeichnung als «Produktion des Jahres» durch die Zeitschrift tanz). Für das Ballett des Moskauer Bolschoitheaters entstand 2021 das Ballett Orlando. Mit Beginn der Saison 2023/24 wird Christian Spuck Intendant des Staatsballetts Berlin.


Giulia Tonelli Erste Solistin

Giulia Tonelli stammt aus Italien. Ihre Ausbildung absol­vierte sie beim Balletto di Toscana und an der Bal­lett­ ­schule der Wiener Staatsoper. Nach einem ersten En­ga­ gement an der Wiener Staatsoper tanzte sie von 2002 bis 2010 beim Royal Ballet of Flanders in Antwer­pen, ab 2004 als Halbsolistin. Dort tanzte sie u. a. Giselle (Petipa) sowie Solopartien in Choreografien von Forsythe, Balanchine, Kylián, Haydée und Spuck. Seit 2010/11 ist sie Mitglied des Balletts Zürich, wo sie in Balletten von Spoerli, Goecke, McGregor, Lee, For­ sythe, Kylián und Balanchine auftrat. Sie tanzte Julia in Christian Spucks Romeo und Julia, Lena in Spucks Leon­ce und Lena und Betsy in Anna Karenina. In Alexei Ratmanskys Schwanensee-Rekonstruktion tanzte sie im Pas de trois, ausserdem war sie in Forsythes Quintett und Spucks Messa da Requiem zu erleben. Weitere Höhepunkte waren Emergence von Crystal Pite und Gretchen in Edward Clugs Faust – Das Ballett. Bei den «Jungen Choreografen» präsentierte sie gemeinsam mit Mélissa Ligurgo die Arbeiten Mind Games und Klastos. 2013 wurde sie mit dem Giuliana-Penzi-Preis ausgezeichnet. 2017 erhielt sie den «Tanzpreis der Freunde des Balletts Zürich».

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Elena Vostrotina Erste Solistin

Elena Vostrotina stammt aus St. Petersburg. Ihre Bal­ lett­­ausbildung erhielt sie an der Vaganova Ballet Acade­ my. 2003 wurde sie Mitglied des Mariinsky-Balletts. Dort tanzte sie u. a. Odette/Odile in Schwanensee (Peti­pa/Iwanow), Myrtha in Giselle (Coralli/Perrot), Königin der Dryaden in Don Quixote (Gorsky) und Ap­pro­­ximate Sonata (Forsythe). 2006 wurde sie von Aaron S. Watkin ans Semperoper Ballett Dresden engagiert. Hier wurde sie zur Solistin ernannt und tanzte in Choreografien von Forsythe, Ek, Neumeier, Dawson, Naharin, Ekman und Celis. Sie gastierte am Stanislaw­ ski-Nemirowitsch-Dantschenko-Theater in Moskau, am Staatstheater Nowosibirsk, bei der Gala «Roberto Bolle and Friends» sowie bei den Ballets Bubeníček. Sie wurde mit dem Preis «Hope of Russia» des Vaganova-Wett­ ­bewerbs sowie mit dem Mary-Wigman-Preis 2014 ausgezeichnet. Seit der Saison 2017/18 ist Elena Vo­strotina Erste Solistin des Balletts Zürich. Hier tanzte sie u.a. Odette/Odile in Ratmanskys Schwanensee-Rekonstruktion, die Amme in Christian Spucks Romeo und Julia, Myrtha in Patrice Barts Giselle sowie in Christian Spucks Nussknacker und Mausekönig, Winterreise und Nocturne.


Programmheft DORNRÖSCHEN Ballett von Christian Spuck nach dem Märchen «La Belle au bois dormant» von Charles Perrault

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Musik von Pjotr I. Tschaikowski

Premiere am 10. Oktober 2020, Spielzeit 2020/21

Wiederaufnahme am 10. April 2022, Spielzeit 2021/22 Herausgeber Intendant

Zusammenstellung, Redaktion Layout, Grafische Gestaltung

Titelseite Visual

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Andreas Homoki Michael Küster

Carole Bolli

François Berthoud

Opernhaus Zürich, Marketing

Telefon 044 268 66 33, inserate@opernhaus.ch

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Textnachweise: Inhaltsangabe und Chronologie «‹Dornröschen› in Zürich»: Michael Küster. – Das Interview mit Christian Spuck führte Michael Küster für dieses Programmheft. – Dorion Weickmann: Von dornigen Trieben und Blütenranken. Originalbeitrag für dieses Programmheft. – Steffen Georgi: Warum Dornröschen unsterblich ist. Überarbeitete Fassung eines Originalbeitrages für das Programmheft «Dornröschen» des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin. Berlin, 2019. – Ronja Ruppert / Vivien Arnold: Marius Petipas «Dornröschen». In: Programmheft «Dornröschen». Stuttgart, 2015. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Stuttgarter Balletts. – Märchenzitate aus dem «Roman de Perceforest» so­wie den Märchen von Giambattista Basile, Charles Per­

Studio Geissbühler

Fineprint AG

rault und den Brüdern Grimm. In: Beat Mazenauer / Severin Perrig (Hrsg.): Wie Dornröschen seine Unschuld gewann. Archäologie der Märchen. Leipzig, 1995. – Zitat Marius Petipa. In: Eberhard Rebling: Petipa – Meister des klassischen Balletts. Wilhelmshaven / Locarno / Amsterdam, 1980. Bildnachweise: Ida Zenna fotografierte das Ballett Zürich bei der Klavier­ hauptprobe am 1. Oktober 2020. Fotos S. 6-7, 11, 14-15, 23, 44-47: Admill Kuyler. Fotos S. 26, 34, 54-55: Gregory Batardon. Die Compagnie wurde porträtiert von Jos Schmid. Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.


Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden, Obwalden und Schwyz. PARTNER

PRODUKTIONSSPONSOREN AMAG Clariant Foundation

Freunde der Oper Zürich Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG

PROJEKTSPONSOREN Baugarten Stiftung René und Susanne Braginsky-Stiftung Freunde des Balletts Zürich

Ringier AG Georg und Bertha Schwyzer-Winiker-Stiftung Hans und Edith Sulzer-Oravecz-Stiftung

Ernst Göhner Stiftung

Swiss Life

Hans Imholz-Stiftung

Swiss Re

Kühne-Stiftung

Zürcher Kantonalbank

GÖNNERINNEN UND GÖNNER Josef und Pirkko Ackermann Alfons’ Blumenmarkt Familie Thomas Bär Bergos Privatbank Margot Bodmer Elektro Compagnoni AG Stiftung Melinda Esterházy de Galantha Fitnessparks Migros Zürich Fritz Gerber Stiftung Egon-und-Ingrid-Hug-Stiftung Walter B. Kielholz Stiftung KPMG AG

Stiftung LYRA zur Förderung hochbegabter, junger Musiker und Musikerinnen Die Mobiliar Fondation Les Mûrons Mutschler Ventures AG Neue Zürcher Zeitung AG Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung StockArt – Stiftung für Musik Else von Sick Stiftung Ernst von Siemens Musikstiftung Elisabeth Weber-Stiftung Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung

Landis & Gyr Stiftung FÖRDERINNEN UND FÖRDERER CORAL STUDIO SA Theodor und Constantin Davidoff Stiftung Frankfurter Bankgesellschaft (Schweiz) AG Garmin Switzerland

Horego AG Richards Foundation Luzius R. Sprüngli Madlen und Thomas von Stockar



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