Giselle

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GISELLE

BALLETT VON PATRICE BART NACH JEAN CORALLI UND JULES PERROT


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GISELLE Ballett von Patrice Bart In zwei Akten nach Jean Coralli und Jules Perrot Libretto von Th辿ophile Gautier und Jules Henri Vernoy de Saint-Georges Musik von Adolphe Adam (1803-1856) mit Einlagen von Friedrich Burgm端ller (1804-1874) und Ludwig Minkus (1826-1917) Z端rcher Neufassung

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DIE HANDLUNG 1. Akt Herzog Albrecht hat sich in das anmutige Winzermädchen Giselle verliebt und gibt sich ihr gegenüber als einfacher Bauer namens Loys aus. Giselle erwidert seine Liebe. Der Wildhüter Hilarion, der ebenfalls in Giselle verliebt ist, beobachtet den fremden Rivalen mit eifersüchtigem Misstrauen. Giselle ist von einer unbändigen Tanzsucht besessen und nutzt jede Gelegenheit zum Tanz. Besorgt um Giselles Gesundheit, warnt ihre Mutter Berthe die Toch­ ter. Sie erzählt vom Schicksal der Wilis, jener noch vor der Hochzeit gestorbe­ nen Mädchen, die dazu verurteilt sind, jede Nacht zu tanzen. Der Herzog von Kurland und seine Tochter Bathilde, die mit Albrecht verlobt ist, kommen mit ihrer Jagdgesellschaft durch das Dorf. Während sich Albrecht verbirgt, tanzen Giselle und die Dorfbewohner für die edlen Gäste. Entzückt von Giselles Anmut, schenkt ihr Bathilde eine kostbare Kette. Giselle wird zur Winzerkönigin gekrönt. Die Weinernte wird gefeiert, Giselle und Albrecht sind der Mittelpunkt des Festes. Inzwischen hat Hilarion Alberts Schwert mit dem Herzogwappen gefunden, das dieser sorgfältig in seiner Hütte versteckt gehalten hatte. Von Hilarion zur Rede gestellt, bestreitet Albrecht, dass es sich um seine Waffe handelt. Darauf ruft Hilarion die Hofgesellschaft zusammen und deckt Albrechts Doppelspiel auf. Albrecht erklärt alles für einen Scherz und verleugnet Giselle vor Bathilde. Giselle sieht sich schmählich verraten, verfällt dem Wahnsinn und stirbt.

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2. Akt Hilarion wacht an Giselles Grab. Die Mitternachtsstunde ist gekommen, da blitzen Irrlichter auf. Entsetzt flieht Hilarion. Myrtha, die Königin der Wilis, erscheint und schart ihre Untertaninnen um sich. Sie ruft Giselle aus ihrem Grab heraus, um sie in die Riten der Wilis ein­ zuführen. Auch Albrecht hat sich am Grab Giselles eingefunden, um zu trauern. Immer wieder erscheint ihm Giselle; doch es gelingt ihm nicht, sie festzuhalten. Hilarion wird von den Wilis verfolgt. Sie zwingen ihn zu einem erbarmungslo­ sen Tanz und jagen ihn in den Tod. Ihr nächstes Opfer soll Albrecht sein. Giselle fleht bei Myrtha um Gnade. Vergebens: Die Königin der Wilis befiehlt Giselle zu tanzen, um Albrecht vom schützenden Kreuz wegzulocken. Die List gelingt. Albrecht kann keinen Widerstand mehr leisten. Doch Giselles Liebe, die über den Tod hinausreicht, verleiht ihm die Kraft, den Tanz bis zur Mor­ gendämmerung durchzuhalten. Die aufgehende Sonne bannt die Zaubermacht der Wilis und sie verschwinden. Auch Giselle kehrt in ihr Grab zurück, Albrecht bleibt einsam zurück.

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Vila, Vily, dt. Vilen, Wil[l]is Slawische Wind- und Totengeister. Die Seelen verstorbener Mädchen, die im Grabe keine Ruhe finden und junge Männer in die Mitte ihres todbringenden Reigens locken. Das slawische Wort «vila» stammt von «viliti» (besessen sein) oder «vily» (wahnsinnig, verrückt). In den weit verbreiteten Erzählungen werden die Vilen als schöne Mädchen mit durchsichtigem Körper, weissem Kleid, langem goldenem oder rötlich-blondem Haar beschrieben. Gerhard J. Bellinger, Lexikon der Mythologie

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ABER DAS TANZEN GEHT HIN SO SCHNELL DURCH DEN WALD Heinrich Heine

Der Tanz ist charakteristisch bei den Luftgeistern; sie sind zu ätherischer Natur, als dass sie prosaisch gewöhnlichen Ganges, wie wir, über diese Erde wandeln sollten. Indessen, so zart sie auch sind, so lassen doch ihre Füsschen einige Spuren zurück auf den Rasenplätzen, wo sie ihre nächtlichen Reigen gehalten. Es sind eingedrückte Kreise, denen das Volk den Namen Elfenringe gegeben. In einem Teile Östreichs gibt es eine Sage, die ursprünglich slawisch ist. Es ist die Sage von den gespenstischen Tänzerinnen, die dort unter dem Namen «die Wilis» bekannt sind. Die Wilis sind Bräute, die vor der Hochzeit gestorben sind. Die armen jungen Geschöpfe können nicht im Grabe ruhig liegen, in ihren toten Herzen, in ihren toten Füssen, blieb noch jene Tanzlust, die sie im Leben nicht befriedigen konnten, und um Mitternacht steigen sie hervor, ver­ sammeln sich truppenweis an den Heerstrassen, und wehe dem jungen Men­ schen, der ihnen da begegnet! Er muss mit ihnen tanzen, sie umschlingen ihn mit ungezügelter Tobsucht, und er tanzt mit ihnen, ohne Ruh und Rast, bis er tot niederfällt. Geschmückt mit ihren Hochzeitkleidern, Blumenkronen und flatternde Bänder auf den Häuptern, funkelnde Ringe an den Fingern, tanzen die Wilis im Mondglanz, eben so wie die Elfen. Ihr Antlitz, obgleich schneeweiss, ist jugendlich schön, sie lachen so schauerlich heiter, so frevelhaft liebenswürdig, sie nicken so geheimnisvoll lüstern, so verheissend; diese toten Bacchantinnen sind unwiderstehlich. Das Volk, wenn es blühende Bräute sterben sah, konnte sich nie überreden, dass Jugend und Schönheit so jählings gänzlich der schwarzen Vernichtung an­ heimfallen, und leicht entstand der Glaube, dass die Braut noch nach dem Tode die entbehrten Freuden sucht.

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Elle aimait trop le bal ... Zu sehr hat sie den Tanz geliebt – er war ihr Tod. Der glänzende, rauschende Ball! Selbst ihre Asche zittert noch, bewegt sich sanft, Wenn in der ruhigen Nacht eine weisse Wolke Um die Himmelssichel tanzt. Victor Hugo Aus dem Gedicht «Fantômes», 1828




NUREJEW WAR MEIN LEHRMEISTER Die französische Ballettlegende Patrice Bart über die Kunst, ein romantisches Ballett zum Leben zu erwecken

Patrice Bart, fast 175 Jahre sind seit der Uraufführung von Giselle ver­ gangen. Was zieht uns bis heute in den Bann dieses Balletts? Giselle ist das unerreichte Meisterwerk des romantischen Balletts. Das Libret­to aus dem romantischen Geist Théophile Gautiers, die Vorlage von Heinrich Heine und die Musik von Adolphe Adam sind eine glückliche Verbindung mit der Choreografie von Jean Coralli und Jules Perrot eingegangen. Es ist ein sehr kom­plexes Werk. Mit Giselle haben die beiden Uraufführungschoreogra­ fen eine der anspruchsvollsten Rollen für eine Primabal­lerina geschaffen, die von den grössten Tänzerinnen der Ballettgeschichte interpretiert wurde. Von Generation wurde der Giselle-«Code» von Ballerina zu Ballerina, aber auch von Ballettmeister zu Ballett­meister weitergegeben. Und jeder wollte daran Anteil haben. Giselle gilt als Inkarnation des romantischen Balletts, aber was heisst das genau? Mit der Romantik, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, beginnt die geistige Gegenbewegung zum Rationalis­mus der Aufklärung. Man versucht die Kräfte des Gefühls, der Fantasie, des Unbewussten zu wecken und die dem Bewusstsein nicht zugänglichen Bereiche zu erfassen. Bevorzugte Themen sind die Rätsel und Abgründe der menschlichen Seele, das Unergründlich-Ge­heim­­ nisvolle der Natur und der Ausbruch aus der Begrenzung der bürgerlichen Gesellschaft, und genau diese Themen stehen im Zentrum des ro­man­ti­schen Balletts. Die Ballerina wird zur zentralen Figur des Bühnengesche­hens. Ihr Tanz, vor allem auf Spitze, vermittelt einen schwebenden Eindruck. Oft sind es

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geheimnisvoll-bedrohliche Schauplätze wie Waldlichtungen oder Ruinen bei Mondlicht, an denen die Handlung spielt. Hauptfiguren des romantischen Balletts sind Elementarwesen wie Luft-, Wasser- oder Erdgeister, die auf den Mann eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausüben. Eine besondere Faszination bezieht Giselle natürlich auch aus der Tat­ sache, dass der Tanz hier selbst zum Thema gemacht wird. Giselle ist Tänzerin in der Handlung. Nicht nur Giselle, sondern auch ihre Winzerfreundinnen im ersten Akt sind von dieser Leidenschaft für den Tanz erfüllt. Nachdem Giselle an der Verzweiflung über ihre unerfüllte Liebe gestorben ist, wird sie zur Wili, einer jener Geistererscheinungen verlassener Bräute, die ihre untreuen Liebhaber zu Tode tanzen. Das ganze Ballett ist eine Apotheose des Tanzes. Ihre Karriere ist über 50 Jahre hinweg mit der Pariser Opéra verbunden, wo Sie ein halbes Jahrhundert Ballettgeschichte mitgeschrieben haben. Es stimmt, ich habe dort mein ganzes Leben verbracht. Sämtliche Stufen einer Tanz-Laufbahn habe ich durchlaufen. Ich habe im Corps de ballet begonnen, brachte es zum Étoile der Pariser Oper, war Assistent von Rudolf Nurejew, wurde Chef des Balletts, war Associate Director. Vor allem die Erfahrungen aus meiner sechsjährigen Zusammenarbeit mit Rudolf Nurejew haben entschei­ dend dazu beigetragen, dass ich selbst Choreograf wurde. Haben Sie selbst in Giselle getanzt? Albrecht war immer meine Lieblingsrolle. Es ist eine Traumrolle für jeden klassischen Tänzer. Man kann so viele Seiten eines Charakters zeigen. Am An­ fang ist er der sich als Dorfbewohner ausgebende Edelmann, der auf eine etwas machohafte Art seinen Spass sucht. Doch ehe er sich’s versieht, verliebt er sich in Giselle und betritt durch sie eine für ihn völlig neue Gefühlswelt. Mit dem Tod Giselles erfährt die Rolle eine dramatische Steigerung. Dabei hat mich immer fasziniert, dass die Musik die ganze Geschichte erzählt und einen fast automatisch in die jeweilige Stimmung versetzt. Wenn man gern spielt, macht sie es einem leicht und trägt einen durch das Stück.

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Dieser Albrecht, der der naiven Giselle den verliebten Bauernjungen vor­ gaukelt, ist aber alles andere als ein Sympathieträger … Natürlich ist er ein Lügner, und seine Unehrlichkeit ist ein entscheidender Wesenszug. Er ist ja nicht nur unaufrich­tig gegenüber Giselle, sondern auch gegenüber seiner Verlobten Bathilde und der Hofgesellschaft. Es ist eine Herausforderung für jeden Interpreten, ihn so darzustellen, dass man trotz­ dem Anteil an seinem Schicksal nimmt. Hat sich Ihre Auffassung Albrechts beim Wechsel der Perspektive vom Tänzer zum Choreografen verändert? Mich hat Albrecht von Beginn meiner Tänzerkarriere an interessiert, und ich habe versucht, mich auch von den grossen Interpreten der Rolle inspirieren zu lassen. Serge Lifar, einen der besten Darsteller des Albrecht, habe ich am Ende seiner Karriere selbst noch erlebt. Auch wenn da tänzerisch nicht mehr alles perfekt war, so hat er mich doch hingerissen mit seiner Darstellung. Andere Tänzer zu beobachten, ist immer hilfreich. Ich habe da unheimlich viel für meine eigene Interpretation gelernt. Als ich anfing, Giselle als Cho­ reograf für die Bühne wiederzubeleben, habe ich mich auch mit den anderen Rollen des Balletts im Detail auseinandergesetzt, um die ganz unterschied­ lichen Charaktere richtig zu erfassen. Und im Laufe meines Lebens hat sich mein Wissen in der Beschäftigung mit Giselle ständig erweitert. Sechs oder sieben Mal habe ich das Ballett inzwischen auf die Bühne gebracht, wobei ich immer offen für Adaptionen bin, zu denen mich die verschiedenen Giselles und Albrechts inspirieren. Jede neue Version ist mit den jeweiligen Interpreten verbunden, denn jede Compagnie bringt unterschiedliche Voraussetzungen mit. Giselle wurde 1841 in Paris uraufgeführt, doch für die Werkgeschichte war auch Marius Petipa wichtig, der das Ballett in St. Petersburg weiter­ entwickelte. Dem kann ich nicht ganz zustimmen. Die Veränderungen, die Petipa an Giselle vornahm, betrachte ich eher als eine Art Missverständnis. In Russland hat man Giselle an den dortigen Stil angepasst, der wenig mit dem zu tun hatte, was sich Théophile Gautier und Adolphe Adam in Paris ausgedacht

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hatten. Im ersten Akt wurde beispielsweise ein grosses Solo für Giselle einge­ fügt, dessen Musik nicht von Adolphe Adam, sondern von Ludwig Minkus stammt. Aber bis heute ist die Rollenauffassung vieler Ballerinen natürlich von der Petipa-Tradition geprägt, und man kommt nur schwer daran vorbei. Welche Quellen benutzen Sie für Ihre Inszenierung? Meine Fassung baut auf zwei Säulen auf. Das ist zum einen der unverfälschte französische Stil, den ich mir im Laufe der Jahre an der Pariser Oper ange­ eignet habe. Und es sind Erkenntnisse, die ich der 1984 verstorbenen Mary Skeaping, einer ehemaligen Ballerina aus England, verdanke. 1925 tanzte sie in der Compagnie von Anna Pawlowa und trat in zahlreichen Giselle-Versio­ nen auf. Sie stellte umfangreiche Recherchen in den Archiven der Pariser Oper an und rekonstruierte viele Details der ersten Giselle-Aufführungen. Als profunde Kennerin des Balletts in seiner französischen Urform versuchte sie, das romantische Ballett des 19. Jahrhunderts einem heutigen Publikum zu erschliessen, unter anderem mit einer berühmt gewordenen Inszenierung für das London Festival Ballet im Jahr 1971. Durch Mary Skeaping habe ich begriffen, dass Giselle etwas ganz Besonderes ist und man eine neue Version möglichst eng mit der Entstehungszeit verbinden muss. Von dieser Position aus kann man Giselle mit frischem Leben erfüllen. Sie berufen sich auf Coralli und Perrot, aber worin besteht der choreo­ grafische Anteil von Patrice Bart? Das ist eine gute Frage. Niemand kann sagen, wie diese Ballette im 19. Jahr­ hun­dert genau ausgesehen haben. Wir verfügen heute zwar über ein grosses Wissen, aber den exakten Ablauf der Choreografie kennt keiner. Man kann ein romantisches Ballett heute nicht mehr so inszenieren wie 1841. Ein re­ spektvoller Umgang mit der Tradition ist mir wichtig, doch das bedeutet nicht, in Ehrfurcht zu erstarren. Ich sehe meine Verantwortung vor allem in der Re­organisation der Choreografie und versuche, ausgehend von meiner Tänzer­ er­fahrung, Kleinigkeiten dazu zu erfinden. Gerade wenn man diese Ballette am Leben erhalten will, muss man einige Aspekte der Choreografie reor­ga­­­ nisieren, vor allem in den pantomimischen Szenen. Es darf nicht der Eindruck

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entstehen, als würden in diesen Szenen Komödienschauspieler aus dem 19. Jahrhundert agieren. Das ist nicht mehr zeitgemäss. Gerade in den Panto­ mimen versuche ich zu verkürzen und zu reduzieren. Den Tänzern sage ich: «Macht das so, wie ihr es draus­sen auf der Strasse machen würdet, im nor­ malen Leben. Gestikuliert nicht wie schlechte Tänzer! Seid normal! Wenn ihr ‹Hallo› sagt, ist das auch nicht mit einem Rede- und Gestenschwall verbun­ den.» Das Geheimnis besteht in der Kombination von Reduktion und Ge­­nauigkeit. Nur wenn die Interpretation genau und im Einklang mit der Musik ist, wird sie verstanden. Als Teil einer grossen Balletttradition sind Sie besonderen Erwartungen ausgesetzt, was die Authentizität angeht. Wie wird diese Tradition eigentlich bewahrt? Die Überlieferung erfolgt mündlich als ein Weitergeben persönlicher Erfah­ rung. In fünfzig Jahren ist da einiges zusammengekommen. Ich habe keine Bücher, keine Aufzeichnungen. Gar nichts. Natürlich lese ich viel über Aufführungsgeschichte und schaue mir Filmaufnahmen von Ballerinen aus der Vergangenheit an. Ich habe Lifar gesehen und die unvergleichlich Yvette Chauviré, für mich die wunderbarste Giselle überhaupt. Da lernt man so viel über die Essenz und das «Aroma» dieser Ballette. Am Ende sollte man keine Ansammlung von tänzerischen Attraktionen, sondern ein Stück sehen. Davon muss man die jungen Tänzer überzeugen. Und sich selbst. Sonst funktioniert es nicht. Es ist beeindruckend, wie die Tänzer hier in Zürich ein wirkliches Gespür für ihre Rollen entwickeln und eine Geschichte erzählen wollen. Die Arbeit am tänzerischen Detail ist sehr wichtig. Der romantische Stil definiert sich zum grossen Teil über Kopfpositionen. Es geht um Handbe­ wegungen, um Blicke. Aber all diese Details müssen an der richtigen Stelle sitzen und mit der Musik verbunden sein. Hier in Zürich arbeiten Sie einmal mehr mit der grossen italienischen Bühnen- und Kostümbildnerin Luisa Spinatelli zusammen, die viele Aufführungen an den bedeutendsten Theatern der Welt ausgestattet hat. Was ist das Geheimnis Ihrer Zusammenarbeit?

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Luisa Spinatelli verfügt über eine unerschöpfliche Kenntnis der verschiedenen Stilepochen und beeindruckt mich immer wieder mit ihrem untrüglichen Stilempfinden und ihrem Zeitgefühl. Ihre Ausstattungen bestechen durch eine Detailtreue, die immer aus dem jeweiligen Geist einer Epoche abgeleitet ist. Wir haben uns entschlossen, bei unserer Giselle das gängige MittelalterAmbien­­te zu verlassen und unsere Inszenierung im 19. Jahrhundert, zur Zeit der Romantik, anzusiedeln. Das funktioniert sehr gut, weil es konsequent aus dem Geist des Librettos und der Musik entwickelt ist, und es gewährt eine neue Perspektive auf die Choreografie von Coralli und Perrot. Wie erleben Sie Ihre Zusammenarbeit mit dem Ballett Zürich? Was ist anders als in Paris? Mich hat vor allem die Lebendigkeit überrascht, die man hier vom Direktor bis zu den Tänzern spürt. Es ist nicht diese typische Stimmung einer Ballettcompagnie, wo sich gelegentlich eine gewisse Routine breit macht. Jeden Tag spüre ich die Freude, mit der alle bei der Sache sind. Im 21. Jahr­ hundert haben sich hier wie überall moderne Aspekte in den Vordergrund geschoben, es geht nicht mehr um Tradition allein. Deshalb erkläre ich hier sehr viel. Vielen Tänzern ist die Handlung von Giselle vertraut, aber ich erläutere die einzelnen Situationen immer noch einmal. Wir sind nicht an der Pariser Oper, wo man mit Balletten wie diesem sein ganzes Leben verbringt. Das Ballett in Paris ist sehr viel hierarchischer organisiert, was in Zeiten eines gewandelten Demo­kratieverständnisses gelegentlich natürlich auch zu Pro­ blemen führen kann. Aber Ballett funktioniert anders. Ich würde es mit einer Pyramide vergleichen – mit einer Person an der Spitze und einer breiten Basis. Und gerade jungen Tänzern kann man nur schwer erklären, warum jemand Giselle tanzt und ein anderer «nur» Bauer ist. Sie haben auch viele eigene Ballettw kreiert, wie etwa Das flammende Herz, La Petite Danseuse de Degas oder Tschaikowsky. Wie würden Sie Ihren eigenen Stil beschreiben? Mein Stil ist geprägt vom Einfluss vieler Künstler, mit denen ich im Laufe der Jahre zusammengearbeitet habe, aber in erster Linie, wie schon angedeutet,

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von Rudolf Nurejew, dessen Assistent ich war und mit dem mich eine enge Freundschaft verband. Von ihm habe ich nicht nur gelernt zu choreografieren, sondern auch sehr viel über die Auswahl von Ausstattern, Lichtdesignern, Dirigenten erfahren … Theaterpraxis eben. Rudolf war für mich nicht nur ein grosser Tänzer, sondern ein wirklicher Theater­mensch. Manchmal wird mir vorgeworfen, ihn zu kopieren. Aber das stimmt nicht. Die Zusammenarbeit mit ihm hat mich geprägt, das ist in mein Blut übergegangen. Ich habe meine eigene Art – meine eigene Musika­­li­tät, meine Energie. Choreografie ist für mich keine wahl­lose Positionierung von Tänzern, sondern fast wie die Kompo­­ sition eines Gemäldes. Gerade in Giselle ist es nicht zuletzt auch die hohe Kunst der Geometrie. Die allerdings darf nicht der bestimmende Eindruck sein, sondern es geht um das Leben, mit dem man die Geometrie erfüllt. Das Gespräch führte Michael Küster

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Seid so leicht, wie Ihr könnt; der Zuschauer will in einem Tänzer etwas Ätherisches finden, will glauben, dass Ihr die Erde kaum berührt, dass Ihr bereit seid, Euch in die Lüfte zu erheben. Carlo Blasis Aus: Traité Elémentaire. Théorique et Pratique de l’Art de la Danse, 1820




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APOTHEOSE DES ROMANTISCHEN BALLETTS Serge Lifar (1942)

Ich kenne in der ganzen Ballettgeschichte nichts, das vollendeter, schöner oder bedeutender wäre als das heute über 100 Jahre alte Ballett Giselle. Es ist den genialen Kunstwerken eigen, dass sie nicht altern; sie verblassen nicht im Laufe der Zeiten, jede Epoche erfüllt sie mit neuer Jugend und erfasst sie ihrem Standpunkt gemäss wie durch ein sich stetig veränderndes Prisma. Hundert Jahre nach ihrem Entstehen bewegt uns Giselle so spontan und unmittelbar, als datiere sie vom vergangenen Tag. Inbegriff, Gipfel des roman­ tischen Balletts (und aller Tanzkunst des 19. Jahrhunderts) sind in Giselle alle Bestrebungen und Sehnsüchte der Ballettkunst in ihren vorangegangenen Ent­ wicklungsperioden, die dieses Ballett vorbereitet haben, verwirklicht. Es war der Höhepunkt des dem Ballett durch die Jahrhunderte seines Werdeganges bis dahin vorgezeichneten Weges. Darin liegt das grosse historische Verdienst von Giselle. Giselle war andererseits zugleich ein Vorläufer, ein Wegweiser der danach folgen­den Entwicklung. Es hat mit feinem Vorgefühl bis in eine weit von seiner Entstehungszeit entfernte Zukunft hinein neue Wege gezeigt, bis in unsere Zeit. Über lange Jahre war sein leuchtendes Vorbild das Segel der Seefahrer, das heisst jener Ballettkünstler, die auf der Suche nach neuer Wahrheit mit den Stürmen rangen; aber heute zeigt sich dieses leuchtende Vorbild in besonders lebhaftem Glanz. Unsere Zeit hat der Ballettkunst eine Reihe von Aufgaben gestellt, deren Lösung unausweichlich ist, damit das Ballett weiterleben, sich weiterentwickeln kann. Sie liegen in der Notwendigkeit, das richtige Verhältnis zu finden zwischen Musik und Tanz, zwischen der dramatischen Entfaltung des Aussagegehalts und des frei seinen Gesetzen folgenden Tanzes, zwischen dem Tanz der Solisten und

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dem des Corps de ballet. Giselle kann uns dabei eine grosse Hilfe bedeuten; es hat diese Probleme mit aller Klarheit aufgeworfen und auch ihre Lösbarkeit weitgehend bewiesen. Es gibt kein anderes Ballett, in dem sich die Musik und der Tanz so harmo­ nisch vereinen. Abgesehen von ihren symphonischen und rhythmischen Eigen­ heiten erweckt die Musik den Eindruck, dass sie mit dem Tanz und für ihn geboren sei. Die Übereinstimmung ist so vollkommen, dass man sich schwerlich andere Tänze auf diese Musik vorstellen kann und ebenso keine andere Musik zu den Tänzen. Musik und Tanz vervollständigen und bereichern sich wechsel­ seitig; das eine wird durch die Verschmelzung mit dem anderen schöner. Ich kenne auch keine Ballette, in denen die Harmonie zwischen Tanz und Darstellung vollkommener wäre, der Tanz eine grössere Kraft der dramatischen Beredtheit erreichte, in denen jede Phase so verständlich ist, dass man die Inhalts­ angabe des Programmheftes entbehren kann. Die Handlung verdeutlicht sich tänzerisch. Der Tanz reflektiert sie durch seinen Ausdruck. Die Sprachmittel des Tanzes gewinnen eine Kraft und Dichte, die nicht viele Vergleiche hat. Melo­ die und Rezitativ vereinen sich, sie fliessen zum getanzten Drama zusammen. Giselle ist zu einer Zeit entstanden, in der die Triumphe von Marie Taglio­ni und Fanny Elßler den männlichen Tänzer auf den zweiten Platz verdrängt hatten. Um so mehr überrascht es, im Ballett Giselle eine so ideale Abstimmung zwi­ schen der Kunst der Tänzerin und der des Tänzers zu entdecken; sie entfalten sich jeder im eigenen Bereiche, wetteifern miteinander, ohne sich gegenseitig in den Schatten zu stellen. Und der Tanz der Solisten ist auch mit dem des Corps de ballet verwoben, das an allen Handlungen beteiligt, kein blosses lebendes Dekor ist. Das Corps de ballet führt in Giselle Rollen von dramaturgischer Bedeutung durch. Giselle, das Wunder der romantischen Epoche, hat zwei entgegengesetzte Pole miteinander verbunden: Den von La Sylphide als ätherische Träumerei und den der Cachucha-Tänzerin als irdischere romantische Ausdrucksebene. Reprä­ sen­tantin dieser Verbindung – der eine Pol ist mit dem Namen Marie Taglioni, der zweite mit dem Namen Fanny Elßler gekennzeichnet – wurde als erste Carlotta Grisi in der Rolle Giselles.

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EIN STREIFZUG DURCH DIE «GISELLE»GESCHICHTE Annegret Gertz

Die Premiere des Balletts Giselle fällt in die Zeit einer der spannendsten und un­überschaubarsten Epochen der europäischen Theatergeschichte überhaupt. Um die Bedeutung des grossen Klassikers besser zu verstehen, ist ein Blick in das bunte und lebhafte Umfeld seiner Entstehungszeit notwendig, aus der sich viele zeittypische Merkmale und Konventionen bis heute auch in Giselle erhal­ ten haben. Die Pariser Bevölkerung war, nach der Julirevolution 1830 in einen rausch­ haften Zustand verfallen, als der roi bourgeois (der Bürgerkönig) Louis Philippe den Thron bestiegen hatte. Die klare Aufteilung der Genres für ein höfisches und ein bürgerliches Publikum wurde nach und nach aufgeweicht, die Konkur­ renz unter den Theatern um die Gunst des immer weniger sich nach Ständen aufteilenden Theaterpublikums umso härter. Mit dem Jahr 1830 endete die Allmacht des Hofes über die Pariser Opéra, und eine wenn auch nur kurzzeitige Aufhebung der Zensur bewirkte, dass zahlreiche Theater eröffnet, Dependancen bespielt wurden und ein gewaltiges Bedürfnis nach Unterhaltung gewinnbrin­ gend befriedigt werden konnte. In Paris amüsierten sich Angestellte, Laden­ mädels, Arbeiter und Soldaten genauso wie – wenn auch mehr in der Opéra – Börsen­makler, Journalisten, die hohe, ehemals höfische Gesellschaft oder der Pariser Jockey-Club, der immerhin so einflussreich war, dass seinen Mitgliedern bald der Zutritt zum foyer de la danse, dem Arbeitsbereich der Ballerinen, und hinter die Bühne gestattet war.

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Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer «Romantisme» und Theater Zurdes gleichen Zeit lagen die Ideen Intellektueller und Literaten in der Luft, die Opernhauses erwerben mit den wesentlichsten Konservativismen der französischen Klassizismus-Tradi­ tion brechen wollten und mussten. Es hatte sich nämlich eine ekstatisch erschei­ nende Tendenz zur Flucht aus den Zwängen der Realität ergeben, die sich zu­ hauf in geisterhaften und Schauderstücken, oder solchen mit abenteuerlichem, sentimentalem oder komischem Unterton äusserte. Dies zuerst vor allem in der Opéra-Comique, in Boulevardtheatern wie dem Théâtre de la Porte-­Saint-Martin und vielen kleineren Häusern. Auf diesen Bühnen wurden gleichermassen Mu­ sik­theaterstücke in vielfältigster Form oder Ballette gespielt, beide Gattungen sind zu dieser Zeit gar nicht ohne weiteres voneinander zu trennen. Die Protagonisten der Bewegung des französischen romantisme, darunter für das Theater vor allem Victor Hugo, formulierten in Pamphleten, Vorworten und Manifesten, dass das Gegensätzliche der menschlichen Befindlichkeit sicht­

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bar und spürbar gemacht werden müsse, die Widersprüche des Lebens zu arti­ kulieren seien. Nicht alltägliche Gestalten und Ereignisse standen im Zentrum einer «romantischen Dramaturgie», sondern aussergewöhnliche oder vielschich­ tige Helden und Taten. Das französische Theater konnte die hohen Ansprüche seiner Theoretiker nicht immer erfüllen, setzte aber umso wirksamer Teilaspek­ te um. Das Berufsbild des professionellen Bühnenbildners hatte sich etabliert. Die Fortschritte der Bühnentechnik sorgten für die Faszination an der perfekten Illusion, auch durch die soeben erfundene Gasbeleuchtung und die Entwicklung des Dioramas durch Louis Daguerre. Es kam die Vorliebe für wirkungsvolle Szenen mit Lokalkolorit oder in historischer Ferne zum Tragen. Szenen des Wahnsinnigwerdens waren in Mode und eine Neigung zu grossen vereinfachen­ den Kontrasten, die pantomimisch darstellbar waren und häufig eben auch Tanzoder Balletteinlagen notwendig und plausibel machten.

Ballett Der Tanz gehörte zu einem der Lieblingsmotive der Romantik, besonders seine gefährlichen und abgründigen Seiten. Entsprechenden Ausdruck fanden seine gespenstischen Züge in Giacomo Meyerbeers Oper Robert le diable (1831), in einer von Filippo Taglioni choreografierten Balletteinlage, die als das «Nonnen­ ballett» in die Theatergeschichte eingegangen ist. Der rasende Tanz dämoni­ scher, weiss gekleideter Nonnen vor dem Hintergrund einer Klosterruine er­ scheint heute als das Destillat einer bestimmten romantischen Vorstellungswelt einerseits, war aber auch der Ausgangspunkt für epochemachende Entwicklun­ gen des Theatertanzes andererseits, und dies weit über den ideengeschichtlichen Zusammenhang hinaus. In den dreissiger Jahren des 18. Jahrhunderts sprach man unter Fachleuten über neue Lehrmethoden im klassischen Tanz, über das Verschwinden der stren­ gen Trennung zwischen den Rollenfächern und über den Spitzentanz. Es hatte sich auf Anregung der Berufstänzer eine Lehrmethode entwickelt, die Technik und Ausdauer verbessern sollte und den Trainingsalltag um das praktische Stu­ dium poetisch-gestischer Qualitäten bereicherte. Bereits 1820 hatte Carlo Blasis

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die Technik des Balletts kodifiziert und geordnet, sein Buch Traité élémentaire théorique et pratique de l’art de la danse (Mailand 1820) hatte erheblichen Anteil an einer Umformung der Trainingsmethoden, die den Körper für Bewegun­gen vorbereiteten, die nur eine Generation zuvor noch undenkbar gewesen wären. Einhergehend mit der allmählichen Auflösung der strikten Grenzen zwi­ schen den Rollenfächern danseur noble, demi-caractère und comique bereitete sich die Enthebung des männlichen Tänzers aus seiner gewohnten wichtigen Position vor: Im Corps de ballet der Pariser Oper gab es kaum noch männliche Tänzer. Ausserdem boten sich immer mehr Gelegenheiten, danseuses en travestie einzusetzen, für die Hosenrollen im Ballett. Es war noch gar nicht lange her, dass der Einzug der Pirouette in den klas­ sisch-­akademischen Tanz heftig diskutiert worden war, die bis dahin nur den Harlekinen auf den Bühnen des Volks- und Jahrmarkttheaters gehört hatte. Ge­­nau­so wurde nun die Erhebung der Tänzerin auf halbe Spitze und dann auf ganze Spitze zum Diskussionsgegenstand. Tanzte eine Ballerina auf Spitze, so sprach man von «Taglionisieren», denn auch die berühmte Marie Taglioni trat – nicht als Einzige, aber regelmässig – mit dieser Technik auf und perfektionier­ te sie. Sinnstiftend war gerade auch die Spitzentechnik für das Ballett La Sylphide (1832), das Filippo Taglioni für seine Tochter Marie choreografiert hatte. Es handelte, ganz dem romantischen Denken entsprechend, von einer Sylphide, einem fantastischen Elfenwesen, das sich als Luftgeist vor allem tanzend äussern kann und den romantischen Helden in Konflikte bringt. Der Spitzentanz bekam in diesem Werk seine umfassende künstlerische Bedeutung, indem er die Illusion der Schwerelosigkeit und Unfasslichkeit erzeugte, ebenso wie durch die nebel­ hafte Qualität weisser Gaze und weissen Tülls keine Schatten entstanden. Das romantische Ballettkostüme – ein knapp knöchellanges, glockenartig fallendes, leichttransparentes weisses Tutu mit weissem, schulterfreiem miederartigen Ober­ teil, einem Blumenkranz im Haar und weissen Flügelchen – hat in La Sylphide seine bis heute gültige Form angenommen. Man liebte die Stars der Bühnen: Wie Marie Taglioni wurde auch ihre gröss­ ­te Konkurrentin Fanny Elßler vom Publikum, von Intellektuellen und der Fach­ welt gleichermassen gefeiert. Dem ätherischen und elfengleichen Wesen der Tag­ lioni stand das sinnliche und menschliche Temperament der Elßler gegenüber.

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Diesen ins Extrem gesteigerten Gegensatz zwischen Elßler und Taglioni hatte Théophile Gautier formuliert, der als Feuilletonist der grossen Pariser Tageszei­ tungen und Protagonist der Romantik-Bewegung (L’art pour l’art) ein genauer Beobachter und gründlicher Kenner der Ballettwelt seiner Zeit gewesen ist. Und Théophile Gautier war es auch, der – von Heinrich Heines Ele­men­targeistern inspiriert – die Idee zu einem Ballett-Libretto hatte, die er dann in Zusammen­ arbeit mit dem theatererfahrenen Jules-Henri Vernoy de Saint-­Georges zu dem «ballet fantastique» Giselle, ou les Wilis ausarbeitete, das am 28. Juni 1841 an der Pariser Académie Royale de la Musique, der Pariser Oper, mit rauschendem Erfolg im Anschluss an die Aufführung des dritten Aktes von Gioachino Rossinis Oper Moïse uraufgeführt wurde.

Bis zur Premiere Dieses vielfältige Pariser Theaterleben im Jahre 1841 ist die Szenerie, in der Carlotta Grisi gemeinsam mit Jules Perrot das Publikum erobern und vor allem auch den Direktor der Pariser Opéra, Léon Pillet, von sich überzeugen konnte, der sie als Solistin unter Vertrag nahm. Mit Grisis ständigem Begleiter Jules Perrot kam man überein, dass er die Tänze und Pas de deux seines Schützlings choreografieren würde, da eine Ballettmeisterposition für ihn nicht zur Verfü­ gung stand. Jean Coralli, der einst vom Théâtre de la Porte-Saint-Martin, einem erfolgreichen und innovationsfreudigen Boulevardtheater, als erfahrener Cho­ reograf zur Opéra gewechselt hatte, war seit 1831 der maître de ballet des Hauses. Der am Libretto arbeitende Théophile Gautier war ein enthusiastischer Verehrer der Grisi und überzeugt, dass sie die Rolle der Giselle wunderbar aus­ füllen würde. Da die Titelrolle also von Anfang an für Grisi bestimmt war, wand­ ten sich die Librettisten mit ihrem Werk direkt an Jules Perrot, der seinerseits, um den Einfluss und die Erfahrung des Komponisten wissend, Adolphe Adam aufsuchte. Adam wiederum, der ohnehin mit der Arbeit an einem Ballett für die Opera beschäftigt war, empfahl dem Direktor Léon Pillet, Giselle vorzuziehen. Überzeugt vom Stoff, legte er innerhalb einer Woche den Arbeitsentwurf vor und nur kurze Zeit später die komplette Partitur, in die er einige Nummern aus

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seinem Faust-Ballett (London 1833) übernommen hatte. Die Einstudierung des Balletts wurde dem Ersten Ballettmeister der Opéra, Jean Coralli, übertragen, auch wenn es allgemein bekannt und im Opernhaus vereinbart war, dass Jules Perrot alle Pas und Szenen der Grisi und ihres Partners Lucien Petipa choreo­ grafieren würde. Die Choreografien der Ensemble-Szenen – sehr wahrscheinlich auch die berühmten Szenen der Wilis im zweiten Akt, der Auftritt der Jagdgesell­ schaft oder die heutzutage gestrichene Szene zwischen den Dorfleuten und den Wilis – entsprangen der langjährigen Erfahrung Jean Corallis. Durch die Diskus­ sion um die Urheberschaft der Giselle-Choreografie werden Corallis Verdienste um das klassisch-romantische Ballett häufig nicht angemessen bewertet.

Das komplette Programmbuch Die Uraufführung können Sie auf In der Premierenvorstellung am 28. Juni 1841 war neben Carlotta Grisi als Giselle Lucien Petipa als Loys/Albrecht zu sehen. Ausserdem gehörten zu die­ www.opernhaus.ch/shop ser Premierenbesetzung Francois Simon als Hilarion, Elina Roland als Giselles Mutter Berthe, Caroline Forster als Bathilde und Adèle Dumilâtre als Myrtha. oder am Vorstellungsabend im Foyer Für den Bauern-Pas-de-deux wurde bereits im Juli 1841 eine musikalische Ein­ lage von Johann-Friedrich Burgmüller (Souvenir de Râtisbonne, Zitat eines seiner­ zeit populären Walzers verwendet, die in dererwerben Regel bis heute erhalten ist. des Opernhauses Es tanzten Nathalie Fitzjames und Auguste Mabille. Nicht erhalten blieben Szenen wie die Ankunft Bathildes und ihres Vaters auf echten Pferden, eine Flug­­maschine, mit deren Hilfe der Flug einiger Wilis von Baum zu Baum simu­ liert wurde, und die Schlussszene, in der Albrecht von seiner Verlobten Bathilde ins reale Leben zurückgeholt wird, nachdem er Giselle langsam in einem Blumen­ grab (mithilfe einer Versenkung) hatte verschwinden sehen.

Die Musik von Adolphe Adam Adolphe Adams Musik ist eindeutig ein Resultat seiner grossen Theater-und Bal­ letterfahrung. Fünf Ballette hatte er bereits vollendet, als er Giselle komponierte.

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In der Anlage blieb Adam dem üblichen Nummernschema der mehraktigen Handlungsballette seiner Zeit treu. Für die Epoche ungewöhnlich und neu erschien den Zeitgenossen aber Adams Gebrauch von Atmosphäre schaffenden musikalischen Mitteln. Ausserdem hatte er mit Hilfe der Verwendung von Leit­ motiven die Möglichkeit geschaffen, Giselle und Albrecht, auch Hilarion oder Myrtha, zu charakterisieren und musikalisch wiedererkennbar zu machen. Das Liebesthema von Giselle und Albrecht kehrt in der Wahnsinnsszene ebenso wieder wie Motive des Blumenorakels. Der Reiz der Musik von Giselle besteht in der Mischung aus einer an vaudeville und opéra-comique geschulten Leich­ tigkeit und Eleganz, die sich mit dicht gestalteten Passagen des Unbenennbaren und Diffusen mischt. Die Musik allein vermittelt dem Hörer bereits den Inhalt pantomimischer Szenen.

Bühnenbild und Kostüme Die Dekorationen waren von Pierre Cicéri entworfen worden. Er war bekannt für seine Mondlicht- oder Landschaftstableaus, die er in der Zeit seines Engage­ ments an der Pariser Oper von 1815 bis 1847 in grosser Zahl geschaffen hatte, auch für La Sylphide (1832). Es sind keine Bühnenbildentwürfe der ersten Giselle-Produktion erhalten, nur der lebhafte Kontrast zwischen hübscher Dörf­ lichkeit im ersten Akt und dem unheimlichen zweiten Akt wird von Zeitgenos­ sen beschrieben. Die hauptsächlichen Effekte wurden wahrscheinlich – mit Hilfe der noch jungen Erfindung der Gasbeleuchtung – durch die unterschiedli­ che Ausleuchtung transparenter Stoffe von hinten oder vorn erzeugt. Die für den geisterhaften Effekt notwendige Illusion wäre noch eine Generation zuvor undenkbar gewesen und wurde zu Zeiten der Giselle-Premiere als atemberaubend empfunden. Paul Lormier, Kostümbildner an der Opéra von 1831 bis 1887, hatte die Kostüme dem Mittelalterkolorit des Librettos angepasst und für die Wilis im 2. Akt das inzwischen etablierte weisse, romantische Tutu beibehalten. Carlotta Grisi trug als Giselle im ersten Akt ein weisses Kleid mit himmelblauem Mieder, dies wurde in vielen Inszenierungen bis heute so belassen.

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Das Ballett «Giselle» nach 1841 Bereits ein Jahr später inszenierte Jules Perrot, nun offiziell, «seine» Giselle am Her Majesty’s Theatre in London in Zusammenarbeit mit André Deshayes, dem dortigen Ballettmeister. Perrot selbst tanzte an der Seite von Carlotta Grisi den Albrecht. In der gleichen Inszenierung war Fanny Elßler nur wenig später (1843) auch zu sehen; sie verhalf der Londoner Produktion zu triumphalem Erfolg, indem ihr die Entfaltung der ganzen Dramatik des ersten Aktes auf noch überzeugendere Weise gelungen war als Carlotta Grisi. Es ist anzunehmen, dass bereits in diesem Stadium choreografische Veränderungen zugunsten des persön­ lichen Tanzstils der Elßler vorgenommen wurden; und ihre Person ist es auch, die ein bedeutendes Bindeglied in den Anfängen der Überlieferungsgeschichte des Balletts bis heute darstellt. 1848 reiste Jules Perrot nach Sankt Petersburg, um dort Giselle im Auftrag des Zaren einzustudieren. (Auf der Bühne des Kaiserlichen Theaters hatte es be­reits 1842 ein Giselle-Ballett in der Choreografie des amtierenden Ballett­ meisters Antoine Titus gegeben unter Verwendung der Adam’schen Partitur.) Jules Perrot übertrug nun die Pariser Fassung auf das Petersburger Ensemble, Giselle wurde 1848 von Fanny Elßler mit grossem Publikumserfolg interpretiert, 1850 auch von Carlotta Grisi (zum ersten Mal in Sankt Petersburg). Jules Perrot behielt vom Pas des vendanges der ersten Fassung (ein Pas de deux für Giselle und Albrecht) nur die Coda bei. Die Partie des Albrecht tanzte Marius Petipa, der ab 1850 auch Aufgaben als Assistent von Jules Perrot übernommen hatte. Während seiner fünfzig Jahre währenden Ballettmeister-Tätigkeit am Mariinski-­ Theater hatte er dann mehrere, das Original leicht verändernde Wiederaufnah­ men zu verantworten und sicherte so die Tradierung der wichtigsten Elemente der ursprünglichen Perrot’schen Version des Balletts. Giselle überlebte daher auf russischen Bühnen, als das Ballett als Genre generell in Westeuropa an Bedeu­ tung verlor. Zunächst war Jules Perrot aber als Ballettmeister des Mariinski-Theaters noch selbst für eine weitere Giselle-Produktion (1856) verantwortlich. Für das Rollendebüt der Tänzerin Nadeschda Bogdanowa als Giselle modifizierte Perrot einige Passagen: Er verkürzte die Pantomime zwischen Giselle und Bathilde im

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ersten Akt, verdichtete inhaltlich das Eingreifen Hilarions in das Geschehen und strich eine Szene der Wilis im zweiten Akt, in der sie sich zu fugenartiger Mu­ sik Adams um das Grabkreuz Giselles herum bewegen. 1864 liess Arthur Saint-Léon, Nachfolger auf der Position von Perrot, für die Ballerina Adela Grantzow einen Pas de deux von dem italienischen Kompo­ nisten Cesare Pugni einfügen. Pugni hatte das Thema für das Blumenorakel von Adam aus dem ersten Akt zu einer weiteren Variation für Giselle arrangiert. In dieser Version wird das Ballett 1866 auch in Paris gezeigt. 1884 bringt Marius Petipa, inzwischen Ballettmeister des Mariinski-Teaters, Giselle wieder heraus. Er war in dieser Version Jules Perrot und indirekt auch Jean Coralli choreografisch weitestgehend treu geblieben, hat aber in den fol­ gen­den Wiederaufnahmen (1887 und 1899) Veränderungen vorgenommen. Den grossen Walzer des ersten Aktes, die Pas de deux und die Solo-Variationen beliess er in der gewohnten Form. Nach dem Marsch der Winzer im ersten Akt

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fügte er eine brillante Variation für die italienische Ballerina Emma Bessone ein (Musik: Ludwig Minkus, offizieller Theaterkomponist des Mariinski-Theaters). Dies war eine Diagonale über die Bühne mit auf Spitze gesprungenen ronds de jambe, bis heute die Bravour-Variation der Giselle. Den pathetischen Schluss des ersten Aktes, den Effekt der Wahnsinnsszene, verstärkte Petipa, indem er Albrecht zum machtlosen und leiderfüllten Zeugen des Moments machte. Aus dem zweiten Akt strich er den Einsatz der Flugmaschinerie, um die Tänze der Wilis abstrakter erscheinen zu lassen, und liess auch die Wilis des Corps de ballet auf Spitze tanzen. Auf dieser letzten Version von Marius Petipa beruhen die meisten der bis heute gezeigten klassischen Giselle-Interpretationen.

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Rückkehr des Balletts «Giselle» nach Westeuropa 1868 waren die letzten Giselle-Vorstellungen in Paris gegeben worden. Russische Künstler (Tamara Karsawina und Waslaw Nijinski in den Hauptrollen) waren es dann, die das Ballett 1910 in Dekorationen von Alexandre Benois in die fran­ zösische Metropole zurückbrachten, als Serge Diaghilew in der zweiten Pariser Saison mit den Ballets Russes das westeuropäische Publikum zurückeroberte. Eine unüberschaubare Fülle von Giselle-Inszenierungen schloss sich an, darun­ ter zahlreiche, die einen legendären Ruf bis heute behalten haben. Ein nach der Jahrhundertwende neu einsetzender Ballettboom bewirkte, dass Giselle sich riesiger Popularität erfreuen konnte. In dieser Zeit wurde es zum Inbegriff des klassisch-romantischen Balletts überhaupt. Dazu trugen, wie schon bei der Premiere, legendäre Ballerinen und ihre Partner bei: Anna Pawlo­wa, Olga Spessiwzewa, Galina Ulanowa, Alicia Markova, Yvette Chauviré oder Margot Fonteyn, Alicia Alonso, Natalia Makarova und Carla Fracci. Modernisierte Fas­ sungen des Stoffs und eine neue choreografische Suche im Rahmen der Original­ musik haben das Ballett auch in der Gegenwart immer wieder in den Mittel­ punkt der Diskussion gerückt. Darunter war vielleicht eine der beein­druckendsten die Adaption des Dance Theater of Harlem (1984), in einer creole version (also mit schwarzen Tänzern) nach dem leicht umgearbeiteten Szenarium von Arthur Mitchell und Carl Michel, inszeniert von Frederic Franklin nach Coralli/Perrot/ Petipa. Eine neue Sicht auf den Stoff hat Mats Ek dem Ballett Giselle 1982 in der Version für das Cullberg Ballet beschert: In seiner Modernisierung orientiert sich die besondere aggressive Expressivität seiner Choreografie an Gefühlen des 20. Jahrhunderts.

Die Choreografie Die klassisch-romantische und bis heute überlieferte Choreografie schöpft aus dem Fundus des Bewegungsvokabulars des Balletts im 19. Jahrhundert. Marius Petipa, in jungen Jahren der Assistent von Jules Perrot, hat sich in seiner choreo­ grafischen Verantwortung nie von dem in der Romantik entstandenen Bewegungs­

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ideal verabschiedet. Im Gegenteil, durch sein Einwirken blieben Elemente der reinen, abstrakten Form, brillante Technik und ganze enchaînements aus der Romantik bis heute erhalten, und sind synonym für das klassische Ballett. Typisch für Giselle ist die Verbindung pantomimischer und rein tänzerischer Szenen. Durch nachgelassene Notizen Perrots (zu Jean-Georges Noverres Lettres sur la danse, Paris 1760) ist nachgewiesen, dass er sich sehr mit der Überwin­ dung der Brüche zwischen den erzählenden Passagen und rein tänzerischen Elementen beschäftigte. In der Choreografie für Giselle ist die organische Verbin­ dung von beidem zum ersten Mal bewusst versucht worden: Hier wurde einer­ seits die Pantomime zum ersten Mal tänzerisch verstanden und angereichert, andererseits brachte der Tanz auch Entwicklungen des Geschehens und Gefüh­ le zum Ausdruck. Jules Perrot arbeitete mit Giselle auf ein drame chorégraphique hin, in dem alles sich durch Tanz vermitteln lassen sollte. Wenn die Figuren mit­einander sprechen, benutzen sie nicht mehr ausschliesslich pantomimische Gesten. Hilfreich für die Umsetzung dieses Ideals ist natürlich, dass das Libretto selbst vom Tanzen handelt. Das wirkt sich im zweiten Akt besonders aus. Denn die eigentlich abstrakten Bilder verwandeln archaische Muster und Formen, die durch Linien und Reihen, Kreise, Ovale und Diagonalen entstehen, in fortwäh­ render Bewegung auf der Szene zu plausiblem Geschehen. Das Tanzen steht als Handlung im Mittelpunkt. Verbunden mit Giselle ist der exzessive choreografische Umgang mit der Pose arabesque. Sie gehört seit je zum Vokabular des klassisch-akademischen Tanzes, hat aber die Form, in der sie uns heute auf der Bühne begegnet, im romantischen Zeitalter angenommen. (Der Körper des Tänzers hat in der Pose arabesque den kleinstmöglichen Kontakt zum Boden, und steht auf nur einem Standbein. Spielbein und Arme bilden immer wieder eine andere Linie. Kenn­ zeichnend ist, dass die Extremitäten und auch der Blick in die Weite weisen.) In der Choreografie sind vor allem auch jene kleineren Verbindungsbewegungen oder Sprünge verwendet worden, die die arabesque-Form in sich enthalten. Die arabesque in allen ihren Varianten, in Bewegung über die Bühne oder als Bild, gehört den Wilis, Myrtha und Giselle. Für philosophische oder ästhetische Deu­ tungen war die Pose immer willkommen und geeignet, denn tatsächlich scheint

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sich an ihr das Lebensgefühl der Romantik widerzuspiegeln. So ist die arabesque (nach Gerhard Zacharias, Ballett – Gestalt und Wesen, Köln 1962) folgender­ massen interpretierbar: «Die Arabeske tendiert [...] auf eine Überwindung des Diesseits hin, sie wird von der Bewegung zum Transzendenten bestimmt. [...] Der ausgestreckte Arm des Tänzers und sein ihm folgender Blick drücken die Sehnsucht nach dem Unendlichen aus, den Bezug des Menschen zur jenseitigen Welt.»


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EIN ICH, GANZ AUSSER SICH Über die Verbindung von Ekstase, Tod und christlichem Ethos in «Giselle» Ein Essay von Dorion Weickmann

Ein Kreuz, ein Grabhügel, ein Schwarm weiss gewandeter Gestalten, die Passan­ten tödlich umgarnen – bis jemand diese Zerstörungsmission boykottiert: Gisel­le, ou les Wilis, 1841 uraufgeführt, gilt als Inbegriff der Ballettromantik. Es begeg­ nen und verlieben sich: ein Winzermädchen und ein Herzog, der, an Herkunft und standesgemässe Verlobte gebunden, seine Annäherungsversuche inkognito unternimmt. Dieser Betrug, einmal entdeckt, bringt das Mädchen um den Ver­ stand. In einem Irrsinnsanfall entleibt es sich selbst und muss fortan als Wieder­ gängerin im Schattenreich der Wilis umhergeistern. Von einer herrsch­süchtigen Domina angestachelt, locken dort Unglücksgeschöpfe wehrlose Männer an und hetzen sie nächtens auf einer Waldlichtung in den Tod. Auch dem treulosen Aristokraten droht dieses Los, doch Giselle bewahrt ihn vor dem Unter­gang – und bringt zuletzt das Opfer einer doppelten Entsagung. Mehr Ge­­fühls­turbu­lenz, mehr Herzschmerz, Hingabe und romantische Verklärung lässt sich schlechter­ dings kaum vorstellen. Taugt das Kruzifix zwischen den Bäumen also nur als christliches Dekor einer irdischen Leidenschaft? Als Camouflage für eine profane Tragikromanze? Der Verdacht liegt nahe. Denn zunächst schmiedet Giselle eine unheilige Allianz aus Lust, Tanz und Tod. Mögen bibelfeste Bewohner des 19. Jahrhunderts die zwei erstgenannten auch als teuflische Laster verdammen, so gründet der DreiBund doch auf einer Wesensverwandtschaft: Lust, Tanz und Tod vermögen den Menschen von sich selbst und seiner Routine zu entfernen, ja seiner ganzen Existenz zu entrücken. Indem sie ihm die Sinne vernebeln und sein Bewusstsein

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an die Schwelle zum Nichts tragen. Oder die Schleusen der Ekstase öffnen, hinter denen das Ich sich auflöst. Vordergründig erzählt Giselle von einer Geistes- und Herzensverwirrung. Aber dahinter lauern Sünde und Sühne, Betrügen und Bereuen, Männermord und Frauenmartyrium. So durchdringen sakrale Motive ein augenscheinlich höchst weltliches Handlungsgewebe und bebildern nichts anderes als eine Pas­ sion. Einen Leidensweg, der von der Allgewalt der Liebe kündet, und von der finalen Ohnmacht des Bösen. Was als erzromantisches Ballett daherkommt, wurzelt in Werten, die das Abendland aus seiner religiös regierten Vergangenheit ins säkulare Zeitalter verlängert hat: Sittlichkeit, Anstand und christliche Moral gehören schliesslich auch im 19. Jahrhundert noch zum Glaubensbekenntnis eines aufgeklärten Citoyen. Zu Frankreichs Kardinalromantikern, unter denen zugegebenermassen die Kunst als einzig seligmachende Liturgie firmierte, zählen Théophile Gautier und Jules-Henri Vernoy de Saint-Georges, die Librettisten von Giselle. Die Urfas­ sung aus ihrer Feder hat Patrice Bart, bis 2011 Erster Ballettmeister der Pariser Oper, schon 1996 einer Revision unterzogen. Für das Ballett Zürich wagt er sich nun an eine neue Version, die den Umrissen der literarischen Vorlage genau­so treu bleiben wird wie den Raffinessen der Choreografie, mit der Jules Perrot und Jean Coralli 1841 die Premiere an der Pariser Oper bestückten. Bart, in Tuch­ fühlung mit Frankreichs glorreichem Tanzerbe gross geworden, huldigt damit einer Tradition, die von einer Tänzergeneration auf die nächste kam. Zwar hat die Überlieferung von Giselle ab den 1860er Jahren schriftlichen Niederschlag gefunden, doch eine lückenlose Dokumentation des Originals fehlt. Wer angesichts solcher Widrigkeiten das historisch Verbürgte neu beleben will, muss Verlorenes ergänzen – ohne Sinn und Stil der Ursprungsmatrix zu ver­­fehlen. Dieser Herausforderung sind nur Experten gewachsen, hochspeziali­ sier­te Fachleute wie Patrice Bart, deren kunstvoll geschulte Körper lebenden Ar­chi­ven gleichen, in denen die Geschichte des Tanzes aufbewahrt wird. Sie wissen genau um die geistigen, künstlerischen und handwerklichen Quellen, die unter der Oberfläche eines Klassikers wie Giselle pulsieren – und auch, wie sich dieses historisch geronnene Material ins Fliessen bringen lässt. Entsprechend feinfühlig, detailgenau und geschichtsbewusst bildet Patrice Bart das kanonische

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Œuvre des 19. Jahrhunderts nach. Von Coppélia (ebenfalls 1996) bis Das Flammende Herz (2009) hat er etliche Werke von entstellenden Schlacken befreit oder gar dem Vergessen entrissen. Keine Frage, dass auch seine Zürcher Giselle-­ Inszenierung das Tradierte sorgfältig abtasten und zeigen wird, warum diese Inkunabel des Repertoires sich seit bald 175 Jahren auf den Opernspielplänen behauptet. Dafür sorgt zum einen die reizvolle und vielfarbige Choreografie, dafür sorgt aber auch der Stoff, der sich aus menschlichen Universalien zusammensetzt. Als da sind: Liebe, Sehnsucht, Verrat, Wahn-Ideen, Tod, Revanche und Ver­ge­ bung. Das pittoreske Tableau der Emotionen wird Patrice Bart traditionsgemäss in zwei Aufzügen entrollen: Von der idyllischen Paysannerie des ersten Akts schwenkt es zur ätherischen Waldmystik des zweiten, vom Lebenshunger des ländlichen Jungvolks zur Rachgier der jungfräulichen Nachtwesen, deren Mord­ gelüste sich aus Opfer- und Erlösungsfantasien nähren. Dabei tun sich zwischen Kultur und Natur, Dorfgemeinschaft und dichtem Forst, Abgründe auf, die den Zwiespalt des neuzeitlichen Daseins offenbaren: Hinter den Zivilisationsfassaden bleibt der Mensch an seine Affekte, Ängste und Triebe gefesselt. Zugleich rührt das Geschehen an überzeitliche Gefühle, be­ schwört allgegenwärtige Träume und Traumata, um deren Macht am Schicksal eines jungen Mädchens vorzuführen. Wer denkt sich Spukgestalten wie diese Wilis aus, und wozu? Das Libretto knüpft an Heinrich Heines Elementargeister an, eine volksmythologische Sammlung. Der Dichter rekapituliert darin eine slawischen, «gespenstischen Tänzerinnen» namens «Wilis» gewidmete Erzäh­ lung über «Bräute, die vor der Hochzeit gestorben sind.» Diese Geschöpfe finden keine Ruhe, weil in ihren Leibern «noch jene Tanzlust» steckt, «die sie im Leben nicht befriedigen konnten». Um Mitternacht steigen sie deshalb aus den Gräbern, und wer vorbeikommt, «muss mit ihnen tanzen, sie umschlingen ihn mit un­gezügelter Tobsucht, … bis er tot niederfällt.» Diesen «Bacchantin­ nen» zu ent­gehen, ist unmöglich: «Ihr Antlitz, obgleich schneeweiss, ist jugend­ lich schön, sie lachen so schauerlich heiter, so frevelhaft liebenswürdig, sie nicken so ge­heim­nisvoll lüstern, so verheissend». Das vampireske Spektakel fusst, wie Heine erklärt, in einer traurigen Alltagserfahrung. Wo der Sensenmann «blühen­ de Bräute» niedermäht, malt das Volk sich aus, wie die Verblichenen den «ent­

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behr­ten Freuden» nachjagen. In einer Orgie, die Lust und Tod zusammen zwingt, einer Ausschweifung, die auf Entgrenzung zielt und in Ekstase gipfelt. Gautier und Saint-Georges haben diese Sage aufgegriffen und an eine Figur geheftet, die erst von Verzückung, dann von Verrückung überwältigt wird und sich schliesslich selbst zur Märtyrerin der Liebe macht. Die tanznärrische Gisel­le schenkt ihr Herz einem Schwindler, stolpert über diese Erkenntnis in ein Wahn-­ Delirium, erdolcht sich – und rettet den Unhold dennoch edelmütig aus aller Gefahr, als ihm das Todesbataillon der Wilis nach dem Leben trachtet. Doch sind die tapfere Heldin und ihre von ingrimmiger Beutegier gepeitschten Wider­ sacherinnen einander völlig fremd? Eher scheint hier wie dort der gleiche Dämon am Werk, einer, der das Bewusstsein trübt und den Körper als Schauplatz und Aus­tragungsort, als Repräsentanz innerster Gefühle in Beschlag nimmt. Diese bis ins Ekstatische gesteigerte Besessenheit ist – jenseits aller romantischen Ver­ brämung – ein christlich hinterlegtes Phänomen. Nicht umsonst hat es seine iko­nische Spiegelung zuallererst in einem römischen Kirchenraum erfahren. Hochbarocke Pilaster säumen die Wände von Santa Maria della Vittoria, zwischen den Säulen prangt, mitten im Querschiff, ein Relief. Es zeigt noble Zu­schauer, die hinter halbhohen Balustraden thronen, steinerne Zeugen einer Szene, die sich vor ihren Augen auf einer Art Bühne ereignet: Ein Seraphim, lieblich lächelnd, beugt sich über eine darnieder liegende Gestalt. Ihre Augäpfel sind verdreht, die Lippen wie in Trance geöffnet, der Körper wölbt sich dem Engel entgegen. In der Hand des himmlischen Gesandten schillert ein goldener Pfeil, den er der Besinnungslosen augenblicklich ins Herz stossen wird – zu ih­rer innigsten Verzückung. Die Frau, die Giovanni Lorenzo Bernini 1645 in dieser Doppelskulptur ver­­ewigt hat, ist die Heilige Teresa von Ávila (1515 – 1582). Ihrer späteren Aus­ sage nach hat sie der Pfeil eines christlichen Amors durchbohrt und in einen Lie­besrausch gestürzt, eine amour fou mit Gott. Hintergründig hat der Bild­ hauer den Moment der Verzückung als theaterhaftes, fast tänzerisches Schauspiel ausgedeutet, dessen Ausgang die Ordensfrau schriftlich festhielt: Als der Him­ melsbote die Spitzwaffe herauszog, war ihr, «als nähme er mein Herz mit, und ich blieb erfüllt von flammender Liebe zu Gott. Der Schmerz war so stark, dass ich klagend aufschrie. Doch zugleich empfand ich eine so unendliche Süsse, dass

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ich dem Schmerz ewige Dauer wünschte.» Die Beteiligung des Fleisches an dieser Ekstase hat Bernini so unverhohlen herausgemeisselt, dass die sinnliche Magie der Episode, ja deren erotische Tönung schon den Zeitgenossen auffiel. Dem religiösen Eifer wohnen Lustschmerz und Schmerzlust inne, wie sie irdi­ scher kaum ausfallen könnten. Wo Teresa hin­gerissen dem metaphysischen Mira­ kel frönt, träumt Giselle von unsterblicher Liebe und fiebert dieser Wonne, wie Gautier und Saint-Georges im Libretto ver­fügten, «verrückt nach Tanz und Vergnügen» entgegen. Was passiert, wenn ihr Sehnen vergeblich bleibt, der Geliebte sich als Falschspieler entpuppt, weiss sie nur allzu gut: «Wenn Du mich be­trügst, muss ich sterben», erklärt Giselle dem Herzog, und so geschieht es.


Dennoch verzeiht sie dem Treulosen, ja sie widersteht der Versuchung, ihn – wie es die Königin der Wilis befiehlt – mit «wollüstigen Posen» zu bestricken und es damit den anderen Verderberinnen gleichzutun. Wo die lebende Giselle kein Tanz-Amüsement ausgelassen hat, tritt ihr untotes Pendant als die Tugendhaftig­ keit selbst auf den Plan, gerade so keusch, dass es Gottvater gefallen könnte. Und wirklich vollbringt Giselle noch eine letzte, ganz und gar christliche Tat, bevor sie endgültig ins Grab sinkt. Sie entsagt allem Verlangen und bedeutet dem Herzog, er möge seine Verlobte heiraten – mithin die Frau, an deren Existenz ihre Liebes­illusion zerschellt ist. Heilig werden Menschen gesprochen, die ein Martyrium erlitten haben, im Namen ihres Bekenntnisses gestorben sind oder der Christenheit ein tugend­ sames Vorbild waren. Ist Giselle eine «Heilige» im Gewand der Ekstatikerin, Berninis Teresa verschwistert? Zumindest porträtiert das Ballett ein Mädchen, dessen Liebesdurst und Tanzhunger keine Grenzen kennt, das gewillt ist, sich

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einem anderen besinnungslos auszuliefern – und dabei einem Betrüger aufsitzt. Infolgedessen gerät sein Ich zwar ausser sich, doch es erfährt eine Läuterung und geht daraus wundersam gewandelt hervor – als Verzeihende und Verzich­ ten­de, die sich zur Patronin des Übeltäters aufschwingt. Und die Wilis? Ihre Ekstase kennt kein Pardon, sondern nur das Gift der Gnadenlosigkeit. Mit der Heiligen Teresa haben sie nichts gemein, aber mit einer anderen Spezies, die Männer gewissermassen reflexartig verspeist: die Gottes­an­beterinnen genannten Insekten, deren Vorderarme andächtig gefaltet scheinen, was sie nicht davon abhält, ihre Partner post coitum zu verzehren. Gautier und Saint-Georges haben sich an Heinrich Heine gehalten, der wiede­ rum an slawische Märchen und weibliche Plagegeister, die wie Heuschrecken über die Männer herfallen. So schliesst sich der Kreis biblischer und ekstatischer Anspielungen, die Giselle in sich birgt. Warum dieses Ballett ein epochales Signaturstück ist, wird Patrice Barts Neuauflage mit dem Ballett Zürich beweisen, ob mit oder ohne mythologischen Überbau. Im Übrigen muss man kein Tanz-Gnostiker sein, um das Giselle-Mys­ terium zu ergründen. Wer sich den Freuden des Zuschauens voller Unschuld überlässt, der wird einer Ekstase teilhaftig, die ihn ohne Vorwarnung ereilt – so­fern er sich von der Verzückung des Tanzes anstecken lässt!

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Die Dramen, die Sittengemälde gehören nicht in die Domäne der Choreografie; das Publikum verlangt in einem Ballett vor allem eine vielfältige und packende Musik, neue und kuriose Kostüme, eine grosse Bandbreite und Kontrast der Dekorationen, Überraschungen, Sichtveränderungen, eine einfache, leicht verständliche Handlung, in welcher der Tanz aber sich ganz natürlich aus der Situation heraus entwickelt. Zu all dem muss man ausserdem die Reize einer jungen und schönen Künstlerin hinzu nehmen. Louis Véron, Direktor der Pariser Oper, 1831



MON CHER HEINRICH HEINE ... Théophile Gautier

... vor einigen Wochen, beim Durchblättern Ihres schönen Buches «De l’Alle­ magne», stiess ich auf eine bezaubernde Passage – es ist die Stelle, an der Sie von weissgekleideten Elfen sprechen, von Nixen, deren kleine Satinfüsse an der Decke des Brautgemachs erscheinen, von schneefarbenen Wilis in erbarmungslosem Tanz, von all diesen köstlichen Erscheinungen, denen Sie im Harzgebirge und an den Ufern der Ilse begegnet sind, im vom deutschen Mondlicht mild be­ schie­nenen Nebel. Und ganz unwillkürlich rief ich aus: «Welch hübsches Ballett könnte man daraus machen!» In diesem Anflug von Enthusiasmus nahm ich einen grossen, schönen Bogen weissen Papiers zur Hand und schrieb in einer wunder­ bar gestochenen Schrift an den oberen Rand: Die Wilis – ein Ballett. Doch dann lachte ich und warf das Papier fort, ohne den Einfall weiterzuverfol­gen, indem ich mir sagte, dass es wohl unmöglich sei, eine so duftige nächtliche Poesie in die Sprache des Theaters zu übersetzen, diese unheimliche Phantasma­gorie, all die Effekte der Legenden und Balladen, die so wenig mit unseren all­täglichen Ge­ pflogenheiten zu tun haben. Den Kopf noch voll mit Ihrer Idee, traf ich abends in der Oper hinter einer Kulisse jenen geistreichen Herrn [Jules Henri Vernoy de Saint-Georges], der es verstanden hatte, die ganze Fantasie und den Witz des Diable amoureux von Jacques Cazotte in ein Ballett umzusetzen. Und ich erzähl­ te ihm von den Wilis. Drei Tage später stand das Giselle-Konzept fest und wurde angenommen. Am Ende der Woche hatte Adolphe Adam die Musik improvisiert, die Dekorationen waren beinahe fertig, die Proben in vollem Gange. Sie sehen, mein lieber Heinrich, dass wir noch nicht so ungläubig und pro­saisch sind, wie wir scheinen. Da haben Sie in einem Anflug von Humor ge­ schrie­ben: «Paris ist kein Ort für Gespenster. Zwischen zwölf und ein Uhr, der Stunde, die nun einmal von jeher den Gespenstern zum Spuken angewiesen ist,

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rauscht noch das lebendigste Leben in den Gassen von Paris. In der Oper erklingt eben das brausendste Finale, aus den Varietés strömen die heitersten Gruppen. Auf den Boulevards ist ein grosses Flanieren und Lachen – man geht zu den Soi­réen. Wie unglücklich müsste sich ein armes Gespenst in dieser schwärmenden Menge fühlen.» Aber siehe da, ich musste nur Ihre blassen und charmanten Ge­ spenster an den schemenhaften Fingerspitzen fassen und sie präsentieren, und sie wurden von aller Welt aufs freundlichste empfangen. Der Direktor und das Publikum haben nicht den geringsten Einwand vorgebracht. Die Wilis haben zunächst Stadtrecht in der eher prosaischen Rue Le Pelletier [damals Sitz der Pariser Oper] erhalten. Da Ihr Gesundheitszustand es verhinderte, der ersten Aufführung beizu­ wohnen, will ich versuchen, wenn es einem französischen Feuilletonisten gestat­ tet ist, einem deutschen Dichter eine fantastische Geschichte zu erzählen, Ihnen zu erklären, wie Monsieur de Saint-Georges, ganz den Geist Ihrer Legende re­spektierend, sie für die Oper möglich gemacht hat. Um der Handlung mehr Spielraum zu lassen, trägt sie sich in einem unbestimmten Land zu. Es genügt, dass sie jenseits des Rheins in irgendeiner mysteriösen Ecke Deutschlands ange­ siedelt ist. Mehr sollten Sie der Geografie des Balletts nicht abverlangen, da sie nicht in der Lage ist, den Namen einer Stadt oder eines Landes mit einer Geste, die doch ihre einzige Ausdrucksmöglichkeit ist, zu benennen: Rote, safran­farbene Weinberge, von der Herbstsonne gereift. Weinreben, von denen die amber­farbenen Trauben hängen, besetzen den gemalten Bühnenhintergrund. Ganz oben auf einem grauen, kahlen Felsen, der so steil abfällt, dass die Reben ihn nicht haben erklimmen können, liegt wie ein Adlerhorst, mit zinnenverzierten Gemäuern, eine jener in Deutschland so häufigen Burgen: Es ist der Sitz des Herzogs Al­ brecht von Schlesien. Vom Zuschauer aus gesehen links: ein einfaches Häuschen, frisch, sauber, hübsch und unter Laubwerk begraben: Giselles Heim. Die Hüt­ te gegenüber wird von Loys bewohnt. Wer ist Giselle? Giselle, das ist Carlotta Grisi, ein reizendes Mädchen mit blauen Augen, feinem, naivem Lachen, flink und aufgeweckt. Ihre Situation ist die einfachste der Welt: Sie bewundert Loys und sie be­wundert den Tanz. Was Loys betrifft, dargestellt von Lucien Petipa, so ist er uns aus hunderterlei Gründen suspekt. Eben noch flüsterte ihm ein in eine goldverzierte Livree gekleideter Junker in unterwürfiger und respekt­voller

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Haltung leise etwas ins Ohr. Der Diener eines bedeutenden Hauses, der er zu sein schien, hätte im Gespräch mit einem Bauernflegel wohl kaum darauf ver­ zichtet, den Grandseigneur herauszukehren. Nun, Loys ist überhaupt nicht das, was er zu sein scheint, aber das werden wir später sehen. Giselle tritt aus dem Haus auf der Spitze ihres kleinen, süssen, allerliebsten Fusses. Ihre Beine sind schon wach. Auch ihr Herz schläft nicht mehr, wenn­ gleich es noch sehr früh am Morgen ist. Sie hatte einen Traum, einen schreckli­ chen Traum: Eine schöne und vornehme Dame, in ein goldenes Kleid gehüllt, einen glänzenden Verlobungsring am Finger, ist ihr erschienen als die Frau, die Loys heiraten soll, der selbst ein Grandseigneur, ein Herzog, ein Prinz war. Träume sind manchmal eigenartig! Loys beteuert ihr nach besten Kräften seine Liebe, doch Giselle, noch immer ein wenig beunruhigt, richtet ihre Fragen an die Margeriten. Die kleinen Blätter fliegen fort und zerstreuen sich... «Er liebt mich, er liebt mich nicht!... O mein Gott, wie unglücklich ich bin, er liebt mich nicht!» Loys, der wohl weiss, dass ein Junge von zwanzig Jahren die Blumen das sagen lässt, was er will, wiederholt die Prüfung, die dieses Mal günstig ausfällt, und Giselle, entzückt von der Verheissung der Blume, beginnt wieder herumzu­ tanzen, ihrer Mutter zum Trotz, die sie ausschilt. Aber Giselle hört nicht auf ihre Ratschläge. Die Mutter insistiert: «Unglückliches Kind! Immer willst du tanzen, du wirst dich zu Tode tanzen, und nach deinem Tode eine Wili werden!» Und die gute Frau erzählt mit einer ausdrucksvollen Pantomime die furchtbare Ge­ schichte der nächtlichen Tänzerinnen. Giselle kümmert das nicht. Wo ist das Mäd­chen von fünfzehn Jahren, das an eine Geschichte glaubt, deren Moral da­ rin liegt, dass man nicht tanzen soll? Loys und der Tanz, das ist ihr ganzes Glück. Dieses Glück wird, wie jedes wahre Glück, heimlich von einem eifersüch­ tigen Herzen verletzt: Auch der Wildhüter Hilarion liebt Giselle, und sein sehn­ lichster Wunsch ist es, seinem Rivalen Loys zu schaden. Er war schon Zeuge der Szene, bei der Wilfried, der herzogliche Verwalter, voller Respekt zu dem Bauern Loys sprach. Er vermutet irgendeine Verschwörung, zerschlägt das Fenster der Hütte und dringt ein, weil er hofft, einen belastenden Beweis zu finden. Aber da erschallen die Fanfaren: Der Prinz von Kurland und seine Tochter Bathilde su­ chen, müde von der Jagd, im Hause von Giselle ein wenig Ruhe und Erfrischung. Loys stiehlt sich vorsichtig davon. Giselle schickt sich mit charmanter und schüch­

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terner Grazie an, schön glänzende Zinnbecher, Milch und einige Früchte auf den Tisch zu stellen. Während die schöne Bathilde den Becher an ihre Lippen führt, schleicht sich Giselle auf Katzenpfoten heran und wagt in naiver, entzück­ ter Bewunderung, den kostbaren weichen Stoff zu berühren, aus dem das Reit­ gewand der noblen Dame geschneidert ist. Bathilde, bezaubert von ihrer Anmut, legt Giselle ihre Goldkette um den Hals und will sie mit sich nehmen. Giselle dankt ihr aus vollem Herzen und antwortet ihr, dass sie nichts anderes auf der Welt begehre, als zu tanzen und von Loys geliebt zu werden. Der Prinz von Kur­land und Bathilde ziehen sich in das Haus zurück. Winzer und Winzerinnen kommen aus den Weinbergen und bereiten ein Fest vor, zu dessen Königin Giselle erklärt wird. Giselle ist ausser sich vor Glück, bis Hilarion mit einem herzoglichen Man­ tel, Degen und Orden erscheint, gefunden in der Hütte von Loys. Kein Zweifel, Loys ist ein Betrüger, ein Verführer, der mit der Leichtgläubigkeit Giselles hat spielen wollen: Ein Herzog kann nicht eine einfache Bäuerin heiraten, auch nicht in der choreografischen Welt, wo man oft Könige Schäferinnen heiraten sieht. Loys oder vielmehr Herzog Albrecht von Schlesien verteidigt sich nach besten Kräften und antwortet, dass das Unglück nach allem nun doch nicht so gross sei, und dass Giselle anstelle eines Bauern halt einen Herzog heirate. Sie ist hübsch genug, um Herzogin und Schlossherrin zu werden. «Aber Sie sind nicht frei, Sie sind mit einer anderen verlobt», antwortet der Wildhüter. Er ergreift ein Horn und stösst wie wild hinein. Die Jäger eilen herbei, Bathilde und der Prinz von Kur­land treten aus dem Haus und sind erstaunt, den Herzog Albrecht von Schlesien in solcher Verkleidung anzutreffen. Giselle erkennt in Bathilde die schöne Dame aus ihrem Traum und kann an ihrem Unglück nicht mehr zweifeln. Ihr Herz schlägt schneller, ihr Verstand verwirrt sich, ihre Füsse be­ ginnen zu zittern. Sie wiederholt das Motiv, das sie mit ihrem Geliebten ge­tanzt hat. Aber sehr bald sind ihre Kräfte erschöpft, sie schwankt, fällt auf die Knie, ergreift das fatale Schwert, das Hilarion gebracht hat, und hätte sich auf dessen Spitze fallen lassen, wenn Albrecht das Eisen nicht verzweifelt mit einer plötzli­ chen Bewegung fortgerissen hätte. Doch, ach! Die Vorkehrung ist sinnlos. Die Schwertspitze ist ins Herz gedrungen, und Giselle haucht ihr Leben aus, tief betrauert von ihrem Geliebten und unter dem zärtlichen Mitleid von Bathilde.

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Das ist, mein lieber Heine, die Geschichte, die Monsieur de Saint-Georges er­ sonnen hat, um uns die hübsche Tote zu beschaffen, die wir benötigen. Ich, der ich die Gesetze des Theaters zu wenig kenne, hatte eigentlich daran gedacht, im ersten Akt die reizende Orientalin des Victor Hugo [Fantômes aus der Ge­ dichtsammlung Les Orientales] auf die Bühne zu bringen. Aber dann hätten wir auf die so rührende und so bewundernswert gespielte Szene, die den ersten Akt beschliesst, so wie er jetzt ist, verzichten müssen. Der zweite Akt ist die möglichst genaue Übertragung der Seite, die aus Ihrem Buch zu reissen ich mir erlaubt habe, und ich hoffe, dass wenn Sie uns wieder genesen sind, nicht allzuviel Widersprüchliches darin finden werden. Die Bühne stellt einen Wald am Ufer eines Teiches dar: grosse, blasse Bäume, deren Stämme in Gras und Rohr wurzeln. Die Seerose bringt ihre weitflächigen Blätter auf dem Spiegel des schlafenden Sees zur Blüte, die der Mond hier und da durch einige weisse Blättchen versilbert. Das braune, samtene Schilfrohr zittert und

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wiegt sich im kühlen Hauch des Nachtwindes. Unter dem Schilf finden sich welkende Blumen und verbreiten einen betäubenden Geruch. Am Fusse einer Trauerweide, schlafend und versteckt unter Blumen, ruht die arme Giselle. Am weissen Marmorkreuz, das ihr Grab bezeichnet, hängt noch ganz frisch der Kranz aus Weinlaub, mit dem man sie auf dem Winzerfest gekrönt hatte. Jäger kommen, um einen geeigneten Platz zu finden, an dem sie sich auf die Lauer legen können. Hilarion versetzt sie in Schrecken, indem er ihnen sagt, dies sei ein gefährlicher und unheilvoller Ort, von den Wilis heimgesucht, diesen grausamen nächtlichen Tänzerinnen. In der Ferne schlägt es Mitternacht: Aus dem hohen Gras und dem Dickicht des Schilfrohrs stürzen Irrlichter in funkeln­ dem Fluge hervor, die die erschrockenen Jäger in die Flucht schlagen. Das Schilfrohr bricht auf, und man sieht zunächst einen kleinen, zitternden Stern, dann eine Blumenkrone, dann zwei schöne blaue Augen, leicht erstaunt, in

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einem alabasternen Oval, und schliesslich den Körper in seiner ganzen Schönheit, keusch und graziös wie die Göttin Diana: Adèle Dumilâtre. Sie ist die Königin der Wilis. Mit der sie charakterisierenden melancholischen Grazie tummelt sie sich im blassen Licht der Sterne, das über das Wasser gleitet wie weisser Dampf, balanciert auf Zweigen, flattert auf den Grashalmspitzen und mit ihrem magi­ schen Stab bewaffnet, beschwört sie die anderen Wilis, ihre Untertanen, die mit ihren Mondscheinschleiern aus Gehölz, Laub und Blütenkelchen heraustreten, um sich zum Tanz zu gesellen. Sie verkündet ihnen, dass in dieser Nacht eine neue Wili empfangen würde. In der Tat, der Schatten Giselles, steif und blass in seinem durchsichtigen Leichentuch, erhebt sich plötzlich bei den Worten Myrthas (das ist der Name der Königin) von der Erde. Das Leichentuch fällt. Giselle, noch erstarrt von der eisigen Feuchtigkeit des schwarzen Grabes, das sie gerade verlassen hat, macht wankend einige Schritte und wirft einen entsetzten Blick auf das Kreuz, auf dem ihr Name steht. Die Wilis bemächtigen sich ihrer und führen sie zur Königin, die ihr selbst die magische Krone aus Affodill und Eisenkraut aufsetzt. Als der Stab ihn berührt, wachsen dem jungen Schatten zwei kleine, unruhig flatternde Flügel auf den Schultern. Als wollte sie die ver­ lorene Zeit zurückgewinnen, die sie im engen Bett aus Brettern zugebracht hat, bemächtigt sie sich hin- und hertanzend des Raumes, trunken von Freiheit und erfüllt von der Freude, nicht mehr von der dicken Decke schwarzer Erde er­ drückt zu werden – alles von Frau Carlotta Grisi in sehr sublimer Weise darge­ stellt. Schritte sind zu hören: Die Wilis zerstreuen sich und ducken sich hinter den Bäumen. Es sind junge Bauern, die vom Fest im Nachbardorf kommen – eine exzel­ lente Beute! Die Wilis kommen aus ihrem Versteck und wollen die Männer in ihren bösen Reigen einbeziehen. Glücklicherweise hören die jungen Leute auf den Rat eines vorsichtigen Alten, der die Legende von den Wilis kennt. Und sie kommen zu der Einsicht, dass es wohl nicht sehr natürlich sei, am Rande eines Waldes, am Ufer eines Teiches, einer Gruppe junger, tief dekolletierter Kreaturen zu begegnen, in Tüll gehüllt, mit Sternen auf der Stirn und Nachtfalterflügeln an den Schultern. Enttäuscht verfolgen die Wilis sie eine Weile. Ein junger Mann nähert sich, verwirrt, ausser sich vor Leid, die Augen nass von Tränen. Es ist Loys (oder Albrecht, wenn Sie lieber wollen), der das Grab

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seiner Liebsten besucht. Giselle kann seinem Ausdruck wahren und tiefen Schmerzes nicht widerstehen. Sie öffnet die Zweige und neigt ihrem knienden Liebhaber ihr charmantes, von Liebe erhelltes Gesicht zu. Um seine Aufmerksam­ keit auf sich zu ziehen, pflückt sie Blumen, die sie zunächst an ihre Lippen führt, und wirft ihm dann ihre Küsse auf Rosen zu. Ihre luftige Erscheinung, von Al­ brecht gefolgt, flattert kokett umher. Wie Galathea flüchtet sie sich in das Schilf­ rohr und die Trauerweiden. Der Flug, das Sichneigen der Zweige, das so­fortige Ver­schwin­den, wenn Albrecht sie in die Arme schliessen will, sind originelle und neuartige Effekte, die eine vollständige Illusion erzeugen. Aber da kommen die Wilis zu­rück. Giselle versteckt Albrecht. Sie weiss nur zu gut von dem Schicksal, das ihn ereilt, wenn er von den furchtbaren nächtlichen Tänzerinnen entdeckt wird. Diese haben eine andere Beute gefunden: Hilarion hat sich im Wald verirrt. Die Wilis bemächtigen sich seiner, reichen ihn von Hand zu Hand, der müde gewordenen Walzertänzerin folgt eine neue, und dabei nähert sich der inferna­ lische Tanz immer mehr dem See. Hilarion fällt erschöpft zu Füssen der Königin und bittet um Gnade. Keine Gnade! Das mitleidlose Gespenst schlägt ihn mit dem Rosmarinzweig und sofort beginnen seine schmerzenden Füsse wieder zu zucken. Er erhebt sich und versucht aufs neue zu fliehen. Eine tanzende Mauer versperrt ihm überall den Weg, man macht ihn ganz benommen, man stösst ihn herum. Die kalte Hand der letzten Tänzerin loslassend, stolpert er und fällt in den See. Gute Nacht, Hilarion! Eine Wili entdeckt Albrecht in seinem Versteck. Giselle fleht und bittet, die Königin erhört sie nicht und droht ihr, Albrecht den Wilis auszuliefern, die weniger Skrupel haben. Giselle bringt ihren Liebsten zum Grabe, das sie gerade verlassen hat, und bedeutet ihm, das Kreuz zu umklammern und es nicht loszu­ lassen, was auch immer geschehe. Myrtha versucht es mit einer teuflischen weib­ lichen List. Sie befiehlt Giselle, die graziösesten und verführerischsten Posen einzunehmen. Giselle tanzt zunächst schüchtern und mit viel Zurückhaltung. Dann reisst sie ihr weiblicher, wilihafter Instinkt mit, sie bewegt sich leichter und tanzt mit solch einnehmender Grazie, einer so starken Faszination, dass der unvorsichtige Albrecht das schützende Kreuz loslässt und mit ausgestreckten Armen auf sie zugeht, die Augen feurig vor Verlangen und Liebe. Er verfällt dem

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tödlichen Wahnsinn, dreht Pirouetten und folgt Giselle in ihren gewagtesten Sprüngen. In der Raserei, der er sich ganz überlässt, überkommt ihn das geheime Verlangen, mit der Geliebten gemeinsam zu sterben, dem geliebten Schatten ins Grab zu folgen. Aber es schlägt vier Uhr, ein bleicher Streifen zeigt sich am Hori­ zont. Flieht, nächtliche Erscheinungen! Fahle Phantome, vergeht! Himmlische Freude blitzt in den Augen Giselles: Der Geliebte wird nicht sterben! Die schöne Myrtha kehrt zu ihren Seerosen zurück. Die Wilis verlöschen, zergehen, verschwinden. Wie von einer unbesiegbaren Macht angezogen, nähert sich Giselle ihrem Grab. Ausser sich schliesst Albrecht sie in seine Arme, bedeckt sie mit Küssen und trägt sie zu einem blühenden Erdhügel, auf den er sie nieder­ setzt. Aber die Erde will ihre Beute nicht verlieren, das Gras öffnet sich, die Pflan­ zen weichen auseinander und weinen rosige Tränen, die Blumen senken sich. Wieder ertönt das Horn. Beunruhigt sucht Wilfried seinen Herrn. Er eilt dem Prinzen von Kurland und Bathilde voraus. Inzwischen überwuchern die Blumen Giselle. Man sieht nur mehr ihre kleine, durchsichtige Hand... dann verschwin­ det auch die Hand – alles ist zu Ende! Albrecht und Giselle werden sich in dieser Welt nicht wiedersehen. Der junge Mann kniet neben dem Erdhügel nieder, pflückt einige Blumen, drückt sie an seine Brust und entfernt sich, den Kopf auf der Schulter Bathildens, die ihm verzeiht und ihn tröstet. Ungefähr so, mein lieber Dichter, haben Monsieur de Saint-Georges und ich Ihre charmante Legende arrangiert, mit Hilfe von Monsieur Jean Coralli, der Schritte, Gruppierungen und Attitüden von einer ausserordentlichen Eleganz und Neuheit gefunden hat. Als Interpreten haben wir Ihnen die drei Grazien der Oper gewählt: die Damen Carlotta Grisi, Adèle Dumilâtre und Caroline Forster. Die Carlotta hat mit einer Perfektion, einer Leichtigkeit und Kühnheit, einer delikaten Sinnlichkeit getanzt, die sie in eine Reihe mit der Elssler und der Taglioni stellt. Was die Pantomime anbelangt, so hat sie alle Erwartungen über­ troffen: keine konventionelle Geste, keine falsche Bewegung – das ist wahre Natur und Naivität. Man muss unbedingt erwähnen, dass ihr Mann und Lehrer Jules Perrot ist [Perrot war massgeblich an der Giselle-Choreografie be­teiligt]. Petipa war graziös, leidenschaftlich und anrührend. Es ist lange her, dass ein Tänzer so viel Freude bereitet hat und so gut aufgenommen wurde.

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Die Musik des Monsieur Adam ist den gewöhnlichen Ballettmusiken überlegen. Sie ist reich an Motiven und orchestralen Effekten, enthält sogar für die Liebha­ ber schwieriger Musik einige aufregende Attraktionen. Der zweite Akt löst auf glückliche Weise das musikalische Problem der graziösen Fantastik und ist voller Melodie. Was die Dekoration angeht, die von Pierre Ciceri ist, so gibt es, was Landschaften betrifft, nichts Besseres. Der Sonnenaufgang, der den Ab­schluss bildet, ist von verblüffender Echtheit. Die Carlotta wurde vom brausenden Bei­ fall des gesamten Saales vor den Vorhang gerufen. So, mein lieber Heine, haben Ihre deutschen Wilis glanzvoll in der franzö­ sischen Oper reüssiert. Sie werden das bereits den Zeitungen entnommen ha­ ben. Ich hätte Sie darüber schon früher in Kenntnis gesetzt, wenn ich Ihre Adresse gehabt hätte. Da sie mir nicht bekannt ist, nehme ich mir die Freiheit, Ihnen in La Presse zu schreiben, die Ihnen ohne Zweifel diesen Brief in Form eines Feuilletons zukommen lassen wird.

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EIN KUNSTWERK VON HOHEM RANG Zu Adolphe Adams Komposition

Adolphe Adam, am 24. Juli in Paris geboren, entstammt einer ursprünglich deutschen Musikerfamilie. Sein Vater, der im Alter von 15 Jahren nach Paris gekommen war, war Pianist und Klavierpädagoge am Conservatoire und sorg­ te für die erste musikalische Ausbildung seines Sohnes, der allerdings zunächst recht wenig Lust am Lernen zeigte. In seinen Souvenirs d’un musicien erinnert sich Adolphe Adam später: «Mit sieben Jahren konnte ich noch nicht lesen. Ich wollte nichts lernen, nicht einmal die Musik. Meine Freude war, auf dem Klavier zu klimpern, was mir gerade durch den Kopf ging, aber Klavierspielen hatte ich nie gelernt. Meine Mutter war verzweifelt über meine Untüchtigkeit.» Schliesslich gelang es dem Vater doch, den heranwachsenden Knaben für die Musik zu begeistern. Adolphes besondere Vorliebe galt der Orgel, auf der er stundenlang zu improvisieren pflegte. Bereits mit 14 Jahren wurde er ins Pariser Conservatoire aufgenommen: «Zunächst aber kam ich in die Komposi­ tionsklasse Ellers, eines braven Deutschen. (Daneben studierte Adam auch bei Anton Reicha). Zu dieser Zeit waren die Werke Boieldieus gar nicht beliebt. Ich verabscheute die melodische Musik und war Feuer und Flamme für die schwierigsten Kombinationen – und für die verschrobensten. Boieldieu (bei dem Adam später seine Kompositionsstudien fortsetzte) brauchte vier ganze Jahre, um mich umzumodeln. Ihm verdanke ich meine gänzlich neue Ansicht über Musik.» Während seiner Studienzeit wuchs auch die Begeisterung und Liebe für das Theater: «Ich hatte mich mit einem jungen Mann vom Orchester der Opéra comique angefreundet, und ich war überglücklich, wenn er mir er­ laubte, beim Orchester zu sitzen. Mein Geschmack war damals nicht gerade gut in puncto Musik, und meine Bewunderung galt mehr den dunklen Opern von

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Méhul als aller anderen Musik ... Ein Musiker engagierte mich für das Triangel mit 40 Sous pro Vorstellung – aber: Ich musste ihm das Geld abliefern. Ich habe bezahlt, um dort sein zu können! Aber – nun war ich dabei. Mein Traum war Wirklichkeit geworden.» 1829 stellte sich Adolphe Adam dem Pariser Publikum, mit seiner ersten Oper vor, dem Einakter Pierre et Cathérine, jedoch ohne nachhaltigen Erfolg. Auf Einladung seines Schwagers Laporte, des Direktors der Covent Garden Opera (Adam hatte dessen Schwester geheiratet), ging Adam 1832 nach Lon­ don: «Ich konnte kein einziges Wort Englisch und hatte einige Mühe mit dieser Sprache. Als ich einige Worte gelernt hatte, komponierte ich zwei Einakter, The dark diamond und His first campaign. Das erste Stück hatte einen guten Erfolg, das zweite wurde nur dreimal gespielt.» Ausserdem schrieb Adam in London sein erstes Ballett, Faust, das am Queen’s Theatre uraufgeführt wurde. – Wesent­ lich erfolgreicher als der Londoner Aufenthalt verliefen zwei Reisen nach St. Petersburg (1834) und Berlin (1840), wo Adam als Komponist und Klavier­ virtuose gleichermassen gefeiert wurde. Internationale Anerkennung errang Adolphe Adam 1836 mit der opéra comique Der Postillon von Lonjumeau, aus dessen Partitur, wie etwa das Postillon-­ Lied oder Alcindors Skalen-Arie zu den populären Stücken der Opernliteratur avancierten. Graziöse, liebenswürdige Melodik, pikante Rhythmik, eine reiz­ volle, sehr farbige Instrumentation und pointierte musikalische Komik zeichnen dieses Werk aus: «Mein einziges Ziel ist, Musik zu schreiben, die klar ist, leicht verständlich und unterhaltsam für das Publikum... Ich habe die Arbeit immer geliebt und habe keine besonderen Leidenschaften. Ich liebe nicht das Land­ leben, nicht das Spielen, keine Zerstreuung. Die musikalische Arbeit ist meine einzige Leidenschaft und mein einziges Vergnügen. Sollte der Tag kommen, an dem das Publikum meine Werke nicht mehr liebt, wird die Langeweile mich töten, denn es ist einzig und allein das Fieber des Schaffens, das meine Jugend verlängert und mich erhält.» 1847, nach einem Zerwürfnis mit dem dem Direktor der Opéra Comiqe, eröffnete Adam ein eigenes Theater, das Théâtre National. Ein Jahr später muss­ te es jedoch auf Grund der politischen Wirren und der damit verbundenen Finanzkrise geschlossen werden. Adam verlor sein gesamtes Vermögen. Schliess­

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

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lich erhielt er eine Professur am Pariser Conservatoire. Daneben war er auch als Musikkritiker tätig. Adam starb am 3. Mai 1856 in Paris. Insgesamt schuf er 57 Bühnenwerke, von denen allerdings nur noch weni­ ge im Spielplan der Opernhäuser zu finden sind, wie zum Beispiel Si j’étais rois, La poupée de Nuremberg und vor allem das Ballett Giselle, das zum Repertoire­ bestand der grossen Ballettcompagnien gehört. Adam schuf die Musik zu Giselle innerhalb kürzester Zeit, manche Quellen sprechen sogar von nur acht Tagen. Trotzdem ist die Partitur auf das sorgfältigste ausgearbeitet und meister­ haft dem Inhalt des Librettos und den Erfordernissen des Tanzes angepasst. Die zeitgenössische Kritik lobte die sprühende, zündende Melodik, mo­ derne und vielfältige Harmonik, die Instrumentation, durch die besonders im zweiten Akt die Sphäre des Geisterreichs durch den von Harfen begleiteten Streicherklang sehr einfühlend musikalisch nachempfunden ist: Leitmotivtech­ nik und vor allem die Wilis-Fuge, ein charakteristisches Beispiel der Wiederbe­ sinnung auf Bachsche Musik in der Romantik, wurden als geradezu sensationell hervorgehoben. Auf dennoch erhobene Vorwürfe gegen den Komponisten, dass er sein Talent einer solch minderen Arbeit widme, reagierte Adam sehr gelassen: «Nichts gefällt mir mehr als diese Arbeit, die darin besteht, dass man zu seiner Inspiration nicht die Rosetten an der Decke oder die Blätter eines Boulevard­ baumes zu zählen, sondern nur die Beine der Tänzerinnen anzusehen braucht... Man beschimpft mich, dass ich Jugend und Frühling meines Schaffens an diese Arbeit für choreografisches Zeug verschwende. Schön, Arbeit für solches Zeug, aber diese Arbeit ist meine Muse und mein Leben. Alles macht mir eben Spass an dem, was man so gering schätzt.» Und Hans Werner Henzes Wort über Giselle seien hier als Bestätigung angefügt, wonach Adams Musik – trotz der enormen Aufwertung, die die Ballettmusik im 20. Jahrhundert durch Kompo­ nisten wie Strawinski, Bartók, Prokofjew und Henze erfuhr – mit Recht zu den Meisterwerken dieses Genres gezählt wird: Giselle, die Umwandlung von Hei­ nes Wilis durch Gautier, Coralli und die harte Musik von Adam, die in diesem Zusammenhang alle Vordergründigkeit verliert, ist ein Kunstwerk von hohem Rang – unsentimental, voller Schauer und, besonders im zweiten Akt, von ech­ ter Poesie erfüllt, deren Fassung uns einen Blick von seltener Klarheit in eine Geistigkeit gestattet, die Ernst und Tiefe mit etwas vereinigt, wofür wir im

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Deutschen das etwas abfällige Wort «Gefälligkeit» haben, was aber mehr ist, nämlich Eleganz, durch Beherrschung und Zurückhaltung des Ausdrucks er­ reicht.» Nicht von Adolphe Adam stammt der sogenannte Bauern-Pas de deux, eine musikalische Einlage von Johann Friedrich Burgmüller (Souvenir de Râtisbonne, Zitat eines seinerzeit populären Walzers). Zwei weitere musikalische Ergänzun­ gen, die in St. Petersburg wahrscheinlich von Ludwig Minkus komponiert wur­ den, sind für das Ballett sehr wichtig geworden. Es sind dies die Walzervariati­ onen für Giselle im ersten Akt und die auf dem auf dem Liebesthema des ersten Akts basierende Walzerfassung, die den grossen Pas de deux im 2. Akt be­ schliesst.

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ELEGANZ, FRISCHE UND VIELSEITIGKEIT Aus einer musikalischen Uraufführungskritik Léon Escudier

Wir sind es heute so wenig gewohnt, auf dem Theater wahre Poesie zu sehen, dass es für uns ein Glück ist, mit Giselle ein an Grazie und Originalität so be­ merkenswertes Werk besprechen zu dürfen. Um zu einem Sujet, das die Herren Saint-Georges und Théophile Gautier vollendet bearbeitet haben, eine originelle Musik zu erfinden, musste Monsieur Adolphe Adam viel Einbildungskraft und Verve aufbringen. Dieser Komponist, der uns schon La Fille du Danube schenkte, hat dieses Mal eine wahre Tour de force vollbracht. Besonders auffällig an seinem neuen Ballett sind die Eleganz, Frische und Vielseitigkeit der Melodien, die kühnen und neuartigen harmoni­ schen Kombinationen und der Schwung, der einen gleich am Anfang ergreift und bis zum Ende nicht mehr loslässt. Gewöhnlich hat Ballettmusik nicht viel Gewicht. Unter den unzähligen Balletten, die an der Opéra aufgeführt werden, wird man schwerlich mehr als drei finden, in denen der Komponist auch nur eine Spur von Fantasie zeigt... Die Giselle-Partitur von Monsieur Adam hat allgemein soviel Beifall gefun­ den, dass es uns ein Anliegen ist, eine kurze Analyse des Stückes zu geben: Beim Aufgehen des Vorhangs hören wir eine charmante Einleitung, orchestriert im Stile Cherubinis. Die erste Szene zwischen Giselle und Loys enthält einige sehr reizvolle Nummern. Dann folgt ein hinreissender Walzer, der ganz im deutschen Stil gehalten ist und der wohl so berühmt werden könnte wie die schönsten Walzer von Strauss. Diese Nummer wird unterbrochen durch den Auftritt von Giselles Mutter, die ihrer Tochter die Gefahren des zügellosen Tanzens ausmalt und ihre Angst bekundet, die Tochter eines Tages in eine Wili verwandelt zu se­ hen. Die Musik dieser Szene enthält einige völlig neuartige Modulationen. Es

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folgt der Einsatz von Jagdfanfaren. Hier werden die Blechinstrumente recht glücklich eingesetzt, und selten haben wir gehört, dass für diese Instrumente in einem so vorteilhaften, Kraft und Klangvolumen berücksichtigenden Umfang geschrieben wurde. Das kleine Andante, zu dem die Szene zwischen Giselle und der Verlobten von Loys stattfindet, ist entzückend in seiner Naivität. Das Di­ vertissement beginnt mit einem Marsch der Winzer und Winzerinnen in einem originellen und kecken Rhythmus, der einen aussergewöhnlichen Effekt erzeugt. Der Pas de deux zwischen Giselle und Loys schliesst mit einem sehr anspre­ chenden «mouvement louré». Der Galopp, der das Divertissement beendet, ist von geringerem Wert als die vorausgehenden Nummern, aber durch seinen Rhythmus so mitreissend, wie es ein Galopp nur sein kann. Das Finale des ers­ ten Aktes, die Wahnsinnsszene, ist in allen seinen Phasen vollendet ... Aber welches Vergnügen die Musik des ersten Aktes auch immer bereitet – es ist geringfügig gegen das, was der Komponist für den zweiten Akt aufgespart hat. Es würde zu weit führen, jede einzelne musikalische Nummer dieses Aktes zu beschreiben, trotzdem möchten wir den orchestralen Effekt hervorheben, der den Auftritt der Königin der Wilis begleitet: Über Arpeggi der Harfen spielen vier gedämpfte erste Violinen im höchsten Register eine vierstimmige Melodie, deren Effekt wahrhaft magisch ist – man fühlt sich tatsächlich ins Reich der Feen versetzt. Diese Instrumentenkombination ist vollkommen neuartig, der Effekt aussergewöhnlich. In der Folge reihen sich verschiedene Tanzweisen aneinander, deren Rhythmus mannigfaltig wechselt, ohne dass die wundersame Färbung auch nur einen Moment aufhört, all diese ätherischen Melodien zu beherrschen. Musikalisch ist dies der bemerkenswerteste Teil des Balletts. Es ist das erste Mal, dass wir das Fantastische mit angemessener Berücksichtigung von Grazie und Charme behandelt sahen, und wird vielleicht nie mehr glücklicher gelingen. Giselles letzter Tanz wird von einem Bratschen-Solo unterstrichen. Nichts könn­ te inniger und melancholischer sein als der Ton dieses Instruments, das doch so selten melodisch eingesetzt wird. Das Entschwinden Giselles zwischen den Blumen, begleitet von der Flöte und den Harfen, ist eine musikalische Phrase voll schmerzlichem Zauber. Sie beendet auf hinreissende Art eine Partitur, die sehr wohl bei der feinen Gesellschaft ebenso erfolgreich werden könnte wie beim breiten Publikum.

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Die Romantik, das ist der Stern, der weint, das ist der Wind, der wimmert, das ist die Nacht, die schaudert ... das ist der unverhoffte Geistesblitz, die erschlaffte Ekstase ... zur gleichen Zeit das Rund, das Diametrale, das Pyramidale, das Orientalische. Alfred de Musset



Patrice Bart Choreograf Patrice Bart, Jahrgang 1945, ist untrennbar mit dem Ballett und der Ballett­ schule der Opéra de Paris verbunden. 1957 trat er in die Schule ein und wurde bereits 1959 Mit­glied des Corps de ballet. Als Coryphée erhielt er 1963 den Prix René Blum, der den vielversprechendsten jungen Tänzern verliehen wird. 1969 gewann er als Premier danseur die Goldmedaille beim Tänzerwettbewerb in Moskau und wurde 1972 zum Etoile ernannt. Patrice Bart tanzte die männ­ lichen Hauptrollen in Balletten wie Schwanensee, Petruschka, Dornröschen, Don Quixote, Der verlorene Sohn und trat in Kreationen wie Constellations (Serge Lifar, 1969), Mouvances (Roland Petit, 1976) und Métaboles (Kenneth Mac­ Millan, 1978) auf. Von 1970 bis 1982 gastierte Bart regelmässig als Etoile beim London Festival Ballet, dem jetzigen English National Ballet. Er war aus­serdem mit zahlreichen Compagnien auf den bedeutendsten internationalen Bühnen zu sehen. Noch vor seinem offiziellen Bühnenabschied im Jahre 1989 begann Patrice Barts Karriere als Ballettmeister, der sich mehr und mehr mit Direkti­

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onsaufgaben befasste, nach dem Weggang von Rudolf Nurejew auch, zusammen mit Eugen Poljakow, für einige Zeit als Interimsdirektor. Danach war Patrice Bart über mehr als zwei Jahrzehnte als der Direktion assoziierter Ballett­meister wesentlich mitverantwortlich für die Aufrechterhaltung und Weiterführung der aussergewöhnlichen Tradition und des hohen Standards der französischen Eli­ te-Compagnie. 1991 inszenierte er, zusammen mit Eugen Poljakow, die Pariser Giselle-Produktion aus Anlass des 150. Jahrestags der Uraufführung. 1992 as­ sistierte er Rudolf Nurejew bei der Einstudierung von La Bayadère. 1993 brach­ te er seine eigene Don Quixote-Produktion an der Berliner Staatsoper heraus, die auch vom Finnischen Nationaltheater übernommen wurde. Für die Mailän­ der Scala inszenierte er eine neue Giselle, deren Premiere 1996 im Fernsehen europaweit live übertragen wurde. Ebenfalls 1996 brachte er mit Coppélia sei­ ne erste abendfüllende Eigenproduktion für die Opéra de Paris heraus. 1997 hatte seine Neufassung von Schwanensee an der Deutschen Staatsoper in Berlin Premiere. 1998 schuf er für das Bayerische Staatsballett eine neue, komplettierte Fassung von Petipas La Bayadère. Es folgten für Berlin Der Nussknacker (1999) und Romeo und Julia (2002). Ausserdem kreier­te er einige ganz neue, eigene Stoffe: Verdiana (Berlin 1999, Florenz 2001), La Petite Danseuse de Degas (Paris 2003), Tschaikowsky (Helsinki 2005), Gustav III. (Stockholm 2008), Das flammende Herz (Berlin 2009) und Chopin (Warschau 2010). Jüngste Projek­ te waren Giselle für das Koreanische Nationalballett in Seoul und das Balletto di Roma (2011) sowie – ebenfalls in Rom – Romeo und Julia (2011) und Schwanen­see (2013). Patrice Bart ist Commandeur des Arts et Lettres, Officier de l’Ordre national du Mérite und Chevalier de la Légion d’honneur.

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Luisa Spinatelli Bühnenbild und Kostüme Luisa Spinatelli wurde an der Akademie der Schönen Künste im italienischen Brera zur Bühnen- und Kostümbildnerin ausgebildet. Heute ist sie dort als Dozentin tätig. Ihr erstes Bühnenbild entwarf sie 1965 an der Mailänder Scala für das Ballett Francesca da Rimini. Auch auf dem Gebiet des Schauspiels und der Oper machte sie sich bald einen Namen. Opern wie Attila, La forza del destino, Andrea Chénier oder Fedora waren an der Mailänder Scala in ihrem Bühnenbild zu sehen. Für das Teatro Regio in Turin entwarf sie die Ausstattung für Kiss me, Kate und Die Jungfrau von Orléans sowie für das Teatro Massimo in Palermo Luisa Miller. Ihre ureigenste Domäne ist aber stets das Ballett ge­ blieben. In ihrer Ausstattung gelangte 1976 Der Nussknacker in der Arena di Verona zur Aufführung, den Klassiker stattete sie auch 1999 für die Staatsoper Unter den Linden und 2002 beim Tulsa Ballett aus. Sie entwarf Bühnenbilder und Kostüme für Robert Norths Choreografie Orlando am Teatro dell’Opera in Rom, für die Dornröschen-Inszenierung des Royal Opera House Covent Garden, für Pierre Lacottes Paquita am Bolschoi Theater Moskau, für eine Inszenierung der Pique Dame am Nationaltheater Tokio oder für George Ba­ lanchines Choreografie Ein Sommernachtstraum an der Mailänder Scala. Für ihre Ausstattung von Schwanensee, den Patrice Bart 1997 für die Staatsoper Unter den Linden choreografiert hat, wurde sie mit dem «Benois de la danse» ausgezeichnet, und 2005 wurde ihr für die Ausstattung von Raymonda in To­ kio der «Premio Akiko Tachibana» verliehen. Luisa Spinatelli und Patrice Bart haben bereits mehrfach zusammengearbeitet.

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Die Biografien kรถnnen Sie im BALLETT Zร RICHnachlesen. gedruckten Programmbuch www.opernhaus.ch/shop


Programmheft GISELLE Ballett von Patrice Bart nach Jean Coralli und Jules Perrot Premiere am 28. März 2015, Spielzeit 2014/15 Wiederaufnahme: 22. November 2015, Spielzeit 2015/16

Herausgeber

Intendant

Opernhaus Zürich Andreas Homoki

Zusammenstellung, Redaktion Michael Küster Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing

Schriftkonzept und Logo

Druck

Textnachweise: Handlung: Michael Küster.  –  Gerhard J. Bellinger: Lexikon der Mythologie. Augsburg 1996.  –  Heinrich Heine: Aber das Tanzen geht hin so schnell durch den Wald. Aus: Über Deutschland. Elementargeister. Sämtliche Schriften. Bd. 5. München/ Wien 1976.  –  Victor Hugo: Fantômes. In: Œuvres complètes: Poésie I. Paris 1985 (Übersetzung: Veronika Schä­fer). – Das Gespräch mit Patrice Bart führ­te Michael Küster für dieses Programmheft.  –  Serge Lifar: Giselle – Apothéose du ballet romantique. Paris 1942.  – Annegret Gertz: Ein Streifzug durch die «Giselle»-Geschichte. Aus: Giselle. Ein Ballettführer. Hrsg. v. d. Staatsoper Unter den Linden Berlin. Frankfurt /Leipzig 2001. – Dorion Weickmann schrieb ihren Essay für das MAG 27/2015 (Magazin des Opern­hauses Zürich).  –  Théophile Gautier: Mon cher Hein­ rich Heine. Aus dem «Giselle»-Programmheft der Oper

Telefon 044 268 64 14, inserate@opernhaus.ch Studio Geissbühler Fineprint AG

Frank­furt. Spielzeit 1980/81.  –  Léon Escudier: Eleganz. Frische und Vielseitigkeit. Aus einer mu­si­kalischen Uraufführungskritik. Aus: La France musicale, 4. Juli 1841 (Übersetzung: Anja von Witzler für das «Giselle»-­Programmheft der Hamburgischen Staatsoper, Spielzeit 1983/84).  –  Die Zitate von Carlo Blasis, Louis Véron und Alfred de Musset entnahmen wir Dorion Weickmanns Buch: Tanz. Die Muttersprache des Menschen. München 2012. Abbildungen: Foto Patrice Bart: Colette Masson. – Gregory Batardon foto­­gra­fierte die Klavierhauptprobe am 19. März 2015.  –  Die Compagnie portraitierte Sir Robin Photography. Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.


Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden und Obwalden. PARTNER

ab PRODUKTIONSSPONSOREN Evelyn und Herbert Axelrod Freunde der Oper Zürich

Swiss Re Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG

Walter Haefner Stiftung PROJEKTSPONSOREN AMAG Automobil- und Motoren AG Baugarten Stiftung Familie Christa und Rudi Bindella René und Susanne Braginsky-Stiftung Clariant Foundation

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Sir Peter Jonas Luzius R. Sprüngli Elisabeth Stüdli Stiftung Zürcher Theaterverein


Plötzlich wache ich auch am Sonntag ganz früh auf. Älter werden fängt früher an, als man meint. Jetzt gemeinsam Vorsorge planen.

f: Mehr au / ubs.com e g r vorso

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