L'Heure espagnole / L'Enfant et les sortilèges

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L’HEURE ESPAGNOLE / L’ENFANT ET LES SORTILÈGES

MAUR ICE R AVEL


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MAURICE RAVEL (1875-1937)

L’HEURE ESPAGNOLE Musikalische Komödie in einem Akt, Text von Franc-Nohain Uraufführung: 19. Mai 1911, Opéra-Comique, Paris Fassung für Kammerorchester von Klaus Simon (2013)

L’ENFANT ET LES SORTILÈGES Fantaisie lyrique in zwei Teilen, Text von Colette Uraufführung: 21. März 1925, Opéra de Monte-Carlo Fassung für Kammerorchester von Xaver Paul Thoma (2010)

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L’HEURE ESPAGNOLE Es ist Donnerstag – der Tag, an dem der Uhrmacher Torquemada seinen Laden für eine Stunde verlässt, um in der Stadt die öffentlichen Uhren zu richten – der Tag, an dem Conception, Torquemadas Frau, eine Stunde Zeit hat, um ihren Liebhaber zu empfangen. Heute jedoch betritt der Maultiertreiber Ramiro den Laden. Seine Uhr, ein wertvolles Familienerbstück, ist stehengeblieben. Torquemada bittet ihn, bis zu seiner Rückkehr auf ihn zu warten. Conception gerät in Aufregung, denn sie erwartet den Poeten Gonzalve. Um Ramiro loszuwerden, lässt sie ihn eine schwere Standuhr ins Schlafzimmer tragen. Gonzalve erscheint. Doch statt Conceptions Liebeshunger zu stillen, ergeht er sich in wortreichen Tiraden. Ramiro kommt früher als erwartet zurück. Conception versteckt Gonzalve kurzerhand in einer Standuhr. Sie bittet Ramiro, die Uhr, in der Gonzalve steckt, mit der anderen Uhr in ihrem Schlafzimmer auszutauschen. Mühelos trägt Ramiro die zweite Uhr ins Schlafzimmer. Don Inigo, ein Geschäftsmann, betritt den Laden. Auch er hat ein Auge auf Conception geworfen. Diese gibt ihm aber einen Korb und lässt ihn im Laden stehen. Nicht gewillt, das Rennen so schnell aufzugeben, zwängt sich Inigo in die Standuhr. Ramiro kommt aus dem Schlafzimmer zurück in den Laden und philoso­ phiert über den komplexen Mechanismus von Uhren und Frauen. Conception kehrt frustriert zurück. Sie entdeckt Inigo in der Uhr und weist Ramiro kurzerhand an, die Uhren mit Gonzalve und Inigo auszutauschen. Aber auch Inigo konnte Conception offensichtlich nicht zufriedenstellen. Conception lässt ihn samt Uhr von Ramiro zurücktragen und bittet nun Rami­ ro, ihr ins Schlafzimmer zu folgen – ohne Uhr. Torquemada kommt nach Hause. Er bemerkt Gonzalve und Inigo in den Uhren. Sie heucheln Kaufinteresse vor, was der Uhrmacher zu nutzen weiss. Ra­miro weist er an, seiner Frau jeden Morgen zu sagen, was die Stunde geschla­ gen hat. 2


L’ENFANT ET LES SORTILÈGES Ein Kind war ungehorsam und faul. Es erhält eine Standpauke und wird zur Strafe bis zum Abendessen im Zimmer eingesperrt. Auf die ganze Welt wütend, zerstört das Kind in einem wilden Rausch sämtliche Gegenstände und Objekte des Raumes: Es schmeisst Tische und Stühle auf den Boden, zerbricht eine englische Teekanne und eine chinesische Teetasse, zerfetzt ein Schaubild, be­ schädigt eine Uhr, reisst einem Eichhörnchen den Schwanz ab und pfeffert seine Schulbücher auf den Boden. «Ich bin böse und frei!», jubelt es. Da tauchen nacheinander die zerstörten Gegenstände als lebende Geschöp­ fe auf und ziehen das Kind zur Rechenschaft. Darunter sind auch ein verzehren­ des Feuer, eine Märchenprinzessin und die Arithmetik mit ihren Zahlen. Als zwei Katzen in das Zimmer eindringen, erhebt sich auch die Natur gegen das Kind – Bäume, Frösche, Libellen, Fledermäuse, ein Eichhörnchen und eine Nachtigall. «Ich bin allein», denkt das Kind. Als sich das Eichhörnchen verletzt, stillt das Kind die Wunde. Die Tiere nehmen das Kind in ihre Gemein­ schaft auf und rufen gemeinsam mit dem Kind nach «Maman».

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Trystan Llŷr Griffiths, Ildo Song, Carmen Seibel, Gyula Rab, Huw Montague Rendall Spielzeit 2016 / 17, Theater Winterthur



Huw Montague Rendall Spielzeit 2016 / 17, Theater Winterthur

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AUSBRUCH AUS DER ORDNUNG Regisseur Jan Eßinger im Gespräch über Ravels Kurzopern Jan Eßinger, der Abend beginnt mit Ravels Oper L’Heure espagnole, was man mit «Spanische Stunde» oder «Eine Stunde Spanien» übersetzen kann. Was geschieht? Die spanische Stunde ist die Stunde der Uhrmachersgattin Conception. Einmal pro Woche geht ihr Mann aus dem Uhrmacherladen, um in der Stadt die öffentlichen Uhren zu richten. Es ist ihr freier Moment, an dem sie ihrem trostlosen Eheleben durch ein Rendezvous ent­fliehen kann. Neben dem erwarteten Gonzalve taucht noch ein weiterer Anwärter auf, Don Inigo. Besonders in Bedrängnis gerät Conception jedoch durch den Maultiertreiber Ramiro, der seine Uhr reparieren lassen möchte. Es ist eine Klipp-KlappKomödie, bei der die katalanischen Wanduhren stellvertretend für die Wandschränke im Schlafzimmer oder das Ver­steck unter dem Bett stehen. Ramiro, der störende Dritte, wird kurzerhand zum Wanduhrenträger abkom­mandiert und dadurch zu einem Teil des Spiels. Dass er am Ende buchstäblich das Rennen macht, ist natürlich eine witzige Pointe. Also die Geschichte einer typischen französischen Boulevardkomödie. Ravels Kurzoper basiert ja auch auf einem zeitgenössischen Schauspiel­ stück. Das merkt man auch der Oper noch immer an! Es ist ein Konversationsstück, bei dem unentwegt geplappert wird. Fast hat man das Gefühl, dass es wichtiger ist, sich in Sprache zu ergiessen, als inhaltlich tatsächlich etwas aus­­zusagen. Darauf muss man in der Regie Bezug nehmen, denn die Sprache besitzt in ihren Feinheiten und ihrem Charme eine hohe Qualität und Präzision. Es wird mit der Sprache bewusst gespielt, mit Reimen und Wortwitz.

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Das hat auch Konsequenzen für die Figuren... Ja, denn dadurch bekommt alles eine gewisse Künstlichkeit und Zwei­­­ dimensio­­nalität. Die Figuren sind nicht aus Fleisch und Blut, sondern Arche­typen, überzeichnete Abziehbilder, die wir in fast comichafte Charaktere über­setzt haben, was sich etwa in unseren Papierkostümen niederschlägt. Es gibt keinen realistischen Dialog und geht wenig um psychologische Hinter­gründe. Selbst die Musik arbeitet mit diesem Zitathaften. Man hört sogar explizite Zitate aus Tosca, Salome oder – bei Conception natürlich aus Carmen... ...das dann so klingt, als ob Conception zum Souvenirshop gehen würde und sich einen spanischen Fächer kaufen würde. Genau, man spürt immer den Blick von aussen, die Distanz, das Ausgestellte. Und natürlich die Ironie! Das fängt schon beim Namen Conception an, der für die unbefleckte Empfängnis der Muttergottes steht und geht so weit, dass die Schäferstunde, die Stunde Spanien, wirklich fast 60 Minuten dauert. Die gespielte Zeit ist also die tatsächliche Zeit. Damit wendet sich Ravel in seiner ersten Oper auch trotzig gegen die Musik­dramen Wagners, gegen die grosse lyrische Oper Massenets oder den Symbolismus eines Debussy. Es gibt keine gedehnte Zeit, alles ist Aktion und surrt wie der komplexe Mechanismus einer Uhr ab. Da ist kein ungebrochenes Pathos, nie wird etwas sentimental oder metaphysisch überhöht – und wenn, dann wird daraus sofort eine Parodie. Es muss Ravel Spass gemacht haben, mit diesen Schablonen zu spielen und dadurch gleichzeitig aufzuzeigen, dass Gefühle in den Werken seiner Kollegen letztlich auch nur künstlich erzeugt sind; was natürlich die Frage nach Authentizität auf der Bühne aufwirft. Das mag etwas theoretisch sein, ist aber auch ein hochspannendes Experiment. Und als Zuschauer kann ich durch meine eigene, subjektive Sicht auf das Geschehen durchaus zum Nachdenken über Gefühle und deren Mechanismen angeregt werden.

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Ravel hat rund 15 Jahre später diese Spielwiese verlassen und in L’Enfant et les sortilèges empfindsamere Töne gesucht. Worum geht es für dich in L’Enfant? Um das Erwachsenwerden und alles, was dazugehört. Um das Erlernen von Empa­thie, um das «Mitfühlen» im wahrsten Sinne des Wortes und das daraus resultierende, verantwortungsvolle Handeln. Erwachsenwerden bedeutet in diesem Kontext aber auch, dass das Verlassen der Kindheit gleichzeitig ein schmerzhafter Verlust ist. Dafür steht für mich der bewegende, traurige Schlusschoral der Tiere, der etwas Demaskierendes und dadurch Echtes hat. Er ist sehr weit von dem entfernt, was wir zuvor in L’Heure espagnole gehört haben. Die Geschehnisse werden durch das Auftauchen einer Mutterfigur aus­ge­ löst. Das Kind hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Was passiert an­ schliessend? Die Mutter steht stellvertretend für Repressalien, für Strenge, Druck und Ordnung, der sich das Kind unterzuordnen hat. Das Kind hat sich nicht so verhalten, wie es sollte und wird bestraft. Dagegen begehrt das Kind auf. In einem beinahe schon pubertären Akt bricht das Kind die Ordnung und richtet ein Zerstörungswerk in seinem Zimmer an. Dadurch wird es zwar «böse», wie es selbst sagt, erkennt aber auch, dass es eine neue Freiheit gewinnt. Es geht um eine lustvolle Grenz­über­schreitung, die den Erfahrungs­ horizont des Kindes erweitert. Nach diesem Zerstörungswerk tauchen die sogenannten Sortilèges auf, animier­te Objekte und sprechende Tiere. Welche Bedeutung haben sie? Diese Wesen sind wie verzerrte Traumfiguren. Sie können sprechen – manchmal in unverständlichem Chinesisch, in englischen Wortfetzen oder in zungenbreche­ri­schem Schnellsprechtempo. Sie sind mal lustig, mal bedrohlich. Wir kennen das doch aus unseren eigenen Träumen, wenn uns Menschen begegnen, die uns nahe sind, die aber gleichzeitig seltsam ver­ ändert erscheinen. Diese Traumwesen sagen etwas darüber aus, was uns unter­bewusst beschäftigt. Das Kind hat Objekte zerstört und die Ordnung

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verletzt, aber das schlechte Gewissen sorgt dafür, dass es sich weiter damit auseinandersetzt. Wäre das Kind unemp­findsam, würde es die Dinge wohl gar nicht erst zum Leben erwecken. Die Struktur der Oper ist eine Art Bilderbuchreigen. Ravel hat für jeden einzel­nen Auftritt der Sortilèges, der Teetassen oder Tapetenfiguren, eine spezifische musikalische Form gewählt, die nicht aus der Welt des Kindes stammt. Damit ist das Kind in erster Linie Zuschauer. Ja, und diese Position macht es zum Aussenseiter. Sehr auffällig ist, dass das Kind meistens Paaren gegenübersteht und immer darauf zurückgeworfen wird, dass es selbst alleine ist. Diese Einsamkeit kommt besonders in der Szene mit der Prin­zes­sin zum Tragen. Das Kind hat zuvor das Märchenbuch zerrissen und damit den erfolgreichen Ausgang der Geschichte zerstört. Jetzt, wo die Prinzessin auftaucht, hat man das Gefühl, dass das Kind zum ersten Mal das Verliebtsein empfinden kann und gleichzeitig erkennen muss, was es bedeutet, wenn man etwas zerstört, das einem wichtig ist. Diese Liebe ist unerreichbar geworden. In der Ariette nach dem Auftritt der Prinzessin, Toi, le cœur de la rose, tritt dann ein, was es bei L’Heure nie gibt: ein reflexiver Moment, den Ravel in empfindsame, berührende Musik gefasst hat. Im zweiten Teil, im Garten, tauchen dann Tiere auf, die auf der Suche nach ihrem Partner sind und dem Kind diesen Verlust zum Vorwurf machen. Hier tritt die Heilung des Kindes, die reinigende Selbstreflexion, endgültig ein. Das Kind erkennt, dass es schreckliche Dinge gemacht hat – bewusst oder unbewusst –, und es fängt an, mit den Tieren Mitleid zu empfinden. Als sich das Eichhörnchen während eines Kampfes unter den Tieren verletzt, ist das Kind das einzige Lebe­wesen, das das Unglück bemerkt und sich um die Wunde kümmert. Es wird zum ersten Mal aktiv, begreift sich als ein han­ delndes, verantwortungsvolles Subjekt und verlässt seine Beobachterposition. Das Erkennen der Wunde – ganz im Parsifalschen Sinne – erlaubt ge­wis­ sermassen die eigene Heilung. Was dann mit dem Kind passiert, ist vielleicht noch zu gross für das Kind, um es gänzlich zu verarbeiten.

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Das letzte Wort des Kindes lautet «Maman», in Form einer fallenden Quarte. Was bedeutet der Ruf nach «Maman» am Ende der Oper für dich? Für mich ist das ein sehr ambivalenter Moment. Darin steckt etwas Sehnsuchts­ volles, es hat mit Abschied zu tun, und obwohl die melodische Bewegung nach unten geht, beinhaltet es für mich auch ein kleines Fragezeichen. Ist das Kind tatsächlich ein anderes geworden? Ist es erwachsen geworden? Diese Fragezeichen wollen wir auch ans Ende der Inszenierung setzen. Du hast für deine Inszenierung von L’Enfant einen ganz konkreten Raum gewählt. Wie bist du darauf gekommen? Ausgangspunkt unserer Überlegungen war die Figur der Mutter, die ja weniger durch ihre Mütterlichkeit auffällt, als vielmehr eine Personifizierung der Strenge und Ordnung ist. Auch in der Art, wie sie mit ihrem Kind spricht, ist eine grosse Distanz spürbar. Wir suchten daher nach einem Ort, an dem die grösstmögliche Strenge an Regeln vorherrscht und sind auf eine katholi­ sche Klosterschule ge­kommen. Maman als Autoritätsperson ist in diesem Kontext eine Nonne. Auch die Dualität von Gut und Böse, Heiligem und Despotischem, was ja in diesem Stück immer wieder thematisiert wird, ist in diesem semi-sakralen Raum beheimatet. Das ungute Gefühl, das das Kind je länger je mehr empfindet, projiziert es auf die Figuren aus seinem täglichen Umfeld, die mal traumhaft, mal albtraumhaft sind. Das Gespräch führte Kathrin Brunner

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Oh, das jämmerliche Abenteuer! Conception, L‘Heure espagnole


Carmen Seibel Spielzeit 2016 / 17, Theater Winterthur

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Entschuldigen Sie, mein Herr, sprechen Sie leiser! Die Uhren haben Ohren! Conception, L‘Heure espagnole


UHR UND ZEIT Rüdiger Safranski

Man könnte einfach sagen: Die Zeit ist dasjenige, was die Uhren messen. Was aber messen die Uhren? Sie geben Antwort auf die Frage nach der Position von Ereignissen auf einer Skala, es geht also um das Wann, den Zeitpunkt: oder sie geben Antwort auf die Frage nach der Länge von Abläufen im Nacheinander eines Geschehens, es geht also um das Wie lange, die Dauer. Früher bezog man sich dafür auf Naturabläufe, deren wiederholtes Auftreten ein ähnliches oder gleiches Muster aufwies – die Bewegung der Gestirne oder der Sonne oder auch den Herzschlag. Solche rhythmischen Abläufe dienten als Masseinheit für die Einteilung der Zeit und damit als Uhr. Als Mass konnte aber zum Beispiel auch eine bestimmte Sandmenge dienen, die durch einen engen Hals rinnt: die Sand­ uhr. Noch später, etwa seit dem 14. Jahrhundert, begann man mechanische Uhren zu konstruieren, zuerst die Räderuhren mit Gewicht und Hemmung und dann, seit dem 17. Jahrhundert, die um einiges genaueren Pendeluhren. Aber es bleibt dabei: Stets handelt es sich um regelmässige Geschehensabläufe, mit deren Hilfe man die Dauer anderer, weniger regelmässiger Geschehensab­ läufe misst. Die immer subtileren Techniken des Messens haben dazu geführt, dass im allgemeinen Bewusstsein die Zeit selbst gerne verwechselt wird mit den Instrumenten, mit deren Hilfe man sie misst. Als ob die Zeit etwas wäre, das taktmässig wie der Sekundenzeiger voranschreitet. Schon dieser Ausdruck ist missverständlich. Die Zeit schreitet nicht, eher fliesst sie, aber auch das ist nur eine ziemlich hilflose Metapher. Zeit ist das Dauern, bei dem man ein Früher und Später markieren kann und dazwischen die Intervalle zählt. Damit man innerhalb einer Zeitspanne etwas hat, das man zählen kann, muss es Ereignisse geben, und wenn es nur die Taktschläge der Uhr oder irgendwelche Schwingun­ gen sind. Bereits für Aristoteles war klar: Es muss etwas geschehen – nur dann kann man sinnvollerweise von Zeit sprechen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

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Dara Savinova, Gemma Ni Bhriain, Carmen Seibel Spielzeit 2016 / 17, Theater Winterthur


Ich bin böse und frei! Das Kind, L‘Enfant et les sortilèges


Dara Savinova Spielzeit 2016 / 17, Theater Winterthur

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IM REICH DER KINDHEIT Eine Quelle der Inspiration für den Komponisten Maurice Ravel Kathrin Brunner

Es ist ein Bijou, genau wie Ravels Kompositionen: Maurice Ravels ehemaliges Wohnhaus im winzigen Städtchen Montfort-L’Aumury, 40 Kilometer westlich von Paris gelegen. Wer dem verführerischen Zauber seiner Musik erlegen ist, aber dennoch den neugierigen Blick hinter die Kulissen wagen möchte, entdeckt hier manch Erhellendes über den französischen Komponisten. Ravel konnte sich das Haus dank einer Erbschaft eines Schweizer Onkels kaufen und lebte dort von 1921 bis zu seinem Tod im Jahr 1937. In sicherem Abstand – und inspirie­ render Nähe – zur Grossstadt Paris komponierte er hier Werke wie den popu­ lären Boléro, die beiden Klavierkonzerte oder die Fantaisie lyrique L’Enfant et les sortilèges. Schon zur Strasse hin haftet der Villa «Belvédère» etwas Märchenhaftes an. Mit ihrem Türmchen in der Mitte, den an Zucker­guss gemahnenden weissen Balken und dem langgezogenen Grundriss ist sie eine architektonische Mischung aus Haus­boot, Spielzeugschachtel und Puppenstu­­be. Eine Veranda auf der Haus­ innen­sei­te gibt den Blick frei auf einen abschüssigen, mit Bonsais und Zwer­gen­ gewächsen bestückten, dreieckigen Garten. Innen ist das Haus so ver­winkelt und eng, dass man klein und schlank sein muss, um sich da­rin bequem zu be­ wegen – Ravel war mit knapp 160 Zentimetern tatsächlich eher klein gewachsen. Sämtliche Räume hat Ravel selbst ausgestattet und bemalt: In dunklem Violett ist das Komponistenzimmer gehalten, in sattem Gelb das Schlafzimmer. Auf Stühlen und Wänden finden sich fein gezeichnete schwarze Muster und Figür­ chen. Ausserdem beherbergt das Innere des Hauses eine Welt voller Künst­lich­ keit, die jedes Kind erfreuen würde: Nippesfiguren, gefälschte japa­ni­sche Vasen, Glaskugeln, mechanische Uhren, Tin­ten­fässer im Stil von Kathe­dra­­len, allerlei mechanisches Spielzeug wie eine Nachtigall, die sin­gend mit ihren Flügeln flat­

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tern kann, oder ein Segelboot, das auf Wellen aus Karton tanzt. Ein Reich, das unweigerlich an die Welt der Roman­figur Gulliver von Jonathan Swift erinnert. Seinen Freunden soll Ravel die neu erstande­nen Objekte jeweils voller Stolz und kindlicher Freude gezeigt haben. Das Haus war aber auch mit allem mo­dern­en Komfort der damaligen Zeit ausgestattet, mit Staubsauger und Phono­graph, mit Telefon, Grammophon und Radio. Die Faszination für das Mechanische liegt bereits in Ravels Biografie be­ grün­det. Ravels Vater, der am Genfersee aufwuchs, entstammt einer alten Uhr­ macher­familie. Joseph Ravel war ein Ingenieur, genialer Erfinder eines Mineral­ öl-Dampfmotors und Pionier des Automobilbaus. Ebenso dürfte Maurice Ravels Hang zum Perfektionismus auf seinen Vater zurückzuführen sein. Igor Strawin­ sky nannte Ravel ein­mal wegen dessen Detailversessenheit und Genauigkeit den «Schweizer Uhrmacher» unter den Komponisten, was durchaus an­erkennend gemeint war. Ravels musikalische Fantasie entzündete sich immer wieder am komplexen Zu­sammenspiel von Maschinen. Dabei war es stets das mechanische Innengehäu­ se, der Mechanismus an sich, der ihn besonders interessierte. Und dennoch ist seine Musik nie eine blosse Ab­bil­dung des Maschinellen: Wer genau hinhört, bemerkt, dass Ravel sein Räderwerk mit Taktwechseln oder überraschen­den Akzen­tuie­rungen raffiniert modifiziert, so dass ein lebendiger musikalischer Organismus von grosser Poesie entsteht. Maschinen, die le­ben­dig werden – das erinnert unweigerlich an die tan­ zende Puppe Olimpia aus E.T.A Hoffmanns Novelle Der Sandmann. Tatsächlich versuchte sich Ravel in seiner ersten Oper Olympia an genau diesem Stoff. Aller­ dings vernichtete er bereits die ersten Skizzen wieder, behielt aber ein reines In­strumentalstück, das er später zu einer Symphonie horlogère ausweiten wollte. Da­zu sollte es nicht kommen, aber das Stück fand später Eingang in die 1911 uraufgeführte Kurzoper L’Heure espagnole und bildet dort das Vorspiel: ein musikalisches Kabinettstück, das den übervollen Laden eines Uhrmachers zum Klingen bringt. Neben dem Ticktack von in unterschiedlichen Geschwindigkei­ ten laufenden Uhren – Ravel verlangt hier drei verschiedene Metronom­zahlen – und übereinandergelagerten Glockenschlägen, erklingen mechanische Vogel­r ufe, kräht ein kleiner Hahn und surrt eine Spielzeugdosen-Melodie in der Celesta ab.

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L’Heure espagnole ist unverkennbar eine Reverenz an Ravels Vater, der während der Entstehung der Oper verstorben war. Um Spielzeug geht es auch im Kla­vier­lied Noël des jouets (Spielzeugweih­ nacht) aus dem Jahr 1905. Die Tat­­sa­che, dass Ravel den Liedtext gleich selbst verfasste, zeigt, wie wich­tig ihm dieser Stoff war. Das Gedicht ist ein kleines Kunst­werk für sich. Wer sich die erste Strophe einmal laut vorliest, bemerkt be­ ­reits auf Textebene den klappernden Mechanismus des Spielzeugs: «Le troupeau verni des moutons / Roule en tumulte vers la crêche. / Les lapins tambours, brefs et rêches, / Couvrent leurs aigres mirlitons…» Die weihnächtliche Szenerie, die hier beschrieben wird, ist äusserst bizarr. Da «rollen» blecherne Spielzeugschafe zur Krippe hin und blöken einander am Ende des Liedes frohe Weihnachten zu, während eine Jungfrau mit weit geöffneten Augen aus Emaille entsetzt mitan­ sehen muss, wie sich der Spielzeughund Beelzebub daran macht, das aus farbi­ gem Zucker gemachte Jesuskind aufzufressen. Die Engel, die an Drähten auf­ ge­­­hängt sind, scheinen dabei so starr zu sein, dass sie das Unglück wohl nie werden verhindern können... Ravel illustriert die Kinetik seines musikalischen Gebildes, das Drehen und Kreisen der Spielzeugminia­turen, durch Ton- und Melodierepetitio­nen, während klirrende Sekundintervalle das Klick-Klack des Mechanismus darstellen. Und auch in diesem frühen Lied ist enthalten, was auf so viele Stücke Ravels zutrifft: Figuren wirken einerseits lebendig und animiert, sind aber andererseits seltsam eingefroren in ihrer Bewegung und Emotion. Ravel hat sich in seinen Werken auffällig oft mit der Welt der Kindheit und der Kinder auseinandergesetzt. Mit dieser Vorliebe war er aber durchaus nicht der Einzige in der Musik des beginnenden 20. Jahrhunderts – Claude Debussys Children’s Corner ist dafür nur ein Beispiel unter vielen. Dass man die Kindheit überhaupt als eigenständige Lebensphase auffasste, war im Übrigen noch ein recht jun­ges Phänomen, das um die Jahr­hun­dert­wende durch die epochalen Erkenntnisse der Psychoanalyse zusehends an Faszination gewann. Begriffsfelder wie das «Fremde» und «Unbewusste» stiessen Tür und Tor zu Fantasiewelten und frühkindlichen Erfahrungen auf. Maler wie Pablo Picasso oder Paul Klee nutzten die Kindheit als Inspirationsquelle für neue Innenräume, ebenso wie Charles Baudelaire oder Marcel Proust, dessen Hauptwerk À la recherche du temps perdu sich an bewusst abgerufenen Kindheitserinnerungen entzündet.

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Wie schon Sigmund Freud feststell­te, ist der Blick eines Erwachsenen in die Kindheit aber nie das ursprünglich Erlebte. Er bemerkte hierzu einmal: «In den meisten bedeutsamen Kinderszenen sieht man in der Erinnerung die eigene Person als Kind, von dem man weiss, dass man selbst dieses Kind ist; man sieht dieses Kind aber, wie es ein Beobachter ausserhalb der Szene sehen würde.» Mit anderen Worten: den Weg zurück in die frühkindliche Erfahrung geht man immer als Erwachsener. In diesem Sinne ist auch Ravels «Kinder-Musik», so kindlich-rein sie mit ihren leeren Quarten, Quinten und Oktaven zuweilen scheinen mag, nie ausschliesslich der Kinderwelt zuzuordnen; Ravel hat stets musikalische Störfaktoren eingeflochten, die dem erwachsenen Erfahrungsschatz entspringen. Nicht selten liegt über Ravels «Kinder-Musik» ein Schleier der Melancholie, als ob darin die traurige Gewissheit zum Ausdruck käme, dass die vollständige Wiedergewinnung der Kindheit unmöglich ist. Solch einen melancholischen Ton schlägt Ravel in der Pavane de la Belle au bois dormant an, dem Eröffnungs­ stück von Ma mère l’Oye (1908/10). Die trauri­ge, sentimentale Farbe lässt hier umso mehr aufhorchen, als Ravel dieses Klavierwerk zu vier Händen explizit Kindern gewidmet hat; ja Ravel vereinfachte seinen Kompositionsstil sogar, damit die Stücke von Kindern gespielt werden konnten. Im Zentrum der einzel­ nen Stücke stehen verschiedene Märchenfiguren, die in eine unendlich weite Ferne gerückt zu sein scheinen. Wie in Noël des jouets verharren sie in einer einzigen Pose, als wäre man beim Umblättern des Märchenbuchs auf einer Seite eingeschlafen. In der 1925 vollendeten Oper L’Enfant et les sortilèges (Das Kind und der Zauberspuk) bricht die Erwachsenenwelt dann für einmal ganz konkret in die Welt des Kindes ein: eine Mutter, von der man allerdings nur den Unterkörper sieht, tadelt zu Beginn der Oper ihr Kind; es hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Das Kind, eingesperrt in seinem Zimmer, rebelliert und zerstört in seiner Wut das gesamte Intérieur. Die Oper wird aus der subjektiven Perspek­ tive des Kindes erzählt. Gleich einer Trickfilmanimation avant la lettre wachsen die zerstörten Gegenstände nun ins Unermessliche, fangen an zu sprechen und erheben sich ge­gen das Kind: eine hysterische Pendeluhr, eine zerbrochene Tee­

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tasse, feierlich schreitende Tapetenfiguren oder eine unerreichbare Prinzessin. Anders als in Noël des jouets, wo Gut und Böse noch klar voneinander getrennt sind, empfindet das Kind nun beide Aspekte in sich – es ist sowohl «méchant» als auch «bon et sage». Das Kind, das von einer Mezzo­sopranistin dargestellt wird, erlebt im Laufe der Geschichte die grossen Gefühle, die auch einem er­ wach­senen Menschen tief eingeschrieben sind: Einsamkeit, Angst, Trauer, der Wunsch nach Zärtlichkeit, Empathie oder Geborgenheit. Das Werk ist eng mit Ravels eigener Biografie verknüpft. Hinter dem 50 -­jährigen Komponisten lagen zum Zeitpunkt der Fertigstellung seiner Oper einige schmerzhafte Erfahrungen. Neben schwer zu bewältigenden Kriegser­ lebnissen, hatte ihm besonders der Tod seiner Mutter zu schaffen gemacht, zu der er ein enges Verhältnis hatte. Mit Sicherheit erzählt der explizite Ruf nach «Maman» am Ende von L’Enfant von diesem qualvollen Verlust. Präsent war Ravels Mutter aber nach wie vor in seinem Leben: Im Komponierzimmer hing links neben dem Erard-­Flügel ein grosses Porträt von ihr. An der Wand daneben und deutlich unterhalb des Bildes seiner Mutter dann ein Porträt von ihm selbst, als 12-jähriger Junge. Während des Komponierens hatte Ravel seine Kindheit also stets im Blick, und sicher bildete die Nabelschnur zur Kindheit für den Künstler eine zuverlässige schöpferische Quelle. Wie ein Kind, das die Welt mit grenzen­ loser Fantasie und Spiellust erkundet, ergründete vielleicht auch Ravel, der in seinem Garten stunden­lang Diabolo spielen konnte, sein musika­lisches Uni­ versum. Dass zu diesem kreati­vem Prozess genauso harte Arbeit, selbst­kriti­sches Verwerfen und Aussortieren von Ideen gehörte, muss hier kein Wider­spruch sein – nur sieht man seinen Kunstwerken diese Mühen nicht mehr an; Ravel gefiel sich in der Rolle des Zauberers, der sich nicht gerne in die Karten schauen liess. So passt denn auch ins Bild, dass er seine Handbücher über Zaubertricks im «Belvédère» in einer winzig kleinen, hinter einer Tapetentür verborgenen Bibliothek versteckt hielt.

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Sie haben sich lieb... Sie haben mich vergessen... Ich bin allein... Das Kind, L‘Enfant et les sortilèges


Dara Savinova Spielzeit 2016 / 17, Theater Winterthur



Bei «L’Heure espagnole» verlangte die theatrale Handlung, dass die Musik ein Kommentar zu jedem Wort, jeder Geste ist, in «L’Enfant» dagegen erfordert sie die Melodie, nichts als die Melodie. Maurice Ravel, in «Le Gaulois», 20. März 1925



L’HEURE ESPAGNOLE MAURICE RAVEL (1875-1937) Musikalische Komödie in einem Akt, Text von Franc-Nohain Uraufführung: 19. Mai 1911, Opéra-Comique, Paris

Personen

Conception, Ehefrau von Torquemada Gonzalve, Dichter

Mezzosopran

Tenor

Torquemada, Uhrmacher  Sopran Ramiro, Maultiertreiber  Bariton Don Inigo Gomez, Bankier  Bass


La boutique d’un horloger espagnol. On entre à gauche; à droite, la porte qui mène à l’appartement de l’horloger. Large fenêtre au fond donnant sur la rue; à droite et à gauche de la fenêtre, une grande horloge catalane, c’est-à-dire normande. Çà et là, des automates: un oiseau des îles, un petit coq, des marionnettes à musique.

Laden eines spanischen Uhrmachers. Links die Ladentür; rechts die Tür zur Wohnung des Uhrmachers. Im Hintergrund ein breites Fenster zur Strasse; rechts und links vom Fenster je eine grosse katalanische beziehungsweise normannische Bodenstanduhr. Da und dort Automaten; ein exotischer Vogel, ein kleiner Hahn, Musikantenpuppen.

INTRODUCTION

INTRODUKTION

Au lever du rideau, Torquemada, le dos tourné au public, est assis devant son établi. On entend les balanciers qui s’agitent, et toutes les pendules de la boutique sonnent des heures différentes.

Torquemada sitzt mit dem Rücken zum Publikum an seiner Werkbank. Man hört die sich bewegenden Pendel, und alle Pendeluhren des Ladens schlagen verschiedene Stunden.

SCÈNE 1

SZENE I

Torquemada, Ramiro

Torquemada, Ramiro

RAMIRO entrant

RAMIRO kommt herein

Señor Torquemada, horloger de Tolède?

Señor Torquemada, Uhrmacher von Toledo?

TORQUEMADA il se retourne, portant, enfoncée dans l’œil, la petite loupe professionnelle

TORQUEMADA Er dreht sich um, die kleine Uhrmacherlupe ins Auge geklemmt.

Torquemada, c’est moi, Monsieur.

Ja, Monsieur, Torquemada, das bin ich …

RAMIRO

RAMIRO

Ma montre à chaque instant s’arrête...

Meine Uhr, sie bleibt jeden Augenblick stehen …

TORQUEMADA

TORQUEMADA

Voilà qui va des mieux, voilà qui va des mieux!

Nichts besser als das, nichts besser als das.

RAMIRO

RAMIRO

Or, je suis, à votre service, Muletier du gouvernement: Connaître l’heure exactement, En conséquence, est mon office, Car chaque jour, à heure fixe, Mes mulets doivent, sur leur dos, Emporter les colis postaux.

Eben, ich bin – stets zu Diensten – amtlicher Maultiertreiber: Die genaue Zeit kennen muss ich von Berufs wegen, denn jeden Tag zu gegebener Stunde müssen meine Mulis auf ihrem Rücken die Postpakete austragen.

TORQUEMADA

TORQUEMADA

Voyons la montre?

Kann ich die Uhr einmal sehen?

il la prend et l’examine

Er nimmt sie, betrachtet sie.

Elle est de style!

Eine Arbeit aus früherer Zeit!

RAMIRO

RAMIRO

Oui, c’est un bijou de famille: Mon oncle, le toréador, Par elle fut sauvé des cornes de la mort.

Ja, Familienschmuck: Mein Onkel, der Stierkämpfer, wurde durch sie vor den todbringenden Hörnern gerettet.


L’ENFANT ET LES SORTILÈGES MAURICE RAVEL (1875-1937) Fantaisie lyrique in zwei Teilen, Text von Colette Uraufführung: 21. März 1925, Opéra de Monte-Carlo

Personen

Das Kind

Mezzosopran

Die Mutter Der Fauteuil Bérgère

Alt

Bariton

Mezzosopran

Die Uhr

Bariton

Die Teekanne

Tenor

Die Tasse Mezzosopran Das Feuer /  Die Prinzessin / Die Nachtigall Ein Schäfer

Sopran

Sopran

Eine Schäferin Die Katze

Sopran

Mezzosopran

Der Kater Bariton Das alte Männlein /  Der Laubfrosch Die Fledermaus Das Eichhörnchen Der Baum

Tenor Sopran

Mezzosopran

Bass

Chor

Schäferinnen und Schäfer, Zahlen, Tiere, Bäume Zimmer und Garten eines Landhauses in der Normandie


PREMIÈRE PARTIE

Une pièce à la campagne (plafond très bas), donnant sur un jardin. Une maison normande, ancienne, ou mieux: démodée; de grands fauteuils, houssés; une haute horloge en bois à cadran fleuri. Une tenture à petits personnages, bergerie. Une cage ronde à écureuil, pendue près de la fenêtre. Grande cheminée à hotte, un reste de feu paisible, une bouilloire qui ronronne. Le Chat aussi. C’est l’après-midi. L’Enfant, six ou sept ans, est assis devant un devoir commencé. Il est en pleine crise de paresse, il mord son porte-plume, se gratte la tête et chantonne à demi-voix.

ERSTER TEIL

Ein Zimmer auf dem Land (mit sehr niedriger Decke). Es geht auf den Garten. Altes oder besser altmodisches Haus in der Normandie; grosse Fauteuils mit Houssen; eine Bodenstanduhr aus Holz mit blumigem Zifferblatt. Tapete mit kleinen Figuren, Schäferszene. Beim Fenster hängt ein trommelförmiger Eichhörnchenkäfig. Grosser Kamin mit Rauchfang, letzte Feuerresten; der Wasserkessel schnurrt. Der Kater auch. Es ist Nachmittag. Das Kind, sechs oder sieben Jahre alt, sitzt vor einer angefangenen Hausaufgabe. Arbeitsunlust hat es befallen, es kaut an seinem Federhalter, kratzt sich am Kopf und trällert leise vor sich hin.

L’ENFANT

DAS KIND

J’ai pas envie de faire ma page. J’ai envie d’aller me promener. J’ai envie de manger tous les gâteaux. J’ai envie de tirer la queue du Chat et de couper celle de l’Écureuil! J’ai envie de gronder tout le monde! J’ai envie de mettre Maman en pénitence...

Hab keine Lust auf Schreibübung, hab Lust auf frische Luft. Hab Lust, alle Kuchen zu essen. Hab Lust, den Kater am Schwanz zu ziehen und den vom Eichhörnchen abzuzwacken. Hab Lust, alle zu beschimpfen! Hab Lust, Mama in die Ecke zu stellen …

la porte s’ouvre. Entre Maman, ou plutôt ce qu’en laissent voir le plafond très bas et l’échelle de tout le décor où tous les objets assument des dimensions exagérées, pour rendre frappante la petitesse de l’Enfant: c’est-à-dire une jupe, le bas d’un tablier de soie, la chaîne d’acier où pend une paire de ciseaux, et une main. Cette main se lève, interroge de l’index

Die Tür geht auf. Mama tritt herein, Mama oder eher was die sehr niedrige Decke und der Massstab des ganzen Bühnenbildes von ihr sichtbar werden lassen, denn alle Gegenstände sind übertrieben gross, damit umso offen­sichtlicher wird, wie klein das Kind ist: Man sieht also nur einen Rock, den unteren Rand einer Seidenschürze, das eiserne Kettchen, an dem eine Schere hängt, und eine Hand. Diese Hand hebt sich mit fragendem Zeigefinger.

MAMAN

MAMA

Bébé a été sage? Il a fini sa page?

War mein Kleiner auch brav? Hat er seine Schreibübung gemacht?

l’Enfant ne répond rien et se laisse glisser, boudeur, en bas de sa chaise. La robe s’avance sur la scène, une main tendue au-dessus du cahier. L’autre main, plus haute, soutient un plateau portant la théière et la tasse du goûter

Das Kind gibt keine Antwort und lässt sich schmollend von seinem Stuhl heruntergleiten. Das Kleid kommt näher, eine Hand nähert sich dem Heft. Die andere Hand, weiter oben, trägt das Tablett mit Teekanne und Tasse für den Nachmittagsimbiss.

Oh! Tu n’as rien fait! Tu as éclaboussé d’encre le tapis! Regrettes-tu ta paresse?

Oh! Du hast nichts gemacht! Du hast den Teppich mit Tinte bekleckert! Bereust Du deine Faulheit?

silence de l’enfant

Schweigen seitens des Kinds.

Promettez-moi, Bébé, de travailler?

Verspricht mir mein Kleiner zu arbeiten?

silence

Schweigen

Voulez-vous me demander pardon?

Will er sich wohl bei mir entschuldigen?


Programmheft L’HEURE ESPAGNOLE / L’ENFANT ET LES SORTILÈGES Kurzopern von Maurice Ravel Premiere am 4. Mai 2017, Spielzeit 2016/17, Theater Winterthur Wiederaufnahme am 19. Januar 2018, Spielzeit 2017/18, Opernhaus Zürich

Herausgeber

Intendant

Opernhaus Zürich Andreas Homoki

Zusammenstellung, Redaktion Kathrin Brunner Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing

Schriftkonzept und Logo

Druck

Nachweise: Die Inhaltsangabe, das Gespräch mit Jan Eßinger und den Artikel «Im Reich der Kindheit» schrieb Kathrin Brunner für dieses Heft. – Rüdiger Safranski, Zeit. Was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen. Carl Hanser Verlag GmBH & Co. KG, München 2015. Mit freundicher Genehmigung des Verlags. Monika Rittershaus fotografierte die Klavierhaupt­ probe am 25. April 2017.

Telefon 044 268 64 14, inserate@opernhaus.ch Studio Geissbühler Stäubli AG Zürich

Wir bitten Sie, während der Vorstellung elektrische Ge­räte mit akus­tischen Signalen (Mobiltelefone, Uhren usw.) ausgeschaltet zu lassen. Zu spät kommende Besucher werden nur bei Unterbrechungen eingelassen. Das Fotografieren sowie Film- und Tonaufnahmen während der Vorstellung sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.


Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden und Obwalden. PARTNER

ab PRODUKTIONSSPONSOREN Evelyn und Herbert Axelrod Walter Haefner Stiftung Freunde der Oper Zürich Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG PROJEKTSPONSOREN AMAG Automobil- und Motoren AG Baugarten Stiftung Familie Christa und Rudi Bindella René und Susanne Braginsky-Stiftung Clariant Foundation Freunde des Balletts Zürich Ernst Göhner Stiftung Max Kohler Stiftung

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r a w m u

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Man fühlt sich einfach wohl in der Opernfamilie. Direkt nach der Arbeit in die Opernprobe, den ganzen Tag habe ich mich darauf gefreut! Reto Luginbühl, seit 5 Jahren dabei, zur Bühnenprobe von Macbeth

Welch ein Privileg! Fabienne Bläsli, seit 2 Jahren dabei

Claire Rochat, seit 12 Jahren dabei

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r a d m u

Dank dem exklusiven Vorverkauf habe ich mir Karten für meine Opernhighlights der kommenden Saison gesichert.

Einmalig, eine Berühmtheit wie Brigitte Fassbaender an diesem Workshop erleben zu dürfen. Silvana und Roberto Nardi, seit 8 Jahren dabei, zum Workshop-Besuch des Internationalen Opernstudios

Peter Bauer, seit 17 Jahren dabei www.opernfreunde.ch


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