Nijinski

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NIJINSKI

MARCO GOECKE


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NIJINSKI BALLETT VON MARCO GOECKE Musik von Frédéric Chopin und Claude Debussy Schweizerische Erstaufführung / Zürcher Neufassung

Marco Goecke Pavel Baleff Bühnenbild und Kostüme Michaela Springer Lichtgestaltung Udo Haberland Dramaturgie Esther Dreesen-Schaback

Choreografie

Musikalische Leitung

Partner Ballett Zürich

ab


Ich bin Gott. Nijinski ist Gott. Nijinski ist ein guter und kein böser Mensch. Die Menschen haben ihn bisher nicht verstanden und werden ihn auch nicht verstehen, wenn sie denken. Vaslav Nijinski, Tagebücher





HANDLUNG Erstes Bild Die Macht der Kunst Bedrohlich und doch verheissungsvoll scheint die Welt der Kunst zu beben. Ein Tänzer auf der Suche nach seinem künstlerischen Ich. Die Ahnung von etwas Neuem zeichnet sich am Horizont ab.

Zweites Bild Terpsichore Terpsichore, die göttliche Muse des Tanzes, erscheint und verschenkt ihre Inspiration.

Drittes Bild Diaghilew Diaghilew, der geniale Impresario und Kunstkenner, fühlt sich berufen, die russische Kunst bekanntzumachen. Terpsichore haucht auch ihm ihren göttlichen Funken ein. Doch die Ahnung von Ruhm weckt auch Diaghilews Gier.

Viertes Bild Nijinski Vaslav Nijinski wächst heran und wird Teil der Ballettwelt. Sein Talent ist unübersehbar. Er lebt mit seiner Mutter zusammen.

Fünftes Bild Matka Matka, seine polnische Mutter, umsorgt Nijinski und fördert sein Talent. Als er an der Kaiserlichen Ballett-Akademie in St. Petersburg aufgenommen wird, nehmen die beiden Abschied.

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Sechstes Bild Erwachen Nijinskis Kreativität bricht hervor. Rollen, die er in Zukunft tanzen wird und die seinen Namen unsterblich machen werden, blitzen auf. Sein sexuelles Begehren erwacht.

Siebtes Bild Les Ballets russes Unter Diaghilews Leitung formieren sich die Ballets russes. Zwischen Nijinski und Diaghilew entsteht eine Hassliebe. In einem erotischen Traum begegnet Nijinski seinem Freund Isajef. Der Traum endet im Tanz – und in der Kunstfigur des triebhaften Fauns.

Achtes Bild Ruhm Nijinski ist auf der Höhe seines Ruhms und verkörpert seine berühmtesten Partien: Petruschka, den Faun und den Geist der Rose. Er begegnet Romola, seiner zukünftigen Frau.

Neuntes Bild Das Wesen der Verdunklung Es kommt zum Bruch von Diaghilew und Nijinski. Das Wesen der Verdunklung senkt sich über Nijinskis Gemüt und treibt ihn in die Isolation. Wahnsinn gewinnt die Macht über seinen Geist. Immer wieder kommt es zu unkontrollierten Wutausbrüchen.

Zehntes Bild Kreise Das Zeichnen unzähliger Kreise lindert Nijinskis Verwirrung. Die hochkomplexen, aber auch wilden Zeichnungen sind alles, was von seinem kreativen Leben übrig ist.

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Ich habe IrrtĂźmer begangen, aber ich habe sie mit meinem Leben gutgemacht. Vaslav Nijinski, TagebĂźcher


NIJINSKI IN MIR Der deutsche Choreograf Marco Goecke im Gespräch über sein Ballett «Nijinski»

Marco, nach Deer Vision und Petruschka bist du mit deinem Ballett Nijinski erneut beim Ballett Zürich zu Gast. Welche Unterschiede in der Herangehens­weise gibt es bei diesen drei sehr unterschiedlichen Stoffen? In Nijinski bildet die hochspannende Biografie dieses Ausnahmetänzers und -cho­reo­grafen den Rahmen für dieses Projekt. Allerdings unterscheidet sich meine Art und Weise der Annäherung nicht so sehr von der Arbeits­praxis bei meinen anderen Stücken. Nach mittlerweile zwanzig Jahren des Cho­­reo­­ grafierens versuche ich noch immer, mich jedes Mal von allem Wissens­ballast zu befreien und so naiv wie möglich an ein Thema heranzugehen. Man muss sich diese Naivität und Unschuld bewahren, auch wenn man sich mit einer einschüchternden Persönlichkeit wie Nijinski befassen will. Wenn ich zu viel darüber weiss, macht mir das Angst. Ausgangspunkt jeglicher Auseinander­setzung bin erst einmal ich selbst. Selbst ein Stück über Nijinski be­ginnt zu­nächst bei mir, und das Ergebnis wird immer be­einflusst sein von dem, was ich fühle und was mich tagtäglich berührt. Um das gewählte Gegenüber zu begreifen, muss man auch sich selbst verstehen. Was verbindet dich mit Nijinski? Der Tanz! Das macht das Thema so spannend. Der Tanz ist unser tägliches Leben: Nijinski war Tänzer, ich bin Tänzer – da entsteht eine besondere Nähe. Für ein Tanzstück ist das eine nahezu perfekte Kombination. Wie Ni­jinski weiss ich genau, was es heisst zu tanzen, zu springen, zu fliegen, zu träumen... Die Themen seines Lebens sind mir nicht fremd: Erfolg, Miss­erfolg, Applaus und... der Wahnsinn auch nicht.

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Inwiefern gehst du in Nijinski über die pure Selbstreflexion hinaus? Bei diesem Stück muss ich mich in die Person Nijinskis hineinversetzen. Das muss ich zulassen und dafür alle Schranken in mir öffnen. Mit «Kopf­arbeit» hat das nur am Rande zu tun – aber das ist meine Arbeit nie. Ich muss nicht bis ins letzte Detail analysieren, wie zum Beispiel die Lebensumstände seiner Ehefrau Romola de Pulszky aussahen. Das wäre ein ganz kalter Pro­zess. Ich muss das vor allem innerlich spüren – sofort! In die Literatur über Nijinski, aber auch in seine eigenen Tage­buch­aufzeichnungen kann man sich tagelang versenken. Mir ging es bei der Lektüre so, dass ich manche Dinge gar nicht zu Ende lesen musste, weil ich sie längst kapiert hatte. Mir war von Anfang an klar, dass ich ein emotionales Tanzstück choreo­grafieren möchte, das seine Inspiration aus der Figur Nijinskis bezieht, aber über den engen Rahmen eines Biopics unbedingt hinausgehen muss. Es ging nicht darum, jemanden auferstehen zu lassen. Nur die Chronologie dieses Tänzerlebens zu erzählen, würde schnell langweilig werden. Deshalb gibt es bei mir auch keine Renaissance der Ballet russes mit Originalkostümen, sondern – wie im Fall von Le Spectre de la rose und Petruschka – nur gelegentliche Zitate.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder amEpisoden Vorstellungsabend im Foyer An welchen machst du Nijinskis Biografie fest? Es gibt die Zeit der Kindheit, den Ruhm als Tänzer und Choreograf und den Wegdes in die geistige Umnachtung und innere Zurückgezogenheit. Sehr Opernhauses erwerben nahe war mir Nijinskis Zeit an der Kaiserlichen Ballettschule in St. Petersburg. Das hat mich an meine eigene Ausbildungszeit in München und Den Haag erinnert. Ich hatte damals das Gefühl, dort ein wirkliches Zuhause zu haben. Die Schule ist nicht nur der Ort für alles, was mit dem Tänzerberuf zu tun hat, sondern auch der Ort, an dem man seine Persönlichkeit entdeckt und zu sich selbst findet. Wichtige Begegnungen und Weichenstellungen für das kommende Leben finden dort statt. Aber auch in Nijinskis Ängsten und sei­nem Gefühl des Verlorenseins entdecke ich Parallelen. In der Person Nijinskis kreuzen sich ungezählte Biografien. Auf seinem Weg sind ihm so viele Menschen begegnet. Wie trifft man da eine Auswahl, die für die Dauer von 80 Minuten trägt?

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Ein Tanzstück verlangt nach anderen Lösungen als ein Film oder ein Aus­stattungsballett. Deshalb habe ich mich neben Nijinski auf vier Persönlichkeiten beschränkt. Ausser der Mutter, dem Freund Isajef und der Ehefrau Romola ist es Sergej Dia­ghilew, der nicht nur Impresario der Ballets russes, sondern auch Nijinskis grösster Förderer und Liebhaber war. Gerade zu dieser Beziehung ist so viel Unterschied­liches gesagt worden, dass sie immer noch sehr viel Raum für Interpretation bietet. Ansonsten gehe ich immer wieder auf die Leidenschaft und auf den Wahnsinn des Tanzens zurück. Und auf meinen eigenen Wahnsinn im Choreografieren. Welche choreografische Sprache hast du für Nijinski gefunden? Verwendest du Schritte oder ikonische Posen aus Nijinskis Balletten? Interessanterweise gibt es von Nijinski praktisch keine bewegten Bilder. Die Vor­stel­lungen, die wir von ihm als Tänzer haben, resultieren aus Schilderungen von Augenzeugen und den Fotografien, die ihn in vielen seiner berühmten Rollen zeigen. Als Choreograf komme ich also gar nicht erst in Versuchung, etwas zu kopieren oder zu imitieren. Ich muss mich ganz auf mich selbst verlassen, auch wenn ich gelegentlich aus seinen Choreografien Petruschka oder dem Nachmittag eines Fauns zitiere. Bei der Arbeit an dem Stück habe ich viel darüber nachgedacht, wie langsam sich der Tanz entwickelt. Nijinski hat als Choreograf immer nach neuen Ausdrucksmöglich­ keiten gesucht. Da ist man 100 Jahre später in der Pflicht. Wie in all deinen Choreografien liegt auch in Nijinski der Fokus auf den Armen, Köpfen und Oberkörpern der Tänzerinnen und Tänzer. Darüber hinaus gibt es auch immer wieder Einwürfe von Sprache, und der Tänzeratem ist oft unüberhörbar. Wie setzt du diese Elemente ein? Im klassischen Ballett sind das Atmen und auch das Schwitzen verpönt, beides galt als nicht tolerierbarer Hinweis auf Sterblichkeit und Erschöpfung. Bei mir ist das Atmen auf jeden Fall erlaubt. Ich finde es wunderschön, wenn ich Atem höre. Und manchmal muss ich Wörter benutzen. Wörter und keine ganzen Sätze, das würde sonst zerbrechen. Mit diesen Wörtern kann ich ein Publikum leiten. Dabei kann ein Wort ebenso inspirierend sein wie ein Schritt.

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Auch heute noch stehen wir fassungslos vor den ungleichen Phasen dieses Tänzerlebens, in dem die Jahre des Werdens und ein relativ kurzer Zeitraum des künstlerischen Höhenflugs den schier endlos erscheinenden dreissig Jahren des Dahindämmerns in Therapien und Nervenheilan­stal­ten gegenüber­stehen. Welche Rolle spielt der Wahnsinn in deinem Stück? Das ist eine Gratwanderung zwischen Plakativität auf der einen und Echtheit auf der anderen Seite. Hier muss man eine gute Mischung finden. Wenn ein Bild einem Klischee zu entsprechen scheint, muss ich es weiter formen und es so reduzieren oder vergrössern, bis es einen berührt. Das ist nicht einfach. Theatralisch und trotzdem reduziert. Reduziert und plötzlich. So plötzlich wie vielleicht dreissig Jahre im Dämmer.

Das komplette Programmbuch Wie ändert sich das choreografische Material für den Nijinski im Wahnsinn? können Sie auf Da ist nicht mehr viel Tanz. Wenn es einem so schlecht geht, dann tanzt man auch nicht mehr. Immer wieder gibt es diese Wutausbrüche Nijinskis, die www.opernhaus.ch/shop er immer weniger kontrollieren konnte. Für den Weg in den Wahnsinn haben wir eine Figur erfunden, die diesen Aspekt verkörpert. Wir nennen sie das oder am Vorstellungsabend imistFoyer Wesen der Verdun­ klung. Es ist eine Art schwarzes Wesen. Gleichzeitig es voller Licht, denn der Wahnsinn ist auch hell. Das Zeichnen hat Nijinski durch diese Jahre getragen, da­r um habe ich es miteingeflochten. Man kann dem des Opernhauses erwerben Publikum allerdings kein Stück unter der Lupe zeigen, deshalb hat das Zeichnen dieser Kreise, mit denen sich Nijinski seine eigene Ordnung schafft, etwas Grosses und Rohes, fast wie Bild­hauerei. Welche Qualitäten sollte dein Nijinski-Darsteller mitbringen? Den Ausdruck für die sehr unterschiedlichen Phasen in Nijinskis Biografie muss er in sich selbst finden: das Kindliche, das Erwachsenwerden, der Erfolg, das Ver­dämmern. Er muss, glaube ich, eitel sein in grosser Verzweiflung. 1919, bei seinem letzten Auftritt in St. Moritz, wollte Nijinski «die Qualen des schöpferischen Aktes» zeigen. Gehören derartige Qualen auch zu deinem Erfahrungsschatz?

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Sie sind ein ständiger und wahrscheinlich auch notwendiger Begleiter. Oft fürchte ich, dass ich überhaupt keine Ideen habe. Dabei ist das noch nie passiert. Nach zwanzig Jahren, könnte man meinen, bekommt man da irgendwann mal eine Sicher­heit. Aber das ist nicht so. Es ist heute fast noch schwerer geworden als am Anfang meiner Choreografentätigkeit. Musikalisch basiert dein Nijinski-Ballett auf den Klavierkonzerten Frédéric Chopins und Claude Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune. Wie kam es zu dieser Auswahl? Manchmal steht man sich bei der Suche nach der passenden Musik für ein Stück selber im Weg. Ich erinnere mich gut, wie lange ich vergeblich nach der passenden Musik für Nijinski gesucht habe. Eines Tages lagen die ChopinKonzerte plötzlich einfach da und ergaben genau die Länge, die ich mir für das Stück vorgestellt hatte. Und nicht nur das: Sie transportierten alle Höhen, alle Schwankungen, den gesamten Emotionsraum, so als wären sie eigens für das Stück komponiert wor­den. Hinzu kommt, dass Chopins Musik viele meiner Bewegungen, die auf Teile des Publikums durchaus auch verstörend wirken, versöhnt. In ihrer Melan­cholie und Traurigkeit vermag die Musik aber auch im aggressiven Gestus aufzutrumpfen. Die Partie des Fauns aus Nijinskis erstem eigenen Ballett L’Après-midi d’un faune zur gleichnamigen Kompo­ sition von Claude Debussy habe ich als Sinnbild für das sexuelle Erwachen gewählt. Ich freue mich sehr darauf, dass Chopin und Debussy in Zürich live musiziert werden. Das hatten wir in Stuttgart nicht. Seit seiner Uraufführung im Jahr 2016 ist dieses Stück mit Gauthier Dance und anhaltendem Erfolg um die Welt getourt. Wie wird sich die Zürcher Fassung von der Stuttgarter Version unterscheiden? Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht so genau sagen. Mit Sicherheit wird es mit der live gespielten Musik ein direkterer und möglicherweise inten­siverer Eindruck. Auch die Besetzung wird etwas grösser sein als die von Gauthier Dance. Es ist gar nicht so einfach, ein Stück einer anderen Compagnie anzuvertrauen. Das Wichtigste ist, es dann so zu behandeln, als wäre es für genau diese Tänze­rinnen und Tänzer, also für das Ballett Zürich,

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kreiert worden. Das heisst, ich muss auch vor Ort noch einmal daran rackern, damit das Stück wieder neu entsteht und nicht einfach nur «übernommen» wird. Das Publikum wird also kein Abbild der Produktion aus Stuttgart sehen? Nein. Obwohl das Stück existiert, muss es für alle Beteiligten eine Premiere sein. Im Grunde ist es das Resultat eines «work in progress». Das Stück muss in kreativer Atmosphäre buchstäblich neu entstehen. … zumal du fast drei Jahre später auch jemand anders bist, durch den andere Erfahrungen und neue Kämpfe hindurchgegangen sind. Es sind auch die inneren Kämpfe, das Ganze wiederzusehen und es zu mögen. Das ist nicht immer so einfach. Man mag nicht alles, was man in der Ver­ gangenheit gemacht hat.

Das komplette Programmbuch können Sie auf Marco, unser Gespräch findet in Paris statt, wo du gerade ein neues Stück www.opernhaus.ch/shop für das Ballett der Pariser Oper kreierst. Spürst du hier, wo Nijinski so grosse Triumphe gefeiert hat, etwas von diesem «Spectre de Nijinski»? oder imals Foyer Nocham mehr als Vorstellungsabend hier in Paris habe ich das in Monte-Carlo empfunden, Gauthier Dance dort mit Nijinski gastierte. Im kleinen Monaco ist das Erbe der des Ballet russes noch heute besonders stark zu spüren. Aber auch hier in Opernhauses erwerben Paris kann ich als un­verbesserlicher Romantiker die Augen schliessen und mir vorstellen, wie das damals alles war. Und manchmal kommt einem die Gegenwart zu Hilfe. Als ich mir jetzt bei Guerlain, einem der ältesten Parfumhäuser der Welt, ein paar Parfums angeschaut habe, bat mich die Verkäuferin in die sogenannte Salle privée. Dort zeigte sie mir einen mit 18-karätigem Gold überzogenen Flacon in Form einer Fliege. Er enthielt einen Duft, den Guerlain eigens für Sergej Diaghilew entworfen hatte und den es – zum stattlichen Preis von 17’000 Euro – heute nur in dieser Abfüllung gibt. Es war ein unglaublich betörender Duft. Wenn ich mir vorstelle, dass Nijinski diesen Duft an Diaghilew wahrgenommen hat, ist die Ballettgeschichte plötzlich zum Greifen nahe. Das funktioniert nur in Paris!

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«Wenn ein Tänzer mit dem Wissen seiner Vergangenheit in den Saal kommt, was er erreicht hat, ist er tot. Er muss ein Kind bleiben.», hast du einmal gesagt. Warum ist dir diese kindliche Unschuld so wichtig? Da sind wir fast wieder am Anfang unseres Gesprächs, weil ich diese Forderung natürlich auch an mich selbst stelle. Sicher gibt es das Leben in der Öffentlichkeit mit allem, was da an einen herandrängt, und in dem man mit seiner Arbeit von den Menschen wahrgenommen wird. Wenn ich dann aber hier im Theater bin und gleich anfange zu proben, bin ich zwar auf eine Art erwachsen, aber es bleibt doch immer ein völliger Sandkasten, abseits von jeder Art von Glamour und Erfolg. Ich lebe dann nur in diesem Moment, wenn ich etwas mache. Das bleibt immer etwas Kindliches, Kleines, Beschei­ denes. Dabei ist es trotzdem vehement. Das ist das eigentliche Salz im Leben. Was wir hier tun dürfen, ist ein unschätzbares Geschenk. Deshalb müssen wir so kindlich und unschuldig bleiben wie möglich. Routine ist der Tod. Ich spüre sofort, wenn jemand keine Unschuld mitbringt. Und keinen Humor. Über das, was wir tun, sollten wir immer auch lachen können. Sonst macht es keinen Spass. Auch im Lachen können die grossen, ernsten Mo­men­te entstehen, wo man denkt: Was ist jetzt los? Warum habe ich das gemacht? Warum berührt uns das? Warum berührt es die anderen? Das Wunderbare ist, dass man es nicht weiss und nicht planen kann.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Das Gespräch führte Michael Küster

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Einmal war ich in den Bergen und stiess auf einen Weg, der auf einen Berg hinaufführte. Ich folgte ihm ein Stück und machte halt. Ich wollte auf dem Berg reden, denn ich fühlte das Verlangen danach. Ich habe nicht geredet, denn ich dachte, alle würden sagen, dieser Mensch ist geistesgestört. Ich war nicht geistesgestört, denn ich fühlte. Ich fühlte keinen Schmerz, sondern Menschenliebe. Ich wollte vom Berg ins Städtchen St. Moritz hinunterschreien. Ich habe nicht geschrien, denn ich fühlte, dass ich weitergehen musste. Ich ging weiter und sah einen Baum. Der Baum sagte mir, das sei hier kein Ort zum Reden, denn die Leute verstünden nichts von Gefühl. Ich setzte meinen Weg fort. Es tat mir leid, mich von dem Baum zu trennen, denn er hatte mich gefühlt. Ich ging also. Ich stieg bis zweitausend Meter auf. Ich stand lange. Ich spürte eine Stimme und rief auf französisch: «Parole!» Ich wollte sprechen, aber meine Stimme war so stark, dass ich nicht sprechen konnte und losschrie: «Ich liebe alle und ich will das Glück! Ich liebe alle! Ich will alle!» Vaslav Nijinski, Tagebücher




DER LÖWE DES TANZES Auch einhundert Jahre nach seinem letzten Auftritt ist die Faszination des Ausnahmetänzers Vaslav Nijinski ungebrochen Dorion Weickmann

August 1929. Im luxuriösen Grand Hôtel des Bains am Lido di Venezia erliegt der Bewohner von Apartment Nº 518 den Folgen einer Blutvergiftung. Ein plötzlicher Tod. Immerhin hat Sergej Diaghilew bis kurz vor seinem Ableben noch üppige Mahlzeiten und das eine oder andere Glas Champagner genossen. Derweil sitzt sein berühmtester Protegé Vaslav Nijinski seit Monaten in einem Kreuzlinger Sanatorium fest. Es handelt sich um eine vergleichsweise noble Klinik namens Bellevue, der Ex-Tänzer kann den Aufenthalt dort eigentlich gar nicht mehr finanzieren. Aus und vorbei die gloriose Ära seiner Erfolge, passé sein Leben an der Seite von Sergej Diaghilew – samt kostspieligen Sommer­ frischen in der Serenissima. Während der kunstsinnige Impresario und Betreiber der Ballets russes ein hübsches Sümmchen im Tresor des Hôtel des Bains hinter­ lässt, sitzt der wahngeplagte Nijinski auf dem Trockenen. Seine Gattin Romola muss das Geld für Unterkunft, Behandlung und Verpflegung im Bellevue bei Gönnern in halb Europa zusammenbetteln. Was ihr nur gelingt, weil Nijinskis Auftritte noch unlängst die Menschen magnetisch angezogen haben, sein Tanz hypnotische Wirkung entfaltete. Jetzt treibt er, von Geisteskrankheit gefesselt, durch eine endlose Albtraumnacht. Diagnose: Schizophrenie. Vaslav Nijinskis Stern hat das Tanzfirmament 1909 wie eine Supernova er­­leuchtet. Ein paar Jahre nur, dann verglüht er, erlischt für immer. Aber das, was als Nachbild auf der Netzhaut aller Zeitzeugen stehen bleibt und in Zeitungszeilen, Gedichtverse, Gemälde und Skulpturen gegossen wird, macht seine Kunst unsterblich – und ihn selbst zum Mythos. Sein Liebhaber und Mentor Diaghilew steigt derweil im kollektiven Gedächtnis zum Fackelträger der Tanz­

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avantgarde empor. So bleibt das Paar, wiewohl seit 1913 getrennt, in den Annalen des Tanzes auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet. Vor diesem Hintergrund hat es schon beinahe schicksalhafte Bewandtnis, wenn Marco Goecke seinen Nijinski nun mit dem Ballett Zürich teilt, am Opernhaus, nur einen Steinwurf vom Bellevue-Platz entfernt. Nicht nur, dass der echte Nijinski im Kreuzlinger Bellevue einsass, in der Schweiz erlitt er auch den finalen Zusammenbruch. Im Januar 1919 tanzte Nijinski ein letztes Solo, vor Hotelgästen in St. Moritz. Ein Finale, das einem Untergang gleichkommt. Ein paar Schritte, Gebärden, dann fällt aus seinem Mund der Satz: «Das Pferdchen ist müde.» Ende der Vorstellung, für immer. Marco Goeckes fiebrige Choreografie scheint an diesem Schlusspunkt an­ zu­setzen. Scheint die Befindlichkeit einer geschundenen Seele wie eine Eruption in den Raum hinauszuschleudern. Tatsächlich geht es in dieser flamboyanten Arbeit um letzte Fragen, letzte Dinge: um Einsamkeit, Genialität, Liebe, Zorn, Leidenschaft, Verstrickung und den freien Fall in die Abgründe des eigenen Ich. Goecke blättert durch Nijinskis Biografie wie durch ein Geister-Album. Er ruft die Figur der Mutter auf, Diaghilew natürlich und Romola. Er zeichnet sie so real oder irreal wie die Bühnengeschöpfe, die Nijinski erschaffen und mit seiner Signatur versehen hat: Petruschka, den Faun, den Geist der Rose. Nicht zu vergessen das epochale Werk schlechthin, Le Sacre du printemps, archaischer Ritus und prophetische Vision, uraufgeführt 1913 im Vordämmer des Ersten Weltkriegs und an der Schwelle jener Geschehnisse, die den Lebensweg des Tänzers in verhängnisvolle Richtung lenken. Dieser Weg beginnt 1889 in Kiew, wo Vaslav Fomitsch Nijinski als mittle­ res von drei Kindern geboren wird. Mutter und Vater ziehen als Tänzer und Ballettmeister über verschiedene Schauplätze, vererben ihr Talent nicht nur dem zweitältesten Sohn, sondern auch dessen zwei Jahre jüngerer Schwester Bronislawa. 1897 zieht der Nachwuchs mit der Mutter nach Sankt Petersburg, wo Vaslav den Sprung an die Kaiserliche Ballett-Akademie schafft. Er fällt auf, von Anfang an: als extrem begabt, extrem ehrgeizig, extrem aufsässig – kurzum: rund­um eigensinnig. 1907 tritt er dem Ensemble des Mariinski bei, wo er un­ verzüglich solistische Partien tanzt. Fürst Pawel Lwow ist es, der Nijinski mit gleichgeschlechtlichem Begehren und den einschlägigen Kreisen der Metro­pole

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bekannt macht. Dort begegnet er Sergej Diaghilew, der russische Kunst gen Westen exportiert und gerade eine Opern- und Ballettsaison in Paris in Planung hat. Der ausserordentlich gebildete Maestro sprudelt vor Energie und Ideen, lebt offen homosexuell und ist sich schon seit seiner Jugend sicher: «Verdammt noch mal – ich bin keine gewöhnliche Person (!!!).» Seine «Qualitäten als Showman» (Nicolas Nabokov) sind bald genauso in aller Munde wie seine Begabung als «genialer Erfinder» (Gabriel Astruc), der Kunst und Künstlern den roten Teppich ausrollt und Allianzen schmiedet, um Gesamtkunstwerke aus Musik, Licht, Tanz, Bühne und Kostümen zu produzieren. Der Mann mit dem Menjoubart und der Jüngling mit den hohen Wangen­ knochen werden ein Paar. Kein Gespann auf Augenhöhe, gleichwohl zetteln sie gemeinsam eine Revolte auf der Tanzbühne an. Doch zunächst öffnet sich im Mai 1909 der Vorhang des Pariser Théâtre du Châtelet für Nijinskis Debüt: in Le Pavillon d’Armide, Les Sylphides (alias Chopiniana) und einem Divertissement. Der Novize wird hymnisch gefeiert und bald so fanatisch verehrt, dass die Ballerinen um ihre Bühnenvorherrschaft fürchten müssen. In den Jahren 1912 und 1913 gehen dann zwei skandal- und schlagzeilen­ trächtige Inszenierungen auf Nijinskis Konto, die das Ballett geradezu in die Moderne katapultieren: L’Après-Midi d’un Faune und Le Sacre du printemps. Als Choreograf wirft Nijinski den orthodoxen Akademismus über Bord und ersinnt für Faun und Frühlingsopfer wundersame Ikonografien: ein prähistorisch gezeichnetes Körperbeben hier, einen antik getönten Fries mit autoerotischer Färbung dort. Unversehens erzittert jedoch sein eigenes Leben. Kurz nach den Pariser Sacre-Turbulenzen überquert Nijinski den Atlantik, gemeinsam mit der Compagnie, der neuerdings auch eine gewisse Romola de Pulszky angehört. In Buenos Aires heiraten die beiden. Pure Provokation für Diaghilew. Es kommt zum Bruch – ein Abschied ohne Aussicht auf Wiederkehr, der Anfang vom Ende. Wahnvorstellungen schleichen sich ein, werden zu übermächtigen Gefährten, die den einstigen Startänzer zerstören. Nicht aber seinen Nimbus. Der sagenhaf­ te Klang seines Namens verstummt auch nicht nach seinem Tod im Jahr 1950. Warum aber ist dieser Mann, dem die Tanz-Muse Terpsichore nur eine Hand­voll glücklicher Jahre schenkte, bis heute ein derartiges Faszinosum? Wieso nimmt uns dieser tragische Held so widerstandslos für sich ein, wenn er bei

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Marco Goecke wie ein Verrückter zappelt und zuckt, liebt und leidet, um zuletzt nur noch Kreise zu kritzeln, manisch und meditativ, gestört und in sich selbst gefangen? Über Nijinskis zeitlose Attraktion lassen sich unendlich viele Mutmassungen anstellen. Sicher ist, dass sich in seinem Wesen das zwiespältige Kolorit der Jahrhundertwende widerspiegelt: Künstler und Neurastheniker, Klassiker und Formrebell, homophil und heterosexuell, leistungsfähig und labil, Perfektionist und Psychiatriepatient – Nijinski ist ein Nietzsche des Tanzes, ein Gott, der in die Hölle stürzt. Leicht, sich auszumalen, was geschehen wäre, hätte er hundert Jahre später das Licht der Welt erblickt: Der ganze Kunstzirkus läge diesem «monstre sacré» zu Füssen. Freilich vollzöge sich auch sein Verfall in aller Öffent­lichkeit, von parasitischen Paparazzi ausgebeutet, von den Organen der Sensations-Presse verdaut – bis nichts mehr vom Mythos übrig bliebe. So gesehen verdankt sich Nijinskis Strahlkraft nicht zuletzt der Tatsache, dass von ihm selbst nichts übrig blieb. Kein Film, keine Tonspur, kein In-VivoZeugnis, das seine Person und seinen Tanz bis in alle Ewigkeit fixiert und ein­ balsamiert hätte. Dieses Bühnentier existiert für die Nachgeborenen nur in der Wahrnehmung anderer, in Artikeln, Erinnerungen, Aufzeichnungen, Plastiken, Skizzen und Fotos, die Freunde und Wegbegleiter von ihm angefertigt haben. Dort wird es konserviert, wie ein in Bernstein eingeschlossenes Insekt, das je nach Lichteinfall andersfarbig schillert und so auch die Phantasie der Nachwelt entzündet. Denn den einen, einzigen und unteilbaren Nijinski gibt es nicht. Das bemerken schon diejenigen seiner Zeitgenossen, die ihn auf Papier bannen oder seine Züge modellieren. Von John Singer Sargents androgyner Schwarzweissstudie zu Le Pavillon d’Armide über Léon Baksts jugendstilig geschwungene L’Après-midi d’un faune-Figurinen und Fotografien diverser Provenienz bis hin zu Una Troubridges magischem Kopfporträt oder Georg Kolbes Bronzestatue zeigen diese Abbilder die vielen Gesichter, die Nijinski aus sich herausholt. Jedes davon beglaubigt den Schöpfer, der sich seinen Sujets vollkommen anver­ wandelt – und nie sein Geheimnis verrät. Alles Theaterhafte wird getilgt. Nichts ist Ostentation, Gehabe, Gemache. Stattdessen leuchtet allein die Empfindung, und das Spiel mit der eigenen Emotion.

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Die Wucht des Ausdrucks ist das eine, die virtuose Besessenheit das andere. Sie quillt Nijinski aus jeder Tanzpore, was niemand besser weiss als Diaghilew, der ihn antreibt, bewundert und lukrativ vermarktet: «Seine Kunst grenzt an ein Wunder! Ein wahrer Löwe des Tanzes! Er setzt mit zwei Sprüngen über die Bühnendiagonale.» So schwärmt der Patron 1908 dem Pariser Theaterdirektor Gabriel Astruc vor. Mit Erfolg, man wird handelseinig. Was es genau mit Nijin­ skis Genius auf sich hat – und zwar auch als Choreograf –, das seziert Hugo von Hofmannsthal vier Jahre später im Anschluss an eine Besichtigung des Faun. Der Dichter bestaunt ein «Äusserstes an Konzentration» und erklärt: «Zu befremden ist das Los und das Vorrecht des Neuen, des Bedeutenden in der Kunst. Man ist gewohnt, in Nijinski den geniehaftesten und darum eben den fasslichsten aller Mimen zu geniessen. Hier aber handelt es sich nicht mehr um den Tänzer, den Mimen, den Interpreten, sondern um den Urheber eines Ganzen.» Hofmannsthal betrachtet Nijinski als ebenbürtig, als «Autor» eines Kunstwerks, dessen Textur sich durch die «Dichtigkeit des Gewebes» auszeichnet – «welche eben seine hohe Qualität ausmacht.» Wer weiss, welche publizistischen Schlachten zu diesem Zeitpunkt schon hinter Nijinski liegen, wie sich Pro-und-Contra-Fraktion nach der Pariser Uraufführung des Faun bekriegt haben, nur um im Sacre-Getümmel abermals aufeinander einzudreschen – der kann ermessen, was das Lob aus Hofmanns­ thals berufener Feder bedeutet. Der Schriftsteller zollt nicht nur Anerkennung, vielmehr errichtet er ein Podest, auf dem Nijinski zu stehen kommt und postum stehen bleibt: als prometheischer Künstler, der für seine Sache brennt, und verbrennt. Im Dezember 1928 besucht Harry Graf Kessler einmal mehr Paris, natürlich auch das aktuelle Programm der Ballets russes. Hinter der Bühne erwartet er Diaghilew, der «mit einem kleinen, hageren Jungen in einem zerschlissenen Mantel» auf ihn zukommt. Ein Fremder, eine abgerissene Gestalt… «Aber es ist doch Nijinski!», ruft Diaghilew, zu Kesslers tiefer Bestürzung: «Das Gesicht, das so oft wie ein Gott geleuchtet hatte, Tausenden ein unvergessliches Erlebnis, ist grau, schlaff, leer, nur noch flüchtig von einem verständnislosen Lächeln, einem kurzen Schein wie von einer verflackernden Flamme erleuchtet.» Gott ist tot, der stolze «Löwe des Tanzes» nur noch ein waidwundes, «krankes Tier».

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August 1929 – kein Jahr später. Diaghilew stirbt am Lido und wird auf Venedigs Toteninsel San Michele beerdigt. Ein kuppelbekröntes Marmorgrab wölbt sich über seinen sterblichen Überresten. 1971 findet Igor Strawinsky, der einst auf Diaghilews Geheiss den musikalischen Sacre-Sturm entfesselte, nur ein paar Schritte weiter zur letzten Ruhe. Da liegt Vaslav Nijinski schon lang auf dem Pariser Cimetière Montmartre begraben, in nicht minder prominenter Gesellschaft: Hector Berlioz und die «Kameliendame» alias Marie Duplessis zählen ebenso zu seinen Nachbarn wie Auguste Vestris, der «Dieu de la Danse» des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Ein trauriger Clown schaut uns an. Tränensäcke kräuseln sich in seinem Gesicht, tiefe Furchen schneiden wie Gletscherfalten durch Stirn und Wangen, schwer lastet der Kopf in der Hand. Ein Bild des Barmens. Nur Kappe und Rüschenkragen verraten, wer hier auf Nijinskis Grabplatte sitzt, von Oleg Abaziev in Bronze gegossen: «Petruschka», die Jahrmarktspuppe, der Vaslav Nijinski 1911 seinen Bühnenatem einhauchte. Keine Geringere als Sarah Bernhardt soll bei ihrem Anblick ausgerufen haben: «Ich habe Angst, Angst – ich sehe den grössten Schauspieler der Welt.» Ob Fakt, Fiktion oder nur hübsch erzählte Anekdote, was verschlägt’s? Es ist in jedem Fall die Wahrheit.

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Ich will Diaghilew zum Duell herausfordern, so dass es die ganze Welt miterlebt. Vaslav Nijinski, TagebĂźcher







Ich denke wenig und verstehe deshalb alles, was ich f端hle. Ich bin das Gef端hl im Fleisch und nicht der Verstand im Fleisch. Ich bin das Fleisch. Ich bin das Gef端hl. Ich bin ein Mensch und nicht Gott. Vaslav Nijinski, Tageb端cher







CHRONOLOGIE VASLAV NIJINSKI 1889

1912

12. März: Vaslav Nijinski wird als zweiter Sohn des polnischen Tänzerpaars Foma Nischinski (Tomasz Niezynski) und Eleo­nora geb. Bereda in Kiew geboren. Über das Geburtsjahr gibt es abweichende Angaben (auch 1888 und 1890).

Gastspiele in Berlin, Dresden, Wien und Budapest, wo Romola de Pulszky, Tochter der ungarischen Starschauspielerin Emilia Markus, Nijinskis Erfolg erlebt. 29. Mai: Premiere von Nijinskis erster eigener Choreografie Nachmittag eines Fauns (Musik: Claude Debussy) in Paris.

1898-1907

1913

Besuch der Kaiserlichen Ballettschule in St. Petersburg.

Gastspiele in Prag, Leipzig, Dresden, London, Monte-Carlo. In Paris Premiere von Jeux (Musik: Claude Debussy) und Le Sacre du printemps (Musik: Igor Strawinsky). Auf der Schiffsreise zu einer Südamerika-Tournee gelingt es Romola de Pulszky, Nijinskis Zuneigung zu gewinnen. Auf ihre Heirat in Buenos Aires folgt Diaghilews Bruch mit Nijinski.

1907-1911 Engagement am Petersburger Mariinski-Theater.

1908 Beginn der Beziehung mit Sergej Diaghilew.

1909

1914

Erstes Pariser Gastspiel mit der Truppe des Peters­burger Mariinski-Theaters im Rahmen der von Diaghilew initiierten russischen Sommer­saisons.

Arbeit mit einer eigenen Truppe im Londoner Palace Theatre. Die enorme Belastung führt zu einer Nervenkrise. Geburt der Tochter Kyra in Wien. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs will Nijinski nach Russland zurückkehren, wird jedoch in Budapest als Bürger eines feindlichen Landes bei den Schwieger­eltern unter Hausarrest gestellt. Arbeit an einem choreografischen Notationssystem.

1911 Nijinski verlässt Russland (es wird ein Ab­schied für immer), um zunächst in Monte-Carlo und später in Paris für Diaghilews Ballets russes zu arbeiten. 19. April: In Monte-Carlo tanzt er den Geist der Rose in Fokins neuem Ballett Le Spectre de la rose. 13. Juni: Im Théâtre du Châtelet ist er erstmals als Titelfigur in Fokins Petruschka zu sehen. Gastspiel in London.

1916 Durch die amerikanische Botschaft ermöglichte Ausreise von Wien über Bern und Lausanne nach

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New York, wo sich Nijinski Diaghilews Truppe anschliessen soll. Die Zusammenarbeit wird durch Konflikte belastet. Eigene Programme an der Metropolitan Opera. Premiere von Till Eulen­spie­gel, Nijinskis letzter Choreografie. Amerika-­Tournee. Nijinski gerät unter den Einfluss von Tolstoianern. Anzeichen einer Nervenkrankheit.

19. Januar: Nijinski schockt das Publikum bei einer Benefizveranstaltung im St. Moritzer Hotel «Suvretta», mit der seine Tänzerlaufbahn abrupt endet. Entschlossen, das Tanzen aufzugeben und als Bauer nach Russland zu gehen, zieht er sich mehr und mehr zurück, um die ihn bestürmenden Gedanken in drei Schreibheften zu Papier zu bringen. Seine Aufzeichnungen entstehen wahrscheinlich zwischen dem 19. Januar und dem 4. März. An diesem Tag fährt Romola mit den Schwiegereltern nach Zürich, wo Prof. Eugen Bleuler eine unheilbare Geisteskrankheit diagnostiziert. Einlieferung in die Nervenheilanstalt Burghölzli. Der dadurch ausgelöste Schock führt zu einem ersten katatonischen Anfall. Aufnahme in das Sanatorium von Dr. Binswanger in Kreuzlingen, wo er ein halbes Jahr bleibt.

1917 Überfahrt nach Spanien. Madrid. Diaghilew zwingt den dringend erholungsbedürftigen Nijinski zur Teilnahme an einer neuerlichen SüdamerikaTournee seiner Truppe. 30. Juni: Diaghilew sieht in Barcelona Nijinski zum letzten Mal tanzen. Definitives Ende ihrer Freundschaft. 26. September: Nijinski tanzt zum Abschluss der Südamerika-Tournee ein letztes Mal mit den Ballets russes. 26. Oktober: Die Benefizver­an­ staltung Nijinskis zugunsten des Roten Kreuzes in Montevideo wird zu seinem letzten grossen öffentlichen Auftritt. Dezember: Nijinski reist mit Romola nach St. Moritz, wo sie sich in der Villa Guardamunt einmieten.

1920 Romola zieht mit Nijinski nach Wien. Geburt der zweiten Tochter Tamara.

1923 Übersiedlung nach Paris, wo Diaghilew Nijinski besucht und zu einer Petruschka-Vorstellung einlädt. Sein tänzerisches Interesse ist nicht wiederzuerwecken.

1918 Mit neuen Plänen und Choreografien beschäftigt, erholt sich Nijinski in den Schweizer Bergen. Angebote von Impresarios, die ihn in St. Moritz aufsuchen, lehnt er ab, er will erst nach Kriegsende wieder tanzen. Liest Nietzsches Ecce Homo und Maeterlincks Vom Tode. Zahlreiche, hauptsächlich aus Kreisen bestehende Zeichnungen entstehen.

1924 Romola, die in all den Jahren zu ihrem Mann hält und unermüdlich nach Möglichkeiten sucht, ihm zu helfen, nimmt Verbindung zu Prof. Poetzl in Wien auf, der mit Experi­menten zur Heilung der Schizophrenie begonnen hat.

1919

1929

Deutliche Anzeichen von Geistesgestörtheit.

Nijinski ist wieder im Sanatorium von Kreuzlingen.

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1938 Beginn einer Insulinschockbehandlung. Nijinskis Zustand bessert sich so weit, dass Aussicht auf Heilung attestiert wird und er das Sanatorium verlassen kann, um mit Romola in einem Hotel im Berner Oberland zu wohnen. Freunde rufen eine Nijinski-Stiftung ins Leben.

1940 Die Symptome der Krankheit werden wieder manifest. Die geplante Ausreise in die USA scheitert. Romola geht mit Nijinski nach Ungarn, wo sie gezwungen sind, bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zu bleiben.

1945 Wien. Die sowjetischen Sieger geben Nijinski zu Ehren in der Wiener Oper eine hochkarätig besetzte Ballettvorstellung und versuchen ihn zur Rückkehr in seine Heimat zu bewegen. Aufenthalt auf Schloss Mittersill in Österreich (bis 1947).

1948 Ausreise nach England, Wohnsitz in Virginia Water bei Windsor.

1950 8. April: Nijinski stirbt in London an Nierenver­ sagen.

1953 Überführung nach Paris, Beisetzung auf dem Friedhof Montmartre.

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Ich bin ein Geisteskranker, der die Menschen liebt. Meine Geisteskrankheit ist Menschenliebe. Vaslav Nijinski, TagebĂźcher





CHOPIN UND DEBUSSY Zur Musik in Marco Goeckes Nijinski-Ballett

Im Mittelpunkt von Marco Goeckes Ballett Nijinski stehen die beiden Klavierkonzerte von Frédéric Chopin (1810-1849). Die zwei Jugendwerke stehen nicht in der Nachfolge Mozarts oder Beethovens, also in der Tradition des sinfonischen oder dialogisierenden Klavierkonzerts, sondern streben das wirkungsvolle Virtuosenkonzert an, wie es die damals hoch in der Gunst des Publikums stehenden Konzertpianisten pflegten. Der Solist allein stand bei diesen Konzerten im Mittelpunkt des Interesses. Die Aufgabe des Orchesters bestand darin, mittels einer ausgedehnten Orchester-Exposition die Spannung des Publikums auf den ersehnten Einsatz des Solisten zu erhöhen. Ansonsten hatte es lediglich den harmonischen Klanggrund zu liefern, über dem sich der Klavierpart entfal­tete. Diese Dürftigkeit des Orchesterparts hat Chopin dem Verdacht ausgesetzt, er habe das Handwerk des Orchestrierens nicht beherrscht, ja die Instrumenta­tion sei von fremder Hand gearbeitet. An Versuchen, den Orchester­ part durch Uminstrumentierungen oder gar durch Zufügung von Füllstimmen zu verbessern, hat es seit dem späten 19. Jahrhundert nicht gemangelt. Doch solche Bestrebungen verkennen den Charakter dieser Musik. Was der junge Chopin bezweckte, lässt die Widmung des e-Moll-Konzerts an den gefeiertsten Klaviervirtuosen seiner Zeit, Friedrich Kalkbrenner, erkennen. Obwohl das zuerst entstandene Klavierkonzert Nr. 2 op. 21 schon seit Herbst 1829 fertig vorlag, kam es erst im März 1830 bei Chopins gefeiertem Debüt im Warschauer Nationaltheater zur Uraufführung. Die mehr als 900 Zu­hörer im Saal und ein ungeheurer Presserummel scheinen seine Abneigung gegen derartige Anlässe noch verstärkt zu haben. Dabei hatte er zunächst durchaus auf eine internationale Solistenkarriere gesetzt: Die kurz nacheinander entstandenen Konzerte sind als Paradestücke für den glanzvollen Auftritt auf

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Reisen konzipiert und folgen einer ähnlichen Anlage. Beide stehen in dezidiert schwermütigem Moll, das sich später nach Dur aufhellt. Im f-Moll-Konzert inszeniert Chopin diese optimistische Wende besonders wirkungsvoll, wenn im (von Marco Goecke nicht verwendeten) Rondo-Finale nach einem F-Dur-Akkord ein Signalhorn regelrecht zum Aufbruch ruft. Breit angelegte, durch repräsentative Tutti-Zwischenspiele gegliederte Sonatensätze eröffnen die Werke. Ihre enorme Ausdehnung – im Fall des e-Moll-Konzerts fast 700 Takte – ba­ lanciert Chopin mit geschickten harmonischen und thematischen Variantenbildungen aus. «Es ist wie eine Träumerei in einer schönen, mondbeglänzten Frühlingsnacht», schrieb Chopin über den Mittelsatz des ersten Konzerts, in dem sich der spätere Meister der Nocturnes erstmals vollständig zu erkennen gibt. Im Larghetto des zweiten rufe er sein «Ideal, dem ich treu diene» an, so Chopin – und meinte seine Liebe zu der Sängerin Konstancja Gładkowska, die er dieser freilich nie erklärt hat. Der rezitativische as-Moll-Mittelteil des Satzes deutet das Ausmass des inneren Aufruhrs an. Dass sich die kehrausartigen Schluss-Sätze an nationale Tänze anlehnen – an den Krakowiak im e-Moll-, an eine Mazurka im f-Moll-Konzert – ist natürlich als Huldigung an die Heimat zu verstehen. Die Uraufführung des e-Moll-Konzerts im Oktober 1830 war Chopins letzter Auftritt in Warschau, bevor er Anfang November das Land verlassen sollte. Nach der vom russischen Zaren niedergeschlagenen Revolution in Polen siedelte Chopin nach Paris über und sollte seine Heimat fortan nie wiedersehen. «Sein wahres Vaterland ist das Traumreich der Poesie», bemerkte Heinrich Heine einige Jahre später in Paris über Chopin. Da hatten seine Préludes, Nocturnes, Balladen und Scherzi den Komponisten bereits zum Grossmeister der poetisierenden Klavierromantik gemacht. «Die Unerschöpflichkeit seiner melodischen, harmonischen und rhythmischen Phantasie, sein Sinn für Beseelung selbst der entlegensten Neben­stimmen, für klangliches Filigran, seine Vergeistigung pianistischer Virtuosität – all das hebt Chopins Klavierkunst weit über das Salonhafte hinaus und reiht ihn unter die Grossen des 19. Jahrhunderts» (A. Beaujean). Ganz direkt aus dem musikalischen Umfeld Vaslav Nijinskis stammt Claude Debussys Prélude à l’aprés-midi d’un faune, das zu den Hauptwerken des musi­ kalischen Impressionismus gehört. Stéphane Mallarmés symbolistisches Gedicht

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

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L’Après-midi d’un faune (1876), in dem er die Eindrücke eines Bildes von François Boucher in der Londoner National Gallery wiedergibt, inspirierte den Komponisten zu der von Flöten- und Harfenklängen getragenen, traumverlore­ nen, lasziv-schillernden Musik. Mallarmés Poem thematisiert den Traum eines Flöte spielenden Fauns, halb Mensch, halb Tier, zwei schlafende Nymphen zu ver­führen. Mit einer transparenten, von Flöte, Holzbläsern und Celli dominierten, auf- und abschwellenden weichfliessenden Tonsprache konterkariert Claude Debussy (1862-1918) auf nie beschreibende, sondern ausschliesslich andeutende Weise exakt die symbolistischen Stimmungsbeschreibungen Mallarmés. Am 22. Dezember 1894 wurde die Komposition in der Pariser Société Nationale ur­aufgeführt, doch erst durch die choreografische Deutung Nijinskis er­langte das Werk dauerhafte Popularität – es war seine erste eigene Choreografie. Die Premiere am 29. Mai 1912 verstörte das Publikum im Pariser Théâtre du Châtelet und löste einen Tumult aus. Tosender Beifall mischte sich mit Pfiffen und Schmährufen. Einer der begeistertsten Zuschauer war der berühmte Bildhauer August Rodin. Er erhob sich in seiner Loge, applaudierte dem Stück mit «Bravo»-Rufen und gratulierte Nijinski in der Pause in dessen Garderobe. Am 30. Mai zensierte Gaston Calmette, Herausgeber und Eigentümer von Le Figaro, eine positive Besprechung des Kritikers Robert Brussel und liess stattdessen auf der Titelseite eine eigene Schimpftirade veröffentlichen. Er verurteilte die «erotische Brutalität» und die «Gesten von unvorstellbarer Schamlosigkeit» – die Masturbationsbewegungen des Fauns über dem Schleier der Nymphe – und den Ausdruck «animalischer Triebe, die ein wahres Publikum niemals ak­ zep­tieren wird». Einen Tag später verteidigte August Rodin Nijinski in einem Artikel auf der Titelseite von Le Matin. In seinem Leitartikel nennt er Nijinskis erstes Ballett «die perfekte Personifizierung der Schönheitsideale der alten Griechen». Die Presseschlacht lockte Scharen von Besuchern ins Théâtre du Châte­ let. Bis zu zehn Zugaben verlangte das Publikum. Wer in der Pariser Gesellschaft mitreden wollte, musste den Faun gesehen haben. Während der Arbeit an der Choreografie hatte Nijinski viel Zeit in der Antikensammlung des Louvre verbracht. Dort studierte er die Posen der Figuren auf den Vasen und Basreliefs. Neunzig Proben waren nötig, um seine Vision eines lebenden Freskos auf die Bühne zu bringen. Zum Skandalerfolg des Balletts trug auch das hautenge

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fleischfarbene Trikot mit den dunkelbraunen Tupfern bei, das Léon Bakst für den Faun entworfen hatte. Der Dichter und Maler Jean Cocteau genoss diesen Anblick: «Ein unvergessliches Schauspiel, das uns in heiliger Betroffenheit erstarren lässt». Mit L’Après-midi d’un faune gelang den Ballets russes der Anschluss an die Avantgarde. Das Ballett gilt als Referenzwerk der künstlerischen Moderne. Nicht zuletzt verwendet Marco Goecke in der Szene «Erwachen» die A-cap­pella-Einspielung eines russischen Wiegenliedes mit dem amerikanischen Weltmusik-Ensemble «Libana».

Das komplette Programmbuch können Abfolge derSie Musik auf Frédéric Chopin www.opernhaus.ch/shop Klavierkonzert Nr. 1 e-Moll op. 11 1. Allegro maestoso – 2. Romanze (Larghetto) – 3. Rondo (Vivace) oder am Vorstellungsabend im Foyer Libana des Opernhauses Russian Lullaby erwerben Claude Debussy Prélude à l’après-midi d’un faune

Frédéric Chopin Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll op. 21 1. Maestos – 2. Larghetto

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MARCO GOECKE Choreograf

Marco Goecke stammt aus Wuppertal. Seine Ballettausbildung absolvierte er an der Ballettakademie der Heinz-Bosl-Stiftung München so­wie am Königlichen Konser­vatorium Den Haag, wo er 1995 sein Diplom erhielt. Es folgten Engagements an der Staatsoper Berlin und am Theater Hagen. An diesem Theater entstand im Jahr 2000 seine erste Choreografie, Loch. Es folgten mehrere Stücke für die Noverre-Gesellschaft und eine Einladung an das New York Choreographic Institute. Auftragswerke entstanden für inter­nationale Compagnien wie Les Ballets de Monte-Carlo, das Norwegische Nationalballett, das Pacific Northwest Ballet Seattle und das Staatsballett Berlin. Mit der Spielzeit 2005/06 wurde Marco Goecke Hauschoreograf des Stuttgarter Balletts. Dort kreierte er 2006 sein erstes Handlungsballett Nussknacker. Von 2006 bis 2012 war Goecke auch Hauschoreograf beim Scapino Ballet Rotterdam. Mit der Spielzeit 2013/14 wur­de er Associate Choreographer beim Nederlands Dans Theater. Viele von Marco Goeckes Choreografien werden weltweit von renommierten Compagnien getanzt, u.a. in Tel Aviv, Sao Paulo, München, Helsinki, Moskau, Düsseldorf und Wien. Für das Ballett Zürich entstanden die Choreo­grafien Deer Vi­sion und Petruschka. Marco Goecke wur­de mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter der der Nijinsky Award Monte-Carlo und der Niederländische Tanzpreis «Zwaan». In der Kritiker­um­­frage der Zeitschrift tanz wurde er 2015 als «Choreograf des Jahres» ausgezeichnet, 2017 erhielt er für Nijinski den italienischen «Danza Danza Award» für die beste Choreografie des Jahres. Das für Gauthier Dance entstandene Stück wird seitdem mit grossem Erfolg weltweit auf Tourneen gezeigt. 2018 wurde Marco Goecke mit seinem beim NDT uraufgeführten Stück Wir sagen uns Dunkles für den «Prix Benois» nominiert. Für das Ballett der Pariser Oper entstand 2019 das Stück Dogs Sleep. Seit Januar 2019 ist Marco Goecke «Artist in Residence» bei Gauthier Dance, ab der Spielzeit 2019/20 übernimmt er die Ballettdirektion in Hannover.

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BALLETT ZÜRICH


Christian Spuck Ballettdirektor

Christian Spuck stammt aus Marburg und wurde an der John Cranko Schule in Stuttgart ausgebildet. Seine tänzerische Laufbahn begann er in Jan Lauwers’ Need­ ­company und Anne Teresa de Keersmaekers Ensemble «Rosas». 1995 wurde er Mitglied des Stuttgarter Balletts und war von 2001 bis 2012 Hauschoreograf der Com­pagnie. In Stutt­gart kreierte er fünfzehn Urauffüh­ rungen, darunter die Handlungsballette Lulu. Eine Monstre­tragödie nach Frank Wedekind, Der Sandmann und Das Fräulein von S. nach E.T.A. Hoffmann. Da­rü­ ber hinaus hat Christian Spuck mit zahlreichen namhaf­ ten Ballettcompagnien in Europa und den USA ge­ar­ bei­tet. Für das Königliche Ballett Flandern entstand The Return of Ulysses (Gastspiel beim Edinburgh Festival), beim Norwegischen Nationalballett Oslo wurde Woyzeck nach Georg Büchner uraufgeführt. Das Ballett Die Kinder beim Aalto Ballett Theater Essen wurde für den «Prix Benois de la Danse» nominiert, das ebenfalls in Essen uraufgeführte Ballett Leonce und Lena nach Georg Büchner wurde von den Grands Ballets Cana­ diens de Montreal und vom Stuttgarter Ballett über­ nom­men. Die Uraufführung von Poppea//Poppea für Gauthier Dance am The­ater­haus Stuttgart wurde 2010 von der Zeitschrift Dance Europe zu den zehn erfolgreichsten Tanzproduktionen weltweit gewählt sowie mit dem deutschen Theaterpreis Der Faust 2011 und dem ita­lienischen Danza/Danza-Award ausgezeichnet. Immer häufiger ist Christian Spuck in jüngster Zeit im Bereich Oper tätig. Auf Glucks Orphée et Euridice an der Staatsoper Stuttgart (2009) folgten Verdis Falstaff am Staats­theater Wies­­baden (2010) sowie Berlioz’ La Damnation de Faust (2014) und Wagners Der fliegende Holländer (2017) an der Deutschen Oper Berlin. Seit der Saison 2012/13 ist Christian Spuck Di­rektor des Balletts Zürich. Hier waren bislang seine Choreografien Romeo und Julia, Leonce und Lena, Woyzeck und Der Sandmann zu sehen. Das 2014 in Zürich ur­auf­ge­ führte Ballett Anna Kare­ni­na nach Lew Tolstoi wurde vom Norwegischen Nationalballett Oslo, am Moskauer Stanislawski-Theater, vom Koreanischen Nationalballett in Seoul und vom Bayerischen Staatsballett ins Repertoire übernommen. Jüngste Projekte in Zürich waren Verdis Messa da Requiem als Ko­pro­duktion von Oper und Ballett Zürich sowie das Ballett Nussknacker und Mausekönig. Im Oktober 2018 gelangte sein neuestes Ballett, Winterreise, zur Uraufführung.


Yen Han Erste Solistin

Die US-Chinesin Yen Han studierte bei Stefan Mucsi und Paul Maure in Los Angeles, an der Hartford Ballet School, beim San Francisco Ballet und an der Beijing Dance Academy. Nach Engagements beim Jeune Ballet de France und beim Ballet de Nice wurde sie 1994 als Solistin in das Ballett Zürich engagiert, wo sie seitdem als eine der vielseitigsten und charismatischsten Tänzerinnen in vielen Hauptrollen zu erleben ist. Heinz Spoerli kreierte für sie u.a. Le Sacre du printemps, Peer Gynt, Daphnis et Chloé, Romeo und Julia und Ein Sommernachtstraum. Mit Mats Ek arbeitete sie bei Sleeping Beauty (Aurora) und an der Royal Swedish Opera bei Julia & Romeo (Julia) zusammen. Weitere wichtige Choreografen waren Nicholas Beriozoff, Hans van Manen, Jiří Kylián, William Forsythe, Mauro Bigonzetti, Twyla Tharp, Christopher Wheel­­­don, Patrice Bart, Lin Hwai Min, Sol LeÓn/Paul Lightfoot, Martin Schläpfer und Filipe Portugal. In Choreografien von Christian Spuck war sie als Julia (Romeo und Julia), Hof­meister (Leonce und Lena), Kitty (Anna Karenina), in Messa da Requiem und als Clown (Nussknacker und Mause­könig) zu sehen. 2013 wurde sie mit dem «Tanz­ preis der Freun­de des Balletts Zürich» und als «Herausragen­de Darstellerin» bei den Schweizer Tanzpreisen geehrt.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Anna Khamzina Erste Solistin

Anna Khamzina stammt aus Russland und erhielt ihre Tanzausbildung an der Natalia Trishina and Yuly Med­ve­dev School of Classic Dance. Sie war Solistin am Sta­nis­lawski-und-Nemi­ro­witsch-Dantschenko-Theater in Mos­­­­­kau und war dort u.a. als Giselle, in der Titelpartie von John Neumeiers Die kleine Meerjungfrau (Aus­ zeich­nung mit dem Theaterpreis Goldene Maske) so­wie in Vladimir Burmeisters Schwanensee und La Es­me­ral­ da, Dmitry Bryantsevs Illusive Ball und Pierre Lacot­tes La Sylphide zu erleben. Darüber hinaus arbei­te­te sie mit Cho­reografen wie Jiří Kylián, Jorma Elo und Na­cho Duato. Von 2013 bis 2015 tanzte sie beim Aalto Ballett Theater Essen. Dort war sie u.a. als Gute Fee (Cin­ derella), Titania (Ein Sommernachtstraum) und Giselle (David Dawson) zu sehen. Seit 2015/16 ist sie Mit­ glied des Balletts Zürich. U. a. war sie als Odette/Odile in Alexei Ratmanskys Schwanensee-Re­kons­truk­­tion, als Olimpia in Christian Spucks Sand­mann, in Forsythes Quintett und Godanis rituals from another when sowie in der Titelrolle von Christian Spucks Anna Karenina zu sehen.


Programmheft NIJINSKI Ballett von Marco Goecke Premiere am 9. März 2019, Spielzeit 2018/19

Herausgeber

Intendant

Opernhaus Zürich Andreas Homoki

Zusammenstellung, Redaktion Michael Küster Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli Titelseite Visual François Berthoud Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing

Schriftkonzept und Logo

Druck

Textnachweise: Inhaltsangabe: Neufassung von Michael Küster nach Programmheft «Nijinski». Theaterhaus Stuttgart 2016. – Das Gespräch mit Marco Goecke führte Michael Küster für dieses Programmbuch. – Dorion Weickmann schrieb ihren Essay «Der Löwe des Tanzes» für dieses Programmbuch. – Zitate und Chronologie Vaslav Nijinski. Aus: Vaslav Nijinski: Tagebücher. Die Tagebuchaufzeichnungen in der Originalfassung. Aus dem Russischen von Alfred Frank. Frankfurt / Main und Leipzig 1998. (Chronologie ergänzt von Michael Küster). – Michael Küster: Chopin und Debussy. Zur Musik in Marco Goeckes Nijinski-Ballett. Unter Verwendung von:

Telefon 044 268 64 14, inserate@opernhaus.ch Studio Geissbühler Fineprint AG

Harenberg Konzertführer. Dortmund 1996. – Hubertus Gaßner und Daniel Koep (Hrsg.): Tanz der Farben. Nijinskis Auge und die Abstraktion. Hamburg 2009. Bildnachweise: Foto Marco Goecke: Florian Kalotay Carlos Quezada fotografierte das Ballett Zürich bei der Klavier­hauptprobe am 28. Februar 2019. Die Compagnie wurde porträtiert von Jos Schmid. Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechsabgeltung um Nachricht gebeten.


Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden und Obwalden. PARTNER

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Breguet La Marine Chronograph 5527

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