![](https://static.isu.pub/fe/default-story-images/news.jpg?width=720&quality=85%2C50)
2 minute read
erwerben
from Jewgeni Onegin
Peter Mattei, der hier am Opernhaus Zürich den Onegin singt, hat die Rolle schon auf vielen grossen Bühnen der Welt gesungen. Was schätzen Sie an ihm?
Peter Mattei ist natürlich ein sehr erfahrener Onegin. Er hat – und das ist meiner Meinung nach extrem wichtig für diese Rolle – sowohl als Mensch als auch als Künstler ein gewisses Geheimnis. Ich weiss nicht, was Peter denkt, ich möchte es auch nicht wissen, denn es ist nicht wichtig.
Wichtig ist nur, dass er es auf die Bühne bringt. Peter Mattei ist vielleicht der beste Onegin der Welt momentan, aber zugleich ist er sehr offen, Neues auszuprobieren. Es macht grossen Spass, mit ihm zu arbeiten. Ausserdem ist er nicht mehr ganz so jung, er hat viel Lebenserfahrung. Die Figur Onegin wird bei ihm vielleicht etwas mehr Bitterkeit ausstrahlen, als das mit einem ganz jungen Sänger der Fall wäre.
Onegin bringt seinen besten Freund Lenski im Duell um; anschliessend muss er für eine Weile das Land verlassen. Als er zurückkommt, ist Tatjana mit dem Fürsten Gremin verheiratet. Diese Ehe will und kann sie nicht aufgeben, obwohl sie Onegin noch immer liebt – und obwohl auch er ihr nun seine Liebe gesteht... Um die Liebe Tatjanas zu Onegin zu verstehen, muss man an die Idee der «Liebe auf den ersten Blick» glauben. Tatjana träumt von einem Mann und von der Liebe, von der sie in vielen Romanen gelesen hat – und dann taucht Onegin auf. Für sie geht es zunächst gar nicht um den Menschen Onegin; sie projiziert alle ihre Träume auf ihn, und wenn er nicht gekommen wäre, hätte sie sich in einen anderen verliebt. Wenn sie in der letzten Szene sagt, dass sie Onegin liebt, dann geht es für einmal nicht um die Vergangenheit, sondern um die Liebe, die sie in diesem Moment für ihn empfindet, wenn sie ihn nach Jahren wiedertrifft. In dieser Szene muss für ein paar Sekunden eine Verbindung zwischen Onegin und Tatjana aufscheinen – man muss das ahnen, was hätte sein können. Vieles bleibt offen am Ende des Stückes; es schliesst mit einem Fragezeichen. Das Stück hat eine faszinierende Architektur. Am Schluss ist Onegin genau da, wo Tatjana war, als sie ihm ihren glühenden Liebesbrief schrieb.
Sie haben vorhin gesagt, Onegin sei ein Aussenseiter; welchen Anteil hat die Gesellschaft daran, dass die Liebe von Onegin und Tatjana keine Chance bekommt?
Ich glaube nicht, dass Tschaikowski Interesse daran hatte, Gesellschaftskritik zu üben. In Puschkins Vorlage ist das natürlich anders, aber Tschaikowski hat sich vor allem für die beiden Hauptfiguren interessiert. Olga und Lenski
– Tatjanas Schwester und Onegins bester Freund – sind wichtige Figuren, weil sie eine andere Art von Liebe zeigen; aber auch sie sind – ebenso wie der Chor – letztlich nur eine Folie für die Entwicklung der Beziehung von Tatjana und Onegin. Diese Beziehung zwischen den beiden darf übrigens nie sentimental wirken...
... eher melancholisch ... Ja, melancholisch auf jeden Fall. Aber auch nicht romantisch. Ich würde sogar sagen, Onegin ist ein antiromantisches Stück.
Das Gespräch führte Beate Breidenbach