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Onegin aber wird Tatjana abweisen, er wird sagen, er sei nicht für die Ehe gemacht und seine Gefühle würden rasch erkalten. Doch damit nicht genug: Onegin begleitet seinen Freund Lenski zu Tatjanas Namensfest und tanzt zunächst mit ihr und dann, beleidigt vom Gerede der Gäste, mit Lenskis Olga. Lenski ist verletzt, die Freunde streiten sich, und der erhitzte Lenski verlangt Satisfaktion. Ein Duell soll die Sache regeln. Puschkin selber stürzte sich in zahlreiche Duelle – man staunt also über diese Selbstreflexion eines Unverbesserlichen.

In der Vorahnung seines Todes besingt Lenski sein junges Leben und seine Sehnsüchte, eine umso berührendere Szene, als sie sich mit dem Leben seines Schöpfers deckt. Mit 37 Jahren focht Puschkin sein letztes Duell aus und starb qualvoll, zwei Tage später, an einem Bauchschuss.

Aber unser Hauptheld, Onegin, will sich eigentlich nicht duellieren, schon auf dem Feld bereut er den Bruch mit dem Freund. Er lamentiert, aber dies natürlich abseits, für sich, denn nach aussen verhält er sich weiterhin kühl. Er folgt den Regeln des Duells – und streckt den Freund mit einem Schuss nieder.

Es ist diese romantische Damnation des Helden, der dem Epos die Spannung verleiht; der Zwiespalt zwischen seinem Gefühl und dem, wie er glaubt, sich geben zu müssen. Dieses Thema ist heutzutage, in unserem Kulturkreis zumindest, in der Literatur seltener geworden.

Im Unterschied zu Puschkins Männerfiguren haben seine Frauenfiguren den richtigen Instinkt und nehmen sich auch mehr Freiheiten, im Handlungsraum der Geschichten, zumindest. Sie reden offen und geradeheraus über die Zwänge und über ihre Wünsche, auch über Vergangenes, und verkörpern auf eine delikate, unaufdringliche Art das Natürliche im Menschlichen, sie versuchen erst gar nicht, sich zu verstellen. Eines von Puschkins Bildern im Manuskript zeigt Tatjana, verzweifelt auf einen Stuhl gesunken, den Fächer lau in den Händen haltend, als würde er gleich umfallen. Sie wurde von Onegins Taten schwer getroffen und gibt sich im Moment ihrer Traurigkeit hin. Ihre Füsse hingegen hält sie in graziler Pose.

Puschkin hat übrigens in viele Manuskripte Frauenfüsschen gekritzelt, oft gekreuzt und in schmalen Ballettschuhen dargestellt. Er, der Begriffsübertragungen über die Künste hinweg so schätzte, hat die Spitze des Ballettschuhs, die man französisch Pointe nennt, bei einigen seiner Werke ans Ende gesetzt – und damit eine textliche Pointe, ein überraschende Wendung, herbeigeführt.

Auch hier wird es eine Frau sein, die die Pointe bereithält: Tatjana. Nach sechsjährigem Herumirren durch die Welt kehrt Onegin 26­jährig nach Sankt Petersburg zurück und besucht das Fest eines Fürsten. Dieser ist glücklich verheiratet – mit der schönen Tatjana. Onegin erblickt sie und versteht, dass er leidenschaftlich in sie verliebt ist.

Er trifft sie heimlich, und auch sie gesteht ihm, dass sich nichts an ihren Gefühlen geändert hat. Doch will sie ihrem Ehemann die Treue halten.

Eugen Onegin ist am Boden zerstört. Reue? Und wie!

Er zog als Mensch mich lebhaft an, mit seinem Hang zum Phantasieren, den unnachahmlichen Manieren, dem unbeirrbar scharfen Geist. Ich war verbittert, er vereist.

Uns beide hatte schon das Leben, der Leidenschaften Spiel genarrt, uns beiden war das Herz erstarrt; wir hatten Jugend hingegeben, und nur Fortunas blinden Hohn und unsrer Mitwelt Hass zum Lohn.

Alexander Puschkin, «Jewgeni Onegin»

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