Roberto Devereux

Page 1

ROBERTO DEVEREUX

Power nap is over.

Der rein elektrische Audi Q4 e-tron mit vielfältigen Lademöglichkeiten.

Future is an attitude

Audi Q4 35 e-tron, 170 PS, 19,1 kWh/100 km, 0 g CO₂/km, Kat. A Mehr unter audi.ch

ROBERTO DEVEREUX

GAETANO DONIZETTI (1797-1848)

Partner Opernhaus Zürich a b

Mein Königreich, die ganze Welt fordert vergeblich deinen Tod. Wenn dich die Liebe zu mir führt, bist du für mich unschuldig.

Elisabetta I.

HANDLUNG

Erster Akt

Beobachtet von der Hofgesellschaft liest Sara, Herzogin von Nottingham, die Geschichte von der unglücklich liebenden Rosamund. Sara liebt Roberto Devereux, Graf von Essex – den engsten Freund ihres Mannes.

Königin Elisabetta erscheint und berichtet ihrer Vertrauten Sara von der erwarteten Rückkehr Roberto Devereuxs aus Irland, wohin ihn die Königin in einer militärischen Mission als Oberbefehlshaber geschickt hatte. Doch dieser missachtete die Befehle der Königin und schloss eigenmächtig einen Waffenstillstand mit den irischen Rebellen. Ihm droht nun ein Prozess wegen Hochverrats. Elisabetta hegt den Verdacht, ihr Günstling Devereux habe sich nicht nur des Hochverrats, sondern auch des Treuebruchs ihr gegenüber schuldig gemacht. Sollte sie eine Rivalin haben, wäre ihre Rache furchtbar.

Lord Cecil trägt den dringenden Wunsch des Parlamentes vor, Devereux zu verurteilen, doch Elisabetta zögert und verlangt weitere Beweise für seine Schuld. Roberto gegenüber bekräftigt die Königin ihr Versprechen, dass der Ring, den sie ihm einst geschenkt habe, stets das Pfand für seine Sicherheit sei und erinnert ihn an die vergangenen Tage gemeinsamen Glücks. Aus einer ungeschickten Bemerkung Robertos muss Elisabetta schliessen, dass er eine andere liebt. Nun ist sie fest entschlossen, dass Roberto sterben und damit auch ihre Rivalin bestraft werden soll.

Der Herzog von Nottingham trifft seinen Freund Devereux verstört an.

Roberto gesteht ihm, dass er die Rache der Königin fürchte. Nottingham vertraut dem Freund seine Sorgen an: Seine Frau Sara leide unter einem ihm unbekannten Kummer. Erst gestern habe er sie beim Besticken eines blauen Schals weinend und Todesgedanken aussprechend überrascht. Nottingham wird zur Ratsversammlung gerufen und verspricht Roberto, seine Ehre zu verteidigen und alles zu unternehmen, um sein Leben zu retten.

10

Roberto bezichtigt Sara der Treulosigkeit. Sara verteidigt sich und erzählt, dass sie nach dem Tode ihres Vaters von der Königin gegen ihren Willen zur Ehe mit Nottingham gezwungen wurde. Sie rät Roberto, seine Liebe wieder der Frau zuzuwenden, deren Ring er an seiner Hand trägt. Verächtlich wirft Roberto das Liebespfand der Königin weg. Sara fleht Roberto an, sein Leben und ihre Ehre zu retten und unverzüglich zu fliehen. Zum Abschied schenkt sie ihm den Schal.

Zweiter Akt

Gespannt erwartet der versammelte Hof, wie das Parlament über das Schicksal Roberto Devereux’ entscheiden wird. Nur ein Eingreifen der Königin könnte ihn noch vor dem Tod retten. Lord Cecil verkündet der Königin und den Hofleuten den Urteilsspruch: Trotz Nottinghams Verteidigung wurde Devereux’ Tod beschlossen.

Sir Gualtiero Raleigh bringt der Königin einen blauen Schal, den man bei Devereux’ Verhaftung fand und den er sich nur mit grösstem Widerstand habe abnehmen lassen. Elisabetta hat nun den Beweis für Robertos Untreue in der Hand und schwört Rache. Verzweifelt bittet Nottingham um Gnade für den Freund.

Als Elisabetta dem hereingeführten Devereux das Beweisstück seiner Verlogenheit vor Augen hält, sind er und Nottingham gleichermassen entsetzt. Devereux bangt um sein Leben, Nottingham sieht sich von seinem besten Freund betrogen. Nottingham will sich mit dem Schwert auf Roberto stürzen, doch Elisabetta verhindert es. Sie sichert Roberto sein Leben zu, wenn er den Namen der Rivalin nennt. Doch Roberto schweigt.

Die Königin verkündet das Urteil und unterzeichnet es.

11

Dritter Akt

Ein Bote überbringt der Herzogin einen Brief. Es ist ein Schreiben Robertos aus dem Kerker, in dem er Sara sein Todesurteil mitteilt und sie anfleht, der Königin den Ring zu bringen, um sie an ihr Versprechen zu erinnern. Nottingham überrascht seine Frau und verlangt den Brief. Ihren Unschuldsbeteuerungen schenkt er keinen Glauben. Er will Sara solange im Palast gefangenhalten, bis Roberto hingerichtet ist.

Roberto hat noch immer Hoffnung, dass wenigstens Sara Gnade bei der Königin finden wird. Er hat keine Todesfurcht, will nur noch Saras Ehre retten und dann von Nottinghams Hand sterben, um den Freund von ihrer Unschuld zu überzeugen. Wachen holen den Gefangenen zur Hinrichtung ab.

Elisabetta beklagt sich bitter darüber, dass Sara sie in diesen traurigen Stunden allein lässt. Ihr Zorn ist verflogen. Sie möchte Roberto das Leben retten, selbst wenn es ein Leben an der Seite ihrer Rivalin wäre.

Sara stürzt herein und überbringt der Königin Robertos Ring. Sie gesteht, Elisabettas Rivalin zu sein und bittet um das Leben Robertos. Zu spät ordnet Elisabetta einen Aufschub der Hinrichtung an: Nottingham berichtet triumphierend, dass Devereux tot sei. Elisabetta macht Sara wegen ihres Zögerns für Robertos Tod verantwortlich, doch Nottingham gesteht, dass er allein der Schuldige ist. Die Königin verflucht die beiden.

Elisabetta selbst sieht keinen Sinn mehr in ihrem Leben und äussert ihren Verzicht auf den Thron: Jakob soll ihr Nachfolger werden.

12

EIN EINDRUCKSVOLLER UNTERGANG

Der Regisseur David Alden im Gespräch über seine Inszenierung von Gaetano Donizettis Oper «Anna Bolena»

David, gerade macht das englische Königshaus mit Spare, dem neuen Buch Prinz Harrys, erneut Schlagzeilen. Sex, Crime und Royality – davon sind wir nach wie vor fasziniert…

Ist das nicht erstaunlich? Wie ist es nur möglich, dass diese verrückte Familie seit nunmehr fast tausend Jahren die Aufmerksamkeit der Welt so auf sich zieht? Wer auch immer dieses Script schreibt, er muss ein Genie sein.

The Spare heisst ja auch derjenige, der in der Thronfolge erst an zweiter Stelle kommt. Dass Elisabeth I., die als Figur das Epizentrum von Roberto Devereux darstellt, Königin werden würde, war zunächst nicht zu erwarten. Doch dann wurde sie zu einer der erfolgreichsten Monarchinnen in der Geschichte Englands. Ja, aber nach einem traumatischen Beginn. Ihre Kindheit war schrecklich. Man hat ihr furchtbare Dinge nachgesagt, ihre Halbschwester Maria, die damalige Königin, liess die 21­Jährige im Tower einsperren. Elisabeths Schicksal war lange Zeit ungewiss, ihr Leben mehr als einmal in Gefahr. Später, als Königin, faszinierte sie die ganze Welt. Sie war eine ausserordentliche Frau, die 45 Jahre lang regierte. Die kürzlich verstorbene Elisabeth II. war zwar noch länger Queen, aber sie hatte keine politische Macht. Queen Elisabeth I. hingegen machte als einzige Frau in einer patriarchalischen Epoche in Europa Weltpolitik, sie hielt die spanische Armada auf, errichtete das britische Weltreich und prägte das Selbstbewusstsein ihrer Nation, das sich bis heute in Grossbritannien daraus speist.

17

Donizetti setzte sich insgesamt dreimal mit dieser Königin auseinander: zum ersten Mal in seiner frühen Oper Il castello di Kenilworth, später in Maria Stuarda und zuletzt in Roberto Devereux. Wie sieht er diese Figur? Zunächst einmal ist es erstaunlich, dass er sich überhaupt mit Elisabeth I. beschäftigte, war sie doch im katholischen Italien lange Zeit eine Hassfigur. Während Elisabeths katholische Vorgängerin Maria I. die Protestanten rigoros verfolgte, stand Elisabeth auf der Seite der anglikanischen Kirche und trieb die Reformen voran. Was die Figur in Maria Stuarda angeht, ist Elisabetta ziemlich negativ gezeichnet. Sie erscheint kaltherzig und intrigant, auch wenn es Momente gibt, in denen man mit ihr mitfühlt. Donizettis Sympathien gelten dort eher Maria, der Katholikin und schottischen Königin, die als Märtyrerin stirbt. Zu Elisabettas Verteidigung muss man allerdings sagen, dass sie es als weibliche Machtfigur in einer männlich dominierten Welt nicht einfach hat und erst recht nicht, gleichzeitig ihre privaten Liebesbeziehungen auszuleben. Der Historiker Ernst Kantorowicz hat einmal den Begriff vom König mit den zwei Körpern geprägt: Dieser habe eine öffentliche und eine private Seite. Dieser Konflikt ist in Roberto Devereux noch ausgeprägter und geht tiefer. Hier ist die Königin bereits älter, und wir hegen viel Sympathie für sie. Aber auch in diesem Stück hat sie zuweilen monsterhafte Züge – und ist gleichzeitig eine tragisch Liebende. Es ist schon erstaunlich, was Musik alles kann.

Was reizt dich als Regisseur besonders an dieser Oper? Ich liebe Donizetti grundsätzlich und halte ihn für einen der grössten Musikdramatiker überhaupt. Roberto Devereux ist ein Melodram, fast 200 Jahre alt und in seiner Theatralität auch irgendwie ein Kind seiner Zeit. Andererseits ist dieses Stück von einer faszinierenden Schärfe, die Szenen sind ungemein dicht und prägnant geschrieben. Es gibt zwar auch hier noch die Cabaletta oder Cavatinen, musikalische Formen, die noch von Rossini herrühren. Aber Donizetti benutzt diese Formen mit einer neuen Freiheit und immer im Dienste des Dramas. Er schafft emotionale und eindrucksvolle Situationen. Dadurch erleben wir die Gefühle und Leidenschaften der Figuren wie unter einem Brennglas. Sich da hineinzugeben und gemeinsam mit den Sängerinnen

18

und Sängern diese Figuren zu formen, die Geschichte für ein modernes Publikum zu erarbeiten und die extreme Übertreibung, die Intensität herüberzubringen, ist eine grosse Herausforderung und gleichzeitig ein wunderbares Geschenk für einen Regisseur. Man arbeitet dabei wie ein Filmregisseur mit Grossaufnahmen: Im Grunde ist die Oper ein Kammerspiel mit vier Figuren, die allesamt sehr komplex sind und in komplizierten Beziehungen zueinander stehen. Den Chor könnte man strenggenommen sogar weglassen: Er ist eine Farbe und agiert sehr passiv. Im Vergleich zu Anna Bolena und Maria Stuarda hat er hier am wenigsten zu tun.

Die Oper erzählt in erster Linie von Elisabettas Liebe zum gut dreissig Jahre jüngeren Roberto Devereux. Roberto Devereux ist vergleichbar mit Leicester in Maria Stuarda – ebenfalls ein junger Mann, mit dem die Königin politisch und emotional verstrickt ist. Elisabetta zerstört Maria Stuarda nicht aus politischen, sondern aus persönlichen Gründen – sie möchte diesen jungen Mann für sich selbst haben. So auch in Roberto Devereux. Roberto muss schliesslich sterben, weil Elisabetta herausfindet, dass er eine andere liebt. Es ist also in erster Linie Liebesverrat, der Roberto in der Oper zum Verhängnis wird. Der historische Robert Devereux betrog Elisabeth I. politisch, indem er einen Pakt mit dem irischen Gegner unterzeichnete. Später zettelte er sogar eine Revolte gegen Elisabeth an, die allerdings kläglich scheiterte. Man kann es nicht anders sagen, aber dieser Typ war wirklich verrückt. Und dennoch unterhielt Elisabeth jahrelang eine Beziehung mit ihm, auch wenn sie wusste, dass er nicht der Richtige für sie war. Offenbar sprach er sie auf vielen Ebenen an. Er war brillant, gutaussehend, ein Poet, ein Kriegsherr, ein Abenteurer. Gleichzeitig spielte er mit ihr, war zuweilen sehr brutal zu ihr, verliess den Hof urplötzlich und verschwand für Wochen in sein Schloss. Immer war sie diejenige, die ihn bitten musste, wieder zurückzukommen.

Der historische Devereux war auch der Patensohn des vorherigen Favoriten Elizabeths, Robert Dudley. Verrückt, nicht wahr?

19
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

Wie ist Devereux in Donizettis Oper gezeichnet? Donizettis Devereux ist ein merkwürdiger Charakter. Die Oper heisst zwar Roberto Devereux – aber was tut er denn eigentlich? Wenn wir ihn zum ersten Mal sehen, hat er bereits all seine Karten ausgespielt. Er ist bereits ein Verdammter, ein «dead man walking», wie man so schön sagt. Devereux ist nicht wirklich ein Held, auch wenn er das vielleicht von sich selbst denkt. Donizetti verleiht ihm fast depressive Züge und seine Musik ist meistens sehr weich. Das ist noch kein Verdi­Tenor.

Seine heimliche Geliebte ist Sara, die ebenfalls eine wichtige Spielfigur in diesem Stück ist. Sie ist eine verlorene Seele, und wir leiden mit ihr. Ihr Ehemann Nottingham hat eine sehr schwierige Persönlichkeit, und wie wir gesehen haben ebenso ihr Liebhaber Roberto. Als Frau in einer solchen Welt hat Sara keine Macht, keinerlei Karten, die sie ausspielen kann. Und dennoch ist es interessant zu sehen, welche Stärke sie trotz allem ausstrahlt, wie sie für sich kämpft und für sich einsteht.

Ihr Mann Notthingham wiederum ist derjenige, der in dieser Geschichte wie ein Katalysator wirkt und die Tragödie besiegelt. Das ist natürlich von einer tragischen Ironie, denn er liebt seinen Freund Roberto und ist der Einzige unter den Höflingen, der Robertos Leben retten möchte. Das komplette Gegenteil tritt ein, wenn er erfährt, dass Roberto eine Affäre mit Sara hatte und womöglich noch immer hat. Seine Fallhöhe ist extrem.

Die letzte Viertelstunde gehört zu den beeindruckendsten Momenten dieser Oper. In was für einem Zustand ist die Königin? Auch sie erlebt im Laufe der Oper einen beispiellosen, traurigen Niedergang. Anfangs sehen wir sie als jemanden, der die Welt regiert und die Zügel noch fest in der Hand hat – zumindest glaubt sie das. Sie liebt Roberto noch immer und hat diese lächerliche Vorstellung, sie könne Robertos Leben retten und weiter machen wie zuvor. Am Ende wandert sie fast wahnsinnig

20

geworden durch den Palast. Sie hat alles verloren. Ich glaube aber, dass sie letztlich nicht nur am Verlust Robertos zugrunde geht, sondern in diesem Moment auch ihre ganze dunkle Familiengeschichte über sie hereinbricht, die sie so lange erfolgreich unter Kontrolle halten konnte: Ihr Vater Henry VIII. brachte ihre Mutter Anne Boleyn um, und während hunderten von Jahren hat diese Familie durch Gewalt, Krieg, Unterdrückung und Unterjochung geherrscht. Ein schreckliches Familienerbe.

Mit Roberto Devereux beschliesst du deine Tudor­Trilogie am Opernhaus Zürich. Inwiefern spiegelt sich das im Bühnenbild?

Die Klammer für alle drei Werke ist ein riesiger, leerer Marmorraum. Darin haben wir für jede Oper – wie in ein modernes Museum – eine Art Installation gestellt. In Maria Stuarda war das ein skulpturhaftes, grosses Pferd, in Anna Bolena haben wir mit viel Holz die dunkle und gefängnishafte Welt Henry VIII. nachempfunden. In Roberto Devereux spielen wir mit einem kreisförmigen, architektonischen Gebilde, das es uns ermöglicht, offene und geschlossene, private und öffentliche Räume zu zeigen, um dadurch Donizettis rasante Dramaturgie der Schauplätze zu realisieren.

Wenn ich dich so auf den Proben erlebe, habe ich das Gefühl, dass du ein unglaublich leidenschaftlicher Melomane bist. Woher kommt das? Ich habe keine Ahnung. Als ich jung war, ging ich dreimal die Woche in die New York City Opera. Dort habe ich auch Beverly Sills erlebt. Sie war eine berühmte Elisabetta, und ich glaube, dass es ihr zu verdanken ist, dass man Donizettis Tudor­Opern als Triptychon aufführt. Ich muss sagen, dass ich sehr glücklich bin über unsere Zürcher Besetzung. Inga ist wahnsinnig kreativ und hat viele eigene Ideen, sie fasziniert mich wirklich. Das ist eine sehr schwer zu besetzende Rolle – in Zürich ganz besonders: Den Geist von Edita Gruberova spürt man natürlich noch immer, es war eine ihrer grössten und letzten Rollen. Aber Inga macht das auf ihre eigene, wunderbare Art.

Das Gespräch führte Kathrin Brunner

21
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop
oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

FIEBRIGE

BESCHLEUNIGUNGEN

Auf dem Weg zu Verdi – der Dirigent Enrique Mazzola über musikalische Besonderheiten in «Roberto Devereux»

Innerhalb der Tudor-Trilogie, die Donizetti allerdings nicht als zusammenhängende Werkeinheit konzipierte, lässt sich eine grosse Entwicklung von Anna Bolena über Maria Stuarda hin zu Roberto Devereux beobachten. Das betrifft nicht nur die Musik, sondern auch die emotionale Tiefe und dramaturgische Radikalität dieser Opern. In Anna Bolena von 1830 hören wir noch den jungen Donizetti, der all seine Fähigkeiten als Komponist unter Beweis stellen muss: Mit langen Rezitativen und Arien sowie ausgeprägten Chorpartien. Von allen drei Opern ist Anna Bolena die längste. Später wird Donizetti immer kürzer und direkter, in den Rezitativen aber auch den Chorpartien. 1837, dem Jahr der Uraufführung von Roberto Devereux, ist Donizetti bereits ein angesehener Komponist und muss sich, den Kritikern und dem Publikum nichts mehr beweisen. Nun schreibt er, wie und was er schreiben muss.

Mit Roberto Devereux beginnt Donizetti die Regeln des Belcanto auszuhebeln. Eine dieser Belcanto­Regeln ist ein bestimmter regelmässiger Puls, der sich durch diese Opern zieht, sei es in einem Adagio oder einem Allegro vivace. Bei Vincenzo Bellinis Opern beispielsweise ist das noch konstituierend. Es ist ein Grundpuls, der durch die Körper der Sängerinnen und Sänger ging; der Sänger war das Tempo. Dazu muss man wissen, dass es zu Zeiten Donizettis noch keinen Dirigenten im klassischen Sinne gab und es deswegen auch so schwierig war, alles zusammenzuhalten – die Sängerinnen und Sänger hatten diesbezüglich eine grosse Verantwortung. Der Sänger schaute für gewöhnlich von der Bühne zum Konzertmeister, und dieser leitete die Tempi weiter ins Orchester. In der Regel geht einem neuen Tempo in Belcanto­Opern daher

24

auch immer ein Auftakt voraus. Wenn man sich diese Produktionsbedingungen vor Augen führt, ist es umso erstaunlicher, wie oft Donizetti in der Partitur von Roberto Devereux Accelerandi verlangt. Ohne Dirigenten ist das fast nicht zu bewerkstelligen, und ich vermute, dass die Proben bei der Uraufführung etwas intensiver und sorgfältiger waren als üblich. Zunächst misstraute ich der gedruckten Partitur – aber ein Blick in das Faksimile des Originalmanuskripts bestätigte es: Über dreissig Mal schreibt Donizetti «accelerando» oder «affrettando». Diese Beschleunigungen geschehen oft nach langsamen Episoden an dramaturgisch wichtigen Momenten und sind sinnbildlich für die fieberhaften Gedanken der Figuren und ihr Hadern mit sich selbst in diesem Stück. Für mich ist diese rhythmische Flexibilität auch ein Zeichen für die grosse kompositorische Entwicklung Donizettis zu jener Zeit.

Neue Wege beschreitet Donizetti in dieser Oper auch mit der Hauptfigur in Roberto Devereux, Elisabetta. Elisabetta ist eine komplexe Figur, und Donizetti schreibt für sie komplexe vokale Linien. Sie hat wunderbare kantable Stellen, die dann aber auffällig oft durch schroffe Sept­, Oktavsprünge oder sogar Nonen aufgebrochen werden. Der Rhythmus ihrer Partie ist voller Synkopen und plötzlicher Pausen, ihre Melodien voller Überraschungen. Es scheint, als ob Donizetti dadurch die vielen psychischen Narben, die diese alternde Königin hat – durch die zahlreichen todbringenden Entscheidungen, die sie fällte, durch die Kriege und Schlachten, die sie führte, aber auch durch ihre furchtbare Familiengeschichte –, ins Musikalische übertragen hätte. Die Partie der Elisabetta springt hin und her vom tiefen, ins mittlere und zum hohen Register. In ihrer mehrsätzigen Finalarie lotet Donizetti besonders ihre tiefen Töne aus. Es sind seelische Abgründe, in die er uns hier führt, in ihre Angst, Schrecken, Wut und tiefe Verzweiflung.

Die unsanglichen Sprünge in der Partie Elisabeths erinnern stark an Giuseppe Verdis Lady Macbeth. Verdi muss Roberto Devereux in Mailand am Teatro alla Scala gehört haben, als er dort seine erste Oper Oberto einstudierte.

Zwischen Devereux und der Explosion des Genies Verdi liegen nur wenige Jahre. Die parola scenica, das dramma cantato und das systematische Aushebeln der Belcanto­Regeln sollten für Verdis Musiktheater charakteristisch werden –angelegt waren sie bereits in Roberto Devereux.

25
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop
oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

Der Treulose verdient weder Erbarmen noch Gnade …

Der Verrat ist schrecklich …

GOLDENES ZEITALTER

Elisabeth war nicht vorgesehen, doch sie wurde Königin. Ihren grössten Nachteil verwandelte sie geschickt in ihre grösste Stärke: Sie blieb zeitlebens ohne Ehemann.

Die Bilder sollen sich in die Netzhaut brennen. Betörend sollen sie sein, überwältigend und unmissverständlich. Sie müssen die Grösse demonstrieren der Frau, die sich anschickt, als Elisabeth I. (1533 bis 1603) den Thron Englands zu besteigen. Am Tag vor ihrer Krönung, lässt sie sich deshalb durch die Strassen von London tragen, in einer goldverbrämten Sänfte durch eine begeisterte Menschenmenge vom Tower zur Westminster Abbey. Auf ihrem Weg zeigen Schauspieler in kurzen Szenen Elisabeths Regierungsprogramm: Die Tugenden «Weisheit», «Gerechtigkeit», «Liebe zu den Untertanen» und «Wahre Religion» trampeln Laster wie Aberglauben und Dummheit nieder. Triumphal wird die junge Königin als die biblische Prophetin Debora dargestellt, die das Volk Israel von der Unterdrückung durch den König von Kanaan befreite – Elisabeth, das ist die Botschaft, wird England endgültig aus der Knechtschaft des Papstes führen.

Noch wenige Jahre zuvor hätte kaum jemand der zweitältesten Tochter Heinrichs VIII. Chancen auf den Thron eingeräumt. Ihr Vater liess sie von der Thronfolge ausschliessen, nachdem ihre Mutter Anne Boleyn 1536 hingerichtet worden war. Obwohl er sie als Zehnjährige rehabilitierte, galt sie vielen noch immer als illegitimer Bastard. Noch aussichtsloser wurde ihre Situation unter der Regentschaft ihrer Halbschwester Maria Tudor: Die kerkerte sie in den Tower ein, weil sie sich nicht zum Katholizismus bekehrte, den Maria in England wieder eingeführt hatte. Erst auf dem Sterbebett stimmte die kinderlose «Bloody Mary» Elisabeth als Nachfolgerin zu.

29

Ihr Leben, ihr Einfluss, ihre Kämpfe

Nun, am Tag vor ihrer Krönung, muss sie ihre Untertanen überzeugen, dass ihre Herrschaft ein Erfolg werden wird. «Ich werde nicht zögern, mein Blut zu vergiessen, um für Eure Sicherheit und Ruhe zu garantieren», verspricht Elisabeth, während ihre Stimme fast untergeht im Jubel der Menschen. «Man kann die City of London zu dieser Zeit nicht besser beschreiben denn als Bühne, auf der das wundervolle Schauspiel einer grossherzigen Prinzessin gegeben wurde, die sich ihrem höchst liebenden Volk zeigt, und die ausserordentliche Freude des Volks, solch einen löblichen Souverän zu haben», heisst es in einem Flugblatt, das neun Tage später veröffentlicht wird und sich rasch verbreitet. Der Auftraggeber ist womöglich die Königin selbst. Öffentliche Selbstdarstellung gehört zu den Kernkompetenzen eines Herrschers schon in der frühen Neuzeit. Zwar glauben alle, dass Gott bei der Wahl eines Monarchen seinen Willen walten lässt, doch er muss sich vor den Untertanen auch bewähren; Königsherrschaft ist keine Diktatur, sondern auf Konsens zwischen Herrscher und Beherrschten ausgerichtet; für Gesetze braucht der englische König das Parlament.

Elisabeth, gekrönt mit 25 Jahren am 15. Januar 1559, perfektioniert die royale PR. Die 45 Jahre ihrer Herrschaft galten auch unter Historikern lange als das «Goldene Zeitalter» der englischen Geschichte. Erst in jüngerer Zeit richtet sich der Blick stärker auf Elisabeths Strategien der Macht und der Inszenierung –und auf die Schattenseiten ihrer Regierung. An Faszination verliert die Königin dabei nicht, im Gegenteil: Erst durch den Mythos hindurch zeigt sich die wahre Staatskunst Elisabeths.

Vor ihrer ersten grossen Aufgabe steht sie, seit sie lebt: Sie muss beweisen, dass sie eine rechtmässige Königin ist – weil sie eine Frau ist. Zwar gilt in England nicht wie auf dem Kontinent das salische Recht, das Frauen von der Erbfolge ausschliesst. Doch eine Thronerbin ist nicht erwünscht – Heinrich VIII. tat alles, um endlich einen Sohn zu bekommen. Frauen gelten als das schwache Geschlecht, sie sollen sich dem Mann unterordnen und nicht regieren. Weiberherrschaft verstösst gegen das Naturrecht und damit gegen die göttliche Ordnung, so sehen es die meisten.

30

Elisabeths ältere Halbschwester Maria kam 1553 an die Macht, nachdem Eduard VI., der einzige legitime Sohn Heinrichs VIII., gestorben war. Sie heiratete den Konventionen gemäss rasch – allerdings den spanischen Thronfolger Philipp und damit in den Augen vieler den Falschen: einen katholischen Fremden, der das Land in einen nutzlosen Krieg mit Frankreich verwickelte. Die Verbindung mit dem Spanier und ihr Versuch, ihre Untertanen gewaltsam zum Katholizismus zurückzuzwingen, machten Maria Tudor extrem unbeliebt. Das ist ein Startvorteil für ihre Nachfolgerin und ein Auftrag. Protestantische Theologen wie der Genfer Reformator Johannes Calvin (1509 bis 1564) entschuldigen Elisabeths Regierung als einen von Gott herbeigeführten Sonderfall: Ihre Herrschaft diene dazu, das protestantische Bekenntnis wieder einzuführen.

Elisabeth selbst zweifelt offenbar nicht an ihrer Regierungstauglichkeit. Seit sie der Vater rehabilitiert hat, ist er ihr grosses Vorbild. Durch ihre hervorragende Ausbildung – sie spricht Französisch, Italienisch und Spanisch fliessend und hat die Schriften wichtiger lateinischer und griechischer Autoren und Philosophen im Original gelesen – und durch ihre strategische Klugheit kann sie ihren Beratern und Höflingen locker das Wasser reichen. Ihre ersten Massnahmen er füllen die Hoffnungen, die viele in sie gesetzt haben: Sie erneuert 1559 den Act of Supremacy, mit dem sich ihr Vater vom Parlament als Oberhaupt der Kirche von England einsetzen liess. Nun steht sie und nicht mehr der Papst an der Spitze der Kirche. Das «Book of Common Prayer», die protestantische Gottesdienstordnung ihres Halbbruders Eduard VI., setzt sie erneut in Kraft, nun ist das Land wieder losgelöst von Rom. Elisabeth selbst hält ihr Innerstes verschlossen. Bis heute rätseln Historiker, was denn nun ihre persönliche Glaubensüberzeugung war. Das ist vermutlich so gewollt: Unklarheit ist ein wichtiges Mittel von Elisabeths Politik – und ein Machtinstrument. Sie verschleiert ihre Absichten, wechselt ihre Meinungen scheinbar willkürlich, um nicht durchschaubar und nicht manipulierbar zu sein. «Es gab in ihrer Zeit kaum jemanden, der ihr in den Künsten der Täuschung, Ausflucht und des Lügens gewachsen war», urteilt der Literaturwissenschaftler Jürgen Klein.

31
www.opernhaus.ch/shop oder
Das
komplette Programmbuch können Sie auf
am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

Heirat? Vielleicht schon, aber lieber nicht

Zwar ist ihre Regierung auf gemeinsame Beschlussfindung mit ihren Beratern ausgelegt. Aber die Königin behält durch ihr «Dissimulieren», wie es im Jargon der Zeit heisst, die Entscheidungshoheit: «So liess sie die Hof­ und Ratsfraktionen sich immer wieder gegenseitig ausspielen, um auf diese Weise zu dokumentieren, dass sie es war, die das letzte Wort hatte», beschrieb es der 2015 verstorbene Historiker Günther Lottes. Ihre Berater, allen voran die Männer in ihrem «Privy Council», dem geheimen Staatsrat, treibt sie damit immer wieder schier in den Wahnsinn. Ihr engster Mitarbeiter, der Erste Sekretär William Cecil, leidet besonders, weil sich Elisabeth in Heiratsdingen nicht festlegt. Er ist überzeugt, dass ein Gatte an ihre Seite gehört, möglichst schnell. Auch, damit die Thronfolge geklärt ist.

Die Königin aber laviert. Schon im ersten Jahr ihrer Regentschaft erklärt sie dem Parlament, dass sie eine Heirat zwar nicht ausschliesse, aber lieber als Jungfrau leben und sterben wolle. Hat sie wegen eines Missbrauchs in ihrer Jugend eine Abneigung gegen Männer, wie manche Forscher vermuten? Oder ist sie so verliebt in ihren Jugendfreund und Höfling Robert Dudley, der durch den mysteriösen Tod seiner Ehefrau diskreditiert ist, dass sie keinen anderen will? Vermutlich ist die Ehelosigkeit auch ein Mittel der Machtsicherung, denn einem Mann müsste selbst eine Königin sich ein Stück weit unterordnen.

Eine unverheiratete Frau ist dem Volk jedoch suspekt, zumal eine Königin ohne Erben. Gerüchte über Affären, uneheliche Kinder, mit Dudley und anderen, gehen um, das Parlament bedrängt die Königin, sich endlich zu entscheiden 1566 verbittet sich die Königin, vom Parlament noch länger mit der Heiratsfrage belästigt zu werden.Sie nutzt mögliche Eheallianzen auch als Mittel der Aussenpolitik. Dabei agiert sie bemerkenswert realpolitisch und nicht nach konfessionellen Gesichtspunkten. Zu Beginn ihrer Regierung steht England im Krieg mit Frankreich. Elisabeth setzt deshalb auf ein gutes Verhältnis zu Spanien und verhandelt mit dessen Regenten Philipp II. und dessen Haus Habsburg über eine Ehe. Im Gegenzug bewirkt der Spanier, dass der Papst die Königin nicht wegen ihres Abfalls von der römischen Kirche exkommuniziert. Doch seit 1568

32

verschlechtern sich die Beziehungen, weil Spanien Truppen in die um Unabhängigkeit kämpfenden protestantischen Niederlande entsendet. Nun avanciert Frankreich zum wichtigeren Partner und Männer aus der Königsfamilie der Valois zu potenziellen Heiratskandidaten. Das hat Folgen, denn mit dem Bruch der spanischen Allianz endet auch die Schonzeit beim Papst.

Elisabeths Thron ist in Gefahr. Maria Stuart, Königin von Schottland, ist wegen protestantischer Aufstände nach England geflohen. Für die Katholiken dort und in ganz Europa ist sie die rechtmässige Anwärterin auch auf den englischen Thron – auch sie selbst sieht sich dort. Und nun öffnet die Bulle des Papstes die Schleusen für den katholischen Widerstand. In mehreren Verschwörungen planen spanische Diplomaten und katholische englische Adlige in den Jahren bis 1586 den Staatsstreich oder gar die Ermordung der Königin zugunsten Marias. Sie werden entdeckt, denn der Höfling Francis Walsingham hat für Elisabeth einen hervorragend vernetzten Geheimdienst aufgebaut, zahlreiche Agenten informieren ihn über die Umtriebe. Er ist auch einer derjenigen, die Elisabeth 1586 schliesslich überzeugen, dass nur eine Hinrichtung der Konkurrentin Maria Stuart ihre Herrschaft langfristig sichert.

Gefahr droht allerdings auch aus den eigenen Reihen. Etlichen protestantischen Theologen gehen Elisabeths Kirchenreformen nicht weit genug. Auch sie stellen die Legitimität der Königin infrage. Nun beendet sie schrittweise ihre Toleranzpolitik. Wer den anglikanischen Gottesdienst nicht besucht, wird mit hohen Geldstrafen belegt. Und auch das Gerede im Volk versucht die Königin mit rigiden Methoden zu stoppen. Dem Flugschriftenautor John Stubbes, der in einem Pamphlet gegen die Ehepläne mit dem französischen Herzog von Anjou wettert, lässt sie ebenso wie seinem Verleger auf dem Marktplatz von Westminster die rechte Hand abschlagen. Ihre Anhänger belohnt die Königin dagegen mit ihrer Gunst und Gnade – und mit Nähe. Jedes Jahr im Sommer reist sie für zwei Monate auf dem Pferd oder in einer offenen Sänfte durch den Südosten Englands, hört sich die Sorgen und Nöte der einfachen Leute an, nimmt Geschenke entgegen, plaudert, scherzt, schmeichelt den Menschen. Wer die Regentin nicht persönlich erleben kann, erfährt durch eigens beauftragte Flugschriften von ihren Reisen. Auf Konventionen gibt Elisabeth nicht viel, doch Rituale und Zeremoniell setzt sie gekonnt ein, um sich selbst zu überhöhen, zu

oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

33
Das komplette Programmbuch können Sie auf
www.opernhaus.ch/shop

demonstrieren, dass sie über den normalen Menschen steht und dass ihr Hof das Zentrum der Macht ist. Rund 2’500 Menschen gehören zum Hofstaat, viele von ihnen ziehen mit der Monarchin von Schloss zu Schloss, von Greenwich nach Whitehall, wo der Hof Weihnachten feiert, nach Richmond, Hampton Court und Windsor. Die Höflinge sind die politisch aktive Klasse aus den Adelsgruppen der Peers, Gentry und Knights, sie dürfen sich ständig in der Nähe der Königin aufhalten, unter ihnen wählt sie ihre Favoriten, denen sie besondere Vergünstigungen erweist. Aussenstehenden dagegen verdeutlicht ein langer Weg durch eine Flucht von Zimmern, dass sie nun ins Innere der Macht vordringen. Nur wenige führt der Lord Chamberlain in die «Privy Chamber», die Gemächer der Königin, das Herz des Hofes und des Staates. Hier empfängt die Königin den Diplomaten, der über ihre tief dekolletierte Robe staunt, kunstvoll gefertigt aus Samt und Seide, mit Gold­ und Silberfäden durchwirkt, bestickt mit Perlen und Rubinen. «Ihre Brust ist etwas faltig, aber weiter unten ist ihr Fleisch ausgesprochen weiss und zart, soweit man sehen kann», schwärmt er respektlos.

Auf den meisten Porträts der Königin ist von solchen Altersspuren allerdings wenig zu sehen. Elisabeth wünscht ihre Abbilder fast übermenschlich glamourös und alterslos: Makellos ist ihr Teint darauf, obwohl sie mit 29 Jahren eine Pockenerkrankung nur knapp überlebt hat und sicher gezeichnet bleibt, sie wirkt mädchenhaft mit ihren langen hellroten Haaren und den schmalen, langgliedrigen Fingern. «Ich habe zwar den Leib eines schwachen kraftlosen Weibes, dafür aber Herz und Mut eines Königs». Es sind Bilder der «Virgin Queen», der jungfräulichen Herrscherin, wie sie seit den späten 1580er­Jahren von ihren Untertanen immer stärker verehrt wird. Nun ist sie über 50 Jahre alt, und es ist klar, dass sie wohl nicht mehr heiraten und keine Kinder mehr haben wird. Sie ist jetzt mit ihrem Land verheiratet, so stellt sie es dar.

Die Königin und England geben ein strahlendes Paar ab, das die Weltmeere erobert. Sir Francis Drake kehrt 1580 von seiner Weltumsegelung zurück, Sir Walter Raleigh wagt 1578 eine Expedition nach Amerika und finanziert auf Roanoke Island die erste Kolonie, «Virginia». Der Triumph schlechthin aber ist der Sieg der englischen Marine über die spanische Armada im Jahr 1588. Auch wenn Glück im Spiel ist, weil ein günstiger Wind die spanischen Schiffe auseinandertreibt: Die Royal Navy hat eine spanische Invasion auf der Insel vereitelt.

34

Elisabeths Prestige steigt ins Unermessliche. Ihr Sieg, so erklärt sie es ihrem Volk, ist Teil des göttlichen Heilsplans, so wie ihre ganze Herrschaft. Die Botschaft ist deutlich: Ein Goldenes Zeitalter ist angebrochen, mit ihr an der Spitze. 1590 huldigt ihr der Dichter Edmund Spenser in einem Gedicht als Fairy Queen, als märchenhafte Feenkönigin. Vergessen ist die angebliche weibliche Regierungsschwäche, vergessen ihre illegitime Abkunft. Sogar die meisten katholischen Engländer stehen nun hinter ihrer Königin. Die Verdüsterung der späten Jahre

Die Königin hat das Land zu wahrer Grösse geführt, so sieht man es jetzt. Ihr Image nach dem Sieg über Spanien blendet und funkelt, so sehr, dass es die verbleibenden Jahre zu überstrahlen vermag. Die nämlich geraten eher düster.

Der Krieg mit Spanien ist nach dem Sieg über die Armada noch lange nicht vorbei, drei Expeditionen gegen die verfeindete Weltmacht verschlingen Unsummen, die Angst vor einer Invasion steigt wieder, als 1595 spanische Schiffe Fischerdörfer in Cornwall angreifen. Missernten drücken auf die Stimmung im Land, Aufstände in Irland lässt Elisabeth rücksichtslos niederschlagen, die puritanische Kritik an ihrer Religionspolitik versucht sie, mit brutalen Mitteln der Inquisition einzudämmen. Auch ihr Vertrauen in ihren Hofstaat bröckelt: Wichtige Weggefährten wie William Cecil, Francis Walsingham und Robert Dudley sterben, neue Hofleute erweisen sich als unzuverlässig, wie Robert Devereux, der Earl of Essex, der nach einer Verschwörung gegen die Königin hingerichtet wird. Und auch mit den Parlamenten streitet sie zunehmend um Kompetenzen. Die Macht im Land verschiebt sich von den lokalen Adligen hin zur königlichen Zentralverwaltung, die jetzt auch in den Distrikten des Landes enorm ausgebaut wird. Die Königin versucht mit aller Härte, die Kontrolle über ihr Bild zu behalten. Ihre Spionage­ und Propagandaagenten halten Kritik und Subversion klein und verfolgen jede Diskussion um die Nachfolge als Hochverrat. 1596 ordnet Elisabeth an, alle unziemlichen Porträts – also alle, die ihr reales Alter von inzwischen 63 Jahren zeigen – zu vernichten.

oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

35
Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop
Heinrich Tudor oo Elisabeth von York Heinrich VII. (1466-1503) (1457-1509) Arthur James V. oo Marie von Guise König der Schotten Margaret oo Matthew Stewart 4. Earl of Lennox Maria oo 1 Franz II. Königin der König von Schotten Frankreich (1542-1587) James VI. von Schottland, I. von England (1566-1625) oo 2 Henry Stuart Lord Darnley oo 2 Archibald Douglas 6. Earl of Angus oo 3 James Hepburn Earl of Bothwell Margaret oo 1 James IV. König der Schotten

oo

STAMMBAUM

(1501?-1536)

oo

(1508-1537)

oo

(1515-1557)

oo

oo

(1537-1554)

Mary oo Charles Brandon Duke of Suffolk Mary I. oo Philipp II. (1516-1558) von Spanien Jane oo Lord Guildford Dudley Lady Jane Grey 2 Anne Boleyn 4 Anna von Kleve 3 Jane Seymour 5 Chatherine Howard (1525?-1542) 6 Chatherine Parr oo 2 Thomas Seymour (1512?-1548) Heinrich VIII. oo 1 Katharina von Aragon (1491-1547) (1485-1536) Eduard VI. (1537-1553) Mary Elisabeth I. (1533-1603) Katherine Frances oo Henry Grey Duke of Suffolk

MÄCHTIGE FRAU, JUNGER FAVORIT

Je grösser der Altersunterschied, umso delikater die Situation – über eine besondere Konstellation

Eros ist der grösste Brückenbauer von allen. Wo die Ufer auf gleicher Höhe nahe beieinander liegen, genügen simple Konstruktionen. Wo aber Unterschiede überwiegen, die Liebenden im sozialen Status, in Alter oder Attraktivität weit auseinander liegen, entstehen gewagte Konstruktionen, die den Betrachter fesseln. Neben Bewunderung wecken sie auch Neid, Mitleid und Schadenfreude, wenn sie einstürzen. Liebe in ihren Schattierungen zwischen Komödie und Tragödie ist das zentrale Thema der romantischen Oper. Gaetano Donizetti macht da keine Ausnahme. Zu den am meisten gespielten seiner knapp 70 komponierten Opern gehören Don Pasquale und Roberto Devereux. Darin geht es einmal um die Liebe des Mannes zu einer Frau im Alter seiner Tochter, einmal um die Liebe einer Frau zu einem Mann, der ihr Sohn sein könnte. In Don Pasquale lösen sich die erotischen Verwirrungen komödiantisch auf. Am Ende hat die junge Frau den im Alter passenden Liebhaber, der alte Mann wieder seine ersehnte Ruhe. Die Liebe zwischen Robert Devereux, dem zweiten Earl von Essex und Elisabeth I. hingegen wird zur Tragödie. Der junge Liebhaber stirbt als Hochverräter auf dem Schafott. Die Königin hat seine Hinrichtung nicht verhindert, – das ist historische Realität. Sie kann den Verlust ihrer letzten Liebe nicht verschmerzen – das ist die romantische Fiktion.

Die Beziehung zwischen einem deutlich älteren Mann und einer jungen Frau war in traditionellen Kulturen häufiger als heute, weil viele Frauen im Kindbett starben. Fast überall in der Welt sind auch gegenwärtig Männer in Ehe und Partnerschaft älter als ihre Frauen. Bei den ersten festen Beziehungen sind es nur ein paar Jahre (am höchsten ist die Differenz in Afrika mit bis zu sechs

40

Jahren). 2017 waren in Deutschland nur zehn Prozent der Ehepartner gleich alt. Bei 73 Prozent war der Mann älter als die Frau, bei 17 Prozent die Frau älter als der Mann. Der Mann neben einer jüngeren Frau fällt kaum auf. Anders die Frau mit einem jungen Liebhaber. Sie bekommt Namen wie Cougar, wörtlich der Silberlöwe (Puma), das grösste amerikanische Raubtier, im übertragenen Sinn die Frau mit grauen Haaren, die junge Männer packt. Es soll in British Columbia Ende des 19. Jahrhunderts eine Cougar Annie gegeben haben, eine Jägerin, die an die hundert Pumas schoss und viermal verheiratet war. Bekannt wurde der Spitzname in den USA durch ein Musical und eine Sitcom.

Wenn Frauen Afrika­Urlaube buchen und sich auf die erotische Nähe zu einem jugendlichen Animateur, Tauch­ oder Surflehrer einlassen, wird das vielfach als unromantisches Geschäft gesehen. Auch bei Stars, die sich mit einem Fitnesstrainer oder Tänzer zusammentun, wird der Altersunterschied kritisch vermerkt. Ich finde nicht diese Formen der Liebe, sondern ihre Verächter verächtlich. Sie wissen nicht mehr, dass die romantische Liebe der frühen europäischen Tradition nicht nur in ähnlichen Beziehungsformen wurzelt, sondern geradezu für sie erfunden wurde: ein junger Mann, der nichts ausser seiner Kraft und Phantasie hat, wirbt um eine reiche Frau. Auch die Minnesänger im Spätmittelalter agierten in der Hoffnung, von der «Herrin», der Frau des Grafen, Herzogs oder Königs erhöht zu werden.

Wie Maria bei Gottvater ein gutes Wort für den Sünder einlegt, so wird die Herrin, wenn ihr das Lied des Sängers gefällt, dafür sorgen, dass dieser ein Essen und womöglich auch ein Lehen bekommt. Sie ist ferne Geliebte und mächtige Mutter der Männer am Hof; ihre Gunst kann den Armen reich machen, ihre Ungnade den Stolzen erniedrigen.

Als sich 2005 ankündigte, dass in Deutschland eine Frau Bundeskanzlerin werden würde, schrieb Evelyn Roll in der Süddeutschen Zeitung, Angela Merkel habe immer den Vorteil gehabt, unterschätzt zu werden. «Es ist der zweifelhafte Vorteil, den alle Frauen in diesem Land geniessen, in dem es eine grosse Unfähigkeit gibt, mit weiblicher Führung umzugehen, auch weil niemand die Beschreibungs­, Rezeptions­ und Verhaltensmuster dafür hat.» Es ist interessant, dass gerade Frauen nicht wahrhaben, wie viel Erfahrung mit weiblicher Führung wirklich jeder Mann gemacht hat – auch wenn er später vielleicht zögert, eine

41
www.opernhaus.ch/shop
Das komplette Programmbuch können Sie auf
oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

mächtige Frau zu respektieren. Nach wie vor herrscht über das Kind in den meisten Familien als letzte Instanz die Mutter; sie nährt es (und lässt es manchmal verhungern), sie schützt es vor Übergriffen und Schlägen (oder liefert es ihnen aus).

Wir alle, Mann wie Frau, tragen bewährte Muster in uns, mit einer mächtigen Frau umzugehen. Was davon im erwachsenen Bewusstsein erhalten bleibt, hängt mit den Abwehrprozessen zusammen, die bereits in der späten Kindheit und Adoleszenz gegen die mütterliche Macht mobilisiert werden. Nicht das Fremde, sondern das allzu Vertraute ist es, das Männer wie Frauen gegenüber weiblicher Führung misstrauisch macht. Die Mystifizierung des «schwachen Geschlechts» hängt damit zusammen, dass die Mutter uns allen Erfahrungen beschert hat, ausgeliefert zu sein, abhängig auf Gedeih und Verderb. Was könnte ein besseres Symbol für dieses archaische Thema sein als Elisabeth I. von England, die über Wohl und Wehe, selbst Leben und Tod ihrer Favoriten entscheidet? Das Bild der Königin schwankt in der Geschichte. Im protestantischen England wird sie als weise Fürstin und unerschrockene Kämpferin gegen die Übermacht Spaniens dargestellt; auf dem katholischen Festland als machtgeile, männerverschlingende und intrigante Person, der das Blut ihrer Rivalin Maria Stuart an den Händen klebt. In Schillers Drama ist Maria die Dulderin, Elisabeth die Politikerin, die ihre Rivalin hinrichten lässt.

Elisabeth I. war eine hochbegabte Frau. Sie sprach mit zwanzig Jahren fliessend italienisch und französisch, schrieb kunstvolle lateinische Briefe und überlebte durch ihr politisches Talent in dem Intrigenspiel der Thronanwärter. Sie regierte lange, sanierte durch den Verzicht auf die kostspieligen Kriege mit Frankreich die Staatsfinanzen und prägte die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts in England: Das elisabethanische Zeitalter. Ihre Nation wurde zur Seemacht und stand lange Zeit an der Spitze der Entwicklung zur Moderne.

Männer, die Macht gewinnen und halten können, sind normal; Frauen, denen das gelingt, ragen hervor. Sexuelle Phantasien heften sich an sie, denn in der patriarchalischen Tradition ist der Mann grundsätzlich mächtiger als die Frau. Sich die ranghöhere Frau sexuell gefügig zu machen, verschafft dem männlichen Narzissmus einen Geltungsschub, von der Zoten im Shitstorm der sozialen Medien ebenso sprechen wie Friedrich Schiller, der in seinem Frühwerk

42

Kastraten und Männer dichtete: Ich bin ein Mann, mit diesem Wort, / Begegn’ ich ihr alleine, / Jag ich des Kaisers Tochter fort, / So lumpicht ich erscheine. Und dieses goldne Wörtchen macht / Mir manche Fürstin holde, / Mich ruft sie – habt indessen Wacht / Ihr Buben dort im Golde!

Es sind sicher mehr als hundert Romane und Bühnenwerke, die sich mit dem Liebesleben Elisabeths befassen, eine historische Bestätigung der These, dass nichts so attraktiv ist wie das Verbotene. Elisabeth hat sich grundsätzlich als jungfräuliche Königin stilisiert. Die Ehe hätte ihre Position geschwächt und sie der Dominanz eines Ehemanns ebenso ausgeliefert wie den Gefahren einer Schwangerschaft. Ihre katholische Halbschwester, die als Maria I. vor ihr regierte, den spanischen Kronprinzen Philipp heiratete und nach mehreren Fehlgeburten früh starb, war warnendes Beispiel. Als Elisabeth Königin wurde, war Philipp von Spanien auch an einer Ehe mit ihr interessiert; sie hätte dann natürlich katholisch werden müssen und lehnte ab.

Die romantische Oper des 19. Jahrhunderts hat ganz andere Aufgaben als den Kampf um den Machterhalt während der Anfänge des Kolonialismus der Nationalstaaten. Aber der Gedanke absoluter Macht spiegelt den Schatten der romantischen Liebe: die totale Abhängigkeit, in die sich Liebende begeben, wenn sie das Korsett der Tradition verlassen. Die neuen Gefühle, die stärker sein sollen als die Interessen von Stand und Sippe, greifen nach dem Höchsten und scheitern an ihrer Hybris.

Der Earl von Essex ist ein Symbol für den aufsteigenden Bürger, der in Schillers oben erwähntem Gedicht auf seine phallische Hybris auch noch stolz ist und an seine Unwiderstehlichkeit glaubt. Er ist der letzte der Geliebten, die Elisabeth zugeschrieben werden. Physisch hätte er ihr Sohn sein können; als er geboren wurde, war sie schon Königin und 32 Jahre alt. Der junge Mann gefiel ihr, sie förderte ihn, aber sie ärgerte sich auch schon früh über seine Charaktermängel und wurde seiner überdrüssig. Dafür sprechen die historischen Fakten, die in Donizettis Werk gegenüber einer Verschärfung des Liebeskonflikts zurückgestellt werden. Nicht Liebe, eher ihr Gegenteil bewog Elisabeth, Robert Devereux den Posten als Statthalter in Irland zu geben. Er wollte in London bleiben, sie wollte ihn loshaben und stellte ihn vor eine Aufgabe, an der er reifen – oder zerbrechen würde. An schnelle Erfolge gewöhnt, fand der Earl

43
www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer
Das komplette Programmbuch können Sie auf
des Opernhauses erwerben

von Essex kein Mittel gegen den Guerillakrieg der Iren. Nach verlustreichen Kämpfen und einem überhasteten Waffenstillstand missachtete er Elisabeths Befehl, in Irland auf seinem Posten zu bleiben. 1599 desertierte er und suchte sich Zugang zu den Gemächern der noch nicht vollständig angekleideten Königin zu verschaffen. War er überzeugt, sie könne ihm nichts abschlagen? Auf jeden Fall hat er der Phantasie, Liebling einer mächtigen Mutter zu sein, nicht widerstanden. Elisabeth liess ihn unter Hausarrest stellen und ihm den Prozess machen. Devereux’ Selbstüberschätzung steigerte sich ins Wahnhafte, er versuchte einen Putsch, der kläglich scheiterte. Im Februar 1601 wurde er verhaftet und noch im selben Monat hingerichtet. Es gibt keinen Hinweis, dass Elisabeth I. darüber sonderlich traurig war. In der Oper scheitert Roberto Devereux nicht an seinem Grössenwahn, sondern an seiner Liebesloyalität und dem Machtstreben Elisabetas, die keine Rivalin duldet und deshalb Robertos Geliebte Sara mit dem Herzog von Nottingham verheiratet hat.

Während der alternde Mann seine junge Geliebte eifersüchtig bewacht und ihre Freiheit beschneidet, beobachten wir bei Frauen mit einem jungen Liebhaber mehr Gelassenheit und Verständnis. Der Geliebte ist mehr Geschenk als Besitz. Er wird mit einem Blütenkranz gekrönt, der welken darf. So soll auch das Ende der Liebe gnädig sein. Die tödliche Zuspitzung in Donizettis Oper wurzelt in Nottinghams, nicht in Elisabeths Eifersucht. Der Herzog hindert seine Frau, Robert rechtzeitig den rettenden Ring zurückzugeben. Die Geste der Königin hingegen, dem Geliebten dieses Pfand seiner Sicherheit zu schenken, zeigt ihr geistiges Format. Wie Odysseus, der sich an den Mastbaum binden lässt, weil er weiss, wie wenig Vernunft gegen Verführung ausrichten kann, will Elisabeth auch den Treulosen vor ihrem Zorn schützen.

Es steht der Kunst frei, aus einer begabten Politikerin eine liebende Frau zu machen, die an ihrer Leidenschaft scheitert. Aber wenn es etwas wie Gerechtigkeit für historische Gestalten gibt, dann ist es doch bedauerlich, dass ein skrupelloser Emporkömmling die Macht haben soll, einer grossen Königin das Herz zu brechen. Essex dachte nur an sich, wo die historische Elisabeth I. an England dachte. Als das klar wurde, liess sie ihn fallen; als er sich rächen wollte, hinrichten. Eine Frau von diesem Format war dem Publikum im 19. Jahrhundert nicht zu vermitteln. Ob es sie heute ertrüge?

44
Das komplette Programmbuch können Sie auf
www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

ELISABETH I.

Auf die Abreise an Monsieur

Ich trauere, doch wag’ ich nicht, meinen Schmerz zu zeigen. Ich liebe, aber bin gezwungen, hasserfüllt zu scheinen.

Ich tu’s, doch hab’ ich nicht den Mut, zu sagen, was ich schon immer dachte. Ich scheine stumm, doch in meinem Innern bin ich geschwätzig. Ich lebe und lebe doch nicht, friere und werde von Feuer verzehrt, Seit ich mich von mir, von meinem anderen Ich abwandte.

Mein Schützling ist wie mein Schatten in der Sonne, Folgt mir im Fluge, flieht, wenn ich ihm nachsetze, Steht und liegt neben mir, tut, was ich eben getan. Sein allzu vertrautes Benehmen lässt mich ihn verwünschen: Ich finde kein Mittel, ihn aus meinem Herzen zu vertreiben, Bis dass das Ende aller Dinge ihn verdrängt.

Auch zärtlichere Gefühle schleichen sich in meine Gedanken, Denn ich bin weich, geschaffen aus schmelzendem Schnee. Sei noch grausamer, Liebe, oder gnädig –Lass mich auf dem Wasser treiben oder versinken, oben sein oder unten, Lass mich leben mit noch süsserer Lust Oder sterben – und so vergessen, was einmal Liebe hiess.

Es wird oft angenommen, dass das Gedicht «On Monsieur’s Departure» auf die Abreise von Elisabeths letztem Verehrer, dem von ihr mit dem Spitznamen «Monsieur» bezeichneten Herzog von Alençon, Bezug nimmt. Die Verse könnten sich auch auf Robert Devereux beziehen, denn ein frühes Manuskript des Gedichtes wurde bei Unterlagen gefunden, die in enger Verbindung zum Grafen von Essex stehen.

47

Vom Schlachtfeld an daran gewöhnt, habe ich keine Angst vor dem Tod.

Niemand auf Erden soll sagen: Ich habe die Königin weinen gesehen.

Elisabetta I.

ROBERTO DEVEREUX

OSSIA IL CONTE DI ESSEX

GAETANO DONIZETTI (1797-1848)

Tragedia l irica in drei Akten

Libretto von Salvatore Cammarano

Uraufführung: 28. Oktober 1837, Teatro di San Carlo, Neapel

Personen

Elisabetta, regina d’Inghilterra Sopran

Duca di Nottingham Bariton

Sara, duchessa di Nottingham Mezzosopran

Roberto Devereux, conte d’Essex Tenor

Lord Cecil Tenor

Sir Gualtiero Raleigh Bass

Un Paggio Bass

Un Famigliare di Nottingham Bass

ATTO PRIMO

PRELUDIO, CORO E ROMANZA

Sara

SCENA PRIMA

Sala terrena del Palagio di Westminster. Dame della Corte reale intente a diversi lavori donneschi.

Sara, duchessa di Nottingham, taciturna siede in un canto sola, con gli occhi immobili sur un libro ed aspersi di lagrime.

DAME

Geme!... pallor funereo

Le sta dipinto in volto!

Un duolo, un duol terribile Ha certo in cor sepolto. accostandosi ad essa

Sara? Duchessa? Oh! scuotiti. Onde la tua mestizia?

SARA Mestizia in me!

DAME Non hai Bagnato il sen di lagrime?

SARA (Ah! mi tradisce il cor!) Lessi dolente istoria… Piangea... di Rosamonda...

DAME Ah! chiudi la trista pagina Che il tuo dolor seconda.

SARA Il mio dolor!...

DAME

Sì! versalo Dell’amistade in seno.

SARA Lady, e credete?...

DAME Ah! fidati...

ERSTER AKT

VORSPIEL, CHOR UND ROMANZE

Sara

ERSTE SZENE

Ein ebenerdiger Saal im Palast von Westminster. Damen des königlichen Hofs sind mit verschiedenen Frauenarbeiten beschäftigt. Sara, Herzogin von Nottingham, sitzt schweigsam und allein in einer Ecke, die Augen unbeweglich auf ein Buch geheftet und voller Tränen.

DAMEN

Sie seufzt!... Ihr Gesicht ist von Totenblässe gezeichnet!

Bestimmt verbirgt sie einen schrecklichen Kummer in ihrem Herzen. sich ihr nähernd Sara? Herzogin? Oh! Fasse dich. Warum bist du so betrübt?

SARA Ich betrübt!

DAMEN Ist deine Brust nicht von Tränen gebadet?

SARA (Ah! Mein Herz verrät mich!) Ich las eine traurige Geschichte… Ich weinte... um Rosamunde...

DAMEN

Ah! Schliesse das unselige Buch, das deinen Kummer verstärkt.

SARA Meinen Kummer!...

DAMEN Ja! Vertraue ihn deinen Freundinnen an.

SARA Ladies, glaubt ihr?...

DAMEN

Ah! Vertraue dich uns an...

SARA

Io!... No...

sciogliendo un forzato sorriso

Son lieta appieno.

DAME (È quel sorriso infausto

Più del suo pianto ancor.)

SARA (All’afflitto è dolce il pianto...

È la gioia che gli resta...

Una stella a me funesta

Anche il pianto mi vietò!

Della tua più cruda, oh quanto, Rosamonda, è la mia sorte!

Tu peristi d’una morte, Io vivendo ognor morrò!)

SCENA E CAVATINA

Elisabetta

SCENA SECONDA

ELISABETTA preceduta da ’suoi Paggi

Duchessa...

Porge la destra a Sara; ella la bacia.

SARA Ich!... Nein... mit einem gezwungenen Lächeln

Ich bin rundum glücklich.

DAMEN (Dieses Lächeln ist noch trauriger als ihre Tränen.)

SARA (Dem Betrübten sind die Tränen angenehm… Sie sind die Freude, die ihm bleibt... Ein unheilvoller Stern hat mir selbst das Weinen verboten! Oh, wieviel grausamer ist doch mein Schicksal, Rosamunde, als das deine! Du bist nur einmal gestorben, ich sterbe mein Leben lang dahin!)

SZENE UND KAVATINE

Elisabeth

ZWEITE SZENE

ELISABETH in Begleitung ihrer Pagen Herzogin...

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop

Le Dame restano in fondo alla scena.

Alle fervide preci

Del tuo consorte alfin m’arrendo;

Alfine il conte rivedrò...

Ma … Dio conceda

Che per l’ultima volta io nol riveda, Ch’io non gli scerna in core Macchia di tradimento.

SARA

Egli era sempre

Fido alla sua regina.

ELISABETTA

Fido alla sua regina?

E basta, o Sara?

Uopo è che fido il trovi Elisabetta.

SARA (Io gelo!)

ELISABETTA

A te svelai

Reicht Sara die Hand; diese küsst sie. Die Damen bleiben im Hintergrund. Ich gebe den flehenden Bitten deines Gatten endlich nach; Ich werde den Grafen wiedersehen... Aber … möge Gott geben, dass es nicht das letzte Mal sein wird, und dass ich in seinem Herzen keine Spuren von Verrat entdecke.

oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

SARA

Er war seiner Königin stets treu ergeben.

ELISABETH

Treu seiner Königin?

Genügt das, o Sara? Wichtig ist, dass Elisabeth ihn treu wiederfindet.

SARA (Ich erstarre!)

ELISABETH

Ich habe dir stets

Programmheft

ROBERO DEVEREUX

Oper in drei Akten von G aetano Donizetti

Premiere am 5. Februar 2023, Spielzeit 2022/23

Herausgeber Opernhaus Zürich

Das komplette Programmbuch können Sie auf

Intendant Andreas Homoki

Zusammenstellung, Redaktion Kathrin Brunner

Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli

Titelseite Visual François Berthoud

www.opernhaus.ch/shop

Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing Telefon 044 268 66 33, inserate@opernhaus.ch

Schriftkonzept Studio Geissbühler Druck Fineprint AG

oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

Textnachweise:

Inhaltsangabe: Opernhaus Zürich. Das Interview mit David Alden führte Kathrin Brunner für dieses Heft und notierte auch den Text von Enrique Mazzola. – Wolfgang Schmidbauer: Mächtige Frau, junger Favorit, Originalartikel für dieses Heft. – Eva-Maria Schnurr, Ein goldenes Zeitalter, Spiegel Geschichte 4 / 2014, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags. – Das Gedicht «Auf die Abreise an Monsieur» übersetzte Markus Wyler. –Stammbaum: Thomas Kielinger, Die Königin, München 2019.

Bildnachweise:

T + T Fotografie / Toni Suter fotografierte die Klavierhauptprobe am 25. Januar 2023.

Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden, Obwalden und Schwyz.

PARTNER

PRODUKTIONSSPONSOREN

AMAG

Atto primo

Clariant Foundation

Freunde der Oper Zürich

Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG

PROJEKTSPONSOREN

René und Susanne Braginsky-Stiftung

Freunde des Balletts Zürich

Ernst Göhner Stiftung

Hans Imholz-Stiftung

Max Kohler Stiftung

Kühne-Stiftung

Marion Mathys Stiftung

Ringier AG

Georg und Bertha Schwyzer-Winiker-Stiftung

Hans und Edith Sulzer-Oravecz-Stiftung

Swiss Life

Swiss Re

Zürcher Kantonalbank

GÖNNERINNEN UND GÖNNER

Josef und Pirkko Ackermann

Alfons’ Blumenmarkt

Familie Thomas Bär

Bergos Privatbank

Margot Bodmer

Maximilian Eisen, Baar

Elektro Compagnoni AG

Stiftung Melinda Esterházy de Galantha

Fitnessparks Migros Zürich

Egon-und-Ingrid-Hug-Stiftung

Walter B. Kielholz Stiftung

KPMG AG

Landis & Gyr Stiftung

Fondation Les Mûrons

Neue Zürcher Zeitung AG

Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung

StockArt – Stiftung für Musik

Else von Sick Stiftung

Ernst von Siemens Musikstiftung

Elisabeth Weber-Stiftung

FÖRDERINNEN UND FÖRDERER

CORAL STUDIO SA

Theodor und Constantin Davidoff Stiftung

Dr. Samuel Ehrhardt

Frankfurter Bankgesellschaft (Schweiz) AG

Garmin Switzerland

Stiftung Lyra zur Förderung hochbegabter, junger Musiker und Musikerinnen

Irith Rappaport

Richards Foundation

Luzius R. Sprüngli

Madlen und Thomas von Stockar

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.