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am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

Dass Alle Welt Sich In Die Nacht Verliebt

Romeo und Julia und ihre Nacht der ewig anhaltenden Liebe

Verliebte, meint Julia, brauchen kein Tageslicht, denn für ihre Riten der Liebe genügt ihnen das Licht der eigenen Schönheit. Die Liebe passt gut zur Nacht, denn beide sind blind. Julia behauptet von sich als Braut, sie sei ihre eigene Lichtquelle, und ruft zusammen mit der Nacht auch Romeo als Tag in der Nacht an. Als er sie auf dem Fest zum ersten Mal erblickte, hatte dieser gemeint: «Sie bringt den Fackeln bei, hell zu leuchten. Es scheint, sie hängt auf der Wange der Nacht wie ein kostbares Juwel im Ohr eines Äthiopers». Nun malt sie sich Romeo in ihrer Hochzeitsnacht aus: «Du wirst auf den Flügeln der Nacht weisser liegen als neuer Schnee auf dem Rücken eines Raben». Mit ihrer poetischen Sprache schafft sie somit einen nächtlichen Liebesraum, der die harte Welt des Tageslichtes konterkariert und den von ihr geforderten Familienstreit wendet. Dabei wird nicht nur die Nacht sprachlich erzeugt – als Bühne und geistige Haltung der Überschreitung. Julia gebiert sich auch als Heldin dieser Gegenszene. In ihrer erwartungsvollen Fantasie erzeugt sie sich als Regentin einer vom Sonnenlicht unabhängigen und diese überbietenden Nachtwelt. Die Hochzeitsnacht, die Julia und Romeo in wenigen Stunden vollziehen werden, entfaltet dabei zwar eine nächtliche Heterotopie ausserhalb des täglichen Zwistes der Eltern. Doch obwohl in ihrem geheimen Ehebett Hass in Liebe umschlägt, können die beiden Liebenden der «Fortsetzung des Streits ihrer Eltern» nichts entgegen halten. Sie können diesen nur konsequent zu Ende führen, in ihrer Absage an alle irdischen Tage. Der geheime Vollzug der Ehe, von dem Julia auf ihrem Balkon erwartungsvoll träumt, hat zur Folge, dass, um jene Liebe zu erhalten, die nur an nächtlichen Schauplätzen auszuleben ist, die Braut diese Nachtwelt nicht mehr verlassen kann. Sie kann zwar die Vorzeichen des Treibens ihrer Eltern insofern wenden, als sie aus deren Streitsucht eine Liebeslust entstehen lässt. Doch sie bleibt deren unnachgiebiger Haltung verhaftet: Hat sie sich Romeo im Liebesritual einmal hingegeben, kann es nur noch ihre Nacht einer ungeteilten, ewig anhaltenden Liebe geben. Dass für diese Ausschliesslichkeit der Tod der Preis sein wird, ahnt Julia im voraus. Als Geschenk dafür, dass die Nacht den Geliebten sicher zu ihr führt, verspricht sie dieser dunklen Mutter, sie dürfe Romeo, wenn er erst einmal gestorben sei, auch wieder zu sich nehmen.

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