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Als Vorahnung sowohl der erotischen Selbstverschwendung, die sie sich von der Hochzeitsnacht verspricht, wie auch der tödlichen Folgen, die diese Überschreitung des väterlichen Gesetzes mit sich bringen wird, entwirft sie sprachlich ein Körperkunstwerk als Hommage an ihre nächtliche Liebe: «Nimm ihn und schneide ihn in kleine Sterne. Er wird das Antlitz des Himmels so verschönen, dass alle Welt sich in die Nacht verliebt und der grell blendenden Sonne niemand mehr huldigen wird.» Dient die im Monolog performativ erzeugte Nacht somit als Bühne ihrer erotischen Erwartungen, ist sie zugleich auch Indiz für die Haltung der beiden jungen Brautleute. Die können zwar in der Nacht das Licht ihrer Schönheit einführen, um sich dort einen Tag in der Nacht zu schaffen. Doch diesen Zustand, der die Grenzen zwischen Licht und Dunkel, Hass und Liebe, Verbot und Genuss verflüssigt, können sie nicht in ihren Alltag zurückführen. Die Absolutheit des Zwistes der Eltern erlaubt den Kindern nur eine ebenso absolute Flucht aus dem Tag.
Julia:
O Romeo, Romeo! – Warum bist du Romeo? Leugne den Vater, wehr dich deines Namens.
Oder wenn du nicht willst, bind dich an mich, Und ich will keine Capulet mehr sein.
Dein Name, nur dein Name ist mein Feind:
Du bleibst du selbst, auch ohne Montagu. Was ist schon Montagu? Nicht Hand noch Fuss
Noch Arm noch Kopf noch irgend sonst ein Teil, Das einen Menschen macht. Tausch deinen Namen!
Was sagt ein Name? Das, was Rose heisst, Würd gleichsüss unter anderm Namen duften.
So bliebe Romeo, wenn er nicht Romeo hiesse, Die Makellosigkeit, die er besitzt, Auch ohne Titel. Romeo, lass den Namen!
Und für den Namen, der dich nicht besitzt, Besitze mich.
Romeo:
Ich nehme dich beim Wort.
Nenn mich Geliebter, und du taufst mich neu.
Von da an will ich nie mehr Romeo sein.
William Shakespeare, Romeo und Julia, 2. Akt, 2. Szene