Roméo et Juliette

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ROMÉO ET JULIETTE

CHARLES GOUNOD

Der T-Cross mit attraktivem Leasingangebot

Zum Jubiläum Angebote, die bewegen

ROMÉO ET JULIETTE

CHARLES GOUNOD (1818–1893)

Official Timepiece Opernhaus Zürich

HANDLUNG

Erster Akt

Ein Ball bei den Capulets. Der Gastgeber eröffnet das Fest und stellt seine Tochter Juliette vor. Heimlich befinden sich auch Angehörige der Montagues auf dem Ball, die mit den Capulets verfeindet sind. Roméo wird von düsteren Ahnungen gequält. Sein Freund Mercutio versucht, ihn aufzuheitern. Roméo erblickt Juliette zum ersten Mal und verliebt sich. Juliette, die von ihrer Amme Gertrude umsorgt wird, träumt von einer glücklichen Zukunft. Roméo und Juliette begegnen und küssen sich. Tybalt tritt dazu und erkennt die Stimme von Roméo, der sich schnell verbirgt. Roméo und Juliette begreifen, dass ihre Liebe unmöglich ist. Die Capulets sind auf die Montagues aufmerksam geworden. Als die Lage zu eskalieren droht, verlassen die Montagues den Ball.

Zweiter Akt

Im Schutz der Nacht erwartet Roméo Juliette voller Hoffnung. Die beiden treffen sich und bekräftigen ihre Liebe. Sie wollen die Namen ihrer verfeindeten Väter ablegen. Als sie von einigen Capulets auf der Suche nach feindlichen Männern unterbrochen werden, versteckt sich Roméo. Wieder mit dem Geliebten vereint, willigt Juliette ein, ihn zu heiraten, wenn er sie aufrichtig liebt. Die beiden zögern den Abschied hinaus.

Dritter Akt

Roméo gesteht Pater Laurent seine Liebe zu Juliette. Die Geliebte erscheint, und der Pater willigt ein, die beiden zu trauen.

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Auf der Suche nach seinem Freund Roméo reizt der Junge Stéphano die Capulets. Es kommt zu einer Rauferei mit Grégorio. Mercutio will Stéphano schützen. Roméo tritt dazwischen und wird von Tybalt beschimpft. Da Roméo auf die Beleidigung nicht mit Gewalt reagiert, kämpft Mercutio gegen Tybalt und wird getötet. Voller Schmerz über diesen Verlust rächt sich Roméo und tötet Tybalt. Das Oberhaupt der Stadt verbannt Roméo und ruft die verfeindeten Häuser zu Frieden auf.

Vierter Akt

Während allmählich der Tag dämmert, sind Roméo und Juliette in ihrer Hochzeitsnacht vereint. Als der Geliebte endlich aufbricht, kündigt Gertrude bereits Juliettes Vater an. Gefolgt von Pater Laurent erklärt Capulet seiner Tochter, dass sie Pâris heiraten soll. Juliette wendet sich verzweifelt an den Pater. Er gibt ihr einen Trank, der sie in einen todesähnlichen Schlaf versinken lassen soll, bis Roméo zurück ist. Unter wahnhaften Vorstellungen überwindet sich Juliette, den Trank einzunehmen. Juliettes Vater findet seine Tochter, die wie tot zusammenbricht.

Fünfter Akt

Roméo erscheint am Grab von Juliette, die er für tot hält. Er küsst sie ein letztes Mal und trinkt Gift. Juliette erwacht. Für einen Moment glauben die beiden, fliehen und gemeinsam leben zu können. Als Juliette erfährt, dass Roméo Gift getrunken hat, ersticht sie sich. Bevor sie sterben, bitten die beiden Gott um Vergebung.

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AUSSENSEITER, DIE IN EINER BESSEREN WELT LEBEN WOLLEN

Der Regisseur Ted Huffman im Gespräch über seine Inszenierung

Ted Huffman, du inszenierst Gounods Oper Roméo et Juliette. Was verbindest du persönlich mit dieser berühmten Liebesgeschichte?

Wir haben Shakespeares Stück in der Schule gelesen, und später habe ich natürlich Baz Luhrmanns berühmten Film im Kino gesehen, ich glaube vier oder fünf Mal. Für mich ist der Stoff eng mit der Geschichte von Tristan und Isolde verwandt. Es geht um diesen intensiven Moment, in dem sich zwei Menschen zum ersten Mal sehen und verlieben. Man kann diesen Augenblick schlecht in Worte fassen. Es ist, als würde man eine Droge nehmen. Ich kenne dieses Gefühl gut aus meiner Teenager Zeit – jeder kennt es wahrscheinlich…

Die erste Liebe fühlt sich an, als würde einem ein richtig tiefer Schnitt zugefügt. Man fühlt sich wie im freien Fall. Aber auch die Gegenseite ist uns aus dem Alltag vertraut, nämlich eine Generation, die diese jungen, verliebten Menschen obsessiv kontrollieren will. Es ist leider vielerorts noch immer üblich, dass die Eltern den Kindern ihre Vorstellung von Liebe aufzwingen und bestimmen wollen, wen sie lieben und mit wem sie Sex haben dürfen. Dabei ist es ein völliger Widerspruch, dass es Regeln für eine Situation geben soll, die alle Regeln sprengen will.

Der Stoff von Shakespeare dient immer wieder als Basis für zeitgenössische Interpretationen. Du selbst hast zusammen mit dem Komponisten Philip Venables die sehr erfolgreiche Kammeroper Denis & Katya geschrieben…

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Dieses Stück basiert auf einer wahren Geschichte aus dem Jahr 2016, in der es um ein junges Paar geht, das tragisch ums Leben kommt. Als eine Art Hommage an Romeo und Julia haben wir es Denis & Katya genannt. Dieses Stück dreht sich eher um Voyeurismus und das Internet. Aber ganz ähnlich wie bei Gounod oder Shakespeare geht es auch hier darum, dass eine ältere Generation die Kontrolle über diese jungen Menschen haben will. Anders als bei freien Adaptionen sind in der Oper immer gewisse Zeitebenen vorgegeben: Die Zeit, in der Romeo und Julia ursprünglich spielt, die Zeit von Gounod, die sich stark in der Musik abbildet, und die Zeit, in der du das Stück inszenierst. Was interessiert dich an diesem Spannungsverhältnis?

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Ich glaube, dass schon Shakespeare über ein Verona der Vergangenheit geschrieben, das Stück aber in Kostümen seiner eigenen Zeit aufgeführt hat. Bis auf wenige Ausnahmen spielen meine eigenen Stücke meist auch in einem gegenwärtigen Setting. Ein Drama wie Romeo und Julia ist aber so universal verständlich, dass ich verschiedene Ebenen darin nicht störend finde. Die Sprache und die Musik zeigen per se, dass sie sich auf eine andere Zeit beziehen. Ich mag es, wenn man sieht, dass dieser Stoff eben aus mehreren Schichten besteht. Besonders wichtig ist es mir, auch eine zeitgenössische «Schicht» für den Rhythmus der Handlung zu finden. Ich mag es nicht, wenn sich die Musik oder der Text mit dem doppeln, was auf der Bühne zu sehen ist. Ich versuche deshalb immer, die Sängerinnen und Sänger vom musikalischen Text zu befreien. Ich finde, man sollte nach einer Körperlichkeit suchen, die den Darstellern von heute entspricht.

In diesem Fall sind das beispielsweise auch junge Tänzerinnen und Tänzer, die sich zu Walzermelodien aus dem 19. Jahrhundert bewegen sollen. Geht das zusammen?

In der Welt, die wir hier behaupten, spielt die Handlung auf einem grossen Ball. So fängt die Geschichte ja bei Gounod an. Bei uns ist es aber kein Ball aus dem 19. Jahrhundert, sondern einer von diesen Gesellschaftsbällen, die wir in den USA «Cotillion» nennen. Es ist ein ziemlich altmodisches

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Ritual, das wir heute aber noch immer pflegen. Ich glaube, daraus ergibt sich eine gute Grundspannung für unsere Erzählung. Auf solchen Debütantenbällen begeben sich junge Menschen in eine formelle Welt, in der sie zu Musik tanzen, die vor langer Zeit entstanden ist, wie eben beispielsweise der Walzer. Es ist eine Welt des Anstands und der Benimmregeln, die ich aber auch brechen will, etwa durch Juliettes Vater, Capulet. Für mich ist er eine dieser unvermeidlichen Figuren aus der Welt, die der Film The Wolf of Wall Street entwirft, also ein reicher Unternehmer, der sich alles erlauben kann, weil er glaubt, ihm gehöre die Welt.

Roméo und Juliette wachsen in dieser patriarchalisch bestimmten Welt auf, stehen selber aber in einem grossen Kontrast dazu. Siehst du das auch so?

Ja, es gibt in diesem Stück eine riesige Kluft zwischen den Geschlechtern, und auch das Libretto von Jules Barbier und Michel Carré ist ziemlich binär und sexistisch angelegt. Jedes Mal, wenn es um eine Frau geht, dreht sich alles nur um ihr Aussehen oder ihre Reinheit. Zum Beispiel, wenn Juliette auf dem Ball auftritt. Wenn ihr Vater über sie spricht, ist es ein bisschen, als ob Donald Trump sagt: «Ivanka ist so heiss! Wenn sie nicht meine Tochter wäre, würde ich sie daten». Es geht um Besitz und um den Körper als Kapital der Frau. Niemand würde in dieser Welt über Roméo sagen: Er ist so hübsch! Nein, das passiert nur den Frauen. Roméo selbst geht anders mit Juliette um. Er ist viel stärker an ihrem Wesen interessiert. Ihre Unterhaltungen sind von einem anderen, sensibleren Ton geprägt, und es gibt einen Austausch auf Augenhöhe. Für mich sind sie zwei Aussenseiter, die beide in einer besseren Welt leben wollen.

Gounod hat für Roméo et Juliette eine sehr lyrische Musik geschrieben, die sich stark den Gefühlen der beiden widmet. Wie gehst du beim Inszenieren mit dieser Emotionalität um?

Mir geht es immer darum, die Absichten von Figuren herauszuarbeiten. Die erste Arie von Juliette, «Je veux vivre», ist beispielsweise von einem beschwingten, träumerischen Charakter geprägt. Wenn man das genauso insze-

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niert und spielt, dann kommt dabei eine rosarote Disney-Prinzessin heraus, die in einem naiven Traum lebt. Das ist mir aber viel zu stereotyp. Für mich träumt Juliette in diesem Moment von einer anderen Welt, die mit ihrer aktuellen Realität nichts zu tun hat. Wenn die Sängerin hingegen ihre Sehnsucht nach einer besseren Zukunft und ihre Frustration über den Ist-Zustand zum Ausdruck bringt, dann wird die walzerselige Arie zu einem Subtext: Die Musik steht dann für den starken Wunsch, glücklich zu sein. Es geht mir immer darum, zu fragen: Wo zieht es den Charakter hin? Was will er? Bühnencharaktere, die alles haben, was sie wollen, finde ich etwas vom Langweiligsten überhaupt.

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Im dritten Akt der Oper werden Roméo und Juliette durch Pater Laurent verheiratet. Vor ihrem Tod bitten die beiden Gott um Verzeihung. Hat die Religiosität, die das Stück durchzieht, eine besondere Bedeutung für dich?

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Wir haben es in Gounods Fassung auf jeden Fall mit einer Gesellschaft zu tun, die an Gott glaubt und für die die Kirche eine Rolle spielt. Wenn verfeindete Gruppen einen Konflikt austragen, was zwischen den Capulets und den Montagues ja passiert, dann beobachtet man oft, dass die Religion beigezogen wird und eine starke Rolle dabei spielt, alle möglichen Dinge zu rechtfertigen, die anders nicht zu rechtfertigen sind. Auf der persönlichen Ebene von Roméo und Juliette glaube ich, dass sie mit Religion aufgewachsen sind und diese nicht gross hinterfragen. Wenn sie am Ende Gott um Verzeihung bitten, verstehe ich das eher als eine universale denn als eine tief religiöse Geste. Sie fühlen sich nicht schuldig, aber sie bereuen, dass sie für ihre Liebe so weit gehen mussten, sich das Leben zu nehmen.

Die beiden Librettisten haben Shakespeares Stück stark gekürzt. Gounods Oper entwickelt sich rund um vier grosse Liebesduette zwischen Roméo und Juliette. Welcher Dramaturgie folgt die Erzählung?

Das Libretto ist sehr geschickt angelegt, so nämlich, dass Roméo und Juliette immer wieder gestört und getrennt werden. Es ist den beiden bis zur letzten Szene nicht gestattet, ungestört zusammen zu sein. Sie wissen, dass man sie

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nicht zusammen sehen darf, und sind sich immer bewusst, in welcher Gefahr sie sich gerade befinden. Wenn man einmal selbst in der Situation gesteckt hat, sich irgendwo zu befinden, wo man eigentlich nicht sein sollte, dann weiss man, dass das mit einer grossen emotionalen Intensität einhergehen kann. Man kennt das ja auch aus Wagners Tristan und Isolde: Das heimliche Liebespaar befindet sich im zweiten Akt in dieser unerlaubten Situation, weil Isolde eine verheiratete Frau ist und den besten Freund ihres eigenen Mannes liebt. Sie wissen genau, wie gross die Gefahr ist, entdeckt zu werden. Aber die Zeit, die ihnen bleibt, wird dadurch viel kostbarer und intensiver.

Erzählt wird natürlich auch die Fehde zwischen den Capulets und den Montagues. Wie interpretierst du diese Figuren?

Roméos bester Freund Mercutio ist für mich eine berührende Figur, weil er eine gewitzte und lockere Haltung zur Welt hat und über vieles lachen kann. Dass ausgerechnet er zwischen den aggressiven Tybalt und seinen Freund

Roméo gerät und aus einer unbeteiligten Zuschauersituation plötzlich mitten in den Konflikt gezogen und getötet wird, ist ein sehr tragischer Moment im Stück. Diese Rolle des Zuschauers, der mitleidet, ist auch in aktuellen Konflikten nicht zu unterschätzen. Die übrigen Capulets und Montagues stehen alle für eine aggressive Welt, die von Männern geprägt ist. Sie sind ständig bereit, sich gegenseitig zu verprügeln. Es ist, als würde man sich auf einer gefährlichen Strasse befinden. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen und Beschimpfungen, die man schon in Shakespeares Text findet, sind leider auch in unserer Gesellschaft virulent. Es wird immer noch versucht, Konflikte durch Gewalt zu lösen.

Eine der bekanntesten Adaptionen des Stoffs ist Leonard Bernsteins West Side Story. Er zeigt den Konflikt zwischen den Capulets und den Montagues als ethnischen Bandenkrieg zwischen rivalisierenden Jugendlichen. Wie gehst du in deiner Inszenierung damit um? Wir wollten, dass die Capulets und die Montagues mehr oder weniger gleich aussehen. Wir wollen damit zeigen, dass es völlig unnatürliche Spaltungen in der Gesellschaft gibt. Diese unsinnigen, unsichtbaren Gräben werden von

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Generation zu Generation weitergegeben. Als ich ein Teenager war, sah ich im Kino immer Filme, in denen der Russe der Bösewicht ist. Solche Narrative prägen uns natürlich stark. Aber wir sollten aufhören, in Nationen zu denken. Wir wollen deshalb Montagues und Capulets zeigen, die am gleichen Ort leben und gleich aussehen, aber immer noch in der Tradition dieser Aggression stehen, die ihnen durch die Elterngeneration vermittelt wurde. Diese Generation zeigt den Kindern eben nicht nur, wen sie lieben sollen, sondern auch, wen sie hassen sollen. In unserer Inszenierung soll man sich die Frage stellen: Warum kämpfen die eigentlich miteinander? Ich weiss darauf keine Antwort.

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Das Gespräch führte Fabio Dietsche

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DASS ALLE WELT

SICH IN DIE NACHT

VERLIEBT

Romeo und Julia und ihre Nacht der ewig anhaltenden Liebe

Elisabeth Bronfen

Verliebte, meint Julia, brauchen kein Tageslicht, denn für ihre Riten der Liebe genügt ihnen das Licht der eigenen Schönheit. Die Liebe passt gut zur Nacht, denn beide sind blind. Julia behauptet von sich als Braut, sie sei ihre eigene Lichtquelle, und ruft zusammen mit der Nacht auch Romeo als Tag in der Nacht an. Als er sie auf dem Fest zum ersten Mal erblickte, hatte dieser gemeint: «Sie bringt den Fackeln bei, hell zu leuchten. Es scheint, sie hängt auf der Wange der Nacht wie ein kostbares Juwel im Ohr eines Äthiopers». Nun malt sie sich Romeo in ihrer Hochzeitsnacht aus: «Du wirst auf den Flügeln der Nacht weisser liegen als neuer Schnee auf dem Rücken eines Raben». Mit ihrer poetischen Sprache schafft sie somit einen nächtlichen Liebesraum, der die harte Welt des Tageslichtes konterkariert und den von ihr geforderten Familienstreit wendet. Dabei wird nicht nur die Nacht sprachlich erzeugt – als Bühne und geistige Haltung der Überschreitung. Julia gebiert sich auch als Heldin dieser Gegenszene. In ihrer erwartungsvollen Fantasie erzeugt sie sich als Regentin einer vom Sonnenlicht unabhängigen und diese überbietenden Nachtwelt.

Die Hochzeitsnacht, die Julia und Romeo in wenigen Stunden vollziehen werden, entfaltet dabei zwar eine nächtliche Heterotopie ausserhalb des täglichen Zwistes der Eltern. Doch obwohl in ihrem geheimen Ehebett Hass in Liebe umschlägt, können die beiden Liebenden der «Fortsetzung des Streits ihrer Eltern» nichts entgegen halten. Sie können diesen nur konsequent zu Ende

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führen, in ihrer Absage an alle irdischen Tage. Der geheime Vollzug der Ehe, von dem Julia auf ihrem Balkon erwartungsvoll träumt, hat zur Folge, dass, um jene Liebe zu erhalten, die nur an nächtlichen Schauplätzen auszuleben ist, die Braut diese Nachtwelt nicht mehr verlassen kann. Sie kann zwar die Vorzeichen des Treibens ihrer Eltern insofern wenden, als sie aus deren Streitsucht eine Liebeslust entstehen lässt. Doch sie bleibt deren unnachgiebiger Haltung verhaftet: Hat sie sich Romeo im Liebesritual einmal hingegeben, kann es nur noch ihre Nacht einer ungeteilten, ewig anhaltenden Liebe geben. Dass für diese Ausschliesslichkeit der Tod der Preis sein wird, ahnt Julia im voraus. Als Geschenk dafür, dass die Nacht den Geliebten sicher zu ihr führt, verspricht sie dieser dunklen Mutter, sie dürfe Romeo, wenn er erst einmal gestorben sei, auch wieder zu sich nehmen.

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Als Vorahnung sowohl der erotischen Selbstverschwendung, die sie sich von der Hochzeitsnacht verspricht, wie auch der tödlichen Folgen, die diese Überschreitung des väterlichen Gesetzes mit sich bringen wird, entwirft sie sprachlich ein Körperkunstwerk als Hommage an ihre nächtliche Liebe: «Nimm ihn und schneide ihn in kleine Sterne. Er wird das Antlitz des Himmels so verschönen, dass alle Welt sich in die Nacht verliebt und der grell blendenden Sonne niemand mehr huldigen wird.» Dient die im Monolog performativ erzeugte Nacht somit als Bühne ihrer erotischen Erwartungen, ist sie zugleich auch Indiz für die Haltung der beiden jungen Brautleute. Die können zwar in der Nacht das Licht ihrer Schönheit einführen, um sich dort einen Tag in der Nacht zu schaffen. Doch diesen Zustand, der die Grenzen zwischen Licht und Dunkel, Hass und Liebe, Verbot und Genuss verflüssigt, können sie nicht in ihren Alltag zurückführen. Die Absolutheit des Zwistes der Eltern erlaubt den Kindern nur eine ebenso absolute Flucht aus dem Tag.

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Julia:

O Romeo, Romeo! – Warum bist du Romeo?

Leugne den Vater, wehr dich deines Namens.

Oder wenn du nicht willst, bind dich an mich, Und ich will keine Capulet mehr sein.

Dein Name, nur dein Name ist mein Feind:

Du bleibst du selbst, auch ohne Montagu.

Was ist schon Montagu? Nicht Hand noch Fuss

Noch Arm noch Kopf noch irgend sonst ein Teil, Das einen Menschen macht. Tausch deinen Namen!

Was sagt ein Name? Das, was Rose heisst, Würd gleichsüss unter anderm Namen duften.

So bliebe Romeo, wenn er nicht Romeo hiesse, Die Makellosigkeit, die er besitzt, Auch ohne Titel. Romeo, lass den Namen!

Und für den Namen, der dich nicht besitzt, Besitze mich.

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Romeo:

Ich nehme dich beim Wort.

Nenn mich Geliebter, und du taufst mich neu.

Von da an will ich nie mehr Romeo sein.

William Shakespeare, Romeo und Julia, 2. Akt, 2. Szene

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Hier wütet Hass, doch Liebe wütet mehr.

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LIEBE IST KEIN SEHR KLUGES GEFÜHL

Die Soziologin Eva Illouz im Gespräch über die Liebe auf den ersten Blick und ihre Lesart von Shakespeares Drama

Frau Illouz, Romeo und Julia gilt als der Mythos der romantischen Liebe schlechthin. Inwiefern prägen solche Erzählungen das Verständnis unseres Liebesalltags bis heute?

Auf diese Frage gibt es in den verschiedenen Epochen unterschiedliche Antworten. Bei Gustave Flaubert im 19. Jahrhundert beispielsweise ergibt sich ein sehr klares Bild: Seine Figur Emma Bovary liest viele Romane, und die Darstellungen, die sie darin findet, prägen ihre persönlichen Vorstellungen, Erwartungen und Enttäuschungen auch im richtigen Leben stark. Heute ist das Verhältnis zwischen Mythos und Realität aber ambivalenter. Auf der einen Seite ist das Bild des glücklichen Paares allgegenwärtig. Die Kinder werden von klein auf damit konfrontiert, aber es sind heute eher Bilder, weniger Narrative. Visuelle Bilder prägen sich uns noch stärker ein. Andererseits führen wir heute auch sehr starke anti-romantische Diskurse: Jugendliche lernen alle möglichen Gründe, nicht an die romantische Liebe zu glauben. Mädchen glauben vielleicht, dass die romantische Liebe eine von Männern erfundene Ideologie ist, oder Jungen glauben, dass die Liebe eine Folge von Hormonen in ihrem Körper ist. Ob feministische Politik oder Wissenschaft, sie stellen den Mythos der Liebe in Frage, während dieser in der Kultur immer noch sehr präsent ist.

Romeo und Julia erzählt von der Liebe auf den ersten Blick und einem tragischen Ende. Die alltäglichen Aspekte einer Liebesbeziehung spielen dabei keine Rolle. Hat die Omnipräsenz dieses Mythos dazu geführt, dass wir einen allzu naiven Begriff von der Liebe haben?

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Naiv würde ich nicht sagen. Ich denke eher, dass beim Mythos der Liebe in gewisser Weise nie die Entwicklung im Fokus steht. Im Zentrum des Interesses steht immer der Moment der ersten Begegnung, weil sich dieser viel besser für das Drama eignet, das im Theater, im Kino und in der Literatur dargestellt wird. Die Liebe auf den ersten Blick ist im wahrsten Sinne des Wortes dramatisch, denn sie markiert einen Einschnitt, einen Bruch in unserem Alltag. Und solche Momente werden von fiktionalen Genres bevorzugt. Wenn es eine Naivität gibt, dann besteht sie darin, zu glauben, dass Liebe immer so weitergehen kann wie in diesem ersten Moment. Es ist sogar ein tiefgreifender Fehler, zu glauben, dass die weitere Entwicklung der Liebe fehlerhaft sei, wenn sie sich nicht so anfühlte wie ihr Beginn, denn diese Vorstellung hindert uns daran, die vielen anderen Möglichkeiten zu erkennen, wie wir lieben können. Die Liebe auf den ersten Blick haben insbesondere die Männer stets sehr gemocht. Bei Shakespeare und Gounod ist es ja ganz offensichtlich: Letztlich geht es auch Romeo nur um Julias Schönheit. Die Liebe auf den ersten Blick, als Moment totaler, nicht begründbarer Anerkennung, ist also ein Modell, das wir in Frage stellen sollten. Nicht nur, weil es wenig oder gar nichts mit der Entwicklung von Beziehungen zu tun hat, die auf Wissen und Vertrautheit beruhen, sondern auch, weil es den männlichen Blick und die Schönheit der Frau privilegiert. Es ist eine beschränkte und enge Sichtweise der Liebe. Nicht sehr interessant, muss ich sagen. Vergleichen Sie dies mit der Liebe Desdemonas zu Othello: Sie verliebt sich in ihn, als sie von seiner Knechtschaft und seinen Leiden hört und als sie sich seines aufrichtigen Charakters bewusst wird. Das ist etwas ganz anderes.

In Ihrem Buch Warum Liebe weh tut zeigen Sie, dass unser Liebesverhalten heute von einem freien Markt geprägt ist, in dem wir unzählige Möglichkeiten haben. Gleichzeitig erklären Sie am Beispiel von Romeo und Julia, dass es ein Verlangen nach einem «einzigartigen» und «unvergleichlichen» Liebesobjekt gibt …

Ich gehe von zwei verschiedenen Modalitäten aus: Die eine würde ich als Supermarkt-Modalität bezeichnen. Das heisst, man kann in einem breiten Angebot stöbern und eine Auswahl treffen. Typischerweise ist das die Situation

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auf einer Dating-App. Die andere Modalität nenne ich die AuktionshausModalität. Das bedeutet, man hat ein einzelnes Objekt, das nicht in einem Wettbewerb steht, und muss entscheiden, wie wertvoll es ist. Im Auktionshaus sieht man eine einzigartige antike Vase und muss sich überlegen, ob man bereit ist, 3000 Euro dafür zu zahlen oder nicht. In beiden Modalitäten sind die ökonomischen Bedingungen, mit denen man jemandem einen Wert zuschreibt, also damit verbunden, emotionale Bindungen einzugehen oder eben nicht. Die grosse Auswahl erschwert heute natürlich die Suche nach dem Einzigartigen. Aber die beiden Zustände existieren eben gleichzeitig. Die Auktionshaus-Modalität führt dazu, dass man die Einzigartigkeit eines Objekts besser erkennt und ihm einen höheren Wert zuschreibt. Aber das bedeutet im Gegenzug nicht, dass die Menschen nicht glücklich sind, wenn sie eine grosse Auswahl haben. Sie geniessen es.

In Shakespeares Tragödie übersehen wir oft, dass Romeo vor Julia «eine gleicher massen intensive und unmögliche Leidenschaft» zu Rosaline durchmachte, so schreiben Sie. Lesen wir diese berühmte Liebestragödie also zu oberflächlich? Ist Romeos Liebe gar nicht so einzigartig, wie wir denken?

Es kann nicht sein, dass Shakespeare Romeos Liebe zu Rosaline umsonst erwähnt. Ich glaube, er hat sich viel stärker über Romeo lustig gemacht, als wir heute glauben. Wir sollten nicht vergessen, dass Liebe im 16. Jahrhundert ein sehr dürftiger Grund zum Heiraten war und dass sie von der damaligen Medizin oft als eine Form des Wahnsinns verstanden wurde. Wir sollten auch nicht vergessen, dass Shakespeare auch den Sommernachtstraum geschrieben hat. Ich kann mir schwer vorstellen, dass er die Liebe in einem Stück enorm ernst nimmt, während er sich im anderen darüber lustig macht. Meiner Meinung nach macht er sich auch in Romeo und Julia darüber lustig. Wir sehen Romeo zunächst todunglücklich über die unmögliche Liebe zu Rosaline, und fünf Minuten später existiert für ihn nur noch Julia. Gibt es eine bessere Möglichkeit, sich über die Gefühle der Liebe lustig zu machen?

Ich bin keine Shakespeare-Spezialistin, aber ich glaube, wir haben Romeo und Julia zu einseitig gelesen. Wir interpretieren die Liebe mit dem Fokus

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auf den Tod, obwohl dieses Stück zeigt, dass die Liebe sich auch selbst zerstört und kein sehr kluges Gefühl ist. Das Stück enthält eine stärkere Kritik der Liebe, als wir denken.

Ob bei Shakespeare oder bei Gounod: Romeo und Julia wachsen in einer stark patriarchalisch geprägten Welt auf, in der die Geschlechterrollen klar verteilt sind. Das junge Paar selbst scheint diesen Geschlechterdualismus aber zu unterlaufen: Julia ergreift oft die Initiative, während Romeo eine feminine Tendenz hat. Zeigt sich daran, dass wir das Venus­MarsDenken in der Liebe überwinden sollten?

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Wir sollten den Menschen als das sehen, was er ist, nämlich als ein menschliches Wesen. Das ist eine Idee, die man im frühen Christentum findet. Da gibt es die Vorstellung, dass Gott kein Geschlecht hat, dass er androgyn ist. Und es gibt die Vorstellung von der Seele, die kein Geschlecht hat. Die zunehmende Sexualisierung von Frauen und Männern hat dazu geführt, dass es heute nicht nur eine grosse Distanz, sondern auch eine grosse Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gibt. Ich bin überzeugt, dass Ungleichheit toxisch ist. Da bin ich zutiefst feministisch. Diese Ungleichheit wäre nur erklärbar, wenn Männer und Frauen tatsächlich unterschiedliche Rollen in unterschiedlichen Sphären einnehmen würden. Das ist in unserer Gesellschaft aber nicht mehr der Fall und kann es auch nicht sein. Insofern ist auch das Venus-Mars-Denken nicht mehr zielführend. Wir haben uns sehr stark auf unsere Genitalien konzentriert, um zu sagen, schaut mal, wie unterschiedlich Männer und Frauen sind. Diese Unterschiede mögen ja vorhanden sein. Aber warum konzentrieren wir uns nicht viel stärker auf die Attribute, die uns verbinden? Männer und Frauen sind gleichermassen verletzlich, sie sind gleichermassen kreativ… Das zeigt, dass wir der gleichen Spezies angehören. Ich denke, die Gleichberechtigung ist heute der einzige Weg, der uns Liebe und vielleicht auch tragfähige politische Beziehungen ermöglicht.

In Gounods Oper nimmt Juliette nicht unbedingt eine untergeordnete Rolle ein. Sie ist Roméo gegenüber jedoch sehr zögerlich und prüft mehrfach, ob er es mit seinen Liebesschwüren ernst meint ...

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Wenn eine adelige Frau jemanden heiraten oder mit jemandem Sex haben wollte, der nicht von ihren Eltern ausgewählt wurde, dann war es ihre Pflicht zu prüfen, ob er nicht ein Verführer ist wie etwa Don Juan. Das Verführen einer Frau war ursprünglich ein Verbrechen gegen die Familie, für die der Verführer mit Gefängnis oder sogar mit dem Tod bestraft werden konnte. Ab dem 16. Jahrhundert werden die Familien bürgerlicher und die Väter versuchen die Heirat der Kinder zu kontrollieren. Wenn Gounod und seine Librettisten dieses Stück im 19. Jahrhundert auf die Opernbühne bringen, müssen sie Juliette zu einer sympathischen Figur für das bürgerliche Publikum machen. Juliette muss dem Publikum die richtigen Zeichen geben. Sie muss alle Beweise liefern, dass sie Roméo auf seine Treue überprüft. Wenn sie das nicht tut, fällt sie für das Publikum in die Kategorie der leichten Mädchen, wie etwa Violetta Valéry in Verdis La traviata. Ihr Verhalten zeigt dem bürgerlichen Publikum, dass sie tugendhaft und unschuldig ist.

Anders als Shakespeares Stück ist Gounods Oper von einer sentimentalen religiösen Tendenz geprägt. Bevor sie sterben, bitten Roméo und Juliette Gott um Verzeihung. Warum geht Gounod diesen Schritt?

Die Geschichten der christlichen Liebe und der romantischen Liebe sind eng miteinander verwoben. In gewisser Weise ist es sehr schwierig, die beiden auseinanderzuhalten. So sind im Christentum beispielsweise erotische Motive sehr präsent. Aber auch die Art und Weise, wie wir die romantische Liebe auffassen, ähnelt der christlichen Liebe: Es soll nur einen Gott geben, man soll das Gegenüber aus ganzem Herzen lieben wie ein Gläubiger, man darf weder Gott noch das Gegenüber in einer monogamen Beziehung betrügen. Wenn Roméo und Juliette am Ende der Oper um Vergebung bitten, ist das aber möglicherweise wieder ein Zeichen gegenüber dem Publikum. Indem Gounod sie zu Christen macht, werden sie vom bürgerlichen Publikum als tugendhafte Menschen gelesen.

Sie haben in einem Interview erwähnt, dass Sie an der christlichen Perspektive der Liebe interessiert sind. Warum?

Die christliche Religion hat ein sehr breites Verständnis von Liebe. Sie ist die

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Religion der Liebe, und damit ist nicht die romantische Liebe gemeint, sondern die Liebe als Prinzip. Ich bin daran interessiert, das Konzept der Liebe zu er weitern, denn ich habe das Gefühl, dass unsere Gesellschaft von der Idee der romantischen Liebe zwischen Mann und Frau besessen ist, also von der Vorstellung einer sexuellen Liebe, die alle anderen Formen, in denen Menschen sich lieben können, zum Schweigen gebracht hat. Deshalb ist die queere Revolution in gewisser Weise so wichtig, denn sie bringt mich zu einer Sichtweise, die der religiösen Definition von Liebe entspricht: Es gibt nicht nur einen Weg. Wir sollten die Definitionen von Liebe öffnen und sie nicht nur an Sexualität und Geschlechter rollen binden.

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Sie haben das Verhältnis von Emotionen und Kapitalismus intensiv untersucht. Gounods Oper wurde 1867 während der Pariser Weltausstellung uraufgeführt, die eine Leistungsschau des frühen Kapitalismus war. Die Oper war mit über hundert Vorstellungen ein grosser Erfolg. Ist das ein frühes Beispiel dafür, dass Emotionen vermarktbar sind?

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Dass Kunstwerke auf Emotionalität ausgerichtet sind, ist natürlich keine Erfindung des Kapitalismus. Die sakrale Kunst hat immer versucht, Menschen durch Emotionen zu bewegen. Wenn man eine Kreuzigung darstellt, möchte man, dass der Betrachter mit Gefühlen darauf reagiert. Die emotionale Verbindung ist in der künstlerischen Vermittlung der schnellste und stärkste Weg. Emotionen funktionieren so gut, weil sie der kleinste gemeinsame Nenner sind. Sie machen unser Menschsein aus. Mancher weiss vielleicht nicht, was eine Tautologie ist, aber jeder weiss, was Wut ist. Ausserdem glaube ich, dass uns Emotionen sehr stark auf uns selbst zurückwerfen. Wenn wir empfinden, sind wir sehr stark bei uns. Das Verlangen, Kunst zu konsumieren, geht also mit dem Verlangen einher, sich selbst intensiver zu spüren.

Die Sängerin Miley Cyrus hat gerade ein Album herausgebracht, in dem sie sich stark mit sich selber beschäftigt, aber überhaupt nicht an zweisamer Liebe interessiert ist: «I can love me better than you can» ist ein vielsagender Satz aus ihrem Song «Flower». Ist Selbstliebe die aktuelle Form von Liebe?

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Ich glaube, dabei spielen zwei Aspekte eine Rolle. Einerseits gibt es diese Vorstellung, dass man, um andere Menschen zu lieben, zuerst sich selbst lieben muss. Diese Idee der Selbstliebe wird von der gängigen Psychologie sehr gerne gefördert. Es gibt sogar die Ansicht, dass Selbstliebe ein Weg ist, die emotionalen Defizite zu heilen, die man in seinem Leben hat. Andererseits stelle ich fest, dass wir zunehmend zu einer Gesellschaft von unzusammenhängenden Atomen werden. Als Soziologin gehe ich aber davon aus, dass wir als Menschen zutiefst abhängig sind. Diese Abhängigkeit kann sich zum Beispiel als Liebe manifestieren, die wir von anderen brauchen und die wir anderen geben wollen. Als atomisierte Wesen fehlen uns diese Quellen, die uns nähren. Die Selbstliebe verstehe ich als ein Ersatz für dieses Defizit.

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Am Ende Ihres Buches Warum Liebe weh tut schreiben Sie, dass wir «alter native Modelle der Liebe» formulieren sollten. Wie könnten diese Modelle aussehen?

Ich meine damit, dass wir die Idee der Liebe nicht aufgeben sollten. Wir sollten sie aber auch nicht ausschliesslich auf die romantische Liebe beschränken. Die Liebe kann romantisch sein oder nicht. Sie kann sexuell sein oder nicht. Sie kann mit einer Person sein oder mit mehreren. Wir sollten uns öffnen und die Definitionen der Liebe erweitern.

Das Gespräch führte Fabio Dietsche

Eva Illouz ist eine der renommiertesten Soziologinnen unserer Zeit. Zu ihren bekanntesten Werken gehören die beiden Bücher «Warum Liebe weht tut» und «Warum Liebe endet».

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AN DER CÔTE D'AZUR AM MEER ODER IM SCHATTEN EINER KIEFER

Charles Gounod komponierte «Roméo et Juliette» in Südfrankreich. In Paris kam die Oper 1867 mit grossem Erfolg auf die Bühne.

Wie die meisten Komponisten im Umfeld der französischen Romantik hegte auch Charles Gounod (1818–1893) sein Leben lang eine starke Faszination für das Werk William Shakespeares. Vor allem die Tragödie Romeo and Juliet (1597) hatte ihn schon in jungen Jahren ergriffen und beflügelte seine musikalische Fantasie in verschiedenen Lebensabschnitten. Schon am Pariser Konservatorium hatte er 1839 die dramatische Sinfonie Roméo et Juliette von Hector Berlioz kennengelernt, die ihn tief beeindruckte. Zwei Jahre später begann Gounod in Rom mit der Arbeit an einer ersten eigenen Opernkomposition zu Shakespeares Tragödie. Fragmente dieses Jugendwerks haben sich in der Pariser Bibliothèque Nationale erhalten, die Musik blieb jedoch bis heute unaufgeführt. Sodann sollten allerdings mehr als zwei Jahrzehnte vergehen, ehe sich der Komponist erneut intensiv mit dem Thema beschäftigte.

Gounod entstammte einer aussergewöhnlichen Pariser Künstlerfamilie.

Sein Vater François-Louis Gounod (1758–1823) war bildender Künstler, seine Mutter Victoire Lemachois (1780–1858) eine ausgebildete Klaviervirtuosin. Als Charles gerade erst fünf Jahre alt war, starb der Vater, und dessen Freund, der berühmte Maler Dominique Ingres, wurde zu seinem wichtigsten Mentor. Den Weg zur Musik wies ihm indes die Mutter, die ihren Sohn zunächst zum Privatunterricht bei Anton Reicha und sodann zum Studium ans Pariser Conservatoire

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schickte. Bereits 1839 errang dieser mit der Komposition der Kantate Fernand den Rompreis (Prix de Rome), der ihm einen dreijährigen Aufenthalt in der Académie de France (Villa Medici) in den Jahren 1840 bis 1842 eintrug. Dort traf er erneut auf Ingres, der als Akademiedirektor in Rom wirkte und von den vielseitigen Talenten seines Schützlings so sehr überzeugt war, dass er die Ansicht vertrat, Gounod wäre auch als Maler berühmt geworden. Seine erhaltenen Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen bestätigen diese Einschätzung. Unter den zahlreichen künstlerischen und freundschaftlichen Begegnungen aus Gounods Zeit in Rom sollte sich diejenige mit der Sängerin Pauline Viardot-García als besonders folgenreich erweisen: Sie verhalf ihm später zu dem Auftrag für seine erste Oper Sapho, deren Uraufführung an der Pariser Opéra im Jahre 1851 mit Viardot in der Titelrolle stattfand. Eine weitere römische Bekanntschaft war jene mit Fanny Hensel (der Schwester Felix Mendelssohns) und ihrem Ehemann, dem Maler Wilhelm Hensel. Ihr verdankt sich vor allem Gounods gründliches Studium deutscher Instrumentalmusik. Im Anschluss an seinen Romaufenthalt bereiste Gounod monatelang Deutschland und Österreich. 1842 erhielt er in Wien Kompositionsaufträge für eine Messe und ein Requiem, und in Leipzig besuchte er Felix Mendelssohn, der eigens für seinen französischen Gast eine Aufführung seiner «Schottischen» Sinfonie ansetzen liess. 1843 konnte er im Alter von 25 Jahren in Paris seine erste feste Stelle als Kapellmeister an der Eglise des Missions étrangères antreten.

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In Paris verliebte er sich in die Tochter seines ehemaligen Klavierprofessors, Anna Zimmermann, die er 1852 heiratete. Etwa gleichzeitig übernahm er acht Jahre lang die Leitung der Pariser Chorvereinigung Orphéon, eine Position, die sein Wirken als Chorkomponist entscheidend beeinflusste. Seine zweite Oper La Nonne sanglante fand an der Pariser Opéra 1854 Anklang. Ein Jahr später folgten nicht nur die beiden klassizistisch geprägten Sinfonien, die Gounod im Auftrag des Orchesterleiters Jules Pasdeloup komponiert hatte, sondern auch die berühmte Cäcilienmesse, sein Hauptwerk im Bereich der geistlichen Vokalmusik.

Sodann begann er die Komposition seiner Oper Faust, deren Uraufführung schliesslich nach einigen Verzögerungen 1859 am Théâtre-Lyrique in Paris stattfand – im selben Jahr wie auch das berühmte Ave Maria, die Vokalfassung von

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Gounods Méditation sur le 1er prélude de piano de J. S. Bach. Mit Faust erklomm Gounod in den 1860er Jahren den Gipfel seiner Karriere und wurde zu einem der prominentesten Komponisten seiner Zeit. Weitere Opernaufträge schlossen sich in rascher Folge an: Philémon et Baucis (1860), La Colombe (1860), La Reine de Saba (1862) und Mireille (1864).

Nah am Original von Shakespeare und auf die Schlüsselszenen reduziert

Im Herbst 1864 verständigte sich Gounod mit dem Direktor des Théâtre-Lyrique Léon Carvalho und den beiden Autoren Jules Barbier und Michel Carré darauf, eine Oper über den Stoff von Shakespeares Romeo and Juliet in Angriff zu nehmen. Die Öffentlichkeit wurde hiervon erstmals durch eine Meldung in der Revue et Gazette Musicale de Paris am 27. November 1864 in Kenntnis gesetzt. Demnach sollte das Werk ursprünglich nur vier Akte haben. Aus der Korrespondenz zwischen Gounod und Barbier sowie derjenigen mit seiner Ehefrau Anna sind wir detailliert über die Entstehung informiert. Dabei ging auch für die literarische Bearbeitung die Initiative vor allem von Gounod aus, der sehr genaue Vorstellungen hatte, wie das Werk dramaturgisch gestaltet werden sollte. Wichtig war es ihm, möglichst genau am Original Shakespeares zu bleiben und dieses auf einige Schlüsselszenen zu reduzieren, die sich besonders für eine musikdramatische Darstellung eigneten. Zunächst hatte er vor, zahlreiche Szenen im gesprochenen Dialog zu belassen, um den Gang der Handlung nicht durch weitschweifige Rezitative zu verzögern. Im Laufe der Komposition nahm er jedoch hiervon Abstand und entschied sich für eine durchkomponierte Werkgestalt. Dabei beugte er sich nicht zuletzt dem Druck seines Verlegers Choudens, der von vornherein nicht nur den französischen, sondern auch den internationalen Markt im Blick hatte.

Im Zentrum des Werkes stehen die vier Duette zwischen den beiden Titelfiguren, die nacheinander die wichtigsten Stationen der Handlung vergegenwärtigen: Zunächst ihre erste Begegnung («Ange adorable», Akt 1), sodann die Balkonszene («O nuit divine», Akt 2), die Liebesnacht («Nuit d’hyménée», Akt 4)

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und schliesslich die Sterbeszene («Dieu! quelle est cette voix», Akt 5). Tatsächlich liegt eine wesentliche Besonderheit dieser Oper darin, dass die dramaturgische Grundstruktur des Werkes aus dieser Folge von Duettsituationen gebildet wird. Lediglich im dritten Akt gibt es kein Duett: Hier folgen die Szene im Kloster und das dramatische Finale mit dem tödlichen Streit zwischen den verfeindeten Familien aufeinander. Verglichen mit den gross angelegten Duetten kommt den wenigen Solonummern eine vergleichsweise untergeordnete Bedeutung zu.

Für den Kompositionsprozess benötigte Gounod Abstand von der lärmenden Metropole Paris und auch von seiner Familie. Daher zog er sich zum Komponieren nach Saint-Raphaël an die Côte d’Azur zurück. Anfang April 1865 reiste er in Begleitung seines Dieners mit dem Zug von Paris nach Fréjus und liess sich von dort mit einer Kutsche nach Saint-Raphaël bringen, wo er für mehrere Monate eine Villa gemietet hatte. Am 5. April schrieb er an Anna, er «arbeite entweder zu Hause oder im Freien, am Meer oder im Schatten einer Kiefer». Vier Tage später wurde er etwas konkreter: «Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr die Ruhe dieses Daseins zum Nachdenken anregt und zum Vorwärtskommen beiträgt. Das nenne ich Arbeit, wie sie mir mitten in Paris unmöglich wäre. Dort hätte ich nicht die nötige Ruhe für meine Gedanken. Hier kann mich nichts abhalten, ich schreite immer weiter voran, ohne dass etwas dazwischenkommt.»

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Dann zählte er auf, was ihm in diesen wenigen Tagen bereits gelungen war: «1. die gesamte Einleitung des ersten Aktes; 2. das Scherzo der Königin Mab; 3. das erste galante Duett zwischen Romeo und Julia bei ihrer ersten Begegnung auf dem Ball; 4. den Chor der Mönche, der den dritten Akt hinter der Bühne eröffnet; 5. die Kantilene des Ordensbruders Laurent.» Natürlich hatte er diese fünf Nummern noch nicht vollständig instrumentiert, sondern lediglich Melodie und Bass sowie hin und wieder Angaben zur Instrumentation in seinem Notizbuch festgehalten. Dennoch ist der Ertrag dieser wenigen Tage erstaunlich, denn damit hatte der Komponist bereits grosse Teile des ersten sowie den Beginn des dritten Aktes vollständig konzipiert.

Erstaunlich ist auch, dass er soweit voranschreiten konnte, obwohl das Textbuch zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht fertig vorlag. Vielmehr arbeiteten

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Barbier und Carré parallel am Libretto und schickten Gounod den Text in einzelnen Tranchen per Post nach Saint-Raphaël. Oftmals ging es dem Komponisten nicht schnell genug, sodass er sein Autorengespann antreiben oder notfalls sogar selbst dichterisch tätig werden musste. Doch im Grossen und Ganzen verlief alles nach Plan: Nach rund drei Monaten war die Oper im Skizzenbuch vollständig erfasst, und am 10. Juni 1865 konnte Gounod unter sein Manuskript schreiben: «Fin de Roméo et Juliette». Mit diesem Skizzenbuch im Gepäck reiste er sodann nach Paris zurück.

Die Instrumentation und Reinschrift der gesamten Partitur erfolgte sodann in einem zweiten Arbeitsschritt, der wesentlich mehr Zeit in Anspruch nahm als der eigentliche Kompositions- bzw. Konzeptionsvorgang. Diese zweistufige Arbeitsweise ist typisch für die meisten Opernkomponisten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Anders als zuvor beispielsweise noch Mozart, Rossini oder Donizetti, die ihre Partituren ohne vorherige Skizzen in einem einzigen Arbeitsvorgang innerhalb weniger Wochen von vorne bis hinten niederschrieben und dabei einen zuerst entworfenen Gerüstsatz aus Melodie und Begleitung sukzessive durch weitere Stimmen ausfüllten, entwickelte sich die Instrumentierung zu einem der immer aufwändigeren Vorgang, der erst im Anschluss an die vollständige Skizzierung erfolgte.

Die pariserische Seite der Oper und ihr Erfolg während der Weltausstellung

In Paris kamen auch noch einige Nummern hinzu, die er in Südfrankreich noch nicht konzipiert hatte, darunter die glamouröse Auftrittsarie der Juliette («Je veux vivre»), die als schneller Walzer gestaltet ist und gewissermassen die «mondäne», pariserische Seite der Oper repräsentiert. Auch die Ouvertüre wurde, wie damals üblich, nachträglich hinzukomponiert. Sie basiert auf dem Modell der seit der Barockzeit bekannten Grundform der «französischen Ouvertüre», bestehend aus einer langsamen, feierlichen Einleitung und einem schnellen Fugato. Ungewöhnlich ist dabei, dass letzteres in einen A cappella-Chor mündet – der Text dieses «Prologs» ist fast wörtlich aus Shakespeare übernommen.

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Mit diesen drei nachkomponierten Nummern (Walzerarie Juliettes, Ouvertüre und Prolog) war die Partitur am 11. September 1866 abgeschlossen.

Inzwischen liefen in Paris die Vorbereitungen für die Weltausstellung auf Hochtouren, die vom 1. April bis 3. November 1867 auf dem Champs de Mars stattfinden sollte. Die Premiere von Roméo et Juliette am 27. April 1867 fiel damit in den Zeitraum der Exposition Universelle und konnte mit grösstem Interesse einer internationalen Besucherschaft rechnen. Tatsächlich erwies sich Roméo et Juliette als die erfolgreichste Oper, die während der Weltausstellung in Paris uraufgeführt wurde. Anders als etwa Giuseppe Verdis nur wenige Wochen zuvor uraufgeführter Don Carlos, der nach relativ kurzer Zeit wieder abgesetzt wurde, konnte sich Gounods Oper während des gesamten Zeitraums der Weltausstellung behaupten und kam auf 89 Aufführungen allein im ersten Jahr.

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Ein Blick auf die Pariser Theaterspielpläne für 27. April 1867 verdeutlicht das immense Angebot an Opernaufführungen zur damaligen Zeit. An sechs Theatern gleichzeitig wurden allein an diesem Abend Musiktheateraufführungen geboten. Die Opéra präsentierte anstelle von Don Carlos wieder Giacomo Meyerbeers L’Africaine, die Opéra-Comique hatte Mignon von Ambroise Thomas im Programm, und am Théâtre-Italien spielte man Columella von Valentino Fioravanti. Gleich zwei Bühnen rivalisierten mit Aufführungen von Werken Jacques Offenbachs: Am Palais Royal gab man La Vie Parisienne, und im Théâtre des Variétés war La Grande Duchesse de Gérolstein zu erleben. Und last but not least fand am Théâtre-Lyrique die Uraufführung von Roméo et Juliette statt. In der Presse war das Echo auf die Premiere überwältigend. Le Figaro schrieb bereits am nächsten Tag, Roméo et Juliette könne zweifellos «unter die bewundernswertesten Opern des Jahrhunderts gerechnet werden» und erhebe sich «weit über alle Werke, die in den letzten Jahren zu erleben waren». Und in Le Ménestrel war zu lesen, Gounods Oper habe die älteren Romeo-und-JuliaVertonungen von Nicola Vaccai und Vincenzo Bellini für alle Zeit in den Schatten gestellt. Allerdings wurden schon im Laufe der ersten Spielzeit zahlreiche Änderungen vorgenommen. Dem Tenor Pierre-Jules Michot, der die Rolle des Roméo übernommen hatte, war dessen Arie «Ah! lève toi, soleil» im 2. Akt auf die Dauer zu hoch, so dass sie von H-Dur nach B-Dur transponiert werden

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musste. Zudem wurden zahlreiche Kürzungen vorgenommen, infolge deren sich die Aufführungsdauer auf knapp zweieinhalb Stunden reduzierte. Wesentlich dramatischer als diese Eingriffe in die Werkgestalt war jedoch die finanzielle Situation des Théâtre-Lyrique: Bereits 1868 musste der Direktor Léon Carvalho Bankrott anmelden, und das Theater wurde geschlossen. Somit endete auch die Aufführungsgeschichte von Faust und Roméo et Juliette an diesem Theater abrupt.

Gounod wollte verständlicherweise nicht auf die Einnahmen seiner beiden Erfolgsstücke verzichten und schickte sich an, Faust und Roméo et Juliette anderen Pariser Theatern anzubieten. So wechselte Faust bereits ein Jahr später an die Grand Opéra und stieg dort innerhalb kurzer Zeit zum meistgespielten Werk auf. Roméo et Juliette hatte zunächst weniger Glück, denn kurz darauf zogen dunkle Wolken am Horizont auf. Während des Deutsch-Französischen Kriegs kam das Pariser Opernleben 1870/71 zeitweilig zum Erliegen. Im September 1870 emigrierte Gounod mit seiner Familie nach London, sein Privathaus in Saint-Cloud wurde beim Angriff auf Paris von preussischen Kanonen zerstört. Anzeichen von Depressionen, die sich schon in früheren Jahren manifestiert hatten, traten nun deutlicher hervor, und Gounod verbrachte die nächsten vier Jahre in London. 289mal an der Opéra-Comique und der Wechsel an die Grand Opéra

In Paris hatten sich die Verhältnisse nach dem Krieg und den anschliessenden politischen Unruhen allmählich wieder normalisiert, und auch der Opernbetrieb lief bald wieder auf Hochtouren. Nachdem Faust erfolgreich von der Opéra übernommen worden war, zeigte sich nun die Opéra-Comique an Roméo et Juliette interessiert. Da sich der Komponist jedoch weiterhin in London aufhielt, stand er für die Bearbeitung und Einstudierung des Werkes an dem neuen Theater nicht zur Verfügung. Daher beauftragte Gounod seinen Meisterschüler Georges Bizet, sich um die Einrichtung von Roméo et Juliette zu kümmern. Brieflich teilte er Bizet seine Änderungs- und Kürzungswünsche mit, darunter

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die Streichung der Arie des Klosterbruders und eines Chores im dritten Akt, eines weiteren Chores im vierten Akt sowie des Dialogs der beiden Mönche im fünften Akt. Durch diese Eingriffe reduzierte der Komponist die in der ursprünglichen Fassung stark hervortretende religiöse Dimension zu Gunsten einer strafferen Handlungsführung. Historisch bedeutsam wurde die Premiere von Roméo et Juliette an der Opéra-Comique am 20. Januar 1873 auch deshalb, weil es sich um die erste Aufführung einer durchkomponierten Oper ohne gesprochene Dialoge an diesem Theater handelte. Roméo et Juliette wurde in den Jahren 1873 bis 1887 insgesamt 289mal an der Opéra-Comique gespielt. Doch am 25. Mai 1887 ereignete sich eine Katastrophe: Während einer Vorstellung der Oper Mignon geriet das Theater in Brand, und mehr als 400 Zuschauer kamen ums Leben.

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Nun war der Zeitpunkt gekommen, dass auch Roméo et Juliette an die Grand Opéra wechselte. Hierfür waren allerdings Anpassungen an die Gepflogenheiten der französischen grossen Oper erforderlich, zu denen vor allem die Präsenz von Balletteinlagen und grossen Chornummern zählte. Gounod, der seit 1874 wieder in Paris lebte und allgemein als der führende französische Komponist galt, komponierte nun also eine Ballettmusik für den vierten Akt hinzu. Ausserdem nahm er weitere Veränderungen in der Partitur vor, die nun ihre dritte und endgültige Fassung erhielt. Eine wesentliche Erweiterung erfuhr dabei das Finale des dritten Aktes. Gänzlich neu eingeführt wurde die Rolle des Herzogs von Verona, der nun das Urteil verkündet und Roméo in die Verbannung schickt. Ebenfalls eine Ergänzung der Fassung von 1888 ist das Arioso Roméos («Ah! jour de deuil») mit dem hieran anknüpfenden monumentalen Schlusschor am Ende des dritten Aktes.

In dieser endgültigen Version wurde Roméo et Juliette von 1888 bis heute allein an der Pariser Oper insgesamt mehr als 650mal gespielt. Diese Fassung letzter Hand liegt auch der Zürcher Produktion zu Grunde, die allerdings auf das Ballett verzichtet und zudem kleinere Kürzungen vornimmt.

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Einzige Liebe, die im einzgen Hass sich fand!

Shakespeare, Romeo und Julia, 1. Akt (Julia)

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ROMÉO ET JULIETTE

CHARLES GOUNOD (1818–1893)

Drame-lyrique in 5 Akten

Libretto von Jules Barbier und Michel Carré

nach der Tragödie von William Shakespeare

Personen

Roméo Montaigu Tenor

Stéphano Mezzosopran

Mercutio Bariton

Benvolio Tenor

Juliette Capulet Sopran

Le Comte Capulet Bass

Gertrude Mezzosopran

Tybalt Tenor

Le Comte Pâris Bariton

Grégorio Bariton

Frère Laurent Bass

Le Duc de Vérone Bass

PROLOGUE

CHŒUR

Vérone vit jadis deux familles rivales, Les Montaigus, les Capulets, De leurs guerres sans fin, à toutes deux fatales, Ensanglanter le seuil de ses palais.

Comme un rayon vermeil brille en un ciel d’orage, Juliette parut, et Roméo l’aima !

Et tous deux, oubliant le nom qui les outrage, Un même amour les enflamma !

Sort funeste ! aveugles colères !

Ces malheureux amants payèrent de leurs jours

La fin des haines séculaires

Qui virent naître leurs amours !

PREMIER ACTE

Le bal chez les Capulets.

Une galerie splendidement illuminée, chez les Capulets. Seigneurs et dames en dominos et masqués.

N° 1 INTRODUCTION

CHŒUR

L’heure s’envole

Joyeuse et folle, Au passage il faut la saisir !

Cueillons les roses

Pour nous écloses

Dans la joie et dans le plaisir.

Tybalt et Pâris entrent en scène, leur masque à la main.

TYBALT

Eh bien ! cher Pâris, que vous semble

De la fête des Capulets ?

PARIS

Richesse et beauté tout ensemble

Sont les hôtes de ce palais !

TYBALT

Vous n’en voyez pas la merveille,

OUVERTÜRE PROLOG

CHOR

Verona sah einst zwei verfeindete Familien, die Montagues, die Capulets, in endlosen, für beide verhängnisvollen Kämpfen die Schwellen ihrer Paläste mit Blut beflecken. Wie ein rosiger Schein am Gewitterhimmel strahlend erschien Julia, und Romeo liebte sie! Und beide vergassen den Namen, der sie schändete, und gleiche Liebe entflammte sie. Unheilvolles Schicksal! Blinder Zorn! Das unglückliche Paar bezahlte mit dem Leben das Ende des ewigen Hasses, der ihre Liebe wachsen sah!

ERSTER AKT

Der Ball der Capulets.

Ein glänzend erleuchteter Festsaal im Palast der Capulets. Herren und Damen in Dominos und Masken.

NR. 1 INTRODUKTION

CHOR

Die fröhliche, heitere Stunde ist schnell vorbei. Halten wir sie fest, bevor sie enteilt! Pflücken wir die Rosen, die für uns erblüht sind, voller Freude und Glück!

Tybalt und Paris erscheinen, ihre Masken in der Hand.

TYBALT

Nun, werter Paris, was haltet Ihr von diesem Fest der Capulets?

PARIS

Glanz und Schönheit gemeinsam sind Gäste in diesem Palast.

TYBALT

Ihr habt noch nicht das Wunder gesehen,

OUVERTURE

Le trésor unique et sans prix,

Qu’on destine à l’heureux Pâris.

Regardez ! regardez ! la voici, conduite par son père.

Capulet entre en scène conduisant Juliette par la main.

A son aspect tout le monde démasque.

CAPULET

Soyez les bienvenus, amis, dans ma maison !

A cette fête de la famille

La joie est de saison, la joie est de saison !

Pareil jour vit naître ma fille !

Mon cœur bat de plaisir encore en y songeant !

Mais excusez ma tendresse indiscrète !

présentant Juliette

Voici ma Juliette !

Accueillez-la d’un regard indulgent.

LES HOMMES avec admiration

Ah ! qu’elle est belle ! Ah ! qu’elle est belle !

On dirait une fleur nouvelle

das einzigartige, unschätzbare Kleinod, das man Euch Glücklichem bestimmt hat.

Seht nur, seht! Da ist sie, ihr Vater führt sie.

Capulet führt Julia an der Hand in den Festsaal. Alle nehmen ihre Masken ab, als sie ihn sehen.

CAPULET

Seid mir willkommen, Freunde, in meinem Haus! Bei diesem Familienfest ist Freude angesagt!

An solch einem Tag wurde meine Tochter geboren!

Mein Herz klopft noch immer vor Freude, wenn ich daran denke!

Doch verzeiht, dass ich meine Zärtlichkeit so offen zeige.

stellt Julia vor

Das ist meine Julia! Begrüsst sie mit Wohlwollen.

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Qui s’épanouit au matin !

LES FEMMES

Ah ! qu’elle est belle ! Ah ! qu’elle est belle !

Elle semble porter en elle

Toutes les faveurs du destin.

TOUS

DIE HERREN voller Bewunderung

Oh, wie schön sie ist! Oh, wie schön sie ist! Wie eine frische Blume, die sich dem Morgen öffnet!

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Ah ! qu’elle est belle ! qu’elle est belle !

On entend le prélude d’un air de danse.

JULIETTE

Ecoutez ! écoutez !

C’est le son des instruments joyeux

Qui nous appelle et nous convie !

Ah ! – Tout un monde enchanté semble naître à mes yeux !

Tout me fête et m’enivre, et mon âme ravie

S’élance dans la vie

Comme l’oiseau s’envole aux cieux !

CAPULET

Allons ! jeunes gens !

Allons ! belles dames !

Aux plus diligents

Ces yeux pleins de flammes !

Nargue ! nargue des censeurs

DIE DAMEN

Oh, wie schön sie ist! Oh, wie schön sie ist! Sie scheint alle guten Gaben des Schicksals in sich zu vereinen!

ALLE

Oh, wie schön sie ist! Wie schön sie ist! Die ersten Takte eines Tanzes sind zu hören.

JULIA

Hört nur, hört!

Das ist der Klang fröhlicher Instrumente, die uns rufen und einladen!

Ah! – Eine Zauberwelt scheint sich mir zu öffnen! Alles blendet und berauscht mich, und meine verzückte Seele schwingt sich hinein in das Leben, wie sich ein Vogel zum Himmel erhebt!

CAPULET

Voran! Ihr jungen Leute!

Voran! Schöne Damen! Auf die Eifrigsten richtet eure glutvollen Augen!

Achtet nicht auf jene Sittenrichter,

Programmheft ROMÉO ET JULIETTE

Drame-lyrique in 5 Akten von Charles Gounod Premiere am 10. April 2023, Spielzeit 2022 / 23

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Herausgeber Opernhaus Zürich

Intendant Andreas Homoki Zusammenstellung, Redaktion Fabio Dietsche Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli

Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing Telefon 044 268 66 33, inserate@opernhaus.ch Schriftkonzept und Logo Studio Geissbühler

Druck Fineprint AG

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Textnachweise:

Die Handlung, die Gespräche mit Ted Huffman und Eva Illouz sowie der Beitrag von Arnold Jacobshagen sind für dieses Programmheft entstanden. Weitere Quellen: Elisabeth Bronfen, Auszug aus dem Kapitel: Shakespeares Nächte (Kürzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin), in: Tiefer als der Tag gedacht, Eine Kulturgeschichte der Nacht, München 2008. William Shakespeare, Romeo und Julia, Deutsche Übersetzung von Frank Günther, München 1995.

Bildnachweise:

Herwig Prammer fotografierte die Klavierhauptprobe am 30. März 2023.

Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

nah dran

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