Il viaggio a Reims

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IL VIAGGIO A REIMS

GIOACHINO ROSSINI


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IL VIAGGIO A REIMS GIOACHINO ROSSINI (1792-1868)

Partner Opernhaus Z端rich






HANDLUNG I. Ein Kur- und Badehotel in der französischen Provinz. Es ist früh am Morgen, und die Empfangschefin der luxuriösen Anstalt (Maddalena) versammelt ihre Angestellten um sich. Sie inspiziert die Frühstücksvorbereitungen und ruft zu besserer Arbeitsmoral auf, damit die Hotelgäste ihren Aufenthalt in guter Er­ inne­r ung behalten. Derzeit vor Ort ist eine Gruppe gutsituierter Damen und Herren aus zahlreichen europäischen Ländern, die an diesem Tag gemeinsam zu Krönungsfeierlichkeiten nach Reims aufbrechen wollen. Doch noch ist kein Mitglied dieser elitären Reisegesellschaft in Sicht. Stattdessen erscheint der me­ di­zinische Direktor des Kurhotels (Don Prudenzio) und stellt kurzfristig die Reise­fähigkeit der Hotelgäste in Frage. Die Gründe seiner Einschätzung bleiben im Dunklen. Kurz darauf erscheint die Besitzerin des Kurhotels Madama Corte­ se. Sie schwärmt von der Klarheit des morgendlichen Himmels und beschwört die anwesenden Angestellten, sich mit aller Hingabe den Spleens und Vorlieben der Hotelgäste zu widmen.

II. Überraschend erscheint in diesem Augenblick die Gräfin Folleville. Die modeversessene Dame erwartet ungeduldig eine Lieferung neuester Accessoires und bedauert, dass der von ihr verehrte Offizier Belfiore sich in diesen bangen Minu­ ten nicht an ihrer Seite befindet. Als ihr Cousin Don Luigino eintrifft und der Gräfin die Nachricht von einem ernsthaften Transportproblem mit den von ihr bestellten Waren überbringt, fällt die Gräfin in Ohnmacht. Der medizinische Direktor des Hotels sowie ein deutscher Major namens Baron von Trombonok eilen herbei, um erste Hilfe zu leisten. Als im Moment eines befürchteten Herzstillstands doch noch ein kleines Paket mit einem Hütchen aus Paris auftaucht, kann die aus der Ohnmacht erwachte Gräfin Folleville ihr Glück kaum fassen.


III. Nach kurzem (und unerwartetem) Intermezzo ruft Baron von Trombonok die Intensivierung der Reisevorbereitungen aus. Zu ihm gesellen sich der italienische Literat Don Profondo, der spanische Admiral Don Alvaro, der russische General Graf von Libenskof, die polnische Generalswitwe Melibea sowie die Hotelchefin Madama Cortese. Während die Genannten in gemeinsamer Konferenz neueste Details des Reisevorhabens diskutieren, entbrennt auf einmal ein Streit. Libenskof wirft seiner Geliebten Melibea vor, ihn mit Don Alvaro zu betrügen. Glücklicherweise erscheint in diesem Augenblick die italienische Improvisationssänge­ rin Corinna, die für beschwichtigende Ablenkung sorgt.

IV. Ganz allein betritt ein weiteres Mitglied der Reisegesellschaft den Raum. Es ist der britische Militär Lord Sidney, der heimlich in die Sängerin Corinna verliebt ist. Durchaus verzweifelt, hat er eine Gruppe von Floristinnen zu sich bestellt, die ihm Blumengestecke für die Angebetete entwerfen sollen.

V. Nachdem Lord Sidney verschwunden ist, erscheint Corinna. Sie ist sehr erfreut über die vorgefundenen Blumengeschenke. Zu ihrem Unglück erscheint jedoch in diesem Moment der Offizier Belfiore, der umstandslos damit beginnt, Corin­ na zu umwerben.

VI. Don Profondo, der die Begegnung von Belfiore und Corinna heimlich belauscht hat, widmet sich nach kurzem Kommentar der Erstellung einer Liste, in der er die persönlichen Besitztümer aller Mitglieder der Reisegruppe festhält. Er ist voller Vorfreude auf die bevorstehende Abreise.

– Pause –


VII. Die Reisegesellschaft sitzt beieinander und wartet darauf, endlich aufbrechen zu können. Man wundert sich über die lange Verzögerung der Abreise. Plötzlich platzt ein Bote mit der Nachricht herein, dass die Reise zu den Krönungsfeierlich­ keiten am heutigen Tage nicht stattfinden könne, da alle benötigten Pferde ver­ schwunden seien. Grosse Bestürzung unter den Anwesenden. Doch die Trauer ist nicht von langer Dauer: die Hotelbesitzerin Madama Cortese erscheint mit der Nachricht, dass am folgenden Tag eine weitere Feier zu Ehren des Neugekrönten in Paris stattfinden wird. Um die erneute Wartezeit zu überbrücken, würde das Kurhotel für alle Gäste eine Party ausrichten. Die Begeisterung über den Vorschlag der Hotelchefin ist riesig.

VIII. Am Rande der Vorbereitungen zur Party kommt es zur Begegnung von Graf von Libenskof und Melibea. Der Graf bittet um Vergebung für die von ihm aus Eifersucht erhobenen Verdächtigungen, Melibea jedoch ist nachhaltig beleidigt. Erst ganz am Ende der Begegnung wird dem Graf eine Versöhnung in Aussicht gestellt.

IX. Nach letzten Abstimmungen unter den Hotelangestellten beginnt das Fest mit dem Auftritt einer eigens engagierten fahrenden Unterhaltungstruppe. An­schlies­ send stimmen die Mitglieder der Reisegesellschaft Lieder und Hymnen ihrer Heimatnationen an und bitten Corinna zur Feier des Tages um eine exklu­sive Gesangsimprovisation.





KLINIKAUFENTHALT FÜR EUROPAPATIENTEN Der Regisseur Christoph Marthaler im Gespräch

Christoph Marthaler, Il viaggio a Reims ist wohl Rossinis verrücktestes Werk und voll von absurden Situa­tio­­nen. Ich nehme an, dass Sie nicht lange gezögert haben, als man Ihnen diese Oper angeboten hat? Ich habe tatsächlich nicht sehr lange gezögert. Eine Oper, die sich im Wesent­lichen damit beschäftigt, dass eine Gruppe von Menschen gemeinsam in einem Hotel festsitzt, und zwar deshalb, weil angeblich alle Pferde verschwunden sind, ist ja doch ziemlich einzigartig in der Opernliteratur. Dass diese Gesellschaft der zum Warten Verurteilten dann auch noch eine explizit europäische ist, eine Gruppe von Franzosen, Deutschen, Russen, Italienern, Spaniern und Engländern, die sich mit den Unterschieden ihrer nationalen Identitäten offensiv beschäftigen, ist überdies un­gewöhnlich und ermöglicht eine entsprechende Perspektive beim Inszenieren. Beide Aspekte bieten auf den ersten Blick eine sehr interessante Ausgangslage dafür, sich mit diesem Werk auseinandersetzen zu wollen. Gleichzeitig jedoch hält Rossinis Partitur einige mehr oder weniger starke Nebenwirkungen bereit, zum Bei­spiel die Personalfülle: Insgesamt 13 Hauptfiguren mit äusserst komplizierten Namen und undurchschaubaren Verwandtschafts- bzw. Bekanntschaftsverhältnissen, dazu noch fünf weitere kleine Rollen – so etwas stellt einen zu Probenbeginn vor einige Probleme. Für meine Arbeit ist von zentraler Bedeutung, sich die Zeit zu nehmen, um die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, erst einmal kennenzulernen. Anders kann ich gar nicht anfangen. Dieser Prozess hat bei Il viaggio entsprechend viel Raum eingenommen und den Moment verschoben, an dem wir uns bewusst wurden, dass der Handlungsstillstand, von dem diese Oper berichtet, nicht nur ein inspirierendes Phänomen darstellt, sondern ziemlich grundsätzliche Fragen an die Herangehensweise stellt.


Ganz abgesehen von dem Umstand, dass es uns nach den schockierenden Ereig­nissen in Paris vom 13. November fragwürdig erscheint, sich mit einem Stoff zu beschäftigen, der sich auf vornehmlich alberne Weise mit Frankreich aus­ei­nandersetzt, mit Krönungsfeierlichkeiten, teuren Hotels und verschwundenen Pferden. Manchmal kommt es mir so vor, als täten wir beim Inszenie­ren von Il viaggio in diesen Tagen nichts anderes als das, was auch die Figuren aus Rossinis Oper betreiben: sich in Zeiten beklemmender gesellschaftlicher Entwicklungen mit groben Nebensächlichkeiten zu beschäftigen. Ich frage mich dann, ob man das überhaupt machen kann und soll. Mit dem Händel-Projekt Sale haben Sie am Opernhaus Zürich vor drei Jahren eine Art «Pasticcio» auf die Bühne gebracht, das sich aus Arien, Duetten und Instrumentalstücken verschiedener Opern Händels zu­ sammen­setzte. Auch Il viaggio hat durchaus etwas Revuehaftes: Rossini präsentierte sich in Paris mit einer Oper, die aus einer Aneinanderreihung von Arien, Duetten und Ensembles besteht. Das «Singen» an sich steht also sehr im Vordergrund. Wie steht es um die Geschichte in dieser Oper? Il viaggio besteht aus mehreren kleineren Episoden, die verhältnismässig unverbunden nebeneinander stehen. Man hat es also mit einer sehr einfachen Rahmenerzählung zu tun sowie mit zahllosen Miniaturgeschichten, die grösstenteils weder vorbereitet werden, noch irgendeine Entwicklung erfahren. Insofern trifft die Gattungsbezeichnung «Kantate», mit der Rossini sein Werk ursprünglich versehen hat, absolut zu: ein eher konzertant konzipiertes Werk mit Handlungselementen, bei dessen Aufführung sich die Sänger auf ihre Stimme konzentrieren können (und müssen). Dazu kommt, dass man sich nie ganz sicher sein kann, inwieweit Il viaggio insgesamt eine Parodie dar­stellt auf die zu Rossinis Zeit vorherrschenden Opernmodelle. Mir kommt es schon so vor, als wenn er bestimmte tradierte Opern­elemente ad absurdum führt. Auch auf der Handlungsebene. Anstatt sich einer einzigen Geschichte zuzuwenden, die in die eine oder andere Verwicklung ab­gleitet, reisst er unglaublich viele kleine Situationen an, fast so, als befände man sich inmitten einer zugespitzten Form von Telenovela, bei der sich kaum noch jemand an den Ausgangsplot erinnern kann. Und selbst dieser ist in Il viaggio nicht ganz

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eindeutig. Gleich zu Beginn tritt nämlich ein Arzt in Erscheinung, der den Hotelgästen attestiert, sie seien noch nicht in der Verfassung, um ihre Reise zur Krönung Karls des X. anzutreten. Da kommt man durcheinander. Sind die fehlenden Pferde(-stärken) der Grund für die nicht stattfindende Reise, oder handelt es sich beim Hotel zur Goldenen Lilie (wie der Aufenthaltsort der Figuren in der Partitur genannt wird) doch eher um eine Klinik, in der ziemlich angeschlagene Patienten davon abgehalten werden müssen, sich ihrem Zustand entsprechend unvernünftig zu verhalten? Vielleicht hat man es also entgegen aller Angaben mit einem Ort für elitäre Behandlungen zu tun, die nur für Mitglieder einer elitären Gesellschaft erschwinglich sind; mit einer Klinik für psychosomatische Problemfälle, in der man nebenbei auch Teile seines Körpers korrigieren kann und viel Geld dafür ausgibt, einer ausgeprägten Selbstbezogenheit nachgehen zu können. Wollen oder dürfen oder können die Figuren ihren Aufenthaltsort nicht verlassen? Rossini lässt in Il viaggio diesbezüglich einiges in der Schwebe. Dies erinnert immer wieder an die Gesetze des Unverhältnismässigen aus den Filmen Luis Buñuels. Was genau sind das für Menschen, denen wir in Rossinis Oper begegnen? In unserer Zürcher Besetzung stellt es sich folgendermassen dar: Der Russe ist ein Mexikaner, die Polin eine Russin, die Österreicherin eine Italienerin, der Deutsche ein Ukrainer, der Franzose ein Sänger aus Uruguay, der Eng­län­der ein Argentinier, der Italiener ein Amerikaner und der Spanier ein Bariton aus der Slowakei. Nur die Französin, La Contessa di Folleville, ist tatsächlich eine Französin. Man könnte also sagen, dass das Figurenverzeichnis aus Viaggio und die Nationalitäten unserer Sänger ein Babylon von überforderndem Ausmass ergeben. Sich vorzustellen, dass diese Gesellschaft zur Krönung eines französischen Königs reisen möchte, erscheint vollkommen abwegig. Da die historischen Umstände, denen Rossini seine Oper widmete, uns heute sehr weit weg erscheinen, kann es in einer gegenwärtigen Inszenierung von Il viaggio in keinem Fall um den historischen Karl X. gehen. Und auch nicht um die Verherrlichung einer einzigen grossen französischen Nation (so wie es am Ende der Oper offensichtlich geschieht). Vielmehr rückt etwas in den Vordergrund, was man als Zustandsbeschreibung einer europäischen


Gesellschaft bezeichnen könnte. Als Versammlung sehr konträrer nationaler Biografien, die alles andere als eine harmonische Einheit verkörpern. Im Schlussteil dieser Oper singt jeder Einzelne dieser eigenartigen euro­ päi­schen Versammlung eine Hymne seines Landes. Die deutsche Hymne hat den versöhnlichsten, ja beinahe paneuropäischen Text: «Nun, da unter den Völkern friedvolle Eintracht herrscht, möge Europas Schicksal immer vollkommen glücklich sein»... Solchen Beschwörungsformeln begegnet man ja im heutigen europäischen Politikbetrieb dauernd. Gerade jetzt, wo die Mitgliedstaaten der EU sich mehr als jemals zuvor in der Geschichte dieses Verbundes nationalistisch ausrichten, wird die Bedeutung der Union von einigen Staatsoberhäuptern wie ein Mantra wiederholt. Was wenig verwunderlich ist und wohl als Ausdruck von Panik verstanden werden muss. Die Sorge um das Auseinander­­ brechen des mühsam errichteten politischen Staatenverbundes ist ja wesentlich wirtschaftlich begründet. Was geschieht, wenn die Einheitswährung fällt? Welche Aus­wirkungen hätte eine Einschränkung des offenen Warenflusses auf die Wirt­schaftslage der einzelnen Nationen? Diese Fragen werden in Ros­sinis Oper so natürlich nicht gestellt. Aber dass es sich bei den Anwesenden im Hotel zur goldenen Lilie um privilegierte Personen handelt, die um den Verlust des elitären Status bangen, lässt sich durchaus ableiten. So betrachtet, treten Rossinis Figuren als Delegierte eines von nicht minder schwerwiegenden Krank­heiten befallenen Europas in Erscheinung, die sich in einem gegen alle Aussenwelt abgeschotteten Schloss Elmau zur Regeneration verabredet haben. Die Banalität der Ereignisse, die Liebes- und Eifersuchtsgeschichten, die sich in Il viaggio ausbreiten, kommen einem angesichts dieses Hintergrunds wie Verdrängungsmechanismen vor. Und der Jubelchor am Schluss wie der verzweifelte und zum Scheitern verurteilte Versuch, eine gesamteuropäische Hymne anzustimmen.

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In Anna Viebrocks Bühnenbild lehnen verstreut zahlreiche Gemälde von prominenten Politikerpersönlichkeiten an den Wänden. Diese Ahnengalerie versammelt Portraits von solchen Menschen, die in der


Vergangenheit oder Gegenwart auf sehr unterschiedliche Weise eingewirkt haben auf die Entwicklungen der Europäischen Union. Es lässt sich aber nicht sagen, ob man ihnen einen Ehrenplatz an der Wand zukommen lassen möchte oder sie lieber so schnell wie möglich in den Bunker des Kanzlerbungalows verfrachten sollte. In manchen Fällen erscheint diese Unentschiedenheit überflüssig. Zum Beispiel in Bezug auf einen demokratisch gewählten Schweizer Politiker, der gleichzeitig als Chef­redakteur einer Zeitung fungiert und diese als Plattform für die Verbreitung seiner politischen Auffassungen verwendet. Aber es bin ja nicht ich, der in diesen Räumen lebt, sondern Rossinis Europa­ ab­geordnete, die möglicherweise ein wenig anders auf die Dinge blicken.

Meistens bauen Sie sich Ihre musikalisch-dramatischen Stückerfindungen selbst. Nun haben Sie hier eine Partitur vorliegen, die vieles von vorn­ herein fest­legt. Empfinden Sie das als Einengung, oder ergibt sich daraus möglicherweise eine noch grössere Freiheit? Mein Theater geht immer von musikalischen Überlegungen aus, unabhängig davon, ob es sich dabei um eine freie Erfindung, einen Stücktext oder eine Opernpartitur handelt. Zwar sind die Bedingungen, unter denen eine Schauspiel- bzw. eine Opern­inszenierung entstehen, sehr unterschiedlich, aber letztlich ist es ja so, dass man sowohl mit Musik als auch mit Text oder choreo­ grafischen Ereignissen musikalisch oder unmusikalisch umgehen kann. Dabei spielt es eigentlich keine Rolle, ob man es mit Festlegungen oder freier Auswahl zu tun hat. Es ist immer eine Gratwanderung, die im Fall von Il viaggio allerdings besonders tiefe Blicke in mögliche Abgründe bereithält. Die Art und Weise, mit der Rossini dem durch die Rahmenerzählung vorgegebenen Schwebezustand mit hochvirtuosen Arien, komplizierten Ensemblegesängern sowie massiven symphonischen Orchesterklängen begegnet, und nicht selten hochemotionale Textinhalte in fragilste und leise Gesänge übersetzt, ist widersprüchlich und unüberschaubar. Das Gespräch führten Kathrin Brunner und Malte Ubenauf



SELTSAM REAL Die Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock im Gespräch

Anna Viebrock, wenn Sie die Musik von Gioachino Rossini mit ihren Turbo-Passagen und in absurde Längen getriebenen Belcanto-Arien und -Duetten hören, was löst das in Ihnen aus? Natürlich hat Musik immer eine bestimmte Wirkung auf einen selbst, aber ich formuliere das für mich nie so explizit. Bemerkenswert finde ich allerdings, dass sich die Figuren in Il viaggio a Reims in einem Zustand des Wartens be­finden, sich aber so energetisch und lebendig verhalten, dass das nichts mehr mit Warten im Marthalerischen Sinne zu tun hat. Es handelt sich viel eher um eine Art hyperaktives Warten. – Als Bühnenbildnerin setze ich mich jedoch zunächst mit dem Originalschauplatz auseinander, in diesem Fall mit dem luxuriösen Kurort Plombière-les-Bains in Lothringen. Hier treffen die Figuren aufeinander und wollen gemeinsam nach Reims zur Krönungszeremonie von Karl X. reisen. Da wir uns alle ziemlich schnell einig waren, dass diese Krönung als ein historisches Ereignis zu bewerten ist, das für uns heute nicht mehr so relevant ist, können wir uns durchaus vorstellen, den Satz «Wir fahren nach Reims» in einem übertragenen Sinne zu verstehen. Von Hitchcock gibt es diesen Begriff «MacGuffin»: Er bezeichnet etwas, das dazu dient, die Handlung auszulösen oder voranzutreiben, selbst aber ohne besonderen Nutzen ist. Möglicherweise ist «Reims» ein solches «MacGuffin». Eine Lesart könnte sein: Die Figuren sind eingeschlossen in einem Heim und reden immer von einer «Reise nach Reims». Aber dann heisst es jedes Mal, es seien leider keine Pferde da... Ich möchte natürlich nichts festlegen, es ist nur eine von vielen möglichen Deutungen. Von einem Badehotel, in dem diese selt­samen Liebes- und Eifersuchtsgeschichten spielen, kommt man in einem heutigen Kontext ziemlich rasch auf das Stichwort «Wellness», denn es handelt sich ja bei den Bewohnern um äusserst betuchte Herrschaften. Da wir es auch mit einer europäischen Delegation zu tun haben, ist der Schritt zur Europapolitik nicht mehr weit...


Sie haben sich daher für den Bonner Kanzlerbungalow als Bühnenort entschieden. In der Schweiz ist dieser Bau nicht so bekannt. Was ist das für ein Gebäude? Es ist ein Ort von grosser symbolischer Bedeutung für Europa. Den Bundeskanzlern von Ludwig Erhard bis Helmut Kohl diente er als Wohn- und Empfangsgebäude. Er interessiert mich unter anderem, weil es ein Gebäude mit einer doppelten Natur ist: einerseits ist es privat, andererseits öffentlichpolitisch. Der Bau steht für wichtige historische Ereignisse nach der Teilung Deutschlands, es war unter anderem die Zeit des Kalten Kriegs und die Zeit des Abhörens, Kohl und Gorbatschow sprachen dort zum ersten Mal über die Deutsche Einheit. Erst kürzlich war der Kanzlerbungalow, den Sep Ruf entworfen hat, auch als architektonisches Ereignis an der Architekturbiennale in Venedig im Deutschen Pavillon zu sehen.

Das komplette Programmbuch können Sie auf Dieser spezielle Ort wurde von der Presse auch als «Wohnzimmer der Macht» betitelt, verborgen zwischen Bäumen und mit einer Atmosphäre, in derwww.opernhaus.ch/shop vertrauliche Gespräche stattfinden konnten. Man muss sich aber bewusst sein, dass der Kanzlerbungalow durch seine oder amAussenseiten Vorstellungsabend imIn Foyer verglasten Offenheit und Transparenz ausstrahlen sollte. Wirklichkeit verhielt es sich so, dass das Glashaus den Blicken ausgesetzt war unddes die russischen Spione die Gespräche im Kanzlerbungalow jeweils via Opernhauses erwerben Richtmikrophone von der anderen Rhein-Seite aus mitverfolgten. In solchen Fällen mussten im Bungalow die Vorhänge zugezogen werden... In den Jahren, als die RAF aktiv war und auch der Bundeskanzler als potenzielles Ziel der Terroristen galt, wurde vor der Terrasse sogar eine schusssichere Wand errichtet, ebenfalls aus Glas. Es hat sich bestimmt sehr seltsam angefühlt, in diesem hermetisch abgeschlossenen und von aller Welt beobachteten Gebäude zu wohnen. Der Bau von Sep Ruf ist zwar architektonisch äusserst gelungen, aber wegen seiner viel zu engen privaten Räumlichkeiten – wozu auch das überraschend klein geratene Schwimmbecken gehört – überaus skurril. Die privaten Räume waren im Grunde kleine Kämmerchen, die in engen Zimmerfluchten angeordnet waren und mich an Hotel- oder Krankenhausflure erinnerten. Der Bau könnte auf eine gewisse Weise auch einfach ein


Hotel sein, und man hat wohl nach dem Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin tatsächlich einmal daran gedacht, diesen Ort als Hotel herzurichten. Heute ist es ein historisches Objekt. Ihre Bühnenräume sind häufig realen Vorbildern nachempfunden, die Sie aber meistens ins Surreale wenden. Wo haben Sie beim Kanzlerbungalow angesetzt? Für jeden ist natürlich sofort sichtbar, dass ich den Bunker auf das Dach des Bungalows gesetzt habe. Das ist im Grunde doppelt absurd, da ein Bungalow in der Regel ein eingeschossiges Haus mit ausgeprägter Bodenhaftung ist. Der Grundriss des Bühnenraumes ist so konstruiert, dass man gleichzeitig zwei repräsentative Räume, einen Gang mit Türen, einen Aussenraum mit Kamin und einen Aussenraum mit Schwimmbad sehen kann. Das bedeutet ins­gesamt eine ziemlich schräge Anordnung dieser verschiedenen Räumlich­kei­ten, die man durch verschiebbare Wandteile und Gardinen vor nicht vorhandenen Fenstern vergrössern oder verkleinern kann. Der «historische» Ort wird da­durch zu einem heutigen, dass dort Politikergemälde von damals (zum Beispiel von Ludwig Erhard, dem Bauherrn) bis in unsere Gegenwart (Viktor Orban) platziert sind. Die Kostüme der Solisten sind zum grossen Teil dem Stil der Buñuelschen Gesellschaft aus dem Film Le Charme discret de la bourgeoi­ sie nachempfunden, während der Chor einerseits heutiges Hotelpersonal, andererseits heutige Europapolitiker darstellt. Diese Kombination von Kostü­men aus den 60er-Jahren mit Kostümen aus der heutigen Zeit sollen an die Anfänge Europas und an den heutigen, sehr gefährdeten Zustand dieses europäischen Verbunds denken lassen. Das Gespräch führte Kathrin Brunner





DER ENTWAFFNETE oder Die missglückte Liebe Ein tragisches Vaudeville in einem Akt Daniil Charms

Lew Markowitsch (macht sich an die Dame ran): Ach, kommen Sie! Dame (schiebt ihn mit den Händen weg): Lassen Sie mich in Ruhe! Lew Markowitsch (bedrängt sie): Ach, kommen Sie! Dame (tritt ihn): Los, verschwinden Sie! Lew Markowitsch (fasst sie an): Ach, kommen Sie, ist doch nichts dabei. Dame (tritt ihn): Ach, hauen Sie ab! Hauen Sie ab! Lew Markowitsch: Ist doch nichts dabei! Ich mach’s auch kurz! Dame (gibt einen Laut von sich, nach dem Motto: «Nein, Ich will nicht».) Lew Markowitsch: Ach, kommen Sie: Ein Mal! Ist doch keine grosse Sache! Dame (verdreht die Augen). (Lew Markowitsch greift ganz aufgeregt in die Hose und sucht sein Instrument, kann es aber auf einmal nicht finden.) Lew Markowitsch: Warten Sie! (Wühlt mit der Hand in der Hose.) So ein Mmmist! (Die Dame blickt zutiefst erstaunt Lew Markowitsch an.) Lew Markowitsch: Na Servus! Dame: Was ist denn passiert? Lew Markowitsch: Hmm... (Blickt konfus nach allen Seiten.) Vorhang.



ROSSINIS «REISE NACH REIMS» Reto Müller

Als Rossini im November 1823 zum ersten Mal in Paris eintraf, begegnete er dem, was dem berühmtesten Opernkomponisten seiner Zeit begegnen musste: enthusiastischer Begeisterung und – radikaler Ablehnung. Noch sollte er erst ein bisschen Luft schnuppern in der nationalistischsten aller Musikmetropolen, die nach wie vor das ambitiöseste Ziel jedes Komponisten bedeutete. Die Feste und Empfänge zu Ehren des Italieners waren ein Vorgeschmack auf den Ros­ si­ni-­Taumel, den Paris alsbald – wie Wien schon im Jahr zuvor – erleben sollte. Das Bild, das der Maler Julien Boilly von ihm festhielt, zeigt den 31-jährigen Maestro in Glück und Zufriedenheit. Kaum lässt sich hinter dem jovialen Antlitz der gewiefte Taktiker und Geschäftsmann Rossini ausmachen. Noch war der Komponist keine Verpflichtungen mit Paris eingegangen (obwohl das Terrain beiderseits bereits seit 1818 sondiert wurde), und er wandte sich vorerst London zu, wo er einige seiner Opern einstudieren und ein neues Werk komponieren sollte. Während seines Aufenthalts in der englischen Hauptstadt vom 13. De­ zem­ber 1823 bis 25. Juli 1824 fanden Kontakte mit der französischen Regierung statt, welche aber zögerte, die hohen Forderungen des Komponisten zu akzep­ tie­ren. Die in dieser Zeit zum grossen Teil fertig komponierte Oper Ugo, re d’ltalia vollendete Rossini nicht, vielleicht weil er den Konkurs des Managements der königlichen Oper London vorausahnte. Auf jeden Fall bewirkten Gerüchte über bessere Angebote an den Komponisten, dass die französische Re­gierung schliesslich einen Vertrag unterzeichnete, der Rossini gegen nie zuvor zugestan­ dene Entschädigungen zur Komposition einer französischen und einer italienischen Oper innerhalb Jahresfrist verpflichtete. Dahinter steckte, so vermutet der Rechtshistoriker Bernd-Rüdiger Kern, politisches Kalkül: Frankreich war es 1818 auf dem Aachener Kongress letztendlich nicht gelungen, als gleichberech-


tigte Nation anerkannt zu werden; es blieb in Folge der napoleo­ni­schen Kriege im europäischen Machtgefüge der Restauration auf der Verliererseite. Es ging darum, wenigstens im kulturellen Bereich eine führende Rolle zu wahren, und diese war mit dem Engagement des weltberühmten Komponisten auch eini­ge Opfer wert, nicht zuletzt auch bezüglich der eigenen Natio­na­len Schule, welche mit feindlichen Augen der Ankunft des Mannes entgegensah, der innerhalb eines Jahrzehnts die italienische Opernszene revolutioniert hatte. Es scheint, dass Rossini bei Antritt seines Vertrages am 1. August 1824 noch keine genauen Pläne bezüglich einer neuen Oper hatte. Vorerst begab er sich im September 1824 in das heimatliche Bologna, um dort alle Vorkehrungen für eine mindestens einjährige Abwesenheit zu treffen. Das dortige Engagement von Sän­gern und die Beschaffung von Partituren zeigt, dass er mit dem neuen Direk­ tor der schönen Künste, La Rochefoucauld, bereits vor seiner Abreise über­ein­ ge­­­kommen war, die Leitung des Théâtre Italien zu übernehmen. Tatsäch­lich ging Rossini, zurück in Paris, am 25. November 1824 einen neuen, jetzt zeitlich unbefristeten Vertrag ein, der ihm bezüglich der künstlerischen Beiträge mehr Freiheiten liess, ihn dafür aber als Musik- und Bühnendirektor des Italienischen Theaters verpflichtete. Damit war Rossini faktisch der mächtigste Mann dieses Theaters, wobei sein Vorgänger Ferdinando Paër, von dem Stendhal mit Recht be­hauptete, dass er gegen seinen jüngeren Landsmann intrigierte, als Stellvertre­ ter im Amt blieb. Diese Funktion erlaubte ihm künstlerische Reorganisationen, die seinem eigenen Opernstil entgegenkommen würden. Namentlich verpflichtete er die ersten Gesangskünstler Italiens, ergänzte das Orchester und verbesser­ te den Chor. Das Publikum erwartete aber in erster Linie eine neue Oper von ihm. Die Art und Weise, wie er sich vor dem erwartungsvollen Publikum und der alles beherrschenden Presse präsentieren sollte, stellte den Komponisten vor grosse Probleme: Erfolg oder Misserfolg entschied über Sein oder Nichtsein. Wie schon zehn Jahre zuvor in Neapel, galt es, den Widerstand gegen ihn, den «fremden Eindringling», mit einem Schlag zu brechen. So durchdacht und schritt­weise sich Rossinis künstlerische Entwicklung dieser Jahre im Rückblick darstellt, so zögerlich und schwierig scheint der Weg dorthin gewesen zu sein. Zwischen angefangenen, verschobenen und schliesslich aufgegebenen Projekten

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entstanden innerhalb von fünf Jahren letztlich fünf Opern, von denen aber nur zwei völlig neu waren. Der neue Vertrag war von Karl X. genehmigt worden, der seinem während Rossinis kurzer Abwesenheit verstorbenen Bruder Ludwig XVIII. auf den Thron folgte. Obwohl sich Rossini im Frühjahr und Sommer 1825 mit einer GrandOpéra befasste (Le Vieux de la Montagne, ein schliesslich aufgegebenes Projekt), hatte dieser Wechsel zur Folge, die offensichtlich nicht leichte Wahl seines Einstandswerkes für Paris zu entscheiden. Als wichtiges Zeichen seiner erzkonserva­ tiven Politik liess sich Karl X. in Reims, der alten Krönungsstätte der Könige Frank­reichs, salben. Dieser Zeremonie schlossen sich lange und aufwendige Feierlichkeiten in Paris an, für welche alle Komponisten von Rang und Namen ihren Beitrag zu leisten hatten, womit auch Rossinis Startschuss für Paris feststand: als erster Komponist und Leiter des Italienischen Theaters fiel es ihm zu, Höhepunkt und Abschluss der Festivitäten mit einer neuen Oper zu bestreiten. Es war nicht das erste Mal, dass Rossini für diesen Zweig der BourbonenDynastie schreiben sollte: neun Jahre zuvor entstand die szenische Kantate Le nozze di Teti e di Peleo als Gelegenheitswerk zur Vermählung von Maria Caroli­ na mit dem Herzog von Berry. Letzterer war kein anderer als der zweite Sohn des künftigen Karl X. Weder dem Sohn, noch dem Vater sollten Rossinis so glanzvolle Hymnen dauerhaftes Glück bringen: der Herzog von Berry fiel vier Jahre nach der Vermählung einem Attentat zum Opfer, Karl X. wurde fünf Jahre nach seiner Salbung vom Thron gefegt. Rossinis Skepsis gegenüber politi­ scher Beständigkeit sass ebenso tief wie das Bewusstsein der Vergänglichkeit solcher Gelegenheitswerke. Für Rossini stand wahrscheinlich bereits zum Zeitpunkt der Komposition fest, dass er diese Musik für spätere Opern wiederverwen­ den würde. Nach kurzer Zeit zog er das für das Repertoire chancenlose Werk zurück, trotz des grossen Erfolges und dem Ruf nach weiteren Aufführungen. Möglich, dass weite Teile in eine für Paris und London geplante Oper, La figlia dell’aria mit Giuditta Pasta (Corinna in Il viaggio) als Protagonistin, hätten ein­fliessen sollen; die Ereignisse führten dann aber dazu, dass Rossini drei Jahre später gut die Hälfte in die komische Oper Le Comte Ory übernommen hat, während ein beacht­licher Rest infolge von Rossinis plötzlichem Rückzug von der Opernbühne nach dem Guillaume Tell von 1829 ungenutzt blieb.


Es trifft nicht zu, dass Rossini Il viaggio innert kürzester Zeit komponierte, wie gelegentlich behauptet wurde. Vom 24. April 1825, zwei Monate vor der Premiere, datiert ein Hinweis, dass Rossini wegen der «petite pièce» die Arbeit an seiner Grand-Opéra verzögern wird, und es darf angenommen werden, dass die Zusammenarbeit von Komponist und Librettist zu diesem Zeitpunkt bereits fortgeschritten war. Am 11. Mai 1825 waren schon mehrere Stücke fertig komponiert. Es ist klar, dass Rossini das Werk trotz des vergänglichen Charakters nicht dem Zufall überliess: schliesslich sollte es seine gewinnende Präsentations­ karte auf dem Pariser Terrain sein, wo seine Widersacher nur auf einen Misserfolg warteten. Es ist möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich, dass Il viaggio a Reims teilweise aus Ugo, der unvollendeten Londoner Oper, schöpfte, und dass im kreativen Prozess Bezüge zu den geplanten Pariser Vertragsopern bestanden. Das Zögern Rossinis, diesbezüglich eine Entscheidung zu fällen und durchzuführen, wurde durch den klaren Auftrag aufgehoben und machte einer Erfindungskraft Platz, wie man sie von einem Rossini erwartete. In gut zwei Monaten – welche freilich auch mit seinen administrativen Pflichten als Theaterdirektor ausgefüllt waren – kreierte Rossini ein pralles Werk, das aus der erwarteten «petite pièce» eine ausgedehnte, abendfüllende Oper machte. Die Premiere ging am Sonntag, dem 19. Juni 1824 vor dem in vornehmes Schweigen gehüllten Hofstaat (wie es die Etikette verlangte) und in Anwesenheit des gefeierten Thronbesteigers über die Bühne. Das monumentale Feststück beschäftigte 18 Sänger, worunter sich zehn der ersten Künstler Europas befanden. Am 23. und 25. Juni fanden zwei öffentliche Aufführungen vor einem begeisterten Publikum statt. Rossini gab dem Drängen nach einer vierten Aufführung nach, welche aber erst am 12. September abgehalten wurde. Weil Rossini das Werk als Vorarbeit für eine spätere Oper bestimmte, betrachtete er es nicht als Teil seiner vertraglichen Pflicht und nahm «nur» ein wahrhaft königliches Geschenk entgegen (ein Sèvres Porzellangeschirr, das der halben Entschädigung für eine Oper entsprach). Stilistisch stellt Il viaggio a Reims vollkommen ein Werk «sui generis» dar. Rossini selbst schrieb auf dem Umschlag einiger autographer Stücke die Bezeich­ nung «Cantata» hin, um den Gelegenheitscharakter zu betonen: Im italienischen Teil des zweisprachigen Librettos wurde das Werk als «Dramma giocoso» be-

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zeichnet, was im damaligen Sprachgebrauch dem Genre viel näher kam als die französische Bezeichnung eines «Opéra-comique», die auf der Premierenankündigung erschien: denn unter Letzterem ist immer eine französische Oper mit Dialogen zu verstehen, während Il viaggio ganz in italienischer Tradition seccoRezitative verwendet. Wie schon in seiner letzten für Italien geschriebenen ernsten Oper Semiramide vollzieht Rossini hier im wesentlichen eine Rückkehr zur geschlossenen Nummernoper, mit deren Überwindung er in seinen neapolitani­schen Opern (1815-1822) experimentiert hatte. Dabei ist dieses formal einakti­ge Werk von grossangelegten Strukturen, die mit nie dagewesenen Nummernlängen bis an die Grenzen des Tolerierbaren gehen. Der musikalische Ablauf bildet ein Gleichgewicht durch geometrische Gesetzmässigkeiten, der keine Langeweile aufkommen lässt; fatal könnten sich höchstens Kürzungen erweisen, da sie die Proportionen dieser per­fekten musikalischen Architektur stören würden. Im Gegensatz zu den italienischen Buffa-Opern, die in Rossinis Ausgestaltung einen vermehrt reflexiven Charakter erhalten und mit La cenerentola von 1817 und Adina von 1818 bereits ihre Vollendung fanden, ist Il viaggio a Reims eine echt komische Unterhaltungsoper, in welcher selbst eine tragische Verzweif­ lungsarie oder ein schmelzendes Liebesduett in Anbetracht der grotesken Situa­ tionen zum Lachen reizen. Feierlich-ernst sind nur Corinnas grosse Improvisationsszenen. Anders auch als die bisherigen Gelegenheitskantaten, welche an­hand von mythologischen Symbolen einen aktuellen Anlass feiern, hat Il viaggio a Reims den aktuellen Anlass selbst zum Gegenstand. Es wurde immer wieder behauptet, dass das Werk keine Handlung aufweise und mithin ein kostümiertes Konzert wäre. Dennoch existiert ein Plot, der mit dramatischen Situationen einen Höhepunkt erreicht und zu einem «happy-end» gelangt: die aktiven Reise­ vorbereitungen werden durch die Hiobsbotschaft der fehlenden Postpferde jäh unterbrochen und von der Durchführung eines Festes «in loco» abgelöst, um schliesslich in einer Art «live-Allegorie» zu schliessen. Das Handlungsgerüst der frühen Farse mit Verzweiflungshöhepunkt im Zentrum und moralischem Schluss wird auf den aktuellen Anlass ausgerichtet, und wie in den Oratorienopern (Ciro in Babilonia und Mosè in Egitto) wird der äussere Vorwand der Handlung – dort biblische Oper für die Fastenzeit, hier musikalische Unterhaltung für die Krö­


nungs­feier – durch die Liebesbeziehungen der teilnehmenden Personen aufgelockert. Freilich sind gerade diese Personenkonstellationen hier immer auch politisch deutbar. Il viaggio a Reims bildet den Anfang vom Ende einer einmaligen und mit nie dagewesener Schnelligkeit vollzogenen Theaterlaufbahn. War Semiramide die letzte für Italien geschriebene Oper, so war die erste Oper für Frankreich sein letztes italienisches Werk. Il viaggio a Reims und Guillaume Tell, die beiden einzigen, völlig autonomen (d.h. von Eigenplagiaten freien) Schöpfungen für Frankreich bilden Einstand und Abschied von der Pariser Bühne. Dass die Werke zeitlich mit der Thronbesteigung und dem Sturz des letzten und des konservativsten der Bourbonenkönige zusammenfielen, ist nicht nur symbolträchtig, sondern auch sehr direkt mit den politischen Ereignissen erklärbar; denn wenn Il viaggio explizit für die Inauguration einer restaurativen Linie geschaffen wurde, ist es nicht zuletzt der Julirevolution zuzuschreiben, dass der «Napoleon der Musik» und gleichzeitig der «Komponist der Restauration» den nächsten Schritt in eine neue Epoche nicht mehr vollziehen konnte und wollte.

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UM-SICH-KREISEN: ENSEMBLES BEI ROSSINI Nikolaus Palézieux

Die Ensembles als Kulminationspunkte der Werke Rossinis: An ihnen entlädt sich das Geschehen. Hier wird der Text zumeist bruchstückhaft zerlegt, endlos repetiert. Die Vokalstimme wird mit ihrem einzig nach klanglichen Erfordernissen zurechtgestutzten Text, der nur noch Klang zu sein hat, dem Klangkörper des Orchesters eingefügt. Der Text wird zur raison d’être der Musik. Allen Rossini-Ensembles eignet, dass sie aus gleichsam nichts sich entwickeln, musikalisch wie szenisch. Sie sind, weil wieder einmal eines fällig wird. Aus einer unablässig repetierten Formel, der bedeutungsloser Text unterlegt ist, entsteht nichts als Hektik, das Sausen der Spindeln in übermenschlich riesigen Fabriksälen, in die der Mensch hineingeworfen ist, ahnen machend. Hier ist das Individuum austauschbar, wird namenlos, und die Perversion ist perfekt: den Namen erhält fast liebevoll die Maschine: eine der ersten Spinnmaschinen wurde zärtlich «Jenny» geheissen. Die schon früh formulierte Überrumpelung des Menschen durch die Maschine – Goethe bereits ahnte, Marx diagnostizierte sie später – ist bei Rossini schon auskomponiert: in den Crescendi wird stets von den Personen eingestanden, sie verlören den Kopf, würden verrückt, wären ihrer selbst nicht mehr mächtig. Aus dem Nichts steigern sich die Ensembles zum Crescendo und laufen aus, als sei nichts gewesen; kein musikalischer Schluss, der der Tradition entspräche, ist komponiert. So weit entfernte sich Rossini vom Text, dass in keiner Oper, auch nicht in den Seria-Opern, die dazu Stoff böten, er Charaktere zeichnet. Dem korreliert die Themenlosigkeit der Ensembles, deren einziger Grund das Um-sich-Kreisen ist. Sie sind um ihrer selbst willen, um nichts.







ES LEBE EUROPA Eine Kapitalisten-Tragödie in fünf Akten Paul Scheerbart

Personen: Josef Urban, Direktor. Ludwig Haeser, Fabrikbesitzer. Dr. Langenbeck, Rechtsanwalt. Wohlhabende Offiziere in Zivil, Beamte, Bürger und internationale Kapitalisten und ein Polizist in Uniform. Die Handlung spielt in einer kleinen Stadt Westfalens am Ende des neunzehnten Jahrhunderts.

ERSTER AKT (Drei hellgrüne rechtwinklig zueinander stehende Wände mit dunkelgrünen Türen in der Mitte der Wand. In der Mitte des Zimmers langer breiter Tisch mit grüner Tuchdecke, Stühle und Sessel unordentlich umherstehend. Viel Schreibzeug, Bücher, Aktenbündel liegen unordentlich auf dem Tisch und auf einzelnen Stühlen. Bücher- und Aktenregale und kleine Tische. Links am Tische sitzt Urban, Haeser rechts ihm gegenüber. Türgeklapper draussen, ein paar Herren kommen von rechts und auch von links herein und hören zu, setzen sich oder bleiben stehen. – Alles sehr zwanglos. Diener kommen durch die hintere Türe mit Briefen, Depeschen etc.) Urban (scheinbar schreibend – ziemlich laut.) Ja, meine Herren! Sie glauben gar nicht, wie dumm die Menschen sind. Wenn heute Jemand Geld verdienen will – d.h. viel Geld –, so darf er nur mit der Dummheit der Menschen seine Rechen­


exempel zusammenkonstruieren. Wer sein Haus auf der Dummheit der Menschen erbaut – der hat sichern Grund und Boden. Speziell muss man die Sucht der Dummen, die noch Dümmeren reinzulegen, in die Berechnung ziehen. Haeser Du tust ja grade so, als wenn wir die Dummen wären. Urban Dummheit und Unternehmungsgeist hab ich noch nie zusammengesehen – und da der letztere hier ist – kann die erstere nicht da sein. Alter Herr Wir glauben ja schon, was wir glauben sollen: Der «Europa-Bund» ist wahrhaftig nicht die schlechteste Gründung unsrer Zeit. Urban Und da sagt man immer, ich sei verrückt. Haeser Und das schadet doch nichts; Genies sind doch immer ein bischen verrückt. (Lachen.) Urban (die Feder weglegend.) Ja, meine Herren! Denken Sie sich bloss. Als ich vor drei Jahren in Brasilien war, trat ein gesetzter Herr auf und erklärte, dass er einen Brasilianer-Bund gründen wolle; in diesem Bunde sollten sich alle Bündler schriftlich verpflichten, sich jederzeit für Brasilianer zu halten. Die Sache erschien mir einfach lächerlich. Aber die Brasilianer erklärten, es sei ganz vernünftig, wenn sich Brasilianer für Brasilianer hielten. Na – und sehen Sie – der Bund hat ganz gute Geschäfte gemacht. Und so wirds auch mit dem Europa-Bund gehen. Zweiter Alter Herr Freilich! Eigentlich ist es lächerlich, dass sich die Europäer für Europäer halten sollen – es ist so selbstverständlich. Haeser Aber grade mit dem Selbstverständlichen ... (Alle lachen.)


Urban Macht man die grössten Geschäfte. Das Lächerliche! Meine Herren, das Lächerliche ist ja gerade das Kluge. Dr. Langenbeck (stürmt von rechts herein.) Meine Herren, die Geschichte ist zu lächerlich – aber die Gründung ist jetzt Tatsache – hier sind die weiteren Unterschriften. Ich gratuliere Ihnen. (Alle stehen auf und lachen und schütteln sich die Hände und erzählen sich sehr viel.) Urban (sehr laut, lebhaft gestikulierend.) Meine Herren, feiern wir den heutigen Tag durch ein lustiges Festessen. Der Europa-Bund besteht. Das Lächerliche ist grade das Kluge! Es lebe Europa! Alle (stürmisch mit erhobenen Händen.) Es lebe Europa! Es lebe Europa! Vorhang!

ZWEITER AKT (Dasselbe Zimmer – nur ein paar Luxusmöbel sind zugekommen – Schaukelstühle – Lorbeerkränze an den Wänden. Urban und Haeser in Schaukelstühlen rechts und links, Langenbeck mit dem Rücken gegen die hintere Türe mitten vorm Tisch.) Urban Jetzt haben wir bereits 87 Zeitungen angekauft – und alle die Zeitungen reden täglich von den vereinigten Staaten Europas. Na, Rechtsanwalt, was wollen Sie mehr? Dr. Langenbeck Jawohl, Sie sind der Übergründer. Aber ich schwöre Ihnen: es wird Ihnen noch mal sehr schlecht gehen. Haeser Das hat aber mit den vereinigten Staaten von Europa nichts zu tun. Ob es Herrn Josef Urban schlecht oder gut geht: die vereinigten Staaten von Europa werden demnächst in voller Figur da sein.


Dr. Langenbeck Und die Kapitalisten des Europa-Bundes werden die vereinig­ ten Staaten von Europa regieren – jawohl – wenns man nicht schief geht. (Diener bringt Telegramm, Langenbeck liest es.) Urban Was gibts? (Langenbeck steht auf und überreicht ihm das Telegramm.) Ah! Mir stehen also jetzt 700 Millionen zur Verfügung – der Kongress der Europa-Bündler soll in vier Wochen in München tagen. Dr. Langenbeck Ich gratuliere Ihnen, Herr Urban – aber ich erkläre Ihnen auch gleichzeitig, dass ich von jetzt ab gegen Sie Stellung nehmen werde. Nach meinem Dafürhalten knöpfen Sie den Kapitalisten einfach das Geld ab – und die vereinigten Staaten bleiben ein Hirngespinst. Urban Das wollen wir sehen. Dr. Langenbeck Ja – das wollen wir sehen – in München. Leben Sie wohl. (Hinten ab.) (Haeser und Urban springen auf und umarmen sich. Vorhang!)

DRITTER AKT (Wie vorhin – aber sehr viel Unordnung im Zimmer. Urban, Haeser und viele ältere und jüngere Herren – auch ältere und jüngere Damen. Alle in sehr gros­ ser Aufregung.) Urban Meine Damen und Herren! Zunächst wollen wir nicht den Kopf verlieren. Haeser Es war ja ganz selbstverständlich, dass unsre grossen Erfolge schliesslich auch den Oppositionsgeist rege machen mussten.


Junge Dame Dass aber auch bei allen Völkern plötzlich der Patriotismus erwacht – das ist doch gradezu gemein. Alter Herr In Paris, Lissabon, Konstantinopel, Berlin, Moskau – überall haben wir jetzt Patriotenvereine. Urban Aber alle diese Patriotenvereine sind ja nicht einig. Wir aber sind einig, denn es gibt nur einen einzigen Europa-Bund. Haeser Und deswegen wollen wir den Patrioten zuvorkommen. Urban Wir wollen 8 Tage früher den Kongress zusammenberufen. Alte Dame Dann ist ja wohl das Beste, Herr Direktor, wenn wir sofort nach München fahren. Urban Fahren Sie! Fahren Sie, meine Gnädige! Sofort! Haeser Und jetzt wollen wir nicht den Kopf verlieren. Urban Wir sind es, auf deren Seite das Vernünftige steht. Keinem Menschen fällt es heute noch ein, an der Vernünftigkeit des Europa-Bundes zu zweifeln. Alter Herr Nur der Rechtsanwalt Langenbeck zweifelt daran. Urban (steigt auf einen Stuhl) Was gehen uns die Rechtsanwälte an? Es lebe Europa! (Alle brüllen «Es lebe Europa» – und dann wüst durcheinander «nach München! nach München!». Vorhang!)


VIERTER AKT (Noch grössere Unordnung – umgeworfene Stühle – Papiere und Bücher überall aufm Fussboden. Die Europabündler stürmen in Überziehern und Zylindern durch die Türen durch und schreien sich an und sind furchtbar aufgebracht.) Urban Das ist ja gradezu haarsträubend. Haeser In der Sprachenfrage ist einfach keine Einigung zu erzielen; wir haben die Dichter gegen uns, und die können am besten reden – die haltens im Gehei­ men alle mit den Patrioten; die Dichter der verschiedenen Völker wollen, dass man auf dem Kongress ihre Sprache spricht. Urban Das Land, das meine Sprache spricht. Haeser Jetzt ist aber keine Zeit, Witze zu machen. Urban Mache ich denn Witze? Ich bin wütend für Sechs – für Sechs Tausend – für Sechs Millionen. Dr. Langenbeck Sehen Sie, meine Herren? Die Schwierigkeiten sind schon da. Sie bringen ja nicht einmal einen Kongress zu Stande – und da wollen Sie die vereinigten Staaten von Europa zu Stande bringen? Es ist einfach lächerlich. (Setzt sich mitten an den Tisch und wirft alles durcheinander.) Urban Schweigen Sie, Herr Rechtsanwalt. Dr. Langenbeck Ich denke nicht daran – die Aktionäre wollen ihr Geld zurück­ haben – und wer an Allem Schuld hat – das sind Sie, Herr Urban. Urban Die Dichter sind Schuld an Allem! Diese verfluchten Dichter! Die zerstören den ganzen Europa-Bund! Ich werde verrückt vor Wut! Dass Jeder nur


ja die Werke der guten Dichter lesen kann – dazu sollen die einzelnen Sprachen erhalten werden. Diese Dichter! Der gesamte Lokalpatriotismus ist eben nur Dichterwerk. Wer ist begeistert für sein Vaterland? Wer? Nur der Dichter! Denn der hat immer ein Interesse an der Sprache, in der er seine Werke schreibt. Die andern Leute gehen ihren Dichtern, diesen Leithammeln der Menge, in seliger Dammlichkeit nach und nennen ihre höchst poetische ideale Dammlichkeit – Patriotismus – und merken nicht, dass ihre patriotischen Gefühle nur den Dich­tern zu Gute kommen. O du köstliche Komödie des köstlichen Patriotismus. Ich werde verrückt vor Wut. (Er schlägt mit beiden Fäusten so heftig auf den Tisch, dass durch die Erschütte­ rung gleich der Vorhang runterfällt.)

FÜNFTER AKT (Viele Sachen – besonders Stühle – sind aus dem Zimmer rausgenommen, auf dem Boden liegen keine Papiere, sodass das Zimmer einen etwas kahlen Eindruck macht. Die Lorbeerkränze liegen aufm Tisch. Links am Tisch Urban – rechts Haeser. Beide haben den Kopf auf die Hände gestützt. Jetzt kommen von rechts und von links die Aktionäre des Europa-Bundes und verlangen ihr Geld – in schroffen und sanften Tönen. Grosse Verwirrung, Weinen, Wut, Drohungen. Die beiden Gründer rühren sich nicht. Da kommt der Rechtsanwalt Langenbeck.) Dr. Langenbeck Meine Herren, wenn Sie jetzt nicht augenblicklich sagen, wo Sie das Geld gelassen haben, so werden Sie verhaftet. Haeser Ich weiss von Garnichts. Urban Und ich sags nicht – am allerwenigsten Ihnen, mein tugendhafter Herr Rechtsanwalt. Übrigens hörte ich, dass Sie die verschiedenen Patriotenvereine gegründet haben. Na – blüht das Geschäft? Vom Europa-Bunde bekamen Sie


wohl nicht genug? Da gründeten Sie die Gegenpartei. Sie sind ja ein ganz saubrer Bursche. Dr. Langenbeck Sie sind ein Schurke! (Polizist hinten.) Polizist Im Namen des Gesetzes! Die Herren Urban und Haeser erkläre ich hiermit für verhaftet. Urban Sie sind ein Riesenkamel, Herr Schutzmann! (Polizist zieht den Revolver.) Haeser (ruft einem Diener zu.) Lassen Sie den Wagen vorfahren! Wir sind verhaftet! Urban Na schiessen Sie doch los, Sie altes Dromedar! (Er schlägt dem Polizisten plötzlich mit der Faust ins Gesicht, dass dem das Blut aus Nase und Augen quillt, wodurch er so wütend wird, dass er losschiesst – Urban fällt hin.) Urban (sterbend) Wo ich’s Geld gelassen habe, sag ich Euch nicht – ich schlag Euch nur ins Angesicht. (Er zieht seinen Revolver und schiesst den Rechtsanwalt und den Polizisten übern Haufen – beide fallen – riesiger Tumult – Hilfegeschrei und Wutgebrüll – die drei Angeschossenen sterben.) Der Vorhang fällt.





ROSSINIS RÜCKZUG «Was wollen Sie? Ich hatte keine Kinder. Wenn ich welche gehabt hätte, hätte ich ohne Zweifel weitergearbeitet, und nachdem ich mich 15 Jahre lang abgeplagt und während dieser Periode vierzig Opern geschrieben habe, empfand ich das Bedürfnis nach Ruhe und zog mich nach Bologna zurück, um da still zu leben... così finita la comedia.» Rossini auf die Frage, warum er mit nur 37 Jahren aufgehört habe, Opern zu komponieren


IL VIAGGIO A REIMS GIOACHINO ROSSINI (1792-1868) Dramma giocoso in einem Akt, Libretto von Luigi Balocchi Uraufführung: 19. Juli 1825 anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten Karls X., am Théatre-Italien, Paris


N. 1 INTRODUZIONE

NR 1 INTRODUKTION

Sala che dà adito a varie camere a destra ed a sinistra. Una tavola in fondo a destra.

Ein zu verschiedenen Zimmern führender Saal; hinten rechts ein Tisch.

SCENA PRIMA

ERSTE SZENE

Maddalena, contadini, contadine. Giardiniere, servitori.

Maddalena, Bauern und Bäuerinnen. Gärtnerinnen, Diener.

MADDALENA al coro

Presto, presto... su, coraggio! Tante statue mi sembrate; oggi è il giorno del gran viaggio, non convien farsi aspettar. CORO

Tutto è pronto; ma non basta, a voi piace di gridar. MADDALENA

Quale ardir! che insolenza! Guai se scappa la pazienza... CORO ridendo

La pazienza! ah! ah! ah!.. MADDALENA severa

Che vuol dir?

CORO ironicamente

Oh! niente, niente. MADDALENA

Di rispetto mi mancate. CORO

MADDALENA zum Chor

Schnell, schnell... jetzt macht doch mal voran! Ihr kommt mir vor wie Statuen. Heute ist der Tag der grossen Reise, es gehört sich nicht, die Gäste warten zu lassen. CHOR

Es ist alles bereit, aber das reicht Euch nicht. Es macht Euch Spass zu schreien. MADDALENA

Wie unverschämt! Welch eine Frechheit! Wehe, wenn ich die Geduld verliere… CHOR lachend

Die Geduld! Ha! ha! ha!.. MADDALENA streng

Was wollt ihr damit sagen? CHOR ironisch

Oh! Nichts, nichts. MADDALENA

Es fehlt euch an Respekt vor mir. CHOR

V’ingannate in verità.

Da täuscht Ihr Euch wahrhaftig.

MADDALENA accostandosi alla tavola, sulla quale vi stanno le colazioni

MADDALENA geht zum Tisch, auf dem das Frühstück bereitsteht

Queste mele prelibate come son disposte male! CORO

L’attenzione con lei non vale, ha un gran gusto a brontolar. MADDALENA fremendo

Insolenti! CORO

Flemma! Il sangue nel cervello può montar.

Diese köstlichen Äpfel, wie unordentlich sie daliegen! CHOR

Es lohnt sich nicht, sie zu beachten, sie hat grosse Freude am Meckern. MADDALENA bebend

Ihr Unverschämten! CHOR

Ganz ruhig! Sonst steigt Euch gleich das Blut zu Kopf.


MADDALENA

Oh! con me non si canzona, e so farmi rispettar. CORO da loro

Vuol far sempre da padrona, e si fa poi corbellar.

MADDALENA

Oh! Das lasse ich mir nicht bieten, ich weiss mir Respekt zu verschaffen. CHOR untereinander

Immer spielt sie sich als Chefin auf, und dann macht sie sich zum Gespött.

SCENA SECONDA

ZWEITE SZENE

I detti, Don Prudenzio, indi varie donne che servono ne’ bagni ed Antonio.

Die Vorigen, Don Prudenzio, danach mehrere weibliche Angestellte des Kurhotels und Antonio.

DON PRUDENZIO

DON PRUDENZIO

Benché, grazie al mio talento, stian già tutti meglio assai, la licenza non darei di partire, in tal momento; ma tenerli non potrei, ed è meglio d’abbondar.

Obwohl es dank meiner Fähigkeiten allen schon viel besser geht, würde ich die Erlaubnis noch nicht geben, schon jetzt abzureisen; doch ich kann sie ohnehin nicht aufhalten, da ist es besser nachzugeben.

alle donne

zu den Frauen

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Ve l’ho detto, e vel ripeto, oggi il bagno non si prende; son sospese le faccende, non si pensa che a viaggiar. CORO

Ich habe es euch schon gesagt und wiederhole es: Heute wird nicht gebadet; der Betrieb ist eingestellt, heute dreht sich alles nur ums Reisen. CHOR

Oh! che gusto! almen potremo oggi andare a passeggiar.

Oh! Wie schön! Wenigstens heute können wir spazieren gehen.

Le inservienti de’ bagni partono.

Die Badefrauen gehen ab.

DON PRUDENZIO

Ma vediam, le colazioni se a’ miei ordin son conformi. ANTONIO

Ah! si esamini, s’informi, tutto in regola vedrà. DON PRUDENZIO

Si dispongono a partire; ma non cal, quest’oggi ancora, qui costretto a garantire son la loro sanità. GLI ALTRI

DON PRUDENZIO

Ich will mal sehen, ob das Frühstück meinen Vorschriften entspricht. ANTONIO

Ah! Schaut nur nach und informiert Euch, Ihr werdet sehen, es ist alles in Ordnung. DON PRUDENZIO

Sie machen sich bereit zum Aufbruch. Wie dem auch sei, am heutigen Tage bin ich noch verpflichtet, für ihre Gesundheit zu sorgen. DIE ANDEREN

(Oh! con questo gran dottore stanno freschi in verità.)

(Oh! Mit diesem tüchtigen Herrn Doktor hat man wirklich die Bescherung.)

Il dottore esamina le colazioni, ch’Antonio gli va indicando.

Der Arzt prüft das Frühstück, das Antonio ihm zeigt.


Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden und Obwalden. PARTNER

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