DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
RICHARD WAGNER
RICHARD WAGNER
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(1813-1883)
Traft ihr das Schiff im Meere an, blutrot die Segel, schwarz der Mast?
Auf hohem Bord der bleiche Mann, des Schiffes Herr, wacht ohne Rast.
Hui! – Wie saust der Wind! – Johohe!
Hui! – Wie pfeift’s im Tau! – Johohe!
Hui! – Wie ein Pfeil fliegt er hin, ohne Ziel, ohne Rast, ohne Ruh! – –Doch kann dem bleichen Manne Erlösung einstens noch werden, fänd’ er ein Weib, das bis in den Tod getreu ihm auf Erden! –Ach! wann wirst du, bleicher Seemann, sie finden? Betet zum Himmel, dass bald ein Weib Treue ihm halt!
Bei bösem Wind und Sturmes Wut umsegeln wollt er einst ein Kap; er schwur und flucht’ mit tollem Mut: «In Ewigkeit lass’ ich nicht ab!» –
Hui! – Und Satan hört’s! – Johohe!
Hui! – Nahm ihn beim Wort! – Johohe!
Hui! – Und verdammt zieht er nun durch das Meer ohne Rast, ohne Ruh’! – –Doch, dass der arme Mann noch Erlösung fände auf Erden, zeigt Gottes Engel an, wie sein Heil ihm einst könne werden.
Ach! könntest du, bleicher Seemann, es finden!
Betet zum Himmel, dass bald ein Weib Treue ihm halt!
Vor Anker alle sieben Jahr’, ein Weib zu frei’n, geht er ans Land: –er freite alle sieben Jahr’, noch nie ein treues Weib er fand. –
Hui! – «Die Segel auf!» – Johohe!
Hui! – «Den Anker los!» – Johohe!
Hui! – «Falsche Lieb’, falsche Treu’!
Auf in See, ohne Rast, ohne Ruh’!» – –
Ach! wo weilt sie, die dir Gottes Engel einst könne zeigen?
Wo triffst du sie, die bis in den Tod dein bliebe treu eigen?
Spielzeit 2012 / 13
Ein Schiff des Reeders Daland wurde von einem Sturm in eine entlegene Bucht verschlagen. Daland begegnet einem seltsamen Fremden, der heimatlos durch die Welt irrt. Er bietet gewaltige Schätze, wenn Daland ihn für eine Nacht bei sich aufnimmt. Der geht um so lieber darauf ein, als dieser anscheinend märchenhaft reiche Seemann um die Hand seiner Tochter Senta anhält.
Senta sorgt für Unruhe im Hause ihres Vaters, indem sie die schaurig-rührende Ballade vom fliegenden Holländer singt. Sie ist überzeugt, dass es sich dabei um eine wahre Geschichte handelt, und dass sie berufen ist, den Unglücklichen von seinem Schicksal zu erlösen.
Der Jäger Erik, der Senta liebt, macht ihr wegen ihrer Schwärmerei Vorwürfe.
Er ist in Sorge, dass ihr Vater sie bald verheiraten will, und verlangt vergeblich ihre Zusage, sich bei Daland für ihn zu verwenden.
Daland kommt mit dem fremden Seefahrer, in dem Senta sofort den Mann erkennt, dessen Erlösung sie zu ihrem Lebenszweck gemacht hat. Die beiden kommen sich schnell näher, und Senta schwört dem Holländer ewige Treue. Daland sieht die profitable Ehe schon in greifbarer Nähe.
Die Seeleute feiern die glückliche Rückkehr des Handelsschiffs und provozieren in ihrer Ausgelassenheit zerstörerische Kräfte, die sie in Angst und Schrecken versetzen.
Erik versucht noch einmal, Senta für sich zu gewinnen, indem er sie daran erinnert, dass sie ihm einst ewige Treue schwor. Der Holländer hat dieses Gespräch belauscht und erkennt, dass die Bedingung seiner Erlösung unmöglich zu erfüllen ist. Senta besiegelt ihren Treueschwur durch den Tod.
Ein Gespräch mit Andreas Homoki und Wolfgang Gussmann
Richard Wagner hat seiner vierten vollendeten Oper die Genrebezeichnung «Romantische Oper» mit auf den Weg gegeben. Was ist das Romantische an diesem Stück?
Andreas Homoki: Das ist eine zu dieser Zeit durchaus gängige Genrebezeichnung, die vor allem deutlich machen will, dass das Stück inhaltlich der Romantik zuzuordnen ist. Die Romantik war ja eine literarische Bewegung, der es vor allem um die Abgründe des Lebens ging, um die Schrecken, die hinter dem Alltäglichen lauern. Dem lag die Erfahrung zugrunde, dass dem Leben mit dem von der Aufklärung überkommenen Rationalismus nicht in allen Belangen beizukommen ist, dass es Bereiche und Vorgänge gibt, für deren Erklärung die Vernunft nicht auszureichen scheint. Daraus ergibt sich eine Vorliebe der literarischen Romantik für das Schauerliche, für Geistergeschichten. Besonders gut lässt sich das in Erzählungen von E. T. A. Hoffmann erkennen, wo die simplen Alltagsgegenstände plötzlich und ganz unerwartet eine andere Realität offenbaren können: Der Türknauf wandelt sich zur Teufelsfratze, der Nussknacker wird lebendig, hinter dem Spiegel tut sich eine ganz andere Welt auf. Diese Vorliebe findet sich auch bei den Opernkomponisten. Das wichtigste und einflussreichste Beispiel einer Romantischen Oper ist natürlich der Freischütz, wo es um Dinge jenseits des Rationalen geht, die unser Leben stärker beeinflussen können, als uns lieb ist. Carl Maria von Weber und Friedrich Kind gestalten – was typisch ist für die Romantik – Angstvisionen, die durch die radikalen Veränderungen der Gesellschaft am Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts ausgelöst und genährt werden. Der Rationalismus, die Überzeugung, dass die Welt prinzipiell vernünftig erklärbar und beherrschbar ist, dass man den Verlauf der Dinge geradezu mathematisch vorausberechnen kann, war die
Voraussetzung für die Industrialisierung, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Neue Technologien wurden entwickelt, neue Produktionsformen entstanden, das Zusammenleben der Menschen veränderte sich grundlegend. Auf diese Erfahrung reagierten die Menschen mit Angst, und die Romantik nimmt das auf.
Wolfgang Gussmann: Allerdings ist die literarische Romantik zur Entstehungszeit der Oper schon vorbei. In der Musik beginnt diese Entwicklung später und dauert auch länger. Die Entstehungszeit des Stücks fällt schon in die späte Biedermeierepoche. Da hat man sich schon gut eingerichtet in seinem kleinen, privaten Glück und sich abgeschottet gegen die Schrecken der Aussenwelt. Allerdings hat man auch allen Grund, die Welt als bedrohlich zu empfinden. Zu den Umwälzungen in den ökonomischen Strukturen der Gesellschaft kommt die Erinnerung an die verheerenden napoleonischen Kriege, dann der Wiener Kongress, das Spitzelwesen usw. Also zieht man sich in die gut geheizte Wohnstube zurück, geniesst das stille häusliche Leben und begeistert sich am muffigen Familienidyll von Schillers Glocke – bei deren Lektüre Caroline von Schlegel noch vor Lachen vom Stuhl gefallen war.
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Wie prägt sich das romantische Prinzip in Wagners Oper aus?
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Andreas Homoki: Auf zweierlei Weise. Einerseits findet sich das Unheimliche vor allem in der Gestalt des fliegenden Holländers selbst. Das ist eine ganz irreale Figur, ein Gespenst. Ein Mann, der nicht leben und nicht sterben kann, einer, der verflucht ist, für alle Ewigkeit ruhelos über die Meere zu jagen, es sei denn, er findet eine Frau, die ihm ewige Treue schwört und diesen Schwur auch zu halten vermag. Und dieser Mann, dieses Gespenst dringt nun in Dalands beschauliche Biedermeierwelt ein, wo bisher immer alles mit rechten Dingen zugegangen war. Bemerkenwert ist allerdings, dass Wagner diese romantische Figur positiv wertet und das Eindringen des Irrationalen als wünschenswerten Vorgang zeigt, weil damit etwas in diese Welt kommt, das vielleicht mehr mit dem Leben zu tun hat als das, was man da sonst für Leben hält.
Auf der anderen Seite ist es Senta, die in gewisser Weise die komplementäre Figur zum Titelhelden ist. Sie verkörpert die romantische Sehnsucht nach dem Anderen, nach einem Leben jenseits dieser durch und durch materialistischen,
auf Profitmaximierung ausgerichteten Welt, die sie umgibt. Sie hört die Geschichte vom fliegenden Holländer und glaubt fest daran, dass sie, die für alle anderen nichts weiter ist als ein schönes Märchen, wirklich wahr ist. Und sie entdeckt in dem Mann, von dem da die Rede ist, eine verwandte Seele.
Wolfgang Gussmann: Sentas Besessenheit von der Geschichte des fliegenden Holländers hat natürlich auch etwas mit dem Lebensgefühl der Zeit zu tun. Es gab eine allgemeine Tendenz zum Eskapismus. Das Biedermeier ist voll von Träumen von einer anderen Welt, die schöner, reicher, farbiger ist als die reale. Das half, das Leben in der Zurückgezogenheit zu ertragen, und war ein Mittel gegen die Langeweile. Gleichzeitig hatte diese Tendenz natürlich eine gesellschaftlich stabilisierende Funktion. Wer träumt, stört die Ordnung nicht. Zumindest so lange nicht, wie es bei den Träumen bleibt und diese nicht verwirklicht werden sollen, wie es Senta will.
Worin besteht die Seelenverwandtschaft zwischen Senta und dem Holländer?
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Andreas Homoki: Beide wollen die Grenzen des «normalen» Lebens überschreiten. Beide wollen das Unmögliche verwirklichen. Der Holländer wollte einst ein stürmisches Kap umsegeln, koste es was es wolle. Und weil er sich in dieser Weise gegen die Gesetze der Welt auflehnt, weil er also nicht akzeptiert, dass er sich einer angeblich göttlichen Ordnung unterwerfen soll, wird er bestraft. Und eben das zieht Senta an: Da ist einer, der sich nicht unterkriegen lässt, ein Aussenseiter, der der Welt etwas abverlangt, einer der sich nicht anpasst. Das ist einer, der sich von Sentas Vater Daland und seinen Leuten stark unterscheidet, obwohl er auch Seemann ist. Man darf nicht übersehen, dass Daland alles andere ist als ein Abenteurer. Er fährt zwar auch über die Meere, jedoch nicht um neue Welten oder Seewege zu entdecken und sich in unbekannte Regionen vorzuwagen. Er ist Händler und fährt zur See, weil sich damit mehr Gewinn machen lässt als mit dem Handel auf dem trockenen Land.
Der Holländer aber (die von Wagner vorgeschriebene schwarze spanische Tracht deutet darauf hin) gehört in das Zeitalter der grossen Entdeckungen. Er repräsentiert – und das zieht Senta magisch an – etwas, das es in ihrer Welt gar nicht mehr gibt: Den freien Menschen, der sich dem Kampf mit der Natur oder auch
dem Schicksal aus eigenem Entschluss und auf eigene Gefahr stellt. Niemand in Sentas Umgebung würde so etwas tun. Damit aber fehlt ihrem Leben gerade das, was sie sucht. Sie ist als Frau an das Leben auf dem Land gebunden und kann sich nicht auf das Abenteuer der Umsegelung eines gefährlichen Kaps einlassen. So findet sie ihre Aufgabe darin, diesen Verdammten durch ihren unbedingten Einsatz von seinem grauenhaften Fluch zu erlösen. Diese Unbedingtheit im Anspruch an das Leben und an die Selbstverwirklichung des Individuums ist die andere Seite des romantischen Lebensgefühls.
Wolfgang Gussmann: Dass dieses Gefühl in der Oper so stark hervortritt, hängt sicher mit den neuen Tendenzen zusammen, die gegen Ende der BiedermeierPeriode spürbar werden. Man will raus aus dem Mief und die Gesellschaft grundlegend verändern. Die Revolution kündigt sich an, und Wagner fühlte sich ja den Bewegungen sehr verbunden, die man dem Vormärz zurechnet.
Ich möchte noch einen Moment bei der Gespenstergeschichte bleiben. Muss man, um eine solche Geschichte zu erzählen, an Gespenster glauben?
Andreas Homoki: Das muss man natürlich nicht, denn der Sinn einer Geschichte wie dieser kann ja nicht darin bestehen, den Zuschauern einzureden, dass es solche Geisterschiffe mit verfluchten Kapitänen tatsächlich geben soll. Das war ja auch nicht Wagners Absicht. Allerdings muss ich als Regisseur zulassen können, dass solche übersinnlichen Dinge für eine Inszenierung dieser Oper wichtig sind, und sie im Zusammenhang des Stücks ernst nehmen. Für mich hat es wenig Sinn, die Gestalt des Holländers zu «entzaubern» und zu zeigen, dass es so etwas gar nicht gibt. Es handelt sich um eine erfundene Figur, mit deren Hilfe sich eine Geschichte erzählen lässt, die aus ganz anderen Gründen erzählenswert ist. Eine theatralische Verabredung, die ich um so ernster nehmen muss, gerade weil ich etwas Irreales erzählen will. Wenn es also wichtig ist, dass der Holländer einer anderen Realitätsebene angehört als Senta und Dalands Leute – und ich halte das für sehr wichtig –, dann muss ich das auch sichtbar machen. Zum Beispiel, indem ich zeige, dass er einen Raum nicht durch eine Tür betritt. Oder dass er an mehreren Orten gleichzeitig sein kann. Ich persönlich glaube ansonsten ganz und gar nicht an Gespenster, aber auf der Bühne kann ich sie zeigen und habe auch meinen Spass daran.
Im Stück kommt neben dem Holländer noch eine grosse Gruppe von Gespenstern vor.
Andreas Homoki: Die werden in unserer Aufführung zwar nicht sichtbar sein, aber es stimmt: Die Schiffs-Mannschaft des fliegenden Holländers tritt an einer Stelle als sehr beängstigender Spuk hervor. Das ist wie ein Einbruch einer übernatürlichen, zerstörerischen Gewalt. Die Welt gerät aus den Fugen, und durch die Risse dringt das ein, was man lieber verdrängen würde.
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Wolfgang Gussmann: Übrigens bleibt nicht nur die gespenstische Mannschaft des Holländers in unserer Aufführung unsichtbar, sondern auch die beiden Schiffe werden nicht gezeigt. Wir haben uns entschlossen, sozusagen «an Land» zu bleiben. Die Bühne zeigt so etwas wie das Kontor des Reeders Daland, in dem die fleissigen Leute wie die Ameisen unermüdlich für das Gedeihen der Firma arbeiten. Wobei es einen Raum wie diesen natürlich in der Wirklichkeit nicht geben dürfte. Wenn ich ein Bühnenbild entwerfe, geht es mir aber auch nicht darum, Wirklichkeit getreu abzubilden. Ich will einen Theaterraum scha ffen, der nicht naturalistisch ist, sondern auf kunstvolle Weise erkennbar werden lässt, was ihm in der Wirklichkeit entspricht. Hier also die Machtzentrale einer Seehandels-Firma, wo vom gut geheizten und trockenen Büro aus organisiert wird, was die Schiffe transportieren, um es gewinnbringend verkaufen zu können.
Wenn es auch möglich ist, auf die Schiffe zu verzichten, kommt man um den Auftritt der Geister doch nicht herum. Wie lässt sich der in einem solchen Kontext realisieren? Toben da Gerippe mit blitzenden Augen oder in weisse Tücher gehüllte Kinderschrecke über die Bühne?
Andreas Homoki: Ich glaube, das geht heute einfach nicht mehr. Wenn wir versuchen würden, die Gespenster wirklich auf die Bühne zu bringen, wären wir noch dem schlechtesten Horrorfilm unterlegen und würden uns nur lächerlich machen. Zumal es ja auch für den Horrorfilm zutrifft, dass das Monster seinen Schrecken nur so lange hat, wie man es nicht sieht. Wenn es wirklich ins Bild kommt, spürt man – wenige Ausnahmen bestätigen die Regel – sofort, dass es doch nur Pappmaché ist, und die Sache wird im schlimmsten Falle zum Witz. Abgesehen davon würden wir nichts weiter liefern, als eine Illustration einer
vorgegebenen Situation, ohne den Ansatz einer Deutung oder substanziellen Aussage. Eine Illustration zudem, die mit Sicherheit schiefgehen würde. Ich glaube nicht, dass das Theater verpflichtet ist, sich aus lauter Liebe zur Werktreue lächerlich zu machen. Und ich glaube auch nicht, dass es sinnvoll ist, eine solche Szene auf die Bühne zu bringen, ohne sie zu deuten. Wagner hat für diese Passage eine für seine Zeit äusserst avantgardistische Musik geschrieben und damit unüberhörbar deutlich gemacht, dass es sich hier um einen für das ganze Stück entscheidenden Vorgang handelt. Ich finde, dem muss man Rechnung tragen. Darum haben wir uns entschlossen, an dieser Stelle ein Thema der Inszenierung, das bis dahin eher unterschwellig präsent ist, zur vollen Entfaltung zu bringen: Die Geschichte trägt sich im Zeitalter des Kolonialismus zu, der «Mohrenstrand» oder die südlichen Gestade, von denen im Text die Rede ist, das ist Afrika, vielleicht auch Südostasien, das sind die rücksichtslos ausgebeuteten Gebiete, die wir heute als Dritte Welt bezeichnen. Insofern setzen Daland und seine Leute fort, was vermutlich auch der Holländer dreihundert Jahre früher begonnen hat. Er unterscheidet sich aber von den anderen dadurch, dass er davon nicht unberührt geblieben ist, er hat etwas von dem Fremden in sich aufgenommen und mitgebracht. Und dieses Fremde, Gefährliche, das ruht sozusagen in seinem Schiff. Und wenn Dalands Leute in ihrem Übermut zu weit gehen, provozieren sie, dass ihre Welt aus den Fugen gerät. Das ist dann, als würde der Schrecken, den die Europäer über diese Weltgegenden gebracht haben, der Schrecken, der ihnen grossen Reichtum eingetragen hat, zurückschlagen.
Wofgang Gussmann: Natürlich wollen wir hier eine Theaterszene zeigen und keine politische Vorlesung halten. Das bedeutet, dass wir uns im Interesse der theatralischen Wirkung der Klischees bedienen, die in diesem Zusammenhang im Umlauf sind. Wenn sich also der «Boy», den sich Daland anscheinend als Diener aus Afrika mitgebracht hat, in einen schreckenverbreitenden Schamanen verwandelt und der Dschungel in Dalands Kontor hineinwächst, soll das keine Realität behaupten. Es ist lediglich ein theatralisches Mittel, um diese Szene kraftvoll auf die Bühne zu bringen und ihre Position im Gefüge der Aufführung deutlich zu machen.
Ich möchte noch einmal auf Senta zurückkommen. Ist es eigentlich Liebe zum Holländer, die sie antreibt?
Andreas Homoki: Irgendwie schon, obwohl sie den Mann ja nie gesehen hat, sie kennt nur seine Geschichte und sein Bild. Sie will verzweifelt der materialistischen Welt ihres Vaters entkommen, der gern bereit ist, seine Tochter mit einem wildfremden Mann zu verheiraten, wenn nur genug dabei herausspringt. Die Sehnsucht nach dem Holländer gibt ihr die Kraft dazu. Er ist das ganz Andere, und er bietet ihr die Möglichkeit, eine wirklich grosse Tat zu tun, die über alles hinausgeht, was in ihrer Umgebung denkbar ist: sich bedingungslos aufzuopfern für die Rettung eines anderen Menschen. Wolfgang Gussmann: Insofern muss man für sie relativieren, was ich vorhin über den Eskapismus gesagt habe. Sentas Traum vom sagenhaften Seefahrer ist nicht systemstabilisierend, sondern bringt ganz offensichtlich erhebliche Unruhe in die kleine Welt der fleissigen Bienchen in Dalands Firma. Für sie ist der Holländer eben auch der Inbegriff des attraktiven Mannes: Der Abenteurer, der viel von der Welt gesehen hat, mit dem sie der Enge entfliehen kann. Natürlich ist der auch erotisch höchst attraktiv. Das alles sind Dinge, die in ihrer Umwelt wie Sprengstoff wirken und unbedingt schön brav unter der Decke gehalten werden sollen. Darum ist es ja auch so ein Skandal, wenn sie die Ballade singt.
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Aber sich aufzuopfern in ewiger Treue zu einem Mann, den sie gar nicht kennt, ist das wirklich ein erstrebenswertes Ideal?
Andreas Homoki: Wenn sich die beiden zum ersten Mal begegnen, scheint es eben doch, als hätten sie sich schon immer gekannt. Das klingt dann schon sehr nach grosser, im wahrsten Sinn des Wortes romantischer Liebe. Und sie will das tun, was er braucht: Sie will ihm ewige Treue halten. Sie begreift allerdings erst spät, dass sie sich damit eine unerfüllbare Aufgabe gestellt hat. Denn hinter diesem Schwur stehen der Glaube und der Wunsch, dass die Dinge für immer so bleiben mögen, wie sie einmal sind. Das ist ein schöner Gedanke, aber er entspricht nicht der Wirklichkeit, denn ein Leben ohne jede Entwicklung wäre letztlich die Hölle auf Erden. Wir alle wissen, dass die Dinge sich fortwährend ändern müssen und dass wir leider die Veränderungen, die mit und in uns vorgehen, nicht im Griff haben. Das ist ein Grundwiderspruch in
unserer menschlichen Existenz, und natürlich sind unsere Sympathien ganz auf Sentas Seite. Wir verstehen ihren Wunsch, aus der Realität auszubrechen, obwohl wir wissen, dass das unmöglich ist. Daran ist nichts Verkehrtes. Deswegen haben wir ja die Oper, die Kunst ganz allgemein, damit wir solche Überschreitungen des Realen durchspielen und unsere Erfahrungen damit machen können. Aber auch Senta kommt gegen Ende an den Punkt, an dem sie erkennen muss, dass sie ihren Anspruch nicht verwirklichen kann. Denn wenn sie dem Holländer folgen will, muss sie einen anderen verlassen, dem sie schon ewige Treue geschworen hat: Ihr Verlobter Erik hält ihr das vor, und sie kann es nicht abstreiten. So steht sie vor der schrecklichen Wahrheit, dass ein Versprechen nicht ewig gehalten werden kann. Und das ist der Punkt, an dem sie beschliesst, in den Tod zu gehen. Sie kann den Widerspruch zwischen ihrem Anspruch und der Realität nicht ertragen und tötet sich, weil dies die einzige Möglichkeit ist, ihr Versprechen zu halten.
Und doch: Steht hinter dieser Geschichte von der Frau, die ihren Lebensinhalt darin sieht, dem Mann ewig treu zu sein, und die sich zur Besiegelung dieses Entschlusses vom Felsen stürzt, nicht ein unerträglich reaktionäres Frauenbild, wie es dem biedermeierlichen Familienvater mit sei ner Begeisterung für Schillers «Glocke» oder Chamissos «Frauenliebe und leben» ganz prächtig gefiel?
Andreas Homoki: Das wird Wagner oft unterstellt. Man projiziert auf Wagners Frauengestalten häufig das Bild von Cosima Wagner, die sich ihrem Mann tatsächlich ganz und gar unterworfen hat und nur dafür lebte, dass das Genie Wagner seine grossen Werke schaffen konnte. Aber wenn man Wagners Stücke selbst betrachtet, stellt man fest, dass seine Frauenfiguren meist ausgesprochen rebellisch und emanzipatorisch gezeichnet sind. Das trifft ganz besonders auf Senta zu. Sie lehnt sich gegen ihre Umwelt auf, die ihr ein ruhiges Leben am Spinnrad und in einer beschaulichen Ehe anempfiehlt. Denn genau so etwas will sie ja nicht. Also bricht sie aus und erfüllt die Aufgabe, die sie sich selbst gestellt hat. Und diese Aufgabe kann nicht darin bestehen, mit dem Holländer in eine gutbürgerliche Ehe zu treten und irgendwann ein hübsches kleines Ein familienhaus in der Vorstadt zu bewohnen. Dieser Weg ist natürlich ausge-
schlossen. Das versteht auch der Holländer, und er erkennt, dass die Bedingung für seine Erlösung überhaupt nicht erfüllt werden kann. Die schöne Pointe ist, dass es dann eben doch geht: Sentas Tod löst den Fluch tatsächlich. Es handelt sich hier jedoch nicht um ein Scheitern Sentas. Tatsächlich beendet sie ihr Leben, um eine Vision zu verwirklichen. Und selbstredend ist diese Geschichte nicht gemeint als eine Empfehlung an die weiblichen Zuschauer, sich umgehend vom nächsten Felsen zu stürzen. Es ist eine Geschichte über den Wunsch nach individueller Selbstverwirklichung gegen jedweden Anpassungsdruck – eines der wichtigen inhaltlichen Leitmotive in Wagners Schaffen. Und da diese Geschichte auf der Opernbühne gezeigt wird, soll sie uns berühren und bewegen, damit wir uns unsere eigenen Gedanken dazu machen. Und deshalb ist an solch einem Ausgang nichts Reaktionäres. Das ist einfach gutes Theater.
Das Gespräch führte Werner Hintze
Richard Wagner
Spielzeit 2012 / 13
Aus den «Memoiren des Herrn von Schnabelewopski»
Heinrich Heine
Die Fabel von dem Fliegenden Holländer ist euch gewiss bekannt. Es ist die Geschichte von dem verwünschten Schiffe, das nie in den Hafen gelangen kann, und jetzt schon seit undenklicher Zeit auf dem Meere herumfährt. Begegnet es einem anderen Fahrzeuge, so kommen einige von der unheimlichen Mannschaft, in einem Boote, herangefahren, und bitten ein Paket Briefe gefälligst mitzunehmen. Diese Briefe muss man an den Mastbaum festnageln, sonst widerfährt dem Schiffe ein Unglück, besonders wenn keine Bibel an Bord oder kein Hufeisen am Fockmaste befindlich ist. Die Briefe sind immer an Menschen adressiert, die man gar nicht kennt, oder die längst verstorben, so dass zuweilen der späte Enkel einen Liebesbrief in Empfang nimmt, der an seine Urgrossmutter gerichtet ist, die schon seit hundert Jahr im Grabe liegt. Jenes hölzerne Gespenst, jenes grauenhafte Schiff, führt seinen Namen von seinem Kapitän, einem Holländer, der einst bei allen Teufeln geschworen, dass er irgendein Vorgebirge, dessen Namen mir entfallen, trotz des heftigsten Sturms, der eben wehte, umschiffen wolle, und sollte er auch bis zum jüngsten Tage segeln müssen. Der Teufel hat ihn beim Wort gefasst, er muss bis zum jüngsten Tage auf dem Meere herumirren, es sei denn, dass er durch die Treue eines Weibes erlöst werde. Der Teufel, dumm wie er ist, glaubt nicht an Weibertreue, und erlaubte daher dem verwünschten Kapitän alle sieben Jahr einmal ans Land zu steigen, und zu heuraten, und bei dieser Gelegenheit seine Erlösung zu betreiben. Armer Holländer! Er ist oft froh genug von der Ehe selbst wieder erlöst und seine Erlöserin loszuwerden, und er begibt sich dann wieder an Bord. Auf diese Fabel gründete sich das Stück, das ich im Theater zu Amsterdam gesehen. Es sind wieder sieben Jahr verflossen, der arme Holländer ist des end losen
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Umherirrens müder als jemals, steigt ans Land, schliesst Freundschaft mit einem schottischen Kaufmann, dem er begegnet, verkauft ihm Diamanten zu spottwohl feilem Preise, und wie er hört, dass sein Kunde eine schöne Tochter besitzt, verlangt er sie zur Gemahlin. Auch dieser Handel wird abgeschlossen. Nun sehen wir das Haus des Schotten, das Mädchen erwartet den Bräutigam, zagen Herzens. Sie schaut oft mit Wehmut nach einem grossen ver witterten Gemälde, welches in der Stube hängt und einen schönen Mann in spanischniederländischer Tracht darstellt; es ist ein altes Erbstück und nach der Aussage der Grossmutter ist es ein getreues Konterfei des Fliegenden Holländers, wie man ihn vor hundert Jahr in Schottland gesehen, zur Zeit König Wilhelms von Oranien. Auch ist mit diesem Gemälde eine überlieferte Warnung verknüpft, dass die Frauen der Familie sich vor dem Originale hüten sollten. Ebendeshalb hat das Mädchen, von Kind auf, sich die Züge des gefährlichen Mannes ins Herz geprägt. Wenn nun der wirkliche Fliegende Holländer leibhaftig hereintritt, erschrickt das Mädchen; aber nicht aus Furcht. Auch jener ist betroffen bei dem Anblick des Porträts. Als man ihm bedeutet, wen es vorstelle, weiss er jedoch jeden Argwohn von sich fernzuhalten; er lacht über den Aberglauben, er spöttelt selber über den Fliegenden Holländer, den ewigen Juden des Ozeans; jedoch unwillkürlich in einen wehmütigen Ton übergehend, schildert er, wie Myn Heer auf der unermesslichen Wasserwüste die unerhörtesten Leiden erdulden müsse, wie sein Leib nichts anders sei als ein Sarg von Fleisch, worin seine Seele sich langweilt, wie das Leben ihn von sich stösst und auch der Tod ihn abweist: gleich einer leeren Tonne, die sich die Wellen einander zuwerfen und sich spottend einander zurückwerfen, so werde der arme Holländer zwischen Tod und Leben hin und her geschleudert, keins von beiden wolle ihn behalten; sein Schmerz sei tief wie das Meer, worauf er herumschwimmt, sein Schiff sei ohne Anker und sein Herz ohne Hoffnung. Ich glaube dieses waren ungefähr die Worte womit der Bräutigam schliesst. Die Braut betrachtet ihn ernsthaft und wirft manchmal Seitenblicke nach seinem Konterfei. Es ist als ob sie sein Geheimnis erraten habe, und wenn er nachher fragt: «Katharina, willst du mir treu sein?» antwortet sie entschlossen: «Treu bis in den Tod.»
Bei dieser Stelle, erinnere ich mich, hörte ich lachen, und dieses Lachen kam nicht von unten, aus der Hölle, sondern von oben, vom Paradiese. Als ich hinaufschaute, erblickte ich eine wunderschöne Eva, die mich mit ihren grossen blauen Augen verführerisch ansah. Ihr Arm hing über der Galerie herab, und in der Hand hielt sie einen Apfel, oder vielmehr eine Apfelsine. Statt mir aber symbolisch die Hälfte anzubieten, warf sie mir bloss metaphorisch die Schalen auf den Kopf. War es Absicht oder Zufall? Das wollte ich wissen. Ich war aber als ich ins Paradies hinaufstieg, um die Bekanntschaft fortzusetzen, nicht wenig befremdet, ein weisses sanftes Mädchen zu finden, eine überaus weiblich weiche Gestalt, nicht schmächtig aber doch kristallig zart, ein Bild häuslicher Zucht und beglückender Holdseligkeit. Nur um die linke Oberlippe zog sich etwas, oder vielmehr ringelte sich etwas, wie das Schwänzchen einer fortschlüpfenden Eidechse. Es war ein geheimnisvoller Zug, wie man ihn just nicht bei den reinen Engeln, aber auch nicht bei hässlichen Teufeln zu finden pflegt. Dieser Zug bedeutete weder das Gute noch das Böse, sondern bloss ein schlimmes Wissen; es ist ein Lächeln welches vergiftet worden von jenem Apfel der Erkenntnis, den der Mund genossen. Wenn ich diesen Zug auf weichen vollrosigen Mädchenlippen sehe, dann fühl ich in den eigenen Lippen ein krampfhaftes Zucken, ein zuckendes Verlangen jene Lippen zu küssen; es ist Wahlverwandtschaft. Ich flüsterte daher dem schönen Mädchen ins Ohr: «Juffrow! ich will deinen Mund küssen.»
«Bei Gott, Myn Heer, das ist ein guter Gedanke!» war die Antwort, die hastig und mit entzückendem Wohllaut aus dem Herzen hervorklang. Aber nein – die ganze Geschichte, die ich hier zu erzählen dachte, und wozu der Fliegende Holländer nur als Rahmen dienen sollte, will ich jetzt unterdrücken. Ich räche mich dadurch an den Prüden, die dergleichen Geschichten mit Wonne einschlürfen, und bis an den Nabel, ja noch tiefer, davon entzückt sind, und nachher den Erzähler schelten, und in Gesellschaft über ihn die Nase rümpfen, und ihn als unmoralisch verschreien. Es ist eine gute Geschichte, köstlich wie eingemachte Ananas, oder wie frischer Kaviar, oder wie Trüffel in Burgunder, und wäre eine angenehme Lektüre nach der Betstunde; aber aus Ranküne, zur Strafe für frühere Unbill, will ich sie unterdrücken. Ich mache daher hier einen langen Gedankenstrich ——
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Dieser Strich bedeutet ein schwarzes Sofa, und darauf passierte die Geschichte, die ich nicht erzähle. Der Unschuldige muss mit dem Schuldigen leiden, und manche gute Seele schaut mich jetzt an mit einem bittenden Blick. Je nun, die sen Besseren will ich im Vertrauen gestehn, dass ich noch nie so wild geküsst worden, wie von jener holländischen Blondine, und dass diese das Vorurteil, welches ich bisher gegen blonde Haare und blaue Augen hegte, aufs siegreichste zerstört hat. Jetzt erst begriff ich, warum ein englischer Dichter solche Damen mit gefrorenem Champagner verglichen hat. In der eisigen Hülle lauert der heisseste Extrakt. Es gibt nichts Pikanteres als den Kontrast jener äusseren Kälte und der inneren Glut, die bacchantisch emporlodert und den glücklichen Zecher unwiderstehlich berauscht. Ja, weit mehr als in Brünetten, zehrt der Sinnenbrand in manchen scheinstillen Heiligenbildern, mit goldenem Glorienhaar und blauen Himmelsaugen und frommen Lilienhänden. Ich weiss eine Blondine aus einem der besten niederländischen Häuser, die zuweilen ihr schönes Schloss am Züdersee verliess, und inkognito nach Amsterdam und dort ins Theater ging, jeden der ihr gefiel Apfelsinenschalen auf den Kopf warf, zuweilen gar in Matrosenherbergen die wüsten Nächte zubrachte, eine holländische Messaline.
—— Als ich ins Theater noch einmal zurückkehrte, kam ich eben zur letzten Szene des Stücks, wo auf einer hohen Meerklippe das Weib des Fliegenden Holländers, die Frau Fliegende Holländerin, verzweiflungsvoll die Hände ringt, während auf dem Meere, auf dem Verdeck seines unheimlichen Schiffes, ihr unglücklicher Gemahl zu schauen ist. Er liebt sie und will sie verlassen, um sie nicht ins Verderben zu ziehen, und er gesteht ihr sein grauenhaftes Schicksal, und den schrecklichen Fluch, der auf ihm lastet. Sie aber ruft mit lauter Stimme: «Ich war dir treu bis zu dieser Stunde, und ich weiss ein sicheres Mittel wodurch ich dir meine Treue erhalte bis in den Tod!»
Bei diesen Worten stürzt sich das treue Weib ins Meer, und nun ist auch die Verwünschung des Fliegenden Holländers zu Ende, er ist erlöst, und wir sehen wie das gespenstische Schiff in den Abgrund des Meeres versinkt.
Die Moral des Stückes ist für die Frauen, dass sie sich in acht nehmen müssen, keinen Fliegenden Holländer zu heuraten; und wir Männer ersehen aus diesem Stücke, wie wir durch die Weiber, im günstigsten Falle, zugrunde gehn.
Martin Geck
Ginge es allein nach der alten Sage, so müsste der fliegende Holländer mit seinem Geisterschiff bis zum Ende der Tage auf den Weltmeeren herumirren –zur Strafe dafür, dass er sich in unvordenklichen Zeiten mit bösen Mächten verbunden hatte, um das Kap der guten Hoffnung auch bei ärgstem Sturm umsegeln zu können. Denn die Seeleute, die sich diese Geschichte erzählten, wussten noch nichts von einem Weib, das darauf wartete, den Holländer von seinem Fluch zu erlösen – durch grenzenlose Aufopferung und die Bereitschaft, mit ihm in den Tod zu springen. Ein solches «Weib» war nämlich eine Zutat der Romantik und zu Wagners Zeiten ziemlich neu. Vermutlich kannte Wagner diese Variante der alten Sage nur in der spöttischen Fassung Heinrich Heines, der sie in seinen Memoiren des Herrn von Schnabelewopski jedoch geradezu veralberte: «Die Moral des Stückes ist für die Frauen, dass sie sich in Acht nehmen müssen, keinen Fliegenden Holländer zu heuraten; und wir Männer ersehen aus diesem Stück, wie wir durch die Weiber, im günstigsten Falle, zugrunde gehen.»
Damit war Wagner nicht einverstanden: Er gönnte seinem Holländer ganz ernst lich die «Erlösung durch Untergang» – und das sollte zugleich zur Kernbotschaft seines gesamten Schaffens werden. Doch welche Rolle spielt in dieser bleibenden Kernbotschaft die Liebe? Eine eher «verhängnisvolle» – so lautete jedenfalls Wagners eigene Aussage über den Ring des Nibelungen. Und was den Fliegenden Holländer angeht, muss man sich darüber erst gar nicht den Kopf zerbrechen: Es gibt dort keine Liebe – abgesehen von der Verliebtheit Eriks in Senta.
Keine Liebe also zwischen dem Holländer und Senta? Keine Liebe! Als das Schiff des Holländers nach sieben Jahren wieder einmal an Land geworfen wird, geht dieser an Land, um den ersten besten Menschen zu fragen: «Hast Du eine
Tochter?», und auf dessen «Ja» hin strikt zu fordern: «Sie sei mein Weib.» Das hat nichts mit Liebe zu tun, ist vielmehr der Versuch, eine Frau zu finden, die ihm in den Tod folgt und ihn damit von seinem Fluch erlöst. Und selbst dieser Versuch ist mehr als zweiflerisch: Denn nach vielen vergeblichen Vorstössen glaubt der Holländer nicht mehr wirklich an einen solchen Erlösungsweg, den ihm einstmals ein «gepriesener Engel Gottes» gewiesen hat: Es gibt «auf Erden» – so lautet seine bisherige Erfahrung – keine «ew’ge Treu» dieser Art. Deshalb wird ihm nach eigener Einschätzung erst das Ende der Zeiten Erlösung bringen.
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Doch in Dalands Tochter Senta hat sich der Holländer positiv getäuscht: Sie wird ihm mit dem Ruf «Preis’ deinen Engel und sein Gebot! Hier steh’ ich treu dir bis zum Tod!» ins Meer nachstürzen und ihn dadurch erlösen. Auch dabei geht es freilich nicht um Liebe, denn zu einer solchen gehörte ein Minimum an freiem Willen, wie er Senta vollkommen abgeht: Geradezu zwanghaft ist sie einzig und allein auf die Rettung des Holländers aus. «Er sucht mich auf! Ich muss ihn sehn, mit ihm muss ich zugrunde gehn!», singt sie bereits vor ihrer Begegnung mit dem «bleichen Mann»: Von Anfang bis Ende ist das Thema nicht «Liebe», sondern «Treue bis zum Tod». Die beiden Protagonisten haben sich demgemäss auch nichts zu sagen, äussern an keiner Stelle gegenseitige Zu neigung, sind einander vielmehr allein zu dem Zweck ausgeliefert, gemeinsam unterzugehen.
VON ANFANG BIS ENDE IST DAS THEMA NICHT «LIEBE», SONDERN «TREUE BIS ZUM TOD».
Ein düsteres Thema. So düster, dass Wagner es niemals hätte in Angriff nehmen können, wenn er nicht die Musik zur Hand gehabt hätte – und damit ein Medium, das von vornherein für Versöhnung steht. Und je mehr Wagner im Laufe der Jahre die Schroffheiten seines «Ur-Holländers» zu mildern trachtete, desto wichtiger wurde die diesbezügliche Rolle der Musik – bis hin zu den Harfenklängen am Ende der Oper, die erst 1860 hinzugefügt wurden und den Schluss der Ouvertüre und des dritten Aufzugs in ein verklärendes Licht rückten. Damit aber ist die Schaffens- und Werkgeschichte des Fliegenden Holländers aufgerufen. Sie ist mit der Biografie des Komponisten so eng verbunden wie kaum ein zweites Werk Wagners. Laut Mein Leben schwirrt ihm das Sujet erstmals im Kopf herum, als er sich auf der Flucht vor seinen Gläubigern im Sommer 1839
WÄHREND DER ÜBERFAHRT
LERNT ER DIE
TODESÄNGSTE KENNEN, DIE
SELBST ABGEBRÜHTE
SEELEUTE ERFASSEN, WENN
«GEWITTER UND STURM»
TOBEN.
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der «Thetis» anvertraute – einem Toppsegelschoner, der das Ehepaar Wagner nebst Neufundländer Robber zusammen mit 192,7 Tonnen Hafer und Erbsen vom Ostseehafen Pillau nach London verfrachten sollte. Während der dreiwöchigen Überfahrt hat Wagner nicht nur Gelegenheit, den Gesängen der Besatzung zu lauschen, vielmehr lernt er auch die Todesängste kennen, die selbst abgebrühte Seeleute erfassen, wenn «Gewitter und Sturm» toben und «turmhohe Flut vom Süden her» droht. Auf der «Thetis» vernimmt er, wenn man der Autobiographischen Skizze glauben darf, «aus dem Munde der Matrosen» auch bereits «die Sage vom fliegenden Holländer». Indessen hat Wagner den aufwendigen Umzug nach Paris ja nicht unternommen, um ein vages Holländer -Projekt zu betreiben, das ihm irgendwie vielleicht schon vor der Durchquerung der stürmischen Ostsee in seinem Kopf herumgespukt haben mag. Vielmehr will er die Pariser mit seiner grossen Oper Rienzi beeindrucken und in der damaligen Musikmetropole Europas zum Star der Grand Opéra aufsteigen. So macht er sich alsbald daran, die von Riga halbfertig mitgebrachte Rienzi -Musik zu Ende zu komponieren und eines der Pariser Opernhäuser für eine Aufführung in französischer Sprache zu interessieren. Als das trotz grösster Anstrengungen nicht gelingen will, gibt Wagner seinen Plan schon vor der Fertigstellung der Partitur im November 1840 auf, und sucht stattdessen nach einer deutschen Bühne, die es herausbringen kann. Und noch vor der Fertigstellung des Rienzi nämlich seit Frühjahr 1840, befasst er sich mit dem neuen Projekt des Fliegenden Holländers. Auch diesmal hat er zunächst eine Aufführung in Paris im Sinn; demgemäss ist der erste Prosaentwurf vom Mai 1840 auf Französisch abgefasst: Der berühmte Librettist Eugène Scribe soll diesen Entwurf zu einem Textbuch verarbeiten. Freilich will Wagner den Parisern diesmal keine Grand Opéra à la Rienzi liefern, ihnen vielmehr in verzweifeltem Nationalstolz vorführen, was es heisst, als Deutscher eine deutsch-romantische Oper in der Tradition des Freischütz zu komponieren. An die Stelle des gescheiterten Versuchs, mit Rienzi den Stars der Grand Opéra Konkurrenz zu machen, tritt somit der neue Versuch, die Pariser mit dem elementaren Wesen von Natur und Mythos zu beeindrucken.
Um des Erfolges willen ist Wagner nunmehr bereit, eine Stufe unterhalb der Ansprüche der Grand Opéra anzutreten: Es gibt in seinem Sujet weder ein Ballett, noch kommen die Gesangsstars auf ihre Kosten. Stattdessen ist ein schlichter Einakter vorgesehen, den man – nach Wagners Vorstellungen – zusammen mit einem ähnlichen Stück an ein und demselben Abend geben kann.
Von dieser aussichtsreichen Konzeption beflügelt, schreibt Wagner in den Monaten Mai bis bis Juli 1840 nicht nur das Textbuch, sondern auch einige zentrale Musiknummern nieder: die berühmte Ballade der Senta, das Lied der schottischen Matrosen und das Lied der Mannschaft des Holländers. Weitere Einzelnummern entstehen, nachdem Rienzi vollendet ist, im Sommer 1841: das Lied des Steuermannes und das Spinnerlied. Danach bringt Wagner die Erstfassung der gesamten Komposition wie in einem Raptus in der unglaublich kurzen Zeit von sechs Wochen zu Papier. Am Ende der Partitur findet sich der berühmte Eintrag: «Finis/Richard Wagner/Meudon, 22 August 1841/(In Noth u. Sorgen.)»
DIE HOFFNUNGEN, DEN «HOLLÄNDER» IN PARIS
AUFGEFÜHRT ZU SEHEN, ZERSCHLAGEN SICH SCHON RASCH.
Zu «Noth und Sorgen» besteht durchaus Anlass, denn die Hoffnungen, den Holländer in Paris aufgeführt zu sehen, zerschlagen sich schon rasch. Zwar kann Wagner durch Vermittlung des gutmütigen Meyerbeer den Plot verkaufen und von den laut Mein Leben verdienten 500 Franc ein Klavier mieten, dessen er zur Komposition bedarf. Doch mit dem eigentlichen Libretto beauftragt die Direktion der Pariser Oper einen Schwager Victor Hugos, und mit der Komposition den neuen Chordirektor Pierre-Louis Dietsch. So komponiert Wagner seinen Holländer nunmehr auf eigenes Risko – in der Hoffnung auf eine Aufführung in Berlin, wo genau zwanzig Jahre vorher der Freischütz zu jenem grossartigen Erfolg geworden war, den er sich nun selbst in der Heimat ersehnt.
Was für Webers Freischütz der Wald, ist für Wagners Holländer das «grosse, wilde Meer»; und an die Stelle des Jägerchors tritt der Chor der Seeleute, deren Arbeitsrufe in der Musik realistisch widerhallen. Auch in anderen Nummern sind die genrehaften Züge der deutschen Oper unübersehbar. Doch zugleich deutet sich eine Musiksprache an, die Weber, Spohr oder Marschner weit hinter sich lässt. In späteren Jahren hätte Wagner zwar gern an der Partitur des Holländers gebessert; doch gottlob hat
er davon abgelassen. Denn sein erster grosser Schritt von der Oper zum musikalischen Drama ist reizvoll gerade in seinem unkalkulierten Eifer.
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DOCH ZUGLEICH DEUTET
SICH EINE MUSIKSPRACHE AN, DIE WEBER, SPOHR
Angesichts unseres heutigen Musikbetriebs, der vereinnahmt und absorbiert, was nur immer er will, kann man sich kaum noch vorstellen, was es bedeutet, mit einem Bühnenwerk wie dem Holländer aus der «Ordnung der Dinge» auszubrechen und gleichsam gegen die Zeit zu agieren. Jede Epoche ist ja auf spezifische Weise rhythmisiert; und zum Rhythmus der un ruhigen, in vielen Farben schillernden französischen Gründerzeit der Jahre 1830 bis 1850 gehört die Grand Opéra. Mit dem Holländer schert der Pariser Wagner aus diesem komplexen Design aus. Das neue Werk zeige, so wird er sich später in seiner Schrift Zukunftsmusik äussern, «dass der Glanz des Pariser Ideals vor mir verblich, und ich die Gesetze der Form für meine Konzeptionen aus einem anderen Quelle zu schöpfen begann, als aus dem vor mir ausgebreiteten Meere der giltigen Öffentlichkeit.»
ODER MARSCHNER WEIT HINTER SICH LÄSST.
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Er habe, so schreibt er weiter, «schon bei der Abfassung des Gedichtes» anders gefühlt als bei der Niederschrift des Librettos zu Rienzi, «wo ich eben nur noch einen ‹Operntext› im Sinne hatte, der es mir ermöglichen sollte, alle die vorgefundenen, gesetzgebenden Formen der eigentlichen grossen Oper, als da sind: Introduktionen, Finales, Chöre, Arien, Duetten, Terzetten usw., so reichlich als möglich auszufüllen.» Zugleich sei mit der Stoffwahl die Wendung vom «Historisch-konventionellen», dessen Behandlung die Ausbreitung «umständlicher» und «entlegener» Details erfordere, zur Sage mit «rein menschlichem Inhalt» vollzogen worden: «Eine Ballade, ein volksthümlicher Refrain genügt, augenblicklich uns diesen Charakter mit grösster Eindringlichkeit bekannt zu machen.»
Diese «Eindringlichkeit» vermitteln uns in besonderem Masse die frühen Fassungen des Fliegenden Holländers , wobei wir von «Fassungen» im Plural sprechen müssen, weil es die frühe Fassung ebenso wenig gibt wie die revidierte Fassung. Vielmehr arbeitet Wagner von Phase zu Phase an der Oper weiter, geht – je nach Aufführungssituation – in einigen Fällen sogar wieder auf Elemente einer älteren Fassung zurück. Was von heutigen Theatern als «Frühfassung»
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geboten wird, sieht somit in manchen Nuancen unterschiedlich aus. Jedoch gibt es einige Essentials, die hier speziell im Blick auf die Zürcher Neuinszenierung erörtert werden sollen.
Ein hervorstechendes Merkmal des «Ur-Holländers» ist die Einaktigkeit, mit der die Vorstellung verbunden war, dass das Stück ohne Pause gegeben werden sollte. Diese Intention entsprach zum einen Wagners ursprünglicher Absicht, der Pariser Opéra das Werk als Einakter anzubieten. Zum anderen spiegelt sie jedoch auch seine Idee, dass die Sage vom fliegenden Holländern den Zuschauern unbedingt in konzentriertester Form geboten werden müsse. Lange Pausen zwischen den Akten, wie sie damals üblich waren und bis heute Usus sind, hätten da gestört und die intendierte elementare Wirkung geschmälert.
Die zwischen den Aufzügen notwendigen Bühnenverwandlungen sollten demgemäss bei fortlaufender Musik vor sich gehen.
In der Tat gehen in der Urfassung alle drei Aufzüge bruchlos ineinander über.
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Als der Komponist seinen Fliegenden Holländer nach Fertigstellung der Partitur der Berliner Oper anbot, musste er jedoch feststellen, dass man sich dort der einaktigen Fassung offenbar widersetzte und auf der üblichen Dreiaktigkeit mit zwei Pausen bestand. Jedenfalls änderte Wagner für die Uraufführung, die dann allerdings nicht in Berlin, sondern am 2. Januar 1843 in Dresden stattfand, die Partitur dergestalt, dass die fliessenden Übergänge zwischen dem ersten und zweiten sowie dem zweiten und dritten Aufzug zu formalen Aktschlüssen und -neuanfängen mutierten. Aus Zeitdruck geschah dies auf recht simple, jedenfalls nicht sonderlich elegante Weise.
Dass Wagner in späteren Jahren auf die ursprüngliche Idee einer einaktigen Fassung nicht wieder zurückgekommen ist, dürfte vor allem theaterpraktische Gründe gehabt haben. Jedenfalls spricht nichts dagegen, vielmehr vieles dafür, dem heutigen Publikum die einaktige Urfassung zu bieten – und damit einen Fliegenden Holländer in besonders gestraffter Form.
Louis Spohr, dem für eine frühe Aufführung in Kassel die Urfassung des Holländers vorlag, rühmte an dem Werk, dass es offensichtlich nicht geschrieben sei, um nach Art der «modernen Opernmusik» vor allem «gefallen zu wollen», sondern «in reiner Begeisterung». Er zeigte demgemäss auch Verständnis dafür, dass Wagner «enorm schwer und etwas überladen instrumentiert» habe.
Der Komponist selbst empfand die Wucht seiner Instrumentierung allerdings schon bald nach der Uraufführung als Problem. Selbstkritisch bemerkte er gegenüber Franz Liszt, der den Holländer 1853 in Weimar aufführte, über Sentas «Schrei der Überraschung» im 2. Akt: «Das Blech und die Pauken bei diesem Schlage waren von zu grober, materieller Wirkung: man soll über Sentas Schrei beim Anblick des Holländers erschrecken, nicht aber über die Pauke und das Blech.»
Demgemäss nahm er im Laufe der Jahre verschiedentlich Retuschen an der Instrumentierung vor. Diese sind in der aktuellen Zürcher Inszenierung nur gelegentlich beibehalten, im wesentlichen jedoch zugunsten der «Urfassung» zurückgenommen. Auch das hat einen guten Sinn: Wir verfügen heute in höherem Masse als zu Wagners Zeiten über Orchesterleiter und -musiker, die allein durch spezifische Dirigier- und Spielweise einen Ausgleich zu schaffen vermögen zwischen unangebrachter Überinstrumentation auf der einen und dem positiven Eindruck wilder Frische auf der anderen Seite.
GANZ BESONDERS IST ES
VON VORTEIL, DER
URFASSUNG FOLGEND,
AUF DIE VERKLÄRENDEN
KLÄNGE DER HARFE
IN DER SCHLUSSSZENE ZU VERZICHTEN.
Ganz besonders ist es von Vorteil, der Urfassung folgend, auf die verklärenden Klänge der Harfe in der Schlussszene zu verzichten. Denn, wie schon angedeutet, muss die Handlung in der Urfassung noch ohne das versöhnende Licht auskommen, in das Wagner sie erst später – durch entsprechende Regiebemerkungen – getaucht hat: Der Schluss des Prosaentwurfs vom Frühjahr 1841 lautet: Senta, die hier noch Anna heisst, ruft «dem abfahrenden Holländer nach: ‹Wohl weiss ich, dass du nur durch ein Weib erlöst werden kannst, das dir treu ist bis an ihren Tod! Sieh mich, ich bin dir treu bis jetzt, bis zu meinem Tod!› Sie springt in das Meer; in demselben Momente versinkt im Nu das Schiff des Holländers.» Noch in Eine Mittheilung an meine Freunde betont Wagner, Senta habe den Holländer «nur durch ihren und seinen Untergang erlösen» können.
Während also der Holländer Senta in der Frühfassung zu sich in die Tiefe zieht, ist es später umgekehrt: «Senta erhebt den Holländer, drückt ihn an ihre Brust, und deutet mit der einen Hand, wie mit ihrem Blicke, himmelwärts. Das leise immer höher gerückte Felsenriff nimmt unmerklich die Gestalt einer Wolke an», lautet demgemäss Wagners revidierte Regieanweisung. Doch auch
die dazu erklingenden Harfenklänge können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der neu akzentuierte Schluss dubios ist. Denn die Handlung der Oper zeigt keine Entwicklung, die eine Apotheose begründen könnte. Im Gegenteil: Der existenzielle Schock, den sie auslöst, basiert auf einem einzigen Moment: dem Untergang des bis dahin zu ewiger Ruhelosigkeit verurteilten Holländers. Solches entsprach Wagners eigenem Lebensgefühl in seiner ersten Lebenshälfte. Aus dem Zürcher Exil schrieb er dem Freund Liszt, als dieser sich für die Oper engagierte: «Viel Glück zum ‹fliegenden Holländer›! Dieser trübselige Held geht mir jetzt nicht aus dem Kopf! Immer höre ich: ‹Ach möchtest Du, bleicher Seemann sie finden!› mit dem: ‹Doch kann dem bleichen Manne Erlösung einsten noch werden› ist’s doch vorbei! für mich giebt’s keine Erlösung mehr – als der Tod !»
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Martin Geck ist Musikwissenschaftler und Wagnerforscher.
Kürzlich erschien im Münchner Siedler Verlag sein Buch «Wagner. Biographie.»
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Richard Wagner
I. Aus: «Eine Mitteilung an meine Freunde»
Es war eine wollüstig schmerzliche Stimmung, in der ich mich damals (1840/41) befand; sie gebar mir den längst bereits empfangenen Fliegenden Holländer. –Die Gestalt des Fliegenden Holländers ist das mythische Gedicht des Volkes: ein uralter Zug des menschlichen Wesens spricht sich in ihm mit herzergreifender Gewalt aus. Dieser Zug ist, in seiner allgemeinsten Bedeutung, die Sehnsucht nach Ruhe aus den Stürmen des Lebens. In der heitern hellenischen Welt treffen wir ihn in den Irrfahrten des Odysseus und in seiner Sehnsucht nach der Heimat, Haus, Herd und – Weib, dem wirklich Erreichbaren und endlich Erreichten des bürgerfreudigen Sohnes des alten Hellas. Das irdisch heimatlose Christentum fasste diesen Zug in die Gestalt des «ewigen Juden»: diesem immer und ewig, zweck- und freudlos zu einem längst ausgelebten Leben verdammten Wanderer blühte keine irdische Erlösung; ihm blieb als einziges Streben nur die Sehnsucht nach dem Tode, als einzige Hoffnung die Aussicht auf das Nichtmehrsein. Am Schlusse des Mittelalters lenkte ein neuer, tätiger Drang die Völker auf das Leben hin: weltgeschichtlich am erfolgreichsten äusserte er sich als Entdeckungstrieb. Das Meer ward jetzt der Boden des Lebens, aber nicht mehr das kleine Binnenmeer der Hellenenwelt, sondern das erdumgürtende Weltmeer. Hier war mit einer alten Welt gebrochen; die Sehnsucht des Odysseus nach Heimat, Herd und Eheweib zurück hatte sich, nachdem sie an den Leiden des «ewigen Juden» bis zur Sehnsucht nach dem Tod genährt worden, zu dem Verlangen nach einem Neuen, Unbekannten, noch nicht sichtbar Vorhandenen, aber im voraus Empfundenen, gesteigert. Diesen ungeheuer weit ausgedehnten Zug treffen wir im Mythos des fliegenden Holländers, diesem Gedicht des Seefahrervolkes aus der weltgeschichtlichen Epoche der Entdeckungsreisen. Wir treffen auf eine vom Volksgeiste bewerkstelligte, merkwürdige Mischung des Charakters des ewigen Juden mit dem des Odysseus. Der
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VON HIER AN BEGINNT
MEINE LAUFBAHN ALS DICHTER, MIT DER ICH DIE DES VERFERTIGERS VON OPERNTEXTEN VERLIESS.
holländische Seefahrer ist zur Strafe seiner Kühnheit vom Teufel (das ist hier sehr ersichtlich: dem Elemente der Wasserfluten und der Stürme) verdammt, auf dem Meere in alle Ewigkeit rastlos herumzusegeln. Als Ende seiner Leiden ersehnt er, ganz wie Ahasveros, den Tod; diese, dem ewigen Juden noch verwehrte Erlösung kann der Holländer aber gewinnen durch – ein Weib, das sich aus Liebe ihm opfert: die Sehnsucht nach dem Tode treibt ihn somit zum Aufsuchen dieses Weibes; dies Weib ist aber nicht mehr die heimatlich sorgende, vor Zeiten gefreite Penelope des Odysseus, sondern es ist das Weib überhaupt, aber das noch unvorhandene, ersehnte, geahnte, unendlich weibliche Weib –sage ich es mit einem Worte heraus: das Weib der Zukunft. Dies war der Fliegende Holländer, der mir aus den Sümpfen und Fluten meines Lebens so wiederholt und mit so unwiderstehlicher Anziehungskraft auftauchte; das war das erste Volksgedicht, das mir tief in das Herz drang, und mich als künstlerischen Menschen zu seiner Deutung und Gestaltung im Kunstwerk gemahnte. Von hier an beginnt meine Laufbahn als Dichter, mit der ich die des Verfertigers von Operntexten verliess. Stelle ich mich hiermit meinen Freunden als Dichter vor, so sollte ich fast Bedenken tragen, schon mit ei ner Dichtung, wie der meines Fliegenden Holländers , es zu tun. In ihr ist so vieles noch unentschieden, das Gefüge der Situationen meist noch verschwimmend, die dichterische Sprache und der Vers oft noch des individuellen Gepräges so bar, dass namentlich unsere modernen Theaterstückdichter, die alles nach einer abgesehenen Form konstruieren, und von dem eit len Wissen ihrer angelernten formellen Fähigkeit aus auf das Auffinden beliebiger Stoffe zur Behandlung in dieser Form ausgehen, die Bezeichnung dieser Dichtung als solcher mir für eine hart zu züchtigende Frechheit anrechnen werden. Weniger als die Furcht vor dieser zu erwartenden Strafe, würde mich mein eigenes Bedenken gegen die Form dieser Dichtung kümmern, wenn es meine Absicht wäre, mich mit diesem Gedichte überhaupt als eine vollendete Erscheinung hinzustellen; wogegen es mich gerade reizt, meinen Freunden mich in meinem Werden vorzuführen. Die Form der Dichtung des Fliegenden Holländers war mir aber, wie überhaupt die Form jeder meiner nachherigen Dichtungen, bis auf die äussersten Züge der musikalischen Ausführung, von
DENN SO
AUFGEKLÄRT WAR ICH
SCHON DAMALS, DASS
DAS POLITISCHE DEUTSCHLAND
NICHT DIE MINDESTE
ANZIEHUNGSKRAFT FÜR
MICH BESASS.
dem Stoffe insoweit angewiesen, als er mir zum Eigentum einer entscheidenden Lebensstimmung geworden war, und ich durch Übung und Erfahrung auf dem eingeschlagenen Wege selbst mir die Fähigkeit zu künstlerischem Gestalten überhaupt gewonnen hatte. Unter äusseren Umständen, die ich bereits meinen Freunden berichtete, führte ich den Fliegenden Holländer mit grosser Schnelligkeit in Dichtung und Musik aus. Ich hatte mich von Paris aus auf das Land zurückgezogen, und trat von hier aus wieder in erste Berührung mit meiner deutschen Heimat. Mein Rienzi war in Dresden zur Aufführung angenommen worden. Diese Annahme galt mir im allgemeinen für ein fast überraschend aufmunterndes Liebeszeichen und einen freundlichen Gruss aus Deutschland, die mich umso wärmer für die Heimat stimmten, als die Pariser Weltluft mich mit immer eisigerer Kälte anwehte. Ein empfindungsvoller, sehnsüchtiger Patriotismus stellte sich bei mir ein, von dem ich früher durchaus keine Ahnung gehabt hatte. Dieser Patriotismus war frei von jeder politischen Beifärbung; denn so aufgeklärt war ich allerdings schon damals, dass das politische Deutsch land, etwa dem politischen Frankreich gegenüber, nicht die mindeste Anziehungskraft für mich besass. Es war das Gefühl der Heimatlosigkeit in Paris, das mir die Sehnsucht nach der deutschen Heimat erweckte: diese Sehnsucht bezog sich aber nicht auf ein Altbekanntes, Wiederzugewinnendes, sondern auf ein geahntes und gewünschtes Neues, Unbekanntes, Erstzugewinnendes, von dem ich nur das eine wusste, dass ich es in Paris gewiss nicht finden würde. Es war die Sehnsucht meines fliegenden Holländers nach dem Weib – aber, wie gesagt, nicht nach dem Weibe des Odysseus, sondern nach dem erlösenden Weibe, dessen Züge mir in keiner sicheren Gestalt entgegentraten, das mir nur wie das weibliche Element überhaupt vorschwebte; und dies Element gewann hier den Ausdruck der Heimat, das heisst des Umschlossenseins von einem innig vertrauten Allgemeinen, aber einem Allgemeinen, das ich noch nicht kannte, sondern eben erst nur ersehnte, nach der Verwirklichung des Begriffs «Heimat»; wogegen zuvor das durchaus Fremde meiner früheren engen Lage als erlösendes Element vorschwebte, und der Drang, es aufzufinden, mich nach Paris getrieben hatte. Wie ich in Paris ent-
täuscht worden war, sollte ich es nun auch in Deutschland werden. Mein fliegender Holländer hatte allerdings die neue Welt noch nicht entdeckt: sein Weib konnte ihn nur durch ihren und seinen Untergang erlösen.
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Als ich so gänzlich ohne alle nächsten Aussichten auf Paris war, ergriff ich wieder die Komposition meines Rienzi; ich bestimmte ihn nun für Dresden, einmal, weil ich an diesem Theater die besten Mittel vorhanden wusste, die Devrient, Tichatschek etc., zweitens, weil ich auf Bekanntschaften aus meiner frühesten Zeit mich stützend dort am ersten Eingang zu finden hoffen durfte. Mein Liebesverbot gab ich nun fast gänzlich auf; ich fühlte, dass ich mich als Komponisten desselben nicht mehr achten konnte. Desto unabhängiger folgte ich meinem wahren künstlerischen Glauben bei der Fortsetzung der Komposition meines Rienzi. Mannigfacher Kummer und bittere Not bedrängten um diese Zeit mein Leben. Plötzlich erschien Meyerbeer wieder auf eine kurze Zeit in Paris. Mit der liebenswürdigsten Teilnahme erkundigte er sich nach dem Stande meiner Angelegenheiten, und wollte helfen. Nun setzte er mich auch in Verbindung mit dem Direktor der grossen Oper, Leon Pillet: Es war dabei auf eine zwei- oder dreiaktige Oper abgesehen, deren Komposition für dieses Theater mir anvertraut werden sollte. Ich hatte für diesen Fall mich bereits mit einem Sujet-Entwurfe versehen. Der fliegende Holländer, dessen innige Bekannt schaft ich auf der See gemacht hatte, fesselte fortwährend meine Fantasie; dazu machte ich die Bekanntschaft von H. Heines eigentümlicher Anwendung dieser Sage in einem Theile seines Salons. Besonders die von Heine einem holländischen Theaterstücke gleichen Titels entnommene Behandlung der Erlösung dieses Ahasverus des Ozeans gab mir Alles an die Hand, diese Sage zu einem Opernsujet zu benutzen. Ich verständigte mich darüber mit Heine selbst, verfasste den Entwurf und übergab ihn dem Herrn Leon Pillet mit dem Vorschlage, mir darnach ein französisches Textbuch machen zu lassen. So weit war Alles eingeleitet, als Meyerbeer abermals von Paris fortging und die Erfüllung meiner Wünsche dem Schicksal überlassen musste. Bald war ich erstaunt, von Pillet zu erfahren,
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER, DESSEN INNIGE
BEKANNTSCHAFT ICH AUF DER
SEE GEMACHT HATTE, FESSELTE FORTWÄHREND
MEINE FANTASIE
DIESE ZEIT WAR
DER KULMINATIONSPUNKT
MEINER ÄUSSERST
TRAURIGEN LAGE.
der von mir überreichte Entwurf gefalle ihm so sehr, dass er wünschte, ich träte ihm denselben ab. Er sei nämlich genötigt, einem ältern Versprechen gemäss einem andern Komponisten baldigst ein Opernbuch zu übergeben: Der von mir verfasste Entwurf scheine ihm ganz zu solchem Zwecke geeignet, und ich würde wahrscheinlich kein Bedenken tragen, in die erbetene Abtretung einzuwilligen, wenn ich überlegte, dass ich vor dem Verlauf von vier Jahren mir unmöglich Hoffnung machen könnte, den unmittelbaren Auftrag zur Komposition einer Oper zu erhalten, da er erst noch Zusagen an mehrere Kandidaten der grossen Oper zu erfüllen habe; bis dahin dürfte es mir natürlich doch auch zu lang werden, mich mit diesem Sujet herumzutragen; ich würde ein neues auffinden, und mich gewiss über das gebrachte Opfer trösten. Ich bekämpfte hartnäckig diese Zumutung, ohne jedoch etwas Anderes, als die vorläufige Vertagung der Frage ausrichten zu können. Ich rechnete auf eine baldige Wiederkunft Meyerbeers und schwieg. – –Im November dieses Jahres hatte ich die Partitur meines Rienzi vollständig beendigt, und sandte sie unverzüglich nach Dresden. Diese Zeit war der Kulminationspunkt meiner äusserst traurigen Lage. Gut war es, dass nun meine Oper beendet war, denn jetzt sah ich mich genötigt, auf längere Zeit der Ausübung aller Kunst zu entsagen: Ich musste für Schlesinger Arrangements für alle Instrumente der Welt, selbst für Cornet à pistons übernehmen, denn unter dieser Bedingung war mir eine kleine Erleichterung meiner Lage gestattet. Den Winter zu 1841 durchbrachte ich somit auf das Unrühmlichste. Im Frühjahr zog ich auf das Land nach Meudon; bei dem warmen Herannahen des Sommers sehnte ich mich wieder nach einer geistigen Arbeit; die Veranlassung dazu sollte mir schneller kommen, als ich dachte. Ich erfuhr nämlich, dass mein Entwurf des Textes zum Fliegenden Holländer bereits einem Dichter, Paul Fouché, übergeben war, und ich sah, dass, erklärte ich mich endlich zur Abtretung desselben nicht bereit, ich unter irgend einem Vorwande gänzlich darum kommen würde. Ich willigte also endlich für eine gewisse Summe in die Abtretung meines Entwurfes ein. Ich hatte nun nichts Eiligeres zu tun, als mein Sujet selbst in deutschen Versen auszuführen. Um sie zu komponieren, hatte ich ein Klavier nötig, denn nach dreivierteljähriger Unterbrechung alles musikalischen Produzierens musste ich
auf
mich erst wieder in eine musikalische Atmosphäre zu versetzen suchen; ich mietete ein Piano. Nachdem es angekommen, lief ich in wahrer Seelenangst umher; ich fürchtete nun entdecken zu müssen, dass ich gar nicht mehr Musiker sei. Mit dem Matrosenchor und dem Spinnerlied begann ich zuerst; alles ging mir im Fluge vonstatten, und laut auf jauchzte ich vor Freude bei der innig gefühlten Wahrnehmung, dass ich noch Musiker sei. In sieben Wochen war die ganze Oper komponiert. Am Ende dieser Zeit überhäuften mich aber wieder die niedrigsten äusseren Sorgen: Zwei volle Monate dauerte es, ehe ich dazu kommen konnte, die Ouvertüre zu der vollendeten Oper zu schreiben, trotzdem ich sie fast fertig im Kopfe herumtrug. Natürlich lag mir nun nichts so sehr am Herzen, als die Oper schnell in Deutschland zur Aufführung zu bringen: von München und Leipzig erhielt ich abschlägige Antwort: die Oper eigne sich nicht für Deutschland, hiess es. Ich Tor hatte geglaubt, sie eigne sich nur für Deutschland, da sie Saiten berührt, die nur bei dem Deutschen zu erklingen im Stande sind. – Endlich schickte ich meine neue Arbeit an Meyerbeer nach Berlin, mit der Bitte, ihr die Annahme an dem dortigen Hoftheater zu verschaffen. Mit ziemlicher Schnelle wurde diese bewirkt. Da bereits auch mein Rienzi für das Dresdner Hoftheater angenommen war, so sah ich nun der Aufführung zweier meiner Werke auf den ersten deutschen Bühnen entgegen, und unwillkürlich drängte sich mir die Ansicht auf, dass sonderbarerweise Paris mir vom grössten Nutzen für Deutschland gewesen sei. Für Paris selbst war ich jetzt auf einige Jahre aussichtslos; ich verliess es daher im Frühjahr 1842. Zum ersten Male sah ich den Rhein, – mit hellen Tränen im Auge schwur ich armer Künstler meinem deutschen Vaterlande ewige Treue.
MIT HELLEN TRÄNEN IM AUGE
SCHWUR ICH ARMER KÜNSTLER MEINEM DEUTSCHEN VATERLANDE EWIGE TREUE.
Anmerkungen zur Persönlichkeit Richard Wagners
Martin Gregor-Dellin
ANGENEHM IST
DAS TALENT, NICHT DAS GENIE;
DIE LEISTUNG ABER
KOSTET MEIST LEBENSVERZICHT
ODER DEN GUTEN RUF.
Die Natur vereinigt selten Intellekt, Begabung und Willen mit Güte, Noblesse und Bescheidenheit in einer Person, denn es handelt sich dabei um Eigenschaften, die im äussersten Fall einander behindern. Durchsetzungsvermögen und Glaube an die eigene Berufung gedeihen schwer auf dem Boden eines gering geschätzten eigenen Ichs. Die grosse harmonische Persönlichkeit ist der Ausnahmefall, und auch da weiss niemand von den heimlichen Lastern und dem Preis, mit dem der Anschein von Vollkommenheit, Haltung und Würde bezahlt wird. Angenehm ist das Talent, nicht das Genie; die Leistung aber kostet meist Lebensverzicht oder den guten Ruf. Warum sonst gelten Künstler so wenig in ihrer Heimat, zumindest zu Lebzeiten, da man sich noch ihrer gleichgültigen Herkunft und fragwürdigen Anfänge erinnert? Wer sollte ihnen denn glauben, dass sie das Ausserordentliche nicht nur wollen, sondern, sobald sie sich erst einmal recht missliebig gemacht haben, auch zustande bringen? Richard Wagner ist ein Musterbeispiel dafür, wie einer die Vergangenheit nicht los wurde, bis zum Blick in das Nichts, aus dem er kam. Sein beständiges Insistieren, er wolle auch als Mensch geliebt werden, resultierte gewiss auch aus der Ahnung, was er damit verlangte. Er stürzte und stand wieder auf. Das Gewinnende, Liebenswürdige und Konziliante ging dabei verloren oder kam überhaupt nur als Waffe in Betracht, als Charme, den die Faszinierten rühmten und die Fernstehenden verdächtig fanden. Auch dies passt zum Bild des Verführers, der, weil er sich retten muss, nur an sich selbst denkt. Aber bis hierher ist er auswechselbar. Das folgende Zitat: «Seltsam an mir ist
der Anspruch, den ich habe an die Welt, nicht an die Naturwelt, sondern an die Menschen –, besser, an die Gesellschaftswelt: Diese ist mir etwas schuldig, sie muss sich von mir etwas gefallen lassen», stammt nicht etwa von dem musikalischen Welteroberer, sondern aus Peter Handkes Geschichte des Bleistifts. Wagner rang, zuweilen mit unerlaubten Mitteln, um seine Wirkung in der Welt und auf die Menschen. Dass es dabei moralisch nicht immer einwandfrei zuging, ist eine Allerweltswahrheit, um die sich in anderen Fällen niemand sehr lange kümmert. Er allerdings, irrend und von überlaufendem Mitteilungsdrang, lieferte genug Angriffsflächen, die ihn zum schwarzen Schaf der Deutschen werden liessen.
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Es gibt zwei Themen, die in allen Bühnenwerken Richard Wagners, einschliesslich der musikalisch nicht ausgeführten, immer wiederkehren: Scheitern und Verrat. Vielleicht ist das sogar ein und dasselbe: Scheitern durch Verrat. Die Dramen beschreiben, wie es nicht geht, das ist die trivialste Einsicht, die jeder Erstleser gewinnen müsste. Weshalb denn auch am Ende mehr oder weniger gewaltsam die Erlösung herbeigezwungen werden muss. Wäre nicht jenseits allen Scheiterns eine Apotheose möglich – und keine von Wagners UntergangsGeschichten erlöscht ohne ein solches Leuchten –, so wäre das Entscheidende, das seine Phantasie überhaupt erst in Gang gesetzt hat: nämlich Liebe, Liebessehnsucht, der alles beherrschende Trieb, den er in Soziallehren und Schopenhauers Willen wiedererkennt, widerlegt und so gut wie nicht vorhanden. Das aber darf nicht sein. Nimmt man Wagners Werke beim Wort, so behandeln sie ausnahmslos eines: das Liebesverbot. Von der vordergründigsten, heitersten, wenn auch nicht ganz gefahrlosen Variante im gleichnamigen Frühwerk, worin mit dem Tode bestraft werden soll, wer unerlaubt liebt, über die sogenannten romantischen Opern und den Ring des Nibelungen bis hin zu Tristan und Isolde und Parsifal wird dargestellt, dass Macht oder Mächte die Liebe nicht erlauben. Eros allein führt nicht zur Vereinigung, sondern zur Katastrophe, da die Welt ist, wie sie ist. Schwere Irritationen, unberechenbare Kraftfelder verursachen das Unglück aller Protagonisten, erst recht alle Opern-Paare und Opern-Ehen, und nicht sie selbst sind schuld an ihrem Scheitern, sondern die Umstände, die sie zusammenzwangen.
NIMMT MAN
WAGNERS WERKE BEIM WORT, SO BEHANDELN SIE
AUSNAHMSLOS EINES: DAS LIEBESVERBOT.
WAGNERS REGRESSIONEN
SIND NIE OHNE LEIDEN
AN FALSCHER GEGENWART,
DIE NACH VORN
NICHT DURCHLÄSSIG IST.
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Man hat Richard Wagner entweder ganz oder gar nicht. Eine reinliche Scheidung zwischen Gutem und Bösem, Bedeutung und Anmassung, Zukunftsweisendem und Rückwärtsgewandtem ist ebenso unmöglich wie eine Trennung von Licht und Schatten in dem Jahrhundert, das er samt seinen Strömungen und Tendenzen bis ins letzte repräsentiert. Eine der gesichertsten Erkenntnisse der neueren Forschung ist denn auch der heute in West und Ost akzeptierte Befund, dass es einen eindeutigen, periodischen Bruch zwischen frühem und spätem Wagner, zwischen einem revolutionären und einem reaktionären, der sich mit Namen wie Feuerbach und Schopenhauer, Röckel und Gobineau etikettieren liesse, nicht gibt, sondern dass sich von Anfang bis zum Ende heterogene Grundtendenzen, Anschauungen und Meinungen überlagern, die sich nur durch das Werk und im Werk gesiebt und gefiltert werden – meist durch einen Durchgriff auf den mythopoetischen Kern der Fabel –, die im Leben und Denken jedoch unverbunden nebeneinander bestehen.
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Wagners Regressionen sind nie ohne Leiden an falscher Gegenwart, die nach vorn nicht durchlässig ist.
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Da die Wirklichkeit und die Vorstellungen Wagners so weit auseinanderlagen, war es in seinem Umkreis ungemütlich, und man kann sich die Menschen nicht so recht denken, die es in seiner Nähe aushielten und von ihm geliebt werden wollten. Als man den französischen Dichter-Grafen Villiers de l’Isle-Adam, der sich mit Richard Wagner befreundet fühlte, einmal fragte, ob der Umgang mit dem Komponisten eigentlich unterhaltsam sei, antwortete er mit Schärfe: «Ist etwa der Umgang mit dem Ätna unterhaltsam?»
Eine kleine Kulturgeschichte von Reise und Abenteuer
Thomas Macho
«Wer hat den runden Globus plattgehauen, warum gibt es keine Täler und Tiefseen mehr, wer hat die Alpen entknittert und glatt gestrichen, warum sticht auf dieser Erde nichts heraus?»
Rainald Grebe: Global Fish
I.
Die Sage vom fliegenden Holländer bezieht sich auf die Gründungserzählungen der Neuzeit. Sie berichtet von den Künsten und Abenteuern, Triumphen und Risiken der Seefahrt, die noch im Mittelalter so verrufen und unheimlich war, dass Dante den Helden Homers, den listenreichen Ulysses, in den achten Höllenkreis verbannte, in einen Abgrund mit Feuerflammen, der auch die boshaften Ratgeber beherbergte; denn Ulysses habe in verhängnisvoller Hybris die Grenzen der zivilisierten Welt überschritten, indem er die «Säulen des Herakles», die Felsen der Meerenge von Gibraltar, mit seinen Schiffen passierte. Auf der jahrhundertelang erfolglos gebliebenen Suche nach einem Seeweg ins Reich der Wunder, Gewürze und Schätze, einer profitablen Route zum indischen Subkontinent, die nicht von islamischen Herrschern kontrolliert werden konnte, waren die «Säulen des Herakles» freilich das harmloseste Hindernis. Viel gefährlicher waren die Felsklippen des «Kaps der Guten Hoffnung» an der Südspitze Afrikas, die noch Kolumbus dazu motivierten, eine alternative Richtung einzuschlagen, um über den Atlantik nach Indien zu gelangen; dabei stiess er bekanntlich auf Amerika, fünf Jahre bevor Vasco da Gama endgültig den Seeweg nach Indien entdeckte. Das 16. Jahrhundert gehörte folgerichtig
den Portugiesen und Spaniern, das 17. Jahrhundert den Niederländern, die im August 1602 die «Verenigde Oostindische Compagnie», die Niederländische Ostindien-Kompanie, begründeten, und im 18. Jahrhundert begann der unaufhaltsame Aufstieg des British Empire.
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Zu den prominenten Kapitänen des goldenen Zeitalters der Niederlande gehörte Bernard Fokke; er war berühmt und berüchtigt für die Geschwindigkeit, mit der er die Distanz zwischen Holland und Java zurücklegte. So habe er im Jahr 1678 die Reise nach Batavia in drei Monaten und vier Tagen bewältigt, was durch Übergabe eines Pakets von datierten Briefen und Papieren für Rijcklof van Goens, den Generalgouverneur Ostindiens, bestätigt wurde. Das Volk soll freilich bald gemunkelt haben, der rasende Seefahrer sei mit dem Teufel im Bunde, den er – in Gestalt eines schwarzen Pudels – an Bord mitführe. Der er folg reiche Kapitän wurde mit einem Denkmal auf der Insel Kuipertje, vor dem Hafen von Batavia, geehrt; die Statue wurde 1808 zerstört, als die niederländische Herrschaft sowohl in Südafrika als auch in Indien von den Engländern gestürzt und abgelöst wurde. Erst danach verbreitete sich übrigens die Sage vom fliegenden Holländer, der verflucht sei, ruhelos bis zum Jüngsten Gericht über die Weltmeere zu segeln. Der Fluch wurde seltener auf den Teufelspakt zurückgeführt als vielmehr auf das gebrochene Versprechen, einem Freund in Seenot zu Hilfe zu kommen, oder auf die tyrannische Willkür des Kapitäns, der einen Matrosen bei der Umsegelung des «Kaps der Guten Hoffnung» über Bord geworfen habe. Faktisch reflektierte die Sage jedoch den Untergang des niederländischen Kolonialreichs; einen solchen Zusammenhang hat auch Washington Irving in seiner Novelle vom Storm-Ship (1822) ausdrücklich hergestellt. Im selben Jahr 1602, in dem die Niederländische OstindienKompanie in Amsterdam gegründet wurde, erschien in Leiden der Erstdruck einer deutschsprachigen, antijüdischen Flugschrift mit dem Titel: Kurtze Beschreibung vnd Erzehlung von einem Juden mit Namen Ahassverus. In diesem Text wurde die Geschichte eines jüdischen Schuhmachers aus Jerusalem erzählt, der zur Zeit Jesu lebte und mitgeholfen habe, den «Verführer» zu «fangen», «für die Hohenpriester vnd Pilatum führen/an klagen/über jhn das Crucifige schreyen/vnd vmb Barrabam bitten/auch so weit
FAKTISCH
REFLEKTIERTE DIE SAGE
DEN UNTERGANG DES NIEDERLÄNDISCHEN KOLONIALREICHS
WAGNER SELBST HAT
DEN FLIEGENDEN HOLLÄNDER
AUSDRÜCKLICH
NICHT NUR AUF ODYSSEUS, SONDERN AUCH
AUF AHASVER BEZOGEN
bringen helffen/biss er zum Todt verurtheilt worden». Auf dem Kreuzweg sei Jesus am Haus des Schusters vorbeigeführt worden, habe ihn «starck» angesehen und gesagt: «Ich wil stehen vnd ruhen/du aber solt gehen». Im selben Augenblick habe der Mann sich auf den Weg gemacht, sei nie mehr nach Jerusalem zurückgekehrt, habe Frau und Kind nicht wiedergesehen; er sei auch nicht gestorben, sondern kürzlich erst nach Hamburg und Danzig gekommen. Der Mann soll «so dicke Fusssohlen haben/dass mans gemessen/zweyer zwerch Finger dick gewesen/gleich wie ein Horn so hart/wegen seines langes gehen vnd Reysen». Die unheilvolle, literarisch vielgestaltige Verbreitung dieser Legende – bis zum berüchtigten NS-Propagandafilm Der ewige Jude von 1940 – ist bekannt. Wagner selbst hat – in Eine Mitteilung an meine Freunde (1851) – den fliegenden Holländer ausdrücklich nicht nur auf Odysseus, sondern auch auf Ahasver bezogen; als Schopenhauer-Leser war er wohl fasziniert von der Umkehrung der christlichen Unsterblichkeitshoffnung in einen Fluch, der die Sehnsucht nach dem Nichts, nach dem Nirwana inspiriert: «Wann alle Toten auferstehn, dann werde ich in Nichts vergehn!»
II.
Das Motiv vom rastlosen Seemann oder vom wandernden Schuhmacher Ahasver mit seinen fingerdicken Fusssohlen kann auf ältere Sagen vom wilden Jäger oder von wiederkehrenden Toten zurückgeführt werden; an diese Traditionen erinnern noch die Erzählungen von Gespensterschiffen, bis zu B. Travens sozialkritischem Roman. Zugleich verweisen diese Motive auf elementare Widersprüche menschlicher Kulturgeschichte: etwa auf den Widerspruch zwischen Sesshaftigkeit und Mobilität. Jan Assmann hat in mehreren Essays die Hypothese entwickelt, dass zahlreiche Religionen um «mythomotorische» Vorstellungen kreisen, die auf politische Integration oder Separation, Reichsgründung oder Exodus, zielen. Mit diesen Vorstellungen verbinden sich Lebensformen wie Ackerbau oder Viehzucht; fast von selbst versteht sich, dass Bauern nicht umherziehen und Viehhirten nicht sesshaft leben können. Nach Massgabe einer groben Einteilung lassen sich drei Typen historischer Antworten auf den
Widerspruch zwischen Sesshaftigkeit und Mobilität unterscheiden, die bestimmten Epochen der menschlichen Geschichte zugeordnet werden können: nämlich der Zeit der Jäger und Sammlerinnen, der Zeit agrarischer Kulturen sowie der (vergleichsweise neuen) Zeit industrieller Gesellschaften. Viele Jahrtausende lang waren menschliche Kulturen in Bewegung ohne zu «reisen». Jäger und Sammlerinnen zogen durch ein dünn besiedeltes Territorium, in regem Austausch mit anderen Gruppen. Die internen Beziehungen der Gruppen (die kaum jemals mehr als vierzig Personen umfassten) werden durch eine strikte Ökonomie des Teilens – kaum durch Verwandtschaftssysteme – reguliert, die externen Beziehungen durch einfache Formen des Schenkens und Tauschens.
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Der Widerspruch zwischen Sesshaftigkeit und Mobilität artikulierte sich nicht allein im jahreszeitlich bedingten Wechsel zwischen Wanderungen und dem stationären Aufenthalt in Höhlen oder auf Lagerplätzen, sondern auch im häufigen Umschlag der Bewegungsformen selbst: Die Jagd verwandelt sich in den Stillstand des Wartens, während die Flucht im Totstellreflex erstarren kann. Jagd und Flucht können darüber hinaus rasch ineinander übergehen. Die Tierherden, die gerade noch gehetzt wurden, wenden sich plötzlich gegen ihre Verfolger; und die flüchtende Menschengruppe lernt, dass der auf der Flucht ursprünglich unbeabsichtigt abgetretene Stein, das Geröll, das Verfolger irritierte, verletzte, vielleicht tötete, auch planmässig gerollt oder geworfen werden kann. Jäger und Sammlerinnen reisten nicht; sie waren stets zugleich unterwegs und doch zuhause. Sie nahmen unentwegt ihre Heimat mit; nicht umsonst waren noch die eurasischen Hirtennomaden davon überzeugt, dass ihre Zeltstangen als kultisch relevante Mittelpunkte an den jeweiligen Standorten fungierten. Der Himmel erschien ihnen wie ein aufgespanntes Zelt über dem Boden der Erde, das gestützt wird von einer Weltsäule oder einem Lebensbaum, der als axis mundi Himmel und Erde verbindet. Am Fusse des Mittelpfostens der Zelte wurden die kosmischen Opfer dargebracht, am Fusse jener «Himmelsleiter», welche die Schamanen der arktischen, nordamerikanischen und nordasiatischen Stämme bei ihren TranceReisen erkletterten. Gereist wurde höchstens im Traum. Auch die Jäger und
JÄGER UND SAMMLERINNEN REISTEN NICHT; SIE WAREN STETS ZUGLEICH UNTERWEGS UND DOCH ZUHAUSE. SIE NAHMEN UNENTWEGT IHRE HEIMAT MIT.
DIE BIBLISCHEN
ERZÄHLUNGEN VON DER VERTREIBUNG AUS DEM PARADIES SIND
DIE ELEMENTAREN MYTHEN
DER SESSHAFTIGKEIT.
Sammlerinnen des australischen Kontinents reisten nicht – wie wir – in der Horizontalen; sie bewegten sich vielmehr in einer Art von «Traumzeit», in der sie auf zahlreichen komplexen «Songlines» die magische Erschaffung der Welt durch die Ahnen wiederholten. Sie glaubten, durch ihr buchstäblich nomadisches Singen – das griechische Wort nomos bezeichnet zugleich den Boden, das Gesetz und den Gesang – die Welt zu erneuern und am Leben zu erhalten. Die typische Reise wird erst nach Errichtung der ersten Städte angetreten. Im Gefolge der sogenannten «neolithischen Revolution» teilt sich der bewohnte Raum in einen agrarisch bewirtschafteten, bäuerlichen Sektor, und in den urba nen Sektor der Handwerker, der von Kriegern geschützt und von Priestern und Fürsten regiert wird. Die frühen Städte zeichneten sich aus durch ein einheitliches Organisationsschema: In ihrem Zentrum befanden sich die Kornkammer und der Tempel, an ihrem Rand ein Verteidigungsgürtel, und ausserhalb dieser Zone die Gebiete landwirtschaftlicher Nutzung. Die Städte waren klein, aber ziemlich dicht besiedelt, und auch im bäuerlichen Sektor war reicher Kindersegen – als Zugewinn neuer Arbeitskräfte – sehr erwünscht. Interne Beziehungen wurden durch strenge Verwandtschafts- und Zugehörigkeitsordnungen, sowie durch eine Ökonomie der Vorratshaltung geregelt, die externen Beziehungen durch Handel und Krieg. Unter Bedingungen gesteigerter Sesshaftigkeit organisiert sich das Bedürfnis nach Mobilität vor allem in Eroberungsfeldzügen, aber auch in den Religionen: Das Paradies ist der Ursprungsort menschlicher Einwanderung, und ein himmlisches Jenseits gilt als das versprochene Land einer gerechten Erfüllung aller Wünsche und Hoffnungen. Die biblischen Erzählungen vom Sündenfall – der Vertreibung aus dem Paradies – und vom Exodus ins gelobte Land sind die elementaren Mythen der Sesshaftigkeit. In dieser Epoche entwickelte sich eine Funktionsordnung des Reisens, die uns auch heute noch vertraut vorkommt: ein Arrangement, gebildet aus der Abreise, der Passage, der Ankunft (am fremden Ort) und der Heimkehr. So reiste Odysseus: Dem kriegerisch motivierten Abschied von Ithaka und seiner treuen Frau Penelope folgten viele Jahre der gefährlichen Fahrten, der Ankünfte auf verschiedenen Inseln, schliesslich der Rückkehr (und der Ermordung der Freier). So reisten auch die Hebräer, nach-
dem sie Ägypten mit seinen «Fleischtöpfen» verlassen hatten und durch die Wüste gewandert waren, um zuletzt das Gelobte Land zu erreichen.
III.
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Die agrarische Ordnung des Reisens setzte voraus, dass Menschen sesshaft leben, sodass Mobilität «ihre verändernde Energie in der Abfolge der verschiedenen Erfahrungen von Abreise, Unterwegssein und Ankunft» zu entfalten vermag. «Die Abreise löst die Individuen aus ihrem vertrauten Zusammenhang heraus, die Passage ist die Bewegung im Raum, die Ankunft schafft neue Bindungen und Identifizierungen zwischen Fremden und eine neue Einheit zwischen dem Selbst und dem Kontext. Jedes dieser Ereignisse hat seinen ganz besonderen Charakter und muss für sich genommen betrachtet werden.» Alle Abschnitte der Reise repräsentieren eine Antwort auf den Widerspruch zwischen Sesshaftigkeit und Mobilität. «Eine Abreise kann zum Beispiel die Antwort auf die Bedürfnisse nach Loslösung und Ungebundenheit, Läuterung, Freiheit, Individualität‹, Flucht oder Selbstfindung sein. Die Passage stillt und erzeugt ein Bedürfnis nach Bewegung, kann aber auch andere, neue Bedürfnisse wecken: nach Stabilität in einem Zustand des Ungleichgewichts, nach fester Orientierung in einer in ständigem Fluss befindlichen Welt, nach Beständigkeit inmitten des Wandels. Die Ankunft befriedigt das Bedürfnis nach menschlichen Kontakten und Bindungen, nach Zugehörigkeit, nach Definition, ja sogar nach Eingrenzung, und kann wiederum ein wachsendes Bedürfnis nach Abreise, Freiheit und Flucht wecken. Zusammengenommen mögen diese Bedürfnisse gegensätzlich und widersprüchlich erscheinen; anders jedoch, wenn sie in ihrer Abfolge im Rahmen einer Reise erfahren werden. Hierin liegen vielleicht der nie endende Reiz und die Verlockung des Reisens – es überwindet die Logik des Widerspruchs, die die Logik des festen Ortes ist, und löst sie auf in eine zeitliche Abfolge, in Veränderung und Verwandlung.» (Eric J. Leed)
DIE ANKUNFT BEFRIEDIGT DAS BEDÜRFNIS NACH MENSCHLICHEN KONTAKTEN UND BINDUNGEN, JA EINGRENZUNG, UND KANN BEDÜRFNIS NACH FLUCHT WECKEN.
Seit wenigen Jahrhunderten beginnt sich diese Ordnung allmählich wieder aufzulösen. Das Funktionsschema der alten Städte verschwindet; die neuen Metropolen assimilieren die Differenz zwischen Stadt und Land. In den suburbs
DIE MODERNE
ARBEITSORGANISATION
VERLANGT MOBILITÄT; UND BELOHNT WIRD DIESE
FLEXIBILITÄT DURCH
URLAUBSREISEN IN DIE FERNSTEN LÄNDER.
sammeln sich rasch wachsende Bevölkerungsmassen; die ehemaligen Stadtkerne werden dagegen als Museen und Bühnen touristischer Inszenierungen konserviert. Gleichzeitig etablieren sich neue Antworten auf den Widerspruch zwischen Sesshaftigkeit und Mobilität: die technischen Errungenschaften des Verkehrs (Eisenbahn, Automobil, Flugzeug) und der Kommunikation (Telephon, Post, Radio, Fernsehen, Internet). Die moderne Arbeitsorganisation verlangt eine – im Vergleich mit agrarischen Kulturen – deutlich höhere Mobilität; und belohnt wird diese Flexibilität neuerdings durch die Ermöglichung von Urlaubsreisen in die fernsten Länder. Beispiel Auto: In Bezug auf den Widerspruch zwischen Sesshaftigkeit und Mobilität verspricht das Auto die Verbindung der Idee des «eigenen Heims» mit der Idee rascher Beweglichkeit. Beispiel Fernsehen: In Bezug auf den Widerspruch zwischen Sesshaftigkeit und Mobilität verspricht die Television, dass die Welt innerhalb der eigenen vier Wände sichtbar zu werden vermag. Beispiel Computer: In Bezug auf den Widerspruch zwischen Sesshaftigkeit und Mobilität verspricht der Internet-Anschluss Kontakte zu weit entfernten Orten, frei nach der Devise, es sei gar nicht notwendig, das Haus zu verlassen, um internationale Beziehungen pflegen zu können. Beispiel Tourismus: In Bezug auf den Widerspruch zwischen Sesshaftigkeit und Mobilität verspricht die Fremdenverkehrsindustrie die Eröffnung und Organisation unserer Chancen, «nicht daheim» zu sein – und doch «zuhause». Moderne Reisen zeichnen sich aus durch eine Relativierung der agrarischen Ordnung von Abreise, Passage, Ankunft und Heimkehr. Während der Reisende ehemals sein Haus bestellte, Abschied nahm von der Familie und den Freunden, durchaus im Bewusstsein einer womöglich letzten Begegnung, ist es heutzutage möglich, wegzufahren – und schon auf den ersten Metern das Handy in Betrieb zu nehmen, um mit der Frau oder den Kindern zu plaudern. Der Abgereiste muss sich nicht mehr trennen. Auch seine Passage wird möglichst so arrangiert, dass sie unauffällig verläuft: schnell, bequem, pünktlich; manchmal merkt der Reisende gar nicht mehr, welche Länder er auf seiner Fahrt durchquert (oder überfliegt). Zuletzt erfolgt die Ankunft: Auch sie assimiliert das Fremde an das Eigene, möglichst so perfekt, dass jede Differenz verschwindet.
Was es zuhause gibt, soll es auch in der Fremde geben. Im Idealfall muss gar kein Gepäck mehr mitgenommen werden: Vom Aperitiv bis zur Zahnbürste findet sich alles auch am Zielort der Reise. Diese Erwartung ist «typisch für die weltweite Gesellschaft von Reisenden, in der wir leben. Sie ist durchaus real und keine blosse Metapher, und sie ist Teil unserer Identität und unserer Beziehungen. Reisen – früher einmal eine seltene Erfahrung, ein Ausnahmezustand – ist inzwischen zur reinen Routine geworden. Es gehört nicht mehr dazu, als sich ins Auto zu setzen und einfach ein Stückchen über seine normalen Anlaufpunkte hinaus zu fahren.» (Eric J. Leed)
MANCHMAL
MERKT DER REISENDE
GAR NICHT MEHR, WELCHE
LÄNDER ER AUF SEINER
FAHRT DURCHQUERT (ODER ÜBERFLIEGT).
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IV.
Die ersten modernen Reisebüros wurden im 19. Jahrhundert gegründet: Thomas Cook & Son in Leicester (1845), K. Riesel in Berlin (1854) oder die American Express Company in New York (1882). Das Reisebüro von Cook führte zahlreiche Kundendienste ein, die heute ganz selbstverständlich erschei nen: etwa die Ausstellung durchgehender Fahrkarten für die Eisenbahnen verschiedener Länder, den Druck von Reiseführern und Reisebüchern, die Ausgabe von Hotelcoupons, die Planung und Durchführung von Einzel- oder Gesellschaftsreisen. Das Reisebüro besass ein Schifffahrtsunternehmen auf dem Nil, eine Bergbahn auf dem Vesuv und – gewiss nicht zuletzt – eine eigene Bank. In einem Dankschreiben an Thomas Cook, diesen Pionier des Massentourismus, schrieb eine zufriedene Kundin, dass viele ihrer Freunde sie und ihre drei Schwestern für zügellos hielten, «unabhängig und abenteuerlustig genug, um die Küsten des Alten England zu verlassen und in fremde Länder einzutauchen, die nicht unter Viktorias Herrschaft liegen, ohne den Schutz irgendwelcher Verwandter. [Aber] mit einem Führer und Beschützer wie Mr. Cook können wir uns überallhin wagen». Worin bestand die Aufgabe eines Reisebüros? Wer Reisen vermittelte und organisierte, musste nicht nur technische und struktu rel le Leistungen erbringen, sondern auch auf ein differenziertes Spektrum möglicher Motive der Reisenden eingehen; er gab der Frage, was zu einer Reise verführen kann, verschiedene Antworten, die mit folgenden Stichworten umrissen werden können: Neugierde, Freiheitssehnsucht, Karriere-
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DER REISENDE WILL
DIE UNSICHERHEIT DES NEUEN SPÜREN, DEN «THRILL» VON ERLEBNISSEN UND VERÄNDERUNGEN,
chancen, Abenteuerlust, Statussymbolik, Erholungsbedürfnis, Bildung, Kommunikationsinteressen. Nicht wenige Motive sind widersprüchlich: Risiken sollen gesucht, aber auch vermieden werden; Freiheiten sollen erfahren, aber auch reguliert werden, Luxus soll reduziert, aber auch gesteigert werden. Der Reisende will die Unsicherheit des Neuen spüren, den «thrill» von Erlebnissen und Veränderungen, ohne dabei die Sicherheit des Gewohnten, die Üblichkeit alltäglich praktizierter Routine, aufgeben zu müssen.
OHNE DABEI DIE SICHERHEIT
DES GEWOHNTEN AUFGEBEN ZU MÜSSEN.
Die zeitgenössische, touristische Antwort auf den Widerspruch zwischen Sesshaftigkeit und Mobilität verschmilzt die Unterschiede zwischen Fremde und Heimat; darin nähert sie sich der älteren Erfahrung von Jägern und Sammlerinnen wieder an. Daher hat der Satiriker Ernst Wilhelm Heine behauptet, unsere urbane Kultur gleiche einer neuen Steinzeit: «Ein Stadtzeitmensch verhält sich in einem modernen Supermarkt wie ein primitiver Sammler. Er sammelt in seinem Einkaufskorb, was er gerade findet und worauf er Appetit hat. [...] Er konsumiert die Dinge, so wie er sie findet. [...] Der Stadtzeitmensch kann nicht mehr weben oder spinnen. Wenn er Kleidung benötigt, so geht er in ein Modegeschäft. (Hier wird ihm das Fell über die Ohren gezogen.) [...] Der Stadtzeitmensch baut nicht. Wer eine Wohnung will, muss sich auf den Weg machen und sich eine Etagenhöhle suchen, in deren Um feld er Arbeit findet. Und wenn es dort keine Arbeit mehr gibt, so zieht er weiter.» Denn der Stadtzeitmensch sei «der grösste Nomade aller Zeiten»: Noch «zu Anfang unseres Jahrhunderts lebten fast alle Menschen an einem festen Ort, denn sie waren in der Landwirtschaft beschäftigt, und Grundbesitz ist unbeweglich. Zwischen 1979 und 1981 haben 50 Millionen Amerikaner ihren Wohnsitz gewechselt. Sie haben mit Auto, Bahn und Flugzeug 300 000 000 000 Kilometer zurückgelegt. Gegen diese gewaltigen permanenten Massenbewegungen sind die Völkerwanderungen der Vergangenheit Sonntagsspaziergänge.»
Die Diagnose mag übertrieben wirken doch wer heute reist, versteht nur noch ansatzweise, was Albert Camus meinte, als er in sein Tagebuch eintrug: «Was den Wert des Reisens ausmacht, ist die Angst. Denn in einem gewissen Augenblick, so fern von unserer Heimat, von unserer Sprache, überfällt uns eine un-
bestimmte Angst, und wir empfinden unwillkürlich das Verlangen, in den Schutz unserer alten Gewohnheiten zurückzukehren. Das ist das augenfälligste Ergebnis des Reisens. In diesem Moment fiebern wir und sind zugleich durchlässig. Der geringste Stoss erschüttert uns bis auf den Grund unseres Wesens.» Gegen die Ideologie der Vergnügungsreisen, die sich im Suchtmechanismus prinzipiell unendlicher Steigerungen verfangen, betonte Camus den selbstreflexiven Sinn des Reisens: «Es gibt kein Vergnügen des Reisens. Ich möchte eher eine Askese darin sehen. Das Vergnügen lenkt uns von uns selbst ab. Das Reisen, das gleichsam eine höhere und ernstere Wissenschaft ist, führt uns zu uns zurück.» Vielleicht kann eine solche «Askese» den tieferen Sinn der Sagen von ruhelosen Kapitänen, wilden Jägern und ewigen Wiedergängern entschlüsseln; und vielleicht kann erst eine solche «höhere und ernstere» Rückkehr zu sich selbst eine Erlösung bewirken, die nicht zwingend den Opfertod einer liebenden Frau voraussetzt.
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Thomas Macho ist Philosoph und Kulturwissenschaftler und seit 1993 Professor für Kulturgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.
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Wir halten Wort.
RICHARD WAGNER (1813-1883)
Romantische Oper in drei Aufzügen Libretto vom Komponisten
Uraufführung: 2. Januar 1843, Dresden
Personen
Daland, ein norwegischer Seefahrer Bass
Senta, seine Tochter Sopran
Erik, ein Jäger Tenor
Mary, Sentas Amme Mezzosopran
Der Steuermann Dalands Tenor
Der Holländer Bariton
Chor
Norwegische Matrosen, die Mannschaft des fliegenden Holländers, Mädchen
Schauplatz der Handlung
An der norwegischen Küste
Steiles Felsenufer. Das Meer nimmt den grössten Teil der Bühne ein. Weite Aussicht auf dasselbe. Finsteres Wetter, heftiger Sturm. – Das Schiff Dalands hat soeben dicht am Ufer Anker geworfen, die Matrosen sind mit geräuschvoller Arbeit beschäftigt, die Segel aufzuhissen, Taue auszuwerfen usw. – Daland ist an Land gegangen. Er ersteigt einen Felsen und sucht landeinwärts, die Gegend zu erkennen.
MATROSEN während der Arbeit Hojohe! Halloje! Halloho! Ho!
DALAND vom Felsen herabkommend
Kein Zweifel! Sieben Meilen fort trieb uns der Sturm vom sich’ren Port. So nah’ dem Ziel nach langer Fahrt, war mir der Streich noch aufgespart!
STEUERMANN von Bord, durch die hohlen Hände Ho! Kapitän!
DALAND
Am Bord bei euch, wie steht’s?
STEUERMANN wie zuvor Gut, Kapitän! Wir haben sich’ren Grund!
DALAND
Sandwike ist’s! Genau kenn ich die Bucht. –– Verwünscht! Schon sah am Ufer ich mein Haus, Senta, mein Kind, glaubt’ ich schon zu umarmen! –da bläst es aus dem Teufelsloch heraus … Wer baut auf Wind, baut auf Satans Erbarmen! an Bord gehend Was hilft’s? Geduld, der Sturm lässt nach; wenn so er tobt, währt’s nicht lang. an Bord He, Bursche! Lange war’t ihr wach: zur Ruhe denn! Mir ist’s nicht bang!
Die Matrosen steigen in den Schiffsraum hinab.
DALAND
Nun, Steuermann, die Wache nimmst du wohl für mich?
Gefahr ist nicht, doch gut ist’s, wenn du wachst.
STEUERMANN
Seid ausser Sorg’! Schlaft ruhig, Kapitän!
Daland geht in die Kajüte. Der Steuermann allein auf dem Verdeck. Der Sturm hat sich etwas gelegt und wiederholt sich nur in abgesetzten Pausen. In hoher See türmen sich die Wellen. Der Steuermann macht noch einmal die Runde, dann setzt er sich am Ruder nieder.
STEUERMANN
sich aufrüttelnd, als ihm der Schlaf kommt
Mit Gewitter und Sturm aus fernem Meer –mein Mädel, bin dir nah’!
Über turmhohe Flut vom Süden her –mein Mädel, ich bin da!
Mein Mädel, wenn nicht Südwind wär’, ich nimmer wohl käm’ zu dir: ach, lieber Südwind, blas’ noch mehr!
Mein Mädel verlangt nach mir!
Hohohe! Jolohe! Holoje! Ho! Ho!
Eine Woge rüttelt heftig das Schiff. Der Steuermann fährt auf und sieht nach. Er überzeugt sich dass kein Schade geschehen, setzt sich wieder und singt, während ihn die Schläfrigkeit immer mehr übermannt.
STEUERMANN
Von des Südens Gestad’, aus weitem Land –ich hab an dich gedacht!
Durch Gewitter und Meer vom Mohrenstrand –hab’ dir ’was mitgebracht.
Mein Mädel, preis’ den Südwind hoch, ich bring’ dir ein gülden Band; ach, lieber Südwind, blase doch!
Mein Mädel hätt’ gern den Tand.
Hohohe! usw.
Er kämpft mit der Müdigkeit und schläft endlich ein. Der Sturm beginnt von Neuem, heftig zu wüten, es wird finsterer. In der Ferne zeigt sich das Schiff des «fliegenden Holländers», mit blutroten Segeln und schwarzen Masten. Es naht schnell der Küste nach der dem Schiffe des Norwegers entgegengesetzten Seite. Mit einem furchtbaren Krach sinkt der Anker in den Grund. – Der Steuermann Dalands zuckt aus dem Schlafe auf. Ohne seine Stellung zu verlassen, blickt er flüchtig nach
dem Steuer, und, überzeugt, dass kein Schade geschehen, brummt er den Anfang seines Liedes und schläft wieder ein. – Stumm und ohne das geringste Geräusch hisst die gespenstische Mannschaft des Holländers die Segel auf.
Der Holländer kommt an das Land. Er trägt schwarze Kleidung.
HOLLÄNDER
Die Frist ist um, und abermals verstrichen sind sieben Jahr’. – Voll Überdruss wirft mich das Meer ans Land … Ha, stolzer Ozean! In kurzer Frist sollst du mich wieder tragen! Dein Trotz ist beugsam, – doch ewig meine Qual! –– Das Heil, das auf dem Land ich suche, nimmer werd’ ich es finden! – Euch, des Weltmeers Fluten, bleib’ ich getreu, bis eure letzte Welle sich bricht, und euer letztes Nass versiegt! – –– Wie oft in Meeres tiefsten Schlund stürzt’ ich voll Sehnsucht mich hinab: –doch ach! den Tod, ich fand ihn nicht! Da, wo der Schiffe furchtbar Grab, trieb mein Schiff ich zum Klippengrund: –doch ach! mein Grab, es schloss sich nicht! –Verhöhnend droht’ ich dem Piraten, in wildem Kampfe hofft’ ich Tod: «Hier» – rief ich – «zeige deine Taten! Von Schätzen voll ist Schiff und Boot!» –
Ihr Welten, endet euren Lauf!
Ew’ge Vernichtung, nimm mich auf!
Dumpfer Chor aus dem Schiffraum des Holländers: Ew’ge Vernichtung, nimm uns auf!
DRITTE SZENE
Daland erscheint auf dem Deck seines Schiffes.
Er erblickt das Schiff des Holländers und wendet sich zum Steuermann.
DALAND
He! Holla! Steuermann!
STEUERMANN sich schlaftrunken halb aufrichtend ’s ist nichts! ’s ist nichts!
Um seine Munterkeit zu bezeugen, nimmt er sein Lied auf: Ach, liebes Mädel, blas noch mehr, mein Südwind …
DALAND ihn heftig aufrüttelnd
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Du siehst nichts? – Gelt, du wachest brav, mein Bursch!
Dort liegt ein Schiff … wie lange schliefst du schon?
STEUERMANN rasch auffahrend
Zum Teufel auch! Verzeiht mir, Kapitän! –Er setzt hastig das Sprachrohr an und ruft der Mannschaft des Holländers zu Wer da?
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Doch ach! des Meer’s barbar’scher Sohn schlägt bang das Kreuz und flieht davon. –Nirgends ein Grab! Niemals der Tod!
Dies der Verdammnis Schreckgebot. – – –Dich frage ich, gepries’ner Engel Gottes, der meines Heil’s Bedingung mir gewann; war ich Unsel’ger Spielwerk deines Spottes, als die Erlösung du mir zeigtest an? –Vergeb’ne Hoffnung! Furchtbar eitler Wahn! Um ew’ge Treu auf Erden – ist’s getan! – – –
Nur eine Hoffnung soll mir bleiben, nur eine unerschüttert steh’n: so lang’ der Erde Keim’ auch treiben, so muss sie doch zugrunde geh’n!
Tag des Gerichtes! Jüngster Tag!
Wann brichst du an in meine Nacht?
Wann dröhnt er, der Vernichtungsschlag, mit dem die Welt zusammenkracht?
Wann alle Toten aufersteh’n, dann werde ich in Nichts vergeh’n.
Pause. – Keine Antwort.
STEUERMANN Wer da?
Pause.
DALAND Es scheint, sie sind gerad’ so faul als wir.
STEUERMANN Gebt Anwort! Schiff und Flagge?
DALAND indem er den Holländer am Lande erblickt Lass’ sein! Mich dünkt, ich seh’ den Kapitän. – –He! Holla! Seemann! Nenne dich! Wess’ Landes?
Programmheft
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
komplette
Romantische Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner Premiere am 9. Dezember 2012, Spielzeit 2012/13 Wiederaufnahme am 21. November 2024, Spielzeit 2024/25
Herausgeber Opernhaus Zürich
Intendant Andreas Homoki
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Zusammenstellung, Redaktion Werner Hintze Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli
Titelseite Visual François Berthoud Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing Telefon 044 268 66 33, inserate@opernhaus.ch Schriftkonzept und Logo Studio Geissbühler Druck Fineprint AG
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Textnachweise:
Das Gespräch mit Andreas Homoki und Wolfgang Gussmann, die Essays von Martin Geck und Thomas Macho sowie die Handlungserzählung entstanden für dieses Programmheft. Martin Geck: Wagner. Biographie. München, Siedler Verlag 2012. Heinrich Heine: Werke in 10 Bänden. Berlin und Weimar, Aufbau Verlag 1972. Richard Wagner: Sämtliche Schriften und Dichtungen. Volks-Ausgabe. Leipzig, Breitkopf & Härtel o. J. Martin Gregor-Dellin: Musik und Welt. Fünf Essays. Berlin,
Henschelverlag 1988. Bertolt Brecht: Werke. Grosse kommentier te Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 11. Berlin und Weimar, Aufbau-Verlag 1988.
Bildnachweise:
T + T Fotografie / Toni Suter fotografierte die Klavierhauptprobe am 29. November 2O12. Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie der Beiträge der Kantone Luzern, Uri, Zug und Aargau im Rahmen der interkantonalen Kulturlastenvereinbarung und der Kantone Nidwalden, Obwalden und Schwyz.
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Stiftung Melinda Esterházy de Galantha
Fitnessparks Migros Zürich
Egon-und-Ingrid-Hug-Stiftung
Walter B. Kielholz Stiftung
Klinik Hirslanden
KPMG AG
Landis & Gyr Stiftung
Die Mobiliar
Annina und George Müller-Bodmer
Fondation Les Mûrons
Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung
StockArt – Stiftung für Musik
John G. Turner und Jerry G. Fischer
Else von Sick Stiftung
Ernst von Siemens Musikstiftung
Elisabeth Weber-Stiftung
Art Mentor Foundation Lucerne
Theodor und Constantin Davidoff Stiftung
Dr. Samuel Ehrhardt
Frankfurter Bankgesellschaft (Schweiz) AG
Garmin Switzerland
Elisabeth K. Gates Foundation
Stiftung LYRA zur Förderung hochbegabter, junger Musiker und Musikerinnen
Minerva Kunststiftung
Irith Rappaport
Luzius R. Sprüngli
Madlen und Thomas von Stockar
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RINGE UND ARMBÄNDER IN BEIGEGOLD, WEISSGOLD UND MIT DIAMANTEN.