Il matrimonio segreto

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IL MATRIMONIO SEGRETO

DOMENICO CIMAROSA


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IL MATRIMONIO SEGRETO DOMENICO CIMAROSA (1749-1801)


Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit Karl Kraus



DIE HANDLUNG Erster Akt Carolina ist sehr beunruhigt: Seit zwei Monaten ist sie heimlich mit Paolino ver­heiratet, und es wird höchste Zeit, ihren Vater aufzuklären, bevor er es von selbst merkt. Aber wie? Paolino weiss Rat. Herr Geronimo möchte seine Fami­ lie sehr gern mit einem Adelstitel verschönern, und Paolino hat eingefädelt, dass dieser Wunsch in Erfüllung gehen kann: Graf Robinson wird Elisetta, Carolinas ältere Schwester, heiraten, wozu der Vater eine sehr ansehnliche Mitgift bei­ steuern will. Der Graf, der das Geld gut gebrauchen kann, wird, da ist Paolino ganz sicher, beim Vater ein gutes Wort für die beiden heimlich Verehelichten einlegen. Und wenn das nichts hilft, wird er sich eben an Fidalma, Herrn Gero­ nimos Schwester, wenden. Herr Geronimo verkündet seiner Familie die freudige Nachricht, die sofort zu einem heftigen Streit zwischen den beiden Schwestern führt. Der Graf ist sehr angenehm überrascht, dass diese Ehe ihm nicht nur viel Geld, sondern auch eine wirklich hübsche Frau einbringen wird. Die Freude schwindet schnell, als ihm klar wird, dass er nicht Carolina, sondern die ältere Schwester heiraten soll. Paolino will den Grafen um Hilfe bei seinen heimlichen Eheproblemen bitten, kommt aber nicht dazu, weil dieser ihm eröffnet, dass er nunmehr Caroli­ na heiraten wolle. Der erschrockene Paolino soll Herrn Geronimo den Vorschlag überbringen, die Töchter auszutauschen. Der Graf zögert nicht lange und macht gleich auch Carolina den Vorschlag, sie statt ihrer Schwester zu heiraten. Carolina ist nicht erbaut, wagt aber nicht, den Mann vor den Kopf zu stossen, der beim Vater ein gutes Wort für sie ein­ legen soll. Elisetta hat sich bei ihrem Vater über den Grafen beklagt. Geronimo glaubt ihr kein Wort: Sie hat eben keine Erfahrung mit den grossen Herren. Der Graf unternimmt einen zweiten Versuch, Carolina für sich zu gewinnen.


Elisetta ertappt die beiden und nimmt nun an, ihre Schwester wolle ihr den Mann ausspannen. Das Geschrei lockt den entnervten Vater herbei, der klären will, was geschehen ist, aber die Verwirrung nur vergrössert.

Zweiter Akt Geronimo stellt den Grafen zur Rede. Der erklärt ihm rundheraus, dass er Elisetta nicht heiraten will. Der Vater besteht auf Vertragserfüllung, ist aber nach einigem Widerstreben bereit, auf den Vergleich einzugehen, den der Graf vor­ schlägt: Geheiratet wird nicht Elisetta, sondern Carolina, dafür wird die Mit­gift halbiert. Die Voraussetzung ist allerdings, dass Elisetta zustimmt. Der Graf ist überzeugt, dass er sie leicht umstimmen kann. Er sieht sich schon am Ziel seiner Wünsche und beauftragt Paolino, Caro­ lina die «freudige» Nachricht zu überbringen. Der sieht keinen anderen Ausweg mehr, als sich Geronimos Schwester anzuvertrauen und sie um Hilfe zu bitten. Zu ihr hat er Vertrauen, weil sie ihn schon lange ausgesprochen freundlich behandelt. Als sich herausstellt, welche Ursache diese besondere Freundlichkeit hat, und Fidalma dem jungen Burschen die Ehe anbietet, fällt der vor Schreck in Ohnmacht. Carolina überrascht ihn in den Armen ihrer Tante und glaubt sich betrogen. Es kostet Paolino viel Mühe, sie über die wahren Zusammenhän­ge aufzuklären. Da nun alle Hoffnungen verloren sind, schlägt er vor, das Problem durch heimliche Flucht zu lösen. Carolina will das ihrem Vater nicht antun. Um den mit Geronimo ausgehandelten Tausch möglich zu machen und Elisetta von ihrem Heiratswunsch abzubringen, präsentiert ihr der Graf eine lange Liste seiner angeblichen physischen und moralischen Schwächen. Elisetta erweist sich aber als unverhofft tolerant, so dass er schliesslich Klartext mit ihr reden muss. Elisetta ist empört und erklärt Carolina zur Schuldigen für diese Situation. Fidalma vermutet, dass Carolina nicht den Grafen, sondern Paolino liebt. Einig sind sich beide darin, dass Carolina verschwinden muss. Sie fordern vom Vater, dass er sie vorübergehend in ein Kloster verfrachtet. Als dieser zu zögern scheint, droht ihm seine Schwester, ihr Kapital aus seinem Unternehmen abzuziehen.


Carolina ist über die Aussicht, die nächsten zwei Monate in einem Kloster ver­ bringen zu müssen, verzweifelt. Der Graf, der ihr seine Hilfe anbieten will, ahnt, dass ein anderer Mann im Spiel ist, und bietet an, zu seinen Gunsten auf Caro­ lina zu verzichten. Auch dieses Gespräch wird von Elisetta gestört, so dass Carolina sich dem Grafen nicht erklären kann. Für die Familie ist endgültig klar, dass Carolina an allem schuld ist: Am nächsten Morgen muss die Unruhestifte­ rin aus dem Haus. Zum dritten Mal soll Paolino eine Nachricht überbringen, diesmal an die Äbtissin des Klosters, und zum dritten Mal wird nichts daraus, weil er lieber die Flucht vorbereitet, die nun unausweichlich geworden ist. Der Graf sucht im nächtlichen Haus nach Carolina, der er in ihrer Not beistehen will. Aber Elisettas Wachsamkeit zwingt ihn in sein Zimmer zurück. Paolino und Carolina wollen fliehen, müssen die Sache aber noch etwas auf­schieben, weil jemand im Haus unterwegs ist: Elisetta hat ein Flüstern gehört und ist überzeugt, dass der Graf bei Carolina ist. Sie ruft Vater und Tante her­ bei. Die sind höchst erbost über das schlechte Benehmen des Grafen und wollen ihn heraustrommeln. Der kommt allerdings offensichtlich unschuldig aus dem Gästezimmer. Die Peinlichkeit wird schnell vergessen, denn nun wollen alle wissen, mit wem Carolina da geflüstert hat. Die beiden heimlich Verehelichten müssen sich zeigen und aufdecken, dass sie sich vor zwei Monaten das Jawort gegeben haben. Der Vater ist ausser sich vor Zorn und will seine Tochter verstossen, da erklärt sich der Graf bereit, Elisetta doch noch zu heiraten. Herr Geronimo ist am Ziel seiner Wünsche und akzeptiert wohl oder übel auch die keineswegs standesgemässe Verbindung Carolinas mit seinem Kontorgehilfen.




DOMENICO CIMAROSAS MUSIK Ignaz Ferdinand Arnold

Cimarosas Kompositionen zeichnen sich alle durch eine ausserordentliche An­ mut des Gesangs, durch eine tiefe Fülle des Gefühls und dabei doch so leicht aus­gesprochen aus, als wäre es nur Kindergeschwätz. Die Noten stehen über den Worten, als wären sie nur zum Scherz im Vorüberflug einer leichten musika­li­schen Laune darübergeschrieben, aber man erstaunt bei näherer Beleuchtung, wie na­ türlich, wie wahr, wie richtig und mit wie viel Besonnenheit alles behandelt ist. Wie bei allen italienischen Tonsetzern ist alles auf die Singstimmen berech­ net. Die Instrumentalpartien sind grösstenteils im wahren Sinne nur begleitend. Oft sind die Singstimmen ganz sprechend behandelt, und Silbe kommt auf Note. Dies ist grösstenteils der Fall in seinen komischen Duetten und Terzetten – be­ sonders in der Heimlichen Heirat. Die Wirkung ist ausserordentlich und bringt so viel Leben, Geist, Feuer und Bewegung in das Ganze, ein solches Treiben und Drängen, das den Zuhörer in beständiger Spannung erhält, und ihn so ange­ nehm um seine Zeit während des herrlichsten Genusses bestiehlt, dass er sich wundert, wie schnell sie ihm bei dem angenehmen Spiel verging. Er ist also hier ganz das Gegenteil von Paisiello, der in seinen ewigen Wiederholungen ermü­ dend und schleppend wird. Seine komischen Kompositionen sind voll Witz und überfliessender Laune, ohne die eigentlichen Grenzen des Echtkomischen zu überschreiten. Die Lau­ ne ist immer anständig, heiter, jovial, ohne ins Gemeine herabzusinken. Gröss­ ten­teils sind seine Darstellungen äusserst naiv und von einer innigen lieben Freude im heitersten, rosenfarbenen Lichte; leiht gewobene, liebliche Scherze, anmutige Tändeleien. Aus: Gallerie der berühmtesten Tonkünstler des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts (1810)


ALLES AUS LIEBE? Cordula Däuper im Gespräch über ihre Inszenierungskonzeption Was ist das für eine seltsame Ehe, von der im Stücktitel die Rede ist? Der deutsche Titel Die heimliche Ehe klingt tatsächlich etwas seltsam. Klarer aber schwerfälliger wäre wohl Die verheimlichte Ehe. Der Ausgangspunkt des Stücks ist nämlich, dass zwei junge Leute, Carolina und Paolino, geheiratet haben, ohne dass ihre Familie etwas davon weiss. Sie haben auch allen Grund zu fürchten, dass es Krach gibt, wenn der Vater davon erfährt. Das Prob­lem ist nämlich, dass der Herr Geronimo ein reicher Kaufmann ist, der seine Töchter natürlich standesgemäss verheiraten will, und dass Paolino gar nicht in diesen Plan passt, weil er nur der Kontorgehilfe ist. Hat denn der Vater darüber zu entscheiden, wen seine Tochter heiratet? Oh, ja. Herr Geronimo herrscht wie ein absolutistischer Fürst in seinem eigenen Haus, da geschieht nichts, was er nicht will und angeordnet hat. Jedenfalls besteht er darauf, dass es so ist. In Wahrheit tanzen ihm seine Töch­ter ganz schön auf der Nase herum, vor allem, wie man sieht, Carolina. Er würde seine Töchter am liebsten für immer bei sich behalten, um sie unter Kontrolle zu haben. Aber wenn er sie schon aus dem Haus geben muss, dann will er davon wenigstens etwas haben. Also will er die Kinder gewinnbringend verheiraten, um seinen Reichtum zu vergrössern? Nein, da ist er anders als die meisten dieser Väter und Onkel in Stücken dieser Art. Herr Geronimo ist überhaupt nicht geizig, und will mit der Verheiratung seiner Töchter auch kein Geld herauszuschlagen. Ganz im Gegenteil: Er ist gern bereit, dem Mann, der seine ältere Tochter Elisetta heiratet, eine beträchtliche Summe als Mitgift zu zahlen. Was er sich erhofft, ist vielmehr, dass seine Familie durch seine Töchter in den Adelsstand aufsteigt. Darum ist


er sehr erfreut, dass sich nun ein Graf gefunden hat, der Elisetta heiraten will. Und eine ähnlich lukrative Heirat schwebt ihm natürlich auch für Carolina vor. Dass die ihm schon mit ihrer heimlichen Heirat einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht hat, weiss er noch nicht. Bisher sieht er die Erfüllung seines Lebenstraums in greifbarer Nähe. Aber was erhofft sich der Graf von dieser Ehe? Ist er in Elisetta verliebt? Nein. Er kennt sie überhaupt nicht. Wenn er kommt, denkt er ja zuerst, Carolina wäre die Frau, die er heiraten soll, was die Irrungen und Wirrungen des Stücks erst so richtig in Gang bringt. Anscheinend ist es ihm zunächst gar nicht so wichtig, wen er heiratet. Irgendwann muss man ja mal heiraten, und wenn dann dabei auch noch so ein hübsches Sümmchen herausspringt, das der Graf anscheinend gut gebrauchen kann – na, umso besser. Für den jungen aristokratischen Lebemann spielt die Frage, ob er seine Frau liebt, oder sie ihn, anscheinend gar keine Rolle. Entsprechend den Gepflogenheiten seiner Klasse ist ja sowieso klar, dass man mit getrennten Schlafzimmern in möglichst weit auseinanderliegenden Teilen des Hauses lebt, und beide Ehe­partner sich ihre Beziehungen ausserhalb der Ehe suchen. Nun kannte Paolino anscheinend den Herzenswunsch des Herrn Geronimo und hat dem Grafen den Vorschlag gemacht, Elisetta zu heiraten. Der Graf fand die Idee gut, und Paolino erhofft sich natürlich, dass seine Vermittlungstätigkeit ihm bei Vater Geronimo so viele Sympathien einbringt, dass der die heimlich geschlossene Ehe mit seiner Tochter durchgehen lässt.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Dann ist also von Liebe gar keine Rede, wenn es um die Ehe geht? Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als das Stück entstand, waren das zwei ver­ schiedene Dinge. Die Ehe war eine Zweckgemeinschaft. Die wurde als Versorgungsgemeinschaft geschlossen oder um die Kontinuität des Familien­ besitzes zu sichern, in höheren Kreisen vielleicht auch aus politischen Gründen. Die Liebesheirat war damals eine sehr exotische und sehr seltene Sache. Wenn Carolina und Paolino aus Liebe heiraten und sich damit auch noch über die Standesgrenzen hinwegsetzen, ist das ein krasser Bruch der Regeln und der Tradition. Eigentlich verhalten sie sich da ziemlich modern.


Oder auch revolutionär? Das kann man schon sagen. Immerhin muss man bedenken, dass Cimarosa ein überzeugter Demokrat und glühender Anhänger der französischen Revolution war. Er war sogar Mitglied eines Jakobinerclubs in Neapel und wurde wegen seiner revolutionären Aktionen zum Tode verurteilt. Zwar wurde er begnadigt, aber die Strapazen der Haft haben ihn anscheinend so mitgenommen, dass er kurze Zeit später starb. Er hat sein Leben lang für die Idee der Freiheit und der Menschenrechte gebrannt, und da liegt der Gedanke sehr nahe, dass etwas davon sich in diesem Stück niedergeschlagen hat. Ich denke, dass sich die Konfrontation einer Liebesheirat mit einer arrangierten Vernunftehe, die wir in seinem Stück finden, auch als ein Plädoyer für die freie Entfaltung des Menschen lesen lässt, und dass dabei eine starke Frauenfigur eine wesentliche Rolle spielt, die sich nicht mit der untergeordneten Rolle abfinden will, die die Gesellschaft ihr zugesteht. Damit geht Carolina aber ein ziemlich grosses Risiko ein. Ja, und sie tut es mit vollem Bewusstsein. Zum einen weiss sie, dass Paolino kein wohlhabender Mann ist, dass ihr Leben also in finanzieller Hinsicht nicht so sorglos werden wird wie bei einer standesgemässen Ehe, zum anderen – und hier wird es wirklich existenziell bedrohlich – muss sie damit rechnen, dass ihr Vater sie aus dem Haus jagt, wenn er herausbekommt, was da ge­schehen ist. Sollte das geschehen, wäre sie praktisch aus der Gesellschaft ausgestossen und müsste sich mit einer Existenz in Armut zufrieden geben. Das nimmt sie aber bewusst in Kauf, weil sie Paolino liebt, und weil ihr diese Liebe und ihr selbstbestimmtes Leben wichtiger sind als eine «sichere Zukunft». Zum Glück – und für eine Komödie nicht überraschend – geht aber alles gut aus, am Ende des Stücks werden zwei Ehen gefeiert: Der Graf hei­ratet tatsächlich Elisetta, auch wenn er zwischendurch ganz andere Pläne hatte, und der Vater schickt sich ins Unvermeidliche und erkennt die Ehe von Carolina und Paolino an. Wie sieht die Prognose für diese beiden Ehen aus?


Am Ende des Stücks kann man eigentlich beiden Ehen nicht mehr so viel zu­trauen. Die Verwirrrungen, in die das Geschehen die Figuren stürzt, bleiben eben nicht ohne Folgen. Carolina, die sich am Anfang allem Anschein nach keinen anderen Mann als Paolino vorstellen konnte, hat inzwischen den Grafen näher kennengelernt und gesehen, dass er durchaus eine Alterna­ tive sein könnte. Das heisst, dass sie die Klarheit, mit der sie sich am Anfang bzw. vor dem Anfang des Stücks für Paolino entschieden hatte, gar nicht mehr spürt. Auch Paolino hat gemerkt, dass Carolina sich von ihm entfernt hat, und auch das bleibt für seine Gefühle für sie natürlich nicht folgenlos. Bei der anderen Ehe sieht die Sache noch schlechter aus. Denn schliesslich hatte der Graf schon sehr klar und deutlich erklärt, dass er nicht Elisetta, sondern Carolina heiraten will, weil er Elisetta nicht leiden kann und sie hässlich findet. Wenn er sich dann doch bereit erklärt, sie zu nehmen, geht sie zwar darauf ein, aber das ist nicht die Ehe, auf die sie sich gefreut hatte; und um die Demütigung jemals vergessen zu können, müsste sie schon eine gute Verdrängungskünstlerin sein.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop Cimarosa war ein Zeitgenosse Mozarts, der seine wichtigsten Opern oder am Vorstellungsabend im Foyer ebenfalls im Genre der Opera buffa geschaffen hat. Kann man die beiden Komponisten irgendwie vergleichen? Derdes Vergleich Opernhauses wird tatsächlich öfter angestellt, underwerben dabei kommt immer her­ aus, dass Cimarosa nicht so genial war wie Mozart. Aber das kann man über fast jeden Komponisten sagen: Mozart war eben einzigartig! Cimarosas Konzept ist ein ganz anderes als das von Mozart, aber er hat das, was er ma­chen wollte, sehr gut gemacht, weil er genau das gemacht hat, was er konn­te. Wie er die Figuren mit Musik ausstattet, die jeden Charakterzug ganz plastisch hervortreten lässt, wie er lange Szenenkomplexe zu grossen Ensemb­ les zusammenzufassen versteht, die eine grosse Spannung aufbauen, und wie er diese Spannung schliesslich explodieren lässt, das ist schon toll und von grosser theatralischer Kraft. Man kann vielleicht einwenden, dass seine Musik nie die Abgründe des Geschehens aufreisst, dass sie eigentlich nie wirk­lich ernst wird. Aber da gibt es eine bedeutende Ausnahme, nämlich Carolinas Szene im zweiten Akt, wenn sie erfahren hat, dass sie ins Kloster soll und sie



alle Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang verliert. Da kann Cima­rosa mit ganz wenigen Strichen eine wirklich ergreifende Szene zeichnen, die natürlich auch gerade deshalb so wirkungsvoll ist, weil dieser ernste, anrühren­de Ton bei ihm so selten ist und dort so überraschend kommt. Das hat er sicher­lich bewusst so kalkuliert. Man wendet gegen die Buffo-Opern der MozartZeit gern ein, dass sie nicht die Tiefe der Mozartschen Werke erreichen. Aber Cimarosas Opern-Kompositionen weisen trotzdem deutlich in die Zukunft, wenn es auch eine andere ist, als die, auf die Mozart zielt. Cimarosa steht schon mit einem Bein im neunzehnten Jahrhundert und nimmt schon viel von dem vorweg, was in den Buffo-Opern der Belcanto-Periode, also etwa bei Rossini und Donizetti zur vollen Blüte kommt. Das heisst natürlich auch, dass die Figuren eher den jeweiligen Rollenklischees verhaftet sind, als die Mozarts, aber wie Cimarosa und sein Librettist mit diesen Klischees umgehen, sie übernehmen, parodieren, erweitern und teilweise auch einfach mal ignorieren, das ist eine ganz eigene Leistung, der man nicht gerecht wird, wenn man immer nur beschreibt, was diese Künstler nicht geleistet haben. In einem Punkt ist Cimarosas Musik mit Mozarts auf jeden Fall vergleichbar, finde ich. Sie ist nämlich enorm theatralisch und erzählt einfach sehr viel davon, wie sich die Figuren verhalten, in welchem Gestus sie sich bewegen, wie sich die jeweils wechselnden Beziehungen zwischen ihnen gestalten. Für mich als Regisseurin ist in dieser Partitur sehr viel «Futter», sehr viel Material, aus dem ich die szenischen Vorgänge erfinden kann, und die Musik unterstützt die Aktion dann sehr präzise.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Ist die Musik komisch? Ob Musik überhaupt komisch sein kann, ist ja eine Frage, über die sich schon viele kluge Leute ausgiebig und ergebnislos gestritten haben. Ich will da keine allgemeine Aussage versuchen. In diesem Falle kann ich aber sagen, dass es viele komische Situationen in diesem Stück gibt, die ohne Cimarosas Musik nur halb so lustig wären. Er hat eine grosse Fähigkeit, Situationskomik musikalisch herauszuarbeiten und das Chaos, in das die Figuren durch Missverständnisse und einander überkreuzende Interessen immer wieder gestürzt werden, Musik werden zu lassen. Ob seine Musik auch ohne den


Zusammenhang mit der Szene komisch wäre, weiss ich nicht, aber das spielt für unsere Arbeit ja auch keine Rolle. Es macht auf jeden Fall grossen Spass, sich durch seine Musik zu szenischem Witz inspirieren zu lassen. Und entscheidend ist natürlich, dass die musikalische Seite auf das eingeht, was sich gerade szenisch zuträgt. Zum Glück haben wir mit Riccardo Minasi einen wunderbaren Musiker, der sehr viel Spass am Theater und ein genaues Gespür für das Zusammenwirken von Musik und Szene hat. Es macht viel Spass, da die jeweils beste Variante gemeinsam zu entdecken. Zum Abschluss noch die Gretchenfrage: Für dieses Stück spielt die Institution der Ehe eine wesentliche Rolle, vor allem ist wichtig, dass sie sehr ernst genommen wird. Ist eine solche Geschichte, heute, wo die Ehe diese grosse Bedeutung nicht mehr hat, wo es gesellschaftlich keineswegs mehr als problematisch empfunden wird, wenn jemand allein lebt, die Ehe selbst aber auch nicht mehr als etwas Endgültiges verstanden wird, sondern ziemlich leicht aufgelöst werden kann, wenn es nicht mehr stimmt – ist eine solche Geschichte angesichts dieser Veränderungen überhaupt noch sinnvoll erzählbar? Das ist natürlich ein Problem, weil ich eine Inszenierung ja nur aus der Span­nung des alten Stücks mit unserer Gegenwart denken kann, und ich auch keine Opernaufführung auf die Bühne bringen will, die sich mit Problemen befasst, die uns heute nichts mehr angehen. Ich suche immer danach, was mich an den Figuren interessiert, um sie dann auf der Bühne in einer Weise zum Leben zu erwecken, die sie dem Zuschauer nahebringt. Bei der Lektüre des Stücks sind mir immer wieder Stellen aufgefallen, wo Carolina es seltsam eilig hat, die Ehe mit Paolino zu legalisieren, ohne aber jemals klar auszusprechen, warum es denn ausgerechnet jetzt, nachdem die Ehe schon vor zwei Monaten geschlossen wurde, gerade so eilig ist. Darüber bin ich gestolpert und habe versucht, herauszukriegen, was dahinter stecken könnte. Da kam mir der Gedanke, dass sich das sehr gut erklären lässt, wenn sie kurz vor Beginn des Stücks gemerkt hat, dass sie schwanger ist. Und das ist eine Situation, die die Bindung an den Menschen, der der Vater sein wird, ganz enorm ver­ stärken kann. Denn wenn man sich entschliesst, gemeinsam eine Familie zu


gründen, plant man doch für einen längeren Zeitraum, als wenn man nur eine Beziehung hat, die man jederzeit beenden kann. Wenn ich die Geschichte aus diesem Blickwinkel betrachte, verstehe ich das Insistieren Carolinas auf die Legalisierung der Ehe mit Paolino viel besser, auch, dass sie sich auf keinen Fall auf ein Abenteuer mit dem Grafen einlassen will. So hat diese Entscheidung gar nichts Altbackenes, sondern es geht einfach darum, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen und diesen Anfang so sicher und zukunftsträchtig wir möglich zu gestalten. Das ist kein veraltetes Problem, sondern eine Aufgabe, vor der jeder Mensch irgendwann steht, und die Schwierigkeiten, Missverständnisse, Zweifel und Ängste, die sich da aufbauen, sind heute wie damals aktuell.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben Das Gespräch führte Werner Hintze



MUSIK, DIE ETWAS BITTER SCHMECKT Ein Gespräch mit Riccardo Minasi

Der Musikkritiker Eduard Hanslick erlebte 1884 eine Aufführung von Domenico Cimarosas Il matrimonio segreto und schrieb daraufhin: «Cimarosa ist der süsse Schaum auf dem Champagner, Mozart der Wein selbst». Können Sie diesem Vergleich etwas abgewinnen? Ich halte nicht viel von solchen Vergleichen. Aber wenn man schon Cimarosa mit Mozart vergleichen will, dann sollte man zunächst einmal berücksich­ tigen, dass Cimarosa zu dem Zeitpunkt, als er in Wien angestellt wurde – das war 1791 und Mozart war gerade gestorben – ein sehr renommierter Kom­ ponist war, der bereits um die 50 sehr erfolgreiche Opern geschrieben hatte. Seine Musik war damals sogar beliebter als die Mozarts, und – nebenbei bemerkt – er wurde auch deutlich besser bezahlt. Überdies waren die In­­­ten­ tio­nen der beiden Komponisten nicht dieselben. Cimarosa und sein Librettist Giovanni Bertati haben nie versucht, die psychologischen Tiefen ihrer Charaktere auszuloten, wie es Mozart so genial gekonnt hat. Sie setzen die Tradition der Opera buffa fort, ohne sie grundlegend erneuern zu wollen. Daraus aber zu schlussfolgern, dass Cimarosas Kompositionen nichts sind als ein flüchtiger Schaum, wird der Sache nicht gerecht. (Übrigens frage ich mich gerade, was für einen seltsamen Champagner Hanslick getrunken haben mag, auf dem sich süsser Schaum sammelt…) Wenn man Il matrimonio segreto überhaupt mit einer Mozart-Oper vergleichen will, dann wäre nur der Vergleich mit der Zauberflöte sinnvoll. Mit der Zauberflöte? Aber nicht wegen inhaltlicher Gemeinsamkeiten... Natürlich nicht. Aber beide Werke haben etwas Märchenhaftes an sich. Stendhal erlebte Il matrimonio segreto 1800 in Italien und war von diesem


Werk begeistert. Er schrieb verschiedentlich darüber, so unter anderem in sei­nem Buch Vie de Rossini, wo er beschreibt, wie Cimarosas Musik durch ihre langen musikalischen Perioden auf die Imagination wirkt. Er liebte es, dass die reale Zeit in diesem Werk abstrahiert und eine künstliche, gedehnte Zeit geschaffen wird, ohne dass das Stück dadurch langatmig wird. In dieser Hinsicht ist Cimarosas Oper mit Mozarts Zauberflöte verwandt: Beide führen uns in eine irreale Welt, in der die entstehenden Situationen auf eine sehr spielerische und leichte Art gelöst werden können. Diese Irrealität ist ja ein typisches Merkmal der Opera buffa, in der auch für die verwickeltsten Situationen am Ende immer eine Lösung gefunden wird... Cimarosa war Neapolitaner und hat an die neapolitanische Form der Opera buffa, wie wir sie zum Beispiel von Giovanni Paisiello kennen, angeknüpft. Aber er hat diese Gattung enorm vorangetrieben. In Il matrimonio segreto ist besonders auffällig, wie Cimarosa gewisse Situationen ganz einfach oder eben gar nicht auflöst. Im Finale des ersten Akts zum Beispiel gibt es einen Moment der grössten Verwirrung: Elisetta ist wütend, weil der Graf ihr keine Aufmerksamkeit schenkt und anstelle von ihr Carolina heiraten will, Carolina sucht eine Möglichkeit, ihrem Vater mitzuteilen, dass sie bereits verheiratet ist, Fidalma ist völlig irritiert über das Verhalten des Grafen, Geronimo versteht gar nicht worum es gerade geht. Und dann kommt Paolino und sagt: «Kommt mal und seht euch an, wie ich den Tisch gedeckt habe!» Und wie auf einen Schlag scheinen alle ihre Probleme vergessen zu haben und wenden sich dem Essen zu. Das Publikum zur Zeit Cimarosas muss von solch einem ungewöhnlichen Effekt völlig geschockt gewesen sein, da es eine Auflösung dieser Situation erwartet hätte. Aber indem Bertati und Cimarosa im Laufe des Stücks solche ungelösten Situationen immer mehr anhäufen, führen sie die Handlung ganz folgerichtig und auf sehr witzige Weise zu dem Punkt, wo alles so verknäult ist, dass nur noch ein Wunder helfen kann. Und das tritt dann ja auch ein.


Die neapolitanische Komik, die Sie erwähnt haben, ist stark mit der dortigen Tradition der Commedia dell’arte verbunden. Sind deren typische Charaktere in Cimarosas Oper noch erkennbar? Sicher, Geronimo ist zum Beispiel ein Pantalone-Charakter: ein wohlhabender Kaufmann, der zwar – das ist eine Abweichung vom Rollenklischee – nicht besonders geizig, dafür aber sehr ehrgeizig und vor allem auf einen Adels­titel in der Familie erpicht ist, weshalb er gut auf seine Töchter aufpasst, die diesen beschaffen können. Und dann gibt es natürlich das junge Liebespaar Paolino – Carolina. In der Commedia dell’arte wären dies Arlecchino – der oft auch als Diener auftritt – und Colombina. Aber die Figuren deuten bei Cimarosa, durch die Art und Weise wie er sie musikalisch behandelt, schon weit in die Zukunft, in die Epoche der Belcanto-Oper. In Paolino ist bereits der «Tenore di grazia» des 19. Jahrhunderts angelegt. Er ist der scheue, sensitive, verlegene und etwas naive Charakter, den wir später bei Donizetti als Nemorino in L’elisir d’amore, als Ernesto in Don Pasquale oder als Conte d’Almaviva in Rossinis Barbiere di Siviglia wiederfinden! Das ist bei Cimarosa alles schon vorhanden.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder ames,Vorstellungsabend imaufFoyer Wie kommt dass gerade dieses Werk einen so grossen Einfluss die Musik von Rossini ausübte? Il matrimonio segreto ist die einzige Opera buffa, die während dem 19. Jahrdes Opernhauses erwerben ­ undert in Europa präsent blieb und gespielt wurde! Und es ist darin h eben schon so vieles angelegt. Die melancholische Atmosphäre, die diese Ko­mödie durchzieht – manchmal auch gerade die lustigsten Szenen – weist auch bereits auf Bellinis La sonnambula voraus. Da sind wir wieder beim Irrealen, beim Märchenhaften, das Stendhal so gefiel – man könnte, in Bezug auf Bellini, auch sagen beim Somnambulen. Wenn man beispielsweise an das Not­turno denkt, mit dem das Finale des zweiten Akts von Il matrimonio segreto beginnt, da hat man immer das Gefühl, dass diese Musik bei aller Süsse, die Hanslick anscheinend gefallen hat, ein bisschen bitter schmeckt im Mund. Ich denke, Cimarosa hatte damals das Gefühl, dass sich die Ära der italienischen Opera buffa dem Ende zuneigt. Er konnte ja nicht wissen, dass 1792, nur wenige Tage nach der Uraufführung von Il matrimonio segreto


Gioachino Rossini geboren wurde! Seine Oper steht genau an der Grenze zwischen zwei Jahrhunderten. Es weist einerseits weit nach vorne und gleichzeitig mit einem melancholischen Auge zurück in die Vergangenheit. Kann man also sagen, dass Cimarosa in dieser Oper den witzigen und komischen Situationen gezielt lyrische und melancholische Stimmungen entgegensetzte? Ja, das Kontrastreiche ist ein sehr auffallender Aspekt und eigentlich das Überraschende und Neue an dieser Musik. Es gibt sogar einige fast Patchworkartig komponierte Arien in dieser Oper, die zwei ganz verschiedene Charak­ tere vorstellen. Manchmal folgt Cimarosa damit dem Libretto, weil dort eine Person tatsächlich unterschiedlich charakterisiert wird, manchmal ist es aber auch genau umgekehrt: dann versucht er durch verschiedene musi­ka­ lische Charaktere ein Gefühl zu intensivieren – quasi das Gesagte noch ein­mal auf eine andere Art zu unterstreichen. Auch Giovanni Bertati arbeitete übrigens in seinem Libretto mit einer sehr kontrastreichen Sprache. Lorenzo da Ponte äusserte sich zu unrecht abschätzig über ihn! Bertatis Text ist nämlich bis in die Details sehr gut gemacht! Manchmal erinnern mich die Situationen an Filmszenen in einem Woody Allen-Film. Und dieser Situa­tions­­ komik stellt Cimarosa dann langgedehnte lyrische Phrasen entgegen und hebt sie dadurch auf eine andere Ebene. Sie haben Cimarosas Musik auch als «sehr theatralisch» beschrieben. Was ist Ihrer Meinung nach theatralische Musik? Seine Musik vermittelt uns ganz unmittelbar den emotionalen Zustand der Figuren. Und dieser Zustand führt oft unweigerlich zu theatralischen Aktionen und Gesten. Ausserdem hat Cimarosa viel mit sogenannten onoma­ topoetischen Lauten gearbeitet und diese bedeutend weiterentwickelt. Gemeint sind damit Elemente der Sprache und der Musik, die nicht mehr den Sinn des Wortes verfolgen, sondern lautmalerisch Geräusche nachbilden. Diese Behandlung der Sprache dient auch stets der theatralischen Aktion, da damit der Text auf eine ganz plastische Weise zum Ausdruck gebracht wird. Wir finden diese Kompositionstechnik schon bei Pergolesi und Rossini hat sie


dann in seinen Opern auf die Spitze getrieben. Bei Cimarosa stehen diese Elemente oft im Kontrast zu den kantablen Linien, so zum Beispiel im ersten Duett des zweiten Akts zwischen dem Grafen und Geronimo. Während im Orchester eine lyrische Melodie erklingt, «sprechen» die beiden auf ganz kurzen Notenwerten. Man kann ihnen da förmlich beim Denken zuhören! Dieses Stück nimmt bereits das Duett zwischen Dandini und Don Magnifico in Rossinis La cenerentola vorweg. Sie beschäftigen sich ja nicht nur als Dirigent intensiv mit den Werken, die Sie aufführen, sondern betätigen sich auch als Herausgeber. In diesem Jahr wird die kritische Ausgabe von Bellinis Norma beim Verlag Bärenreiter erscheinen, für die Sie mitverantwortlich sind. Mit welchen Quellen arbeiten Sie im Fall von Il matrimonio segreto ? Wir arbeiten mit dem Material, das beim Verlag Ricordi erschienen ist. Der italienische Komponist Franco Donatoni hat es überarbeitet und eigent­ lich eine gute kritische Edition hergestellt. Aber ich nehme trotzdem auch Abschriften aus der Zeit Cimarosas zur Hilfe. Es gibt drei verschiedene Abschriften, die sehr interessant sind, weil sie alle von Cimarosa benutzt wurden, als er das Werk 1793 in Neapel aufführte.

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer Warum ist es Opernhauses Ihrer Meinung nach wichtig, die historischen Quellen beides erwerben zuziehen? Das «Problem» an der Fassung von Dontoni ist, dass diese Ausgabe aus dem Geist einer musikalischen Ästhetik heraus entstanden ist, die sich in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts entwickelte. Damals wurde enorm viel Wert auf die Qualität des Klangs gelegt. Ich kann es Ihnen an einem Beispiel erklären: Im Terzett zwischen Carolina, Elisetta und Fidalma im ersten Akt der Oper gibt es an verschiedenen Stellen Intervallsprünge, die für die Sän­gerinnen in einem schnellen Tempo nicht besonders gut zu singen sind. In der Partitur von Ricordi steht an dieser Stelle jeweils «lento» oder «ral­lentando» und danach wieder «a tempo» weil man den Sängerinnen – dem da­maligen Schönklang-Ideal entsprechend – helfen wollte, diese Stellen besser singen zu können. Cimarosa hat das aber nie geschrieben! Für ihn war


das ein onomatopoetischer Effekt: Er hat sich gedacht, diese drei Mädchen streiten miteinander wie drei Hühner. Und wenn man diese Sprünge im richtigen Tempo singt, dann klingt das zwar nicht besonders gesanglich, aber eben nach einem Haufen gackernder Hühner – und genau dies war Cimaro­ sas Absicht! Sie geben mir damit schon fast die Antwort auf meine letzte Frage: Die Regisseurin Cordula Däuper erzählt das Stück auf der Bühne in einer ganz heutigen Sprache, während Sie sich musikalisch auf die historischen Quellen konzentrieren. Das mag im ersten Moment paradox erscheinen. Aber wenn man Ihnen zuhört, dann merkt man schnell, dass es Ihnen nicht darum geht, das Werk musikalisch auf irgend eine Weise zu rekonstruieren... Nein, keineswegs. Es geht eigentlich nur darum: Wenn man die historischen Quellen studiert, dann versteht man das Stück besser, das man vor sich hat. Es ist unglaublich, wie viel in der Partitur drinsteht. Cimarosa muss ein grosses Genie gewesen sein, eine solche Partitur in nur wenigen Wochen zu schreiben. Man kann sie auf irgendeiner beliebigen Seite aufschlagen und dort immer genau nachlesen, was der Komponist und der Librettist mit der jeweiligen Stelle intendiert haben. Klar, Cordula Däuper erarbeitet eine zeitgenössische Version von diesem Stück, aber sie schaut während der Arbeit konstant in die Partitur! Es ist darin eben so viel vorgegeben, dass es keinen Sinn machen würde, auf der Bühne etwas zu zeigen, was diametral zur Parti­tur steht. Wenn man die Partitur jedoch beachtet und versteht – und wenn man szenisch auf ihrem Fundament aufbaut, dann hat man sehr viele Möglich­keiten und grosse Freiheiten in Bezug auf die szenische Interpretation!

Das komplette Programmbuch können Sie auf www.opernhaus.ch/shop oder am Vorstellungsabend im Foyer des Opernhauses erwerben

Das Gespräch führte Fabio Dietsche



DOMENICO CIMAROSA Zeittafel 17. Dezember 1749 Domenico Cimarosa wird als Sohn eines Maurers und einer Wäscherin in Aversa bei Neapel ge­boren. 1756 Die Familie übersiedelt nach Neapel, wo die Eltern bald sterben, so dass der ver­waiste Domenico auf Wohltätigkeit angewiesen ist. Cimarosa kommt in die Scuola di Padri Conventuali, wo ihm Padre Polcano die erste musikalische Ausbildung zuteil werden lässt. 1761 Cimarosa tritt in das älteste neapolitanische Conservatorio di Santa Maria di Loreto ein, und erhielt Geigen-, Cembalo-, Orgel- und Gesangs­ unterricht. Zu seinen Lehrern zählen hier der Durante-Schüler Gennaro Manna, Ignazio Gallo, ein Schüler Scarlattis, Antonio Sacchini und Niccolò Piccini. In dieser Zeit ent­stehen erste geistliche Werke unterschiedlicher Qualität. 1772 Cimarosas erste Oper («Le stravaganze del Conte») wird am Teatro di Fiorentini in Neapel aufgeführt und hat einen grossen Erfolg, der zum Beginn der lebenslangen Rivalität mit Paisiello wurde. Damit beginnt seine Laufbahn als Opernkomponist. Im selben Jahr heiratet er Gaetana, die Tochter seiner Gönnerin

Constanza Pallante, die wahrscheinlich 1796 gestorben ist. 1774 Cimarosa wird nach Rom eingeladen, wo er seine Oper «L’italiana in Londra» zur Aufführung bringt, die ihn über Neapel hinaus bekannt macht. 1772-1787 Cimarosa lebt abwechselnd in Neapel, Rom, Florenz und Mailand, je nachdem, in welcher Stadt seine nächste Oper herauskommen soll, und komponiert zahlreiche Opern, die ihn schnell berühmt machen und in aller Welt nachgespielt werden. 3. Dezember 1787 Domenico Cimarosa und seine Frau treffen auf Einladung der Zarin Katharina II. in St. Petersburg ein, um die Nachfolge Paisiellos als Chef der italienischen Oper an­zutreten. Während seines Russland-Aufenthalts bringt er eine Reihe älterer Opern zur Aufführung und komponiert zwei neue und verschiedene kleinere Werke, darunter eine Kantate zu Ehren des Fürsten Potemkin. 26. März 1788 Paolo, der Sohn des Ehepaars Cimarosa wird in St. Petersburg geboren.


1791 Kaiser Leopold II. beruft Cimarosa als Nachfolger Antonio Salieris zum Hofkomponisten. Cimarosa siedelt nach Wien über. 7. Februar 1792 Cimarosas Oper «Il matrimonio segreto» wird mit überwältigendem Erfolg uraufgeführt. Der Kaiser ist so begeistert, dass er am selben Abend eine zweite Auf­führung des Stücks anordnet. Das Werk wird sofort als Cimarosas bedeutendste Schöpfung anerkannt und überall in Europa auf die Spielpläne gesetzt. Es ist die einzige Opera buffa des 18. Jahrhunderts, die bis die Gegenwart kontinuierlich im Repertoire der Opernhäuser gestanden hat. 1793 Der neue Kaiser Franz beruft Antonio Salieri wieder auf seinen Posten und Cimarosa geht zurück nach Neapel. Hier erzielt «Il matrimonio segreto» mit 67 Aufführungen sogar einen noch grösseren Erfolg als in Wien. 1796 In Venedig wird Cimarosas Oper «Gli Orazi e i Curiazi» mit grossem Erfolg uraufgeführt, die die verstärkte Hinwendung zur Opera seria in seinen letzen Lebensjahren dokumentiert. Das Werk wird vor allem in Frankreich sehr geschätzt. 1799 Cimarosa wird wegen seiner Beteiligung am revolutionären Aufstand in Neapel zum Tode verurteilt, aber wegen der europaweiten Proteste begnadigt und freigelassen und aus

Neapel verbannt. Die viermonatige Kerkerhaft hat seine ohnehin angeschlagene Gesundheit anscheinend ruiniert. Er will wieder nach Russland gehen, kommt aber nur bis Venedig, wo er schwer erkrankt. 11. Januar 1801 Cimarosa stirbt qualvoll in Venedig. Die Ge­rüchte, dass König Ferdinand ihn aus Rache hat vergiften lassen, machen ein Gutachten des Leibarztes von Papst Pius VII. erforderlich, der den Kranken behandelt hat, und bestätigen kann, dass er an Unterleibskrebs gestorben ist. Fünfzehn Jahre nach seinem Tod findet die Cimarosa-Büste von Antonio Canova ihren Platz im Pantheon neben denen seines Lehrers Sacchini und seines Erzrivalen Paisiello.

Domenico Cimarosa, der zu Lebzeiten zu den berühmtesten Komponisten Europas gehörte und rund 75 Opern, 5 Oratorien, ein gutes Dutzend Messen (darunter zwei Totenmessen), 10 dramatische Kantaten, zahllose kleinere und grössere Ge­sangs­stücke, Sinfonien, Solo­konzerte und Kammermusikwerke sowie 32 Klavier­sonaten schuf, ist heute fast völlig vergessen. Nur sein grösster Erfolg, die Oper «Il matrimonio segreto» hat sich im Spielplan gehalten.




Libretto


IL MATRIMONIO SEGRETO DOMENICO CIMAROSA (1749-1801) Melodramma giocoso in zwei Akten von Domenico Cimarosa Libretto von Giovanni Bertati

Personen

Herr Geronimo, ein reicher Kaufmann Bass Elisetta, seine 채ltere Tochter Sopran Carolina, seine j체ngere Tochter Sopran Fidalma, seine Schwester, reich verwitwet Mezzosopran Graf Robinson Bass Paolino, Kontorgehilfe bei Herrn Geronimo Tenor


Das Libretto kรถnnen Sie im gedruckten Programmbuch nachlesen. www.opernhaus.ch/shop


Programmheft IL MATRIMONIO SEGRETO Oper von Domenico Cimarosa Premiere am 9. Mai 2O14, Spielzeit 2O13/14 Wiederaufnahme am 24. Oktober 2O14, Spielzeit 2O14/15

Herausgeber

Intendant

Opernhaus Zürich Andreas Homoki

Zusammenstellung, Redaktion Werner Hintze Layout, Grafische Gestaltung Carole Bolli Anzeigenverkauf Opernhaus Zürich, Marketing

Telefon 044 268 64 14, inserate@opernhaus.ch

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Nachweise: Die Handlung und die Gespräche mit Cordula Däuper und Riccardo Minasi entstanden für dieses Heft. Ignaz Ferdinand Arnold: Gallerie der berühmtesten Tonkünstler des 18. und 19. Jahrhunderts, Erfurt 1810 Die Bühnenprobe vom 30. April 2014 fotografierte T + T Foto­grafie, Tanja Dorendorf Wir bitten Sie, während der Vorstellung elektrische Ge­räte mit akustischen Signalen (Mobiltelefone, Uhren usw.) aus­ geschaltet zu lassen. Zu spät kommende Besucher werden nur bei Unterbrechungen eingelassen. Das Fotografieren sowie Film- und Tonaufnahmen während der Vorstellung sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.

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