Synopsis Nocturnes/Solo/Der Tod und das Mädchen

Page 1

opernhaus z체rich

Nocturnes Solo Der Tod und das M채dchen

Choreografie Heinz Spoerli

Choreografie Hans van Manen

Choreografie Heinz Spoerli


Nocturnes Choreografie Heinz Spoerli Musik Frédéric Chopin

Solo Choreografie Hans van Manen Musik Johann Sebastian Bach

Der Tod und das Mädchen Choreografie Heinz Spoerli Musik Franz Schubert


opernhaus zürich

Wiederbegegnung mit ChopinHeinz Spoerli im Gespräch Ihre Choreografie zu Frédéric Chopins «Nocturnes» entstand im Frühjahr 1997 in Zürich, also in Ihrer ersten Spielzeit als Ballettdirektor hier am Opernhaus. Inzwischen können Sie auf eine äusserst erfolgreiche Ära zurü ckblicken, die Sie in zwei Jahren beenden wollen. Jetzt nehmen Sie die «Nocturnes» im Rahmen eines Dreiteilers wieder in den aktuellen Spielplan des Zü rcher Balletts auf. Was war der Anlass für diese Entscheidung? Ein schöner Anlass dafür ist der 200. Geburtstag des polnischen Komponisten in diesem Jahr. Ich hatte ursprünglich mit dem Gedanken gespielt, noch zwei weitere neue Ballette auf ChopinMusik zu choreografieren. Man darf nicht vergessen, dass mir für den jeweiligen ersten Ballettabend einer Spielzeit kein Orchester zür Verfügung steht, also nur kammermusikalische Werke in Frage kommen. Ich habe mir das Klaviertrio angehört und die Stücke für Violoncello und Klavier, hatte aber dann den Eindruck, zusammen mit den «Nocturnes» wurde der Abend keinen rechten Bogen bekommen. Von der Stimmung her wäre das zu einseitig geworden. Deshalb ist es schliesslich bei der Wiederaufnahme der «Nocturnes» geblieben, die ich nun mit zwei Balletten auf Musik von Bach und Schubert kombiniere; wobei ich mich schon länger mit dem Gedanken trug, Schuberts «Der Tod und das Mädchen» zu machen. Mit Hans van Manenes «Solo» als eine Art Katalysator dazwischen erscheint mir der Abend stimmig. – Die «Nocturnes» von Chopin empfinde ich nach wie vor als wunderbare Musik, die mich als Choreograf sehr inspiriert. Es kommen darin sehr intensive, romantische Beziehungen zum Ausdruck.

Fü r die Wiederaufführung haben Sie das Buühnenbild verändert. Anstelle von Filmstills aus dem Filmschaffen des russischen Regisseurs Andrej Tarkowski, die 1997 als grossflächige Projektionen den Bü hnenhintergrund bildeten, hat Florian Etti als Prospekt eine Art bedruckte Papierbahn entworfen, deren ornamentale Motive an japanische Drucke erinnern. Solche bedruckten Papiere oder auch Stoffe mit floralen Mustern waren Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals aus Japan nach Europa gelangt – also zur selben Zeit, als Frédéric Chopin in den Pariser Salons mit seinem bald brillant aufrauschenden, bald in gefü hlsgetränkten Melodien sich verströmenden Klavierspiel Begeisterungsstu rme hervorrief.Wie kam es zu dieser Neugestaltung des Raumes fü r Ihre «Nocturnes»?


opernhaus zürich

Die Tarkowski-Bilder erschienen mir im Nachhinein als ein wenig zu schwer. In dieser Musik steckt eine gewisse Traurigkeit, etwas Elegisches. Das hat sich in den Bildern gedoppelt. Es gab auch technische Probleme mit der Projektion; irgendwie hat das nie richtig funktioniert. Deshalb habe ich mich jetzt für einen neutralen Raum entschieden. Der Flügel steht ja auf der Bühne, die Stücke werden von dem wunderbaren Pianisten Alexey Botvinov live gespielt. Diese abstrakten Dekorationselemente lassen vielleicht eine Atmosphäre wie bei einem Salonkonzert entstehen.

Hat sich auch in der Choreografie etwas verändert? Von den Tänzerinnen und Tänzern, die damals die Urauffü hrung getanzt haben, gehört heute kaum noch jemand zur Compagnie. Sie betonen in Gesprächen gern, wie wichtig fu r Sie der Austausch mit Ihren Tänzern bei der Arbeit ist. Haben sich durch die Neubesetzung Veränderungen ergeben? Ich glaube, es wäre falsch, nachträglich etwas an der Choreografie zu verändern, die stilistisch sehr geschlossen ist. Durch die neue Besetzung versuche ich eher, den Hauptpartien noch andere Aspekte abzugewinnen. Die eine der beiden weiblichen Rollen, die damals von Yen Han grossartig getanzt worden ist, übernimmt diesmal Aliya Tanykpayeva, die zweite interpretiert Viktorina Kapitonova, beide wunderbare Tänzerinnen, durch die natürlich eine andere Spannung entsteht.

Das Gespräch fuhrte Konrad Kuhn


Hans van Manens «Solo» Jochen Schmidt «Solo», Hans van Manens Opus 97 (von inzwischen über 110 Werken), choreografierte er 1997 für die Juniorencompagnie des in der niederländischen Hauptstadt Den Haag ansässigen Nederlands Dans Theaters. Es wird von drei Männern getanzt – und zwar mit einer Virtuosität sondergleichen. Den Grund dafür, dass nicht «Solo» drin ist, wo Solo draufsteht, hat der Choreograf im Programmheft der Haager Urauffuhrung zu erklären versucht. Ein Solo, so van Manen, mache man im Grunde nur für einen Tänzer, zu dem man eine sehr spezielle Beziehung habe – «oder fur eine enorme Persönlichkeit, jemanden wie Barischnikov oder Nureyev». Als also Jirˇí Kylián (der 1975-2004 künstlerischer Leiter des Nederlands Dans Theater war, das Hans van Manen 1961-1971 geleitet hatte) mit der Idee an ihn herangetreten sei, er solle ein Solo choreografieren, habe er lange überlegt. Denn die Musik für ein solches Stück habe er schon eine ganze Weile im Kopf gehabt. Diese Musik lege aber ein Tempo vor, das ein Tänzer allein kaum durchhalten könne.

Es handelt sich bei dieser Musik um «Correnta» und «Double. Presto» aus Johann Sebastian Bachs erster Violin-Partita in h-Moll, BWV 1002. Natürlich zwingt ihn niemand, die Bewegungen seiner Tänzer dem Duktus der Musik anzupassen. Doch ist es van Manens Ehrgeiz, Bach im Tempo Paroli zu bieten. Das aberwitzige Tempo, das diese Musik anschlägt, beantwortet er mit ebenso schnellen Bewegungen und einer Geschwindigkeit, die über eine vergleichbare Distanz noch kein Choreograf riskiert hat. Van Manens Tänzer in schlichten marineblauen T-Shirts uber hellen Strumpfhosen sind jeweils nur wenige Sekunden auf der Buhne, die Keso Dekker, offensichtlich ohne anderen Ehrgeiz als die Herstellung der bestmöglichen Folie für die Bewegung, als simplen schwarzen Kasten entworfen hat. Zu Beginn wird die Bewegung immer in dem Augenblick, in dem ein Tänzer in den Kulissen verschwindet, vom nächsten Tänzer aufgenommen; das Solo präsentiert sich als Stafette. Im zweiten Teil, der das Tempo noch einmal steigert, überschneiden sich die Auftritte flüchtig. Aber nur im Finale sind alle drei Tänzer kurz gemeinsam auf der Bühne.

Das Tempo ist von der ersten Sekunde an wahrhaft atemberaubend. Die Tänzer legen sich ins Zeug, als wollten sie in Rekordzeit eine olympische Disziplin gewinnen. Dabei gibt es im ganzen Stück nicht einen einzigen nennenswerten Sprung: nur Schritte und Drehungen, Armbewegungen und Gesten. Aber die folgen mit einer Geschwindigkeit aufeinander, mit der eine elektrische Nähmaschine ihre Stiche setzt. Die einzelnen aufeinander, mit der eine elektrische Nähmaschine ihre Stiche setzt. Die einzelnen Schritte, zuweilen fast geschlurft mit


den Boden streifenden Fussspitzen, sind nicht spektakulär. Sie werden es erst durch die ungeheuer schnelle Abfolge.

Von einzigartiger Vielfalt sind die Pirouetten. Van Manen lässt sie mit aufrechtem und mit vielfach geknicktem Körper drehen, mit gebeugten und durchgedruckten Knien, mit angelegten, halb und weit ausgestreckten Armen, die den Schwung mal abbremsen und mal unterstützen. Das wirbelt über die Buhne, dass man seinen Augen kaum traut – und, eigenartig: Irgendwie muss man dabei immer an den jungen Barischnikov denken – und dass der das Stück vielleicht sogar als echtes Solo hätte tanzen können, wenn man sich die geringfügigen Überschneidungen der Auftritte weg- und ein anderes Finale dazudenkt.

«Solo» ist gerade mal sechs Minuten lang, das kürzeste Ballett, das der Choreograf je gemacht hat. Doch trotz seiner kurzen Dauer ist «Solo» ein ausgewachsenes Stuck: absoluter Tanz in seiner komprimiertesten Form, so hoch verdichtet und von so hohem spezifischen Gewicht, dass man es sich länger kaum vorzustellen vermag. Natürlich ist es ein Virtuosenstuck. Aber ganz gewiss ist es weder tänzerischer Zirkus noch sinnlose Bravour. Mit vergleichsweise simplen Mitteln schiebt es die Grenze des tänzerisch Machbaren ein gutes Stück weiter hinaus. Es setzt damit nicht nur neue technische, sondern auch neue ästhetische Massstäbe.


Begegnung mit dem Unbekannten - Heinz Spoerli im Gespräch Franz Schuberts Streichquartett in d-Moll D. 810 ist unter dem Titel «Der Tod und das Mädchen» bekannt. Diesen Beinamen erhielt es wegen seines motivischen Bezuges zu einem Lied aus dem Jahr 1817, in dem Schubert das Gedicht gleichen Titels von Matthias Claudius vertont hatte. Darin geht es – in Dialogform – um die Begegnung zwischen einem jungen Mädchen und dem (personifizierten) Tod. Wie direkt nehmen Sie in Ihrer Choreografie auf diese Situation Bezug? Der zweite Satz des Streichquartetts Andante con moto dreht sich um das Zitat aus der Klavierbegleitung des Matthias Claudius-Liedes. Also habe ich auf diesen Satz das grosse Pas de deux choreografiert. Hier muss man einfach «das Stuück spielen». Die Grundsituation ist für mich so: Man ist immer umgeben vom Tod; der Tod sucht sich dann immer aufs Neue jemanden aus, den er mit sich fortführt. Am Anfang wehrt sich das Mädchen dagegen, aber der Tod entwickelt eine so intensive Beziehung zu ihm, dass es ihm schliesslich leicht fällt, mit ihm zu gehen. Im letzten Satz taucht das Motiv aus dem Lied noch einmal auf. Deshalb habe ich am Ende eine Szene eingefügt, wo der Tod mit einem Jungen spielt, als wollte er ihm sagen: Du bist der nächste. Das Spiel geht ja immer weiter: Jeder muss einmal sterben, die Frage ist nur, wann!

Das Motiv vom Tod und dem Mädchen taucht zuerst in den mittelalterlichen Totentänzen auf. Niklaus Manuel hat diese Szene wohl erstmals in seinem Berner Totentanz an die (heute nicht mehr existierende) Friedhofsmauer des Dominikanerklosters gemalt. In dieser Darstellung fällt die erotische Komponente auf: Der Knochenmann greift dem Mädchen regelrecht ins Dekolleté. Kann man den Tod, anschliessend an diese Ikonografie, auch als Verfü hrer sehen? Der Tod ist etwas Unausweichliches. Darin gleicht er der Liebe. Wenn man sich verliebt, ist das auch etwas, dem man sich nicht entziehen kann – gleichgültig, ob man wiedergeliebt wird oder nicht. Man ist ausgeliefert, es gibt keine Flucht. So ist man auch dem eigenen Ende ausgeliefert.


In vielen Ihrer Choreografien setzen Sie sich mit dem Verhältnis des Einzelnen oder auch eines Paares zu einer Gruppe auseinander. Das Mädchen – also die weibliche Hauptrolle in Ihrem Schubert-Ballett – schert durch ihr Interesse an der Tod-Figur, einem Tänzer, der fü r sie zugleich etwas Angsteinflössendes ausstrahlt, aber auch eine magische Anziehungskraft zu haben scheint, aus einer Schar junger Leute aus. Wie reagiert die Gruppe darauf? Die anderen bemühen sich immer wieder darum, sie in ihren Kreis zurückzuholen. An einem bestimmten Punkt merkt die Gruppe aber dann, dass ein solches Zurückholen nicht mehr möglich ist. Letztlich entscheidet sich das Mädchen fur die Begegnung mit dem Unbekannten und überlässt sich ihm. Bis zu diesem Entschluss durchlebt es so etwas wie einen inneren Kampf.

In dieser Perspektive könnte man das Mädchen beinahe als Alter Ego des Komponisten Franz Schubert begreifen, der sich mit diesem Werk ebenfalls auf unbekanntes Terrain vorwagt und seine Zeitgenossen damit nicht wenig verstört hat. Die Begegnung mit dem Tod stü nde dann fu r den Aufbruch zu etwas Neuem. – Sie haben sich in Ihren Choreografien in den letzten Jahren intensiv mit der Musik von Wolfgang Amadeus Mozart und Johann Sebastian Bach beschäftigt. Nun wenden Sie sich Franz Schubert zu. Ein Komponist, der so sehr dem Melos verpflichtet ist, scheint sich zunächst nicht so offensichtlich fu r das Medium Tanz anzubieten wie beispielsweise Bach. Wie ist es Ihnen als Choreograf beim Umgang mit dieser Musik ergangen? Die motorische Kraft dieses Werks ist ungeheuer – gerade, wenn man an das Scherzo denkt: Nach dem langsamen zweiten Satz, wo die Musik sich in die Breite zieht, braucht es diesen Ausbruch im Scherzo, der einen wieder ins Leben hineinzieht und von Energie geradezu sprüht. Es war für mich sehr aufregend, das zu choreografieren.

Als Bü hnenbild haben Sie sich von Florian Etti fu r Ihr Ballett «Der Tod und das Mädchen» einen Landschaftsprospekt als Hintergrund gestalten lassen. Dadurch entsteht eine konkrete Verortung des getanzten Geschehens, die auch in der wiederkehrenden Geste des Blumen-pflu ckens aufgenommen wird. Das Stü ck wird sozusagen geerdet. Was verbindet sich damit fü r Sie? Ich sehe das Stück angesiedelt in einer Art Moor. Es ist immer ein wenig Nebel in der Luft, der aufsteigt und über den Bühnenboden zieht. Dahinter gibt es dann Bäume vor einem Himmel. Das Mädchen zieht los, um Blumen zu pflücken; darin druückt sich auch eine gewisse Naivität aus.


Man kann auch an Eurydike denken, die beim Blumenpflü cken von einer Schlange, die im Gras verborgen ist, gebissen wird. Zugleich schafft der Raum Atmosphäre und wird weniger als konkreter Ort wahrgenommen. Am Ende verschluckt der Nebel das titelgebende Paar – die beiden gehen sozusagen in der Natur auf. Ein versöhnliches Ende? Das empfinde ich so. Der Tod bringt Einsamkeit mit sich; aber wenn man die Gestorbenen anschaut, strahlen sie fur mich auch so etwas wie eine Ruhe aus. Das Problem ist der Kampf, der dem vorausgeht.

Das Gespräch fuhrte Konrad Kuhn


opernhaus z端rich


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.