Kranich & Wiesel
orange-folio
Christoph Václav
Kranich & Wiesel
Christoph Vรกclav
Kranich & Wiesel orange-folio
© 2018 by Christoph Václav Alle Rechte vorbehalten. www.orange-folio.de
Kranich & Wiesel Eine Fabel
Gewidmet einem guten Freund. Du glaubst gar nicht wie oft ich dir nachblickte, als du deine Schwingen ausbreitetest, während ich am Boden noch nach ein paar Mäusen suchte.
Wir beginnen sie noch alle gleich: Jung und dumm und gar nicht weise. Doch bald man schon vonnand abweicht. Es zieht jeder seine Lebensreise.
R
aa-raa! Er erwacht. Grau liegt der Morgen vor ihm. Ungewöhnlich, normal war er nie zur Morgendämmerung wach. Raa-raa! Raa. Schon wieder. Nun einmal erwacht ist seine Neugier geweckt, was das für Rufe sein können. Er spitzt die Ohren. Doch nichts mehr. Raa-raa! Ja, da. Vorsichtig schlüpft der Wiesel aus seinem Bau, einer kleinen Erdhöhle. Verstohlen blickt er sich um. Der Nebel hat den Sumpf in eine mystische Landschaft verwandelt. Es scheint, als seien die Wolken zu Boden gestürzt. Im fahlen Licht der Morgendämmerung sieht man nur ein paar Büsche und vereinzelt einen Baum. Doch plötzlich erscheint im Weiß des Nebels ein grauer Tänzer. Ein Derwisch, der grau wie der Morgen sich in den Nebelschwaden wiegt. Er reckt seinen Schnabel empor, schreit Raa-ra, breitet die Flügel aus, hüpft wie von —1—
Ameisen gebissen auf den Füßen herum, er wackelt mit den Flügeln, krümmt den Hals duckt sich, wieder springt er, springt hin und her, mit einem Bein, mit beiden, schlägt seine Schwingen, legt sie an, zuckt. Das Schauspiel sieht beeindruckend aus. Als würde er von Krämpfen geschüttelt, so als hätte er eine Schlange verschluckt, die jetzt mit aller Kraft aus seinem Körper raus wolle. Der Wiesel bemerkt erst jetzt wie kalt es eigentlich noch ist. Er verschwindet wieder in seinem Bau. Etwas liegt in ihm. Es treibt ihn lässt ihm keine Ruhe. Er muss los, will losgehen, doch stehen bleiben. Ein Jucken ergreift ihn in seinem Geist. Und plötzlich muss er dieses Gefühl loswerden. Muss den Kopf schütteln, wo es doch sitzt, nein, nicht, vielleicht lässt es sich raus rufen, Kraa, und noch einmal, Kraaaa, ja und auf einmal ergreift es ihn und er muss springen, er springt, die Flügel schlagen, jaa, und er reckt den Hals, so wie er es bei seinen Artgenossen letztes Jahr gesehen hat. Er weiß nicht, woher dieses Gefühl kommt, was er machen muss, aber er tanzt einfach. Tanzt diesen Tanz ein schütteln, ein aufwachen, woraus kann er nicht sagen, aber er fühlt es ganz genau, diesen Wind, der soeben durch seinen Körper fegt. Und er weiß es, es ist wieder so weit. Er muss aufbrechen. —2—
Das war der letzte Tag gewesen, dass er ihn gesehen hatte. Es kam zwar öfters vor, dass der Vogel manchmal einen Tag lang nicht da war, doch kam er immer wieder in den Sumpf zurück. Seit dem Frühling war er nun hier gewesen. Doch jetzt schien er verschwunden zu sein. Oft hatte der Wiesel ihn beobachtet, wie er auf langen Beinen durch das hohe Gras gestackst war, den Kopf gesenkt und dann blitzschnell zustoßend eine Maus erbeutet hatte. In diesem Moment war er neidisch gewesen, denn es war seine Maus gewesen. Jetzt ist er fort. Der Wiesel blickt dahin, wo der Kranich sonst immer durch das Wasser gewatet war. Es kann ihm nicht in den Sinn kommen. Wo soll man den hingehen? Das ist seine Wiese, sein Sumpf. Es ist schwer vorzustellen so weit zu gehen, dass man nicht mehr zurückkommt. Gut, der Vogel kann fliegen. Und der Wiesel sieht zum Himmel. Wie es wohl ist, durch den Himmel zu gehen? Er erblickt einen Vogelschwarm. Schwarze Striche, sich rasch bewegend. Es ergreift ihn, denn er sieht, sie haben keine Heimat. Das erschüttert ihn zutiefst. Damit kann er nicht umgehen. Schnell senkt er seinen Blick zu Boden. Nein, keine trüben Gedanken mehr, schnell auf Nahrungssuche gehen. Schon will er
—3—
sich umkehren. Da hält er inne. Was ist das an seinem Schwanz? Weiß? Es ist also wieder so weit. Noch am selben Tag war er geflogen. Dies war schon das dritte Mal. Doch diesmal war es anders gewesen. Er hatte ihn selbst gespürt. Diesen Ruf, ohne Laute, doch lauter als irgendein anderes Gefühl. Trotzdem hatte er ihn nicht erkannt. Ja, da war dieses Gefühl gewesen, das ihn aufgescheucht hatte, sodass er zum ersten Mal wirklich tanzte. Schon oft hatte er es gesehen, doch er wusste nicht wie es ging, wie man sich bewegen musste. Nun dachte er, er müsse sich einfach bewegen. Und das tat er mit aller Energie. Als sie verraucht war, ruhte er aus. Das Gefühl war noch da. Er war zwar erschöpft, aber dieses Gefühl rief noch immer in ihm. Und dann, er hätte nicht sagen können was es war, einfach aus einer Laune heraus, spreizte er um die Mittagsstunden die Flügel, hob sich in die Lüfte und er wusste, heute nicht, heute würde er nicht nach Nahrung suchen, nein er würde fliegen, fliegen bis er weit fort war. Jetzt fliegt er wieder. Er ist auf sich gestellt, doch er kennt die Richtung, hat ein Ziel. Unter ihm ziehen Wiesen, Flüsse, Seen und Felder vorbei. Er lässt sich auf der Luft treiben.
—4—
Bewältigt wird sie werden Auf verschiedenst’ Art und Weise. Mit Himmelflug oder auf Erden. Es zieht jeder seine Lebensreise.
D
ie neue Fellfarbe ist ein bisschen zu früh da. Es ist gefährlich so auffällig weiß rumzulaufen, wo der Boden braun ist. Das welke Laub dunkelbraun ist. Die vertrockneten Grashalme mattbraun sind. Die Erde, die nackten Bäume, der Matsch, das Schilf. Nur er hat jetzt diese Gemeinschaft verlassen und ist neu eingekleidet und seiner Zeit voraus. Doch er muss aufpassen in seinem auffälligen Gewand. Er huscht unter dem Laub hindurch, durch versteckte Gänge, durch hohle Bäume, durchs hohe Gras, durchs dichte Schilf, bis zu seiner Höhle, wo er tief tief im warmen Bauch der Erde sicher ist, ja hier würde ihn keiner sehen, keiner finden. Hier ist er geborgen vor jeder Gefahr. Er kannte das: Hier Rast machen Einen Schlafplatz bereiten Dann noch schnell vielleicht eine Maus fangen oder nach Würmer suchen Sich zur Ruhe legen Aufstehen Die Flügel spreizen Los geht es Über Wälder Über Wiesen Über Seen Pause Die Flügel ruhen lassen Nahrung suchen Und wieder aufsteigen Im Wind gleiten Noch vor
—5—
der Dämmerung landen Das Seeufer entlang waten Einen Frosch finden Schlafen Am nächsten Tag weiter. So ging es einige Tage. Ruhelos zog er immer weiter, getrieben von einer inneren Spule, die sich langsam in seine vorherbestimmte Richtung zog. Bis er den Rastplatz erreicht. Jetzt hat er es wieder geschafft. Er sieht sich um, entdeckt alte Gesichter. Er hört vertraute Rufe. Doch den einen oder anderen Ruf, den er noch vom Vorjahr kannte, hört er nicht. Nicht jeder kommt hier jedes Jahr wieder zusammen. Jeder kommt eines Jahres nicht mehr hier zusammen. Die Reisegruppe wächst, aber kaum ist die Lagerstatt abgegangen, das Gebiet durchstreift und die beste Futterstelle gefunden, als es schon wieder weiter geht. Und immer weiter. Jetzt in der Gruppe, gemeinsam gegen den Wind, gegen diesen Feind, gegen alle Feinde, ihrem Ziel entgegen. Eingefroren. Wie der Grashalm, der seinem großen Vorbild dem Baum gleich, nun endlich ganz starr und steif dasteht, so ist das ganze Leben nun in einen einzigen Moment, ein einziges Gefühl verwandelt worden. Die Zeit scheint still zu stehen. Und wie die Landschaft, so hat sich auch das ganze Leben in Schwarz und Weiß gekleidet. Leben und Tod. Jetzt ist alles extremer, wer nicht aufpasst, muss sterben. —6—
Und dann kommen sie an. Das Winterquartier. Nun schon zum vierten Mal erreicht er es, endlich scheint es vertraut zu sein. Der Platz ist groß, viele von ihnen haben sich schon versammelt. Es herrscht reger Lärm, ein Durcheinander für den, der als Fremder auf die Herde schaut. Ringsherum gibt es noch reiches Nahrungsangebot: Den Eichenwald und Felder, auf denen noch die Früchte des Sommers übrig sein sollten. Ja, jetzt kann er ein bisschen zur Ruhe kommen. Die Reise ist geschafft, für den Winter ist gesorgt.
—7—
Sie trägt uns fort zu neuem Glück. Im kleinen oder weiten Kreise Bringt sie uns wiederum zurück. Es zieht jeder seine Lebensreise.
W
ürde er nicht ein Federkleid tragen und auf den Wolken dahin segeln, so hätte er in diesem Moment eines, wäre leicht, würde schweben, ja sogar fliegen. Denn er ist leicht, so leicht und alles um ihn rum ist schön, alles glänzt von innen heraus und besonders sie. Er sieht sie an und er tanzt. Diesmal ist es ein ganz anderer Tanz, als sein erster. Er weiß, was er tut. Es ist eine Choreografie, woher er sie kennt, weiß er nicht, als er das Bein hebt, den Hals reckt, sich groß macht, dann plötzlich aufspringt und als er wieder landet mit den Flügeln schlägt, doch gleichzeitig seine Körper nach vorne und nach hinten bewegt, woraufhin auch der Kopf wieder erlebt, auch er nach oben und unten zuckt, bis er oben verharrt, senkrecht nach oben starrt, den Schnabel aufsperrt und laut, damit jeder es hört, singt, ein Liebeslied, das über die Wiesen klingt, ja du gehörst zu mir. Und sie neigt den Schnabel, steckt den Kopf unter seinen Hals und gehört zu ihm.
—8—
Nach kurzer Zeit ließ er dann wieder von ihr ab. Er hatte es gespürt, seine Instinkte waren jetzt voll ausgereift, ganz genau wusste er, was zu tun war, wusste, warum er tagelang sein Revier durchstreift, ja über dessen Grenzen hinaus gegangen war. Jetzt war er da. Er war ihr gefolgt, hatte sie gejagt. Sie eingeholt. Er schnuppert noch an ihr. Der Geruch war belebend. Er war es, der ihn zu ihr geführt hatte, durch das Gras ihrer schwarzen Schwanzspitze folgend. Und jetzt meldet sich sein Instinkt zurück. Ja, zurück, da muss er hin. Da wo er hingehört. Er dreht sich um und huscht weg Er war noch nie so geflogen. Auch wenn es wieder nur eine Gruppe Kraniche ist, die V-förmig am Himmel dahin zieht, so ist es doch diesmal anders. Denn er weiß, diesmal würde einer dieser Kraniche nicht abbiegen, nicht noch weiter fliegen, sich nicht einer anderen Gruppe anschließen, sondern bei ihm bleiben, mit ihm zum Sommerquartier fliegen. Heuer ist sein Herz nicht so schwer, als sie den Platz verlassen, der sie auch in diesem Winter mit reichlich Nahrung versorgt hatte. Auch der lange, lange Flug ist nicht so beschwerlich. Denn heuer fliegen sie zu zweit. Was er in dem Moment nicht weiß: Eigentlich fliegen sie schon zu viert. Schon bald werden sie den Nist-
—9—
platz erreichen. Werden einen geeigneten Brutplatz finden. Werden zwei Eier dieses Nest füllen. Geschäftig huscht der Wiesel über die Wiese. Er ist auf Nahrungssuche. Sein Revier ist groß, es hat ihn im Winter gut ernährt und jetzt ist es ein leichtes eine Maus oder ein Küken zu fangen. Mit seiner Beute im Maul kehrt er zu seinem Bau zurück. Hinter ihm bleibt eine blutige Federspur. Ein paar Blutstropfen fallen auch auf sein braunes Fell und färben es schwarz. Schwarz sind auch die Schatten, die über ihm hinwegziehen. Der Wiesel bleibt stehen und blickt sich um. Die Schatten werden kleiner. Sie gehören zwei Vögeln. Langsam kommen sie auf die Erde, rudern mit den Flügeln, landen im seichten Sumpfgewässer. Der Vogel war also wieder da. Doch diesmal war er nicht alleine. Obwohl er eigentlich grimmig sein sollte, darüber, dass er nun einen Konkurrenten mehr bei der Mäusejagd hatte, erfüllte die Ankunft des bekannten Tiers den Wiesel mit Freude. In der Dämmerung sieht man keinen Schatten. Es war ein anstrengender Tag gewesen für den Kranich, er hatte viel Nahrung für seine Küken suchen müssen, obwohl sie mittlerweile viel selbstständiger waren. Nun steht er am Ufer des Sees und blickt in die — 10 —
Abenddämmerung. Er fragt sich, wie es wohl werden wird, ob sie die Reise schaffen werden, wann sie wieder aufbrechen müssen. Da sieht er, wie blitzschnell etwas nach unten saust. Die Eule stürzt lautlos auf ihre Beute. Schon fliegt sie wieder hoch. Der Kranich blickt ihr nach. In ihren Klauen trägt sie etwas Kleines, Braunes. Als der Kranich die schwarze Schwanzspitze entdeckt, wird er traurig. Er hat schon oft Tiere sterben sehen und auch schon selbst getötet. Aber dieses Tier erinnert ihn an etwas. Es ist, als wäre plötzlich ein wichtiges Stück weggebrochen. Der Kranich steigt in die Luft. Und irgendwann wird dann allein – Ob laut und schnell oder ganz leise – Der letzte Weg gegangen sein. Es endet jedes Lebens Reise.
— 11 —
Christoph Václav stammt aus der Oberpfalz. Diese Gegend prägte ihn sehr und hielt ihn bis zum Ende seines Bachelorstudiums, das er in Regensburg absolviert. Doch auf der anderen Seite war er schon immer gezogen von einem starken Fernweh. So führten ihn seine Reisen durch Europa, nach Ghana, Togo und Südamerika. Erste schriftstellerische Versuche wagte er während des Studiums. Zunächst handelte es sich dabei um Gedichte, v.a. zur Unterhaltung seiner KommilitonInnen. Schon bald wandte er sich allerdings verschiedenen Genres und Stilrichtungen zu: so prägten ihn in lyrischer Hinsicht etwa der Dadaismus und experimentelle Lyrik, wie z.B. Ernst Jandl. Aber auch in der Prosa versuchte er sich und verfasste verschiedene Kurzgeschichten. »Kranich und Wiesel« ist seine erste Veröffentlichung. Christoph Václav lebt in Wien.