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Der Freidenker – Eine Taverne in Chalkis
from Bote von Karcanon 71
by Projekt Myra
Der Freidenker – Taverne in Chalkis
Der Freidenker ist eine Kneipe im silurischen Viertel von Chalkis. Im Freidenker gelten zwei Gebot, die in großen Lettern über der Theke angeschlagen sind: Zensur findet nicht statt. Die Rechnung wird bezahlt. Im Silurischen Viertel in Chalkis ist der Griff der Stadtwache nicht so straff wie in anderen Vierteln der Kaiserstadt, und die Priesterschaft des Chnum hat die Herzen und Seelen der Gläubigen weniger fest in der Hand. Hier hat der Freidenker vom Vormittag bis in die späte Nacht geöffnet und hier ist der beste Platz in der Stadt für kritisches Denken und neue Ideen, für eine freie Geisteshaltung und alkoholumnebelte Visionen. Der Freidenker liegt in einer engen Gasse, welche sich von einer Querstraße der Großen Ringstraße hinunter zum Hafen zieht. Seine Vorderfront ist unauffällig, nur eine Tür und ein schmales Fenster daneben. Der Schankraum ist ein enger Schlauch, mit der Theke auf der einen und einigen Stühlen auf der anderen Seite. Tiefer im Gebäude liegen einige weitere Räume, auch eine kleine Bühne, auf der alle Weile Barden auftreten, oder Dichter, welche aus ihren Werken lesen. Es gibt sogar eine kleine Bibliothek, eine Kiste mit Schriften, mit denen klamme Gäste ihre Rechnung zahlten. Zuletzt gibt es einen Hinterausgang, der auf einen schäbigen Hof am Rand eines Kais führt. Hier findet man einige billige Herbergen – und einen Fluchtweg, so die Rede einmal allzufrei war. Den Wirt Mand Salku kennt jedermann in den weniger herrschaftlichen Gassen des Silurischen Viertels. Er gehört zu den zehntausend Silurern, welche König Ragall und die Lichtliga bei der Befreiung der Heimat begleiteten, war dann Matrose auf der Bröliande, als Ragall auf Brautfahrt nach Karalo-Floran reiste und strandete hier, als er sich an Bord ein Bein brach. Ob er allerdings tatsächlich der beste Freund des Königs ist ist nicht ganz sicher. Er ist ein Bär von einem Mann, und da er humpelt erinnert er an einen verwundeten Bären, und die gelten ja als besonders gefährlich. So hat er keine Schwierigkeiten, Bierfässer in den Schankraum zu wuchten oder Gäste nachdrücklich an das zweite Gebot seines Gasthauses zu erinnern. Und eine Zensur findet nicht statt.
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Hier sitzen am frühen Abend eines Chnumdago zwei Männer zusammen, während die übliche Menge allmählich den Raum mit Bierdunst und Pfeifenrauch füllt und neben der Bühne ein Barde seine Laute stimmt.
„Laurentius müsste freikommen“, sagt der eine. „Das sagst du schon seit 12 Jahren“ erwidert der andere. „Aber ist wird dringender. Ich habe mich als Freund der Pantheonsreligion ziemlich exponiert und öffentlich gemacht. Da gab es öffentliche Reden und Predigten in
größeren und kleineren Tempeln mancher Religionen und Bittschreiben an die Brüder und Schwestern vieler Kulte“, sorgt sich der erste. „Was willst du dann mit Laurentius?“, fragt ihn der zweite. „Die Pantheonsreligion braucht einen Vordenker, einen religiösen Anführer, einen Priester. Die Zeit ist reif, auch wenn es heißt, dass das Reich streng chnumgläubig ist fleht die Gebärende doch zu Pura und der Seemann zu Norto. Ich aber kann kaum ein Führer der Gläubigen sein. Auch wenn ich schon lange mit der Idee der Pantheonsreligion sympathisiere bin ich doch nur ein kleiner Mann und - du kennst mich - schon gar kein Anführer der Massen. Eine starke Bewegung, welche Laurentius selber anführt kann nicht mehr einfach weggekerkert werden. Und dieses Schicksal fürchte ich. Plötzlich zu verschwinden um in irgend einem Chnumtempel zu verrotten. Du weißt, Laurentius war ein Freund des Kaisers, sein Hofkaplan sogar. Doch der Kaiser konnte ihn nicht schützen, als er ergriffen wurde, und er kann ihn nicht retten, jetzt wo er gefangen ist“ Sein Gegenüber sieht ihn erst irritiert, dann verstehend an: „Wo mag Laurentius stecken?“, will er wissen. „Das ist natürlich nicht bekannt, und ich denke, nicht einmal die Spione des Kaisers haben einen Anhaltspunkt. Man vermutet ihn und ich stimme zu in einem großen Chnumtempel im Kaiserreich, wo man ihn mit aller Macht des Kultes sichern kann und wo eine gewaltsame oder heimliche Befreiung wegen der Öffentlichkeit kaum möglich ist. Vielleicht auch in einem kleinen Tempel irgendwo auf dem Land, wo man einem lokalen Priester die Schuld in die Schuhe schieben kann, sollte Laurentius freikommen. Das glaube ich aber nicht. Man wird alles tun, dass er nie wieder gesehen wird, da kann man gleich den sichersten Ort des Chnumkultes nehmen.“
„Hat man denn je versucht ihn frei zu bekommen?“, bohrt der Frager nach. „Nun, ich habe einen jungen Priester gebeten, vorsichtig eine Abenteurergruppe zusammen zu stellen. Er meint, er habe in Iridistra einige geeignete Streiter gefunden. Dort ist der Zugriff des Chnumkultes nicht so stramm und die Pantheonsreligion hat mehr Freunde, durch das Zusammenwirken vieler Kulte. Aber die Sache verzögert sich, ich vermute, es gibt allzu viele Chnumtempel, in denen gesucht werden muss und zu wenig alte Spuren, denen man nachgehen kann.“ „Warum überhaupt dieser Widerstand des Chnumkultes, warum das Zögern des Kaisers?“ Der Frager ist ratlos. „Alle Kulte sind konservativ, je größer und älter desto mehr. Der Chnumkult ist die größte und wohl älteste Religionsgemeinschaft im Reich. Da gibt es viel Beharren darauf, dass alles so bleibt wie es ist, da sind Pfründe zu verteidigen, immense Macht und Berge von Gold. Die jungen Priester wachsen in Tempeln und Schulen auf, die
gegen alle Veränderungen sind und nur wer so denkt wie seine Lehrer macht Karriere. Dem Kaiser ist natürlich der Kult eine wesentliche Stütze. Lieber diesen soliden Ysantstamm als ein zweifelhaftes dürres Zweiglein der Pantheonsreligion. Dann gibt es da vor allem aber auch den Erntesegen. Das Reich ist darauf angewiesen. Wird Chnum seine Gnade auch noch im Rahmen der Pantheonsreligion erweisen? Das ist nicht sicher.“
„Und wieso stehst du der Pantheonsreligion so nahe?“, drängt der Frager auf Antworten.
„Es ist eine Sache des Glaubens, ein inneres Gefühl, dass es richtig ist alle 21 verehren zu dürfen. Solange jemand im Licht wandelt soll er frei sein alle Götter zu kennen und zu lieben und zu erwählen und nach seinem Gewissen, seinem Stand, seiner Not oder seinem Glück finden, wen er anrufen mag.“ „Ja - Laurentius müsste freikommen.“, seufzt der zweite: „Aber das sagtest du ja bereits.“
Vision des Heiligen Hains der Kaiserstadt Chalkis
"566393413481030" by Jenni Eales is licensed under CC BY-SA 2.0