perspektive21 - Heft 21/ 22

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Zur Zeit sind noch folgende Titel lieferbar: Heft 13 Heft 14 Heft 15 Heft 16 Heft 17 Heft 18 Heft 19 Heft 20

Kräfteverhältnisse – brandenburgisches Parteiensystem Brandenburgische Identitäten Der Islam und der Westen Bilanz vier Jahre sozialdemokratisch-bündnisgrünes Reformprojekt Ende der Nachwendezeit. PDS am Ende? Der Osten und die Berliner Republik Trampolin oder Hängematte? Die Modernisierung des Sozialstaates. Der Letzte macht das Licht aus?!

www.perspektive21.de

Heft 21/22 • April 2004

Entscheidung im Osten:

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Einzelne Exemplare von bisher erschienenen Ausgaben schicken wir Ihnen gerne auch auf Wunsch kostenlos zu. Senden Sie uns bitte eine eMail an perspektive-21@spd.de.

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Wenn Sie Interesse an bisher erschienenen Ausgaben haben, können Sie ältere Exemplare auf unserer Homepage www.perspektive21.de als pdf herunterladen.

Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik

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Seit 1997 erscheint „Perspektive 21 – Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik“.

perspektive 21 · Brandenburgische Hefte für Wissenschaft und Politik · Heft 21/22 · April 2004

SPD-Landesverband Brandenburg, Friedrich-Ebert-Straße 61, 14469 Potsdam PVSt, DPAG, Entgelt bezahlt, A47550


Das neue Deutschland Kr ise im Westen, Umbr uch im Osten – wie wir gemeinsam Chancen beg reifen und Refor men durchsetzen. Mit Beiträgen von: Frank Decker, Wolfgang Engler, Matthias Platzeck, Uwe Rada, Landolf Scherzer, Alexander Thumf ar t und vielen anderen

NEUERSCHEINUNG (April 2004) Heinz Kleger, Ireneusz Pawel Karolewski, Matthias Munke

Europäische Verfassung. Zum Stand der europäischen Demokratie im Zuge der Osterweiterung 3., aktualisierte und erweiterte Auflage Lit-Verlag – Reihe Nation-Region-Europa – Band 3 616 Seiten – 29,90 Euro ISBN 3-8258-5097-8

Aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 21. Januar 2002: Die Autoren „hatten eingangs versprochen, große Anstrengungen zu unternehmen, zum ‚trotz einer komplizierten Materie auf die Verständlichkeit der Ausführungen zu achten’. Sie haben vollauf Wort gehalten. Und je tiefer man sich in die Arbeit hinein versenkt, um so überzeugender wird der originelle methodische Ansatz dieser Analyse. Ihr Ergebnis zählt ohne Zweifel zu den wichtigen Beiträgen zu einer Debatte, die Europa noch lange beschäftigen wird.“ Das neue Deutschland Die Zukunft als Chance Herausgegeben von Tanja Busse und Tobias Dürr 336 Seiten. Broschur. s 15,90 (D) ISBN 3-351-02553-X

aufbau

V E R L A G

W W W. A U F B A U - V E R L A G . D E


Inhalt

Entscheidung im Osten: Innovation oder Niedriglohn? Vorwort

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Magazin Alexander Gauland Die Wunder der Streusandbüchse Brandenburg zwischen Zukunft und Vergangenheit

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Thema Matthias Platzeck Zukunft, Arbeit und Familie – Unser Weg für Brandenburg

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Jochen Röpke 19 Ostdeutschland in der Entwicklungsfalle. Oder: die Münchhausen-Chance Jörg Aßmann Das Gespenst des Mezzogiorno Welches Entwicklungsszenario erwartet Ostdeutschland?

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Esther Schröder Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven

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Ulf Matthiesen Das Ende der Illusionen – Regionale Entwicklung in Brandenburg und Konsequenzen für einen neuen Aufbruch

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Tobias Dürr Brandenburg und das finnische Modell

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Thomas Kralinski

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Wachsen wie die Sachsen? Eine kritische Bilanz der Nachwendezeit

Klaus Faber Innovationsinitiative und Ostdeutschland

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Impressum

Herausgeber SPD-Landesverband Brandenburg Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V. Redaktion Klaus Ness (ViSdP), Ingo Decker, Benjamin Ehlers, Klaus Faber, Klara Geywitz, Thomas Kralinski, Lars Krumrey, Christian Maaß, Till Meyer, Manja Orlowski, Tina Fischer, Raimund Kropp Anschrift – SPD Landesverband Friedrich-Ebert-Straße 61 14469 Potsdam Telefon: 0331 - 200 93 – 0 Telefax: 0331 - 270 85 35 Anschrift – Wissenschaftsforum c/o Klaus Faber Gesamtherstellung, Vertrieb Weber Medien GmbH Hebbelstraße 39 14469 Potsdam Bezug Bestellen Sie Ihr kostenloses Abonnement direkt beim Herausgeber. Senden Sie uns eine Mail.

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An der Parforceheide 22 14480 Potsdam Telefon: 0331 - 62 45 51 Telefax: 0331 - 600 40 35 Mail Perspektive-21@spd.de Internet http://www.perspektive21.de


Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser der „Perspektive 21“! der Osten ist zurzeit wieder in aller Munde –und zwar zur rechten Zeit. Der Aufbau Ost hat gerade Halbzeit, denn im Jahr 2019 läuft der Solidarpakt aus. Insofern ist es folgerichtig, die vergangenen Jahre kritisch zu beleuchten und Konsequenzen für die kommenden Jahre zu ziehen. Mit diesem Heft wollen wir in eine solche Diskussion einsteigen. Wo wurden Fehler gemacht, und vor allem: Wo liegen Zukunftschancen? Dies steht im Mittelpunkt dieser Ausgabe. Matthias Platzeck stellt in seinem Beitrag vollkommen zu Recht fest, dass wir vor neuen Rahmenbedingungen stehen und es dafür keine Blaupausen gibt, genauso wenig wie uns die Ausrichtung an westdeutschen Vorbildern weiter hilft. Zusammen mit den spannenden Beiträgen von Jörg Aßmann, Jochen Röpcke, Ulf Matthiesen und Klaus Faber wird deutlich, wo Innovationspotentiale liegen, welche Chancen Regionen haben und welchen Weg Brandenburg gehen kann. Die Texte zeigen, dass die Zukunft unseres Landes nur in Innovation und nicht im Niedriglohnbereich liegen kann. Daneben illustriert Esther Schröder, welche Fehler im Land in den letzten Jahren vom CDU-geführten Wirtschaftsressort gemacht worden sind. Sie zeigt sehr eindrücklich, dass es nicht um „Großinvestitionen“ oder „Mittelstand“ geht, son-

dern ob Unternehmen – unabhängig von ihrer Größe – über tragfähige und hinreichend innovative Unternehmenskonzepte verfügen. Aber auch ein Blick über die Grenzen Brandenburgs lohnt sich.Tobias Dürr und Thomas Kralinski haben ihn gewagt. Am Beispiel Finnlands lässt sich sehr schön beobachten, wie sich ein Land mit Innovation und Kreativität – zusammen mit einer „strategischen Vision“ – neu erfunden hat. Darum geht es auch in Brandenburg in den nächsten Jahren: um Modernisierung und Aufbruch mit Herz und sozialer Seele. Ab diesem Heft wird die Perspektive 21 in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und MecklenburgVorpommern e.V. herausgegeben. Deshalb erhalten auch die Mitglieder und Interessenten des Wissenschaftsforums das Perspektive-Heft. Das Wissenschaftsforum und die Perspektive 21 haben in einem beachtlichen Umfang vergleichbare Themenschwerpunkte, wie auch das neue Heft zeigt. Dies trifft ebenso auf die Zielsetzung in der Wissenschaftsund Innovationspolitik zu. Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen Ihr Klaus Ness

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perspektive 21 im Internet Die Hefte 1-20 sind im Internet unter www.perspektive21.de als pdf-Datei zum Download verf端gbar.

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Die Wunder der Streusandbüchse Brandenburg zwischen Zukunft und Vergangenheit Von Alexander Gauland

Dächer von Ziegel, Dächer von Schiefer, Dann und wann eine Krüppelkiefer, Ein stiller Graben die Wasserscheide Birken hier und da eine Weide, Zuletzt eine Pappel am Horizont, Im Abendstrahl sie sich sonnt. Auf den Gräbern Blumen und Aschenkrüge Vorüber in Ferne rasseln die Züge, Still bleibt das Grab und der Schläfer drin – Der Wind, der Wind geht darüber hin. Nein, es ist nicht die Toskana, es sind auch nicht die bayerischen Schlösser und Seen. Die Landschaft ist karg, weit und ein wenig traurig. Das Land zwischen Elbe und Oder, das Kernland des alten Preußen gehörte nie zu den Sehnsuchtslandschaften der Deutschen. Man fuhr hindurch zu den mondänen Ostseebädern oder in die Weiten Ostpreußens und Masurens, auf die Kurische Nehrung, nach Königsberg oder Danzig. Brandenburg war zwar schon Kolonialland „Ostelbien“, aber eben noch nah an Magdeburg und Halberstadt, wo die deutschen Kaiser gotische Dome mit römischen Steinen gebaut hatten. „Gleich

Theodor Fontane hinter dem Rennweg beginnt Asien“ hatte einst Metternich über das alte Österreich östlich von Wien geurteilt. Gleich hinter Berlin beginnt die russische Weite, könnte man das Wort abwandeln, blickt man von den Seelower Höhen nach Osten zur Oder. Und es waren diese letzten Ausläufer deutscher Mittelgebirge, die die russische Flut 1945 aufhalten sollten – vergebens wie wir wissen. Brandenburg liegt im Schnittpunkt zweier Welten, der zum Westen gehörenden mittelalterlichen und der in den Osten reichenden preußisch-slawischen. Irgendwo zwischen Havelberg und dem Oderbruch schlägt das Herz Brandenburgs.

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Alexander Gauland

Dass diese Landschaft aus Sand und Kiefern heute dennoch auf eine etwas angestrengte Weise zu den großen europäischen Kulturlandschaften zählt, verdanken die Brandenburger einer Dynastie und einem Dichter. Die Hohenzollern verwandelten die Seenlandschaft um Berlin und Potsdam in ein Kunstwerk, ein weltliches Arkadien, dessen Schönheit im seltsamen Gegensatz zu dem sandigen Boden steht, dem es abgerungen wurde. Es ist ein Wunder im Zentrum der Streusandbüchse des Reiches – wie die Mark verachtungsvoll genannt wurde – das in Europa seinesgleichen sucht. Man muss schon die Toskana, Venedig oder die Loire-Schlösser aufsuchen, um ähnliches zu finden, und man begreift das Staunen der vielen Besucher über diese Anstrengung zur Schönheit. Und statt dass die „Katen“ des märkischen Adels daneben in der Bedeutungslosigkeit versanken, hat sie Theodor Fontane in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ auf gleiche Höhe gehoben. Die Hohenzollern bauten sich mit Sanssouci, Charlottenburg, Rheinsberg, Glienicke, Babelsberg, Charlottenhof, Paretz und dem Cecilienhof in die Herzen ihrer Untertanen. Fontane rettete Ruppin, Gransee, Wustrau, den Oderbruch, Friedersdorf und den Barnim vor dem Vergessen – oder besser noch – vor dem Nichtentdecktwerden. Und noch

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heute sieht man manchen Besucher vor den Schlössern der Mark statt mit einem ordinären Führer mit den „Wanderungen“ in der Hand stehen. Brandenburg, so kann man getrost sagen, ist eine Schöpfung Fontanes, nachdem es längst in Preußen aufgegangen war. Und noch heute erfährt man über Menschen und Landschaften mehr aus dem „Stechlin“ als aus jedem Handbuch über Land und Leute. Brandenburg hat eine lange Vorgeschichte unter den Askaniern und den frühen Hohenzollern, die aus Süddeutschland kamen und davor Burggrafen von Nürnberg waren, erlebte eine kurze Epoche künstlerischer Genialität, nachdem es politisch längst als Kernland der Dynastie von dem eigentlichen Preußen abgelöst worden war und sucht heute verzweifelt eine Zukunft in einer veränderten Welt. Brandenburg ist alles, was von Preußen geblieben ist, eine Idee, die einen Staat hatte – oder wie die Kritiker meinen, eine Armee, die ihn besaß. Nur einmal ist Brandenburg an der tete geritten, nicht in den Schlachten des großen Friedrich, sondern danach, nach seinem Tod, von 1790 bis 1840. Der preußische Klassizismus ist eine Brandenburger Schöpfung, und seine Vertreter sind fast ausnahmslos hier geboren, Gilly und Schinkel, Schadow, Rauch und Persius. Für ein Menschen-


Die Wunder der Streusandbüchse

alter bestimmten sie den Stil der Architektur und Skulptur in ganz Europa. Alle großen Bauten Berlins entstanden zwischen 1820 und 1840 in dieser Manier, die Neue Wache, das Schauspielhaus und das Alte Museum. Es ist verblüffend und kaum nachzuvollziehen, dass Deutschlands geistiges Zentrum für eine historische Sekunde nicht mehr im Geniewinkel des Südwestens, sondern in der Rüben- und Kartoffelwelt zwischen der Prignitz und der Uckermark lag. Nimmt man die Schreibenden hinzu, Heinrich von Kleist, die Schwerins, die Arnims, Fouqué und Chamisso, so wird auch der romantische Impetus aus der Mark in die Welt getragen. Fast alle Künste wachsen plötzlich auf dem Boden, der ganz zum Schluss mit Blechen, Menzel und Liebermann selbst noch in der Malerei die anderen Regionen Deutschlands hinter sich lässt. Doch es dauerte nur einen Sommer, ein kurzes Jahrhundert, der Rest ist ein langer Abschied, zu dem wohl Liebermanns Bilder am besten passen. „Die Mark“ – so Wolf Jobst Siedler, der beste Kenner ihrer Kultur und Geschichte – „hat alles hervorgebracht, erst das Kurfürstentum Brandenburg, dann das Königreich Preußen, schließlich das kurzlebige Deutsche Reich. Es ist, als ob sie sich dabei verzehrt habe. Nun ist alles von ihr abgefallen, was ihr Bedeutung, Glanz und wohl auch

Unheimlichkeit gab. Nun ist die alte Mark wieder auf sich selber zurückgeworfen; Brandenburg ist alles, was von Preußen geblieben ist. Legt man die Karte des heutigen Deutschland neben eine Karte aus Staufischer Zeit, so hält man wieder da, wo man vor einem Dreivierteljahrtausend stand, bevor man über die Oder ging und den Heiden und der Wildnis Land abgewann.“ Heute hat das Land wenig mehr als diese Vergangenheit, denn 40 Jahre Sozialismus haben hier größere Schäden hinterlassen als anderswo. Schon der Krieg war grausamer, da die Mark eben direkt auf dem Wege nach Berlin lag, und die letzten großen Schlachten des Weltkrieges – Seelow und Halbe – hier geschlagen wurden. Die Zerstörungen waren gründlicher als in Sachsen und Thüringen. Und dann war der Sozialismus nicht nur eine Absage an die überlieferten Herrschaftsverhältnisse, sondern an die Geschichte selbst. Vieles wurde dem Verfall preisgegeben, und von manchem Gutshaus ist nur noch der Baumbestand erhalten. Erst verließ das dem Hof und der Armee verbundene Bürgertum das Land, dann folgten die Handwerker und zuletzt die Bauern, die die Kollektivierung fürchteten. Die Industrie in Brandenburg, Hennigsdorf und Eisenhüttenstadt kämpft heute ums Überleben, und Neues ist kaum nachgewachsen.

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Alexander Gauland

„Heute“ – so noch einmal Wolf Jobst Siedler – „mutet die Welt zwischen dem Barnim und der Uckermark merkwürdig geschichtslos an, es fehlt, was ihr so lange Bedeutung gegeben hat: Bürger, Bauer, Edelmann.“ An die Stelle des wie der Fehlenden ist ein nostalgisches Heimatgefühl getreten, das auch die DDRVergangenheit einschließt. Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt repräsentierten den daraus erwachsenen Politikstil. Doch was im Westen unter den Zumutungen des Reformdrucks manchmal belächelt wird – der Brandenburger Weg – enthält manches Gute. Es gilt noch der Satz: Wer verändern will, trägt die Beweislast. Man ist näher an der Vergangenheit, an den Wurzeln und an der Geschichte. Und

allmählich dämmert es allen, dass diese Vergangenheit die Zukunft ist. Ein Industrieland wird die Mark nicht, der Garten eines erneuerten Berlins schon. Auch deshalb liegt in der Fusion beider die eigentliche Chance, nicht für ein neues Preußen, aber doch für ein Bundesland, das der historischen Tradition auch eine wirtschaftliche Basis zu geben vermag. Insofern sind gerade die adligen Rückkehrer, die es gibt, wie die Marwitzens und die Hardenbergs, ein Zeichen für die Zukunftsfähigkeit der Wiege Preußens. Und in einem sind sich alle, ob zurückgekehrter Adel, wiedereinrichtende Bauern oder ehemalige Kommunisten, ob CDU, SPD oder PDS einig:„In Staub mit allen Feinden Brandenburgs.“

Alexander Gauland ist promovierter Jurist und Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ in Potsdam. Zuletzt erschien von ihm die „Anleitung zum Konservativsein“, Deutsche Verlagsanstalt 2002.

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Zukunft, Arbeit und Familie – Unser Weg für Brandenburg Von Matthias Platzeck

1. Die erste Aufbauphase ist abgeschlossen Die Jahre nach der Wende waren gekennzeichnet durch den gleichzeitigen Zusammenbruch einer früheren Gesellschaftsordnung und den Neuaufbau von Rechtsstaat, Unternehmen, Arbeitsplätzen, Kommunen und Bürgergesellschaft. Mit großem Mitteleinsatz wurden neue Infra- und Verwaltungsstrukturen geschaffen sowie industrielle Kerne entwickelt. Dabei sind viele nicht mehr wettbewerbsfähige Arbeitsplätze verloren gegangen. Der Neuaufbau des Bildungs- und Verwaltungssystems orientierte sich in der Regel an alten westdeutschen Erfahrungen, die zu ihrer schnellen Funktionstüchtigkeit führten. Diese erste Phase des Aufbaus ist jetzt abgeschlossen. Nun müssen wir uns neu orientieren. Die Ausrichtung an westdeutschen Vorbildern hilft uns nur noch bedingt weiter. Denn am

Beginn des 21. Jahrhunderts haben wir es in Brandenburg mit anderen, neuen und teilweise beispiellosen Rahmenbedingungen zu tun. Deshalb ist es Zeit für eine neue Etappe – einen Weg, der Perspektiven und Orientierung schafft für alle Bürger im Land, für Männer und Frauen, für Kinder und Ältere. Brandenburg soll Heimat zum Wohlfühlen sein. Genau deshalb muss Brandenburg im 21. Jahrhundert auch die Heimat für geistreiche Ideen sein. Die Zukunft unseres Heimatlandes entsteht nicht in großen Sprüngen: Vor uns liegen viele kleine Schritte. Entscheidend ist, dass wir heute unsere Ausgangslage klar analysieren, wir dann den richtigen Kurs einschlagen – und diesen zukünftig unbeirrt beibehalten. Die Nachwendezeit ist vorbei. Jetzt braucht Brandenburg einen neuen Anlauf.

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Matthias Platzeck

2. Chancen schaffen und nutzen: Warum wir unser Land in den nächsten 15 Jahren verändern In den letzten Jahren hat Brandenburg viel erreicht: mit 76 % des Niveaus der alten Bundesländer beim Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen liegt unser Land auf dem Spitzenplatz unter den neuen Bundesländern. Doch trotzdem: Momentan erwirtschaftet Brandenburg nur etwa 45 % seines Haushaltes durch eigenes Steueraufkommen. Mit dem Solidarpakt II sind bis 2019 die – schrittweise sinkenden – Finanztransfers nach Ostdeutschland festgeschrieben. Damit ist auch der Zeitraum abgesteckt, bis das Land auf eigenen Füßen stehen muss. Das bedeutet: Es bleiben uns noch 15 Jahre, um Brandenburg für die Zukunft fit zu machen. Der Weg dorthin ist steinig und verläuft unter neuen Rahmenbedingungen: • Bereits heute gibt es bei uns ein gut ausgebautes Hochschul- und Forschungsnetzwerk. Daneben gibt es eine Vielzahl von Industrieunternehmen mit guten Produkten und hohen Wachstumsraten. Deren Wirtschaftskraft ist jedoch noch zu gering, was sich unter anderem in relativ niedrigen Exportanteilen niederschlägt. • Unser Land hat viele Einwohner vor allem in den ländlichen Regionen verloren – und mit ihnen kreatives und in-

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tellektuelles Potential, denn die meisten der Abwanderer sind jung und überdurchschnittlich gut ausgebildet. Die Abwanderung verschärft den zunehmenden Fachkräftemangel. Der Zuzug in das Berliner Umland – und damit die Gleichzeitigkeit von Wachstum und Schrumpfung im Land – vergrößert die Entwicklungsunterschiede innerhalb Brandenburgs. Wir müssen zwei auseinanderdriftende Regionen – das Berliner Umland und die berlinfernen Regionen – einfallsreich miteinander verklammern. Unsere älter werdende Gesellschaft birgt neue Herausforderungen für alle gesellschaftliche Bereiche und den Staat. Nach wie vor verzeichnen wir geringe Geburtenzahlen. Brandenburg braucht wieder mehr Kinder.Wir müssen heute unsere Anstrengungen verstärken, ein familienfreundliches Umfeld zu schaffen – damit Frauen wieder Kinder bekommen (wollen) und unser Land attraktiv wird für neu hinzuziehende Bürger. Die neue Lage Brandenburgs im Zentrum eines zusammenwachsenden Europa schafft neue Chancen für Wirtschaft und Arbeitsmarkt, die wir erkennen und nutzen müssen.


Zukunft, Arbeit und Familie – Unser Weg für Brandenburg

Diese Herausforderungen sind in ihrer Ballung neu – und sind besondere Merkmale Brandenburgs und der übrigen neuen Bundesländer. Es gibt keine fertigen Blaupausen oder westdeutsche Erfahrungen, die uns helfen könnten, mit einer solchen Situation umzugehen. Wenn wir diese Herausforderungen meistern wollen, muss Brandenburg deshalb zum Land von Einfallsreichtum und Erneuerung in Wirtschaft und Ge-

sellschaft werden. Und es muss wieder zum Land der Kinder werden. Um neue Perspektiven zu schaffen, brauchen wir neue politische Spielräume. Spielräume für eine Politik der mutigen Erneuerung. Spielräume, um in Kinder und Familien, in Schulen und Hochschulen und in Fachkräfte zu investieren. Spielräume, um Phantasie, Tatkraft und Gemeinsinn zu fördern. Das ist unser Weg für Brandenburg.

3. Zusammenhänge erkennen: Erfolg hat Voraussetzungen Die wichtigste Voraussetzung für eine lebens- und liebenswerte Heimat, die Perspektiven für Familien bietet und in der sich ältere Menschen wohl fühlen können, sind Arbeitsplätze. Arbeitsplätze und neue Produkte entstehen heute und in Zukunft durch „kreative Problemlöser“ – das heißt, wir müssen verstärkt in Menschen investieren. Damit Unternehmen gute Produkte auf den Markt bringen können, damit sie neue Märkte erschließen und höhere Löhne erwirtschaften können, brauchen wir eine funktionierende Infrastruktur, eine leistungsfähige Ver-

waltung und vor allem zeitgemäß ausgebildete Fachkräfte. Dazu gehört eine gute Kinderbetreuung und Bildung, die zu Verantwortung und Gestaltungskraft erzieht. Deshalb müssen wir unser Augenmerk in Brandenburg auf ein klar strukturiertes und qualitativ hochwertiges Bildungssystem, auf ein forschungsfreundliches Hochschulumfeld, auf die Vernetzung von Unternehmen und Hochschulen und auf Spezialisierung legen. Unsere Politik besteht darin, Arbeit mit Bildung und Forschung zu verschmelzen und um eine moderne Familienpolitik zu ergänzen.

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4. Zukunft wird Gegenwart: Erste Erfolge sind schon sichtbar Das ist keinesfalls ferne Zukunftsmusik. Erfolg versprechende Branchen in Brandenburg gibt es bereits heute. Diese positiven Ansatzpunkte müssen wir unterstützen und ausbauen. Zu ihnen gehören die Luftfahrtbranche, der Energiesektor, die Medienbranche, die Bio- und Gesundheitstechnologie und der Tourismus. Unser neuer Ansatz heißt: zukunftsfähige Branchen zusammenführen, untereinander vernetzen und Bedingungen schaffen, damit die bereits vorhandene dynamische Entwicklung beschleunigt werden kann. Die Zukunft Brandenburgs liegt in hoch produktiven Bereichen, liegt in wissensintensiven Arbeitsplätzen, in denen hohe Löhne erwirtschaftet werden können. Solche Arbeitsplätze entstehen hauptsächlich aus der intensiven Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Hochschulen, Forschung und Entwicklung. Erst wenn wir diese Bereiche zusammen denken, wird sich neue wirtschaftliche Dynamik entfalten. Die folgenden Maßnahmen gehören für uns dazu: • Wir wollen für die verschiedenen Branchen integrierte Entwicklungsstrategien zusammen mit Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Schulen und den Selbstverwaltungseinrichtungen der

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Wirtschaft entwickeln. Die Politik kann Entwicklungen nicht verordnen. Aber sie kann potentielle Partner zusammenbringen und ihrerseits Anreize schaffen. Das wirtschaftliche Erbe der DDR war eine schwere Hypothek. Wir müssen uns heute von der Erwartung verabschieden, dass allein durch staatliche Großinvestitionen tausende Arbeitsplätze geschaffen werden können. Stattdessen müssen wir uns auf unsere eigenen Stärken konzentrieren, uns mit einer Politik der vielen Schritte auf die vorhandenen Standorte konzentrieren und diese ausbauen. • Die Forschungsausgaben der ostdeutschen Unternehmen sind nach wie vor sehr gering, deshalb ist eine öffentliche Forschungsförderung zwingend für unser Land. Wir brauchen heute mehr Forschung und Entwicklung, um morgen fit für die Zukunft zu sein. Wir wollen helfen, die bestehenden Forschungsstandorte weiter zu fördern und auszubauen sowie durch aktives Einwerben neue Forschungseinrichtungen gewinnen. Bereits heute ist Brandenburg das einzige Bundesland, das in den vergangenen Jahren seine Haushaltsmittel für Wissenschaft und Forschung nicht gekürzt, sondern auf-


Zukunft, Arbeit und Familie – Unser Weg für Brandenburg

gestockt hat. Diesen Kurs wollen wir fortsetzen: Trotz der schwierigen Haushaltslage werden wir die Ausgaben im Hochschul- und Forschungssektor weiter stabil halten und alles versuchen, sie weiter aufzustocken. • Wir brauchen den Flughafen BBI, um das Cluster im Bereich der Luftfahrt auszubauen. Der Flughafen soll stufenweise gebaut werden – die erste Stufe soll 2010 in Betrieb gehen. Die TFH Wildau wollen wir zu einem Zentrum für Luftfahrttechnik ausbauen. • Wir wollen eine Tourismusförderung aus einer Hand und verstärkt neue Märkte erschließen – Gesundheitsund Seniorentourismus sind große Wachstumsfelder der Zukunft. Der Bedarf an qualifizierten Fachkräften im Bereich Tourismus wird weiter zunehmen. Deshalb setzen wir uns für die Schaffung eines Studiengangs für Internationale Tourismuswirtschaft in Brandenburg ein. Ein solcher Studiengang wird wirtschaftliche Impulse auslösen, den Bildungsstandort bereichern und das Tourismusland Brandenburg beleben. • Unsere Unternehmen stehen vor einem lohnpolitischen Dilemma, da sie auf der einen Seite höhere Löhne (noch) nicht erwirtschaften können, ihnen aber auf der anderen Seite aufgrund der niedrigen Löhne Fach-

kräfte abhanden kommen. In den nächsten Jahren müssen wir neue Wege gehen, um die nach wie vor vorhandenen Lohndifferenzen auszugleichen – damit wir in Zukunft qualifizierte Fachkräfte im Land halten können. Erste Kommunen gehen solche neuen Pfade, indem sie Wohnungen oder Grundstücke kostenlos abgeben und auf diese Weise Anreize dafür bieten, dass Menschen bleiben oder sogar neu zuwandern. Dabei ist es auch im Interesse der Brandenburger Wirtschaft, die Menschen an ihre Heimat zu binden. Ansiedlungspolitik bezieht sich heute nicht mehr nur auf Unternehmen, sondern – in Zeiten ständig wachsender Mobilität – auch auf deren Mitarbeiter. Wir wollen es Kommunen ermöglichen, solche neuen Wege einschlagen zu können. Verbilligter Wohnraum kann für viele Fachkräfte ein Anreiz sein, hier zu bleiben oder hierher zu kommen. Auf diese Weise würden Löhne durch Sachleistungen ergänzt. Solche schöpferischen Initiativen müssen vor Ort entstehen. Unternehmen haben das Interesse, ihre Fachkräfte zu halten – Kommunen wiederum haben das Interesse, Menschen anzuziehen und ihr Stadtbild zu entwickeln. Gemeinsam kann es ihnen gelingen, ihre Ziele zu erreichen.

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5. Ideen brauchen Freiheit: Vorfahrt für Gestaltungskraft an unseren Hochschulen Der wichtigste Rohstoff unseres Landes steckt in unseren Köpfen. Dort entstehen neue Ideen. Innovationen und Kreativität lassen sich nicht verordnen, sie müssen wachsen und in einem fruchtbaren Umfeld gedeihen können. Aber der Boden dafür muss bereitet sein. Die Voraussetzungen für Forschung und Entwicklung liegen in der guten Hochschul- und Forschungslandschaft, die wir in Brandenburg in den vergangenen Jahren aufgebaut haben. Für uns ist es wichtig, die in unserem Heimatland entstandenen Potenziale optimal zu nutzen und neue zu aktivieren. Dafür brauchen die Hochschulen und Fachhochschulen mehr Luft. Wir wollen ihnen Schritt für Schritt mehr Freiheit lassen und dabei deutschlandweit eine Vorreiterrolle übernehmen: • Der Hochschulsektor soll entbürokratisiert und unabhängig vom Wissen-

schaftsministerium werden. Die Hochschulen sollen ihre Professoren selbst ernennen und anstellen können. Das ist verbunden mit der Notwendigkeit, die Verbeamtung in Deutschland neu zu regeln. Darüber hinaus sollen die Hochschulen auch ihre Studenten selbst aussuchen können. • Wir wollen Bildungschancen für alle verbessern. Deshalb legt das Land ein Stipendienprogramm zur Förderung begabter, aber sozial benachteiligter Brandenburger Studenten auf, um innovative Leistungen zu fördern. • Nach den Vereinbarungen zur Stärkung zukunftsträchtiger Branchen (siehe Punkt 4) wollen wir die entsprechenden Fachbereiche an Fachhochschulen und Universitäten stärker fördern.

6. Lernen und Bildung für alle: Schule muss Neugierde und Wissensdurst fördern Die Schule ist die Basis für erfolgreiche Studenten und qualifizierte Fachkräfte. Deshalb müssen wir die in den vergangenen Jahren eingeleitete Bildungsoffensive weiterentwickeln: Wir wollen bessere und kreativere

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Schulen. Neben dem Lernen muss die Erziehung zu Selbständigkeit und Wissensdurst, Partnerschaftlichkeit und sozialer Gerechtigkeit in den Mittelpunkt der Schulen gestellt werden:


Zukunft, Arbeit und Familie – Unser Weg für Brandenburg

• Wir wollen für alle Schulanfänger eine flexible Eingangsphase vom Kindergarten in die Grundschule, damit ihre individuelle Leistungsfähigkeit stärker berücksichtigt werden kann. In dieser Eingangsphase verbringen die Kinder zwei bis drei Jahre und gehen dann in die 3. Klasse über. Die Einschulung beginnt in Zukunft mit 5 1/2 Jahren. • Die Schüler sollen in der Regel innerhalb von 12 Jahren bis zum Abitur oder zum Berufsabschluss geführt werden. • Wir brauchen in Zukunft mehr hoch qualifizierte Fachkräfte. Deshalb soll die Abiturientenquote langfristig auf 50 % steigen.Wir wollen dadurch mehr Menschen „schlau“ machen, ohne die Qualität der Ausbildung zu senken. Dass dies möglich ist, machen uns andere europäische Länder erfolgreich vor. • Alle einschlägigen Studien zeigen, dass ein langes gemeinsames Lernen und eine möglichst späte Selektion sich positiv auf die Lernergebnisse niederschlagen. Brandenburgs Schüler sollen auch weiterhin mindestens sechs Jahre gemeinsam lernen. • Das Schulsystem soll übersichtlich und klar strukturiert sein. Deshalb setzen wir – nach der Grundschule – auf die beiden Schulformen Gymnasium und Sekundarschule. Ein solches

Modell ermöglicht auch im ländlichen Raum qualitativ gute Schulen in akzeptabler Entfernung zum Wohnort. • Wir wollen die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Hochschulen und Wirtschaft weiter intensivieren. Unternehmen sollen in die Schulen kommen, Schüler und Lehrer in die Unternehmen gehen. Zusammen mit Hochschulen und Unternehmen soll ein stärkeres Augenmerk auf die Berufs- und Studienwahl gelegt sowie auf zukunftsträchtige Tätigkeitsfelder orientiert werden. Dazu haben wir in Brandenburg bereits einen bundesweit einmaligen Kooperationsvertrag „Netzwerk Zukunft. Schule und Wirtschaft für Brandenburg“ zwischen Unternehmerverband, Gewerkschaften, IHKs, Hochschulen und Schulen. Dieses System wollen wir weiter ausbauen und dafür sorgen, dass die Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Hochschule in allen Schulen Wirklichkeit wird. • Wirtschaftliche Zusammenhänge lassen sich am besten in der Praxis erlernen. Wir unterstützen die Gründung von Schülerfirmen. • Wir wollen für eine moderne Lernumgebung sorgen. Alle Schüler bekommen einen E-Mail-Zugang. Wir wollen, dass Bibliotheken zum Mittelpunkt der Schulen und gleichzeitig kultureller Treffpunkt im Ort

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oder Ortsteil werden. Für die Ausstattung der Bibliotheken wollen wir

die Wirtschaft als Kooperationspartner gewinnen.

7. Die Kreativität der Menschen nutzen: Warum es auf Frauen und Familien ankommt Familie ist die Sache aller. Unser Ziel ist es, dass es in Brandenburg mehr Familien und mehr Kinder gibt. Familie ist nicht nur da, wo Kinder sind. Familien sind auch der Ort, wo Jung und Alt zusammen leben, sich umeinander kümmern, Verantwortung füreinander übernehmen. Familien sind Orte der Solidarität und der Zusammengehörigkeit von Generationen. Familien, Kinder und ältere Menschen sollen sich in Brandenburg wohl fühlen. Mehr Familien tun unserem Land gut.Wir wollen die Bedingungen – vor allem für Frauen – so verbessern, dass Familie und Beruf besser unter einen Hut gebracht werden können. Frauen sollen stärker als bisher am Erwerbsleben teilnehmen können, damit sie ihre Schaffenskraft und Kreativität nutzen können. Frauen erheben darauf einen selbstverständlichen Anspruch – und wir können es uns in Zukunft nicht mehr leisten, Frauen zuerst gut auszubilden und sie dann mit ihren Kindern ohne Chancen auf Teilhabe am Erwerbsleben zu Hause zu lassen. Hinzu kommt: Ein Großteil unserer derzeitigen und zukünftigen ökonom-

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ischen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten hat demografische Ursachen. Nicht, dass wir immer älter werden, ist unser Problem, sondern dass wir zu wenig Kinder bekommen. Deshalb brauchen wir auch in Zukunft ein gut ausgebautes Kinderbetreuungssystem – wie es in Brandenburg zurzeit existiert. Brandenburg hat die höchste Angebotsdichte für Kleinkinder in ganz Deutschland. Dabei muss es bleiben – dieser Brandenburger Weg ist ein Vorbild für andere Länder. Dieses System wollen wir in den kommenden Jahren durch verbindliche Bildungsstandards für die Kitas weiterentwickeln. Neben einer modernen Kinderbetreuung brauchen wir aber auch familienfreundliche Unternehmen. Unser Ziel ist es, dass wieder mehr Kinder in Brandenburg geboren werden. Dafür müssen die Bedingungen stimmen: • Wir wollen einen Wettbewerb ausloben und damit die Familienfreundlichkeit von Unternehmen auszeichnen. • In Kooperation mit den Wohlfahrtsverbänden setzen wir uns dafür ein, dass Babysitter-, Tagesmutter- und


Zukunft, Arbeit und Familie – Unser Weg für Brandenburg

Pflege-Zentrale eingerichtet werden. Sie soll helfen, wenn Hilfe gebraucht wird und qualifizierte Unterstützung für Familien bieten. Gerade auch, wenn es mal schnell gehen muss. • Gemeinsam mit Unternehmen, Gewerkschaften und Familieninitiativen

rufen wir ein „Bündnis für Familien“ ins Leben. Dort sollen konkrete Maßnamen verabredet werden, die wir Brandenburg kinder- und familienfreundlicher machen können. Der solidarische Umbau unserer Kommunen, alters- und kindergerecht, soll auf diese Weise begleitet werden.

8. Ideen für Brandenburg: Wie sich eine moderne Kultur der Kreativität und Innovation entwickeln wird Ideen und Innovation sind die Voraussetzungen für den Erfolg Brandenburgs. Bereits zu Zeiten der DDR bewiesen die Brandenburgerinnen und Brandenburger ihren Einfallsreichtum, wenn es darum ging, in schwieriger Lage pragmatische Lösungen zu finden. Heute wird wieder jeder Einzelne mit seinen Ideen gebraucht, die das Land voran bringen können. Im 21. Jahrhundert wollen wir wieder ein Land der Ideen werden – ohne dabei den Boden unter den Füßen zu verlieren. Wir vertrauen nicht auf vermeintliche Sofortlösungen von außen, sondern auf die wachsenden Fertigkeiten und Potentiale der selbstbewussten Menschen in unserem Land. Auch im 21. Jahrhundert bleiben die Erfahrungen und Kenntnisse der Brandenburgerinnen und Brandenburger unser wichtigster Rohstoff. An ihre Traditionen und

Erfahrungen knüpfen wir an, denn Zukunft braucht Herkunft. Einfallsreichtum und Gestaltungskraft sind Mittel zum Zweck. Gerade in schwierigen Zeiten ist Phantasie gefragt. Engagement von jedem ist notwendig, wenn wir erfolgreich sein wollen. Eine Kultur der Innovation und Kreativität stärkt die Motivation aller und spornt zu höheren Leistungen an. Deshalb wollen wir die Landesverwaltung umbauen. Wir brauchen den „schnellen“, hellwachen und innovativen Staat, der Partner auf gleicher Augenhöhe ist und den Menschen hilft, ihre Ideen zu verwirklichen. Auch deshalb soll Brandenburg zum bundesweiten Vorreiter bei der elektronischen Verwaltung werden. Wir wollen Bürgerterminals in erreichbarer Nähe schaffen, an denen Behördengänge erledigt werden können.

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Matthias Platzeck

Bürgerliche Eigeninitiative in den vielen Vereinen und Nachbarschaften, in den Gemeinden und Stadtteilen entsteht an den Graswurzeln der Gesellschaft. Wir brauchen diese Gestaltungskraft und Autonomie der Gesellschaft, wir brauchen diese lebendige Kultur des Mitmachens, die Eigeninitiative, Verantwortung und Gemein-

sinn pflegt. Mit einem Wettbewerb wollen wir solche Projekte für Bürgerengagement unterstützen. Die Bedingungen für dieses Engagement müssen stimmen – denn nur so können wir die nötige Schubkraft entwickeln, die wir brauchen, damit Brandenburg bis 2020 auf eigenen Füßen stehen kann.

Matthias Platzeck Ministerpräsident des Landes Brandenburg und Vorsitzender des SPD-Landesverbandes Brandenburg

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Ostdeutschland in der Entwicklungsfalle Oder: Die Münchhausen-Chance Von Jochen Röpke

„Ein anderes Mal“, so beginnt eines der Abenteuer des Barons von Münchhausen, „wollte ich über einen Morast setzen, der mir anfänglich nicht so breit vorkam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder um, wo ich hergekommen war, um einen größeren Anlauf zu nehmen. Gleichwohl sprang ich auch zum zweiten Male noch zu kurz, und fiel nicht weit vom anderen Ufer bis an den Hals in den Morast. Hier hätte ich unfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, samt dem Pferde, welches ich fest zwischen meine Knie schloß, wieder herausgezogen hätte.“ Vermag auch eine Region sich am eigenen Zopf aus dem wirtschaftlichen Sumpf zu ziehen? Und wie sollte so etwas möglich sein? Meine These lautet: Durch kontinuierliche und nicht abbrechende Evolution aus eigener Kraft. Ich sehe jedenfalls keine überzeugende Alternative zu diesem „Münchhausen-Prozess“.

„ Das Praktischste was es gibt, ist eine gute Theorie“, sagt Kant. Ich maße mir nicht an, eine Theorie als gut oder schlecht zu bezeichnen. Ich behaupte allerdings, dass die Entwicklungsprobleme Ostdeutschlands – erst jüngst in einem Aufsehen erregenden SPIEGELTitelthema (Heft 15/04) anschaulich illustriert – auch eine Folge theoretischer Schieflagen sind. Denn alles, was in der Wirtschaftspolitik passiert, hat eine theoretische Grundlage, auch wenn die Verantwortlichen glauben, ausschließlich autonom und eigenständig ihre Entscheidungen zu treffen. Doch dem ist keineswegs so. Der Ökonom John Maynard Keynes hat dieses Problem treffend beschrieben: „Die Ideen der Ökonomen und Staatsphilosophen, seien sie im Recht, seien sie im Unrecht, sind einflußreicher, als gemeinhin angenommen wird. In der Tat, die Welt ist durch nicht viel anderes beherrscht. Praktiker, die sich ganz frei von intellektuellen Einflüssen glauben, sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen (defunct

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economist).“ Die theoretischen Wurzeln bestimmter Programme und Konzeptionen freizulegen ist deshalb unver-

zichtbar, um Fehlentwicklungen aufzuzeigen und neue Handlungsmöglichkeiten zu erschließen 1.

1. Die Quellen des Wachstums: Input- versus Innovationslogik Stellen wir deshalb zunächst zwei theoretische Ansätze der Wirtschaftstheorie gegenüber: die vorherrschende „Mainstreamtheorie“ (so genannte Neoklassik, vulgo „Neoliberalismus“) einerseits und die auf den österreichischen Wirtschaftstheoretiker Joseph Schumpeter (1883-1950) zurückgehende Entwicklungstheorie andererseits. Die eine läßt Münchhausens Pferd samt Reiter im Sumpf landen, die andere dagegen erlaubt es, sich aus eigener Kraft aus dem Morast zu befreien. Eine für Ostdeutschland nicht ganz reizlose Perspektive. Den vorherrschenden und mit beträchtlicher wissenschaftlicher und interessenpolitischer Verve vorgetragenen Ansatz bezeichne ich als „Inputlogik“: Mehr und optimal eingesetzte Ressourcen (Wissen, Qualifikation, Kapital, usw.) erzeugen danach mehr Wachstum

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inklusive Arbeitsplätze. Den zweiten Ansatz bezeichne ich als „Innovationslogik“: Entwicklung ist danach eine Funktion der Neukombination der in einem System jeweils verfügbaren Produktionsfaktoren. Im schumpeterschen Paradigma erzeugen diese Neukombinationen Wirtschaftswachstum; dieses wiederum bewirkt zusätzliche Ressourcen („Inputwachstum“). Kein Ansatz dominiert in reiner Form. Wie ein chinesisches Sprichwort sagt: Fische können in reinem Wasser nicht leben. In der wissenschaftlichen und wirtschaftspolitischen Debatte um die Zukunft des „Standorts Deutschland“ und des „Aufbaus Ost“ ist allerdings unschwer eine inputlogische Lufthoheit auszumachen. Die Unterschiede der zwei grundverschiedenen Ansätze zeigt Tabelle 1 im vereinfachten Überblick:

Zu den regionaltheoretischen und – politischen Grundlagen meiner Ausführungen möchte ich auf die Arbeit von Jörg Aßmann, Innovationslogik und regionales Wirtschaftswachstum, Marburg (Mafex), 2003 verweisen. Sie enthält eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem vorherrschenden und in weiten Bereichen unwirksamen Ansatz und entfaltet eine auf Schumpeter gründende Alternative regionaler Entwicklung.


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Tabelle 1: Aspekte Quelle des regionalen Wachstums Träger des Wachstums Funktion von Wissenschaft/ Forschung

Peter Drucker Biologie des Lebens Allokation der Faktoren

Motivation

Neoklassik/Mainstream Inputvermehrung (Inputlogik) Routine, „Homo Oeconomicus“,„Wirt“ Produzent von neuem Wissen Anwendung des Wissens in Form von Patenten, Lizenzen, durch Transfer: „Wissensgesellschaft“ „Die Dinge richtig tun“ Kaltblüter (Dinosaurier) Optimale Allokation der Ressourcen „Wer optimiert gewinnt“ Hedonismus, Gewinn, extrensisch

Alles, was in der Spalte „Neoklassik/ Mainstream“ steht, sind Aspekte des vorherrschenden wirtschaftspolitischen Paradigmas. Die hier verfügbaren Aktionsparameter sind für eine Entwicklungsgesellschaft jedoch funktionslos. Sie optimieren das Bestehende. In einer offenen Region bewirken sie schleichende Stagnation und „effiziente Verarmung“; immerhin noch effizientem Verhungern vorzuziehen. Münchhausen im Morast. Erst in Verbindung mit dem Schumpeter-Paradigma macht diese Mainstream-Logik entwicklungsstrategischen Sinn. Sie ist also nicht unsinnig, nur kann sie – für sich alleine genommen – keine Region aus der Entwicklungskrise führen. Sie schafft Modelle 2

Schumpeter Neukombination (Innovationslogik) „Unternehmer“ (Innovator) Ohne Durchsetzung bleibt Wissen „tot“: unternehmerische Wissens gesellschaft „Die richtigen Dinge tun“ Warmblüter (Säugetiere) Neukombinationen lassen sich nicht optimieren „Wer optimiert verliert“ Leistungsmotivation, Freude am Gestalten, intrinsisch

wirtschaftlicher Erscheinungen, ohne den Mechanismus der Entwicklung zu begreifen, der diese Erscheinungen überhaupt erst hervorbringt. Durch ein bloßes „Hineinpumpen“ von Ressourcen in die Maschine Wirtschaft läßt sich keine Entwicklung erzeugen. Denn Entwicklung ist ein qualitatives Phänomen. „Es können noch so viele Postkutschen produziert werden, und es werden daraus keine Eisenbahnen entstehen.“ Mit diesen Worten formuliert der Entwicklungstheoretiker Schumpeter die klassische Kritik an dieser Logik. Und:„Es waren im Allgemeinen nicht die Postmeister, welche die Eisenbahnen gründeten“.2 Aus einer Dampfmaschine wird keine Glüh-

Joseph Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 8. Auflage, Berlin, 1964, S. 101.

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birne, aus dieser kein Automobil, und aus diesem kein Computer. Wirtschaft, Wissenschaft und das System der Innovation funktionieren nicht auf der Grundlage von Input und Output. Sie verfügen schlicht nicht über Mechanismen, die dies erlauben könnten. Sie sind daher auch nicht instruierbar. Wer solches versucht, zerstört sie. Ostdeutschland ist nur eine weitere Illustration dieser Einsicht. Durch Transfers – importierte Kaufkraft – zerstört. Seit der Wiedervereinigung beläuft sich die Kaufkraftübertragung auf 80.000 € pro Einwohner der neuen Bundesländer. Wo immer sich Entwicklung demgegenüber tatsächlich vollzieht, ist der Mechanismus stets der gleiche: Selbsterzeugung von Kaufkraft und Ressourcen. Diese Logik ist auf den ersten Blick natürlich schwer zu akzeptieren. Sie entzieht denen, die mit Außensteuerung, Transfers (von cash, Wissen, Egos)

und Beratung ihre Geschäfte machen, die Geschäftsgrundlage. Auch eine Entwicklungswirtschaft operiert natürlich nicht ohne Ressourcen. Was sie von einer inputlogischen Wirtschaft unterscheidet, ist ihre Operationsweise, ihr anderer Umgang mit Inputs. Eine Innovationswirtschaft transformiert nicht, weil sie über mehr Ressourcen verfügt und die verfügbaren Ressourcen optimal einsetzt, sondern weil sie die Ressourcen neu kombiniert. Dies ist der entscheidende und im „Schumpetermodell“ auch einzige Unterschied. In den Worten Schumpeters: „Es gäbe auch dann noch wirtschaftliche Entwicklung, wenn alle diese [für neoklassisches oder inputlogisches Wachstum notwendigen Elemente] fehlen würden.“ 3 Aus diesem Unterschied läßt sich nahezu alles Weitere ableiten – auch die erforderliche Wirtschaftspolitik.

2. „Doing the right things“ Der Managementphilosoph Peter Drucker unterscheidet zwischen dem Tun richtiger Dinge (doing the right things) und dem richtigen Tun von Dingen (doing things right). Um die richtigen Dinge zu tun (Ressourcen neu kombinieren: Unternehmertum), muss 3

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man die Dinge nicht richtig tun (den Einsatz von Ressourcen optimieren: Management). Eine Region kann das Falsche optimieren (z.B. Güter höchst effizient produzieren, die aber nur noch bei niedrigen Löhnen rentabel sind), oder das Richtige falsch machen

Joseph Schumpeter Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1. Auflage, Leipzig, 1911, S. 487.


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(Innovationsgüter, unvermeidlicherweise, ineffizient produzieren). Die Grundidee an einem konkreten Beispiel: Eine nicht effizient hergestellte Lokomotive wird eine effizient produzierte Postkutsche immer aus dem Markt werfen. Niedrige Löhne seien schon lange kein Vorteil mehr, schrieb Drucker bereits 1988 (!), als er die Wettbewerbsfähigkeit neuer Branchen und Unternehmen gegenüber etablierten untersuchte. Nicht Wettbewerb aufgrund von Lohnunterschieden entscheidet danach über die Zukunft eines Unternehmens, sondern die Kompetenz des Managements – die Produktivität des Umgangs mit Wissen und Geld, Prozesstechnologie, Qualität, Design, nicht zuletzt Innovation. 4 Die in der Stagnations- und Rückbildungsphase tätigen Unternehmen sehen das naturgemäß völlig anders. Wer nicht neukombiniert, muß die Löhne senken. Am fiktiven, aber realitätsnahen Beispiel: „Zur Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Eisenbahn und dem Automobil und zur Erhaltung der Arbeitsplätze fordern wir eine drastische Senkung der Löhne!“ (Verband der Postkutschen- und Pferdefuhrwerkmanufakturen e.V.). Einhundert Jahre später ein Replay: „Die Firma Waggon4 5

bau Ammendorf war ein Vorzeigemodells des Kanzlers, nun steht sie vor dem Aus. Ein Lehrstück über den Aufbau Ost“ (DER SPIEGEL, Heft 13/2004). Ostdeutsche Stimmungen im Jahr 2004: „Eher kommt Olympia als ein Investor.“ – „Wir können es uns nicht leisten, dass die Industrie weiter den Bach runtergeht.“ 5 Warum auf Investoren warten? Sie kommen, greifen ab – und gehen. Die Beispiele sind täglich in den neuen Bundesländern zu besichtigen. Die Hiobsbotschaften reißen nicht ab. Sie sind die Folgen „wurzellosen Investments“. Wie kommt eine Universitätsstadt wie Halle überhaupt auf die Idee, nach „Investoren“ zu suchen, wenn die (unternehmerische) Universität voller potentieller „Investoren“ steckt? Mit anderen Worten: Niedrige Löhne sind – nicht immer, aber oft, und insbesondere in Ostdeutschland – ein Aktionsparameter der Einfallslosigkeit. Ein Zitat von Schumpeter macht deutlich, worum es im Kern geht: „Ein System – jedes System, nicht nur jedes Wirtschaftssystem, sondern auch jedes andere –, das zu jedem gegebenen Zeitpunkt seine Möglichkeiten möglichst vorteilhaft ausnützt, kann dennoch auf lange Sicht hinaus einem System unterlegen sein, das dies zu keinem gegebenen Zeitpunkt tut, weil diese seine

Peter Drucker, Low wages no longer an edge, The Asian Wall Street Journal, 25. März 1988. Zitate aus FAZ, 20. März 2004, S. 12.

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Unterlassung eine Bedingung für das Niveau oder das Tempo der langfristigen Leistung sein kann.“ 6 „Wie das?“ fragt der wirtschaftstheoretische Laie und dem MBA und Universitätscontroller sträuben sich die Haare. Total verrückt! Wer so was in der Prüfung sagt, kann sein Diplom vergessen. Was Schumpeter hier formuliert, ist der konfliktreiche Übergang von einer Stufe des Funktionierens des Systems Wirtschaft (optimaler Ressourceneinsatz), wie sie den neoklassisch-“neoliberalen“ Konzeptentwürfen zugrunde liegt, zu einer „tieferen“ Ebene innovativer Reproduktion mit – zunächst – gegebenen Ressourcen. Aus input- und allokationslogischer Sicht sind Fehlallokationen systemische Schieflagen, die der korrigierenden Hand des Reformers bedürfen. Schließlich ist Quelle des Wachstums die Akkumulationsdynamik, die jedoch nichts bringt, wenn die akkumulierten Ressourcen fehlgeleitet werden. Die ehemalige Sowjetunion und die DDR illustrieren diese allokativen Schieflagen. Eine hohe Akkumulationsdynamik – die ins Leere läuft. Die zweite Hypothese von Schumpeter sagt demgegenüber: Entwicklung (nicht Wachstum!) bei optimaler Allokation gibt es nicht, oder: eine nach der Allokationslogik optimal wachsende 6 7 8

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Wirtschaft wird einer neukombinierenden Wirtschaft unterlegen sein, weil die „Fehlallokation“ Bedingung der Neukombination ist. Doing the wrong things right. Ergebnis: statische Effizienz, dynamische Ineffizienz. Eine solche Aussage ist in der Tat theoretisch schwer zu schlucken. 7 Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt andererseits ihre vollständige Normalität. Kein Land auf der Erde hat sich unter den Bedingungen eines optimalen Ressourceneinsatz bei freiem Handel entwickelt. 8 Betrachten wir z.B. den Aufstieg der westdeutschen Wirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg: hohe Innovationsleistung bei unvollkommener Allokation. Nur eine Illustration: Massiv unterbewerte Währung. Demgegenüber wird Ostdeutschland durch eine überbewerte Währung – Umtauschverhältnis 1:1 Westmark zu Ostmark; Überbewertung der D-Mark im Euroverbund – rückindustrialisiert und entinnoviert, auf passive Sanierungswege abgedrängt und in süditalienische Transfermuster eingebunden: Abbau Ost. Der ursprüngliche Sündenfall. Eine ostdeutsche Exportquote von unter 20 % darf vor diesem Hintergrund niemand überraschen. Kein „Solidaritätszuschlag“ vermag Fehlsteuerungen eines solchen Ausmaßes

Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 7. Auflage, Tübingen, 1993, S. 138. Zu Details Jochen Röpke, Der lernende Unternehmer, Marburg: Mafex, 2002, 2. und 3. Kapitel. Ha-Joon Chang, Kicking away the ladder. Development strategy in historical perspective, London, 2002.


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auszugleichen. Parallel erfolgte der Import des westdeutschen Sozialstaates; das Produkt einer Hochleistungswirtschaft. In beiden Fällen Fehlallo-

kation – im westdeutschen Fall zunächst Innovationen stimulierend, in Ostdeutschland dagegen Neukombinationen erodierend.

3. „Kalt- und Warmblutökonomie“ Nennen wir die durch das herrschende Paradigma beobachtete Wirtschaft eine „Kaltblut-Ökonomie“. Kaltblüter können keinen direkten Einfluß auf ihre Körpertemperatur nehmen. Ihre Temperatur hängt von der Umgebung ab. Bleiben die Inputs aus, sei es Kapital, Infrastruktur, Wissen, Qualifikation usw., dann sinkt die „Arbeitstemperatur“ der Kaltblut-Wirtschaft auf einen Zustand ohne Wachstum. Aus sich selbst heraus kann eine solche Wirtschaft nicht wachsen, genau so wenig wie ein Kaltblüter ohne Sonneneinstrahlung sich bewegen geschweige denn vermehren kann. Diese Wirtschaft funktioniert wie ein Frosch im Wasser: steigen die Temperaturen auf die optimale Höhe, ist der Frosch happy. Eine „Warmblutwirtschaft“ arbeitet anders. Warmblüter können über den Stoffwechsel ihre eigene Temperatur regeln. Sie operieren unabhängig vom Input. Ob die Sonne scheint oder nicht, sie können durch interne Veränderungen (Neukombinationen) ihre Temperatur, also ihr Überleben, sicherstellen. Wenn sie

überleben, sind sie auch in der Lage, sich jene Ressourcen zu beschaffen, deren Neukombination ihre Entwicklung vorantreibt. Innovationen erzeugen Nachfrage und schließlich auch Angebot von Ressourcen. Innovationen gleichen damit „dem starken Arm“ Münchhausens, welcher die Wirtschaft ständig aus dem Sumpf von Stagnation und „schöpferischer Zerstörung“ (Schumpeter) zieht. Im Grunde könnte sie daher ewig leben. No sun no life, no inputs no growth – diese Gleichung gilt für sie nicht. Sie operiert nach anderen Prinzipien. Ruinieren die chinesischen Autobauer unsere PKW-Industrie – und früher oder später wird das passieren – : wir rekombinieren neu. Bodybuilding für einen „starken Arm“ gleicht der Förderung von Innovation, dem entscheidenden, ja einzigen Aktionsparameter einer „Warmblutökonomie“. Auch ein Warmblüter mag sich in der Sonne wohl fühlen. Bekommt er aber zuviel Sonne (Förderung, Subventionen, Protektion usw.), schlafft er ab, wird träge, verlernt,

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auf die eigene Kraft zu vertrauen: Die Entwicklungsfalle der Unterforderung, lange das Schicksal Westdeutschlands. Kommt ein System in eine kältere Umgebung, versucht es, durch vermehrte Eigenaktivität seine Betriebs-

temperatur zur erhöhen. Innovatives Unternehmertum wird angeregt. Allerdings gilt auch: Bei Überforderung entweicht die Lebensenergie, das Innovationssystem stirbt. Auch das lässt sich am Beispiel Ostdeutschlands zeigen.

4. In der Armutsfalle Die Regionen Ostdeutschlands werden derzeit von zwei Seiten in die Zange genommen. Billigimporte und Billigarbeit rollen den ostdeutschen Produktzyklus von hinten auf. Ost – unterscheidet sich nicht grundsätzlich von Westdeutschland, was seine Innovationsschwäche angeht.Was Ost und West vereint ist Innovationsarmut. Und diese ist immer und überall der Einstieg in wirtschaftliche Stagnation. Der Osten hat sich nach der Wende die strukturkonservierenden Stagnationsrezepte des Westens aufdrücken lassen. Diese Rezepte reflektieren auf Seiten von Wissenschaft, Politik und verbandsorganisierter Wirtschaft ein theoretisches Modell der Konstruktion von Wirtschaft, in welchem eine endogene Wirtschaftsentwicklung überhaupt nicht möglich ist. Wie will man auf der Grundlage eines solchen Modells Entwicklung erzeugen? Es bleibt dann folgerichtig nur der Weg, wenigstens die Stagnation zu 9

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optimieren und eine passive Sanierung „sozial gerecht“ zu begleiten, was in der Tat das Beste ist, was sich dann noch erreichen läßt. Auf eigenen Beinen wird Ostdeutschland so aber niemals stehen können. Der Chef des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts, Hans Werner Sinn, meint: „Ob wir wollen oder nicht: Dem Niedriglohnwettbewerb mit unseren östlichen Nachbarn können wir nicht ausweichen. Wir stehen in einer historischen Phase, wo die Lohnkosten gesenkt werden müssten, um das Massensterben von Firmen und insbesondere die Verlagerung arbeitsintensiver Produktionsprozesse nach Osteuropa [und den Fernen Osten] zu verlangsamen.“ 9 Frage: Wie sollen mehr Arbeitsplätze entstehen? Sinn: „Durch deutlich niedrigere Steuern und Lohnkostensenkungen, die sich auf den Niedriglohnsektor konzentrieren.Wenn die Löhne sinken und die Leute länger ar-

Hans-Werner Sinn, Der Sozialstaat treibt die Löhne nach oben, Wirtschaftskurier, März 2004, S. 2.


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beiten, schaffen die Unternehmen neue Arbeitsplätze und lassen Menschen statt Maschinen in den Fabrikhallen arbeiten. Entscheidend ist dafür, dass der Sozialstaat umgebaut wird.“ 10 Dies ist in der aktuellen Debatte – auch um den „Aufbau Ost“ – die herrschende Sicht der Dinge. Aber ist sie auch zwingend? Ja, im Rahmen ihres eigenen Paradigmas. Diese Sichtweise ist nicht falsch, aber unvollständig. Sie legt, wie jede Theorie, bestimmte Dinge auf Eis. Die spannende Frage – auch für Ostdeutschland – aber ist: Ist vielleicht gerade das, was der Wirtschaftsexperte ausblendet, der Ausweg aus der Entwicklungsfalle? Empirisch ist die Sache ohnehin, jedenfalls was Ostdeutschland angeht, etwas komplizierter. Eine kollektive Lohnfindung existiert dort praktisch nicht mehr. Bezahlung unter Tarif ist längst die Norm. Ob die ostdeutsche Industrie wegen der Lohnkosten Probleme hat, sich gegen die osteuropäische Konkurrenz zu behaupten, ist zumindest zweifelhaft. Und Unternehmensgründer sind den kollektiven Tarifvereinbarungen erst gar nicht beigetreten. 11 Eine kleine Geschichte kann dieses, auch ostdeutsche, Lohnkostenproblem vielleicht anschaulich illustrieren: Ein Bär verfolgt zwei Unterneh-

mer. Einer bleibt stehen und zieht sich die Schuhe aus. „Warum tust du das?“, fragt der andere.„Um schneller laufen zu können.“ Sagt der andere: „Das bringt doch nichts. Der Bär läuft doch schneller als wir.“ Sagt der erste: „Stimmt. Aber Hauptsache, ich bin schneller als du.“ Der Hedonist läßt die Schuhe an. Spiel mir das Lied von der Kosten-Nutzen-Rechnung. Für eine Handvoll Dollar (oder polnische Sløty, chinesische Renmimbi) verkauft er sein Leben als Innovator. Es hilft ihm nicht: Er stirbt dennoch den Tod eines jeden Kostenminimierers. Wer es nicht schafft, schneller zu laufen, wird gefressen („Massensterben“). Die Lohnsenkung verzögert lediglich einen unvermeidbaren Tod. Sich am eigenen Schopf aus dem Morast ziehen oder untergehen. Einen Trostpreis für diejenigen, die auch ihren Tod noch „effizient“ managen. Weglaufen durch Innovation wäre die Antwort Schumpeters auf den Niedriglohnwettbewerb. Deutschland kann dieses lohnpolitische race to the bottom niemals gewinnen – auch Ostdeutschland nicht. Hinter Polen steht China, hinter China lauert Indien. Irgendwann, so die logische Konsequenz, landen die Löhne dann auf chinesischen und unser Sozialstaat auf indischem Niveau. Herzlichen Glück-

10 „Die Löhne müssen sinken“ – Wie Hans-Werner Sinn Deutschland retten will. http://www.politikforum.de/forum/archive/2/2003/10/4/39974 11 Karl Brenke, Ostdeutsche Industrie: Weitgehende Abkehr von der kollektiven Lohnfindung, DIW-Wochenbericht 13/04.

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wunsch, „Standort Deutschland“! Und wir stehen erst am Beginn einer beispiellosen Verdrängungs- und Outsourcing-Welle. Motto: Tue nie etwas selbst, was ein anderer für Dich (besser)

tun kann – in der Wirtschaftstheorie auch als „Theorem der komparativen Kosten“ (David Ricardo) bekannt. Wir werden sehen, was dann für uns zu tun übrig bleibt.

5. Die Chinesen sind längst hier Vor kurzem wurde der ehemalige Wirtschaftsminister Werner Müller im Magazin CICERO gefragt, was denn „nach dem Neoliberalismus“ komme. Müllers Antwort war kurz und schmerzhaft: „Die Chinesen.“ Tatsächlich reicht die wirtschaftliche Herausforderung des asiatischen powerhouse China an die westlichen Industriestaaten schon heute viel weiter, als den meisten Deutschen bewusst ist. Im wirtschaftlich boomenden China beobachten wir einen immenser Arbeitsüberschuss in Verbindung mit Lohndruck, der vermutlich über Jahrzehnte anhalten wird. Die Konsequenzen sind für uns in Deutschland schon heute bitter. Heckscher und Ohlin schlagen unerbittlich zu: das „Faktorpreisausgleichstheorem“. 12 In China entsteht eine labour surplus economy, eine Wirt-

schaft mit einem hoch elastischem Angebot an Arbeitskraft. Das Angebot drückt auf die Löhne in China und (!) – und da liegt die Pointe – in den entwickelten Volkswirtschaften. Ceteris paribus – bei freiem Handel, gegebener Technologie und homogenen Gütern – besteht eine Tendenz zur Angleichung der Reallöhne zwischen den Volkswirtschaften. Lohndruck zunächst in den arbeitsintensiven Branchen. Dieser frißt sich aber durch den gesamten Produktzyklus Schritt für Schritt bis zu seinem Ursprung. Arbeitsmobilität und Outsourcing verstärken diese Wirkungen. 13 Die Globalisierung frißt ihre Erfinder. Zum ersten Mal müssen nun auch die Mitglieder der westlichen Mittelklasse, gut qualifizierte Akademiker eingeschlossen, dem Chinaman ihren Arbeits-

12 Nach dem sog. Faktorpreisausgleichstheorem der beiden schwedischen Ökonomen Heckscher und Ohlin führt internationaler Handel tendenziell zu einem Ausgleich der Reallöhne auch ohne internationale Mobilität der Arbeitskräfte, d.h. ausschließlich durch das in den Gütern im Produktionsprozess eingelagerte Humankapital. Immer vorausgesetzt: keine Innovation. Wir importieren also über arbeitsintensive Güter auch die zu deren Herstellung erforderliche Arbeitskraft. 13 Im Silicon Valley der USA beklagen sich nicht die Niedriglöhner, sondern vielmehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte über die Verlagerung ihrer Arbeitsplätze ins Ausland. Outsourcing ist Wahlkampfthema, und der Ökonom antwortet mit Ricardos Theorem der komparativen Vorteile.

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platz überlassen oder sich zu Einbußen oder Stagnation ihrer Realeinkommen bereit finden – für Deutschland seit über einem Jahrzehnt bedrückende Normalität. Auch eine Superqualifikation der Arbeitskräfte bietet keinen Ausweg in einer innovationsschwachen Wirtschaft. Wir subventionieren über Investitionen in Humankapital („Eliteuniversität“) dann nur innovationsstarke Ökonomien, denen es gelingt, hoch qualifiziertes Humankapital in Prozesse der Neukombination zu integrieren. Die bittere Konsequenz: Kompetenz für die Welt, die Stagnation bleibt hier. Die niedrigen Löhne in Polen und China reflektieren die am deutschen Standard gemessen noch niedrige Innovationsintensität ihre Produkte und Technologien. Niedrige Löhne, geringe Sozialstandards usw. – also die sprichwörtlichen „neoliberalen“ Aktionsparameter – sind Ausdruck einer geringen Innovationsleistung. Wer sich mit Polen, China und Indien über Löhne und Sozialleistungen auf Konkurrenz einläßt, verarmt, rückentwickelt sich auf deren Standards, wenn er sein Innovationssystem schleifen läßt. Chinesen, Inder und Osteuropäer müssen dazu gar nicht zu uns kommen, auf unsere Baustellen, in unsere Fabriken und Büros. Sie kommen zu uns über ihre Produkte. In diesen stecken die Arbeitskraft, die niedrigen Sozialleistungen, die Ausbeutung

der Arbeitskraft, die Ausbeutung der Umwelt, die nicht-existierenden Gewerkschaften. Mit China und anderen Staaten (z.B. den EU-Beitrittsländern Osteuropas) in innovationsarmen Produkten konkurrieren zu wollen wäre ökonomischer Selbstmord. Die postindustriellen Gesellschaften des Westens und Japans befinden sich damit also, auch ohne Zuwanderung, in direktem Wettkampf mit anderen Nationen. Nur Volkswirtschaften, die ihre Schuhe ausziehen, sich von Steuer-, Regulierungs- und Sozialballast befreien, und die frei gesetzten Ressourcen in die kontinuierliche Stärkung ihres Innovationssystems investieren, sind leicht genug, dem polnischen Bären und dem chinesischen und indischen Tiger davon zu laufen. Soweit ich sehe, wird die Brutalität dieser „Logik des Faktorpreisausgleichs“ in Prozessen aufholender Entwicklung wirtschaftsstrategisch bei uns nicht zur Kenntnis genommen. Branchen mit geringer Innovationsintensität sind dem Tode geweiht. Sie „überleben“ durch Lohnsenkung, McJobs, Investmentbanking und Controlling – die Aktionsparameter der einfallslosen Routine- und Arbitragewirtschaft. Betrachten wir als Beispiel unsere Universitäten: sie fahren Sinologie runter und Controlling hoch. Ihre Zukunft leuchtet strahlend in der Morgenröte schöpferischer Zerstörung.

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Schauen wir noch einmal auf China. 1000 Jahre zurück. China boomt und unsere Zivilisation hat sich vom Untergang der römischen Zivilisation noch nicht erholt. China durchlebt die ersten vier nachgewiesenen „Kondratieffs“. Als „Kondratieff-Wellen“ bezeichnet man nach ihrem russischen „Entdecker“ Nikolai D. Kondratieff lange, von Basisinnovationen getragene Wellen wirtschaftlicher Dynamik. Auf jedem Gebiet schlägt China also Europa. Und danach: Fast 1000 Jahre Stagnation. Bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts, als der Kaiser zum Abdanken gezwungen wurde. Zu weit hergeholt? Nicht unbedingt. Der Niedergang kann jede Region treffen. In Deutschland sind wir schon ein Jahrzehnt fast ohne Wachstum, ernten stagnierende Realeinkommen. Und ein Ende der Stagnation ist nicht in Sicht. Kein Wunder, dass der Normalbürger ohne Hoffnung in die Zukunft schaut. Symptom der Krise im „Autoland Deutschland“: Der neue VW Golf ist für den Durchschnittsverdiener unbezahlbar geworden. Ein Superauto findet keine Käufer. Warum? Die Menschen haben zu wenig Geld in der Tasche. Und die vorherrschende Logik tröstet

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sie: Es geht euch immer noch zu gut. Ihr verdient zu viel, ihr seid unflexibel, ihr geht zu oft zum Arzt und macht zu lange Urlaub. „Ist Deutschland noch zu retten?“, fragt Hans Werner Sinn. Löhne runter für den Fortschritt? Natürlich nicht. Für die Armut. Genauer: für die effiziente Armut. Der Golf Made in Germany ist zu teuer, kaufen wir eben das Golf-Imitat aus China. Komparative Kostenvorteile. Machen wir uns also fit für Polen und China. Dazu noch einmal eine Geschichte über einen „schöpferischen Zerstörer“: Ein Jäger begegnet einem Bären. „Was suchst du hier im Wald?“, fragt der Bär. „Ich will mir einen warmen Pelzmantel besorgen“, versetzt der Jäger, wobei er den Bären prüfend ins Auge fasst. „Und ich“, sagt der Bär, „suche etwas zum Frühstück. Komm doch zu mir in meine Höhle und laß uns die Lage besprechen!“. Der Jäger folgt der Einladung. Nach einer Weile erscheint Meister Petz wieder vor seinem Bau und klopft sich auf den Bauch. „Wir haben einen diskursethischen Kompromiß geschlossen“, erklärt er dem Fuchs, der Zeuge der Begegnung war. „Ich habe inzwischen gefrühstückt, und der Jäger trägt nun einen warmen Pelzmantel.“


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6. Die Optimierung des Elends und der Mehrwert der Innovation Die traditionelle Logik erklärt uns: Überschüssige Arbeit, also Arbeitslosigkeit, ist ein Allokationsproblem. Arbeitskraft sei zu teuer, ihre Reallokation durch Fehlanreize erschwert. Folglich müssen die Löhne runter und die Flexibilität steigen – beides erzeugt Mehrnachfrage nach Arbeit. Die Etablierung eines Niedriglohnsektors oder einer Niedriglohnwirtschaft im Namen der optimalen Ressourcenallokation bei Durchhängen von Innovation bedeutet jedoch faktisch nur eine Optimierung des Elends. Auf optimale Allokation setzende Maßnahmen bringen nur etwas, wenn sie direkt oder indirekt die Anreize zur Neukombination stärken. Dies gilt für sämtliche Vorschläge im Rahmen der Hartz-Reformen, der „Agenda 2010“ und der vielfältigen Vorschläge aus der Wissenschaft (Hans-Werner Sinn, Sachverständigenrat) und Verbänden. Dagegen steht der andere Weg: Innovationen erzeugen Nachfrage nach Produktionsfaktoren, einschließlich Arbeit. Langfristig schaffen ausschließlich innovative Neugründungen von Unternehmen Netto-Arbeitsplätze. Dass Arbeitskräfte entlassen werden, wenn die Produkte nicht mehr absetzbar sind, ist normal. Man könnte in Deutschland Schreibmaschinen zum Lohnsatz von Null produzieren lassen und sie würden im Computerzeitalter

dennoch keine Abnehmer mehr finden. Ob Arbeitskräfte eingestellt werden, ist langfristig also ausschließlich eine Frage der Innovationskraft. Auf Ostdeutschland übertragen: niedrige Löhne reflektieren Innovationsarmut. Wie die Ebbe der Flut folgen Sozialabbau und Reallohneinbußen einer Erosion von Innovation. Gegen diesen brutalen ökonomischen Zusammenhang helfen auch keine Massendemonstrationen. Nur eine produktive und schöpferische Wirtschaft kann eine gute Sozialpolitik tragen. Diese ist im Übrigen voll vereinbar mit einer schumpeterschen Innovationswirtschaft. Innovation und Marktfundamentalismus schließen sich sogar aus. Eine „Innovationsoffensive“ ist geradezu eine spezifische Form schumpeterscher Sozialpolitik. Unternehmer erzeugen die erforderlichen Produktionsfaktoren, sie konkurrieren sie aus bestehenden Verwendungen heraus, entweder aus anderen Unternehmen, oder aus Arbeitsamt und Sozialhilfe. Diese Arbeit können wir ihnen erleichtern. Hier treffen sich Innovations- und Inputlogik. Ohne einen flexiblen Einsatz der Produktionsfaktoren ist Innovation tot. Der Mehrwert der Innovation lebt von der Neukombination der Produktionsfak-

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toren. Den Einsatz der Arbeitskräfte in bestimmten Phasen des Innovationsprozesses auf eine bestimmte Dauer oder Routinen festzulegen, erschwert Neukombinationen stark. Folge: die Nachfrage nach Arbeit sinkt – unabhängig von der Lohnhöhe. Noch in stärkerem Maße als bestehende Unternehmen 14 verlangt das neue Unternehmen nach flexibler Kombination der Produktivkräfte. Hier liegt eine Chance des Ostens. Je geringer die Flexibilität, desto

höher müssen – aus der Sicht der Arbeitnehmer – die Löhne sein, um sie aus den bestehenden Verwendungen heraus zu konkurrieren. Dazu gehören nicht zuletzt die vom Wohlfahrtsstaat gesetzten Standards (Arbeitslosenunterstützung, Sozialhilfe). Der Innovator muß dann nicht nur gegen Konkurrenten im Markt antreten. Er hat es auch mit dem Staat und dem Rechtssystem zu tun, welche die Freiheit zur Neukombination bestimmen.

7. Strategie der Innovation Ohne Neuerungen kommt Ostdeutschland also nicht aus der Falle, auch nicht durch polnische Löhne und „indischen Sozialstaat“. Neukombinationen im Sinne Schumpeters sind der einzige Aktionsparameter wirtschaftlicher Entwicklung, notwendige und hinreichende Bedingung zugleich. Eine Wirtschaft kann Kapital akkumulieren, so viel sie will. Eine Gesellschaft kann Eliteuniversitäten aufbauen, 10 % des Sozialprodukts für Forschung und Entwicklung ausgeben, über hoch qualifizierte Arbeitskräfte verfügen. Es gibt immer jemanden auf der Welt, der diese Wirtschaft und ihre Unternehmen nieder zu konkurrieren vermag.

Polen entlohnt seine Arbeitskräfte mit 20 % der ostdeutschen Löhne. China mit 10 %, Indien mit 5 usw. Und diese Länder holen auch hinsichtlich ihrer Produktivität schneller auf, als wir die Löhne senken könnten. Sie verfügen über alle – in Ostdeutschland verschenkten – Vorteile eines Spätstarters im nachholenden Entwicklungsprozeß. Die technologische Lücke und damit auch die Produktivitätslücke schließen sich wegen des Arbeitsüberschusses schneller als die Lohnlücke. Warum aber schließt sich die Lücke, warum sind immer mehr unserer Unternehmen der Imitationskonkurrenz aus Niedriglohnländern ausge-

14 Obwohl auch diesen mit Flexibilität geholfen ist. „Deutsche Unternehmen suchen in Osteuropa Flexibilität“ berichten Vertreter der Wirtschaft. Das Lohnniveau ist bei der Standortwahl zweitrangig. Siehe FAZ, 23. März 2004, S. 15.

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setzt? Weil wir uns weigern, schneller zu laufen, die Schuhe auszuziehen. Auf der Suche nach dem warmen Pelzmantel („Jeder Arbeitsplatz ist besser als gar keiner“) lassen wir uns schöpferisch und nachholend zerstören. Der Weg nachholender Entwicklung ist für die neuen Bundesländer verbaut. Die Übernahme der westdeutschen DMark, des Sozialstaates und eines Regimes der Überregulierung machen eine Steigerung der Wohlfahrt zu einer Funktion von Kaufkrafttransfer, in dessen Folge sich „holländische Krankheit“, Entindustrialisierung und passive Sanierung ausbreiten. Der Weg der „Tigerländer“ ist für die ostdeutschen Regionen also nicht mehr zu begehen. Deshalb: Weglaufen durch Innovation. Der schumpetersche Aktionsparameter: Neukombination, schneller und besser, als es die anderen können. Weglaufen, und nicht in die Konkurrenz mit Bären und Tigern eintreten, die uns einen warmen Pelzmantel versprechen. Plus eine evolutorische Komponente. Wer schneller laufen will, muß nicht nur Ballast abwerfen, er muß auch seine Muskeln trainieren, d.h. Ausbilden, Qualifizieren,„Lernen zu Lernen“ und lebenslang lernen. Innovation und Evolution gehören also zusammen wie die Säge und ein Werkzeug, um sie zu schärfen.

Wenn wir fragen, woher Dynamik, Wertschöpfung, Arbeitsplätze und eine moderne Infrastruktur kommen, bleibt nach kritischer Durchsicht aller Theorien und historischen Erfahrungen eigentlich nur eine Antwort übrig: Dadurch, dass Menschen bereit waren, neue Dinge zu wagen, neue Ideen durch innovatives Unternehmertum zu verwirklichen. Innovative Neugründungen von Unternehmen können wir als die Wachstumserzeuger überhaupt betrachten. Diese These läßt sich sowohl empirisch belegen wie aus theoretischen Überlegungen ableiten. Auch dazu müssen wir allerdings aus dem herrschenden Paradigma herausspringen. Funktioniert eine solche schumpetersche Alternative? Noch nicht. Denn dort, wo das Neue entsteht, im Ursprung des Produktzyklus, sieht es schlecht aus. Pionierprodukte und -technologien sind Mangelware. Schon im Westen entfallen gerade 10 % des Umsatzes des verarbeitenden Gewerbes auf neue Produkte. 15 Im Osten sind es noch weniger. Was bleibt? Stagnation mit kleineren Inseln der Innovation. Dies ist kein Schicksal, es ist nur nur traurige Gegenwart. Und sie bleibt die zukünftige Gegenwart, wenn alles so weiter läuft wie bisher, und sich „Innovationsoffensiven“ im Einsatz von Aktionsparametern erschöpfen, die ihre Her-

15 Horst Penzkofer, Innovationsaktivität in der deutschen Industrie 2001/2002, ifo-Schnelldienst, 2/2003.

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kunft dem neoklassischen-neoliberalen Wachstumsparadigma verdanken. Aus der Logik Schumpeters ist dabei die Durchsetzung entscheidend, nicht Wissen per se, auch nicht „geschütztes“ Wissen. Mangelndes Wissen ist für die Innovationsdefizite durchaus nicht verantwortlich zu machen. Das Transferdenken verstellt den Blick auf Innovation, Unternehmertum und den komplexen Zusammenhang zwischen Wissen und Neukombination. Ein Beispiel aus meiner Universität in Marburg: Über 200 Patente aus der NanoForschung. Durchsetzung: fast null. Was die Wirtschaftsforscher gemeinhin als „Hemmnis“ betrachten, sehe ich eher als einen Vorteil Ostdeutschlands: „Die kleinen und kleinsten Unternehmen (bilden) das Rückgrat für die industrielle FuE- und Forschungstätigkeit in Ostdeutschland. In kaum einem

Industrieland beruht die Innovationstätigkeit so stark auf den Aktivitäten der kleinen Unternehmen wie in den neuen Bundesländern.“ 16 Die Förderung dieses Potentials ist der Schlüssel für die Zukunftsdynamik im Osten. Geförderte Unternehmen zeichnen sich durch eine höhere Innovationsintensität aus als nicht geförderte. Auch die Wirtschaftsforscher schließen deshalb, die „Innovationsförderung (sei im Osten) in hohem Maße erfolgreich gewesen“. Wir erfinden daher Schumpeter und Kondratieff neu und fassen ihre Einsichten in zwei Aussagen zusammen, einer Doppelhypothese zur Entwicklungsdynamik von Volkswirtschaft und Region: 1. Wir können nur mit neuen Industrien Wachstum erzeugen. In der Regel heißt das auch: 2. Wir können nur mit neuen Unternehmen Wachstum erzeugen.

8. Riding the waves: Lange Wellen der Entwicklung Werfen wir einen Blick auf die folgende Abbildung: die Basishypothese der Langwellenökonomik, begründet von Kondratieff und weiterentwickelt durch Schumpeter. Jede Basisinnovation besteht aus einem Bündel vernetzter Technologien, welche über Jahrzehnte

das Wirtschaftsgeschehen prägen. Im oberen Teil der Abbildung sehen wir die bisherigen Kondratieff-Innovationen, ungefähr 50jährige Auf- und Abschwungprozesse. Die Wachstumsraten dieser sich wellenförmig entfaltenden Neuerungsschübe sind unsere Schätzungen.

16 Zweiter Fortschrittsbericht wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute über die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland, Kiel 2003, S. 15.

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Ostdeutschland in der Entwicklungsfalle

Dampfmaschine, Stahlproduktion, die Automobilbranche waren einst die für die wirtschaftliche Dynamik tonangebenden Innovationen, heute dominiert die Computer/Informationstechnologie; Bio- und Nanotechnologie stehen in den Startlöchern. Die neuen Industrien sind die Träger neuer langer Wellen. Basisinnovationen tragen aber auch dazu bei, die alten Produktzyklen länger am Leben zu erhalten (Elektronik und Computer im Auto; Nanomaterialien im Flachbildschirm). Das Überleben des Alten ist damit eine Funktion des Aufbaus des Neuen. Die jüngeren Basisinnovationen sind dabei heute nicht nur wissensintensiv, vielmehr wissenschaftsintensiv. Und ihre Wissenschaftsintensität nimmt weiter zu. Die

Erzeugung neuer Industrien durch neue Unternehmen müsste somit auf die Förderung wissenschaftlich fundierten Unternehmertums ausgerichtet sein. Das aber reicht auch noch nicht. Sie müsste zudem darauf zielen, die im System der Wissenschaft schlummernden unternehmerischen Potentiale zu entfalten, ohne diejenigen Forscher, die auch einen unternehmerischen Weg gehen wollen, aus der Wissenschaft (Hochschulen, Forschungseinrichtungen) zu vertreiben. In den USA und in Israel geht das, ganz langsam auch in Frankreich. Japan geht in schnellen Schritten den amerikanischen Weg. Zehn Jahre Stagnation haben Japan aufgeweckt. Hierzulande: no way. Unternehmerische Schwarzarbeit im Wissenschaftssystem.

Basisinnovationen und ihre wichtigsten Anwendungsfelder Dampfmaschine Textilindustrie

Eisenbahn Stahl

Elektrotechnik Chemie

Automobil Petrochemie

Informationstechnik

Psychosoziale Gesundheit

Bekleidung

Transport

Massenkonsum

individuelle Mobilität

Globalisierung Kommunikation

Gesundheit WellnessImmobilien

5. Kondratieff

6. Kondratieff

1. Kondratieff 1800

2. Kondratieff 1850

3. Kondratieff 1900

4. Kondratieff 1950

1990

20xx

Quelle: Nefiodow/FUNDUS Research

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Auf die fünfte, gegenwärtig laufende lange Welle sind Deutschland und die anderen EU-Staaten erst aufgesprungen, als die Wachstumsraten bereits abnahmen und die „Pioniergewinne“ und die Arbeitsplatzdynamik von anderen (USA) eingefahren waren. Mitte der 80er Jahre, der 5. Kondratieff steckte noch in den Kinderschuhen, glaubten sogar viele in Deutschland, der „erreichte technische Entwicklungsstand sei soweit ausgereift, dass es keine Chancen für Innovationen in zukunftsorientierten Branchen gibt“. So steht es 1983 in einer Analyse des Ifo-Instituts. 17 Zu jener Zeit wurden die Grundlagen für die bis heute anhaltende Wachstumsschwäche gelegt – ein fünfter Kondratieff mit bescheidener deutscher Beteiligung. Wir sehen nunmehr auch, wie problematisch die inputlogische Lösung

dieser Herausforderung sich darstellt. Innovationsdynamik, technologische Lücke, schöpferische Zerstörung, nachholende Entwicklung, also die Prozesse, die Wertschöpfung und Arbeitsplatzdynamik langfristig bewirken, sucht man dort vergebens. Kaltblutökonomik. Der Automobilzyklus ist ausgelaufen; keine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und keine Lohnsenkung machen ihn wieder lebendig. Andererseits sind die alten Industrien hochgradig auf die neuen angewiesen: Autos brauchen Elektronik, Software und ein kommunikations- und empathiefähiges Management („psycho-soziale Gesundheit“) um die „innere Immigration“ ihrer Mitarbeiter aufzufangen. Sonst sind sie gegen die aufstrebenden Industrieländer des Fernen Ostens, möglicherweise aber auch Osteuropas, ohne Chance.

9. Kopplung von Wirtschaft und Wissenschaft Worin könnten nun „Lösungen“ à la Münchhausen und Schumpeter liegen? Zunächst in der Überwindung des Knowing-Doing-Gaps zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Mit der Abfolge der Basisinnovationen geht eine zunehmende Wissensintensivierung einher.

Hier setzen auch Inputlogiker an: Wissensökonomie. Wissen als zentrale Ressource, als die „Sonne“ der Wirtschaft: Lasst uns mehr Wissen schaffen, mehr Menschen qualifizieren, damit sie hochklassiges Wissen hervorbringen, Forschung und Entwicklung fördern, mit

17 Ifo-Schnelldienst, Ohne verstärkte Produktinnovationen kein Wachstum, Nr. 35-36, 1983, S. 15ff. Das Ifo-Institut widersprach vehement der im Text zitierten Meinung.

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mehr oder weniger Verwertungsdruck. Dies allein wäre jedoch eine Fehltherapie. In diese Logik eingebaut ist das uralte Mißverständnis, Information und Wissen werde von einem Sender (Wissenschaft) zu einem Empfänger (Wirtschaft) transportiert. Wer produziert das neue Wissen? Die Wissenschaft, öffentlich oder privat organisiert. Wer setzt das Wissen durch und wie? Bestehende Unternehmen, neue Unternehmen? Wie findet das Wissen über radikale Innovationen Anschluß bei bestehenden Unternehmen? Die Erzeugung neuer Industrien durch neue Unternehmen müßte somit auf die Förderung wissenschaftlich fundierten Unternehmertums in allen Feldern ausgerichtet sein. Und auch das reicht noch nicht. Sie müsste auch darauf zielen, die im System der Wissenschaft selbst schlummernden unternehmerischen Potentiale zu entfalten. Mehr Ressourcen für F&E!? Die Knappheit aller Knappheiten ist nicht Wissen, sondern sind vielmehr die Menschen, die dieses Wissen unternehmerisch nutzen können, wollen und dürfen. Wenn schon Geld ausgeben, dann für die Förderung innovativen Unternehmertums – von

der Schule bis ins Alter, Ich-AGs inklusive. Was wir dadurch gewinnen? Weglaufen lernen! Neue Wertschöpfungspotentiale jenseits der alten Kondratieffs zu erschließen. Wenn deutsche Unternehmen ausländischen Niedriglöhnen nicht widerstehen können – lassen wir sie ziehen. Erfreuen wir uns an chinesischen DVDs und lernen mit ihrer Hilfe Qi Gong. Herr Ackermann und Kollegen – die reichsten Männer auf dem Friedhof. Gratulieren wir ihnen zu einem erfüllten Leben. Es gibt genug zu tun im eigenen Land – auch wenn Siemens seine Handys in Shanghai produzieren läßt. Mit anderen Worten: Erst eine Kombination von Humboldt und Schumpeter schafft die Grundlagen für innovationspolitische Alternativen. Humboldt + Schumpeter = „unternehmerische Universität“. Aus dieser Sicht kann es nicht um Forschung und Qualifikation an sich gehen. Forschen allein, Wissensproduktion, auch auf höchstem Niveau, bringt wenig, wenn diejenigen, die forschen, ihr Wissen und ihre Kompetenz nicht umsetzen dürfen, wie so oft in Deutschland.Wissensproduktion ohne Kopplung an Unternehmertum ist entwicklungsökonomisch Geldverschwendung. 18

18 Ausführlicher zur Kopplung von Wissenschaft und Wirtschaft als Schlüsselprozeß einer modernen Innovationspolitik siehe Jochen Röpke und Elizaveta Kozlova, Die Kopplung von Wissenschaft und Innovation durch Unternehmertum erzeugt Wachstum. Anmerkungen zur einer „Innovationsoffensive“, Telepolis, 20. Februar2004, http://www.heise.de/tp/deutsch/html/result.xhtml?url=/tp/deutsch/special/eco/16758/1.html&words=Kozlova

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10. Die „unternehmerische Universität“ Wie der neoklassische Ökonom behauptet, Kapital investiere sich selbst, pflichtet ihm der MainstreamWissenschaftler – genauer: die Funktionäre des Wissenschaftssystems – bei, dass Wissen sich „irgendwie“ von alleine durchsetzt, oder „irgendwie“ den Weg vom Wissensproduzenten über Transferagenturen und Netzwerke in die Wertschöpfung findet. Transferhoffnungen sind unbeabsichtigte Folgen blockierten Unternehmertums. Ergebnis dieser auch in der Praxis ausgelebten Vorstellung ist eine Lücke zwischen Wissen und Tun, eben die knowing-doing-gap. Wie die für Forschung und Innovation zuständige Ministerin Edelgard Bulmahn (SPD) erkennt: „…in der Nanotechnologie sind wir weltweit an der zweiten Stelle der Forschung – exzellente Ergebnisse. Aber leider sind diese Forschungsergebnisse nicht immer konsequent, zügig und schnell in Produkte, in Prozessinnovationen oder in neue Organisationsstrukturen umgesetzt worden.“ 19 Wer die ostdeutschen Länder wirtschaftlich nachhaltig energetisieren will, müßte daher den Forschern auch

die Freiheit geben, aus den Forschungsstätten heraus ihr Wissen mit Innovationen durchzusetzen. Es gibt keinen anderen Weg. Die USA laufen voraus, weil sie diesen Weg als erste gegangen sind. 20 Wissenschaft und Wirtschaft koppeln sich so durch akademisches Unternehmertum bzw. unternehmerische Hochleistungsforscher. Jede Hochschule verkörpert das Potenzial für einen Entwicklungspol. Als Nebeneffekt würde sich auch der Brain Drain umkehren: „Hast du Honig, hast du Ameisen.“ Der moderne Reformer müsste dort weitermachen: Gewerbefreiheit für den forschenden Unternehmer. Freiräume schaffen, nicht nur für die Forschung, auch für diejenigen, welche die unternehmerische Energie mitbringen, in Wertschöpfung umzusetzen, was sie erforscht haben. Diese Lösung ist billig. Sie kostet fast nichts – außer Mut, Vision und Energie. Die traditionelle Universität und das bis heute evolvierte Wissenschaftssystem gehen unter. Davon bin ich überzeugt. Sie werden ein Opfer der schöpferischen institutionellen Zerstörung. Die beklagte Ressourcenarmut ist eine

19 Edelgard Bulmahn in den ARD-Tagesthemen vom 6. Januar 2004. 20 Henry Etzkowitz, Bridging kwowledge to commercialization: the American Way, Acreo Annual Conference 2002, http://www.acreo.se/acreo-rd/IMAGES/PUBLICATIONS/PROCEEDINGS/ABSTRACT-ETZKOWITZ.PDF; Jochen Röpke, Der lernende Unternehmer, S. 313ff., ders.: Transforming knowledge into action, www.wiwi.uni-marburg.de/Lehrstuehle/VWL/WITHEO3/documents/trans.doc; Nathan Rosenberg, Schumpeter and the endogenity of technology: Some American Perspectives. London/New York, 2002, 3. Kapitel.

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selbstgemachte. Ohne Innovation kein Münchhausen; statt dessen Staatsknete als inputlogischer Lebensatem. Ziel bislang verfehlt: Die akademische

Wissenschaft war bis heute nicht in der Lage, eine strukturelle Kopplung auf rekombinativer Grundlage mit der Wirtschaft aufzubauen.

11. Weglaufen – nicht hinterher laufen! Wenn man nicht genau weiß, wohin man geht, kann es vorkommen, dass man ganz woanders ankommt – auch im Sumpf. In der folgenden Tabelle 2 habe ich wesentliche Unterschiede der vorgestellten Entwicklungswege bewußt überzeichnend zusammengestellt. Im Einzelnen ist sorgfältig zu überprüfen, welche diese Merkmale im konkreten Fall zutreffen oder nicht. Die hier gemachten Vorschläge sind nicht meine Erfindung. Auch innerhalb des Mainstreams gibt es Innovationspolitik. Was uns unterscheidet, ist die WieFrage und ihre theoretische Fundierung. Wir rücken eine intensive, durch Unternehmertum bewirkte Kopplung von Wissenschaft und Wirtschaft in

den Mittelpunkt. Hier sehe ich einen ausgeprägten komparativen Entwicklungsvorteil der neuen Bundesländer. Die altindustrielle Basis ist weitgehend zerstört. Die Transformation Ostdeutschland ist – aus schumpeterscher Logik betrachtet – bereits heute als bemerkenswerte Innovationsleistung zu interpretieren. Der Osten kann etwas, was dem Westen aufgrund seiner über Jahrzehnte aufgebauten industriellen Struktur äußerst schwer fällt. Die Zerstörung ist gelaufen. Die ostdeutschen Hochschulen sind gut aufgestellt. Die Wissenschaftsausgaben je Einwohner übertreffen das westdeutsche Niveau. Gleiches gilt für die staatlichen Hochschulausgaben je Studierenden.

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Tabelle 2: Förderungsschwerpunkte in Abhängigkeit von der Radikalität von Neuerungen Ansatzpunkte Unternehmen Transfer von Wissen Regionaler Entwicklungsfokus Finanzierung

Technologiezentren

Inkremental Bestehend Möglich Ansiedlung bestehender Unternehmen Aus laufendem Cash flow Kredit

Wissenschaft Hochschulen

Inputorientierung (Gebäude, etc.) Auftragsforschung Verbesserung des Transfermanagements Humankapitaltransfer

Ausbildung/Training

Fachqualifikation

Beitrag des Staates

Hilfreich in Engpaßbereichen

Schumpeter ist nicht schwer zu verstehen. Er ist nur schwer zu akzeptieren. Der Einsatz schumpeterscher Aktionsparameter in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft schafft natürlich Akzeptanzprobleme. Die Akteure in Politik,Verwaltung,Wirtschaft und Wissenschaft sind gehalten, Dinge zu tun, die auch ihnen selbst Innovationen abverlangen und ihre strukturkonservierenden Denk- und Handlungsmuster einer

Radikal Neu (start up) Schwierig Förderung neuer Unternehmen informelle Finanzierung Selbstfinanzierug Venture Capital Inkubatoren Wachstumspole Ausgründungen, Spin offs strukturelle Kopplung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft durch Unternehmertum Unternehmerische Kompetenzen Unverzichtbar (Anschubund Gärtnerfunktion)

schöpferischen Zerstörung auszusetzen. Angesichts der durchaus ernüchternden Bilanz der bisherigen Entwicklung sehe ich aber für die neuen Bundesländer keinen anderen Weg als den hier skizzierten: Weglaufen – nicht hinterher laufen! Schon gar nicht dem Westen, an dem der globale Sturm der schöpferischen Zerstörung genauso zerrt, wie an den gebeutelten Regionen Ostdeutschlands.

Jochen Röpke Professor für Volkswirtschaftslehre an der Philipps-Universität Marburg. http://www.wiwi.uni-marburg.de/Lehrstuehle/VWL/WITHEO3/main.html

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Das Gespenst des Mezzogiorno Welches Entwicklungsszenario erwartet Ostdeutschland? Von Jörg Aßmann

1. Der „Aufbau Ost“ am Scheideweg Seit einigen Wochen ist das Thema „Aufbau Ost“ wieder auf der wirtschaftspolitischen Agenda von Regierung und Opposition auf Bundesebene. Auslöser der Diskussion ist ein Arbeitspapier, das vom „Gesprächskreis Ost“ um den ehemaligen Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi im Auftrag der Bundesregierung erstellt wurde und in dem unverblümt eine desaströse Bilanz der Einheitspolitik gezogen wird: Arbeitslosigkeit von fast 20 % in den neuen Bundesländern, ungeminderte Abwanderung junger Menschen mit den beiden Konsequenzen einer überalternden Bevölkerung und dem Verlust von Humankapital und Kreativität, ein weiter steigendes Wohlstandsgefälle zwischen West und Ost sowie eine gesamtdeutsche Wachstumsschwäche als Folge der Transferpolitik – das sind wichtige Eckpunkte der Schlussbilanz der bisherigen Einheitspolitik.1 Vor dem Hinter1

grund des massiven Kapitaltransfers von West nach Ost seit der deutschen Wiedervereinigung (unter Berücksichtigung aller finanziellen Transferleistungen ca. 100 Milliarden Euro jährlich), ist der Zustandsbericht zur wirtschaftlichen Lage Ostdeutschlands geradezu verheerend. Statt der einst versprochenen „blühenden Landschaften“ besteht die ernsthafte, von nicht wenigen Experten prognostizierte Gefahr, dass sich Deutschland auf Jahrzehnte hinaus mit einem zweiten Mezzogiorno konfrontiert sehen könnte. Wie beim „echten“ Mezzogiorno in Süditalien würde es sich hierbei um eine Region handeln, die dauerhaft am finanziellen Tropf des Westens hängt, aus sich selbst heraus keine wirtschaftliche Entwicklung erzeugt und aufgrund der langfristig erforderlichen Kapitalinfusionen sogar noch die gesamtdeutschen Wachstumsperspektiven nachhaltig trübt.

Dies deckt sich weitgehend mit den Aussagen der letzten beiden „Fortschrittsberichte zum Aufbau Ost“, jeweils verfasst von fünf angesehenen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten.

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Jörg Aßmann

Einerseits wegen der Klarheit und Offenheit, mit der die bisherige Förderpolitik für die neuen Länder kritisiert wurde, andererseits wegen der wirtschaftspolitischen Forderung, in Ostdeutschland eine steuerbegünstigte Sonderwirtschaftszone nach polnischem Muster zu schaffen, hat das Arbeitspapier zu einer hitzigen Debatte zwischen den politischen Lagern geführt. Thema: Was zeichnet eine effektivere Förderstrategie für Ostdeutschland aus? Ohne die gegenwärtige Diskussion bereits an dieser Stelle näher zu kommentieren, lässt sich dennoch feststellen, dass in keiner politischen Partei einer Strategie jenseits der bislang praktizierten Kapitaltransferpolitik das Wort geredet wird. Die unterbreiteten Vorschläge zeigen vielmehr, dass es an einer echten wachstumstheoretischen und -politischen Alternative zur Transferpolitik fehlt. Zwar wird die Bedeutung von Innovationen und technischem Fortschritt für den wirtschaftlichen Aufholprozess der Neuen Länder immer wieder (zu Recht) hervorgehoben, doch handelt es sich bei näherer Betrachtung zumeist um Innovationsrhetorik. Denn hinsichtlich der Frage, wie innovationsgetragene regionale Entwicklungsprozesse gezielt induziert und gefördert werden können, herrscht weitgehende Unkenntnis. Die Erfah-

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rungen der vergangenen Jahre zeigen nur eines sehr deutlich: Eine über Kapitalinfusion bewirkte Verbesserung der Sach-, Human-, Wissenskapitalausstattung transformiert Ostdeutschland noch nicht automatisch in ein zweites Silicon Valley oder eine Boston Route 128. Zentrale These der weiteren Ausführungen ist, dass ein Aufbrechen zu neuen Ufern in Fragen der effektiveren Förderung Ostdeutschlands nur dann gelingt, wenn sich alle Entscheidungsträger in Sachen „Aufbau Ost“ vom vertrauten, kaum noch hinterfragten und damit fast schon paradigmatischen Charakter einnehmenden „Kapitalfundamentalismus wirtschaftlichen Wachstums“ verabschieden und einem anderen wachstumstheoretischen Paradigma folgen. Dieses neue Paradigma wird im Folgenden als „Innovationslogik wirtschaftlichen Wachstums“ bezeichnet und bezieht sich maßgeblich auf die wegweisenden Arbeiten von Joseph A. Schumpeter (1950, 1961, 1993). Die faszinierende und zugleich erfreuliche Einsicht der Überlegungen Schumpeters ist darin zu sehen, dass wirtschaftlich rückständige Regionen immer nur endogen, also ohne Hilfe von außen, wachsen können, somit Kapitalinfusionen weder notwendige noch hinreichende Bedingung für regionales Wirtschaftswachstum darstellen.


Das Gespenst des Mezzogiorno

Die weiteren Ausführungen zwingen den Leser zu einer anstrengenden „theoretischen Reise“, die aber mit einer neuartigen und überraschenden Sichtweise zu den (wahren) Quellen wirtschaftlichen Wachstums in Ost-

deutschland belohnt wird. Erst dies aber eröffnet eine neue theoretische Sicht auf den Weg für eine in Zukunft hoffentlich erfolgreichere und volkswirtschaftlich sinnvollere regionale Strukturpolitik. 2

2. Ostdeutschland im Würgegriff „inputlogischen“ Wachstumsdenkens Wodurch zeichnet sich die seit der Wende praktizierte Förderpolitik in den Neuen Ländern aus? Was ist das wesentliche Charakteristikum der Förderstrategie in Ostdeutschland? Auf diese Fragen lässt sich stark vereinfachend, aber dennoch treffend wie folgt antworten: Trotz der vielfältigen Facetten regionaler Strukturpolitik in Ostdeutschland liegt die Stoßrichtung aller Maßnahmen darin, den Kapitalstock der ostdeutschen Wirtschaft durch massiven Kapitaltransfer von West nach Ost zu verbessern und dadurch eine möglichst rasche Angleichung der Lebensbedingungen zu erreichen. 3 Ein erstes Element dieser Transferpolitik lässt sich als „Kapitalmobilisierungspolitik“ beschreiben. Es handelt sich hierbei um die bereits seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik sowie 2 3

in vielen anderen europäischen Ländern praktizierte Förderstrategie, nach der mittels Investitionszuschüssen und -zulagen, Steuererleichterungen, zinsgünstigen Darlehen und Eigenkapitalhilfen eine Umlenkung privater Investitionen von prosperierenden in stagnierende Regionen bewirkt werden soll. Die dadurch induzierte Verbesserung insbesondere der Sachkapitalausstattung führt dieser Strategie zufolge unweigerlich dazu, dass der in wachstumsschwachen Regionen in der Regel bestehende Arbeitskräfteüberschusses verstärkt in Produktionsprozesse eingebunden und damit die Beschäftigungsproblematik maßgeblich entschärft werden kann. Neben der Förderung der Sachkapitalausstattung lag (und liegt noch immer) ein besonderes Augenmerk der Förderpolitik in

Die Ausführungen basieren auf der vor kurzem veröffentlichten Dissertation des Autors mit dem Titel „Innovationslogik und regionales Wirtschaftswachstum:Theorie und Empirie autopoietischer Innovationsdynamik“, Marburg (Mafex) 2003. Das Geld, das über die „Leitungssysteme der Sozialversicherung in den Osten“ (Der Spiegel 2004a, S. 4) schoss, macht zwar einen Grossteil des stattgefundenen Kapitaltransfers aus, entspringt aber weniger einer aktiven Förderpolitik als vielmehr dem Umstand, dass den Ostdeutschen das westdeutsche Rechtsnormen- und Sozialsystem übergestülpt wurde.

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Ostdeutschland in der Verbesserung der wirtschaftsnahen Infrastruktur (Straße, Schiene, Telekommunikation, Gewerbeflächen und Technologie- und Gründerzentren).4 Ziel ist hierbei, durch attraktive Standortbedingungen die Ansiedlung von innovativen Unternehmen und damit hochwertigen Arbeitsplätzen zu bewirken. Ein dritter Anknüpfungspunkt der ostdeutschen Transferpolitik liegt in der Verbesserung der Human- und Wissenskapitalausstattung in den neuen Ländern. Über die Modernisierung der bereits bestehenden Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie den weiteren Ausbau der staatlichen Wissenschaftsinfrastruktur soll die unverzichtbare Grundlage für wissensintensive Wertschöpfungsprozesse, Innovationen und damit Wachstum und Beschäftigung geschaffen werden. Vor dem Hintergrund der skizzenhaften Ausführungen der praktizierten Regionalförderung in Ostdeutschland, die sich im Kern durch die angestrebte (und zweifelsohne auch erreichte) Verbesserung des Sach-, Human- Infrastruktur- und Wissenskapitalstocks auszeichnet, wird eines deutlich: Regionalförderung in Ostdeutschland ist 4

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ein Kind neoklassischen bzw. inputlogischen Wachstumsdenkens, also Ausfluss desjenigen wachstumstheoretischen Ansatzes, der die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion zu den Quellen wirtschaftlichen Wachstums seit Jahrzehnten dominiert. Doch wodurch zeichnet sich dieser Ansatz aus, welches Kausalitätsdenken verbirgt sich hinter der neoklassischen „Inputlogik des Wachstums“? Vereinfacht ausgedrückt liegt traditionellen ökonomischen Wachstumstheorien die Annahme zugrunde, dass die wirtschaftliche Leistung eines Landes, einer Region oder auch Kommune durch den Input determiniert wird.5 „Der Output ist eine Funktion des Inputs“, lautet demnach die einfache Wachstumsformel der neoklassischen Inputlogik. Die dem regionalen Wachstumsprozess unterstellte Kausalität trägt entsprechend dem Akkumulationsgedanken Rechnung: Nur über die regionale Akkumulation von zusätzlichen Inputs (Produktionsfaktoren) kommt es zu einer Steigerung des Outputs, also zu wirtschaftlichem Wachstum. Bei diesem Paradigma repräsentieren somit Produktionsfaktoren und insbesondere deren Akkumulation den

So haben laut Spiegel (2004a, S. 4) der Staat sowie staatsnahe Unternehmen wie bspw. Telekom bislang fast 100 Milliarden € in infrastrukturverbessernde Maßnahmen investiert. Der Fokus auf Infrastrukturinvestitionen bleibt auch in Zukunft erhalten: Der vor kurzem verabschiedete Solidarpakt II beschert dem Osten weitere Transfers in die Infrastruktur in Höhe von 156 Milliarden €. Unter dem Begriff „Input“ sind sämtliche von der neoklassischen Wachstumstheorie für bedeutsam erachteten und zuvor bereits erwähnten Produktionsfaktoren (u.a. Arbeit, Sach-, Human-, Wissens- und technisches Kapital) zu verstehen.


Das Gespenst des Mezzogiorno

zentralen Engpassfaktor im regionalen Entwicklungsprozess. Entsprechend fällt der regionalen Strukturpolitik die Aufgabe zu, die bestehenden regionalen Faktorengpässe durch die zuvor beschriebenen förderpolitischen Maßnahmen auszuräumen. Neoklassisch denkende Wachstumsökonomen verweisen zwecks theoretischer Rechtfertigung der von ihnen vertretenen Wachstumslogik zu Recht auf den empirisch beobachtbaren Gleichschritt zwischen Kapitalakkumulation und Wirtschaftswachstum. So zeigt sich in der Tat, dass ausnahmslos alle Wachstumsregionen der Welt (Silicon Valley, Boston Route 128, Cambridge in England, etc.) sich durch eine immense Kapitalakkumulation auszeichnen. Es stellt sich aber folgende Frage: Inwieweit ist die empirisch beobachtbare enge Korrelation zwischen Kapitalakkumulation und Wirtschaftswachstum ein wirklich schlagkräftiger Beleg inputlogischen Wachstumsdenkens? Es gibt eine Vielzahl empirischer Beobachtungen, gerade auch in Ostdeutschland, die an der zentralen Wachstumsrelevanz von Produktionsfaktoren ernsthaft zweifeln lässt. Zu denken ist diesbezüglich bspw. an die 6 7

extrem hohe Arbeitslosigkeit unter Akademikern. Bestes Human- und Wissenskapital bleibt in diesem Fall wirtschaftlich ungenutzt, trägt vergleichsweise wenig oder gar nichts zur Wertschöpfung bei.6 Ähnlich verhält es sich mit dem Wissenschaftssystem. Im Gegensatz zur Situation amerikanischer oder englischer Universitäten ist das deutsche Wissenschaftssystem nach wie vor weitgehend vom Wirtschaftssystem abgekoppelt und leistet folglich vergleichsweise wenig für Innovation, Wachstum und Beschäftigung. Weiterhin ist zu beobachten, dass das über die letzten Jahre in vielen ostdeutschen Kommunen (zumeist über EU-Mittel) gebildete Infrastrukturkapital in Form von Gewerbegebieten oder Technologiezentren keinen oder nur einen geringen Beitrag zum Wachstum leistet. Dies einfach deswegen, weil es keine Unternehmen gibt, die diese Angebote nachfragen.7 Beispiele für „tote“, d.h. wirtschaftliche ungenutzte Ressourcenpotentiale gibt es in Deutschland (und anderen Ländern) also genug. Der von der Neoklassik unterstellte Automatismus, nach dem ein Mehr an Ressourcenausstattung zwangsläufig zu einem Mehr an wirtschaftlicher Leistung führt, greift

So resümiert der Spiegel die millionenschweren Investitionen in Bildung und Qualifikation in den neuen Ländern mit dem vielsagenden Satz:„Junge Anwälte, BWLer oder Wissenschaftler jobben als Kellner oder Schreibkräfte“ (2004a, S. 10). Im Hinblick auf die gravierenden Gewerbeflächenüberkapazitäten in Ostdeutschland ist in der Presse schon die Rede von „beleuchteten Schafweiden“ (Paetz 1997), die sich ostdeutsche Kommunen für sehr teures Geld zugelegt hätten.

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keinesfalls immer. Andererseits ist aber auch vom zuvor angesprochenen Gleichschritt zwischen Kapitalakkumulation und Wirtschaftswachstum auszugehen. Vor dem Hintergrund dieser empirischen Beobachtungen bedarf es von daher eines theoretischen Ansatzes, der den sich offenbarenden Widerspruch aufzulösen weiß. Obwohl die „Inputlogik des Wachstums“ dies nicht leistet, zeigt sich anhand der aktuellen Maßnahmen und Vorschläge (Verabschiedung von Solidarpakt II, Ostdeutschland als Sonderwirtschaftszone, Förderung von Industrieansiedlungen und wirtschaftsnaher Forschung, etc.),

dass Ostdeutschland auch auf längere Sicht im Würgegriff inputlogischen Wachstumsdenkens verbleiben wird. Das als „Inputlogik“ bezeichnete Wachstumsdenken besitzt in der heutigen Gesellschaft und insbesondere in der wirtschaftswissenschaftlichen und -politischen Diskussion paradigmatischen Charakter. Im Inputwachstum wird die Ursache für wirtschaftliche Entwicklung gesehen. An der prinzipiellen Richtigkeit der „Inputlogik des Wachstums“ wird nicht wirklich gezweifelt, Inputs stellen in Wirtschaftstheorie und -politik die „conditio sine qua non“ wirtschaftlichen Wachstums dar.

3. Innovationslogik regionalen Wirtschaftswachstums: Selbsttransformation von Regionen Mit dem Schumpeterschen Entwicklungsparadigma, das – entgegen anders lautender Rhetorik – in der wirtschaftstheoretischen und -politischen Diskussion nach wie vor ein Schattendasein fristet, wird im Folgenden ein zur Inputlogik alternativer theoretischer Ansatz präsentiert. Dieser Ansatz eröffnet eine vollkommen neue und mit der Inputlogik nicht vereinbare Perspektive zu den eigentlichen Quellen wirtschaftlichen Wachstums. Entsprechend sieht dieser Ansatz auch andere Anknüpfungspunkte für eine in

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Zukunft erfolgreichere ostdeutsche Förderstrategie. Dabei manifestieren sich die Überlegungen Schumpeters in drei ergänzenden Thesen, die im Folgenden näher dargelegt werden.

Schumpeter-These I: Schöpferische Unternehmer determinieren die Wachstumsrelevanz von Ressourcen Schumpeter interessiert sich in seiner Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1993) für diejenigen Veränderungen, die das ökonomische System aus sich selbst heraus erzeugt.


Das Gespenst des Mezzogiorno

Wenn aber exogene, d.h. außerhalb der Wirtschaft liegende Faktoren als Impulsgeber im Entwicklungsprozess ausgeschlossen werden, stellt sich die Frage nach den endogenen Ursachen wirtschaftlicher Entwicklung. Schumpeter sieht in der „Durchsetzung neuer Kombinationen von Produktionsmitteln“ (1993, S. 100) die zentrale Quelle wirtschaftlichen Wachstums. Innovationen sind für Schumpeter das „Grundphänomen wirtschaftlicher Entwicklung“ (1993, S. 100).8 Durchgesetzt werden Innovationen durch den schöpferischen Unternehmer, der „Träger des Veränderungsmechanismus“ (Schumpeter 1993, S. 93) ist .9 Bei Schumpeter sind es also nicht Produktionsfaktoren, sondern deren innovative (Anders-) Verwendung, die Entwicklung verursachen: Wirtschaftliche Entwicklung resultiert nicht aus zusätzlichen, sondern aus der Neukombination gegebener Ressourcen. Damit werden Innovationen und insbeson-

dere die sie durchsetzenden schöpferischen Unternehmer zum zentralen Entwicklungsfaktor. Der Kapitalstock einer Region hat nur eine nachgelagerte Bedeutung für wirtschaftliche Entwicklungsprozesse, weil dessen Wachstumswirkung durch die Qualität seiner Einbindung in Produktionsprozesse, also durch den Innovationsgrad seiner Verwendung, determiniert wird. Oder anders formuliert: Aus innovationslogischer Sicht erlangen Inputs nur dann Entwicklungsrelevanz, wenn deren wirtschaftliche Verwertung gewährleistet ist. Für den Fall, dass keine Einbindung der Ressourcen in Produktionsprozesse erfolgt, stellen Produktionsfaktoren lediglich ein „totes“ Wachstumspotential dar.10 Dieser Gedanke lässt sich gut anhand des im Rahmen der endogenen Wachstumstheorie (siehe dazu insbesondere Romer 1983, 1986) für so überaus wichtig befundenen Produktionsfaktors Humankapital veran-

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Allerdings führt, worauf Schumpeter selbst hinweist, das erfolgreiche Durchsetzen neuer Möglichkeiten gleichzeitig zur Entwertung bzw.„schöpferischen Zerstörung“ (Schumpeter 1950, S. 134ff) etablierter Möglichkeiten. Demnach ist schöpferische Zerstörung die unverzichtbare Kehrseite innovationsgetragener Entwicklungsprozesse. 9 Unternehmer sind nach Schumpeter also nur solche Akteure, deren ökonomische Funktion in der Durchsetzung neuer Kombinationen liegt: Die Funktion des Unternehmers ist also einzig und allein die, neue Kombinationen „…lebendig, real zu machen, durchzusetzen“ (1993, S. 128). Entsprechend ist zwischen verschiedenen Typen von Unternehmertum (Routine, Arbitrage, Innovation, Evolution; siehe dazu Röpke 2002) genauso zu differenzieren wie zwischen Innovator und Erfinder sowie Unternehmer und Kapitalist. 10 Dabei wird, so legt es uns zumindest der „frühe“ Schumpeter (1993) nahe, die Nachfrage nach Produktionsfaktoren und damit deren Entwicklungsrelevanz nicht durch etablierte Großunternehmen, sondern vor allem durch innovative Neugründungen determiniert. Die Einschätzung von Schumpeter zur Relevanz innovativer Neugründungen für wirtschaftliches Wachstum wurde anhand verschiedener empirischer Studien mittlerweile bestätigt. So hat bspw. die exzellente Studie von Kirchhoff (1994) gezeigt, dass die in den USA verzeichneten positiven Wachstums- und Beschäftigungseffekte in erster Linie auf einige wenige neue und hoch innovative Firmen zurückzuführen sind (Ergebnis der Studie: ca. 80 % aller in den USA zusätzlich geschaffenen Arbeitsplätze sind auf prozentual wenige, junge und vor allem hochinnovative Unternehmen zurückzuführen). Nach Timmons (1997, S. 29) stammen 95 % aller radikalen Neuerungen seit dem 2. Weltkrieg von neuen und nicht von etablierten Unternehmen.

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schaulichen.11 Es besteht kein Zweifel daran, dass qualitative Verbesserungen des Humankapitals in der Regel zu höheren Arbeitsproduktivitäten und Einkommen führen. Übersehen wird aber die entscheidende Rolle, die dem unternehmerischen Faktor hierbei zukommt. So ist keineswegs davon auszugehen, dass ein größerer Humankapitalstock sich automatisch (oder durch eine „unsichtbare Hand“ geleitet) in Outputwachstum transformiert. Dies ist nur dann der Fall, wenn Humankapital in innovative Produktionsprozesse „einfließt“.12 Diese Einschätzung zur Rolle von Humankapital im Wachstumsprozess bestätigen auch Englander/ Gurney (1994), wenn sie nach einer intensiven Analyse von Studien, die allesamt die Bedeutung von Humanund Wissenskapital als treibende Kraft für langfristiges Produktivitätswachstum herausstellen, zu folgendem Ergebnis kommen: „…if there is a link between education levels and productivity growth, it is likely be small at the margin“ (1994, S. 60).

Schumpeter-These II: Innovationsprozesse führen zum Wachstum des Kapitalstocks und nicht umgekehrt Der „Inputlogik des Wachstums“ ist aus innovationslogischer Sicht weiterhin entgegenzuhalten, dass die Frage nach den Quellen des Inputwachstums unbeantwortet bleibt. Der immer wieder zu findende Verweis auf regional divergierende Sparquoten und daraus resultierende Unterschiede im Investitionsverhalten ist deswegen unbefriedigend, weil die Ursachen für unterschiedliches Sparverhalten selbst nicht näher thematisiert werden (können). Schumpeter bietet diesbezüglich eine einfache und dennoch überzeugende Antwort, indem er nicht nur die Rolle von Innovationen und schöpferischen Unternehmern bei der produktiven und wohlfahrtsfördernden Verwendung der in einer Region verfügbaren Ressourcen betont, sondern zudem auf deren unverzichtbaren Beitrag bei der Produktion dieser Ressourcen verweist. Mit anderen Worten unterstellt die „Innovationslogik des Wachstums“

11 Die folgende, auf den Produktionsfaktor Humankapital bezogene Argumentation ließe sich ohne größere Schwierigkeiten auf alle anderen im Rahmen der endogenen Wachstumstheorie für entwicklungsrelevant erachteten Produktionsfaktoren (Infrastruktur-, Sach-, Wissens- oder technisches Kapital) übertragen. 12 Wenn dies Berücksichtigung findet, dann wird nachvollziehbar, wieso etwa ein hochqualifizierter russischer Wissenschaftler oder Ingenieur, der in seinem Heimatland ein Dasein entweder als (völlig unterbezahlter) wissenschaftlicher Angestellter, Arbeitsloser oder Fensterputzer fristet, im Falle der Emigration in die USA ein vielfach höheres Einkommen beziehen kann. Der Exodus russischen, indischen und zunehmend auch deutschen Humankapitals in die USA dokumentiert folgenden (Schumpeterschen) Zusammenhang auf sehr eindeutige Weise: Ein Fehlen innovativen Unternehmertums bedeutet ausbleibende Nachfrage nach Humankapital, geringe Produktivität und niedrige Einkommen.

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eine Kausalität, die derjenigen der neoklassisch-inputlogischen Wachstumstheorie diametral entgegensteht: Nicht das Wachstum von Produktionsfaktoren bewirkt Entwicklung, sondern Innovationsprozesse führen zu einem Wachstum der Produktionsfaktoren. Inputwachstum ist dem Entwicklungsprozess demnach nicht vor-, sondern nachgelagert .13 Genau genommen basiert die Kapitalakkumulation auf zwei im Wesentlichen durch Innovationshandeln vorangetriebenen Teilprozessen. Einerseits bedingen schöpferische Unternehmer durch ihre Aktivitäten eine zusätzliche Nachfrage nach Produktionsfaktoren. Durch die Andersverwendung von – zu einem bestimmten Zeitpunkt – gegebenen Produktionsfaktoren resultieren Produktivitätsfortschritte, Beschäftigungs- und Einkommenszuwächse und damit zusätzliche Sparpotentiale, was wiederum einen Prozess der Kapitalakkumulation nach sich zieht. Indem dann – gewissermaßen auf einem „höheren Niveau der Faktorausstattung“ – eine Andersverwendung der nunmehr zur Verfügung stehenden Ressourcenpotentiale erfolgt, wird die Kapitalakkumulation weiter vorangetrieben. Andererseits spielen innovative Unternehmer auch beim Angebot von innovationsfördernden

Ressourcen eine Schlüsselrolle. Dies deswegen, weil die Produktion der von ihnen benötigten Ressourcen entweder Teil ihrer unternehmerischen Aufgabe ist oder aber von anderen innovativen Unternehmern wahrgenommen werden muss. Hinzuweisen ist an dieser Stelle, dass die durch die „Innovationslogik des Wachstums“ nahe gelegte Umkehrung der Entwicklungsprozessen zugrunde liegenden Kausalität (Innovationen führen zu Inputwachstum und nicht umgekehrt) auf eine notwendige Umorientierung in der regionalen Strukturpolitik verweist. Die gegenwärtig in Ostdeutschland praktizierte Strukturpolitik operiert weitgehend nach den theoretischen Vorgaben des „Say’schen Gesetzes“. So wird, um beim Produktionsfaktor Humankapital zu bleiben, davon ausgegangen, dass ein zusätzliches Angebot an gut ausgebildeten und qualifizierten Menschen immer auf eine entsprechende Nachfrage stoßen wird (das Angebot schafft sich seine Nachfrage). Hingegen ist der Schumpeterschen Entwicklungsperspektive zufolge eine Wirtschaftspolitik, die der Maxime eines „auf den Kopf gestellten Say’schen Gesetzes“ folgt, wesentlich effektiver und effizienter. Denn hier schafft sich

13 Neuere ökonometrische und empirische Studien bestätigen das hier vertretene Kausalitätsverständnis zwischen Innovationen (Entwicklung) und Inputwachstum. Vgl. dazu Weltbank (1993) und King/Levine (1993, 1994).

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die innovationsbedingte Nachfrage nach gut qualifiziertem Humankapital ihr eigenes Angebot.

Schumpeter-These III: Zugang zu Finanzkapital als zentrale Wachstumsressource in innovationsgetragenen regionalen Entwicklungsprozessen Dem Ansatz von Schumpeter wird aber nur dann wirklich Rechnung getragen, wenn das für seine Überlegungen zentrale Argument zur Finanzierung von Innovationsprozessen Berücksichtigung findet: Nur wenn schöpferische Unternehmer Zugang zu Finanzkapital erlangen, können sie die für Innovationen benötigten Produktionsfaktoren kaufen und ihre Ideen realisieren.14 Die vollständige Schumpetersche Wachstumsgleichung lautet demnach: Outputwachstum ist eine Funktion von Innovationen/Unternehmertum + dem Zugang zu Finanzkapital. Die von Schumpeter vorgeschlagene Deutung von Kapital als Finanzkapital hat erhebliche Konsequenzen für die Beantwortung der Frage nach der tatsächlichen Relevanz von Ressourcen für regionale Wachstumsprozesse. Um innovieren zu können, brauchen lokale Unternehmer Zugang zu Finanzkapital.

Sobald letzteres gewährleistet ist, können sämtliche der für die Umsetzung von Innovationen erforderlichen Produktionsfaktoren auf Märkten gekauft werden, denn Finanzkapital ermöglicht den Entzug von verfügbaren Ressourcen aus anderen Verwendungen, sei es von innerhalb oder von außerhalb der Region. Die theoretische Aufwertung der monetären Sphäre im Entwicklungsprozess stützt demnach die bisherige Argumentation: Eine regionale Knappheit an innovationsrelevanten Ressourcen ist lediglich eine „abgeleitete Knappheit“, d.h. diese Ressourcen sind nur dann knapp, wenn lokale Unternehmer aufgrund fehlenden Finanzkapitals keine Nachfrage nach ihnen äußern können. Fehlt aber die Nachfrage nach Ressourcen, kann auch kein Angebot zustande kommen. Aus dieser Überlegung ergibt sich zweierlei: Erstens, regionalpolitische Maßnahmen, die ausschließlich auf eine Verbesserung der lokalen Faktorausstattung hinauslaufen, müssen wirkungslos verpuffen, solange nicht die Finanzierungsproblematik von Innovatoren behoben wird. Entwickelt eine Region diesbezüglich keine Lösungen, dann transformieren sich selbst beste Standortbedingungen nicht in wirt-

14 Finanzkapital ermöglicht es Unternehmern, die für die Umsetzung ihrer Ideen benötigten Ressourcen aus ihren bisherigen Verwendungen herauszulösen (Schumpeter 1993, S. 102f). Kredit ist der „Hebel des Güterentzugs“ (Schumpeter 1993, S. 152) und stellt eine notwendige Bedingung für das Durchsetzen neuer Kombinationen dar. Daraus folgt, dass der Unternehmer „…nur Unternehmer werden (kann; J.A.), indem er vorher Schuldner wird … Sein erstes Bedürfnis ist das Kreditbedürfnis“ (Schumpeter 1993, S. 148).

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schaftliches Wachstum. Zweitens, funktionsfähige Finanzsysteme spielen eine fundamentale Rolle für regionale Entwicklungsprozesse. Nur wenn in einer Region Finanzmärkte und Finanzinstitutionen operieren, die ihre von Schumpeter zugewiesene Kanalisierungsfunktion der bereits vorhandenen bzw. der neu geschaffenen finanziellen Mittel (Ersparnisse resp. Kredite) an innovative Firmen und Unternehmensgründer erfolgreich wahrnehmen, können Neukombinationen realisiert werden. Ein solches Finanzsystem ist unverzichtbarer Bestandteil eines regionalen Innovationssystems. Die vorangegangene Argumentation zusammenfassend lässt sich sagen, dass regionales Wirtschaftswachstum im Schumpeterschen Entwicklungsparadigma auf den Spuren von Baron Münchhausen wandelt: So wie es sich beim Baron Münchhausen um eine Person handelt, die durch reine Selbsthilfe und mittels höchst innovativer Lösungen schwierigste Situationen zu meistern versteht, gründet sich auch der wirtschaftliche Erfolg von Regionen auf innovativer Selbsthilfe. Während aus inputlogischer Sicht die Infusion zusätzlicher Inputs notwendige und hinreichende Bedingung für regionales Wirtschaftswachstum ist, deutet die „Innovationslogik des Wachstums“ regionale Wirtschaftsentwicklung als

einen Prozess der regionalen SelbstTransformation durch Innovationen. Bei Schumpeter produziert die regionale Wirtschaft Wachstum immer von innen heraus und ist dabei nicht auf die umfangreiche und kontinuierliche externe Bereitstellung von zusätzlichen und qualitativ besseren Inputs angewiesen. „Innovations-“ und „Inputlogik des Wachstums“ schließen sich gegenseitig aus, sind nicht miteinander vereinbar. Regionale Entwicklung ist bei Schumpeter das Ergebnis von interner Dynamik und von internen Bedingungen, nicht aber von lokaler Ressourcenverfügbarkeit. Innovationen, schöpferisches Unternehmertum und Finanzkapital als die eigentlichen regionalen Wachstumsdeterminanten identifiziert zu haben, hilft der Förderpolitik von Regionen aber noch nicht wirklich weiter. Erforderlich ist ein besseres Wissen über die Quellen regionalen Innovationsverhaltens: Was treibt regionale Innovationsprozesse voran, wenn es die regionale Produktionsfaktorenausstattung ganz offensichtlich nicht ist? Gefordert ist eine Erweiterung des Ansatzes von Schumpeter, denn er bietet keine wirkliche Erklärung des Prozesses wirtschaftlichen Wachstums, sondern beschränkt sich auf die Beschreibung des Funktionsmechanismus einer sich entwickelnden Wirtschaft. Dieser Aufgabe wid-

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men sich die weiteren Überlegungen. Ausgangspunkt ist dabei die knappe Darstellung des „Systemansatzes der Innovation“, der das regionalpolitische Handeln auch in Ostdeutschland maßgeblich beeinflusst hat. Wie aber deutlich wird, handelt es sich entgegen aller

Innovationsrhetorik ebenfalls um einen inputlogisch-argumentierenden Ansatz. Dies macht im Anschluss daran die Entwicklung eines neuartigen, mit der Innovationslogik im Einklang stehenden Erklärungsansatzes regionalen Innovationsverhaltens erforderlich.

4. „Systemansatz der Innovation“: Inputlogik auf zweiter Ebene Der in den letzten Jahren viel beachtete „Systemansatz der Innovation“ wird von seinen Vertretern als ein neuartiger theoretischer Weg zur Erklärung technologischer Innovationen und wirtschaftlichen Wachstums in nationaler, regionaler oder auch sektoraler Hinsicht gesehen. Das erklärte Ziel dieses Ansatzes ist, den systemischen Charakter des Innovationsprozesses herauszustellen. Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, dass der Innovationsprozess hoch komplex ist und durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird. Demnach agieren innovative Unternehmen bzw. Unternehmer fast nie in vollständiger Isolierung, sondern arbeiten immer mit anderen Organisationen zum Zwecke der Aneignung und Entwicklung von Ressourcen, Informationen und Wissen zusammen. Folglich kann die Erklärung von Innovationsprozessen nicht über die Betrachtung einzelner Unternehmen, sondern

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nur über ein Verständnis der Struktur und Funktionsweise von Innovationssystemen gelingen. Dabei sind zu den Organisationen, die den Innovationsprozess von Firmen beeinflussen, nicht nur andere Firmen (Zulieferer, Abnehmer, Wettbewerber, etc.), sondern auch staatliche Apparate, Universitäten und Ausbildungsstätten, öffentliche und private FuE-Labors, Forschungsinstitute, Banken und Venture CapitalUnternehmen sowie intermediäre (halb-öffentliche) Organisationen wie Handelskammern, Verbände, Gewerkschaften usw. zu zählen. Aber auch der Systemansatz der Innovation ist, trotz seiner als überaus positiv zu bewertenden Fokussierung auf Institutionen als Wachstumsfaktor, letztlich als inputlogisch einzustufen und unterliegt damit ähnlichen Problemen wie die neoklassische Inputlogik. Wie ist das zu begründen? Zwei (bereits bekannte) Antworten liegen


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auf der Hand: Erstens, die institutionellorganisatorische Vielfalt von Regionen transformiert sich nur dann in mehr Innovation, Wachstum und Beschäftigung, wenn der mit ihr verbundene Ressourcenreichtum auch tatsächlich innovativ genutzt wird. Von einer Zwangsläufigkeit ist hier jedoch keinesfalls auszugehen.15 Zweitens, es fehlt dem Systemansatz der Innovation an einer überzeugenden Erklärung für die Entstehung innovationsfördernder institutioneller Bedingungen in rückständigen Regionen. Aufgrund des Fehlens einer solchen „dynamischen Institutionentheorie“ mit schöpferischen Unternehmern in der Hauptrolle bleiben aber die folgenden – gerade aus wirtschaftspolitischer Sicht – sehr bedeutsamen Fragen unbeantwortet: Welche Faktoren und Prozesse sind in Regionen für die Etablierung und Weiterentwicklung einer innovationsfördernden institutionellen Infrastruktur verantwortlich? Wie kommen Regionen überhaupt zu „vorteilhaften“ institutionell-organisatorischen Strukturen? Wieso tun sich wachstumsschwache Regionen in der Regel so schwer, wenn es um die Übernahme bzw. Imitation „institutioneller Erfolgsfaktoren“ anderer Regionen geht?

Es wird deutlich, dass auch im Systemansatz der Innovation entgegen anders lautender Rhetorik Innovationen und schöpferische Unternehmer weder Ausgangspunkt noch treibende Kraft im regionalen Entwicklungsprozess, sondern lediglich „Ausdruck“ von institutionellen Gegebenheiten sind, auf deren Entstehung und Evolution sie selbst keinen Einfluss haben. In diesem Sinne verfällt auch der Systemansatz der Innovation (wenn auch auf einer zweiten Ebene) den „Verlockungen“ inputlogischen bzw. unternehmerlosen Wachstumsdenkens. Dieses theoretische Defizit zeigt sich in der förderpolitischen Praxis. So spielen seit einigen Jahren verschiedene „institutionelle Förderinstrumente“ nicht nur im Rahmen der in Ostdeutschland praktizierten Strukturpolitik eine (finanziell) gewichtige Rolle (z.B.: Förderung von regionalen Innovationsnetzwerken, Wachstumskernen oder lokalen Produktionsclustern). Hier wie anderswo in der Welt zeigt sich aber, dass eine gezielte wirtschaftspolitische Förderung von Netzwerken und Clustern selten funktioniert. Offensichtlich fehlt das Wissen über die Faktoren und Prozesse, die hinter der Entstehung und Evolution von vernetzten Regionen ste-

15 Durch eine „institutional thickness“ (Amin/Thrift 1994, S. 14) zeichnen sich gerade wirtschaftlich rückständige Organisationen aus, ohne dass dadurch mehr Innovations- und Entwicklungsdynamik zu beobachten wäre. Ein besonders gutes und empirisch leider relevantes Beispiel dafür sind die zuvor bereits angesprochenen ungenutzten Wachstumspotentiale des deutschen Hochschulsystems; siehe dazu ausführlich Aßmann (2003, Kapitel 6).

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hen. Wenn dem aber so ist, dann besteht die Gefahr, dass „…business networks, intended as an instrument of economic development, become another fad in the tool kit of governments con-cerned with job creation and social welfare“ (Staber 1996, S. 23). Für eine erfolgreichere „institutionellen Förderpolitik“ ist es notwendig, die institutionelle Bedingungen wirtschaftlich erfolgreicher Innovationssysteme nicht mehr als ein in ihrer Entstehung und Evolution selbst nicht erklärten „Input“, sondern als das emer-

gente Produkt der das Innovationssystem ausmachenden Akteure zu begreifen. Es gilt also die regionalen Prozesse der Etablierung, Aufrechterhaltung und Evolution von innovationsfördernden institutionellen Strukturen systematisch auf die Aktivitäten schöpferischen Unternehmertums zurückzuführen. Im Folgenden wird ein theoretisches Konzept vorgestellt, das die geforderte Endogenisierung von Institutionen (= Deutung institutioneller Strukturen als „Produkt“ schöpferischen Unternehmerverhaltens) in sich trägt.

5. Innovationssysteme als „autopoietische“ Systeme: Regionales Wachstum ohne Ressourcenzufuhr von außen Das Autopoiese-Konzept hat seinen Ursprung in den Arbeiten der Neurobiologen Maturana und Varela (1979, 1982, 1987). Die beiden Wissenschaftler haben sich mit folgender Frage auseinandergesetzt: „Was ist allen lebenden Systemen gemeinsam, und was veranlasst uns, sie als ‘lebendig’ zu bezeichnen?“ (Maturana/Varela 1982, S. 181). Ziel ihrer Arbeiten ist, die Organisation des Lebendigen offen zu legen und insbesondere den einheitlichen Charakter lebender Systeme zu identifizieren. Das Ergebnis ihrer Forschungen lautet, dass lebende Systeme als autopoietische Systeme (griech. autos = selbst; poiein = machen,

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produzieren) zu begreifen sind. Autopoiese hat die fortgesetzte Produktion und Reproduktion der Elemente eines Systems durch das System selbst zum Inhalt (Maturana/Varela 1982, S. 186). In Hinblick auf die Frage, wie die autopoietische Rekonstruktion von regionalen Innovationssystemen aussehen könnte, ist die Vergegenwärtigung der von Maturana vorgeschlagenen Definition eines autopoietischen Systems hilfreich. Demnach ist ein autopoietisches System „…ein Netzwerk der Produktion von Komponenten. Diese Komponenten erzeugen durch ihre Interaktionen wiederum


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dasselbe Netzwerk der Produktion, das sie selbst erzeugte und die Grenzen des Systems festlegte. Wenn das zutrifft, hat man es mit einem autopoietischen System zu tun“ (Maturana 1990, S. 39). In enger Anlehnung an diese Definition lässt sich ein autopoietisch-operierendes regionales Innovationssystem wie folgt definieren, wenn a)lokale schöpferische Unternehmersysteme als die Komponenten regionaler Innovationssysteme und b)die institutionellen Gegebenheiten einer Region als das „Netzwerk der Produktion“ aufgefasst werden: Ein regionales Innovationssystem ist ein Netzwerk der Produktion von lokalen schöpferischen Unternehmersystemen. Diese erzeugen durch ihre wettbewerblichen und kooperativen Interaktionen die institutionellen Bedingungen (die institutionelle Infrastruktur eine Region), das sie selbst erzeugte und die Grenzen des Systems festlegte. Wenn das zutrifft, hat man es mit einem autopoietischen System zu tun.

Aus dieser Definition lassen sich zumindest vier weitreichende Schlussfolgerungen ziehen: Erstens, das „Autopoietische“ eines regionalen Innovationssystems offenbart sich in der fortlaufenden Reproduktion der schöpferischen Unternehmerfunktion mit der folgenden zirkularen Kausalität: Lokale schöpferische Unternehmersysteme, zu begreifen als die Bestandteile regionaler Innovationssysteme, produzieren durch auf spezifische Weise verkettete Prozesse, d.h. durch wechselseitige Interaktionen, exakt wieder die Bestandteile des Systems, also sich selbst .16 Entsprechend manifestiert sich die Autopoiese regionaler Innovationssysteme in ei-nem Co-Innovationsprozess, bei dem Innovationen zur zentralen Quelle weiterer Innovationen werden. Mit der Formel „Innovationen produzieren Innovationen“ (Röpke 2002, S. 214) bzw. – wenn auf die Träger von Innovationen abhebend – „schöpferische Unternehmer produzieren schöpferische Unternehmer“ lässt sich folglich die autopoietische Operationsweise von regionalen Innovationssystemen umschreiben.

16 Dies impliziert aber nicht, dass es in regionalen Innovationssystemen zur Reproduktion der spezifischen Akteure, also der das System zu einem bestimmten Zeitpunkt ausmachenden lokalen Unternehmersysteme kommt. Vielmehr leben autopoietisch-operierende Innovationssysteme von der schöpferischen Zerstörung von Innovationen und ihren Trägern, denn „…das Innovationssystem reproduziert … nicht seine spezifischen Akteure, (sondern; J.A.) erfordert vielmehr ihren Untergang, um sich zu erhalten. Gerade dadurch erhält es Unternehmertum in seiner innovativen Funktion“ (Röpke 2002, S. 225). Folglich ist die Gefahr der schöpferischen Zerstörung wesentliche Triebkraft für Unternehmen, innovative Produkte und Verfahren hervorzubringen. Erst der (wirtschaftliche) Tod macht Unternehmen erfinderisch.

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Zweitens, dieser Co-Innovationsprozess kommt nur dann zum Tragen, wenn das Konzept des schöpferischen Unternehmers wesentlich weiter gefasst wird als bei Schumpeter. Diese Forderung nach einer stärkeren Differenzierung des schöpferischen Unternehmertyps gründet darauf, dass der von Schumpeter vornehmlich thematisierte realwirtschaftliche Unternehmer zwingend auf eine Reihe von Innovationsvorleistungen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen und damit auf andere Typen schöpferischen Unternehmertums angewiesen ist. Demnach gewinnt schöpferisches Finanz- und Netzwerkunternehmertum genauso an Bedeutung für regionale Innovationsprozesse wie etwa wissenschaftliches, institutionelles, administratives und politisches Unternehmertum. Drittens, es wird deutlich, dass es die lokalen schöpferischen Unternehmer selbst sind, die durch ihre Interaktionen das „Netzwerk der Produktion“, sprich die innovationsfreundlichen institutionellen Kontextbedingungen, ausbilden und erhalten und damit genau das „produzieren“, wovon ihre eigene Reproduktion bzw. die Reproduktion der von ihnen eingenommenen unternehmerischen Funktion der Innovation abhängt. Innovationsfördernde institutionelle Bedingungen (etwa: lokale Unternehmensnetzwerke, unternehmerfreundliche Verwaltung, effektive

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Innovationsförderung durch bspw.Wirtschaftsförderung, etc.) sind mit anderen Worten Ergebnis institutioneller Innovationen, welche per definitionem wiederum von schöpferischen Unternehmern durchzusetzen sind. Und schließlich, viertens, verweist die Definition darauf, dass andere Typen von Unternehmertum, etwa der Routine-Unternehmer, der Arbitrageur oder auch der unproduktive Rent Seeker (siehe dazu Baumol 1987), aufgrund ihrer andersartigen unternehmerischen Funktionen keine Komponenten des regionalen Innovationssystems werden können, also vom Innovationssystem ausgeschlossen sind. Es lässt sich an dieser Stelle festhalten: Im Rahmen der vorgeschlagenen autopoietischen Deutung von regionalen Innovationssystemen verbleiben schöpferische Unternehmer eindeutig im Zentrum der regionalen Innovations- und Entwicklungsdynamik. Es handelt sich um ein Modell der Selbstorganisation, das regionales Wirtschaftswachstum eindeutig als ein durch lokale schöpferische und institutionelle Unternehmer verursachtes Phänomen deutet. Die zentralen Aspekte, durch die sich autopoietischoperierende regionale Innovationssysteme auszeichnen, werden im und durch das System selbst hergestellt. Sie entspringen der endogenen Opera-


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tionsweise dieser Systeme, wobei dies gleichermaßen für die Komponenten (schöpferische Unternehmer), für das „Netzwerk der Produktion“ (institutionell-organisatorische Kontextbedingungen einer Region) wie auch für den Zugang von Innovatoren zu Finanzkapital (Finanzinnovatoren finanzieren realwirtschaftliche Unternehmer) zutrifft. Und schließlich sind auch die von schöpferischen Unternehmersystemen benötigten Produktionsfaktoren, d.h. die im Rahmen der neoklassischen Theorie als „Inputs“ bezeichneten Ressourcen, im Innovationssystem entweder bereits vorhanden, oder werden den Routine- oder Arbitragesystemen mittels des den Innovatoren im Innovationssystem zur Verfügung gestellten Finanzkapitals entzogen: „Woher kommen also Inputs? Sie werden im System durch die Struktur innovativer Prozesse selbst erzeugt. Schöpferische Zerstörung setzt Produktionsfaktoren frei“ (Röpke 2002, S. 221). Wenn aber alles, was eine Region zum Wachstum braucht, im regionalen Innovationssystem selbst geschaffen wird, dann ist Ressourcenzufuhr von außen weder notwendige noch hinreichende Bedingung für regionales Wirtschaftswachstum. Regionale Innovationssysteme sind wie alle autopoietischen Systeme inputlos. Was heißt das? Während bei inputdeterminierten

Systemen äußere Einflüsse ein wesentliches Erklärungsmoment dafür sind, was mit dem System geschieht, welches Verhalten bzw. welchen Output es zeigt, zeichnen sich lebende Systeme dadurch aus, dass ihre Systemdynamik einzig und alleine von internen Faktoren abhängt. Folglich besteht die Gefahr, dass massive Kapitalinfusionen zum „Wohle“ wirtschaftlich rückständiger Regionen die nur in diesen Regionen selbst zu entfaltende Innovationsund Entwicklungsdynamik nachhaltig unterminiert. Für den italienischen Mezzogiorno sind die Zeichen einer solchen Überförderungspolitik aufgrund der vergleichsweise langen Förderperiode bereits deutlich erkennbar und oft thematisiert (siehe u.a Arlacchi 1989, Fadda 1992, Florio 1996). Es drängt sich folgende Frage auf: Ist ein ähnliches Szenario auch für Ostdeutschland zu erwarten, wenn am Kapitalfundamentalismus festgehalten wird? Davon ist auszugehen, wenn keine nachhaltige Kurskorrektur der ostdeutschen Förderstrategie vorgenommen wird. Bevor am Schluss dieses Beitrags näher auf einige Eckpunkte einer innovationslogisch-konsistenten Förderstrategie für die neuen Länder eingegangen wird, gilt es im Folgenden einen in Wissenschaft und Politik gleichermaßen diskutierten regionalen Erfolgsfall, nämlich das so genannte „Dritte Italien“, einmal

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etwas genauer zu betrachten. Es gilt dabei aufzuzeigen, dass hier (aber nicht nur hier!) das Schumpetersche Entwick-

lungsparadigma eine überaus tragfähige Erklärung des wirtschaftlichen Erfolgs von Regionen anzubieten hat.

6. Wachstumsregion „Drittes Italien“: Eine Interpretation aus innovationslogischer Sicht Beim „Dritten Italien“ (Bagnasco 1977) handelt es sich um diejenige Region Italiens (Emiglia Romagna, Venetien und bedingt die Toskana), die sich nach dem Zweiten Weltkrieg von der ärmsten zur wachstumsträchtigsten und damit mittlerweile reichsten Region „gemausert“ hat und sich dabei als ein dritter Wirtschaftsraum neben dem industrialisierten Nord-Westen (Mailand, Turin) und dem unterentwickelten Süden (Mezzogiorno) etablieren konnte. Die in dieser Region liegenden Industriedistrikte haben sich als ideale Brutstätten für junge Unternehmen erwiesen, weswegen die Arbeitslosigkeit in Richtung natürliche Arbeitslosenquote (2-3 %) tendiert, das Einkommensniveau der Bevölkerung hoch und die Verschuldung der Kommunen vergleichsweise sehr gering ist. Was aber nun ist so interessant am Phänomen „Drittes Italien“? Fünf Beobachtungen sind aus innovationslogischer Sicht besonders von Bedeutung: Erstens, Wachstum wurde ohne Kapitalinfusion realisiert. Der rasante wirt-

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schaftliche Aufstieg dieser Region nach dem Krieg ist nicht auf massive Kapitalinfusionen von außen zurückzuführen. Eher das Gegenteil war der Fall. Aufgrund der Tatsache, dass die Lokalregierungen zumeist kommunistisch, die verschiedenen Zentralregierungen in Rom hingegen bis Anfang der neunziger Jahre fast durchgängig christdemokratisch waren, wurde den Regionen des „Dritten Italien“ systematisch der Geldhahn zugedreht. Fördergelder flossen statt dessen reichhaltig in den Mezzogirono, wo es Wählerstimmen zu gewinnen galt. Fehlende Förderung von außen bedeutete aber zwangsläufig, dass eigene Lösungen gefunden werden mussten. Der Innovationsdruck war groß. Ein Grund sicherlich dafür, dass gerade im „Dritten Italien“ seitens Politik,Verwaltung, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Wissenschaft usw. sehr effektive, besonders auf kleine und mittlere Unternehmen fokussierende Innovationsvorleistungen (Serviceleistungen, Kollektivgüter und Produktionsfaktoren wie z.B. qualifiziertes


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Humankapital) erbracht wurden. Es zeigt sich somit: Inputwachstum aus eigener Kraft ist ein erster Erfolgsgarant dieser Region. Zweitens, auch ohne Spezialisierung auf High-Tech ist wirtschaftliche Prosperität möglich. Im Gegensatz zu Silicon Valley oder anderen Wachstumsregionen der Welt (Boston Route 128, München Martinsried, Cambridge) beruht der Erfolg nicht auf hochtechnologischen Produkten oder auf dem Wirken von „global playern“. Vielmehr zeichnet sich das „Dritte Italien“ durch seine Spezialisierung auf „etablierte“ Produkte aus, die aber das nachhaltige Potential für „kleinere“ (inkrementale) Innovationen in sich tragen (z.B. Keramik, Schuhe, Textilien, Maschinenbau, etc.). Drittens,Wachstum wurde durch „kollektive Effizienz und Effektivität“ ermöglicht. In Anbetracht der überwältigenden Dominanz von teilweise extrem kleinen Unternehmen im Wertschöpfungsprozess und der gleichzeitigen Spezialisierung auf „etablierte“ Branchen stellt sich im Hinblick auf die Lohnkostenvorteile von Schwellenländern die berechtigte Frage nach den eigentlichen Wurzeln des Erfolgs. Einhellige Meinung unter Wissenschaftlern ist, dass der wirtschaftliche Erfolg der industriellen Distrikte nicht über die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Unternehmen erklärt werden kann. Vielmehr

gründet er auf der räumlichen Verdichtung kleiner und mittlerer Unternehmen sowie der zwischen diesen bestehenden wettbewerblichen und vor allem kooperativen Beziehungsmuster. Insbesondere dieser „blend between competition and cooperation“ (Brusco 1982, S. 169) verleiht industriellen Distrikten insgesamt ein großes Maß an Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Innovationsdynamik und damit an kollektiver Effizienz und Effektivität. Damit aber werden institutionelle Kontextinnovationen zu einem weiteren Erfolgsfaktor im „Dritten Italien“. Viertens, regionales Wachstum ist ohne institutionelles und Netzwerkunternehmertum undenkbar. Die zuvor für so wichtig befundenen institutionellen Kontextinnovationen implizieren, dass institutionelles und Netzwerkunternehmertum im „Dritten Italien“ (genauso übrigens wie in allen anderen Wachstumsregionen der Welt) eine Schlüsselrolle gespielt haben müssen. Ohne dies an dieser Stelle nachweisen zu können (siehe dazu Aßmann 2003, Kap. 4 bis 6), offenbart sich auch im „Dritten Italien“ bei genauerer Betrachtung eine Wachstumskausalität, welche sich gravierend von der Aussage des Systemansatzes der Innovation unterscheidet: Nicht innovationsfördernde institutionelle Strukturen, sondern die Fähigkeit lokaler

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Akteure zur Etablierung, Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung derselben, stellt die eigentliche („letzte“) Ursache regionaler Entwicklung dar.17 Und schließlich, fünftens, wurde Wachstum auf der Basis autopoietischer Finanzierungskreisläufe realisiert. Innovations- und Gründungsfinanzierung stellt aufgrund der bekannten Risikoproblematik in vielen Regionen ein großes Problem dar. Nicht so im „Dritten Italien“ und anderen Wachstumsregionen der Welt. Diese Regionen zeichnen sich dadurch aus, dass finanzinstitutionelle Gegebenheiten existieren, die Innovatoren den dringend benötigten Zugang zu Finanzkapital ermöglichen. Von einem autopoietischen Finanzierungskreislauf lässt sich dabei aus zweierlei Gründen sprechen: Erstens, derartige finanzinstitutionelle Bedingungen sind Ergebnis des Handelns von (zumeist lokalen) schöpferischen Finanzunternehmern. Zweitens, es zeigt sich nicht nur in den industriellen Distrikten, sondern in allen Wachstumsregionen der Welt, dass das Innovatoren

zur Verfügung gestellte Finanzkapital zum überwiegenden Teil in diesen Regionen selbst „gesourct“ wird, also nicht von außen hineinströmt .18 Die Ausführungen zum Erfolgsfall „Drittes Italien“ haben gezeigt, dass es durchaus einen Wachstumspfad jenseits externer Kapitalinfusion und High-Tech gibt. Um diesen Weg allerdings gehen zu können, bedarf es lokaler schöpferischer Unternehmer in allen gesellschaftlichen Subsystemen (Wirtschaft, Politik, Finanzierung, Verwaltung und Wissenschaft), die durch ihre Aktivitäten eine sich selbst tragende Innovationsdynamik in Gang setzen und aufrechterhalten. Diesen auf vielen Schultern verteilten regionalen Innovations- und Entwicklungsprozess zu induzieren, ist zentrale Aufgabe regionaler Strukturförderung. Wie regionale Strukturförderung in Ostdeutschland zukünftig ausgerichtet sein muss, um den Selbstorganisationsprozess regionalen Wirtschaftswachstums auf die Sprünge zu helfen, ist Thema des nächsten und zugleich letzten Abschnittes dieses Beitrags.

17 So zeigt sich am Beispiel des von vielen rückständigen Regionen herbeigesehnten institutionellen Phänomens „regionales Innovationsnetzwerk“, dass dieses nicht wie „Manna vom Himmel fällt“, sondern immer nur dort entstehen kann, wo a) ein aus Innovationsaktivitäten resultierender Bedarf an Vernetzung besteht und gleichzeitig b) Akteure über die erforderlichen unternehmerischen Kompetenzen verfügen, um enge und vertrauensvolle Netzwerkbeziehungen aufzubauen. Was ist die Lehre daraus: Nicht Netzwerke bedingen Innovationen, sondern Innovationen bedingen Netzwerke. 18 Besonders deutlich wird dies bei einer genaueren Betrachtung der Bedeutung von Venture Capital für den Wachstumserfolg im Silicon Valley: In den 80er und 90er Jahren wurden fast 90% des weltweiten Venture Capitals an Unternehmen in Silicon Valley vergeben, wobei ca. 90% der investierten Mittel aus der Region selbst stammten.

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7. Endogene Entwicklung von Regionen: Strukturförderung in Ostdeutschland aus innovationslogischer Sicht Die überaus ernüchternde Zwischenbilanz zum Thema „Aufbau Ost“, die die Expertengruppe um Klaus von Dohnanyi gezogen hat, führte bereits zu einer Reihe von wirtschaftspolitischen Vorschlägen, um die Effektivität und Effizienz in der Förderung der Neuen Länder maßgeblich zu erhöhen. Es ist jedoch fraglich, inwieweit die bislang unterbreiteten Vorschläge dem geäußerten Anspruch auf einen radikalen Kurswechsel in der Förderpolitik Ostdeutschlands tatsächlich gerecht werden. Zweifel sind angebracht, denn der verabschiedete Solidarpakt II mit einem Fördervolumen von 156 Mrd. €, die geforderte Errichtung einer Sonderwirtschaftszone mit niedrigen Steuersätzen, die angestrebte zielgenaue Förderung von Industrieansiedlungen, die vorgeschlagene Umwidmung von Infrastrukturmittel auf wachstumsrelevante Investitionen oder auch die Forderung nach mehr Investitionen in wirtschaftsnahe Forschung lassen deutlich erkennen, dass die Inputlogik nach wie vor das

wirtschaftspolitische Denken aller politischen Parteien dominiert .19 Wodurch aber zeichnet sich ein alternatives, der Innovationslogik des Wachstums folgendes regionales Förderkonzept für die Neuen Länder aus? Eine schnelle und einfache Antwort darauf zu geben ist an dieser Stelle nicht möglich. Dies deswegen, weil es im Gegensatz zur Inputlogik kein Patentrezept (ein Mehr an Input führt zwangsläufig zu einem Mehr an Output) gibt, sondern in jeder ostdeutschen Region und Kommune eigene Antworten auf teilweise sehr individuelle, an den konkreten Ort gebundene Problemlagen gefunden werden müssen. Es gilt also bei der Formulierung einer innovationslogischen Förderstrategie den Grundsatz zu berücksichtigen, dass effektive Innovationsförderung selbst eine hoch innovative Angelegenheit darstellt. Begreift man aber Innovationsförderung als unternehmerische Leistung, dann ist es zumindest möglich, einige grundlegende Prinzipien zu formulieren, denen eine „innovationslo-

19 Aber auch andere Vorschläge lassen keinen wirklich neuen Denkansatz erkennen. Die Konzentration der Wirtschaftsförderung auf so genannte „Wachstumskerne“ (ein in der Wirtschaftsgeographie seit langem bekanntes, aber für wirtschaftspolitisches Handeln bislang wenig hilfreiches Konzept) stellt genauso wenig die Inputlogik in Frage wie bspw. die vorgeschlagenen Lohnkostenzuschüsse im Niedriglohnsektor, die längerfristige Steuerbefreiung von Unternehmen für garantierte Arbeitsplätze oder die Nutzung von Liegenschaften des Bundes zur Firmenansiedlung. Und schließlich: Auch die Forderung, Aufbau-Milliarden nicht mehr für Toilettenhäuschen mit Reetdach, Spaßbäder, Radwege oder für granitbelegte Bahnsteige (Der Spiegel 2004a), sondern für „handfeste Industrieansiedlungen“ zu verwenden, kritisiert weniger die inputlogische Förderpolitik an sich als vielmehr die Ineffizienz ihrer Umsetzung.

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gische Ostförderung“ zu gehorchen hat. Dieser Beitrag schließt mit der näheren Erläuterung dieser vier Prinzipien und deren auf die Problemlage Ostdeutschlands. Auf diesem Wege zeichnet sich zumindest in Umrissen das Bild einer neuen Förderstrategie, die sich nachhaltig von der bisherigen unterscheidet.

a.Prinzip der endogenen Förderung Wird regionale Innovations- und Entwicklungsdynamik als ein sich selbst organisierender Prozess gedeutet, dann muss regionale Strukturpolitik immer in der Region selbst erfolgen. Wenn zudem davon auszugehen ist, dass eine innovationsorientierte regionale Strukturpolitik einer autopoietischen Logik zu gehorchen hat („Innovatoren produzieren Innovatoren“ bzw. „Innovationsförderung ist selbst unternehmerisch“), dann lässt sich auf einer „höheren“ Ebene doch noch eine Möglichkeit zur Fremdsteuerung von regionalen Selbstorganisationsprozessen identifizieren: Strukturpolitik in Ostdeutschland muss bei den politisch-handlungsrechtlichen Unternehmern „vor Ort“ die Bereitschaft und Fähigkeit zur effektiven Förderung regionalen schöpferischen Unternehmertums erhöhen. Es gilt also die politisch-handlungsrechtlichen Akteure

durch wirtschaftspolitische Weichenstellungen einem größeren Innovationsdruck auszusetzen, sie also stärker als bislang für erfolgreiche/wenig erfolgreiche Innovationsförderung zu belohnen bzw. zu bestrafen.20 Im vollen Gegensatz zum derzeit praktizierten Kapitalfundamentalismus ist es dem Prinzip der endogenen Förderung zufolge zwingend erforderlich, (zumindest schrittweise) die derzeit sehr umfangreichen Transferleistungen zwischen West und Ost zurückzufahren, um bei gleichzeitig stärkerer finanzpolitischer Verantwortung der Kommunen und Regionen den institutionellen Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften und damit die Suche nach eigenen Problemlösungen zu intensivieren. Nur dadurch wird gewährleistet, dass ostdeutsche Regionen und Kommunen eigene effektive Förderansätze für regionale Innovations- und Entwicklungsprozesse finden. Um es nochmals zu betonen: Das Prinzip der endogenen Förderung propagiert eine völlige Abkehr vom Kapitalfundamentalismus. Schade nur, dass ein solch einschneidender Richtungswechsel im „Aufbau Ost“ politisch nicht durchsetzungsfähig sein dürfte. Wenn er dennoch kommt, dann ist das der desolaten Finanzlage des Bundes, der

20 Dies entspricht einem Plädoyer für die möglichst weitgehende Abkehr direkter regionalpolitischer Einflussnahme durch Akteure, die nicht dem regionalen Innovationssystem angehören, zugunsten einer indirekten „Steuerung“ bzw. Förderung von lokalen politischen Akteuren.

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Länder und Kommunen sowie die EUOsterweiterung, die zu einer Umlenkung der vorhandenen Mittel in die noch ärmeren neuen Beitrittsländer führen wird, zu verdanken.

b. Prinzip der selektiven Förderung Ein zweites, autopoietische Wirtschaftspolitik leitendes Prinzip ist das der selektiven Förderung. Es ist aus entwicklungstheoretischer Sicht unverzichtbar, zwischen verschiedenen Typen von Unternehmertum und deren jeweiligen Beiträgen zur Entwicklungsdynamik von Regionen zu unterscheiden. Wenn davon auszugehen ist, dass Unternehmer nicht gleich Unternehmer ist, dann bedeutet dies für eine innovationsorientierte Regionalpolitik folgendes: Sämtliche wirtschaftspolitischen Maßnahmen gilt es dahingehend zu überprüfen, ob sie tatsächlich schöpferisches Unternehmertum und nicht andere, weniger entwicklungsrelevante Formen unternehmerischen Verhaltens fördern. Erforderlich ist also eine eindeutige Konzentration regionalpolitischer Maßnahmen auf die Förderung von innovativen Unternehmen und Neugründungen. Gerade die fehlende Differenzierung unternehmerischen Verhaltens zeichnet dafür verantwortlich, dass „gängige“ Elemente regionaler Strukturpolitik oft nur diffus, auf die

gesamte unternehmerische Population einer Region bezogen „wirken“ und damit sogar kontraproduktive Effekte auf innovatives Verhalten nach sich ziehen. Am deutlichsten wird dies anhand der stattgefundenen Milliardensubventionen in Form von Investitionszulagen oder im Rahmen der „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Das eigentliche Problem dieser beiden Instrumente ist aus innovationslogischer Sicht aber nicht deren Ineffizienz, also der Umstand von massenhaften und den Zorn des westdeutschen Steuerzahlers heraufbeschwörenden Fehlinvestitionen im Osten (siehe dazu Spiegel 2004b), sondern die damit zwangsläufig einhergehende selektive Förderung von nichtinnovativen Investitionen. Wie ist das zu erklären? Investitionszulagen und -zuschüsse werden zu Recht nur dann ausgereicht, wenn die Gesamtfinanzierung eines Investitionsvorhabens steht. In Anbetracht der Finanzierungsproblematik innovativer Gründungsvorhaben und der eindeutigen Präferenz des Bankensystems für scheinbar „sichere“ Investitions- und Ansiedlungsvorhaben kann nicht verwundern, dass von den Fördermilliarden vornehmlich Routine-Unternehmen, Arbitrageure und zum Teil auch unproduktive Unternehmer im Sinne von Baumol (1987) profitiert haben.

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Ganz ähnlich verhält es sich bei sämtlichen öffentlichen Darlehensprogrammen, die bekanntermaßen nur über Hausbanken beantragt werden können und aufgrund von deren Einschätzungsproblematik innovativer Investitionen zu einer Kanalisierung der Mittel an nicht-innovative Unternehmen geführt hat. Aber auch die immer wieder zu hörende Forderung nach einer Kostenreduktion des Produktionsfaktors Arbeit, sei es durch eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, durch niedrige Tarifabschlüsse oder durch Senkung der Lohnnebenkosten, ist eine Förderpolitik, die aus innovationslogischer Sicht deswegen nicht wirklich überzeugen kann, weil a) davon in erster Linie diejenigen Unternehmen profitieren, die in einem Preis- und Kostenwettbewerb stehen und somit wenig innovativ sind, b) in Anbetracht der Osterweiterung der EU das Lohnniveau in Ostdeutschland immer weiter gesenkt werden müsste, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft zu sichern, und weil c) in langfristiger Sicht hohe Lohnkosten den „Druck im Innovationskessel“ erhöhen und damit Unternehmen zu Produktinnovationen zwingen würden. Es zeigt sich somit: Regionale Strukturförderung in Ostdeutschland folgt zwar dem Prinzip der selektiven Förderung, hat dabei aber die „falschen“

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Unternehmertypen im Fokus vieler Maßnahmen. Wenn aber schöpferische Unternehmer die eigentlichen Träger der regionalen Innovations- und Entwicklungsdynamik sind, dann könnte bereits das „Rückgängigmachen“ bestehender Maßnahmen als indirekte Förderung schöpferischen Unternehmertums angesehen werden. Damit liegt allerdings noch keine „positive Ausformulierung“ von Strategien und Maßnahmen vor, die explizit auf die Förderung schöpferischen Unternehmertums abzielen. Um hier weiter zu kommen, ist eine regionale Theorie schöpferischen Unternehmerverhaltens erforderlich, auf die an dieser Stelle aber nicht mehr eingegangen werden kann.

c. Prinzip der ganzheitlichen Förderung Entsprechend der Überlegungen zur autopoietischen Operationsweise regionaler Innovationssysteme sind regionale Entwicklungsprozesse das Ergebnis von Co-Innovationsprozessen verschiedener Typen schöpferischen Unternehmertums. Ohne das Zusammenspiel realwirtschaftlichen, finanziellen, wissenschaftlichen oder auch politisch-administrativen Unternehmertums kommt kein endogenes Wirtschaftswachstum zustande. Folglich muss es der regionalen Strukturpolitik in Ostdeutschland auch um eine ganz-


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heitliche Förderung lokalen Unternehmertums gehen, wenn sie in Zukunft erfolgreicher sein will. Nicht mehr alleine investive Maßnahmen gilt es zu fördern, sondern vor allem auch finanzielle und institutionelle Innovationen. Im Hinblick auf politisch-administratives Unternehmertum muss dafür gesorgt werden, dass politischer Erfolg sich nicht mehr am Umfang der widerfahrenen öffentlichen Förderung ohne Berücksichtigung der konkreten Projektinhalte definiert. Neben der Verringerung der Kapitalinfusion ist die Einführung von Wettbewerbsföderalismus mit Sicherheit ein probates Mittel, um die Innovationsdynamik im politisch-handlungsrechtlichem System zu erhöhen und dadurch die Qualität des Angebots an „öffentlichen Innovationsvorleistungen“ zu verbessern. In Anbetracht der eklatanten Schwierigkeiten von Banken, Förderbanken und auch formellen Beteiligungsgesellschaften, im Zuge der „early stageFinanzierung“ von innovativen Gründungsvorhaben eine zentrale Rolle zu spielen, ist nach angelsächsischen Vorbild etwa durch Änderungen in der Steuergesetzgebung dafür zu sorgen, dass Privatinvestoren sich dieses Themas auch in Deutschland verstärkt

annehmen und damit ihren Beitrag zur Innovationsdynamik zu leisten vermögen.21 Und schließlich gilt es auch die Wachstumspotentiale des Wissenschaftssystems (nicht nur im Osten!) zur vollen Entfaltung kommen zu lassen. Aber bitte nur nicht auf inputlogischem Wege, denn auch die Transformation in eine unternehmerische, also gegenüber Innovationshandeln offenen Universität lässt sich nicht durch zusätzliche Inputs, sondern nur durch die Entfaltung unternehmerischer Initiative innerhalb von Universitäten erreichen.

d.Prinzip der unternehmerischen Kompetenzförderung Aufgrund dessen, dass unternehmerische Kompetenz unverzichtbar ist, um Zutritt zum autopoietisch-operierenden regionalen Innovationssystem zu erlangen (Kompetenz als „Eintrittskarte ins Innovationssystem“), und folglich als zentrale, für die Entwicklung regionaler Innovationssysteme unverzichtbare Energiequelle fungiert, repräsentiert unternehmerische Kompetenzförderung ein viertes grundlegendes Prinzip autopoietischer Wirtschaftspolitik.Viel gäbe es zu diesem Thema sagen (siehe dazu aber ausführlich Röpke 2002), besonders

21 Die immens wichtige Rolle, die Business Angels in der Frühphasenfinanzierung von innovativen Neugründungen und damit für wirtschaftliches Wachstum in Ländern wie den USA, England oder auch Finnland spielen (siehe zur Relevanz privaten Investitionskapitals Aßmann 2003, S. 269ff), hat auch damit etwas zu tun, dass dort Investitionen in junge Firmen steuerlich wesentlich besser behandelt werden als es in Deutschland der Fall ist.

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wichtig aber erscheint eines: Da unternehmerische Kompetenz weit mehr umfasst als reines, etwa im Studium oder in einer anderen Berufsausbildung zu erwerbendes Fachwissen, ist es dringend erforderlich, in jedweder Ausbildung den Fokus verstärkt auf die Vermittlung von solchen Schlüsselqualifikationen zu legen, die für die erfolgreiche Umsetzung neuen Wissens und neuer Ideen unverzichtbar sind (etwa Lern- und Sozialkompetenz, Empathie, Kommunikationsfähigkeit, Vision, Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung, etc.). Wenn hier keine Umorientierung stattfindet, wird Deutschland insgesamt, besonders aber auch Ostdeutschland, dauerhaft im internationalen Innovationswettbewerb hinterherhinken bzw. keine Rolle spielen.

Welches Entwicklungsszenario wartet nun also auf Ostdeutschland? Die Ausführungen haben deutlich gemacht, dass das Wirksamwerden des „Münchhausen-Effekts“, so wie er vom innovationslogischen Wachstumsparadigma auch für Ostdeutschland nahe gelegt wird, in erheblichen Maße von der praktizierten Förderstrategie abhängt. Nur wenn es gelingt, die endogenen Innovationskräfte zur Entfaltung kommen zu lassen, wird sich Deutschland einen zweiten Mezzogiorno ersparen können. Dass das Freisetzen dieser Kräfte – wie zuvor gezeigt wurde – eher durch förderpolitische Bescheidenheit denn durch Prasserei zu erreichen ist, lässt in Anbetracht zunehmend leerer öffentlicher Kassen für die Zukunft hoffen.

Jörg Aßmann Diplom-Volkswirt, promovierte zum Thema „Innovationslogik und regionales Wirtschaftswachstum: Theorie und Empirie autopoietischer Innovationsdynamik“. Referent für Existenzgründung und Innovationsförderung bei der Wirtschafts- und Innovationsförderung Salzgitter GmbH.

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Das Gespenst des Mezzogiorno

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Wirtschaftspolitik in Brandenburg Probleme und Perspektiven Von Esther Schröder

„Das Vergangene können wir nicht zurückrufen; über die Zukunft sind wir eher Meister, wenn wir klug und gut sind.“ Johann Wolfgang von Goethe

1. Einleitung Schatten und Licht, Abschwung und Aufschwung, schrumpfende und wachsende Wirtschaft liegen im Land Brandenburg dicht beieinander. Die Entwicklung ist nicht frei von Widersprüchen und schon gar nicht folgt sie einem Modell traditioneller Wirtschaftstheorie. Wie in den anderen ostdeutschen Bundesländern auch, generierten Milliardenbeträge aus Fördertöpfen der Europäischen Union (EU) und des Bundes oder gar ein vermeintlicher Standortvorteil niedriger Löhne eine insgesamt nur unzureichende Wirtschaftskraft. Schaut man sich einzelne Regionen und Branchen an, ist schnell zu erkennen, dass die Wirtschaftspolitik des Landes in den zurückliegenden dreizehn Jahren mit Erfolgen und Misserfolgen aufwartet. In den wirtschaftlich schwachen Regionen läuft die „Abstimmung mit den Füßen“ wieder auf Hochtouren. Brandenburgerinnen und Brandenbur-

ger verlassen ihr Land und ziehen den Ausbildungs- und Arbeitsplätzen hinterher. Zukunft bedeutet so vor allem für die Jüngeren wieder zunehmend ein Stück weit das Aufgeben von Herkunft. Umso schwerer wiegen in Zeiten von Rekordarbeitslosigkeit und angespannter Haushaltslage Fehlentscheidungen in der Wirtschaftsförderung. Das gilt für die falsche Einschätzung über Förderfähigkeit eines Investitionsvorhabens und die daraus resultierende Verschwendung knapper öffentlicher Mittel. Schwer wiegt jedoch auch die Nichtverfügbarkeit verlorener Gelder für andere, Erfolg versprechende Projekte oder für Investitionsvorhaben, die heute (noch) in keine Förderrichtlinie passen. Arbeitsmarkt-, Investitions- und Innovationsförderung gehören auf den Prüfstand – wie von führenden Wirtschaftsforschungsinstituten längst gefordert. Alle Förderinstrumente müssen

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auf Zielgenauigkeit und Wirksamkeit überprüft werden und dies nicht nur durch die extern verordnete Halbzeitbilanz der EU-Förderperiode. Nein, in Landesverantwortung selbst muss gehandelt werden. Wir müssen das Bedürfnis entwickeln, den Sinn und Unsinn jeder einzelnen Förderrichtlinie und der darin enthaltenen Kriterien zu hinterfragen. Eröffnen sie Spielräume zur Gestaltung eigener, landesbezogener Rahmenbedingungen, die auf die Möglichkeiten und Erfordernisse staatlicher Eingriffe zugeschnitten sind? Ausgehend von diesen Überlegungen seien den nachfolgenden Ausführungen zehn Thesen vorangestellt.

bilanzdefizit des Landes zu verringern, geschweige denn durch Überschüsse aufzuheben. Das heißt: wir sind bis heute in Brandenburg noch immer nicht in der Lage mehr zu produzieren, als wir im Land verbrauchen.

These 3: Unser noch immer relativ hohes Wohlstandsniveau wird in den kommenden Jahren sinken, wenn es uns nicht gelingt, die Wirtschaftskraft aus den vorhandenen landeseigenen Potenzialen heraus zu entwickeln und durch neue Produkt- und Prozessinnovationen erheblich zu stärken.

These 4: These 1: Trotz wachsender Arbeitslosigkeit und schrumpfender Wirtschaft, trotz geringer Finanzkraft öffentlicher Haushalte leben wir in Brandenburg auf einem hohen Wohlstandsniveau. Dieses basiert jedoch nur zur Hälfte auf eigener Kraft. Ohne die hohen Transferzahlungen der Europäischen Union, des Bundes und der westdeutschen Länder ließe sich dieser Lebensstandard in Brandenburg nicht aufrechterhalten.

Die Wirtschaftspolitik des Landes hat – trotz Subventionen in Milliardenhöhe – in den zurückliegenden Jahren in zu geringem Maße Innovationen in der Wirtschaft befördert. Zu einem großen Teil flossen Fördermittel in innovationsarme Wirtschaftsstrukturen. Produktund Prozessinnovationen sind in der Brandenburger Wirtschaft – bei positiven Ausnahmen – bis heute nicht vorherrschend. Die Entwicklung einer forschungsintensiven Industrie steckt in Brandenburg in den Anfängen.

These 2: Die Innovationskraft der Brandenburger Wirtschaft ist bis heute noch immer zu gering, um das Leistungs-

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These 5: Hohe Wachstumsraten sind heute vornehmlich über die Entwicklung for-


Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven

schungsintensiver Industrien zu erreichen. Die Entwicklung innovationsorientierter Unternehmen ist in Brandenburg – trotz positiver Wachstumskerne – noch nicht ausreichend. Wir brauchen erheblich mehr Unternehmensgründungen im Bereich der Spitzentechnologien.

These 6: Wirtschaftspolitik kann in den kommenden Jahren nur dann Rahmenbedingungen als Basis für regionales Wirtschaftswachstum setzen, wenn sie sich in der gesamten Breite auf die wirkungsvolle Umsetzung von Innovationen in Markterfolge orientiert. Effizienz, Zielgenauigkeit und Wirksamkeit von Wirtschaftsförderung ist daher stärker an der Innovationsfähigkeit und an den Innovationsergebnissen geförderter Wirtschaftsprojekte zu messen. Wirtschaftsförderung ohne Beachtung des Innovationsaspektes ist reine Geldverschwendung.

These 7: Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Forschung sind unverzichtbare Standortfaktoren für regionales Wirtschaftswachstum auf der Grundlage von Innovationen. Sie müssen zur Erweiterung des vorhandenen Wissens und für die Entwicklung neuer Anwendungen, verbesserter Produkte und

Dienstleistungen, Produktionsprozesse oder Fertigungsverfahren beitragen.

These 8: Die Wirtschaftspolitik des Landes war in den zurückliegenden Jahren zu wenig auf landesweit spürbare Innovationsergebnisse ausgerichtet, zu wenig auf Effizienz, Zielgenauigkeit und Wirksamkeit. Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen verkommen als zentrale Zielstellungen ohne Beachtung wirtschaftlicher Innovation mehr und mehr zur Etikette einer Klientelpolitik.

These 9: Wirtschaftsförderung in Brandenburg entzieht sich zunehmend einer volkswirtschaftlichen Sicht. Fehlallokationen und Rationalisierungseffekte werden von der Politik bei der Berechnung von Arbeitsmarkteffekten durch Wirtschaftsförderung vernachlässigt. Vor allem mangelt es an einer Strategie, an denen Förderprogramme, Landesrichtlinien sowie regions- und branchenspezifische Subventionen neu auszurichten sind.

These 10: Die Neuausrichtung von Wirtschaftspolitik beginnt mit der Einsicht, dass Wirtschaftsförderung nach dem „Gießkannenprinzip“ ein untaugliches

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Instrument für die Zukunftsgestaltung in Brandenburg ist. Unabdingbare Voraussetzung einer Wirtschaftspolitik neuen Typs, die sich auf Schwerpunkte

konzentriert, ist eine nach Regionen gegliederte umfassende ehrliche ISTAnalyse vorhandener und förderfähiger Potenziale im Land.

2. Arbeit, Wirtschaft, Finanzen – wo stehen wir? (i) Arbeit Der Brandenburger Adler, der sich Anfang der neunziger Jahre so stolz in die Lüfte schwang, befindet sich im Sinkflug und droht abzustürzen, wenn es keinen Auftrieb gibt. Die wirtschaftliche Entwicklung im Bundesland Brandenburg trägt nicht – insbesondere leistet sie keinen spürbaren Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Im Jahr 2003 verzeichneten wir im Land die höchste Arbeitslosigkeit seit der deutschen Wiedervereinigung. Am Ausmaß der Arbeitslosenzahl muss sich aber letztlich Erfolg oder Misserfolg von Wirtschaftspolitik messen lassen – dies ist und bleibt der entscheidende Erfolgsindikator. Bei den Brandenburger Arbeitsämtern wurden 2003 im Jahresdurchschnitt 252.918 Arbeitslose registriert, 6,4 % mehr als im bisherigen Brandenburger Rekordjahr 2003 (237.831) und 16 % mehr als 1997, dem bundesdeutschen Rekordjahr (218.148).1 Nimmt 1

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man das Bundes-Negativ-Rekordjahr 1997 als Basis und vergleicht damit die Situation 2003, dann ist festzustellen, dass in zehn Ländern weniger und in sechs Ländern mehr Arbeitslose registriert wurden. Bei diesen sechs Ländern mit negativer Entwicklung handelt es sich neben Brandenburg um Bayern, Schleswig-Holstein, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Auch die Struktur der Arbeitslosigkeit hat sich seit 1997 verändert. In Brandenburg waren vom Anstieg der Arbeitslosigkeit Männer stärker betroffen als Frauen – in keinem der anderen fünfzehn Bundesländer stieg die Zahl arbeitsloser Männer so stark wie in Brandenburg. Dagegen nahm die Zahl arbeitsloser Brandenburgerinnen leicht ab. Seit 2003 liegt der Frauenanteil nicht mehr über dem Männeranteil. Deutlich über dem Schnitt der ostdeutschen Länder liegt die Zunahme der Zahl jugendlicher Arbeitsloser. Trotz hoher Abwanderung junger

Vgl. laufende Monatsstatistiken „Presseinformationen zum Arbeitsmarkt“ der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Berlin-Brandenburg sowie Analysen des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e.V.


Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven

Menschen stieg die Zahl Arbeitsloser unter 25 Jahren um 41 %. Dagegen liegt Brandenburg bei der Abnahme der Arbeitslosigkeit von Älteren ab 55 Jahren leicht über dem Durchschnitt der ostdeutschen Länder. Dass Arbeitslosigkeit aber in Brandenburg zunehmend ein Problem der mittleren Altersgruppen ist, zeigt der starke Anstieg der Zahl Arbeitsloser unter 55 Jahren, in Brandenburg um 31,1 %. Sowohl die Absolutzahlen, als auch der Anteil von Langzeitarbeitslosen unter den Arbeitslosen, der die 40 %-Marke längst überschritten hat, zeigen auch den besorgniserregenden Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit .2 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) trugen in den letzten Jahren auch im Land Brandenburg immer weniger zur Entlastung bei, die Rückführung von Beschäftigung am zweiten Arbeitsmarkt erfolgte in Brandenburg jedoch weniger stark als in anderen Ländern Ostdeutschlands. Wenn wir über Langzeitarbeitslosigkeit, also dauerhafte Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt und Beschäftigungssystem reden, dann reden wir immer häufiger von Menschen, die über mehrere Jahre hinweg ununterbrochen erwerbslos und Arbeit suchend sind, 2 3

zum Teil seit 1990. Oder wir reden von so genannten Maßnahmekarrieren, Biographien, die über Jahre durch mehrere Phasen der Arbeitslosigkeit sowie Phasen von beruflicher Fortbildung, Umschulung und öffentlich geförderter Beschäftigung ohne die erhoffte (Wieder-) Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt gekennzeichnet waren. Diese Entwicklungen ziehen andere Entwicklungen nach sich, die auch in Brandenburg nicht mehr zu übersehen sind: Anstieg von privater Verschuldung, Kinderarmut, Altersarmut .3 Diese hier exemplarisch benannten Negativtendenzen wachsen sich zu großen beschäftigungs-, sozial- und finanzpolitischen Problemen aus, die nur mit wirtschaftlichem Aufschwung und einer beschäftigungswirksamen Wirtschaftsförderung zu lösen sind.

(ii) Wirtschaft Die beste Arbeitsmarkt-, Sozial- und Finanzpolitik können nicht richten, was unzureichende Wirtschaftsentwicklung und verfehlte Wirtschaftspolitik anrichten. Zwar ist auch die Brandenburger Arbeitsmarktbilanz dem wirtschaftlichen Konjunkturverlauf in Deutschland und der allgemeinen Strukturkrise in Ostdeutschland geschuldet. Sie ist

Offizielle Definition „Langzeitarbeitslose“: Zahl der Arbeitslosen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits länger als ein Jahr arbeitslos sind. Vgl. aktuellen Sozialbericht des Brandenburger Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen (MASGF) „Sozialpolitik im Überblick 2003“.

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aber auch hausgemacht, nicht zuletzt durch eine verfehlte und ineffiziente Landeswirtschaftspolitik in den letzten fünf Jahren. In der öffentlichen Wahrnehmung richtete sich diese vordergründig auf Prestigeprojekte, die fehlschlugen, weil die Konzepte wirtschaftlich und finanziell nicht tragfähig waren und sich wirtschaftspolitisches Wunschdenken über jede Wirtschaftslogik hinwegsetzte. Böses Erwachen ereilte Ende des Jahres 2003 eine Region, ein ganzes Land nach dem Scheitern des Projektes einer Chipfabrik in Frankfurt (Oder), nicht nur, weil hier öffentliche Fördergelder in Höhe von etwa 100 Millionen € in den märkischen Sand gesetzt wurden, sondern weil Brandenburg mit diesem Scheitern eines weiteren Großprojektes bundesweit zum Aushängeschild für gescheiterte Wirtschaftspolitik per se avanciert. Noch ist nicht ausgemacht, wodurch dem Land Brandenburg ein höherer Schaden entsteht: durch die immensen wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen in der Vergangenheit oder durch den negativen Ruf, der wie ein Klotz am Bein hängt und in Zukunft seriöse Ansiedlungsprojekte von vornherein verhindern könnte. Doch zunächst zu den Fakten: Hier gibt es widersprüchliche Einschätzungen. Die aktuelle Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) scheint

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das Negativimage Brandenburgs zu bestätigen. Die brandenburgische Wirtschaft schrumpft, wie in den Vorjahren auch. Laut Angaben des „Arbeitskreises Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“ sank das BIP 2003 preisbereinigt zum Vorjahr um 0,7 %. Der Wert der wirtschaftlichen Gesamtleistung lag damit bei rund 41,9 Milliarden €. Schlechter als Brandenburg stehen das Saarland mit minus einem und Mecklenburg-Vorpommern mit minus 1,7 % da. Mehr Optimismus hinsichtlich einer in Gang gekommenen Gestaltung des Strukturwandels in Brandenburg verbreitet dagegen die EU-Statistik im Rahmen jüngster Rechnungen um Fördergelder aus Brüssel und zur Einordnung der Fördergebiete nach dem Jahr 2006. Die Berechnung selbst basiert auf Daten von 2001. Danach verzeichnet Brandenburg nach Sachsen das zweithöchste Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vergleich der ostdeutschen Länder. Nach diesen Daten rangiert das Land mit 67,0 % des europäischen Mittelwertes unter den neuen Bundesländern hinter Sachsen (67,3), aber vor Thüringen (66,2), Mecklenburg-Vorpommern (65,9) und Sachsen-Anhalt (65,4). Die Brandenburger Ergebnisse werden insbesondere durch die überdurchschnittliche Entwicklung im Südwesten des Landes bestimmt.


Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven

Der Südwesten Brandenburgs bildet neben Sachsen die wirtschaftsstärkste Region in den ostdeutschen Ländern mit 79,3 % der durchschnittlichen EUWirtschaftskraft. Brandenburg wird nach Auffassung der Wissenschaftler im Ländervergleich durch seine schwache Wachstumsdynamik zurückgeworfen. Sollte das Land nicht bald zur wirtschaftlichen Entwicklung anderer Länder aufschließen können, drohe ein weiteres Zurückfallen im Standortwettbewerb. „Noch ist es aber nicht so weit, die Region ist nach wie vor reich an Chancen, und eine entschlossene Politik kann Brandenburg wieder aufschließen lassen. Deutlich wahrnehmbare Kurskorrekturen, die zu einem Stimmungsumschwung führen und eine Aufbruchstimmung entstehen lassen, sind hierfür erforderlich.“ 4 Die politischen Akteure im Land müssen selbst Kreativität und Innovation entfalten, um zielorientierte und machbare Lösungsvorschläge anbieten und umsetzen zu können. Wichtig ist, aus Fehlern der Vergangenheit wirklich Schlüsse im wirtschaftspolitischen Denken und Handeln zu ziehen.

(iii) Finanzen Der demographische Wandel und seine Auswirkungen auf die gesell-

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schaftliche Entwicklung haben für alle ostdeutschen Länder große Auswirkungen. Das hohe Leistungsniveau des Sozialstaates kann unter den Voraussetzungen eines heute schon hohen und künftig noch wachsenden Anteils Nichterwerbstätiger an der Bevölkerung nicht aufrechterhalten werden. Die Folge ist, dass die öffentlichen Haushalte inzwischen chronisch unterfinanziert sind und Politik immer weniger agieren bzw. nur mehr noch reagieren kann. Der „Fortschrittsbericht Aufbau Ost“ des Landes Brandenburg, der zuletzt für das Jahr 2002 vorgelegt wurde, enthielt widersprüchliche Feststellungen und Angaben. Einerseits hieß es, dass die empfangenen Mittel den gesetzlichen Vorgaben entsprechend verausgabt wurden. Andererseits gingen die Aufwendungen für Investitionen in den letzten Jahren kontinuierlich zurück. Für die „Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen“ (SoBez) ergab sich in der Verwendungsrechnung für Brandenburg daher ein negativer Saldo mit Blick auf eine zweckgemäße Verwendung der Gelder. Wurden laut Bericht bis 2000 jährlich etwa 80 % der SoBez für Investitionen aufgewendet, so waren es 2001 noch 71 %, 2002 noch 42 %. Der nega-

Vgl. Studie Bertelsmann Stiftung 2003: Länderanalyse Brandenburg (detaillierte Version auf CD-ROM).

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tive Finanzierungssaldo sei durch Einnahmeausfälle bei Steuern und steuerinduzierten Einnahmen verursacht worden, hieß es im Bericht. Hieraus entstand – m.E. zu Unrecht – der Vorwurf, Solidarpaktmittel seien anstelle von Investitionen zum Stopfen der Haushaltslöcher zweckentfremdet verwendet worden. Der Abbau teilungsbedingter Sonderlasten und der Ausgleich der kommunalen Finanzschwäche sei einer zweckgemäßen Verwendung jedoch hinzuzurechnen, erklärte demgegenüber das Finanzministerium völlig korrekt. Jährlich fließen rund 1,4 Milliarden € Solidarpakt-Mittel in den 10-Milliarden Haushalt von Brandenburg. Bis zum Jahr 2019 wird das Land 30 Milliarden € vom Bund und von den „alten“ Ländern erhalten. Wie das Geld ausgegeben wird, entscheidet zwar die Regierung in Potsdam, zugleich aber sind die Bundesmittel zweckgebunden. Mit ihnen sollen Investitionen in die zu DDR-Zeiten vernachlässigte Infrastruktur finanziert werden, um den Rückstand gegenüber dem Westen aufzuholen. Das bereits hoch verschuldete Land Brandenburg, das jährlich rund 800

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Millionen € für Zinsen und Tilgung zahlt, nimmt zur Zeit Kredite im Umfang von mehr als einer Milliarden € auf, wodurch die Spielräume für Investitionen zukünftig erheblich eingeschränkt werden. Diese können nur vergrößert werden, wenn es den Brandenburger Unternehmen, Gemeinden, Städten und Regionen gelingt, in noch viel stärkerem Maße als bisher Güter und Dienstleistungen mit dem Ziel zu „exportieren“. Es muss im Fazit also klar gesagt werden: Das Wohlstandniveau in Brandenburg ist derzeit nur über hohe Transferleistungen der Europäischen Union, des Bundes und der westdeutschen Länder zu sichern. Ziel einer aktiven Wirtschaftspolitik kann und muss es aber sein, ein hohes Wohlstandsniveau auf der Basis von Innovationsfähigkeit der eigenen Wirtschaft zu gründen. Von diesem Ziel sind wir insgesamt noch weit entfernt. Es gibt inzwischen aber auch eine Reihe von neuen wirtschaftlichen Entwicklungen in Brandenburg, die uns – trotz einer insgesamt ungünstigen Ausgangslage – mit Mut in die Zukunft blicken lassen.


Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven

3. Strukturwandel als Herausforderung an eine aktiv gestaltende Wirtschaftspolitik Der Strukturwandel, wie er seit nunmehr 13 Jahren Brandenburgs Wirtschaftslage charakterisiert, wird wesentlich durch die Kräfte des Marktes vorangetrieben. Zu einer aktiven Gestaltung dieses Strukturwandels gibt es keine Alternative. Politiker und Planer dürfen dabei den Dialog mit der Öffentlichkeit über die – aufgrund von Demographie und Abwanderung – neuen Situation nicht scheuen. Die Dynamik negativer städtebaulicher Entwicklungen ist mancherorts besorgniserregend. Zunehmender Leerstand durch Abwanderungen und die demographischen Folgen der Nachwendejahre führen zur Schließung von Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen, Sport-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Stilllegungs- und Rückbaumaßnahmen werden dabei von vielen Menschen oft auch als Abbau sozialer Standards empfunden. Aktuell entzünden sich z.B. viele Debatten an der aufgrund des starken Rückgangs von Schülerzahlen notwendigen Schließung von Schulen. Doch die Reaktion auf den demographischen Wandel ist unabdingbar und eröffnet auch Chancen zu mehr Qualität statt Quantität. Die durch eine negative wirtschaftliche Dynamik beschleunigten Bevölk-

erungsverluste haben aber nicht nur Einfluss auf die Auslastung sozialer, sondern auch auf die Wirtschaftlichkeit und Funktionsfähigkeit von technischen Infrastruktursystemen, die sich aus dem Rückgang des Verbrauchs bzw. Anfalls von Wasser, Abwasser und Fernwärme ergibt. Viele der hierfür erforderlichen Systeme wurden Anfang der 1990er Jahre erneuert und zwar aufgrund von Prognosen, die sich auf die zurückliegenden Jahre stützten. Viele Anlagen aber entsprechen heute nicht mehr den Nachfragerealitäten und sind überdimensioniert. Auch im öffentlichen Nahverkehr werden vielerorts durch den Rückgang der beförderten Personen die Grenzen der Wirtschaftlichkeit unterschritten. Die Folge nicht nachfragegerechter und damit überdimensionierter Infrastruktursysteme sind immer größer werdende und immer schwerer beherrschbare Differenzen zwischen Einnahmen und Kosten. Die Systemkosten steigen noch durch die Erfordernisse erhöhter Betriebskosten für Instandhaltung und des Rück- bzw. Umbaus der technischen Infrastruktur. Hieraus ergeben sich für die kommenden Jahre erhebliche Probleme, deren Lösungen im politischen Raum oft nicht durchsetzbar sind.

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Die Brisanz der Problemlage liegt in den starken Interdependenzen zwischen wirtschaftlicher Entwicklung, Bevölkerungsdynamik sowie regionalen und kommunalen Handlungsspielräumen. Der Abbau von Arbeitsplätzen sowie der Rückgang der Bevölkerung führen zu niedrigeren Steuereinnahmen. Diese wiederum verringern öffentliche Investitionen. Damit fällt ein Teil der Nachfrage für die regionalen Unternehmen aus. Die Infrastrukturentwicklung stagniert. Es entsteht ein Teufelskreis aus negativen Treibern der Wirtschaftsentwicklung. Die politische Aufgabenstellung liegt damit auf der Hand: Es gilt, diese negative Dynamik durch eine aktive Wirtschaftspolitik zu durchbrechen. Teufelskreis aus negativen Treibern der Wirtschaftsentwicklung

Negative Wirtschaftsdynamik

Negative Bevölkerungsdynamik

Abnahme öffentl. Investitionen

Geringes Steueraufkommen

Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen aber auch: Betriebsschließungen, strukturelle Arbeitslosigkeit, Rückgang der Kaufkraft, Rückbau der Infrastruktur,

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Verschlechterung der Standortqualität können nur in einem eng begrenzten Maße und dann auch nur für eine begrenzte Zeit durch eine sich dagegen stemmende Arbeitsmarktpolitik aufgehalten werden. Eine solche Politik entlastet zwar, schafft aber keine ausreichend neuen Wachstumsquellen. Standortnachteile können nicht wegdiskutiert, Standortvorteile aber können gestärkt werden. Es geht hier also um ein Wechselspiel der Kräfte und im Anspruch einer sozialdemokratischen Politik vor allem um die Stärkung positiver Kräfte, um mit ihnen den negativen Trends „eines blinden Marktes“ sozial ausgleichend entgegenzuwirken. Vier Grundprozesse kennzeichnen auch in Brandenburg die wirtschaftliche Entwicklung in Zeiten des Strukturwandels: 1. der Rückbau „alter“, von der Entwicklung überholter Industrien, 2. der Aufbau bzw. die Stärkung innovativer „neuer“ industrieller Wachstumskerne, 3. die Re-Industrialisierung altindustrieller Regionen sowie 4. eine Renaissance damit verbundener mittelständischer Betriebe. Wenn es gelingt, diese vier Prozesse durch eine aktive Wirtschaftspolitik und verbesserte Rahmenbedingungen pro-


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duktiv miteinander zu verbinden, dann wandelt sich der Strukturwandel in Brandenburg von einem Schreckgespenst in einen ganz normalen Vorgang, der mit Intelligenz, Verstand und Vernunft auch politisch beherrschbar ist. In einer auf Innovation und Wachstum orientierten Wirtschaftsförderung müssen wir allerdings sehr klar zwischen Hochtechnologien, mittleren und innovationsarmen Technologien unterscheiden. Es kann in den nächsten Jahren nicht darum gehen, Unternehmen und Wirtschaft – egal auf welchem technologischen Niveau – zu fördern.Wirtschaftsförderung für innovationsarme Technologien führt in der Regel nicht zu den beabsichtigten Zielen. Durch die Produktion von Massengütern im Niedriglohnsektor können wir unseren relativen Wohlstand für die Zukunft nicht sichern. Nur wenn wir in einer globalisierten Welt Waren und Dienstleistungen auf wissenschaftlich-technologisch hohem Niveau herstellen, werden sich auch hohe Preise für angebotene Produkte und Dienstleistungen realisieren lassen. Effizienz, Zielgenauigkeit und Wirksamkeit von Wirtschaftsförderung müssen sich stärker als bisher auf Innovationen, Technologien und Wachstum richten. Alles andere führt zu Ineffizienz, Zielverfehlung und Unwirksamkeit von Wirtschaftsförderung. Aus Fehlern der Vergangenheit

müssen wir endlich die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen. Der Blick auf die Brandenburger Innovationsstandorte ist jedoch ermutigend. Innovationsorientierung und Innovationsergebnisse haben sich hier vor allem in der Industrie verbessert. Viele Firmen leisten inzwischen im Verbund mit Brandenburger Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen Spitzenforschung in wichtigen Technologiefeldern und setzen die Produkte und Ergebnisse ihrer Forschungen mit wachsendem Erfolg auf internationalen Märkten ab. Innovative Unternehmen haben in Brandenburg inzwischen auch einen wachsenden Anteil am Unternehmensbestand einzelner Regionen. Sie bilden den Kern regionaler Netzwerke mit erheblichen Wachstumspotenzialen. Doch dieser innovative Unternehmenssektor ist in Brandenburg insgesamt noch immer viel zu klein ist, um Motor für eine positive Wirtschaftsentwicklung des ganzen Landes zu sein. Damit die forschungsintensive Industrie in Brandenburg aber deutlich stärker wächst als bisher, müssen die hierfür notwendigen Fördermittel auch tatsächlich in diesen Bereich geleitet werden. Die diesbezügliche Bilanz der zurückliegenden Jahre ist in keiner Weise zufrieden stellend. So lag das Investitionsvolumen für Forschung und Technologie in Branden-

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burg im Zeitraum von 1999 bis 2003 bei lediglich 2,6 % aller Förderausgaben der Landesinvestitionsbank. Doch zur forschungsintensiven Industrie zählen Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, deren FuE-Aufwendungen mehr als 3,5 % des Umsatzes betragen. Nur diese Unternehmen können in der Wertschöpfung, beim Auslands- und Gesamtumsatz stärker zulegen als alle anderen Unternehmen. Die hier sichtbar unzureichenden Förderausgaben des Landes erklären also, warum der forschungsintensive Industriesektor in Brandenburg noch immer nicht zum Beschäftigungsmotor für das ganze Land geworden ist. Neben Großbetrieben, die aus ihrem Vermögen dazu eher in der Lage sind, muss ein hoher Anteil mittelständischer Unternehmen in breiterem Umfang als bisher selbst oder im Verbund mit Wissenschaftseinrichtungen Forschung und Entwicklung betreiben und erhebliche betriebliche Ressourcen für Innovationen einsetzen. So können, neben bereits existierenden, neue regionale Innovationssysteme entstehen, die in der Wirtschaftsförderung stärkere Beachtung finden sollten. Solche Kooperationen bieten die Möglichkeit, die Kosten für die Entwicklung und Einführung neuer Pro5

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dukte und Verfahren zu senken,Wissen zu bündeln und so zu neuen Ideen für Innovationen zu kommen. Insbesondere auch im Bereich der Existenzgründungen ist eine Umorientierung in der Wirtschaftsförderung erforderlich. Die auch hier immer knapper werdenden Mittel müssen auf Gründungen mit größten Wachstumschancen konzentriert werden. Gründungen in konsumnahen Dienstleistungsbereichen oder im Baugewerbe sind keine Wachstumsmotoren, während Gründungen in forschungs- und wissensintensiven Bereichen in den kommenden Jahren einen besonderen Schwerpunkt der Wirtschaftsförderung in der Region bilden sollten. Wesentlich stärker ist künftig der Blick auf Start-up-Unternehmen zu richten. Bei der Gründungshäufigkeit von Know-How-Unternehmen liegt Brandenburg aktuell nicht an führender Stelle. Es gibt deutliche Defizite bei den gründungsrelevanten Rahmenbedingungen, wie z.B. eine qualitativ unzureichende Existenzgründungsberatung der Zukunftsagentur Brandenburg (ZAB) und anderer Anbieter.5 Doch auch Bildung und Ausbildung als Standortfaktoren müssen berücksichtigt werden. Die Förderung von Kreativität, Selbständigkeit und Eigen-

Vgl. Studie Stiftung Warentest 2003: Hier wurden im Vergleich mehrerer Bundesländer die Existenzgründerberatung der Zukunftsagentur Brandenburg (ZAB) als nur mittelmäßig bis niedrig eingestuft.


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initiative sollte schon im Kindesalter beginnen, damit sich nach Schule, Ausbildung und Studium Gründungsideen und -fähigkeiten entwickeln können. Eine innovative Wirtschaftsförderung sollte deshalb folgende Ziele haben: Überwindung einer traditio-

nellen Wirtschaftsstruktur, Konzentration der Investitionsausgaben auf innovations- und wachstumsorientierte Unternehmen, Umorientierung von Bildung und Ausbildung sowie ein kreatives Umfeld für Gründerinnen und Gründer.

4. Die Fehler der Vergangenheit Zur Herbeiführung eines wirtschaftspolitischen Kurswechsels in Brandenburg bedarf es nicht nur des klaren Blicks nach vorn, sondern vor allem eines ehrlichen Blicks zurück auf die Fehler der Vergangenheit. Wir haben insbesondere in den Jahren der laufenden dritten Legislaturperiode (1999-2004) wertvolle Zeit verloren – konservative Klientelpolitik und Prestigedenken ließen keinen Raum für erneuerte, moderne Wirtschaftspolitik. Dabei sei bereits an dieser Stelle betont, dass die Trennlinie zwischen gescheiterter und erfolgreicher Wirtschaftspolitik nicht zwangsläufig zwischen Investitionsförderung von Großprojekten auf der einen und Investitionsförderung von klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) auf der anderen Seite verläuft. Die Trennlinie verläuft nicht zwingend zwischen groß und klein, sondern zwischen wirtschaftlich tragfähigen und wirtschaftlich nicht tragfähigen Konzepten. Dass es hier

immer auch Risiken gibt, ist selbstverständlich – nur muss müssen politische Entscheidungsträger in der Lage sein, kompetent Risiken und Chancen abzuwägen, um dann entsprechend der auf Wirtschaftslogik basierenden Gewichtung Fördergelder zu bewilligen oder aber auch zu versagen. Diese Prozesse werden derzeit in Brandenburg nicht beherrscht. Aus Fehlern der Vergangenheit lernen, wäre der erste Schritt einer Politik der vielen Schritte, die sich auf eigene Stärken und auf die Entwicklung vorhandener Potenziale im Land Brandenburg konzentriert.

(i) Die Chipfabrik in Frankfurt (Oder) als Beispiel für verfehlte Subventionspolitik im Großen Am 7. Februar 2001, dem Tag, an dem erstmals öffentlich Vertreter des Landes Brandenburg und Vertreter einer Betreiberfirma namens „Communicant Semiconductor Technologies AG“

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(Communicant) den Bau einer Chipfabrik am Standort Frankfurt (Oder) bekannt gaben, begann eine in der deutschen Wirtschaftspolitik wohl einmalige Geschichte: reich an geschürten Hoffnungen, leeren Versprechen, politischem Wunschdenken, politischer Erpressbarkeit, Politikversagen auf Seiten der Exekutive und Legislative aber vor allem reich an auseinanderdriftenden und widerstreitenden wirtschaftlichen Interessen. Etwa drei Jahre später, am 27. November 2003, endete dieses traurige Kapitel Brandenburger Wirtschaftsförderung. Der Erfolg blieb aus; das Projekt einer Chipfabrik in Frankfurt (Oder) brach wie ein Kartenhaus zusammen, weil es finanziell und wirtschaftlich zu keiner Zeit auf einem tragfähigen Fundament stand. Dabei begann alles sehr zuversichtlich. Die Idee jedenfalls war gut – eine in Ostdeutschland entwickelte Hochtechnologie in enger Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft zu nutzen, um vor Ort Arbeitsplätze, wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand zu schaffen. Warum aber funktionierte diese Kette in der Umsetzung nicht? Angekündigt wurde das Vorhaben seinerzeit als das größte ostdeutsche

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Investitionsprojekt mit einem Investitionsvolumen von 3,15 Milliarden DM und der Schaffung von 1.500 direkten und nochmals „mehreren tausend“ indirekten Arbeitsplätzen. Kein Superlativ fehlte: „Durchbruch für die Brandenburger Technologiepolitik“, „ein Investitionsvorhaben mit erheblicher internationaler Beachtung“, „Brandenburg spielt in der Weltliga der Hochtechnologie“. 6 Der Produktionsstart der Chipfabrik in Frankfurt (Oder) war für das erste Quartal 2003 geplant. Angesichts der dargestellten Beschäftigungslage brach eine durchaus verständliche Euphorie aus. Eine Region, ein ganzes Land klammerte sich an die Hoffnung, dass die Großinvestition mit einer gehörigen Portion staatlichen Engagements auf einen Schlag tausende Arbeitsplätze schafft. Hinter der Geschäftsidee verbarg sich die Herstellung von Chips für mobile Verbindungen mit dem Internet, indem zwei Chips auf einem vereint wurden. Eine vom Institut für Halbleiterphysik (IHP) Frankfurt (Oder) patentierte Technologie sollte mit einer von Intel bereitgestellten Technologie zusammengeführt werden. Im Februar 2001 erklärte Communicant, das bei Bedarf „auf dem Gelände spä-

Pressestatements des damaligen Brandenburger Wirtschaftsministers, Dr. Wolfgang Fürniß (CDU), der im November 2002 wegen einer Millionenzahlung für private Zwecke aus Dubai, einem Mitinvestor des Projektes, vom Amt zurücktreten musste.


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ter noch zwei weitere Chipfabriken errichtet werden“ 7 könnten. Außerdem wurde mitgeteilt, dass die Finanzierung der Drei-Milliarden-Investition „weitgehend gesichert“ sei.„Über 50 % würden durch private Investitionen – unter anderem aus den Vereinigten Arabischen Emiraten – abgedeckt. Der Rest der Mittel komme von Land, Bund und EU sowie über Bankkredite.“ 8 Mit dieser Finanzierungsstrategie ging Ex-Wirtschaftsminister Fürniß (CDU) in das Kabinett und in den Landtag und versprach vollmundig von Monat zu Monat, von Quartal zu Quartal die Beantwortung noch offener Finanzierungsfragen. Doch in allen drei Finanzierungssäulen (Eigenkapital, Fremdkapital, Fördergelder) klafften riesige Lücken. Dennoch: immer wieder dieselben optimistischen Töne in den Landtagsausschüssen für Wirtschaft und Finanzen. „Weitere Technologiepartner werden dem Konsortium beitreten. Entsprechende Verhandlungen seien bereits relativ weit gediehen“ – leere Worte, die durch nichts gedeckt waren. Communicant, jene künstlich geschaffene Firma, die vom Landeswirtschaftsministerium unter Beteiligung des Marktführers der Chipbranche

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Intel und dem Frankfurter Institut für Halbleiterphysik (IHP) gegründet wurde, suchte mühevoll private Investoren zur Schließung der Eigenkapitallücke. Das Wirtschaftsressort unterzeichnete ein Kooperationsabkommen mit der Regierung des Emirates Dubai, in dem sich das Emirat verpflichtete, „im erheblichen Umfang“ in die geplante Fabrik zu investieren. Später wurde Dubai Mitgesellschafter von Communicant – dafür erhielt Dubai die vertragliche Zusage eines weitreichenden Technologie- und Wissenschaftstransfers und die Genehmigung zum Bau einer Zweitfabrik in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Weitere Gesellschafter fanden sich nicht. Intel machte den eigenen Anspruch frühzeitig klar: „Wir werden nicht Mehrheitsaktionäre und auch nicht die unternehmerische Führung übernehmen.“ 9 Banken, wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank, bemühten sich in weltweiter Suche vergebens um Fremdkapitalgeber und stiegen nach wenigen Monaten aus dem Projekt aus. Dies war ein deutliches Warnsignal dafür, dass sich das Projekt offensichtlich schlicht und einfach nicht nach betriebswirtschaftlichem

Zitat des damaligen Vorstandsvorsitzenden der Betreiberfirma Communicant, Dr. Klaus Wiemer. Aus diversen Pressemitteilungen im Februar 2001. Zitat Mike Splinter, Vize-Präsident von Intel.

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Kalkül rechnete. Gewinnerwartungen überstiegen offenbar bei weitem nicht die hohen Risiken. Dafür hätte die Frage in den Mittelpunkt rücken müssen, warum die öffentliche Hand ein Risiko eingehen sollte, wenn private Investoren das Risiko scheuen? Allein mit dem Argument „Schaffung von Arbeitsplätzen“ wurde Politik zunehmend erpressbar und ließ sich auch erpressen. Über die Fördergelder verlor schon niemand mehr ein Wort – sie waren in Maximalhöhe nach EUBeihilferecht längst kalkuliert und auch in Brüssel genehmigt worden. Doch selbst bei dieser Finanzierungssäule blieb bis zum Ende unklar, aus welchen Töpfen konkret die öffentliche Finanzierung hätte erfolgen sollen und welche anderen Projekte von der Wirtschaftsförderung dadurch vernachlässigt worden wären. Eines jedoch stand fest: Der Mittelstand des Landes wäre in erhöhtem Maße von Mittelkürzungen betroffen gewesen, was sich bereits im Laufe der Diskussion um die Chipfabrik anhand von zurückgestellten Förderbescheiden und verspäteten Ausreichungen genehmigter Fördergelder an Unternehmen des Klein- und Mittelstandes (KMU) vollzog. Nichtsdestotrotz lag zu keiner Zeit ein geschlossenes Finanzierungskonzept vor. Weder Eigenkapital noch Fremdkapital waren beisammen.

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Trotzdem beschloss das Brandenburger Parlament 2001 auf Drängen des Wirtschaftsministers eine Landesbürgschaft, die 2002 in eine Landesbeteiligung in Höhe von 38 Millionen € umgewandelt wurde. Damit wurde das Land über die InvestitionsBank Land Brandenburg (ILB) Gesellschafter der Firma Communicant. Bereits im August 2001 bewilligte die ILB der Stadt Frankfurt (Oder) eine staatliche Subvention in Höhe von 34,6 Millionen € aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zur Erschließung des Gewerbegebietes für die Chipfabrik. Trotz ungeklärter Finanzierung begannen vor Ort die Baumaßnahmen und damit der Versuch, vollendete Tatsachen zu schaffen, die die Politik weiter unter Druck setzen sollten – und es auch taten. Während sich bei völlig ungeklärter Finanzlage das Risiko für die öffentliche Hand sukzessive erhöhte, wurde bekannt, dass sich die per se schon lächerliche Beteiligung des Marktführers Intel in Höhe von 40 Millionen US Dollar als Scheininvestition erwies. Intel übergab Communicant eine völlig wertlose Lizenz, ein Produktionsverfahren, welches Intel selbst überhaupt nicht einsetzte und erhielt dafür vertraglich zugesichert eben jene 40 Millionen US Dollar in mehreren Raten von Communicant zurückerstattet.


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Außerdem regelte eine Klausel in den immer als Geheimsache gehandelten Verträgen die Absicherung für Intel, zeitlich unbefristet mit 6 % am Umsatz (!) der Betreiberfirma Communicant beteiligt zu sein, sollte es je zu einer Produktion kommen. 10 Intel verfolgte eigene Interessen in Bezug auf die

Erlangung neuester technischer Fortschritte im Bereich der Chipproduktion – Dubai verfolgte eigene Interessen in Bezug auf den Technologietransfer und die Erwartung, selbst eine Chipfabrik zu errichten. Die folgende Tabelle zeigt, wie die Finanzierungsstrategie letztlich aussah.

Chipfabrik – ursprüngliches und verändertes Finanzierungskonzept Eigenkapital

Dubai Intel Land/ILB

Fremdkapital Fördergelder Ursprüngliches Finanzierungskonzept 50% 25% 25% Verändertes und gescheitertes Finanzierungskonzept 250 Mio US $ Bankenkonsortium 650 Mio Subventionen (EU, Bund, 40 Mio US $ US $, 80% Absicherung durch Land): Genehmigte Beihilfe 38 Mio US $ Land-Bund-Bürgschaft 371 Mio €

Dieses Konzept hatte mit der ursprünglichen Ankündigung nichts mehr zu tun. Alle Finanzierungssäulen waren durchzogen von öffentlichen Geldern. Im November 2003 wurde dieser unseriösen Finanzierungsstrategie ein Ende gesetzt. Das Bundeswirtschaftsministerium erteilte nicht die Genehmigung für die 80%ige Bund-Land-Bürgschaft und hat mit dieser vernünftigen Entscheidung noch schlimmere Entwicklungen verhindert. Hätten wir die im Bundeswirtschaftsressort vorhandenen Kompetenzen auch nur annähernd im

Wirtschaftsressort des Landes besessen, wären uns nicht nur etwa 100 Millionen € verschwendete Fördergelder erspart geblieben, sondern auch der beispiellose Ausverkauf wertvoller IHPLizenzen. Es fehlte der starke Wirtschaftspartner – Land, Bund und EU konnten diesen Part nicht übernehmen. Politisch gilt es drei grundsätzliche Lehren zu ziehen, um künftig Schaden vom Land abzuwenden: 1. Regierung und Opposition müssen sich davor hüten, bei großen Investi-

10 Vgl. Gutachten des Experten für Lizenzrecht und Kenner der Chipbranche, Prof. Dr.Wolfgang Winzer, Erlangen 2003. Herr Prof. Winzer nahm Einsicht in die beim Handelsregister vorliegenden Verträge und analysierte die wirtschaftlich unsinnigen und für das Land und das Projekt katastrophalen Vertragsgestaltungen.

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tionsvorhaben die Augen vor Realität und Marktlogik zu verschließen. 2. Wirtschaftskonzepte sind schneller und kompetenter zu überprüfen. Eindeutige Entscheidungen sind ohne langes Lavieren zu treffen. 3. Öffentliche Gelder dürfen grundsätzlich nicht in Projekte fließen, die keinen privaten Investor haben. Scheininvestitionen sind Fördermittel zu versagen. 4. Das Parlament darf bei öffentlichen Förderprojekten seine Aufgabe, die wirksame Kontrolle der Regierung, niemals aufgeben.

(ii) Die Firma Hesco als Beispiel für verfehlte Subventionspolitik im Kleinen Auch an die Förderung von klein- und mittelständischen Unternehmen sind strenge Kriterien hinsichtlich Innovationsförderung und Beschäftigungswirksamkeit anzulegen. Steuerungskraft besitzt das Landeswirtschaftsressort hierbei vor allem über die in Richtlinien und den Zuwendungsbescheiden fixierten Auflagen zu Wirtschaftsgütern und Arbeitsplätzen. Politisch wirksam sind gerade die Arbeitsplatzauflagen aber nur dann, wenn sie zugleich Anreiz und Sanktionskraft besitzen, wenn 11

wirtschaftspolitische Strategien auch umgesetzt werden. Die immer wieder hoch gehaltene Behauptung, Wirtschaftsförderung diene zuallererst der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen, wird am Förderfall Hesco, ad absurdum geführt.11 Mit Bescheid vom 4. September 1997 wurde der Firma Hesco Kunststofferzeugnisse Helmut Schulze & Co. GmbH ein Investitionszuschuss nach der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ in Höhe von 931.062,52 € gewährt. Die Fördermittel wurden als Investitionszuschuss für den Bau einer neuen Produktionshalle in voller Höhe ausgezahlt. 12 Das Vorhaben war nach dem vorgelegten Verwendungsnachweis zum 31. März 1999 abgeschlossen. Nach den Bestimmungen des Zuwendungsbescheides hatte die Zuwendungsempfängerin die Betriebsstätte für mindestens fünf Jahre nach Abschluss des Investitionsvorhabens hinaus zu betreiben, mindestens bis zum 31. März 2004 mit insgesamt 71 Arbeits- und 4 Ausbildungsplätzen. Mitte des Jahres 2003 wurde bekannt, dass die Firma Hesco Kunststofferzeugnisse Helmut Schulze & Co.

Der Förderfall der Firma Hesco geriet in die Schlagzeilen wegen des Verdachts gezielter Verstöße gegen Insolvenz-, Subventions- und Arbeitsrecht. Zudem befindet sich die Firma im Besitz einer Familie namhafter CDU-Politiker. Dieser Aspekt interessiert hier nur insoweit, als das er Transparenz ermöglicht für einen exemplarischen Förderfall mit negativen wirtschaftspolitischen Effekten und Botschaften. 12 Insgesamt erhielt das Unternehmen in den vergangenen Jahren Fördermittel in Höhe von 1.329.154,38 €, davon 640.341,95 € Landesmittel, 640.341,95 € Bundesmittel sowie EU-Gelder in Höhe von 48.470,48 €.

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GmbH in HC Kunststofferzeugnisse GmbH umbenannt wurde und allen 60 Beschäftigten zum 31.07.2003 gekündigt wurde. Die Betriebsstätte der HC Kunststofferzeugnisse GmbH wurde nach Horla in Sachsen-Anhalt verlegt, an dem aber die geförderten Wirtschaftsgüter zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht mehr zur Verfügung standen. 13 Die HC Kunststofferzeugnisse GmbH meldete beim Amtsgericht Halle/Saalkreis Insolvenz an. 14 Gleichzeitig wurde am Brandenburger Standort Luckenwalde eine neue Firma Hesco Kunststoffverarbeitung GmbH durch dieselben Inhaber der alten Hesco gegründet. Dort existiert seit dem Jahr 2000 eine weitere Firma der Unternehmerfamilie:„Entwicklung und Service – E&S“. In dieser Firma wurden 33 der bei der alten Hesco entlassenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wieder eingestellt und per Arbeitnehmerüberlassung an die neue Hesco zu niedrigeren Löhnen verliehen. Ziel all dieser Transaktionen war der Arbeitsplatzabbau unter Umgehung arbeitsrechtlicher Vorschriften,15 die masselose Insolvenz der alten Hesco,

die Übertragung der staatlich geförderten Wirtschaftsgüter auf die neue Hesco und die Abtretung arbeitsrechtlicher Ansprüche an die Firma E&S. Die Kündigung aller 60 in der alten Hesco noch Beschäftigten Ende Juli 2003 zeigte, dass die Arbeitsplatzauflagen aus dem Förderbescheid 1997 und Verwendungsnachweis 1999 längst nicht mehr eingehalten wurden. Das Unternehmen informierte aber zu keiner Zeit die InvestitionsBank (ILB) über die Veränderungen im Arbeitskräftebestand. Auch Kündigungen, Insolvenz und Betriebsverlagerung wurden nicht angezeigt. Damit wurden eindeutig subventionserhebliche Mitteilungspflichten verletzt. Hierbei handelt es sich nach geltender Rechtslage um kein Kavaliersdelikt, sondern um einen Verstoß gegen §3 Subventionsgesetz i.S. §264 Strafgesetzbuch. Die ILB leitete nach den aus den Medien bekannt gewordenen Tatsachen ein Anhörungsverfahren zur Prüfung des Subventionsfalles ein. Im Prüfverfahren wurde dann bekannt, dass die an die Subvention gebundenen 71 Arbeits- und 4 Ausbildungsplätze lediglich in der Zeit vom 1. April 1999 bis 31. August 2001 vorhanden gewesen waren.

13 Verlagerung der Betriebsstätte meint hier nicht wirklich die Verlagerung der Firma. Lediglich wurde an einem alten stillgelegten Gehöft ein Pappschild mit dem umbenannten Firmennamen angebracht, auf dem als Ansprechpartner der Anwalt der Unternehmerfamilie eingetragen war. 14 Das Amtsgericht Halle/Saalkreis lehnte die Zuständigkeit ab, und Insolvenzverfahren wurde an das zuständige Amtsgericht Potsdam verwiesen. Gleichzeitig wurde durch die Staatsanwaltschaft Halle ein Verfahren wegen Verdacht auf Untreue eingeleitet, dass ebenfalls nach Potsdam an die zuständige Staatsanwaltschaft übergeben wurde. 15 Die Firmeninhaber und ihr Anwalt ließen sich in Pressestatements dahingehend ein, dass sie dieses Firmengeflecht zur Umgehung des „starren deutschen Arbeitsrechts“ gewählt hätten.

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Im Ergebnis des ILB-Prüfverfahrens erfolgte keinerlei Rückforderung von Fördergeldern. Stattdessen wurde der alte Zuwendungsbescheid aus dem Jahr 1997 auf die neue Hesco übertragen, die Arbeitsplatzauflage auf 33 Arbeitsplätze reduziert mit einer Bindefrist bis zum 30.09.2005. Obwohl §49 Absatz 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) Brandenburg den Widerruf einer Zuwendung in vollem Umfang ausdrücklich vorsieht, wenn Auflagen nicht erfüllt wurden, fiel die Entscheidung zugunsten der Firma und zu Lasten des Landes. Damit wurden das Umgehungsgeschäft belohnt, Gleichbehandlungsgrundsätze verletzt und das Prinzip einer sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln missachtet. 16 Auch eine Rückforderung von Teilbeträgen der Subvention wurde nicht diskutiert. Das Wirtschaftsministerium und die ILB begründeten ihre gemeinsam getroffene „Ermessensentscheidung“ mit folgender Rechtfertigung: „Der Zuwendungsbescheid wurde nicht widerrufen, weil die Hesco Kunststoffverarbeitung GmbH den Antrag stellte, in die Rechte und Pflichten des Bescheides bei

geänderten Auflagen einzutreten. Hierdurch erfüllt die Hesco Kunststoffverarbeitung GmbH mit der Besetzung von 33 Arbeitsplätzen die Voraussetzungen, unter denen von vornherein die Zuwendung gewährt worden wäre.“ 17 Die Botschaft ist klar: Das Argument „Erhalt des Standortes“ rechtfertigt den Verstoß gegen Auflagen und Gesetze. Unbeachtet blieben beschäftigungspolitisch die Kündigung von 38 Arbeitskräften und die Umwandlung von 33 Normalarbeitsverhältnissen in 33 prekäre Leiharbeitsverhältnisse sowie die eindeutigen Verstöße gegen Subventionsrecht und Arbeitsrecht. 18 Es verbinden sich aber über den Einzelfall hinaus weitere äußerst bedenkliche und generelle wirtschafts- und beschäftigungspolitische Botschaften: 1. Arbeitsplatzauflagen sind in Brandenburg nichts wert. Mitteilungspflichten über Veränderungen von Arbeitsplatzzahlen müssen nicht eingehalten werden. 2. Das Interesse der Allgemeinheit an einer wirkungsvollen staatlichen Wirtschaftsförderung durch Subventionen wird nicht verfolgt.

16 Der rechtlichen Argumentation entsprechend Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), Subventionsrecht, Haushalts- und Gleichbehandlungsgrundsatz folgte die ILB anfangs selbst. Es lag ein fertiger Widerrufsbescheid vor, der auf Anweisung des Wirtschaftsministeriums nicht versandt wurde. Stattdessen wurden weitere Prüfungen angewiesen, die dazu führten, das Land sich an die Bedingungen des Unternehmens anpasste. 17 Vgl. Landtag Brandenburg, 3.Wahlperiode, Drucksache 3/6981 - Antwort des Brandenburger Wirtschaftsministers auf die Kleine Anfrage Nr. 2598 der Abgeordneten Dr. Esther Schröder. 18 Das Arbeitsgericht Potsdam erklärte am 18.02.2004 die Kündigung eines 56jährigen Hesco-Betriebselektrikers für unwirksam – acht weitere Kündigungsschutzklagen sind bei Gericht anhängig.

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3. Quantitative und qualitative Beschäftigungswirksamkeit von Wirtschaftsförderung ist ein untergeordnetes Ziel Brandenburger Wirtschaftsförderung. 4. Das Land hält Förderung für Unternehmen auch bei Umgehung von Gesetzen aufrecht. Das alleinige Argument des Standorterhalts ist nicht zulässig.Wieder einmal spielt in Brandenburg die volkswirtschaftliche Perspektive keine Rolle und auch nicht die Frage, wo die Fördergelder effektiver hätten eingesetzt werden können, um zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten. Statt dessen wird im Wirtschaftsausschuss des Landtages vom Wirtschaftsministeriums und der ILB erklärt, dass Verstöße gegen Mitteilungspflichten in Brandenburg Gang und Gebe sind, dass Arbeitsplatzauflagen in der Bindefrist nicht kontrollierbar seien und die Einhaltung von Arbeitsrecht für Wirtschaftsförderung allemal nur eine Nebenbedingung sei, die bei vermeintlichen Ermessensentscheidungen nicht berücksichtigt werden müsse. Diese Aussagen beinhalten politischen Sprengstoff und stellen Ziele, Gesetze und Richtlinien Branden-

burger Wirtschaftspolitik grundsätzlich in Frage. Es stellen sich mit dem Fall Hesco aber noch ganz andere Fragen, die wiederum Anlass geben, Wirtschaftsförderung in Brandenburg in Richtung Innovationsförderung neu zu denken. Warum konnte oder wollte Hesco die Arbeitsplatzauflagen nicht erfüllen? Bestand Sinn und Zweck des undurchsichtigen Firmengeflechts nicht lediglich darin, Personalkosten bei gleich bleibenden Subventionen radikal zu senken, weil der Betrieb es eben nicht vermochte aus eigener Kraft durch Innovation Markteinbrüche zu kompensieren? Die Firma fungiert als typischer Zulieferbetrieb, als verlängerte Werkbank und ist damit abhängig von Abnehmerfirmen. Hesco ist somit eben kein Beispiel für wirtschaftliche Innovationsträger. In den kommenden Jahren muss ein starkes Augenmerk darauf gerichtet werden, ob Pflanzen Fördermittel beanspruchen können, die nur solange leben, solange aus der Gießkanne der Geldregen über sie prasselt und die sofort eingehen, wenn der Geldhahn zugedreht wird, weil sie eben nicht aus sich heraus überlebensfähig sind.

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5. Ausblick – was tun? Ohne Einsicht kein Ausblick. Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit ziehen, heißt für die Brandenburger Politik: „Wir müssen uns heute von der Erwartung verabschieden, dass allein durch staatliche Großinvestitionen tausende Arbeitsplätze geschaffen werden können. Stattdessen müssen wir uns auf unsere eigenen Stärken konzentrieren, uns mit einer Politik der vielen Schritte auf die vorhandenen Standorte konzentrieren und diese ausbauen.“ 19 Dazu gehört zuallererst die Feststellung, dass Brandenburg ein Land des Mittelstandes ist. Etwa 98 % der brandenburgischen Unternehmen zählen zum KMU-Bereich. Wir sprechen also vorrangig über Probleme von Klein- und Kleinstbetrieben, die durch die Konzentration der Wirtschaftspolitik auf Großprojekte in den letzten fünf Jahren erheblich vernachlässigt wurden. Hier gilt es anzusetzen und umzusteuern. Was wir dringend brauchen, ist eine landesweite Analyse betriebs-, branchen- und regionsbezogener Defizite, ein offenes Ohr für die Sorgen der Unternehmen, die unsere Wirtschaft stützen. Das klingt banal, ist aber entscheidende Voraussetzung für Zukunftskonzepte.

Wir haben insbesondere in der dritten Legislatur, seit dem die CDU das Wirtschaftsressort besetzt, kostbare Zeit zur Gestaltung einer auf Zukunft gerichteten Wirtschaftspolitik verloren. Wenn jetzt am Ende der dritten Legislatur die Parole „Billiglohnland Brandenburg“ vom CDU-Wirtschaftsminister ausgegeben wird, dann kommt diese Parole einem wirtschaftspolitischen Offenbarungseid gleich. Der hilflose Ruf nach Niedriglöhnen ist letztlich ein Eingeständnis konservativer Politik, über keine tauglichen Konzepte zu verfügen, mit denen sich Rahmenbedingungen im Zuschnitt auf die spezifischen Problemlagen in der Brandenburger Wirtschaft gestalten lassen. Verstaubte neoliberale Theorien lassen sich in Brandenburg nicht aufpolieren! Die Erfahrungen der letzten Jahre im „Experimentierfeld Ostdeutschland“ belegen, dass die Verminderung der Massenarbeitslosigkeit nicht durch Lohnsenkungen, Tarifflucht und Verschlechterung von Arbeitsbedingungen zu erreichen ist. Stattdessen wird durch Lohndrückerei der in Brandenburg schwache private Verbrauch als wichtigste Säule der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage weiter untergraben.

19 Vgl. in diesem Heft Matthias Platzeck:„Zukunft, Arbeit und Familie – Unser Weg für Brandenburg“

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Wir müssen nicht lernen, mit dem Ost-West-Gefälle im Lohnniveau offensiver umzugehen. Im Gegenteil: Wir müssen alles daran setzen, eine Angleichung im Lohnniveau zwischen Ost und West herbeizuführen. Dies wird uns nur in Besinnung auf eigene Tatkraft und märkische Potenziale gelingen. Wir müssen endlich begreifen, dass nicht Geldströme sondern Gehirnströme das Entscheidende sind. Wenn wir tatsächlich den beschriebenen Teufelskreis durchbrechen wollen, dann mit Hilfe „kreativer Problemlöser“ – unterstützt durch öffentliche Forschungsförderung. Beispiele im Land zeigen, dass sich öffentliche Gelder für Forschungs- und Entwicklungsförderung bezahlt machen. „Die Zukunft Brandenburgs liegt in hoch produktiven Bereichen, liegt in wissensintensiven Arbeitsplätzen, in denen hohe Löhne erwirtschaftet werden können. Solche Arbeitsplätze entstehen hauptsächlich aus der intensiven Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Hochschulen, Forschung und Entwicklung.“ 20 Hier muss angesetzt werden, müssen sich mit Hilfe von politischer Moderation und öffentlich geförderten Kompetenzzentren Netzwerke und Cluster entwickeln. Statt Billigjobs brauchen wir Existenzgründungen im innovativen Hoch-

technologiebereich. Von Seiten der Politik und Gesetzgebung muss alles Erforderliche unternommen werden, um die Zahl der kreativitäts- und hochtechnologieorientierten Existenzgründungen – vor allem aus dem Hochschulbereich heraus – zu steigern. Eine damit verbundene Anforderung ist die kontinuierliche Erhöhung der Qualifikation der Arbeitskräfte. Wir brauchen für den Kurswechsel im Land neben hoch qualifizierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch gut ausgebildete Fachkräfte. Die demographische Entwicklung zeigt uns heute, dass wir morgen mit einem Fachkräftemangel zu rechnen haben. Hier muss jetzt gegengesteuert werden. Niedriglöhne werden ein Umsteuern nicht ermöglichen. Auch für Brandenburg gilt: Wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse eine breite Umsetzung in Produktion erfahren, dann wachsen sowohl Realeinkommen als auch Steuereinnahmen des Landes. Bildung und Ausbildung, Forschung und Innovation sind daher die Grundvoraussetzungen unserer Zukunft. Gefragt ist Kreativität in Forschung, Wirtschaft und Politik. Staatliches Engagement ist künftig verstärkt bei den in Brandenburg erbrachten Forschungsleistungen und ihrer Umsetzung in Wertschöpfung gefragt. Im

20 ebenda.

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Ergebnis werden hochwertige Produkte entstehen, für die sich auf dem Markt entsprechend hohe Preise realisieren und hohe Löhne erwirtschaften lassen. Die Herbeiführung eines Kurswechsel in der Brandenburger Wirtschaftspolitik setzt aber auch noch eine Erkenntnis anderer Art voraus: Staatliche Unterstützung kann es nur dort geben, wo es auch ein deutlich ausreichendes privatwirtschaftliches Engagement und damit Umsatz- und Gewinnerwartung gibt. Allein die Ankündigung von Arbeitsplätzen rechtfertigt keine Investitionen in Wirtschaftsgüter. Der Konkurrenzkampf um Höchstsubventionen im Standortwettbewerb ist ein weltweites Phänomen. Brandenburg sollte unabhängig davon vielmehr der Kreativität, Courage und dem Innovations- und Forschergeist im Land den roten Teppich ausrollen. Dazu braucht es den Abbau bürokratischer Hemmnisse und den Umbau von Förderstrukturen, braucht es klare, transparente und vor allem kompetente Beratungs- und Entscheidungslinien, die für potenzielle Investoren auch handhabbar sind. Dazu stellte der Brandenburger Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung am 11. Dezember 2003 klar: „Wer sich an die Landesregierung wendet, weil er investieren, weil er Arbeitsplätze schaffen will, hat Anspruch auf eine schnelle und eindeutige Entscheidung, sei es Ja oder

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Nein. Jede Entscheidung ist besser als keine Entscheidung. Unbürokratisch und kompetent soll das geschehen.“ Das Maßnahmebündel aus Beratung, Darlehen, Bürgschaften und Zuschüssen ist intelligent zum Einsatz zu bringen, eingebunden in eine Strategie, die dem hier gezeichneten Innovationsaspekt Rechnung trägt. Damit verbunden sein muss aber auch ein verstärktes Controlling, welches immer wieder wirtschaftspolitische Strategie und Wirkungen der Wirtschaftspolitik miteinander abgleicht. Das erfordert wiederum eine permanente Prüfung vorhandener Kompetenzen im Wirtschaftsressort und in der nachgeordneten Zukunftsagentur Brandenburg (ZAB) sowie Kontrolle der Geschäftsvorgänge in der InvestitionsBank Land Brandenburg (ILB). Offen zu diskutieren ist auch die Zusammenlegung der Ressorts Arbeit und Wirtschaft. Landesarbeitsmarktpolitik erhält mit der Umsetzung der Hartz-Reformen künftig einen völlig neuen Gestaltungsspielraum. Auch zur Stärkung einer notwendigen aktiven Arbeitsmarktpolitik wäre ein engeres Zusammenwirken von Arbeits- und Wirtschaftsförderung sinnvoll. Mit dieser Zielausrichtung sollte ein gemeinsames Ressort Arbeit und Wirtschaft in sozialdemokratischer Verantwortung liegen. Nur so lässt sich gewährleisten,


Wirtschaftspolitik in Brandenburg – Probleme und Perspektiven

dass Wirtschaftspolitik wieder den Kriterien von Beschäftigungswirksamkeit und Innovationsgeist folgt und Arbeitsmarktpolitik nicht länger richten muss, was verfehlte Wirtschaftspolitik anrichtet. Hierüber muss in Brandenburg ein Diskussionsprozess angestoßen werden. Wenn gilt: Alles, was Arbeit schafft, ist sozial – dann gilt aber auch umgekehrt: Alles, was Arbeitslosigkeit verursacht und verstärkt, ist unsozial – auch eine nicht

beschäftigungswirksame und ineffiziente Wirtschaftspolitik. Insgesamt gilt es, den laufenden Strukturwandel politisch zu beherrschen und in ihm Chancen zu sehen. Fehlende Transparenz, mangelndes Risikobewusstsein und politisches Wunschdenken müssen in Brandenburg überwunden werden. Wir brauchen Innovationen nicht nur in der Wirtschaft – wir brauchen Innovation vor allem in der Wirtschaftspolitik.

Esther Schröder Volkswirtin, Mitglied der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg, Direktkandidatin im Wahlkreis 38 Lauchhammer-Schwarzheide

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Das Ende der Illusionen Regionale Entwicklung in Brandenburg und Konsequenzen für einen neuen Aufbruch Von Ulf Matthiesen

„Entscheidend ist auf dem Platz!“ In drei kurzen Schritten möchte ich versuchen, eine brandenburgische Lageskizze (1) mit ausgewähltem Orientierungswissen (2) sowie dem Entwurf einiger Bausteine für eine zukunftsfähige raumpolitische Handlungsstrategie (3) zu verknüpfen. Fürwahr viel Holz für einen kurzen Text. Zugleich ist es aber auch die Chance, die größeren Freiheitsgrade der kritischen Distanz eines Regionalforschers aus einem brandenburgischen Leibniz-Institut mit etwas anderem zusammenzubringen: Signalen der starken Empathie gegenüber diesem

Addi Preißler schwierigen Flächenland, seinen Menschen und seinen reizvoll-asketischen Natur- und Kultur-Landschaften. Beides scheint mir für eine dringend nötige Standortbestimmung 15 Jahre nach 1989 unerlässlich zu sein: Empathie und kritische Distanz. Nur so auch lässt sich ein erstes, wie mir scheint, gravierendes Manko Brandenburgs beheben: nämlich die bislang ungenügenden „Selbstbeschreibungsfähigkeiten“. Die Ära der Großprojekte und die Verteufelung von Kritik als Nestbeschmutzung – gehören dabei eng zusammen.

I. Zur Lage Brandenburgs im April 2004 Der „Aufbau Ost“ ist in etlichen Teilregionen Brandenburgs faktisch zum Erliegen gekommen. Die tendenziöse Rede vom „Abbau Ost“ macht die Runde. Die sich verfestigende strukturelle Massenarbeitslosigkeit von über

20 % ist lediglich einer von mehreren schmerzhaften Indikatoren für die gegenwärtige Lage des Landes. Und nur zur Erinnerung: Diese schwache sozioökonomische Performanz stellt sich ein trotz einer exorbi-

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Ulf Matthiesen

tanten Förderkulisse und trotz der Höchstförderung von EU- und Bundesseite. Das Jahr 2004 markiert daneben genau die Mitte der Laufzeit des Solidarpaktes bis 2019: 15 Jahre sind also um, ein selbsttragender Aufschwung ist nicht in Sicht. Hohe Zeit also für kritische Selbstbeschreibungen sowie für einen Analyse- und Politikwechsel. Die handfeste Fördermaxime: „Viel hilft viel“ scheint danach grandios gescheitert. Teilweise sind eher neue Abhängigkeiten und nicht durch Leistung gedeckte Anspruchsplateaus entstanden. Entsprechend machen sich einerseits Ernüchterung und Ratlosigkeit breit. Andernorts wird aber weiterhin geschäftiges „Tun als wäre nichts!“ gepflegt, insbesondere in den mannigfaltigen Transfermittel-Beute-Netzen. Das reicht – ich rede hier also prodomo – auch in den Wissenschafts- und Forschungsbereich hinein. Es ist hier nicht der Ort, die (differenzierten!) Stagnations- und Schrumpfungstendenzen und deren kumulative Effekte für Ostdeutschland und Brandenburg im Einzelnen durchzubuchstabieren (vgl. etwa Keim 2002, Matthiesen 2002). Stattdessen möchte ich die Kurzanalyse auf fünf sich gegenseitig verschärfende kritische Punkte konzentrieren – die zugleich das zentrale PolitikThema „Krise als Chance“ vorbereiten können. „Krise“ ist dabei immer auch als

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mögliche „Geburtsstätte des Neuen“ zu begreifen. Das allerdings setzt erstens genaue Analysen und zweitens schwierige – jedoch nicht chancenlose – gesellschaftliche und institutionelle Lernprozesse voraus. Solche Lernprozesse reichen weit über den zentralen Bereich der Wirtschaft hinaus. Zunächst aber zu den fünf Krisendimensionen:

1. Die Differenziertheit der Teilregionen und die weiterwirkende Mitgift „ostfordistischer Monostrukturen“. In der Regel nach politischen Kriterien exekutierte Fehlallokationen aus der Zeit des real existierenden Sozialismus bilden eine immer noch schwer zu verdauende Randbedingung für die Entwicklung gerade der kleinen und mittleren Städte Brandenburgs. Zugleich bildet die große Unterschiedlichkeit der brandenburgischen Teilregionen aber auch einen unschätzbaren, weiter zu profilierenden Wert: vom Weltkulturerbe der Potsdamer Kulturlandschaft zu den neuerlichen industriepolitischen Schwerpunktsetzungen im Raum Schwarzheide-Lauchhammer, von der aufblühenden Senioren- und ‘Fontanestadt Neuruppin’ zu den schwer angeschlagenen Monostruktur-Städten an Oder und Neiße, von den extrem dünn besiedelten Landesteilen der Uckermark und Prignitz in die Gewinner-“Speckwürfel“ des engeren Verflechtungsraumes hinein (Kleinmachnow, Ludwigsfelde).


Das Ende der Illusionen

Die drastische Verschärfung der Standortkonkurrenzen von Städten und Regionen in Europa wird dafür sorgen, dass die Differenzen zwischen den unterschiedlichen brandenburgischen Teilregionen nicht ab – sondern zunehmen. Neue Raumpolitiken müssen deshalb auf diese wachsenden teilregionalen Differenzierungen hin justiert werden, auch um sie neu in Wert setzen zu können. Nicht zuletzt: auch auf EU-europäischer Ebene nehmen Disparitäten zwischen Gewinner- und Verlierer-Räumen wieder zu, nach dem 1. Mai 2004 mehr denn je.

2. Wissen & Brain Drain. Wir leben zunehmend in Wissensgesellschaften. Diese stimulieren Innovationen, aber sie verschärfen zugleich unerbittlich regionale Konkurrenzen und Ungleichgewichte. Neue wissensgesellschaftliche Peripheriebildungen überlagern ältere teilregionale De-Industrialisierungseffekte. Zwei zentrale Mechanismen treiben diese wissensgesellschaftlichen Disparitäten voran: • Die abnehmende Halbwertzeit der Gültigkeit von Wissen. Das bedeutet zugleich: Niemand kann sich auf seinen Wissensvorsprüngen ausruhen. Wer hier den Kontakt zur innovativen Spitze verliert, hat enorme Probleme, wieder Anschluss zu finden. • Brain Drain, also der Abfluss von Humankapital und Wissen, ist inzwi-

schen für die Zunahme von regionalen Disparitäten ein Schlüsselmechanismus geworden. Junge Gutausgebildete, insbesondere junge Frauen, wandern ab. Die peripheren Regionen Brandenburgs sind inzwischen mit dem Doppelproblem von hoher struktureller Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigen gravierenden Humankapital- und Kompetenzmängeln in innovativen, wissensbasierten Wirtschaftsbereichen konfrontiert.

3. EU-Osterweiterung. Zwischen den Eckpunkten einer abstrakten Angst vor polnischen Arbeitskonkurrenten im Niedrigqualifikationsbereich auf der einen Seite und großen Hoffnungen auf neue Expansions- und Kopplungschancen für die brandenburgische Wirtschaft jenseits von Oder und Neiße am anderen Ende bleibt viel prognostische Ungewissheit in der Mitte zurück: • Illegale Arbeitsmigrationen werden sich während der Übergangsfristen verstärken – unklar ist, wie stark. • Vermutlich wird es so etwas wie europäische Stufen-Migrationen von Ost nach West geben: der polnische Arzt aus Breslau wird die lange vakante Krankenhausarztstelle in Frankfurt (Oder) besetzen, die sein brandenburgischer Kollege vor einiger Zeit auf dem Karriereweg Rich-

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tung Westdeutschland nach Hamburg verlassen hat. • Zugleich werden Niedrigsteuer- und Niedriglohn-Länder jenseits von Oder und Neiße mit ihren abgesenkten Regelungsstandards gerade größere Industrieansiedlungen anziehen – möglicherweise auch diejenigen, die sich für eine gewisse Förder- und Abschreibungsfrist in Brandenburg angesiedelt haben. Das verweist auf die Gefahr, dass der „florierende Speckgürtel“ möglicherweise seinen Entwicklungszenit schon durchschritten haben könnte – und ansonsten zunehmend von direkten oder indirekten Hauptstadt- und Metropoleneffekten profitiert. • Eine völlig ungenügende Vorbereitung der brandenburgischen Unternehmen auf verschärfte Konkurrenzbedingungen nach dem 1. Mai 2004 (etwa die fehlende Zweisprachigkeit) erweist sich als besonderer Hinderungsgrund einer wirtschaftlichen Expansion in die Beitrittsländer hinein. • Insgesamt wächst damit die Gefahr, dass ökonomische Entwicklungsdynamiken im Gefolge der EU-Osterweiterung nicht nur den ostbrandenburgischen Grenzraum zu Polen, sondern Brandenburg insgesamt „froschartig überspringen“ (leapfrogging).

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4.Lokale Akteure & überlokale Strukturprobleme. Das Land Brandenburg kennt eine bewunderungswürdige Fülle lokaler Initiativen und kreativer örtlicher Akteursnetze, Vereine etc. Langsam bilden sich auch hier bürgergesellschaftliche Milieus mit lokalem Stolz auf bislang Erreichtes. Förderpolitisch muss daher auch umgesteuert werden auf Orte und Plätze, wo sich „etwas tut“. Zugleich wird das märkische Flächenland aber von überlokalen Strukturdynamiken und Konkurrenzverschärfungen heimgesucht, gegen die lokale Netze nur bedingt handlungsund strategiefähig erscheinen. Hier drohen Überforderungen – weil überlokale Strukturdynamiken sich lokal nur ganz marginal bearbeiten lassen. Eine Reaktion auf die hier drohende Überforderung sind – insbesondere unter Schrumpfungsbedingungen – soziale und mentale Abschottungen (vgl. Matthiesen 2003, 89 ff). Auch davor sind brandenburgische Gemeinden und ihre Bürgerschaft keinesfalls gefeit. In einigen Städten, die sich selbst inzwischen als „sterbende Städte“ sehen (Wittenberge, Guben, Forst u.a.), scheint das inzwischen fast die Regel. Hier muss eine überlokal ansetzende Raumpolitik vor endogenen Überlastprogrammen schützen – und zugleich dennoch die Ebene kreativer, neugieriger lokaler Akteursnetze nach Kräften stärken.


Das Ende der Illusionen

5. Metropole Berlin. Nehmen wir die nationalen und internationalen Konkurrenzverschärfungen in den Blick, dann zeigt sich, dass die zentrale Lagegunst Brandenburgs nicht seine lange Grenze mit Polen ist, sondern eher die bislang „periphere Metropole Berlin“ in seiner Mitte. Die Verschuldungskrise beider Staaten kann im Ernst kein Hauptgrund sein, dieses Alleinstellungsmerkmal des brandenburgischen Flächenlandes entschlossener zu profilieren. Gerade die peripheren Regionsteile Brandenburgs können nur in einem fusionierten Bundesland Bran-

denburg neue Funktionen und neue Rollen finden. Zumindest auf diesem Gebiet geht die Berlin-Brandenburgische Forschungs- und Wissenschaftslandschaft in einigen Teilen mit leuchtendem Beispiel voran: etwa im Biotech-Bereich mit Berlin-Brandenburgischen Kompetenznetzwerken, in der zukünftigen Governance-Ausbildung (HU Berlin –Viadrina Frankfurt), oder mit neu sich formierenden BerlinBrandenburgischen Kompetenzzentren für „Stadt und Region“ (TU Berlin/IRS) sowie mit dem „Georg SimmelZentrum für Metropolenforschung“ (HU Berlin /IRS).

II. Orientierungswissen unter Nicht-Wachstumsbedingungen und für disparitäre Regionalentwicklungen Das Orientierungswissen der sozialwissenschaftlichen Raumforschung, so wie es das IRS beispielgebend in Erkner entwickelt, operiert bewusst auf halber Wegstrecke zwischen der kritischen Analyse der Lage einerseits (s. Teil I) und konkreten Politikempfehlungen (s. Teil III) andererseits. Ziel ist es, die Freiheit des analytischen Blicks mit deutlichen Anwendungsbezügen zu verkoppeln. Dabei ist einerseits unstrittig: Natürlich genügt es nicht, kritisch zu analysieren. Aber gerade für Brandenburg scheinen kritische Analysen wichtiger

denn je zu sein. Zu viele und zu große Entwicklungshypes wurden hier schon in den märkischen Sand gesetzt – auch aufgrund von nicht hinreichend kritischen Analysen. Möglicherweise steckt hierin eine weitere verstärkende Ursache für den brain drain: die Enttäuschung junger Menschen über zu viel unrealistische, zudem fremdalimentierte Opulenz in den Entwicklungsprojektionen, mit der Folge zu vieler gescheiterter „Leuchtturm-Projekte“ in dieser Gegend. Die Phase der Großprojekte und Masterpläne scheint

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inzwischen vorbei – die Kassenlage erzwingt es. Das hat auch sein Gutes. Was aber sonst? Eine unscheinbare, aber folgenreiche Grundregel für die Entwicklung von zukunftsfähigem Orientierungswissen für Brandenburg soll hier zunächst hervorgehoben werden: Genauer hinsehen – insbesondere auf örtliche Begabungen, Kompetenzen und Initiativen, wobei insbesondere lokales Wissen (etwa im low tech-Bereich) einbezogen und strategisch gestärkt werden muss. Allerdings darf dabei nicht noch einmal die Feier der endogenen Potentiale bis zur Überforderung ausgereizt werden. Ohne die Mobilisierung von überlokalem Wissen wird sich gerade in Brandenburg der circulus vitiosus der weiteren wissensgesellschaftlichen Peripherisierung durch brain drain nicht mehr lösen lassen. Deshalb müssen Deutungs- und Erklärungsangebote der avanciertesten internationalen Theorieansätze zu „ungleichmäßigen Regionalentwicklungen“ aufgegriffen, dann aber mit einem klaren Bewusstsein der Spezifik des ostdeutschen und brandenburgischen Transformationspfades verbunden werden: exorbitante industrialistische Monostrukturen als Hypothek, Systemkrise (Globalisierung) mit spezifischen – auch mentalen – „lock-in“-Strukturen, passfähig zu entwickelnde raum-

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politische Strategien mit lokal- und regionalspezifisch zu profilierenden Chancenprofilen. Orientierungswissen für die zukunftsfähige Gestaltung der nächsten Etappen eines brandenburgischen Entwicklungspfades sehe ich dabei in kritischer Differenz zu mindestens vier konkurrierenden Entwicklungs-“Philosophien“:

1. Nachholende Modernisierung: Diese sicherlich einflussreichste Entwicklungsphilosophie bildet das – häufig auch implizit bleibende – Entwicklungsskript des bisherigen brandenburgischen Regierungshandelns, alle Großprojekt-Überhebungen inklusive. Natürlich sind international und global operierende Beraterfirmen professionelle Verstärker solch „nachholender“ Entwicklungsansätze. Danach durchlaufen regionale Entwicklungsdynamiken zeitversetzt überall mehr oder minder dieselben Stadien, benötigen also auch dieselben Steuerungs-, Planungs- und Implementierungsinstrumentarien.

2. Entwicklungsprinzip Transfer: Mit dem 1. Mai 2004 treten Transformationsstaaten auf, die bislang ihre nationalen Transformationspfade knallhart auf eigene Rechnung implementiert haben. Damit wird das bisherige ostdeutsche Strukturwandel-Alimentierungsprinzip („Viel bewirkt viel“) trotz der


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Übergangsfristen schlagartig zum Auslaufmodell – mit erheblichen Spätfolgen.

3. Ost-Avantgardismus: Dem mutigen Programmansatz Wolfgang Englers zufolge bilden gerade die Ostdeutschen dank ihrer Transformationserfahrungen gleichsam eine europäische „Avantgarde“ für transformatorische Entwicklungsagenden. Von deren Erfahrungen könne zuförderst der Westen, aber auch der neue EU-Osten lernen. Leider machen die tiefreichenden Effekte des Brain Drain in Ostdeutschland dieses hoffende Englersche Entwicklungsskript zunehmend zur Makulatur.

4.Beschränken wir unsere Gestaltungsabsichten auf dynamische Kerne – überlassen wir den Rest sich selbst: Der strukturelle Zynismus in den meliorisierenden Schrumpfungspolitiken a la „shrink to fit“ unterschätzt die Langzeitfolgen der ostfordistischen Monostruktur-Arrangements für die Regionalentwicklung – ganz zu schweigen von den Mentalitätsstrukturen, die sich bekanntlich sehr viel langsamer transformieren als harte Infrastruktur. Zielführendes Orientierungswissen zu realistischen brandenburgischen Entwicklungsoptionen muss sich stattdes-

sen in den Handlungsfeldern zwischen diesen vier einflussreichen, aber in meinen Augen verfehlten Entwicklungsphilosophien konkretisieren. Dabei kommt, wie ich im Teil III zeigen möchte, vieles auf intelligente Mischungen endogener mit exogenen Potentiale an – unter der Zusatzmaxime „Genauer hinsehen!“ Den global induzierten neuen Disparitätenbildungen und ihren schlecht prognostizierbaren Effekten weicht das übliche regional-wissenschaftliche Orientierungswissen häufig in relativ abstrakte Prozessempfehlungen aus. Bei der umstandslosen Übertragung auf brandenburgische Verhältnisse geht die Differenziertheit und Singularität der brandenburgischen De-Industrialisierungskrise verloren. Häufig herangezogene Vergleiche (De-Industrialisierung in England, im Ruhrgebiet; Infrastrukturerfahrungen in traditionell dünn besiedelten Regionen Skandinaviens) verfehlen also – sowohl was Zeit, Raum wie Funktionen angeht – eher die Spezifik des brandenburgischen Raumes. Insbesondere über die Quereffekte kumulierender Prozessdynamiken – häufig im Schrumpfungs-, seltener im Wachstumsmodus – liegt „verfahrensgehärtetes“ Orientierungswissen bislang kaum vor. Besonders kritisch sind in der Regel vor allem Vorschläge für die jeweilige Inkubationsphase von Entwicklungen, also für

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die kritische Phase 1 regionalpolitischer Umsteuerungen: Innovative-Milieu-Ansätze und andere wirtschaftsgeographische Vorschläge etwa werden hier regelmäßig tautologisch, zirkular und/ oder nebulös: Danach „bedarf“ es zur Einleitung eines lokal- oder regionalökonomischen Lern- und Wachstumszyklus immer schon einer „gewissen“ lokalen Konzentration „relevanter“ Humankapitalressourcen. Umgekehrt folgt daraus ja auch, dass für peripherisierte Teilregionen Brandenburgs mit starken BrainDrain-Effekten per se überhaupt keine Entwicklungschancen mehr bestünden, weil hier genau solche notwendigen,

aber nicht hinreichenden „Voraussetzungen“ für Entwicklung fehlen (s. die kritische Analyse bei Matthiesen 2003, S. 105). Dasselbe lässt sich für Netzwerkund Clusteransätze zeigen: auch sie tendieren für diese kritischen Anfangsphasen zu Tautologien, Zirkularitäten und wolkigen Bestimmungen. Stattdessen spulen sie das Programm der nachholenden „Cluster-Moderne“ ab: „Ein Cluster ist ein Cluster ist ein Cluster!“. Auch hier wird deutlich, welch zentrale Rolle die kritische Analyse lokaler und regionaler Kompetenzen spielt. Die Grundregel bleibt also: „Näher hinsehen!“

III. Raumpolitische Handlungsstrategien für Brandenburg – und die Rolle von Raumpionieren Die exorbitante Krisenlage Brandenburgs, die sich durch absehbare Degressionen in den Förderkulissen ja nicht gerade aufhellt, bedeutet immer auch: Hoffnungen auf Standardlösungen oder auf den „one best way“ á la Taylorismus sind schon im Ansatz illusorisch. Überlegtes und beherztes, vernetztes, verantwortliches und gleichwohl fehlerfreundliches Problemlösungshandeln muss an deren Stelle treten. Zudem ist immer mehr mit einem ganzen Satz von Problemlösungsalternativen zu rechnen, zwischen denen

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unter den chronischen Randbedingungen von Ressourcendruck und unvollständiger Information verantwortlich zu entscheiden ist. Den einen Masterplan für Brandenburg also gibt es nicht mehr. Stattdessen stehen lernfähige interdisziplinäre Ansätze, vor allem aber auch ressortübergreifende Zugänge und Kooperationsformen auf der Tagesordnung. Den raumpolitischen Neuanfang könnte ein großer Ideen-Potlatsch bilden, der die besten Köpfe der Region einlädt, sich gemeinsam „einen Kopf


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zu machen“. Das setzt innovative Verfahren der Interaktion voraus, die die Interessengebundenheit der Standpunkte verflüssigt: Ziel muss es sein, Kompetenz zu stimulieren und verantwortlich zu bündeln. Brandenburg steht vor einer Bewährungsprobe, die selbst die wilde Phase der Vereinigungskrise zwischen 1989 bis etwa 1991 noch in den Schatten stellt. Desillusionierung und Ratlosigkeit drohen. Gute Chancen also und vor allem gute Gründe für einen Wechsel im Kooperationsstil brandenburgischer Wissens- und Politikakteure miteinander: Statt paternalistischer „kleiner DDR“ – mit NRW-Steuerungsrezepturen – stehen kooperative, gleichwohl in der Hierarchie oben eingetaktete neue Governanceformen auf der Tagesordnung. Die Bereitschaft im Lande, sich einzumischen, muss jetzt als Chance ergriffen werden. In diesem letzten Teil möchte ich meine bisherige Argumentation raumpolitisch zuspitzen und versuchsweise mit Personal bestücken. Den Personenkreis von Akteuren, den ich dabei vor allem ins Spiel bringen möchte, nenne ich – in Ermangelung anderer Begriffe – „Raumpioniere“. Damit greife ich ein Konzept auf, das mancherorts und eher unsystematisch in den letzten Jahren ins Spiel gebracht wurde. Hier soll es auf die besondere Disparitäten-Lage Branden-

burgs zugespitzt werden. Das übergeordnete Thema dabei ist: Brandenburg zwischen differenzierten Teilregionen und neuen Disparitäten. Dabei geht es immer auch um die Neustrukturierung des Verhältnisses von Metropolregion und peripheren Teilregionen in Berlin-Brandenburg insgesamt. Wie zu Beginn schon betont, muss die Verschiedenartigkeit des Landes, mit seinen atemraubenden Landschaften (etwa an der Oder) und den opulenten Kulturlandschaften in und um Potsdam, mit dramatisch peripher fallenden äußeren Regionsteilen (Uckermark, Prignitz) und relativ profitabel sich entwickelnden engeren Verflechtungsräumen mit Berlin zunächst als eigener Wert kodiert und dann für eine zusammenstimmende regionale Entwicklungsstrategie anschaulich gebündelt werden. Zugleich aber wird die immer krasser werdende disparitäre Entwicklung zwischen dem so genannten äußeren Entwicklungsraum (mit einer für 2015 prognostizierten Bevölkerungsdichte von 40-45 Einwohnern/km2) sowie dem sich stabilisierenden, teilweise auch wachsenden engeren Verflechtungsraum um Berlin zum entscheidenden Prüfkriterium für eine zukunftsfähige regionale Entwicklungspolitik. Lässt die Politik die „neuen Peripherien in der Mitte eines größer wer-

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denden Europa“ links liegen oder gar weiter „abschmieren“, hat sie diese unausweichliche große Herausforderung nicht bestanden. Gleichzeitig ist einzuräumen, dass die alten Ausgleichsfiktionen der unter Wachstumshoffnungen institutionalisierten „dezentralen Konzentration“ an der Realität gescheitert sind. Daher genügt es nicht mehr, dieses brandenburgische Entwicklungsleitbild nur weiter zu profilieren. Es ist vielmehr neu zu denken und neu zu entwerfen. Fünf Maximen für einen solchen Neuansatz sehe ich: 1. Die schwachen Entwicklungsdynamiken in Brandenburg sind zu „kritischen Massen“ zu bündeln, ohne die Peripherie ihrem Schicksal zu überlassen. 2. Dazu erscheint es zwingend, die Entwicklung Brandenburgs strategisch mit der Entwicklung der bislang selber peripheren Metropole Berlin zu verschränken. Dieses regionalwissenschaftlich-analytische Plädoyer für eine Länderfusion gilt selbst für den Fall, dass Fusionspläne aus wahltaktischen Gründen temporär inopportun erscheinen mögen. 3. Die der Gleichverteilungslogik von Entwicklungsimpulsen geschuldete „Tortenstück-Doktrin“ der Kreisbildungen

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und Planungsregionen in Brandenburg muss konzeptuell ersetzt werden durch realistischere Raumentwicklungskonzepte für den Gesamtraum Berlin-Brandenburg. Deren Basis müssen neben den realen funktionalen insbesondere auch Verstärkungen der regionalkulturellen Verflechtungen zwischen Berlin, dem engeren Verflechtungsraum (nicht ganz zutreffend: „Speckgürtel“) und dem äußeren Entwicklungsraum („ländlicher Raum“) sein. Dabei spielen die engere Metropolregion Berlin und die äußeren Regionsteile Brandenburgs komplementäre, aufeinander stärker zu beziehende Rollen. 4. Für zunehmend peripher fallende Regionsteile muss es neu konzipierte Stabilisierungsstrategien geben. K.D. Keim (2004), dem ich hier im wesentlichen folge, hat gerade eine neue Art internen Finanzausgleichs in die peripheren Räume hinein vorgeschlagen, etwa indem Zuwächse durch gestärkte Wachstumsdynamiken im engeren Metropolraum zu einem bestimmten Prozentsatz als gezielte Mittelzuweisungen in die brandenburgischen Peripherien weitergegeben werden. 5. Um dem Sog der Zentrumsfixierung aller bisherigen Metropolraumpolitiken entgegenzuwirken, müssen daneben besondere innovative An-


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strengungen für die weitere Profilierung der Berlinferneren Regionen unternommen werden. Diese Anstrengungen müssen jetzt aber über (eingeschränkte!) fiskalische Stabilisierungsstrategien weit hinausgehen. Das Stimulieren und Vernetzen lokaler und regionaler Potenziale spielt bei diesen fünf regionalpolitischen Maximen sicher eine unersetzliche Rolle. Gleichwohl sind Feiern der Endogenität weniger denn je angebracht. Und sie können leicht zur Abwälzung der neuen raumpolitischen Verantwortung für die „entstehenden Peripherien in der Mitte eines größeren Europa“ instrumentalisiert werden. Was also sonst? Generell geht es um die gemeinsame Entwicklung intelligenterer Mischungen externer mit endogenen Entwicklungsimpulsen.Was heißt das konkret? Neben den fiskalischen Stabilisierungsstrategien, die besser auf die Neuformulierung von „asketischeren“ Mindeststandards für periphere Räume justiert werden müssen, sehe ich wieder fünf zentrale Handlungsfelder für eine neue Regionalpolitik im Berlin-Brandenburgischen Raum: 1. Wissen, Lernen, Kultur – sowie die entschlossene Profilierung der kulturlandschaftlichen Potenziale bleiben zentrale Stellschrauben zur Überwin-

dung der Gefahr von weiteren Peripherisierungsverschärfungen (vgl. dazu ausführlicher Matthiesen 2004). 2. Entscheidend wird zunehmend die Stärkung der Akteursebene in peripheren Regionen. Gerade weil es gegen die neuen wissensgesellschaftlichen Peripherisierungsdynamiken kein überall gleich anwendbares Rezeptwissen geben kann, sind das Erfahrungswissen der Akteure und das Milieuwissen der kreativen Netzwerke vor Ort und in der Region unverzichtbare Andockstellen für die Entwicklung von kontextuierten Gegenstrategien. Hinzu treten einige Grundregeln für die Stärkung lernfähiger lokaler Akteursnetze, die sich gerade auch in ausgedünnten Teilräumen bewähren: Hebeleffekte nutzen, Feedback-Kreise schaffen; Teufelskreise unterbrechen; Engpassfaktoren erkennen und ausschalten; Team-Lernen: Gemeinsames Denken im Dialog; komplementäre Stärkenergänzung; Offenheits-, Vertrauens-, Feedback-Kompetenzen qualifizieren; Coaching und LernPartnerschaften bilden; zirkulär vernetzte statt kausal-lineare Erklärungsmuster und hierarchische Entscheidungswege stärken; die „Bauchkomponente“ Ernst nehmen; Stärkung regionaler und lokaler Identitätsformen; intrinsische Motivationsketten mobilisieren, „asketische“ Leistungsnormen stärken,

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reines transfergestütztes Anspruchsdenken hinterfragen; eine kreative Spannung zur Vision einer regionalen Lernund Wissensgesellschaft aufbauen und aufrechterhalten; transparente und offene Kooperationsformen entwickeln und auf Dauer stellen – und nicht zuletzt starke und schwache Partner „proaktiv“ verkoppeln. 3. Um die endogenen Akteursnetze nicht zu überlasten, wird gerade in peripheren Regionsteilen die Anziehung externer Innovationskompetenzen zu einem zentralen Punkt. Für die leer laufenden Teilregionen müssen ja neue Nutzungen und Funktionen regelrecht erst wieder erfunden werden. Hier sehe ich die erfolgversprechende Rolle von „Raumpionieren“ aus den neuen Übergangsfeldern zwischen Wissen, Ökonomie, Kultur und Kunst. Solche Raumpioniere können hier eine wichtige Rolle als Inkubatoren und Anreger spielen – etwa um in der Verbindung mit lokalen Kompetenzen kreatives Wissen und neue Ideen für die und in den peripheren Räume zu entwickeln. Sie können zeigen, dass vor Ort kreative Prozesse und Handlungsmuster nicht nur möglich sind, sondern auch erfolgreich sein können. Der raumpolitische Effekt von Raumpionier-Netzen gründet auf dem gemeinsamen Prozess der Konstruktion und Erprobung neuer Raumnutzungsfor-

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men. Gerade die dünn besiedelten Regionsteile mit ihrem eher asketischen Charme können auf diese Weise neuerlich attraktiv gemacht werden – und damit weitere Akteursmilieus aus den überregelten Metropolregionen anziehen. Für die durch Entleerung und Humankapital-Abwanderung strukturell und räumlich ausgedünnten Teilregionen wird es insofern entscheidend, Regelungsdichten, die Initiativen abschnüren, vor Ort oder in den peripheren Teilregionen abzusenken, um neue Räume für innovatives selbstverantwortliches Probehandeln zu schaffen. Das Konzept der Raumpioniere für die neuen mitteleuropäisch-brandenburgischen Peripherien führen wir zunächst eher als Suchbegriff ein. Dieser ist bewusst weit zu fassen: er reicht von artisanalen, also kunsthandwerklichen Kompetenznetzen über die Stärkung lokaler und regionaler Kreisläufe im ökologischen Landbau, über sanfte Tourismusformen sowie – dem Terroir-Prinzip verpflichtete – Formen der regionalen Küche bis hin zu neuen, Mobilität mit Sässigkeit mischenden Stadt-LandExistenzformen im Bereich von DesignGraphik-IuK-Medien. Dieses Konzept reicht von high-tech-vernetzten Ingenieurbüros in umgebauten Scheunen mit regionalen Zuliefernetzen (Prignitz) über die Wiederentdeckung high-techtransformierter Manufakturformen


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(Holzbearbeitung Beeskow, Entendaunen-Fabrikationen im Oderbruch, Schlupfwespen-Zucht in Baruth), über polnische Künstler-Handwerker-Teams bis zum starken persönlichen Engagement „rückgekehrter“ Mitglieder ostelbischer Adelsfamilien – etwa in der Uckermark. Genauere regionalwissenschaftliche wie regionalpolitische Beobachtungen dieser bislang „naturwüchsig“ sich bildenden Netze in den peripheren Regionsteilen sind überfällig. Schon jetzt zeigen sich aber eine Fülle von pionierhaften „Neueroberungen“ für aus der Nutzung gefallene Räume. Sie belegen einmal die Erfindung neuer Raumfunktionen, zugleich aber auch die selbstbewusste Formulierung leistungsorientierter Kooperationsansprüche, die immer auch interessante bau- und landschaftskulturelle Rückwirkungen auf den peripheren Raum selbst haben. Diese bislang naturwüchsigen Tendenzen sind nachdrücklich zu stärken – etwa indem intelligente Formen der Lockerung innovationsbehindernder Handlungsnormierungen vor Ort gefunden werden. 4. Eine weitere, bislang weitgehend übersehene Chance der Stärkung peripherer Regionsteile hängt mit der Förderung der Innovationsdynamik dieser neuen Raumpionier-Netze direkt zusammen: Ich nenne sie die Gummi-

band-Strategie. Damit lassen sich Gegenstrategien gegen die fatalen Folgen der weiterlaufenden Brain Drain-Prozesse entwickeln (Die GummibandMetapher ist den Wissensmilieuanalysen von Bruno Hildenbrand und Marcel Schmidt zur Entwicklung der Stadtregion Jena entnommen. Vgl. Marcel Schmidt 2004). Bislang wandern Gutausgebildete, insbesondere die jungen Frauen ab, ohne jemals wiederzukehren. Die Chancen einer Rückkehr der jungen Gutausgebildeten, die sich außerhalb der Region weiter qualifizieren, lassen sich erheblich steigern, wenn für sie selbst erkennbar wird, wie und wo sich gerade in den entleerten Räumen ihrer Heimatregionen neue Handlungsoptionen auftun – mit selbst zu profilierenden attraktiven Karrierechancen und Tätigkeitsformen. Erste Fallanalysen zeigen, dass es nicht in erster Linie die absolute Höhe der in der westdeutschen Ökonomie zu verdienenden Löhne und Gehälter ist, die zum Brain Drain führt, sondern ein Gemisch von sich überlagernden Schrumpfungscharakteristika: also die Überlagerung der Chancenlosigkeit auf lokalen und regionalen Arbeitsmärkten mit Innovationsbarrieren, selbstmarginalisierenden Abschottungsprozesse und Versorgungsmentalitäten vor Ort – nicht zuletzt ist es eine tiefe Skepsis gegenüber neuen Lösungen und neu/alten

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Berufsprofilen, wobei avancierte Hochtechnologien versuchsweise an ältere lokale Kompetenzformen angeschlossen werden. Positiv gewendet formulieren diese Schrumpfungsdynamiken genau die Ausgangskonstellationen für das Einsickern von Raumpionieren in solche auf neue Weise attraktiv und leer werdenden Chancenräume. Das „Inwertsetzen“ dieser Räume durch innovative Netze erhöht also zugleich die Chance, dass diese peripheren Orte wieder zu attraktiven Zielräumen für andernorts weiter qualifizierte „Landeskinder“ werden können. Die Strategie der Kontextförderung für Raumpioniere und die Förderung einer regionalen bzw. lokalen Gummiband-Strategie für Junge und Gutausgebildete gehören also zusammen. 5. Beratungsformen und Governancestrukturen in Berlin-Brandenburg. Die systematische Förderung von Bildung, Wissen und Kultur erhöht zunächst immer auch die Fähigkeit einer realistischen Selbstbeschreibung und die Chancen für zukunftsfähige Strategieentwicklungen. Die erste Konsequenz daraus ist: Die brandenburgischen Forschungs-, Wissenschafts- und Bildungsinstitutionen sind durch die gravierende Strukturkrise des Landes in besonderer Weise gefordert, einen verantwortlichen Beitrag zur Lösung der

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neuen sozioökonomischen, kulturellen und mentalen Wissenslagen zu leisten. Eine zweite Konsequenz: Dazu sind Verfahren, Lernprozesse und institutionelle Arrangements nötig, die sich nicht von selbst einstellen und die mit Sicherheit über Lernprozesse weiter optimiert werden müssen. Dabei sind drittens ganz unterschiedliche Formen der Entscheidungsberatung im Umlauf. Um drei Formen zu nennen: • Sachsen hat in der Ära Biedenkopf unter der Ägide von Meinhard Miegel ein stark zentralistisch orientiertes Strategieentwicklungsmodell verfolgt, diskursiv eher schwächelnd, aber umsetzungsstark. • Berlin erprobt gerade eine große Zukunftskommission – diskursiv stark, mit bislang undeutlichen Umsetzungsbindungen in die Senatspolitik hinein, der immer noch das Label „beratungsresistent" anhaftet. Man erinnere sich an die „Lokale Agenda 2010“ von 1999 sowie die BerlinStudie von 2001, die folgenlos zunächst in den Schubläden der Verwaltung entschwanden. • Brandenburg hat unter der Leitung des „regionsfremden“ Koordinators Christoph Zöpel das Brandenburg 2025Zukunftsgremium erprobt: diskursiv stark, zentrale Themen richtig platzierend, aber doch implementationsfern und angesichts der kumulierenden


Das Ende der Illusionen

Schrumpfungsdynamiken zu abstrakt bleibend. Auch diese Vorschläge sind größtenteils in den computerisierten Schubläden verschwunden. Es liegt daher nahe, für einen brandenburgischen Weg aus der Gegenwartskrise heraus Nachteile dieser drei Beratungs- und Entwicklungsarrangements auszutarieren und deren jeweilige Vorteile zu bündeln. Für Strategieüberlegungen des Landes zur differenziellen Profilierung seiner zunehmend disparitären Regionalentwicklung schlagen wir deshalb vor: 1. Die Beratungsressourcen der Großregion Brandenburg systematischer zu nutzen und im Sinne „Lernender Regionen“ weiterzuentwickeln, 2. Unabhängige Strategiegutachten in Auftrag zu geben, dabei von Beginn an interdisziplinär und ressortübergreifend vorzugehen, 3. Mittelfristig angelegte Arbeitsgemeinschaften zwischen wissenschaftlichen Experten und der Verwaltung einzurichten, 4. den Diskurs, das Orientierungswissen und den Koordinationspro-

zess von der Spitze aus anzuschieben und zu begleiten, 5. lokale und teilregionale Problemlösungen stärker mit den Strategiefragen zu verschränken, und nicht zuletzt 6.neue Prozessformen der lernenden Strategiefindung zu erproben (open space, task forces). Bei der anstehenden schwierigen Strategieentwicklung für ein größeres Brandenburg bis zum Ende des Solidarpakts im Jahr 2019 – mit einer peripheren 3,4 Millionen-Metropole in seiner Mitte und einer langen gemeinsamen Grenze mit dem EU-Vollmitglied Polen – scheinen uns daneben einige Dinge unerlässlich: unkonventionelle Verfahrenswege bei einem größeren OrientierungswissenRatschlag, die institutionelle Anbindung der Strategieentwicklung als Chefsache, eine verantwortliche Einbeziehung regionaler wie transregionaler Forschungsressourcen und nicht zuletzt die entschlossene weitere Profilierung der Unterschiedlichkeit brandenburgischer Regionsteile. Auch hier also öffnen sich gute Chancen für Raumpioniere!

Ulf Matthiesen Abteilungsleiter am Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner, außerordentlicher Professor an der Humboldt-Universität Berlin. matthiesen@irs-net.de, www.irs-net.de

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Quelle: Grafik-UM/IRS

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Bürgergesellschaftliche Formen der Selbstorganisation in unterschiedlichen Generationen, z.B. Jugend: brain-drain brain-gain Neues Leisungsbewusstsein 2 Städtische Alltagskulturen zwischen kultureller Öffnung und kultureller Schließung: hin auf Neugierde und Gastfreundschaft profilieren

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7 Neue Funktionen und Akteure für leerlaufende Teilregionen profilieren: Raumpioniere, Gummiband-Prinzip

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Degressive staatliche Förder-Kulissen vs. Anspruchsdenken - Staat -

5

Bildungsprozesse + Wissen profilieren low-tech/high-tech Wissenschafts-, Forschungsund Bildungseinrichtungen Kritische Massen bilden Wertschöpfungsketten schließen Neues Leistungsbewusstsein 1 Abbau von Regelungsdichten Wissensmilieus und lokalregionale Lerndynamiken stärken

Kulturlandschaften und städtebauliche Qualitäten profilieren (Identitätsbildung II)

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Brandenburg 2019

Zwischen Markt & Staat

Entwicklungsregion

Gemeinsame Zukunftsziele und Entwicklungsleitbilder formulieren, plakativ-kompakte Zielformulierungen (Identitätsbildung I)

3

Neue Governanceformen unter Einschluss von zivilgesellschaftlichen Formen der Selbststeuerung

Private Unternehmen (mit Qualitäts- und Leistungsorientierung) - Markt -

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Krise als Startchance: dabei Finanz- und Strukturkriese (Arbeitslosigkeit, Brain Drain etc.) Ernst nehmen

1

2 Strukturoptionen/ Strukturkrisen: Selbstbeschreibungskapazitäten steigern zukunftstaugliche Begabungen profilieren! quantitative/qualitative Wachstumsstrategien

Ulf Matthiesen

Entwicklungsregion Brandenburg 2019: Elf Entwicklungsetappen


Das Ende der Illusionen

Literaturangaben Keim, Karl-Dieter (Hrsg.), Regenerierung schrumpfender Städte, Erkner: regio transfer 1. 2001 K. D. Keim, Herausforderungen für die Regionalplanung, Vortrag vor der Regionalen Planungsgemeinschaft Uckermark-Barnim, 12.3.2004. 2004 Matthiesen, Ulf, Die Stadt im Umbau, in: IREGIA (Hrsg.), Stadtumbau und Revitalisierung, Sonderheft 6, Chemnitz, S. 45-61. 2002 Matthiesen, Ulf, Im Sog von Schrumpfungsdynamiken – eine Lernende Region im deutsch-polnischen Grenzraum, in: Matthiesen, U.; Reutter, G. (Hrsg.) (2003), Lernende Region – Mythos oder lebendige Praxis? Bertelsmann: Bielefeld, S. 89114. 2003 Matthiesen, Ulf, Wissen in Stadtregionen, in: Matthiesen, U. (Hrsg.), Stadtregion und Wissen, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. 2004, im Erscheinen Schmidt, Marcel, Wissensmilieus in Jena, in: Matthiesen, U. (Hrsg.), Stadtregion und Wissen, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. 2004, im Erscheinen

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Brandenburg und das finnische Modell Von Tobias Dürr

I. Eine strategische Vision für Brandenburg Ob eine Region pulsiert, hängt auch davon ab, ob sie weiß, was sie will und worin ihr besonderes Profil bestehen soll. In diesem Sinne benötigt Brandenburg eine neue orientierende Idee für seine Zukunft. Gebeutelt von krisenhaften Entwicklungen und einander wechselseitig verstärkenden negativen langfristigen Trends in Ökonomie, Demografie, Gesellschaft und öffentlichen Finanzen wird sich die Politik des Landes in den kommenden Jahren nicht darauf beschränken können, bloß sehenden Auges den wachsenden Mangel zu verwalten. Die Folgen wären unweigerlich fortgesetzter und beschleunigter Niedergang – sowie der Machtverlust derjenigen politischen Formationen, die diesen Niedergang federführend administrieren. Angesichts aller erkennbarer Makrotrends ist völlig ausgeschlossen, dass eine grundlegende Umkehrung der Rahmenbedingungen sich gleichsam im Selbstlauf ereignen wird. Wie andere Regionen des klassischen Industrialis-

mus auch, aber strukturell besonders benachteiligt, tritt Brandenburg in eine ganz neue Etappe seiner Geschichte ein. Damit wächst die Wahrscheinlichkeit gesellschaftlicher Verdrossenheit. Benötigt wird daher umso mehr eine zu Brandenburg passende, aber klar über seine derzeitigen Verhältnisse hinaus weisende strategische Vision – also das plausible Bild einer erstrebenswerten, machbaren Zukunft für das Land (beziehungsweise die Region). Nur vor dem Hintergrund einer solchen von allen wesentlichen Akteuren verinnerlichten, konsequent verfolgten und offensiv kommunizierten langfristigen strategischen Vision werden sich die unweigerlich bevorstehenden Rückschläge und Durststrecken der kommenden Jahre überstehen lassen. Und überhaupt nur langer Atem und eine geeignete strategische Vision für Brandenburg werden dazu führen, dass sich am Ende jener Rückschläge und Durststrecken eine lebbare und wünschenswerte Zukunft für Brandenburg mög-

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Tobias Dürr

lich wird. Ob es dazu kommen wird, ist offen; als absolut sicher kann dagegen gelten, dass das Land Brandenburg (beziehungsweise die gesamte Region Berlin-Brandenburg) ohne eine strategische Vision für das 21. Jahrhundert schweren Zeiten entgegen sieht. Es ist offensichtlich, dass Brandenburg nicht in der Lage sein wird, aus eigener Kraft ein ganz eigenes ökonomisches und gesellschaftliches Modell zu entwickeln. Das Land braucht Leitbilder, es kann von den Ideen und Erfolgen anderer profitieren, die sich in vergleichbar schwierigen Konstellationen „neu erfunden“ haben. Dabei geht es nicht darum, fremde Erfahrungen unreflektiert zu kopieren; es geht darum, die richtigen eigenen Schlüsse zu ziehen. Ebenso wichtig bei der Auseinandersetzung mit Erfolgsgeschichten anderswo ist der psychologische Aha-Effekt, der sich mit der Einsicht verbinden kann, dass so etwas überhaupt möglich ist. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob sich ein anhand der Erfolge anderer gewonnenes Leitbild in Brandenburg maßstabsgetreu „anwenden“ lässt – dies wird angesichts unterschiedlicher Voraussetzungen ohnehin niemals der Fall sein. Entscheidend ist die anschauliche Konkretion, die am geeigneten Beispiel gewonnene Erkenntnis der Machbarkeit von Aufbruch und Wandel. Aber an welchen Vorbildern, Modellen, Ideen,

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Prinzipien könnte sich Brandenburg überhaupt orientieren? Klar ist, dass jede ernst gemeinte strategische Ausrichtung – mindestens – den folgenden Anforderungen genügen muss: Anschlussfähigkeit. Langfristig entstandene und traditionsreiche Sozialmodelle lassen sich aller Erfahrung nach nicht im Handumdrehen austauschen; es gilt das „Gesetz“ der Pfadabhängigkeit allen gesellschaftlichen Wandels. Jede noch so transformativ und radikal gemeinte Strategie muss daher – zumindest langfristig – zugleich doch anschlussfähig sein an die Vorstellungen, Mentalitäten, Einstellungen der Bevölkerung. Die Fragen lauten also: Ist diese strategische Vision öffentlich vermittelbar? Verspricht sie – paradox gesprochen – Veränderungen im Dienste der Bewahrung dessen, was den Menschen vor allem wichtig ist? Folgerichtigkeit. Auch Parteien und Politiker können sich nicht ohne weiteres neu erfinden. Plötzliche Traditionsbrüche und ansatzlos aus dem Hut gezauberte Identitätswechsel sind von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Fragen lauten: Ist die strategische Vision vereinbar mit den grundlegenden normativen Orientierungen der politischen Parteien und ihrer Repräsentanten, die sich für diesen Weg ent-


Brandenburg und das finnische Modell

scheiden (sollen)? Ist sie vereinbar mit den über lange Zeiträume entstandenen Erwartungshaltungen der Wähler und Aktivisten gegenüber diesen Parteien und Repräsentanten? Erfolgsaussichten. Eröffnet die in Betracht gezogene strategische Vision

tatsächlich eine motivierende und sinnstiftende Perspektive? Bietet sie einen gangbaren Weg? Oder bedeutet der großspurige Begriff „strategische Vision“, bei Licht betrachtet, nicht doch nur ein Synonym für „Wolkenkuckucksheim“ und „Phantasterei“?

II. Wissensökonomie und Sozialstaat: Das finnische Modell Was macht bei Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte aus Brandenburger Sicht den Fall Finnland so interessant? Was lässt sich von Finnland lernen? Inwiefern kann eine strategische Vision für Brandenburg eher von finnischen Erfahrungen profitieren als von anderen? In den vergangenen Jahren ist Finnland im Kontext der Aufregung um die PISA-Studie vor allem aufgrund seines im internationalen Vergleich herausragenden Schul- und Bildungswesens auf dem deutschen Radarschirm aufgetaucht. Auf diesem Gebiet lässt sich in der Tat viel abschauen und nacheifern. Dies ist allerdings umso sinnvoller, je weniger die eindrucksvollen finnischen Erfolge im Bildungssektor isoliert betrachtet werden. Die eigentliche „finnische Lehre“ ist weit umfassender. Finnland ist dasjenige Land, das wie kein anderes auf der Welt demonstriert, dass und wie sich ökonomische Dynamik,

Informationsgesellschaft und modern verstandene Sozialstaatlichkeit wechselseitig bedingen, ja beflügeln können. Finnland kann heute gemeinsam mit den Vereinigten Staaten und Singapur als eine der wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensintensiven Volkswirtschaften weltweit gelten. In den Jahren 1996 bis 2000 erzielte Finnland ein jährliches Durchschnittswachstum von 5,1 % gegenüber 4,3 % in den USA und 2,6 % in den EU-Staaten insgesamt. Die wirklich bemerkenswerte Erkenntnis lautet aber, dass Finnland diese Leistung auf völlig andere Weise erbringt als etwa die USA mit ihrem marktliberalen Modell Silicon Valley oder Singapur mit seinem Modell einer autoritär gesteuerten Informationsgesellschaft. Unter allen relevanten Gesichtspunkten sozialer Gerechtigkeit (etwa Einkommensungleichheit, Exklusion, Armut, Bildungs-

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Tobias Dürr

niveau, Gesundheitsversorgung, staatliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung, Gewährleistung öffentlicher Infrastruktur) steht Finnland heute im internationalen Vergleich herausragend da. Das Land führt exemplarisch vor, dass für erfolgreiche technologisch-ökonomische Entwicklung nicht der Preis steigender gesellschaftlicher Ungleichheit und Ungerechtigkeit entrichtet werden muss, sondern dass im Gegenteil einerseits soziale Gerechtigkeit sehr wohl eine entscheidende Ressource wirtschaftlichen Erfolgs sein kann, wie auch andererseits die notwendigen Mittel zur Gewährleistung sozialer Gerechtigkeit mittels herausragender ökonomischer Performanz erwirtschaftet werden. In ihrem Buch The Information Society and the Welfare State:The Finnish Modell (Oxford 2002) beschreiben Manuel Castells und Pekka Himanen genau diesen Zusammenhang als den „virtous circle“, der das finnische Entwicklungsmodell so interessant für bislang weniger erfolgreiche und entwickelte Länder und Regionen mache. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil Finnland selbst (anders als die anderen nordischen Länder) vor noch nicht langer Zeit selbst ein bitterarmes, ja geradezu unterentwickeltes Agrarland war. Bis vor drei Generationen lebte der überwiegende Teil der Bevölkerung in technologischer Rückständigkeit

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von den mageren Erträgen der Forstund Landwirtschaft. Und selbst Ende der achtziger Jahre noch beschäftigte sich die 1865 als Sägewerk und Papiermühle gegründete Firma Nokia mit der Produktion von Toilettenpapier, Gummistiefeln, Autoreifen und Fernsehern; heute ist Nokia das Unternehmen mit der höchsten Börsenkapitalisierung in ganz Europa. Und – aus ostdeutscher und brandenburgischer Perspektive ebenfalls besonders aufschlussreich – noch Anfang der neunziger Jahre, nach dem Zusammenbruch des benachbarten Handelspartners Sowjetunion und des gesamten Ostblocks, musste Finnland eine schwere Wirtschaftskrise überstehen: Innerhalb des Jahres 1994 schrumpfte das finnische Bruttosozialprodukt um volle 13 %, während zugleich die Arbeitslosenquote von 3,5 auf 17 % stieg. Es dürfte ohne weiteres auf der Hand liegen, dass die produktive finnische Verbindung von Sozialstaat und hoch dynamischer Informationsgesellschaft aus deutscher (und erst recht ostdeutscher) wie zugleich auch aus sozialdemokratischer Perspektive deshalb besondere Attraktivität besitzt, weil hier offensichtlich ein spezifisches Innovations- und Entwicklungsmodell vorliegt, das im Einklang steht mit dem sozialstaatlichen, Gleichheit und Gerechtigkeit betonenden deutschen Sozialmodell sowie mit den fundamentalen Wertvorstellungen


Brandenburg und das finnische Modell

der sozialen Demokratie. Als Brüche mit diesen Traditionslinien empfundene Modernisierungspfade in die wissensintensive Wirtschaft (die Modelle „Silicon Valley“ oder „Singapur“) wären nach Lage der Dinge gesellschaftlich nicht vermittelbar. Aus der spezifischen Sicht Brandenburgs treten indes noch weitere Faktoren hinzu, die den Fall Finnland besonders interessant machen. Dies gilt in besonderem Maße unter sozialräumlichen Gesichtspunkten. Wie das deutsche Flächenland Brandenburg (tatsächlich noch in weitaus höherem Maße als Brandenburg) hat es Finnland mit den Schwierigkeiten zu tun, die sich im ökonomischen Modernisierungsprozess aus geringer Bevölkerungsdichte sowie der zunehmenden sozialökonomischen Abkoppelung und demografischen Überalterung peripherer Regionen ergeben. Ähnlich wie Brandenburg sucht Finnland nach Antworten auf das Problem des wachsenden Widerspruchs zwischen ökonomisch und demografisch boomenden metropolennahen Regionen einerseits und zurückfallenden Randlagen. Dies ist die räumliche Dimension der übergeordneten Frage, auf welche Weise soziale Inklusion unter den Bedingungen einer zunehmend wissensbasierten Ökonomie überhaupt noch möglich sein kann.

Das Problem ist bekannt: „Je mehr die Informationsgesellschaft das große Leitmotiv des Landes insgesamt ist“, schreiben Castells und Himanen, „desto mehr fühlen sich diejenigen vom Fortschritt abgehängt, die nicht die Fähigkeiten besitzen, an diesem Leitmotiv teilzuhaben – am Ende könnten sie im innerhalb der finnischen Informationsgesellschaft in einer Art innerer Exil leben.“ Genau dies zu verhindern ist ein zentrales Anliegen der finnischen Politik. Im Einklang mit dem expliziten Leitmotiv des finnischen Innovationsmodells, unter allen Umständen die gesamte Bevölkerung auf dem Weg in die Informationsgesellschaft mitzunehmen, sind in Finnland große Anstrengungen unternommen worden, auch abgelegenere Regionen technologisch und infrastrukturell auf das neue wissensökonomische Paradigma einzustellen. Aber auch die positive Kehrseite dieser Herausforderung teilt das rund um die deutsche Metropole Berlin gelegene Brandenburg mit Finnland. Denn das Korrelat zur Entvölkerung peripherer Regionen ist die Entstehung neuartiger Formen urbaner Agglomerationen. Im Übergang von den sozialräumlichen Strukturen der Industriegesellschaft zu jenen der Informationsgesellschaft erleben wir die größte Urbanisierungswelle aller Zeiten. In den neuartigen ausge-

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Tobias Dürr

dehnten, verkehrstechnisch und kommunikativ miteinander vernetzten Metropolenregionen konzentrieren sich heute und in Zukunft die Orte der Innovation, der Wertschöpfung, der Kultur und der Kommunikation. Damit sind diese Städte neuen Typs zugleich die Motoren von Wachstum und Kreativität in ihrem jeweiligen Hinterland – der Erfolg lokaler und regionaler Strukturen hängt ab von deren Einbindung in globale Netzwerke. Wie die südfinnische Region von Groß-Helsinki (und im Übrigen viele andere Metropolenregionen weltweit) befindet sich auch die Großregion von Berlin und Brandenburg mitten in einem Prozess der „konzentrierten Dezentralisation“ (Castells/Himanen) von Bevölkerung und ökonomischer Aktivität. Das bedeutet, dass wir einerseits überall die fortschreitende Ausdehnung und Dominanz urbaner Siedlungsgebiete vis à vis ländlichen Regionen erleben, dass die dabei entstehenden und wachsenden urbanen Strukturen aber andererseits immer weniger dem industriegesellschaftlichen Muster von Zentrum und Vororten entsprechen. Zusammen-

genommen bilden diese neuartigen Agglomerationen der Informationsgesellschaft je eigene regionale Innovationsmilieus: integrierte Wertschöpfungs- und Wissenschaftscluster fortgeschrittener Produktion, Dienstleistung, Forschung und Kultur. Diese untereinander vernetzten Mega-Regionen bieten mehr und bessere Arbeitsplätze, Bildungschance und sonstige städtische Angebote. Damit üben die enorme Sogwirkung auf die sie umgebenden Regionen aus. Der finnische Weg besteht darin, die großen Chancen dieser Entwicklung entschlossen und ohne schlechtes Gewissen zu nutzen – gerade um jene ökonomische Dynamik und Ressourcen hervorbringen zu können, die notwendig sind, um peripherer gelegene Regionen überhaupt an Wachstum,Wertschöpfung und Fortschritt teilhaben zu lassen. Castells und Himanen beschreiben vielversprechende Strategien (etwa im abgelegenen Nordkarelien), „der Informationsgesellschaft eine lokale und regionale Dimension zu geben.“ Hier könnten aus Brandenburger Sicht womöglich spannende Anknüpfungspunkte vorliegen.

III. Warum also Finnland? Zugegeben, für die höchst erfolgreiche Bewältigung des Weges von der

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Agrar- oder Industriegesellschaft in die moderne Wissensökonomie gibt es in


Brandenburg und das finnische Modell

Europa noch andere Beispiele. Oft wird voller Bewunderung der „keltische Tiger“ Irland genannt. Irland gehörte noch in den sechziger Jahren zu den Armenhäusern Europas; die irische Pro-Kopf-Produktion betrug unter 50 % des westdeutschen Wertes. Heute liegt Irland beim Sozialprodukt pro Kopf nicht nur über dem europäischen Durchschnitt, sondern hat auch Deutschland hinter sich zurückgelassen. „Irland ist heute das Wirtschaftswunderland Europas“, schreibt deshalb voller Bewunderung der liberale Ökonom Hans-Werner Sinn in seinem Buch Ist Deutschland noch zu retten? (München 2003). Und ebenso begeistert nennt Sinn zugleich die Faktoren, die den Aufstieg Irlands ermöglicht haben. Zu diesen Faktoren gehört die irische Niedrigsteuerpolitik mit einem Einkommensteuersatz von nur 10 % für große Unternehmen, ganz bewusst darauf ausgerichtet, internationales mobiles Kapital anzulocken; zu diesen Faktoren gehören daneben, so Sinn, „eine extrem liberale Wirtschaftspolitik nach amerikanischem Muster“ sowie „ein weit gehender Verzicht auf sozialstaatliche Einrichtungen“. Auf diese Weise, durch niedrige Steuern, niedrige Löhne und eine niedrige Staatsquote, habe Irland massive Kapitalimporte angelockt. „Aber das ist es eben, was eine hohe Standortqualität

ausmacht“, resümiert Sinn: „Wir Deutschen könnten uns im Hinblick auf die Entwicklung in den neuen Ländern vom irischen Beispiel eine Scheibe abschneiden.“ Tatsächlich? Ist, ausgehend vom Status quo, wirklich eine erfolgversprechende strategische Vision für Ostdeutschland und besonders Brandenburg vorstellbar, die dezidiert auf niedrige Löhne und den weit gehenden Verzicht auf Sozialleistungen setzt? Und erst recht: Handelt es sich hier tatsächlich um ein Modell, dem Ostdeutsche sinnvoller Weise nacheifern sollten? Wohl eher nicht. Es ist ziemlich offensichtlich, dass jeder Versuch, Brandenburg „durch eine extrem liberale Wirtschaftspolitik nach amerikanischem Muster“ auf Vordermann zu bringen, mit Grundüberzeugungen sozialer Demokratie ganz unvereinbar wäre. Als Vorbild für ein Brandenburg unter sozialdemokratischer Regie erscheint Irland also angesichts der Ursachen seines ökonomischen Erfolgs ziemlich unbrauchbar. Das Gegenteil gilt für Finnland. Das Beispiel Finnland demonstriert so eindringlich wie kein zweites in Europa, wie ein vormals rückständiges Land mit Hilfe einer zu ihm passenden strategischen Vision zu Modernität und Wohlstand gelangen kann, ohne darüber seine Traditionen, seine Kultur und gesellschaftliche Identität aufzugeben – vor allem aber: ohne

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Tobias Dürr

eine Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zu betreiben, die auf Niedriglöhne und Sozialdumping setzt. Auch Hans-Werner Sinn zählt Finnland zu den vorbildhaften Staaten in Europa, die heute „die Nase vorn“ haben. Das Land habe sich in den neunziger Jahren „aufgerappelt und zu einem soliden Wachstum gefunden“. Dass Finnland auf dem Weg zu diesem Erfolg einen geradezu diametral anderen Kurs eingeschlagen hat als Irland, also eine gänzlich andere strategische Vision verfolgt und auf völlig andere Instrumente setzt, bleibt dabei ganz und gar unberücksichtigt. Doch eben auf diesen Unterschied kommt es an. Unter den – oben genannten – Gesichtspunkten der Anschlussfähigkeit und der Folgerichtigkeit sozialer und ökonomischer Innovationsprozesse hat Finnland die für Brandenburg zweifellos weit aufschlussreichere Strategie gewählt. In ihrer Studie zum finnischen Modell legen Castells und Himanen wert auf den Hinweis, dass ihre Absicht natürlich nicht darin bestehe, Finnland schlecht-

hin als Blaupause für andere Gesellschaften und Regionen zu beschreiben. Unmittelbar nachahmen lässt sich der singuläre Aufstieg Finnlands sicherlich nirgendwo, und bekanntlich ist ein brandenburgisches Nokia derzeit nirgendwo auch nur am Horizont zu erkennen. Sofern der Fall Finnland eine zentrale ermutigende Lehre enthält, dann diejenige, dass eine benachteiligte Gesellschaft oder Region auch unter den Bedingungen von Globalisierung und Wissensökonomie nicht bloß vor der Alternative zwischen trostlosem Weiterso und rasender Anpassung an marktradikale Lehren steht. Die Kombination von inklusiver Gesellschaft, kultureller Identität, moderner Sozialstaatlichkeit und rundum wettbewerbsfähiger Ökonomie – „information technology with a soul“ (Castells/Himanen) – erscheint nicht nur möglich, sondern bedeutet langfristig zweifellos auch die erfolgversprechendere Option. Das Unterfangen, eine strategische Vision für Brandenburg zu entwickeln, sollte aus dieser Zuversicht heraus begonnen werden.

Tobias Dürr Politikwissenschaftler und Publizist, Chefredakteur der Zeitschrift „Berliner Republik“ Anschrift: Redaktion „Berliner Republik“, Stresemannstraße 30, 10963 Berlin. E-Mail: duerr@b-republik.de

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Brandenburg und das finnische Modell

Literaturangaben Werner Abelshauser, Kulturkampf: Der deutsche Weg in die Neue Wirtschaft und die amerikanische Herausforderung, Berlin: Kadmos 2003 Manuel Castells, Das Informationszeitalter, Bd. 1 bis 3, Opladen: Leske + Budrich 2003 Manuel Castells und Pekka Himanen, The Information Society and the Welfare State: The Finnish Model, Oxford: Oxford University Press 2003 Gøsta Esping-Andersen, Why We Need a New Welfare State, Oxford: Oxford University Press 2002 Udo Di Fabio, Grundlagen der Gemeinschaft, in: Frankfurter Allgemeine vom 22.10.2003 Wolfgang Gehrmann und Kolja Rudzio, Die Kraft, die Wohlstand schafft: Warum wächst die Wirtschaft nirgendwo so schnell wie im ostdeutschen Teltow-Fläming? Warum kämpft Flensburg mit der Dauerkrise? Eine Spurensuche, in: Die Zeit vom 31.12.2003 Ted Halstead und Michael Lind,The Radical Center:The Future of American Politics, New York: Anchor Books 2002 Will Hutton, The World We’re In, London: Little, Brown 2002 Steven Johnson, Emergence: The Connected Lives of Ants, Brains, Cities and Software, London: Penguin 2003 Herbert Kitschelt et. al. (Hrsg.), Continuity and Change in Contemporary Capitalism, Cambridge: Cambridge University Press 1999 Robert B. Reich, The Future of Success: Working and Living in the New Economy, New York: Vintage 2002 Hans-Werner Sinn, Ist Deutschland noch zu retten? München: Econ 2003 Joseph Stiglitz, The Roaring Nineties: Seeds of Destruction, London: Allen Lane 2003

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Wachsen wie die Sachsen? Eine kritische Bilanz der Nachwendezeit Von Thomas Kralinski

Am 19. September 2004 wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Der Freistaat ist das einzige neue Bundesland, in dem seit der Wende nur eine Partei, die CDU, mit absoluter Mehrheit regierte. Bis 2002 herrschte Kurt Biedenkopf, seitdem Georg Milbradt. Wie weit sind die Sachsen seit der Wende gekommen? Was hat Sachsen aus seinen Voraussetzungen gemacht? Wie ist es auf die Zukunft vorbereitet? Und welchen Anteil hat die Landespolitik an all dem? Die neuen Bundesländer sind 1990 mit unterschiedlichen Voraussetzungen gestartet – wirtschaftlich, gesellschaftlich, kulturell. In Sachsen und Thüringen sind zwei Länder mit großem Regionalbewusstsein wieder entstanden. Sachsen-Anhalt hat eine verbindende Identität bis heute nicht aufgebaut. Auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen waren sehr verschieden: Thüringen mit einer verhältnismäßig kleinteiligen und breiten Wirtschaftsstruktur, Sachsen-Anhalt mit landwirtschaftlicher Dominanz im Norden und gewaltigen industriellen Monostrukturen und Kombinaten im Süden, Mecklenburg-Vorpommern hingegen als Land, das die DDR-Jahre eher als Modernisierung wahrgenommen hat. Sachsen erlebte seinen ersten wirtschaftlichen Modernisierungsschub im

Mittelalter durch den Silberbergbau. Im 19. Jahrhundert setzte die Industrialisierung früher als in anderen Ländern ein, so dass Sachsen schnell zur wirtschaftlich modernsten Region Deutschlands wurde – noch vor dem Ruhrgebiet war es die größte deutsche Industrielandschaft. In den 1920er und 1930er Jahren war Sachsen das am höchsten industrialisierte Land der Welt. Dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg folgte dann eine nachhaltige ökonomische Auszehrung – Sachsen erlebte die DDR-Jahre als relativen ökonomischen Niedergang. Gleichwohl war die Ausgangslage für die wirtschaftliche Transformation nach 1990 in Sachsen vergleichsweise gut. Das Land war zwar nicht ganz von gewaltigen Industriekomplexen verschont worden – das Erbe der Braunkohlein-

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Thomas Kralinski

dustrie in der Lausitz und südlich von Leipzig zeugen noch heute davon. Doch im Gegensatz zu anderen Bundesländern verfügte Sachsen zum Ende der

DDR über eine stark ausdifferenzierte Wirtschafts- und Forschungsstruktur und, am wichtigsten, über entsprechend gut ausgebildete Fachkräfte.

Back to the Roots? – Sachsens industrieller Wiederaufstieg Das waren auch die beiden zentralen Ressourcen für den Transformationsprozess der 1990er Jahre. Die Wirtschaftspolitik des Landes setzte in erster Linie auf industrielle Anker. Dabei nutzte sie die vorhandenen Potenziale: vor dem Zweiten Weltkrieg war Sachsen das bedeutendste Zentrum der Automobilindustrie, eine Rolle, die vor allem der Raum Chemnitz-Zwickau auch für die DDR nicht verlor. Insofern war es folgerichtig, in der Nachwendezeit auf die Ansiedlung von wichtigen Automobil- und Maschinenbauunternehmen zu setzen. Heute nennt sich Sachsen wieder selbstbewusst „Autoland“. Die Werke von VW, BMW und Porsche mit ihren vielen Zulieferern legen dies nahe. Doch Vorsicht. In der Gläsernen Fabrik in Dresdens Zentrum setzen ein paar hundert Beschäftigte lediglich anderswo hergestellte Teile zu einem Auto zu-

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sammen. BMW wird in seinem neuen Leipziger Werk kein neues Auto produzieren, sondern die vorhandene Produktionskette aus einem süddeutschen Werk verlagern, um dort ein neues Modell zu produzieren. Was also fehlt sind nachhaltige Arbeitsplätze, die mit zentraler Forschung und Entwicklung verknüpft sind. Arbeitsplätze, die mehr sind als „verlängerte Werkbänke“. Dies ist der zentrale Webfehler der sächsischen Wirtschaftspolitik: Sie hat zu wenig darauf geachtet, dass – bei aller Freude über die gelungenen Ansiedlungen – auch die nötigen Innovationsketten nach Sachsen kamen. Fördergelder flossen in Milliardenhöhe – die verschiedenen Streitigkeiten zwischen der sächsischen Landesregierung und der EU-Kommission sind ein Ausdruck dessen. Doch wurden die Fördermittel zu wenig zielgerichtet in wissens- und knowhowbasierte Wirtschaftszweige gesteckt.


Wachsen wie die Sachsen?

Die Niedriglohnstrategie ist am Ende Das zentrale Argument der sächsischen Wirtschaftspolitik sind bisher stets die niedrigen Löhne gewesen. Doch hat sich dieser Vorteil mittlerweile in sein Gegenteil verkehrt. Denn die niedrigen Löhne verschärfen seit einigen Jahren die Abwanderung – vor allem aus den peripheren Regionen Sachsens. Dabei gehen die besonders gut Ausgebildeten zuerst. In der Folge haben die kleinen und mittleren Unternehmen – gerade in den boomenden Zweigen der sächsischen Industrie – Nachwuchssorgen, die sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen werden, wenn die geburtenschwachen Jahrgänge der Nachwendezeit in die

Ausbildung und die Unternehmen tröpfeln. Heute ist eine politische Strategie der Landesregierung, die die produktionsorientierte Wirtschaftspolitik in eine arbeitskräfteorientierte umsteuern würde, nicht zu erkennen. Der bisherige Kurs schlägt sich auch in den Zahlen nieder: Das Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätigen ist eines der niedrigsten der neuen Länder, bei der Angleichung an das Niveau der alten Länder liegt Sachsen mittlerweile auf dem vorletzten Platz. Die produktionsorientierte Wirtschaftspolitik hat in den vergangenen Jahren aus den sächsischen Zentren wieder vorzeigbare Industriestandorte

Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts 1991-2002 4,5 %

Thüringen

4,4 %

Brandenburg

3,9 %

Sachsen

3,6 %

Sachsen-Anhalt Mecklenburg-

3,5 %

Vorpommern 0%

1%

2%

3%

4%

5%

Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, SMWA

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gemacht. Die Zahl der Industriearbeitsplätze ist beachtlich. Vor allem der Raum Chemnitz-Zwickau ist wieder ein Zentrum des Maschinen- und Anlagenbaus. Die Exportquote der Industrie ist in den vergangenen Jahren beständig gewachsen – wenngleich man auch nicht darüber hinwegsehen darf, dass die Hälfte des sächsischen Exports von einer Handvoll Firmen erbracht wird. Die Herausforderung der kommenden Jahre liegt nun darin, diese Arbeitsplätze dauerhaft zu sichern und sie mit innovativen Ansätzen zu verknüpfen. Ein Teil der Automobil-Zulieferer muss zu Kosten produzieren, die denen in Tschechien oder Mexiko nicht unüblich sind. Dies ist auf Dauer nicht durchzuhalten und beeinträchtigt vor allem die Innovationskraft dieser Unterneh-

men. Daneben ist nicht zu übersehen, dass die bisherige Strategie einzig in einigen wenigen Zentren erfolgreich war und sich zu stark auf die großen Unternehmen konzentriert hat. Darüber hat die Landesregierung bisher eine kohärente Mittelstandspolitik vergessen. So sind auch die Großansiedlungen nicht nur ein Segen für die sächsische Wirtschaft. Der neue BMWStandort in Leipzig saugt vor allem Fachkräfte aus den kleinen und mittleren Unternehmen der Region ab. Die Beschäftigten erwarten von BMW eine höhere Arbeitsplatzsicherheit und bessere Löhne. Die kleinen Unternehmen jedoch stellt diese Flucht nun vor neue – nicht nur personalwirtschaftliche – Probleme im ohnehin schwierigen Konsolidierungsprozess.

BIP je Erwerbstätiger 2002 im Vergleich zu alten Ländern alte Länder

100

Brandenburg

75,9

Sachsen-Anhalt

73,6

MecklenburgVorpommern

71,6

Sachsen

68,9

Thüringen

67,3

0

25

50

Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, SMWA

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75

100


Wachsen wie die Sachsen?

Perspektiven für die Peripherie fehlen So ist die „Leuchtturmpolitik“ der vergangenen Jahre für die Regionen um Dresden, Leipzig und ChemnitzZwickau erfolgreich verlaufen – in den restlichen Regionen blieb es jedoch weitgehend dunkel. Das lässt sich sehr gut an der Entwicklung der Wanderungszahlen illustrieren: Während die sächsischen Großstädte die Abwanderung abgebremst und teilweise sogar in Zuzug verwandelt haben, laufen die peripheren Regionen zunehmend leer. Bisher ist keine politische Strategie zu erkennen, wie diese Regionen in Zukunft entwickelt werden können. Ein Leitbild für sie fehlt. Die Landesregierung nennt diese Regionen verbrämt „Gebiete mit besonderen Entwicklungsaufgaben“ – der etwas hilflose Begriff soll augenscheinlich darüber hinwegtäuschen, dass ein Konzept für die Zukunft von Lausitz, Nordsachsen und Erzgebirge bisher fehlt.

Nun liegen die peripheren Regionen Sachsens fast ausschließlich an der Grenze zu Polen und Tschechien. Doch auch hier mangelt es an Vorstellungen, wie diese Regionen zu wahren Brücken werden können: wirtschaftlich, kulturell und sozial. Erste Ansätze gibt es vor Ort. Das Görlitzer Theater spielt mit polnischen „Übertiteln“ oder gleich komplette Stücke auf Polnisch; im Vogtland gibt es einen wegweisenden deutsch-tschechischen Verkehrsverbund, der Züge und Tarife miteinander vernetzt hat. Doch weitgehend fehlt die Infrastruktur: Aus der am dichtesten besiedelten ostdeutschen Region Chemnitz gibt es keine leistungsfähige Straße oder Schiene Richtung Prag, nicht viel anders sieht es mit den Verbindungen nach Polen aus. Es fehlen vor allem die sprichwörtlichen kleinen Brücken. Vor dem Krieg existierten etwa 100 Brücken über die Neiße, heute sind es noch nicht einmal ein Dutzend.

Neue Anfänge in der Bildungspolitik Durch das Primat der produktionsorientierten Politik der vergangenen Jahre wurden in den vergangenen Jahren innovative und wissensbasierte Elemente vernachlässigt. Zwar ist die Landesregierung zu Beginn der 1990er Jahre

mutige Schritte gegangen. Für die Beibehaltung des 12-jährigen Abiturs hat das Land bis vor wenigen Jahren noch erhebliche Prügel einstecken müssen – vornehmlich von Ländern, die das ZwölferAbitur heute nicht schnell genug ein-

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führen können. Auch die Fusion der Realund Hauptschulen zur Mittelschulen ist ein konsequenter Schritt gewesen – wäre er nicht mit ihrer kontinuierlichen Unterausstattung einher gegangen, der diesen Schulen mancherorts nun doch den Geruch der „Restschule“ gibt, ein Merkmal, das man mit diesem Schritt eigentlich vermeiden wollte. Die extrem frühe Selektion zwischen Mittelschule und Gymnasium bereits in der vierten Klasse führt zu einem ungewöhnlich starken Leistungsdruck auf die Kindern. Nicht zuletzt deshalb ist die Unzufriedenheit mit dem sächsischen Schulsystem unter Schülern, Eltern und Lehrern in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Formal hat das Land zwar bei der deutschlandinternen PISA-Studie mit einem 3. Platz gut abgeschnitten – wenngleich dieser Platz auch darüber hinweg täuscht, dass Sachsen damit trotzdem unter dem OECD-Durchschnitt liegt. Dennoch, die Ablehnung des gegenwärtigen Schulsystems ist enorm. In 2003 wurden über 400.000 Unterschriften für ein Referendum über ein neues Schulgesetz gesammelt – das nötige Quorum wurde damit nur haarscharf verfehlt und der Landesregierung blieb eine schwere Niederlage erspart.

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Aus guten Anfängen in der Bildungspolitik ist in den letzten Jahren ein zunehmend ideologisch aufgeladener Konflikt zwischen Landesregierung und CDU auf der einen Seite und Eltern, Schülern, Lehrern und Kommunalpolitikern auf der anderen Seite geworden. Obwohl Thüringen und Brandenburg zeigen, dass „kleine Schulen“ sowohl pädagogisch als auch wirtschaftlich sinnvoll sind, sucht man diese in Sachsen bisher vergeblich. Ganztagsschulen gibt es in Sachsen zurzeit lediglich vier. Warum sich das Land nicht um die Millionen aus dem Ganztagsschulprogramm des Bundes bemüht, bleibt das Geheimnis der Landesregierung. Bisher ist in Berlin jedenfalls noch kein sächsischer Förderantrag eingegangen. Und dass die CDU im mehrheitlich unchristlichen Sachsen den christlichen Bezug der Schule erst vor einigen Monaten in das Schulgesetz geschrieben hat, verstärkt den Eindruck einer ideologisch ausgerichteten Bildungspolitik. Wenig motivierte Lehrer, ein überalterter Lehrkörper, der blockierte Einstieg für junge Lehrer und ein noch häufig schlechter baulicher Zustand vieler Schulen kommen hinzu.


Wachsen wie die Sachsen?

Hochschulen ausgebremst In der Hochschulpolitik konnte Sachsen auf eine gute Ausgangsbasis zurückgreifen: 22 Hochschulen und Universitäten übernahm das Land aus der DDR-Zeit. Drei davon wurden geschlossen, etliche Einrichtungen fusioniert. Heute verfügt Sachsen über die umfangreichste Hochschullandschaft in den neuen Ländern. Hinzu kommen zahllose mit öffentlichen Mitteln unterstützte Forschungseinrichtungen, die helfen sollen, die Schwäche der industriellen Forschung auszugleichen. Zu den renommiertesten Hochschulen gehören heute die Universität Leipzig, die TU Chemnitz, die FH Mittweida und die zur Volluniversität ausgebaute Technische Universität Dresden. Doch der Ausbauschub Anfang der 1990er Jahre wurde unvermittelt abgebrochen. Nach kräftigem Schub trat die Landesregierung jäh auf die Bremse. So muss die TU Dresden heute neue Fachbereiche, gerade zehn Jahre nach ihrer Einrichtung, wieder schließen. Jetzt rächt sich, dass der Ausbau der Universitäten nicht überlegt betrieben wurde,

sondern eher Tonnenideologie und Prestigedenken folgte. Folgerichtig hat der ausgesprochen gute Ruf der sächsischen Universitäten in den vergangenen Jahren erheblich gelitten und die Motivation von Lehrenden und Studierenden „auf den Nullpunkt“ gebracht. In einer universitätsinternen Umfrage gab ein Drittel der Dresdner Professoren an, ihren Fortzug zu planen. In wohl keinem Bundesland hat es in den letzten Jahren so viele Proteste und Demonstrationen gegen die Hochschulpolitik gegeben. Als wesentlichen Grund für das Zurechtstutzen der sächsischen Hochschulen gibt die Landesregierung einen linear übertragenen Rückgang der Studenten in Folge der Bevölkerungsentwicklung an. Von neuen Konzepten, etwa einer stärkeren Internationalisierung, aktivem „Anwerben“ neuer Studenten und Ausweitung neuer Bildungsgänge keine Spur. Dabei wäre genau dies der Weg, den ein Technologieland Sachsen einschlagen müsste. Denn in der Tat: Die Demographie verändert das Land – und wird Fachkräfte in Zukunft rar machen.

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Thomas Kralinski

Sachsen ohne Kinder? Die Demographie verändert Sachsen bereits seit langer Zeit. In den 1950er Jahre hatte Sachsen noch fast 5,7 Millionen Einwohner, zurzeit der Wende waren es noch 4,9 Millionen. Seitdem hat sich der Bevölkerungsrückgang beschleunigt, kein ostdeutsches Bundesland hat einen ähnlichen Aderlass an Menschen zu beklagen. Zurzeit leben in Sachsen 4,3 Millionen Menschen, für das Jahr 2020 werden 3,7 Millionen geschätzt. Demographisch befindet sich das Land heute auf dem Stand der 1890er Jahre. Mit einem Unterschied: Sachsen ist mittlerweile das „älteste“ Land Deutschlands. Kein anderes Bundesland hat einen höheren Altersdurchschnitt als der Freistaat. Das Problem ist nicht, dass die Lebenserwartung steigt. Vielmehr fehlen dem Land die Kinder.

Der Einbruch der Geburtenrate nach 1989 um fast zwei Drittel wirkt nach und setzt sich fort. So hat die Geburtenrate in den Ballungszentren wie Dresden zwar mittlerweile wieder fast drei Viertel des Wertes von 1990 erreicht, in Regionen wie der Lausitz verharrt sie jedoch nach wie vor bei der Hälfte des 1990er Wertes. Hinzu kommt die bereits erwähnte Abwanderung vor allem der jungen und gut ausgebildeten Menschen. Und gerade deren Bereitschaft, nach Sachsen zurückzukehren, ist ausgesprochen niedrig. Nur 12 % der abgewanderten jungen Abiturienten können sich vorstellen, zurück zu kommen. Die demographischen Veränderungen stellen Sachsen in den kommenden Jahren vor vollkommen neue Fragen. In immerhin elf von 29 Kreisen wird die

Bevölkerungsveränderung 1989-2020 (1989=100) 105 100 98

98

100

98

98

98

97 96 100

96

96

96

96

97 98

98 95

95

97 95 94

94

93 93 93

91 92

90

91

91 90

89

85 Brandenburg Sachsen

83

80 77

75 1989

1990

1991

1992

1993

1994

1995

1996

1997

1998

Quelle: Statistische Landesämter, eigene Berechnungen; * = Prognose

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1999

2000

2001

2002

2010*

2020*


Wachsen wie die Sachsen?

Bevölkerungszahl bis 2020 noch einmal um mehr als 18 % zurückgehen, nur Leipzig und Dresden werden nach dieser Prognose ihre Einwohnerzahl halten können. Eine politische Antwort auf diese Prognosen, die die gegenwärtigen Rahmenbedingungen lediglich fortschreiben, gibt es bisher nicht. Eine langfristig und strategisch ausgerichtete Bevölkerungs- und Familienpolitik? Fehlanzeige. Stattdessen hat Sachsen heute die geringste Angebotsdichte in der Kleinkinderbetreuung in Ostdeutschland. Nach einer Studie des DIW kommen auf 100 Kleinkinder in Sachsen ganze 24 Krippenplätze, in Mecklenburg-Vorpommern immerhin 30, in Brandenburg dagegen 52. So ist es auch nicht verwun-

derlich, dass die Erwerbsquote der Frauen – vom ehemaligen Ministerpräsidenten Biedenkopf immer als „zu hoch“ beklagt – in Sachsen bei nur 52,6 % liegt, in Brandenburg immerhin bei 56,1 %. Bei der in beiden Ländern etwa gleich hohen Arbeitslosigkeit heißt dies, dass in Brandenburg letztlich mehr Menschen beschäftigt sind. Die sächsische Landesregierung ist bisher nicht durch Gedanken zu der Frage aufgefallen, wie die Zahl der Kinder in Zukunft steigen, wie die Bedingungen für Kinder und Familien im Land verbessert werden können. Auch Konzepte zum Erhalt der öffentlichen Infrastruktur vor allem in den dünn besiedelten peripheren Regionen gibt es bisher keine.

Krippenplätze pro 100 Kinder 60 52

50 40 30 24

20 12

10 1

0 Brandenburg

Sachsen

Hamburg

Bayern

Quelle: DIW 2001

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Thomas Kralinski

Zweite Verwaltungsreform steht auf der Tagesordnung Zwar ist der öffentliche Dienst in Sachsen in den vergangenen Jahren bereits erheblich reduziert worden. Doch einige qualitative Veränderungen stehen noch an. So hat es das Land Anfang der 1990er Jahre versäumt, seine Verwaltung durchgreifend und in einem Guss zu erneuern. Stattdessen leistet sich das Land weiterhin drei Regierungsbezirke. Die Zahl der kreisfreien Städte wurde 1994 sogar erhöht, sechs Landkreise haben weniger als 100.000 Einwohner. Die einseitige parteipolitische Durchwirkung des Freistaates – bis 2001 regierte die CDU alle Landkreise – hat eher zum Konservieren der eroberten Pfründe geführt und eine Diskussion um sinnvolle Kreisgrenzen und Aufgabenverteilungen zwischen Land und kommunaler Ebene verhindert. Das selbst bei der Ernennung und Beförderung von Richtern in Sachsen der Justizminister das

letzte Wort hat, ist beispielsweise in Brandenburg undenkbar. Die 2002 mit viel Tamtam eingeleitete enge Zusammenarbeit zwischen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kam zwar spät, wurde nun aber bereits wieder kleinlaut beerdigt. „Zu unterschiedlich“ seien die Verwaltungskulturen der drei Länder, verlautet aus den Staatskanzleien. Dabei kann die umfassende Zusammenarbeit ein zentraler Schlüssel bei der Bewältigung der anstehenden Probleme sein. Eine Fusion der drei Länder scheint in absehbarer Zeit illusorisch – vor allem die heimatbewussten Thüringer und Sachsen würden der Länderhochzeit in Volksabstimmungen wohl kaum zustimmen. Über einen weitgehenden – und zweifelsohne innovativen – „Drei-Länder-Bund“ wird bisher jedoch nicht nachgedacht.

Investitionen in Menschen müssen in den Vordergrund treten Sachsen muss in den kommenden Jahren seine politischen Spielräume aktiver nutzen. Die fiskalischen Voraussetzungen dafür sind gut: Der Freistaat ist nach Bayern das am niedrigsten verschuldete Bundesland Deutschlands (wenngleich

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dies in der Vergangenheit vor allem zu Lasten der Kommunen ging, deren Verschuldung beispielsweise deutlich höher ist als in Brandenburg). Sachsen hat dafür heute fiskalische Spielräume, die andere Bundesländer nicht (mehr)


Wachsen wie die Sachsen?

Schulden pro Einwohner 2002 7.000 6.111 5.666

6.000 in € pro Einwohner

5.068

4.955

5.000 4.000 3.000 2.446

2.000 1.000 0 Sachsen

Brandenburg

Thüringen

Sachsen-Anhalt

MecklenburgVorpommern

Quelle: SMF

haben und könnte eine innovationsgeleitete Strategie verfolgen, die in erster Linie in Menschen und deren Bildung und Lebensräume investiert. Der Freistaat Sachsen steht heute – wie alle neuen Länder – am Ende der Nachwendezeit. Erstaunlich ist die deutliche Einebnung der Niveauunterschiede zwischen den neuen Bundesländern. Lag 1996 das Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit um 6 bis 7 % über dem Land mit der niedrigsten Quote, so ist dieser Abstand heute auf nur noch 3 bis 4 % gesunken. Wurde der Freistaat Sachsen Anfang der 1990er Jahre als Musterknabe bezeichnet – und dieser Begriff stieß bei den selbstbewussten Sachsen auf postiven

Widerhall –, so rangiert das Land heute im Mittelfeld der neuen Länder. Und sieht sich heute neuen Fragestellungen gegenüber: • Mit welcher Strategie und auf welchen Feldern lässt sich eine innovationszentrierte Wirtschafts- und Bildungsstruktur aufbauen? • Wie kann der demographische Wandel aktiv gestaltet werden? • Wie können sich die Menschen mitnehmen lassen in diesem Modernisierungsprozess, der das Ziel haben muss, dass Sachsen bis zum Ende des Solidarpaktes im Jahr 2019 auf eigenen Füßen steht? Die Fragen sind gestellt, die Antworten (noch) offen.

Thomas Kralinski Politikwissenschaftler, Referent beim SPD-Landesverband Brandenburg.

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Innovationsinitiative und Ostdeutschland Regionale Probleme und Chancen der deutschen Strukturreform Von Klaus Faber

Weimarer Innovationsleitlinien Am 6. Januar dieses Jahres hat die Bundes-SPD in Weimar eine neue Initiative zur Innovationspolitik beschlossen (Weimarer Leitlinien 2004). Die „Weimarer Innovationsleitlinien“ sind vor allem dadurch bekannt geworden, dass ihre Vorstellung gegenüber der Öffentlichkeit und der Presse mit der Idee verbunden wurde, die Entwicklung von deutschen „Elite-Universitäten“ zu fördern. Die neue Initiative befaßt sich mit verschiedenen Innovationssektoren, z.B. mit der Verbesserung der Ganztagsbetreuung im Bildungswesen, der Sicherung der Sozialsysteme, der Konsolidierung der Staatsfinanzen oder der Förderung neuer Technologien auch im Rahmen der Europäischen Union. Besondere Bedeutung kommt aber dem Wissenschafts- und Bildungsausbau zu. „Der Wettbewerb hoch entwickelter Volkswirtschaften“, so der Weimarer Beschluß, „vollzieht sich über Innovationen. Beschäftigung können wir nur

sichern und neu schaffen, wenn wir Zukunftsmärkte gezielt und schnell erschließen. Darin liegen große Chancen gerade auch für strukturschwache Regionen z.B. in Ostdeutschland. Deshalb wollen wir“, so die Weimarer Initiative, „dass Ostdeutschland Innovationsregion in Deutschland wird.“ Im Mittelpunkt steht für die SPD das Ziel, durch eine „Modernisierung von Gesellschaft und Staat mehr Chancen auf ein gutes Leben für möglichst viele Menschen zu erreichen.“ Wirtschaftliches Wachstum ist für die Weimarer Initiative kein Selbstzweck, sondern muß gesellschaftlichen Zielen dienen und ökologisch nachhaltig sein. Bildung, Wissenschaft und Forschung müssen ein „Anliegen der gesamten Gesellschaft werden“, so eine zentrale Forderung. Im Wissenschaftsbereich fordern die Leitlinien im einzelnen:„Der Zugang zu unseren Hochschulen muß offen bleiben“, was wahrscheinlich die Ablehnung von Studiengebühren für das

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Klaus Faber

Erststudium einbezieht, wie sie auch ein SPD-Parteitagsbeschluß fordert. „Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr und besser ausgebildetete Hochschulabsolventen“, so wörtlich der Weimarer Beschluß. Die Leitlinien sprechen sich dafür aus, die Universitäten und Fachhochschulen für die berufliche Weiterbildung zu öffnen. Ein wichtiger Teil der Leistungsbilanz wird in der Weimarer Initiative erwähnt: „Als wir 1998 die Regierungsverantwortung übernahmen, lag der Anteil der Studienanfänger bei 28,5 %, inzwischen beträgt er 35,6 % eines Jahrgangs. Dazu hat vor allem die Verbesserung der Ausbildungsförderung beigetragen. Unser Ziel bleibt, die Studierendenquote in den kommenden Jahren auf 40 % zu erhöhen.“ Die Konsequenz aus diesen Grundforderungen beschreiben die Weimarer Leitlinien im einzelnen: „Wir wollen die Struktur der Hochschullandschaft so verändern, dass sich Spitzenhochschulen und Forschungszentren eta-

blieren, die auch weltweit in der ersten Liga mitspielen und mit internationalen Spitzenhochschulen wie Harvard und Stanford konkurrieren können.“ – Die Stanford/Harvard-Erwähnung enthält übrigens Vergleichsbeispiele, die angesichts der Struktur- und Finanzunterschiede (Stanfords Jahresausgaben z.B. rund 2,5 Milliarden Dollar) kaum zur deutschen Hochschullandschaft passen – was nicht gegen die Forderung spricht, „Spitzenleistungen“ an „Spitzenhochschulen“ zu fördern. „Wir wollen“, so weiter der Weimarer Beschluß, „bis spätestens 2010 den Anteil der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von heute 2,5 % (2001) auf 3 % steigern. Wir erwarten von der Wirtschaft, dass sie ihren Anteil auf 2 % des BIP erhöht. … Wir werden in diesem Rahmen auch prüfen, ob eine Stiftung ‘Bildung, Forschung und Entwicklung’ einen Beitrag zur Finanzierung zentraler Innovationsprojekte leisten kann.“

Fragen zum sozialdemokratischen Politikprofil In Zielrichtung und Argumentation zeigen die Weimarer Leitlinien Parallelen zur sozialdemokratischen Innenpolitik in Schweden. Auch dort war der Umbau der mit viel Finanzaufwand

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unterhaltenen Sozialsysteme notwendig – nicht nur mit Rücksicht auf die globalisierte Wirtschaftskonkurrenz. In Schweden gelang es wohl besser als in Deutschland, auch die positiven Zu-


Innovationsinitiative und Ostdeutschland

kunftsperspektiven des Erneuerungswegs deutlich zu machen. Durch höhere Wissenschafts- und Bildungsinvestitionen sollten das Ausbildungsniveau gehoben, allen Schweden mehr Bildungschancen eröffnet und damit mittel- und langfristig die internationale Wettbewerbsposition Schwedens verbessert werden. Die Studienanfängeranteile am jeweiligen Altersjahrgang sind in Schweden schon seit längerer Zeit deutlich höher als die entsprechenden deutschen Durchschnittszahlen. Das gleiche gilt für die Jahrgangsanteile der Studierenden oder der Hochschulabsolvententen und ebenso für die Anteile der öffentlichen und privaten Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt. Auch Finnland ist, neben anderen skandinavischen Staaten (sowie den USA, Südkorea, Japan und anderen), bei diesen Vergleichszahlen in die VorbildListe einzureihen. Finnland hatte sich in den Jahrzehnten vor 1990 wirtschaftlich stark auf die Sowjetunion ausgerichtet. Die Modernisierungs- und Erneuerungsinitiative dieses Landes hat den Folgen entgegengewirkt, die sich aus dem Zusammenbruch des Ostblockwirtschaftssystems ergaben. Ein nationaler Konsens, der auch die Sozialdemokraten einschloß, war die Grundlage für ein Investitionsprogramm zur Förderung von Wissenschaft, Technologie und Bildung.

Der Jahrgangsanteil der Studienanfänger übersteigt in Finnland deutlich die 60 %-Marke; für den Hochschulbereich gibt Finnland, wie Schweden oder die USA, pro Kopf der Bevölkerung ungefähr doppelt so viel aus wie Deutschland. Finnlands Wirtschaft hat sich nicht nur im Bereich der Informationstechnologie auf die neuen Weltmarktbedingungen eingestellt. Das finnische Staatskonzept wurde erneuert, aber im Kern nicht in Frage gestellt. Das wird z.B. in der Infrastrukturpolitik sichtbar, die für große Teile der finnischen Regionen entscheidende Bedeutung hat. Finnland ist auf diesem Sektor in gewisser Weise ein Gegenmodell zu dem eher „neoliberalen“ Ansatz, dem Irland folgt, wie dies in diesem Heft Thomas Dürr in seinem Artikel deutlich macht. In der öffentlichen Debatte Deutschlands spielen die mit den Strukturreformen vorhandenen Belastungen eine größere Rolle als künftige Vorzüge der Umgestaltung. Die negative Seite der zu lösenden Aufgaben beherrschen die politische Diskussion, und zwar sowohl bei den Regierungsparteien wie im Oppositionslager. Dass die Opposition ein Interesse daran haben könnte, Grau-SchwarzSzenarien für die Zukunft zu entwerfen, ist vorstellbar. Weshalb gelingt es aber den Regierungsparteien, dort vor allem der SPD, nicht, die Innovationspers-

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Klaus Faber

pektive in der künftigen Entwicklung mit ausreichendem Gewicht in den öffentlichen Diskurs einzubringen – mit einem Gewicht, das den Anstrengungen und Verzichtleistungen beim Umbau der Sozialsysteme Ziel gibt und sie damit rechtfertigt? Renten- und Gesundheitsfragen, Landwirtschafts- oder Arbeitsmarktpolitik haben ihre spezifischen „Lobby“Formationen, auf die auch die tägliche Politik vor und nach Wahlen zu achten hat, Investitionen in Wissenschaft, Forschung, Innovation, kurz: in die Zukunft, dagegen nicht, weil ihre Auswirkungen erst langfristig zu spüren sind – so lautet oft die Antwort auf die damit aufgeworfene Frage. Wenn dem so wäre, müßte freilich erklärt werden, weshalb es anderen Ländern gelingt, über Zu-

kunftsinvestitionen eine öffentliche Debatte zu führen und die richtigen Entscheidungen zu fällen. Die Weimarer Leitlinien schildern die deutschen Defizite, z.B. bei den Hochschulabsolventen oder den Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen, und, zu Recht, die Leistungen der Bundesregierung seit 1998. Beide Aspekte spielen aber in der Wahrnehmung von Medien und Bürgern keine oder jedenfalls nur eine untergeordnete Rolle. Dieser Sachverhalt gibt Anlaß zu verschiedenen Fragen. Eine davon betrifft die Schwerpunktsetzung für das sozialdemokratische Politikprofil und seine Vermittlung (vgl. dazu Schröder 2004), eine andere das Entscheidungssystem im deutschen Bundesstaat. Beide Elemente hängen miteinander zusammen.

Deutsche und ostdeutsche Innovationsdefizite Ein Blick auf einige in den Innovationsleitlinien sowie im Schweden-Finnland-Vergleich angedeuteten Defizite Deutschland und in Ostdeutschland macht in diesem Zusammenhang die zugrunde liegenden Strukturprobleme deutlich. Immer mehr junge Menschen nehmen nach einem im letzten Jahr veröffentlichten OECD-Vergleich unter 27 wichtigen Industrienationen ein Stu-

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dium auf. Im Schnitt der OECD-Untersuchung waren es 47% eines Altersjahrgangs. Nicht nur Finnland und Schweden sondern auch Norwegen, Polen, Australien und Island haben bei der Studienanfängerquote am Altersjahrgang bereits die 60 %-Grenze überschritten. In Deutschland beträgt, wie dies die Weimarer Leitlinien schildern, die Quote zuletzt 35,6 %.


Innovationsinitiative und Ostdeutschland

Im innerdeutschen Vergleich hatten die ostdeutschen Länder gegenüber Westdeutschland bis vor kurzem ihren Studienquotenrückstand Schritt für Schritt aufgeholt. In der DDR-Zeit lag die Quote bei 10 % bis 15 % am Altersjahrgang. Neuerdings stagniert diese Aufholbewegung. Der Abstand zwischen Ost- und Westdeutschland hat sich in der letzten Zeit auf diesem Gebiet sogar wieder vergrößert. Die ostdeutschen Durchschnittszahlen liegen bei der Studienanfängerquote bei 25 %. Die deutschen Defizite setzen sich bei anderen Vergleichsdaten fort. Bei den Bildungsinvestitionen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, liegen die USA mit 7 %, Schweden mit 6,5 % und Korea mit 6,3 % vorne. Deutschland erreicht mit 5,3 % nicht den OECDSchnitt von 5,9 % (zur Defizitbeschreibung vgl. Deutsche Presse-Agentur 2003, Faber 2002a, S. 114 f., ders. 2003, S. 58, Wissenschaftsrat 2000, S. 51 f., Zukunft der Wissenschaft 2001, S. 6). Der Hochschulsektor hat, wie bereits angeführt, bei den Ausgaben pro Kopf ebenfalls Rückstände. Auf diesem Gebiet gibt es zudem erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. Gemessen an den Hochschulausgaben pro Kopf der Bevölkerung belegen einige der fünf ostdeutschen Flächenstaaten einen Platz am Ende der deutschen Leistungsskala. Aber auch west-

deutsche Länder liegen bei den Hochschulausgaben zum Teil beträchtlich unter dem Bundesdurchschnitt. Defizite weist Ostdeutschland ebenso in der Industrieforschung auf. 1990 waren in der ostdeutschen Industrieforschung etwa 86.000 Personen beschäftigt, in der zweiten Hälfte der 90er Jahre dagegen nur noch 16.000. Die Kapazitäten in der DDR-Industrieforschung gingen nach 1990 noch stärker als das übrige Arbeitsplatzpotential in der Industrie zurück. Das war auch darauf zurückzuführen, dass die westlichen Firmen, die Betriebe im Osten kauften, an ihren Herkunftsstandorten in Westdeutschland häufig bereits über ausreichende Kapazitäten in der Forschung und Entwicklung verfügten. Staatliche Förderprogramme des Bundes und der Länder für die Forschung und Entwicklung in der ostdeutschen Wirtschaft versuchten, dem Rückgang entgegenzuwirken, zum Teil mit Erfolg. Sie haben inzwischen den Auflösungsprozeß aufgehalten und dadurch in jedem Fall verhindert, dass noch mehr Potentiale verloren gingen. In Ostdeutschland ist der Anteil der nicht öffentlich geförderten Forschung und Entwicklung aber immer noch viel geringer als in den westdeutschen Bundesländern. Ein Grund dafür ist, dass kleine und mittlere Unternehmen wirtschaftlich oft noch nicht gesichert sind und sich daher keine

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eigenen Personalkapazitäten für Forschung und Entwicklung leisten können. Vor diesem Hintergrund kam und kommt als Ausgleichselement dem Ausbau der öffentlich getragenen und geförderten Wissenschaftseinrichtungen – der Hochschulen und der außerhochschulischen Forschungseinrichtungen – eine entscheidende Rolle beim Wiederaufbau der ostdeutschen Infrastruktur zu. Nicht alle beteiligten Regierungen im Bund und in den ostdeutschen Ländern haben dies nach 1990 rechtzeitig erkannt und danach gehandelt.

Um das auch von der Weimarer Initiative proklamierte Ziel, den Anteil der Studienanfänger am Altersjahrgang in Deutschland auf 40 % zu erhöhen, müssen die Infrastrukturbedingungen für eine deutliche Erhöhung der zu niedrigen Studienanfängeranteile in den ostdeutschen Ländern geschaffen werden. Dazu gehört vor allem eine Beschleunigung des Hochschulausbaus und des Ausbaus anderer Wissenschaftskapazitäten. Das gilt vermehrt dann, wenn, so die Weimarer Leitlinien, Ostdeutschland „Innovationsregion“ werden soll.

Entscheidung im Bundesstaat: Föderalismusreform durch Entflechtung An diesem Punkt kommt das deutsche System der politischen Willensbildung ins Spiel – mit all seinen auffälligen Besonderheiten und Problemen (zu den Auffälligkeiten im Bundesstaatenvergleich s. Faber 2002a, S. 108 ff.; Glotz/Faber 1995, S. 1415). Wer hat im deutschen Bundesstaat was zu tun, um Deutschlands Innovationsrückstand aufzuholen und eine ostdeutsche Innovationsregion aufzubauen? Welchen Lösungsbeitrag kann die 2003 auf den Weg gebrachte Initiative zur „Föderalismusreform“ leisten? Die Föderalismusinitiative geht im wesentlichen auf die Regierungspositionen in großen oder finanzstarken

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Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen zurück. Sie steht bislang unter dem Leitziel der „Entflechtung“ von Bundes- und Landeskompetenzen, auch im Bundesrat-Bundestag-Verhältnis. Die ersten gemeinsamen Vorschläge aller Landesregierungschefs sehen – mit dem Vorbehalt eines ostdeutschen Bundeslandes – neben einer Reduzierung von Gesetzgebungskompetenzen des Bundes auch einen Verzicht auf Gemeinschaftsaufgaben z.B. im Hochschulbau oder für die Bildungsplanung vor. Soweit damit eine Bundesmitfinanzierung entfällt, sollen, so die Ministerpräsidenten, höhere Steueranteile auf die Länder


Innovationsinitiative und Ostdeutschland

übertragen werden. Die Stellungnahme der Bundesregierung zur Position der Länderregierungschefs läßt in Teilbereichen Übereinstimmung, aber auch Dissens in entscheidenden Fragen erkennen. Wichtig ist für die Bundesregierung die Notwendigkeit, für Bundesgesetze die Zustimmung des Bundesrats zu erhalten bzw. auf Fälle zu begrenzen, die „Länderbelange unzweifelhaft tangieren“ – eine Position, für die aus dem Länderbereich im Grundsatz Verständnis signalisiert worden ist. Überraschenderweise erklärte sich die Bundesregierung dazu bereit, auf Gemeinschaftsaufgaben zu verzichten. Im Hochschulbereich, so Bundesvorschläge aus diesem Jahr, soll statt dessen eine neue Bundesförderkompetenz für Spitzenleistungen in Forschung und Lehre eingeführt und die Forschungsförderung im übrigen zwischen Bund

und Ländern aufgeteilt werden (vgl. Bulmahn 2004). Für den übrigen Wissenschaftsbereich, also auch für den Hochschulbau in alleiniger Landeszuständigkeit, erhalten nach diesem Konzept die Länder höhere Steueranteile. Vor allem aus finanzschwachen, darunter auch ostdeutschen Ländern, kommen Stimmen, die den Verzicht auf die wissenschaftsbezogenen Gemeinschaftsaufgaben ablehnen. Eine Reihe von Landesregierungen (z.B. diejenige Brandenburgs) hat die ursprünglich gemeinsam vertretene Ausgangsposition zur Föderalismusreform inzwischen in diesem Punkt verlassen. Höhere Steueranteile für die einzelnen Länder, so die damit verbundene Argumentation, sind, wie Haushaltserfahrungen nicht nur in Ostdeutschland zeigen, kein geeigneter Ersatz für die Wissenschaftsförderung durch den Bund.

„Wettbewerbsföderalismus“: Lösung oder Problem? Auch mit dem neuerdings vor allem von süddeutschen Ländern vertretenen Konzept eines auf strenge Aufgabenabgrenzung ausgerichteten „Wettbewerbsföderalismus“ sind die beschriebenen deutschen und ostdeutschen Defizite nicht aufzuholen. Wettbewerb zwischen den deutschen Ländern setzt zunächst einmal voraus, dass ein un-

gefähr vergleichbarer Ausgangsstand vorliegt. Das ist aber nicht der Fall, wie ein Blick auf Ostdeutschland und die Folgen von 45 Jahren deutscher Teilung bestätigt. Zonenrandförderung, horizontaler und vertikaler Finanzausgleich und weitere Förderinstrumente für den Regionalaufbau haben in der Zeit der deutschen Teilung die Infrastrukturent-

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wicklung etwa in Bayern vorangebracht. Die deutsche Teilung hat die süddeutschen Länder von der Konkurrenz der mitteldeutschen Industrie befreit. Auch landespolitische Entscheidungen für den Infrastrukturausbau haben damals positive Signale gesetzt. Aus westdeutschen Regionen mit Infrastruktur- und Wirtschaftsproblemen sind auf diese Weise in den vergangenen Jahrzehnten allmählich finanzstarke, leistungsfähige Länder geworden. Es ist kein Zeichen für Wettbewerbsorientierung, sondern für das Gegenteil, nämlich Besitzstandswahrung, wenn jetzt einige Länder den Ausstieg aus dem föderativen Finanzausgleichsund Förderverbund vorschlagen, der sie in den vergangenen Jahrzehnten begünstigt hat. Baden-Württembergs oder Hamburgs Rückstand bei den Wissenschaftsinvestitionen ist, gemessen an den OECD-Zahlen, viel geringer als derjenige der meisten ostdeutschen Länder. Nach den Entwicklungslinien der DDR- und Nach-DDR-Zeit kann dieses Ergebnis auch kaum überraschen. Wer das Schlagwort vom „Wettbewerbsföderalismus“ im hier beschriebenen Sinne größtmöglicher Ab-

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koppelung aus der gesamtstaatlichen Solidargemeinschaft ernst meint, müßte nicht nur als Vorbedingung die materielle Ausgangslage der Wettbewerber ändern, sondern darüber hinaus konsequenterweise den territorialen Zuschnitt der Länder neu ordnen, um auf diese Weise einen vergleichbaren Stand in der Leistungsfähigkeit zu erreichen. Besitzstandswahrung ist aber auch auf diesem Gebiet ein wichtiges Motiv. Die neue Initiative für die Föderalismusreform hat aus nachvollziehbaren Gründen auf territoriale Neugliederungsaspekte verzichtet. Ein Blick auf andere Bundesstaaten, wie etwa die USA oder Kanada, zeigt übrigens, dass das Nebeneinander von großen und kleinen Mitgliedsländern in einem Bundesstaat einen Sinn machen kann. Die nach der Bevölkerungszahl, aber keinesfalls nach dem Gebietsumfang kleinste Territorialeinheit Kanadas – Nunavut – hat etwa 27.000 Einwohner. Dass dieses Territorium in einem „Wettbewerbsföderalismus“ nach dem süddeutschen Modell in der nächsten Zeit wohl keine großen Entwicklungschancen hätte, muß nicht ausgeführt werden.


Innovationsinitiative und Ostdeutschland

Ein problematischer Tauschhandel: Verzicht auf Bundesratszustimmung gegen Abbau von Innovationskompetenzen des Bundes Die Debatte über den „Wettbewerbsföderalismus“ führt zu aktuellen Überlegungen für die Kompromißbildung in der von Bundesrat und Bundestag eingesetzten Föderalismuskommission. Die Politikverflechtung zwischen Bundestag und Bundesrat aufzulösen oder sie zumindest zu reduzieren und damit die deutsche Politik entscheidungsfähiger zu machen, ist ein richtiger Ansatzpunkt für die Reform. Im Bund-Länder-Verhältnis, sollte, soweit dies möglich und sinnvoll ist, ebenso das Entflechtungsprinzip zum Erneuerungsmaßstab gemacht werden. Ein verfassungspolitisches Problem stellt sich allerdings dann, wenn sich, wie das die Stellungnahmen von Bund und Ländern erkennen lassen, ein politsches Tauschgeschäft zwi-

schen einer Einschränkung der Bundesratszustimmung und der Aufgabe von Bundeskompetenzen abzeichnet. Eine Aufgabe von Bundeszuständigkeiten in für den Gesamtstaat wichtigen Gebieten, z.B. in der Wissenschafts-, Forschungs- und Innovationsförderung, und der Verzicht auf Finanzausgleichssysteme, die für diese Felder Bedeutung haben, ist kein geeigneter Beitrag zur Föderalismusreform. Einzelne Lander, wie Baden-Württemberg, Bayern oder Nordrhein-Westfalen, könnten mit derartigen Konstruktionen vielleicht eine Zeitlang leben, die Mehrheit der Länder und vor allem der Gesamtstaat aber nicht, wenn und soweit die Zielsetzung verfolgt werden soll, Reform- und Strukturdefizite in Deutschland aufzulösen.

Entflechtung und gesamtstaatliche Strukturreform Das Ziel der im Prinzip von allen Seiten geforderten Entflechtung bei den Bund-Länder-Zuständigkeiten kann in bestimmten Bereichen auch dadurch erreicht werden, dass der Bund eine eindeutige Verantwortung für strukturelle und normative Regelungen

sowie für die finanzielle Förderung erhält. Dazu ist, neben anderen Gebieten, auch der Wissenschafts- und Innovationssektor zu rechnen. Ein Kernbereich von Landeskompetenzen, zu denen z.B. das Schulwesen und diesem eng verbundene Gebiete gehören,

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sollte im übrigen von wesentlichem Bundeseinfluss frei bleiben, nicht nur und nicht in erster Linie mit Rücksicht auf die Föderalismusgarantie des Artikels 79 Abs. 3 des Grundgesetzes. Auch im Schulbereich gibt es, wie PISA zeigt, deutsche Rückstände (vgl. dazu Klemm 2001, Lernen für das Leben 2001). Eine sinnvolle Aufgabenverteilung sollte aber unter den deutschen Ausgangsbedingungen den Ländern deutlich abgrenzbare Gebiete der Eigenverantwortung, u.a. eben im Schulbereich, sichern. Der Bund könnte nach einer Verfassungsneuordnung mit einer erweiterten Wissenschafts-

förderung die Länder entlasten, um diese in den Stand zu setzen, mehr für ihre Schulen zu leisten. Das Ziel der Entflechtung und eine gesamtstaatlich sinnvolle Schwerpunksetzung bei der Aufgabenwahrnehmung wären auf diese Weise miteinander verbunden. Ob die „Föderalismusreform“, wenn sie denn stattfindet, einen Beitrag zur Förderung von Innovation und Wissenschaft – mit einem Schwerpunkt in Ostdeutschland – leistet, ist demnach eine offene Frage. Viel wird davon abhängen, was aus Ostdeutschland in die verfassungspolitische Debatte eingebracht wird.

Innovationsinitiative für Ostdeutschland: Weichenstellung und Chance Die Bilanz des Überblicks zur Innovations- und Föderalismusdebatte, im ganzen: zur deutschen Strukturreformdiskussion, ergibt kein einheitliches Bild. Es fällt auf, dass die Verbindung von Föderalismus- und gesamtstaatlicher Strukturreform in der politischen Auseinandersetzung kaum thematisiert wird – und zwar auf allen Seiten des politischen Spektrums. Die Weimarer Innovationsleitlinien nennen gesamtstaatliche Innovationsziele und entsprechende Bundesleistungen, die bereits erbracht wurden.

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Dass auch von den Ländern erhebliche Anstrengungen erwartet werden müssen, wenn man diese Ziele Ernst nimmt, wird kaum angesprochen; noch weniger wird eine eindeutige Antwort auf die Frage gegeben, wie ein derartiges Verhalten der Länder erreicht werden soll. Der nach den Weimarer Richtlinien zu „prüfende“ Vorschlag, eine nationale Stiftung „Bildung, Forschung und Entwicklung“ einzurichten, kommt auch für die Zeit vor einer Verfassungsänderung einem Lösungsvorschlag noch am nächsten. Eine derartige Stiftung, die


Innovationsinitiative und Ostdeutschland

Bund, Länder und nicht-öffentliche Geldgeber umfassen müßte, wäre dem Ansatz nach in der Lage, z.B. Vorhaben und Institutionen im Wissenschaftsbereich zu fördern und damit auch Struktur- und Finanzschwächen in einzelnen Regionen auszugleichen (vgl. Faber 2002b). Die Stiftungsgründung wäre damit die erste Weichenstellung für eine gesamtstaatlich wichtige Strukturreform. „Politikverflechtung“, die durch die Bundesratskonstruktion und den „kooperativen Föderalismus“ ausgelöste Neigung zu verdeckten Allparteienkoalitionen, die damit verbundene Einschränkung der Durchschaubarkeit von Entscheidungsprozessen sowie des Parlaments- und Wählereinflusses, des Parteienwettbewerbs als Innovationsmotor und letztlich auch der demokratischen Legitimation – das alles sind akzeptierte Kritikpunkte der verfassungspolitischen Diskussion. Wenn es konkret wird, fehlt allerdings der Konsens. Die Länder denken z.B. kaum daran, Politikverflechtung in der „Länderselbstkoordination“, wie der Kultusministerkonferenz, abzubauen. Die Bundespolitik formuliert, zum Teil durchaus im Konsens, Innovationsziele für den Gesamtstaat. Keine der Bundesparteien tritt aber bislang unmißverständlich für eine deutliche Erhöhung

der Wissenschaftsinvestitionen des Bundes und für eine Erweiterung der Bundeszuständigkeiten ein. Ohne eine derartige Erhöhung können jedoch die deutschen Innovationsrückstände nicht überwunden werden. Keine Bundespartei kritisiert, dass zur Zeit in den meisten Ländern, quer über die Parteienformationen, die im internationalen Vergleich viel zu niedrigen Haushaltsanteile für das Hochschulwesen gekürzt werden. Das Land Brandenburg stellt auf diesem Gebiet übrigens eine rühmliche Ausnahme dar, weil dort die entsprechenden Mittelansätze nicht reduziert werden (zur Wirtschafts- und Wissenschaftsentwicklung Brandenburgs vgl. Platzeck 2003, zur Position des Landes im ostdeutschen Wissenschaftsvergleich s. Sternagel 2002 und Vogelsang 2002); ähnliches gilt für Nordrhein-Westfalen. Die großen Unterschiede bei den Haushaltsansätzen für die Wissenschaft sowohl innerhalb der Gruppe der finanzschwachen als auch im Lager der finanzstarken Länder machen deutlich, dass nicht nur das Ausmaß der Finanzknappheit über die Schwerpunktsetzung entscheidet. Parteipolitisch sind diese Differenzen ebensowenig zu erklären. Ein Wechsel in der Debattenrichtung ist wohl nur zu erreichen, wenn die politischen Eliten und die Öffentlich-

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keit die Problemdimension des deutschen Rückstands nicht nur kurzfristigaktuell, etwa in der Diskussion über PISA- und sonstige OECD-Studien, sondern auch mit ihren strukturellen Aspekten, nämlich im Zusammenhang mit unserer Föderalismuskonstruktion, wahrnehmen. Das ist bislang nur in geringem Umfang der Fall, wie dies vor nicht allzu langer Zeit Klaus von Dohnanyi, früher Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und Bürgermeister in Hamburg, festgestellt hat (von Dohnanyi 2002; s. dazu auch Faber 2002a, S. 124 f.). Nicht der Föderalismus als solcher sei das Problem; vielmehr sei, so seine Auffassung, seine praktische Ausgestaltung in Deutschland „die Hauptursache der deutschen Misere“. Auf der Bundes- und der Landesebene wird die SPD auf Dauer nicht darum herumkommen, die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen aktiv aufzunehmen. Das Innovationsthema muß inhaltlich mit der Föderalismusdebatte verbunden werden, auch dann, wenn es in der dafür eingesetzten Kommission in diesem Jahr noch nicht zu einer tragfähigen Einigung kommen sollte. Die Föderalismusargumentation muß eine Erweiterung der Bundesverantwortung für Innovation und Wissenschaft anstreben, was, wie geschildert, unter bestimmten Voraus-

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setzungen auch dem Entflechtungsziel dienen kann. Die gesamtstaatliche Kooperation mit den Ländern ist auf diesem Gebiet durch Bundesangebote – nicht nur für die Finanzierung – zu fördern. Dazu gehört die Gründung einer nationalen Stiftung für Wissenschaft und Innovation. Ähnliche Diskussions- und Aktionsperspektiven ergeben sich auf längere Sicht ebenso für die anderen Parteien, selbstverständlich in der Richtungsfärbung und im Maßnahmenprofil mit jeweils unterschiedlichen Akzenten. Die Forderung der Weimarer Innovationsleitlinien, in Ostdeutschland eine Innovationsregion zu schaffen, sollte von der ostdeutschen Politik angenommen werden. Dafür sind von den ostdeutschen Ländern Eigenleistungen zu erbringen. Vom Bund ist aber ebenso eine ausreichende Wissenschaftsförderung zu erwarten, die auch dem Ausgleich von innerdeutschen Entwicklungsdefiziten dient. Diese Defizite belasten nach der langen Zeit der deutschen Teilung die östlichen und westlichen Regionen Deutschlands immer noch in sehr unterschiedlichem Umfang. Höhere Innovations- und Wissenschaftsinvestitionen für Ostdeutschland sind, wie internationale Beispiele zeigen, ein geeigneter und wichtiger Beitrag zur deutschen Strukturreform.


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Klaus Faber Staatssekret채r a.D., Rechtsanwalt und Publizist in Potsdam; Gesch채ftsf체hrender Vorsitzender des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V..

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Literaturangaben Bulmahn, Edelgard: Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung anläßlich des Humboldt-Forums am 20. 1. 2004 in Berlin. 2004 Deutsche Presse-Agentur GmbH, dpa-Dossiers, Kulturpolitik Nr. 39/2003, 22. September 2003: OECD: Zu wenig Bildung in Deutschland schwächt Wachstum, S. 8 ff. Faber, Klaus: Zentraler Modernisierungsansatz in Bildung und Forschung – Veränderung und Erneuerung unter den Bedingungen der föderativen Politikverflechtung, in: Heyder, Menzel, Rebe: Das Land verändert? Rot-grüne Politik zwischen Interessenbalancen und Modernisierungsdynamik, Hamburg, S. 108 ff. 2002a Faber, Klaus: Für eine nationale Bildungsstiftung, in: die tageszeitung, 18. 9. 2002, S. 14. 2002b Faber, Klaus: Wissenschaft und Forschung – entscheidende Faktoren für die regionale Standortentwicklung in: Wissenschaftliche Beiträge der Fachhochschule Lausitz, II. Ausgabe, Senftenberg/Cottbus, April 2003, S. 55 ff. 2003 Glotz, Peter/Faber, Klaus: Grundgesetz und Bildungswesen, in: Benda/Maihofer/Vogel: Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, New York, 2., neubearb. und erw. Aufl., S. 1363 ff. 1995 Klemm, Klaus: Deutschlands Schulen in der Qualitätsfalle?, in: Frankfurter Rundschau, 6. 12. 2001 Lernen für das Leben, Erste Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudie PISA 2000, OECD, Paris 2001 Platzeck, Matthias: Brandenburg – ein Land zum Leben, Rede vom 20. 9. 2003 in Eberswalde, in: http://www.spd-brandenburg.de (Stand: 25. 9. 2003). 2003 Schröder, Gerhard: Rede des SPD-Parteivorsitzenden, Bundeskanzler Gerhard Schröder, auf dem außerordentlichen Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands am 21. 3. 2004 in Berlin. 2004 Sternagel, Manfred: Platzierung Brandenburgs in der Wissenschafts- und Forschungspolitik, in: Wissenschafts- und Forschungspolitik in Brandenburg, 150


Innovationsinitiative und Ostdeutschland

Dokumentation zum Workshop Wissenschafts- und Forschungspolitik, SPDLandtagsfraktion in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftforum der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V., Potsdam, S. 24 ff. 2002 Vogelsang, Frank: Wissenschaftsförderung des Bundes in Ostdeutschland unter besonderer Berücksichtigung von Brandenburg, in: Wissenschafts- und Forschungspolitik in Brandenburg, Dokumentation zum Workshop Wissenschaftsund Forschungspolitik, SPD-Landtagsfraktion in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und MecklenburgVorpommern e.V., Potsdam, S. 20 ff. 2002 von Dohnanyi, Klaus: Warum ist unsere Politik so schwach?, in: Wirtschaftsdienst 2002, 4, S. 187 ff. 2002 Weimarer Leitlinien „Innovation“ – Unser Land gerecht erneuern, Beschluß des SPD-Vorstands vom 6. 1. 2004, in: http://www.spd.de/servlet /PB/ menu/1031 335/index.html Wissenschaftsrat, Thesen zur künftigen Entwicklung des Wissenschaftssystems in Deutschland, Köln. 2000 Zukunft der Wissenschaft – Wissenschaftspolitik für die Zukunft, SPD-Parteivorstand, Projektgruppe Jugend der SPD, Vorsitzende: Dr. Christine Bergmann, Broschüre, Berlin. 2001

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Das neue Deutschland Kr ise im Westen, Umbr uch im Osten – wie wir gemeinsam Chancen beg reifen und Refor men durchsetzen. Mit Beiträgen von: Frank Decker, Wolfgang Engler, Matthias Platzeck, Uwe Rada, Landolf Scherzer, Alexander Thumf ar t und vielen anderen

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Aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 21. Januar 2002: Die Autoren „hatten eingangs versprochen, große Anstrengungen zu unternehmen, zum ‚trotz einer komplizierten Materie auf die Verständlichkeit der Ausführungen zu achten’. Sie haben vollauf Wort gehalten. Und je tiefer man sich in die Arbeit hinein versenkt, um so überzeugender wird der originelle methodische Ansatz dieser Analyse. Ihr Ergebnis zählt ohne Zweifel zu den wichtigen Beiträgen zu einer Debatte, die Europa noch lange beschäftigen wird.“ Das neue Deutschland Die Zukunft als Chance Herausgegeben von Tanja Busse und Tobias Dürr 336 Seiten. Broschur. s 15,90 (D) ISBN 3-351-02553-X

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Heft 21/22 • April 2004

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