perspektive21 - Heft 13

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Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik

perspektive 21 Heft 13 • Februar 2001

DVU

PDS

SPD

CDU

K r ä ft e v e r h ä l t n i s s e Z u k u n ft d e s b r a n d e n b u r g i s c h e n Pa r t e i e n s y s t e m s


Zeitgeschichte

Gabriele Schnell Ende und Anfang Chronik der Potsdamer Sozialdemokratie 1945/46 – 1989/90 200 Seiten, Paperback, 19,80 DM ISBN 3-933909-05-8 Gabriele Schnell schreibt die spannungsvolle Geschichte der Potsdamer Sozialdemokratie in den Jahren des Umbruchs: Der Kampf gegen die Zwangsvereinigung 1945/46 und der mutige Neubeginn 1989/90. Eine umfangreiche Material- und Dokumentensammlung ergänzt ihre Darstellung.

Benjamin Ehlers Wer, wenn nicht wir! 10 Jahre Junge Sozialdemokraten in der DDR mit einem Vorwort von Manfred Stolpe 208 Seiten, Paperback, 19,80 DM ISBN 3-933909-07-4 »Die ostdeutsche SPD kann es sich langfristig nicht erlauben, junge Menschen ausschließlich für Handlangerdienste zu verwenden. Sie müssen Freiräume für ihre eigenen politischen Themen erhalten. Nicht zuletzt muß ihnen auch institutionell eine Chance eingeräumt werden. ... Insofern können es sich junge Menschen erlauben, etliche Jahre auf ihre Chance in der Politik zu warten; ob sich die SPD dieses Abwarten leisten kann, ist mehr als fraglich.«

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Inhalt

Kräfteverhältnisse Zukunft des brandenburgischen Parteiensystems

Vorwort

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Prof. Dr. Jürgen Dittberner Brandenburg neu erfinden

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PD Dr. Richard Stöss Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

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Dr. Gero Neugebauer Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

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Reiner Schmock-Bathe Die CDU im Aufwind – nach langer Durststrecke

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Dr. Volker Hauff und Matthias Machnig Parteien des 21. Jahrhunderts

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Impressum

Herausgeber SPD Landesverband Brandenburg Redaktion Klaus Ness (ViSdP), Lars Krumrey Anschrift Friedrich-Ebert-StraĂ&#x;e 61 14469 Potsdam Telefon 0331 - 29 20 30 Telefax 0331 - 270 85 35 Mail Perspektive-21@spd.de Internet http://www.spd-brandenburg.de Bezug Bestellen Sie Ihr kostenloses Abonnement direkt beim Herausgeber. Nutzen Sie dazu die beigelegte Postkarte oder senden Sie uns eine Mail.

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Druck Druck- und Medienhaus Hans Gieselmann, Bergholz-RehbrĂźcke Satz kai weber medienproduktionen


Vorworz

Liebe Leserinnen und Leser der „Perspektive 21“, seit dem Herbst 1989 entwickeln sich auf dem Territorium der nun ehemaligen DDR demokratische Parteien. Relativ schnell kristallisierten sich dabei Spezifika in den einzelnen neuen Bundesländern heraus. Während in Sachsen und Thüringen von Beginn an die CDU dominierte, wurde in Brandenburg die neu gegründete SPD die stärkste Partei. Auch in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt hat die SPD die CDU mittlerweile als stärkste Partei abgelöst. Die Entwicklung des Parteiensystems und des Wählerverhaltens ist noch nicht abgeschlossen. Das zeigten insbesondere die Landtagswahlen im Herbst 1999, bei denen die SPD nach ihrem großen Wahlsieg im September 1998 bei den Bundestagswahlen herbe Rückschläge hinnehmen musste. In Sachsen krebst die SPD mittlerweile bei 10 Prozent, in Thüringen fiel sie vom Juniorpartner in der Großen Koalition auf den 3. Platz hinter die PDS zurück und auch in Brandenburg musste die SPD kräftige Verluste hinnehmen. Es stellte sich aber auch heraus, dass das Parteiensystem in Ost- und Westdeutschland stark differiert. Während sich in Ostdeutschland ein 3-Parteiensystem aus SPD, CDU und PDS in den Parlamenten fest etabliert, hat die PDS in Westdeutschland keine Chance und FDP und Grüne werden

zunehmend zu westdeutschen Regionalparteien. Die Entwicklung der Brandenburger Landesparteien als wesentlicher Träger des demokratischen Systems und die Veränderungen im Wahlverhalten im Laufe des Transformationsprozesses sind das Schwerpunktthema dieser Ausgabe der „Perspektive 21“. Wir haben renommierte und ausgewiesene Autoren gewonnen, um einen Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen. Wir freuen uns sehr, dass es uns gelungen ist, mit Richard Stöss, Jürgen Dittberner und Gero Neugebauer langjährige Beobachter der Entwicklung des Brandenburger Parteiensystems für Beiträge in dieser Ausgabe zu gewinnen. Nicht verschweigen wollen wir, dass es uns vergleichsweise schwer gefallen ist, einen Autor zu gewinnen, der sich wissenschaftlich mit der CDU in Brandenburg beschäftigt hat. Wir freuen uns deshalb, dass Rainer Schmock-Barte, der sich seit vielen Jahren mit der Brandenburger CDU beschäftigt, einen Beitrag verfasst hat, der sicherlich zu vielen Diskussionen anregen wird. Einen Blick über den Brandenburger Tellerrand hinaus ermöglicht der Beitrag von Matthias Machnig und Volker Hauff.

Die Redaktion 3



Brandenburg neu erfinden Betrachtungen der märkischen Parteienlandschaft von Prof. Dr. Jürgen Dittberner

So richtig „Stolpe-Land“ war Brandenburg zwischen dem 10. September 1994 und dem 5. September 1999. In dieser zweiten Legislaturperiode verfügte die SPD über die absolute Mehrheit im Landtag – sie hatte 54,14 Prozent Wähler für sich gewinnen können. Vorher, nach der Wiedergründung des Landes Brandenburg im Jahre 1990, war Manfred Stolpe als Persönlichkeit und als Ministerpräsident zwar die dominierende Figur der Landespolitik, aber da war er eher der Wanderführer auf dem „Brandenburger Weg“ mit einer wundersamen „Ampelkoalition“ aus SPD, Bündnis 90 sowie FDP an der Regierung und einem märkischen Wir-Gefühl, das auch die Oppositionsparteien CDU und PDS beherrschte. Im Landtag erkannte man häufig noch keine Parteien: Regine Hildebrandt spendete dem Oppositionsredner Lothar Bisky von der Regierungsbank her Beifall, und währenddessen saß Manfred Stolpe unten im Plenum neben dem Fraktionsvorsitzenden Peter-Michael Diestel, offensichtlich in ein grundsätzliches Gespräch vertieft. Ab 1994 war Stolpe vorwiegend nicht mehr zwischen den Reihen zu finden,

sondern er saß als Ikone an der Spitze des Projektes Brandenburg. Dorthin hatten ihn „seine Brandenburger“ gestellt, weil sie die jahrelangen Attacken vor allem westlicher Medien auf seine möglichen Stasiverwicklungen als Angriffe auf ihre eigenen „Ostindentität“ bewerteten. Brandenburg, von außen vielfach als „die kleine DDR“ verspottet, wollte sich seinen Landesvater nicht vermiesen lassen. Stolpe wurde zu einer Chimäre: Zum Teil Erich, zum anderen Teil Friedrich. Alles andere, die nach dem Ausscheiden von Bündnis und FDP übrig gebliebenen Parteien, die Minister – mit Ausnahme von Regine Hildebrandt – blieben demgegenüber Staffage. Stolpe war Brandenburg, die SPD-Brandenburg war Stolpe, und davon profitierte sie. Die Ernüchterung kam im Mai 1996. Bei der Abstimmung über die Fusion zwischen Berlin und Brandenburg verweigerten die meisten seiner Brandenburger dem Landesvater die Gefolgschaft. Nur 36,6 Prozent stimmten mit „ja“: Das reichte nicht. Die Fusion war an Brandenburg gescheitert – nicht an Berlin, wo es immerhin 53,6 Prozent Befürworter gegeben hatte. Keiner

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hatte das Projekt „Berlin-Brandenburg“ mit so viel Verve vertreten wie Manfred Stolpe, und keinen schmerzte das Ergebnis so sehr. Die Abstimmung war auch ein Dämpfer für die SPD: Selbst in ihren Hochburgen erreichte sie nur 36 Prozent Befürworter. Als Sieger stand die PDS da, die gegen die Fusion agitiert und damit die Stimmung der Brandenburger besser getroffen hatte als der Landesvater. Nicht nur die Länderfusion war gescheitert, sondern auch Manfred Stolpe war von seinem Olymp gestoßen worden. Den Brandenburger Weg gab es nicht mehr, seit die PDS erfolgreich Front gegen die Regierung gemacht hatte. Die SPD musste erkennen, dass das Land Brandenburg nicht automatisch ihr Eigentum war, und es überrascht, wie überrascht die SPD war, als sie 1999 wieder auf ihr Wählerreservoir von 1990 zurückfiel. Zwar hatte die Partei gegenüber 1994 fast 15 Prozent der Stimmen verloren, aber sie landete mit 39,33 Prozent immerhin dort, wo sie gestartet war (38,21 Prozent). Nach 1999 verfügt auch Brandenburg über ein System konkurrierender Parteien, in dem zwar die SPD die stärkste Gruppierung ist, die beiden anderen großen Parteien CDU und PDS aber zumindest danach streben können, einmal die Mehrheit zu gewinnen. Die beiden kleineren Partner der „Ampel“, Bündnis 90 und die FDP, sind wie in den ande-

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ren ostdeutschen Bundesländern auch seit 1994 im Status von Splitterparteien. Anfang 2001 ist nicht abzusehen, wie und wann sie diese Situation ändern können. Ein Menetekel ist die Anwesenheit der DVU im Brandenburgischen Landtag seit 1999 (5,28 Prozent). Hier zeigt sich auf der parlamentarischen Ebene die hässliche Seite Brandenburgs mit seinen starken rechtsextremen Einsprengseln. Es ist die zweite große politische Enttäuschung Manfred Stolpes, dass er im Jahre 2000 endlich eingestehen musste, er habe die Gefahr des Rechtsextremismus in seinem Land unterschätzt. Dass rechtsextreme Vorkommnisse in diesem Land bis dato immer wieder heruntergespielt, verschleiert, vertuscht und entschuldigt wurden, ist zwar nicht das direkte Verschulden der Landesregierung, aber eine geistige Führerschaft hiergegen ist vom Kabinett bis ins Jahr 2000 hinein nicht ausgegangen. Stets bat man zu bedenken, dass die Täter doch Landeskinder wären und dass man sie zurückholen müsse in den märkischen Hort. Schien die SPD Brandenburgs 1990 und besonders 1994 vor allem Stolpes Wahrkampfmaschine zu sein, so ist sie 2001 ein ganz normaler ostdeutscher Landesverband einer der beiden Großparteien in der Bundesrepublik. In der ersten Hälfte des Jahrzehnts hatte es Theorien gegeben, die besagten, besonders im deutschen Osten würden die Parteien sich


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nicht an Interessenlagen orientieren, sondern an charismatischen Führungsfiguren. Neben Manfred Stolpe sei Kurt Biedenkopf in Sachsen der Beleg dafür:Ohne ihn wäre die CDU in Dresden nicht so stark. Doch auch in Sachsen hat sich eine Parteiorganisation mit eigenen Strukturen und eigener Dynamik entwickelt. Schon heben einige Unvorsichtige unter den dortigen Parteifreunden die Köpfe und fragen nach der Zeit ohne „König Kurt“. In Brandenburgs SPD – in ihrem Verständnis damit zugleich im gesamten Land – ist der Kronprinz schon präsent. Matthias Platzeck, von der Parteiführung 1998 als Oberbürgermeister in Potsdam gegen den glücklosen Genossen Horst Gramlich installiert, soll Stolpe auf dem Fuße folgen. Dazu wurde der andere „Kronprinz“, Steffen Reiche, im Sommer 2000 vom Amte des SPD-Vorsitzenden entbunden, so dass Platzeck nun auch offiziell als Anwärter auf das Amt des Ministerpräsidenten dasteht, wenn Manfred Stople dieses aufgeben und die SPD weiterhin hierüber verfügen sollte. Eine Besonderheit ist die Kür eines Kronprinzen in einer demokratischen Partei schon. Konrad Adenauer hatte sich immer dagegen gewehrt, Ludwig Erhard als Kronprinzen ausrufen zu lassen:„Wissen Se, Kronprinzenfragen sind unangenehme Fragen…“ Und zu gut ist erinnerlich, dass der von Helmut Kohl benannte „Kronprinz“ Wolfgang Schäuble es dann

doch nicht geworden ist. Über Nachfolgefragen entscheiden die Wähler und die Parteimitglieder trotz aller Vorabüberlegungen immer erst zur gegebenen Zeit. Da diese Erkenntnis keineswegs originell ist, lässt sich die sozialdemokratische Festlegung in Brandenburg nur als Ausdruck der Tatsache sehen, dass einiges von der Vorstellung vom Brandenburger Sonderweg noch immer in dieser Partei steckt: Das Land ist unser, und wenn der regierende Monarch abtritt, werden wir rufen: “Der König ist tot, es lebe der König!” Ob es so kommen wird, hängt zum einen davon ab, wieviel Widerstände gegen Stolpe und Platzeck in der Partei unter der Decke schlummern und ob die Konkurrenten der SPD es schaffen werden, sich in Positur zu bringen. Da hat es in Brandenburg vor allem die CDU schwer. Bis 1999 war sie die Skandalnudel unter den märkischen Parteien. Partei- und Fraktionsvorsitzende wechselten sich so schnell einander ab, dass die Beobachter gar nicht mehr mitkamen. Die Fraktion intrigierte gegen den Landesvorsitzenden, dieser gegen die Fraktion. Kaum war jemand in ein Amt gewählt worden, machte sich ein Trupp daran, diesen zu demontieren. Die Partei war zerrissen zwischen dem munteren Fortwirken der alten Blockflöten und Erneueren aus West und Ost. So musste sie sich 1994 mit 18,72 Prozent zufrieden

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geben – sie hatte ihr Ergebnis von 1990 (29,45 Prozent) um über zehn Prozent unterboten – eine gerechte Strafe für einen zerstrittenen Haufen. Da brachte der ehemalige Bundeswehrgeneral mit märkischer Heimat, Jörg Schönbohm, 1999 die Partei auf Linie. Als Innensenator Berlins hatte Schönbohm vergeblich am Thron von Eberhard Diepgen gerüttelt und wurde von der dortigen CDU mit Freuden ins Brandenburgische weitergereicht. Dort reüssierte er und brachte seine CDU auf 26,55 Prozent. Dem Bruder und Genossen Landesvater schien sich mit dem General ein quirliger Landesonkel an die Seite zu drängen. Theoretisch hätten 1999 in Brandenburg auch die SPD und die PDS eine Koalition bilden können. Diese Option der Regine Hildebrandt hätte Brandenburg sehr weit weg geführt von den Hauptlinien bundesdeutscher Parteienpolitik. Was in Mecklenburg-Vorpommern offiziell und in Sachsen-Anhalt informell möglich ist, wäre in Brandenburg – dem die Bundeshauptstadt umlagernden Bundesland sehr degoutant. Außerdem hätte es die Stasi-Diskussion um Manfred Stolpe erneut entfacht, wenn dieser Ministerpräsident einer SPD/PDS-Koalition geworden wäre. Zum Zeichen, dass die SPD und die CDU in Brandenburg Sonderwege endgültig verlassen wollen, schied die Jean d`Arc des deutschen Ostens aus der Politik aus, und an der Stelle von Frau Hildebrandt

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nahm nun General Schönbohm Platz an der Seite Stolpes. Die CDU schien nun die treibende Kraft im Lande zu sein. Von ihr kamen Anregungen zur Länderfusion, zur Gemeinde- und Polizeireform sowie zur Inneren Sicherheit. Die tapfere Fraktionsvorsitzende Beate Blechinger hielt dem General den Rücken frei. Doch es zeigte sich bald, dass die Union in Brandenburg in Wirklichkeit zu schwach war für die Regierung – jedenfalls für eine Option auf die erste Geige dort. Keiner der vier CDUMinister war und ist brandenburgisches Eigengewächs. Im Herbst 2000 wurde offenbar, dass Wolfgang Hackel als Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur eine Fehlbesetzung war. Und nur mit Hilfe von außen gelang es, Hackel im Kabinett zu ersetzen – mit einer Ministerin, die Manfred Stolpe mindestens ebenso genehm ist wie Jörg Schönbohm. Weiterhin im Amte bleibt Justizminister Kurt Schelter, obwohl er das Vertrauen der Justiz verloren hat. Mit dem Oberbürgermeister von Cottbus, Waldemar Kleinschmidt, schien die CDU über lange Zeit wenigstens eine kräftige einheimische politische Begabung in ihren Reihen zu haben. Cottbus schien vor Potsdam und all den anderen märkischen Schwestern die Wende am besten zu bewältigen. Doch Ende 2000 wurden alte Seilschaften sichtbar, mit denen die Stadt in der Lausitz durchzogen ist. Das Ansehen der Stadt, ihres


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Magistrats und ihres Bürgermeisters sank, und Kleinschmidt stand da als Repräsentant einer sehr alten CDU. So bleiben trotz der fortlaufenden Aktivitäten Schönbohms der Substanzmangel und der schwelende Konflikt zwischen den Altgedienten und den seit der Wende Hinzugekommenen strukturelle Schwächen der märkischen CDU. Ist die märkische PDS eine Alternative? Dieser Landesverband war ein Pfeiler der gesamten Nachfolgeorganisation der SED. Nicht von ungefähr wurde der Brandenburger Lothar Bisky Bundesvorsitzender der PDS. Es sprach für die Bodenständigkeit und Solidität der brandenburgischen PDS, dass der Vorsitzende sein Mandat im Landtag behielt und dieses neben seinen bundespolitischen Verpflichtungen auch wahrnahm. In der ersten Legislaturperiode wirkten Bisky und die PDS im Landtag wie die heimliche Reserve Stolpes. Augenzwinkernd schien die PDS dem “Landesvater” beizustehen, wenn es galt, die wahren brandenburgischen Interessen gegen die arg westlastige FDP oder die doch sehr bürgerrechtsorientierten Grünen zu verteidigen. Die Abkühlung setzte ein, als die PDS gegen Stolpes Fusionspläne mit Berlin öffentlich Front machte. Den Sozialdemokraten kamen bange Fragen auf: War Brandenburg vielleicht tatsächlich doch die “kleine DDR” und die PDS ihr idealer Repräsentant? Die PDS wurde fortan als

hartnäckige Konkurrenz um Wählerstimmen gesehen. Tatsächlich ist die Wählerentwicklung der PDS seit 1990 für diese Partei überaus positiv: Sie steigerte ihren Stimmenanteil bei den Landtagswahlen kontinuierlich von 13,4% 1990 über 18,71% 1994 auf 23,34% 1999. dass im Jahre 2001 und danach der Knick auf dieser Geraden nach oben kommen muss, dafür gibt es drei Gründe: 1. Nach den Koalitionsentscheidung der SPD 1999 gegen die PDS kann diese nicht mehr als Brandenburgs “stille Reserve” gesehen werden, sondern eher als irgendwie noch immer mit der alten DDR verbandelte Partei, die zwar einen guten Mitglieder- und Wählerzulauf hatte, an Havel und Spree jedoch den Zugang zur Macht wohl nicht schaffen wird. Von den Sozialdemokraten muss sie in zunehmenden Maße als Konkurrenz und Gegner und nicht als strategischer Partner gesehen werden. Auch wenn der Landesvorsitzende diese Option öffentlich nicht aufgeben möchte, kann sie doch nur als innergouvernementale Geste zur Bändigung des wirklichen Koalitionspartners verstanden werden 2. In der Öffentlichkeit ist mittlerweile bekannt, dass die brandenburgische PDS Führungsprobleme hat und stark von innerparteilichen Kontroversen geprägt ist.

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3. Generell ist die PDS in ihrem öffentlichen Erscheinungsbild geschwächt, seitdem 2000 die populären Führer der Partei, Gregor Gysi und Lothar Bisky die Fraktions- und Parteiführung verlassen hatten. In der Medienlandschaft Deutschland hat die ostdeutsche Regionalpartei ihr mediale Gesicht verloren. Hinzu kommt der Verlust von Michael Schumann, der als politischer Analytiker in Brandenburg über die Grenzen der PDS hinaus hohes Ansehen genossen hatte. Gleichermaßen kümmerlich sind die Existenzen der FDP und der Grünen in Brandenburg. Beide Bündnispartner Stolpes aus der ersten Legislaturperiode scheinen sich überhaupt zu regionalen Westparteien zu entwickeln, gewissermaßen als Gegengewichte zur PDS. Die FDP verfügt in Brandenburg – wie in den anderen Ländern Ostdeutschlands – über keine liberale Wählerschicht, die ihr gesellschaftlichen Halt geben würde. Der Vorstand um die landespolitisch weitgehend unbekannte Landesvorsitzende Claudia Lehrmann bemüht sich um liberales Profil, doch er scheint damit auf verlorenem Posten zu stehen. Da nützt es auch nichts, dass man sich bei öffentlichen Veranstaltungen der Prominenz von Jürgen Möllemann versichert: Brandenburg ist nicht Nordrhein-Westfalen, und

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die auch in der FDP angezweifelte Seriosität des Populisten wird für die brandenburgischen Wähler erst recht nicht erkennbar. Manche Beobachter vertreten die Auffassung, der Niedergang der Liberalen in Brandenburg komme daher, dass sie in der Ampelkoalition nur mit Ministern aus Westdeutschland vertreten waren: Walter Hirche und Hinrich Enderlein. Auch der einzige liberale Staatssekretär aus dem Lande, Knut Sandler, sei unter ziemlich unwürdigen Umständen sehr bald in die Wüste geschickt worden. Schließlich habe die FDP dann ihre Verluste 1994 (2,2%) und 1999 (1,86%) unter dem “westdeutschen“ Vorsitzenden Hinrich Enderlein eingefahren. Aber niemand glaubt ernsthaft daran, dass bei der märkischen FDP nun eine Trendwende ins Haus stünde, weil Enderlein 1999 durch die Landestochter Lehmann ausgewechselt wurde. Die Grünen waren in der Ampel durch die prominenten “DDRler” Matthias Platzeck und Marianne Birthler am Kabinettstisch vertreten, und ihr Niedergang (1994: 2,89%, 1999: 1,94%) ist ähnlich katastrophal gewesen wie derjenige der FDP. An der Herkunft des jeweiligen Führungspersonals kann es also weder bei der FDP noch bei den Grünen gelegen haben. Für die Grünen gilt wie für die FDP: Sie gelten im Osten als Westpartei und


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haben keine Klientel bei der Wählerschaft, die mit ihnen durch dick und dünn ginge. Die Grünen haben gemeint, im Osten Deutschlands und somit auch Brandenburg Resonanz zu finden durch die Fusion mit der Bürgerrechtsgruppierung “Bündnis 90“. Doch schon 1990 war die Mission der Bürgerrechtler in der DDR beendet: Durch ihre mutige Opposition hatten sie zum Zusammenbruch der DDR-Diktatur beigetragen. Die Neugestaltung in Richtung Wiedervereinigung – welche die Bündnisgruppen so gar nicht gewollt hatten – übernahmen nun andere:Die Flüchtlinge in den Westen,die proletarischen Protestierer mit der Parole “Wenn die DM nicht zu uns kommen, kommen wir zur DM.”, die führenden CDU-Politiker in Bonn und ihre Gefolgsleute in der Volkskammer und in der DDRRegierung. So erging es den Bürgerrechtlern nach 1990 wie es der Klassiker formuliert hatte:“Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.” Die durch die Bürgerbewegung parlamentarisch sozialisierten prominenten “Ossis” gingen sehr verschiedene Wege: Günter Nooke landete in der CDU/CSUBundestagsfraktion auf den vorderen Plätzen, Matthias Platzeck ging zur SPD, wurde Oberbürgermeister der Landeshauptstadt, Landesvorsitzender der Sozialdemokraten und “Kronprinz” Manfred Stolpes. Nur Marianne Birthler blieb der Grünen treu und streitet sich nun partei-

politisch neutralisiert als Leiterin der Gauck-Behörde mit “ihrem” seinerseits von den Grünen zur SPD gewechselten Minister Otto Schily über die Herausgabe von Akten. Bei den Grünen Brandenburgs ist keiner und nichts aus der euphorischen Gründerzeit hängen geblieben. Wenn der Maßstab für politisches Gewicht einer Partei deren Repräsentanz im Parlament ist, dann müssen die Grünen und die FDP in Brandenburg auf absehbare Zeit als Parteien ohne politisches Gewicht eingestuft werden. Ob das nach der nächsten Landtagswahl auch für die DVU gesagt werden kann, ist offen. Auf jeden Fall wäre ein Wiedereinzug dieser rechtsradikalen Gruppierung eine Niederlage für die jetzige Regierung, wie umgekehrt ein Scheitern der DVU ein Erfolg der Regierung wäre. Die DVU und der Rechtsradikalismus sind eine schwere Hypothek für Brandenburg. Das Land, das sich so gerne in der Sonne preußischer Toleranzedikte wärmt, erlebt seit Jahr und Tag rechtsradikale Jagdszenen in seinen Städten und auf seinen Straßen. Es ehrt Manfred Stolpe, dass er nach zehn Jahren Regierungszeit eingestanden hat, er habe die Brisanz des Rechtsextremismus in seinem Lande unterschätzt. Es bringt ihn und übrigens auch seinen Kronprinzen Platzeck – der sich ähnlich wie Stolpe eingelassen hatte – jedoch in Handlungszwang. Brandenburg geht den richtigen Weg, wenn es den Antrag auf

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Feststellung der Verfassungsfeindlichkeit der NPD beim Bundesverfassungsgericht unterstützt und neue Strafen für rechtsextreme Gewalttäter fordert. Die etablierten Parteien und ihre Repräsentanten müssen aber auch jenen politischen Unterführern spürbar auf die Füße treten, die immer noch abwiegeln und den Rechtsextremismus im wesentlichen als übles Propagandainstrument westlicher Medien darstellen. Es ist ein Makel Brandenburgs, dass die DVU nun mit einer Fraktion im Landtag vertreten ist. Die wird zwar weitgehend isoliert, kann politisch wenig bewegen, aber sie verfügt über die ihr nach dem Recht zustehenden materiellen und politischen Ressourcen. Die aus München gesteuerte Partei hat ihr Wahlergebnis als “Triumph der DVU” gefeiert und nicht zu unrecht getönt, ihr Wahlerfolg sei eine “Warnung für die alten Parteien.” Hoffentlich haben diese das begriffen. Bei Lichte betrachtet hat Brandenburg ein Dreiparteiensystems. Die SPD ist die größte der etablierten Parteien, um ein Drittel kleiner sind die CDU und die PDS. Will die SPD die absolute Mehrheit wiedergewinnen, muss sie erhebliche Wählerpotentiale der anderen Parteien zu sich herüberziehen. Zwar ist die Wählerbindung an die politischen Parteien im Osten Deutschlands geringer als im Westen (wo sie jedoch gesunken ist), aber in zehn Jahren wird sich hier

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und da eine Identifikation aufgebaut haben. Die Instabilität des brandenburgischen Parteiensystems liegt vor allem im politischen Desinteresse großer Teile der Bürgerschaft. Nur 54,30 % der Brandenburger haben sich überhaupt an den letzten Landtagswahlen beteiligt. Die geringe Mitgliederdichte der SPD und der CDU ist bekannt, und immer wieder stößt die Rekrutierung politischen Personals auf Schwierigkeiten, weil kein genügendes Auswahlreservoir vorhanden ist. Die brandenburgische Politik muss die politische Bildung im weitesten Sinne intensivieren, fördern und unterstützen. Ob LER oder konfessioneller Religionsunterricht: In den Schulen muss über diese und andere Fächer ein sicheres Gefühl über die Grundwerte, die Geschichte und die politische Kultur unserer Gesellschaft gefördert werden Darüber hinaus ist es notwendig, möglichst viele geeignete Landeskinder, die nach der Wende ausgebildet wurden, in die Schulen zu bringen und das alte Personal zu ersetzen. Brandenburg muss sich neu definieren. Darum bemüht sich – das ist hinter allen Vordergründigkeiten erkennbar – der Ministerpräsident seit zehn Jahren. Es kämpft gegen die geistigen Folgen von zwölf Jahren nationalsozialistischer Diktatur und 45 Jahren kommunistischer Indoktrination an. Von seinen Mitstreitern am Kabinettstisch 1990 sitzt heute


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nur noch Alwin Ziel als nach der Schmökel-Affaire angeschlagener Politiker an seiner Seite. Alle anderen Minister sind mittlerweile mindestens einmal ausgewechselt worden. Das zeigt den langen Atem Manfred Stolpes. Dennoch

wäre es nicht verwunderlich, wenn auch seine Zeit nicht reicht, die Hauptaufgabe zu bewältigen und ein Anderer den Stab übernehmen müsste. Ob der dieser Aufgabe gewachsen wäre, würde sich ohnehin erst zeigen, wenn er im Amte ist.

Prof. Dr. Jürgen Dittberner (Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Potsdam und war 1990 und 1992 Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur /Januar 2001) http://www.uni-potsdam.de/u/PolWi_Dittb/index.htm

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Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg von PD Dr. Richard Stöss 1. Vorbemerkung: Parteien, Wahlen und Wettbewerb Parteien werden auch als Allianzen (bzw. Koalitionen) von politischen Eliten und sozialen Gruppen beschrieben. Diese Allianzen können sich von Wahl zu Wahl neu bilden oder über mehrere oder sogar viele Wahlen hinweg bestehen. Dauerhafte Allianzen bedürfen eines Bindemittels, das den Zusammenhalt von Eliten und sozialen Gruppen gewährleistet. Derartige Bindungen können nur durch Faktoren von längerfristiger Bedeutung bewirkt werden. In Frage kommen zwei Faktorenbündel: einerseits die soziale Herkunft bzw. Lage und daraus resultierende Interessen, andererseits politische Grundüberzeugungen (Werte). Kurzfristige Allianzen beruhen zumeist darauf, dass Eliten und soziale Gruppen in speziellen politischen Sachfragen übereinstimmen. In der Realität mischen sich bei jeder Partei kurzfristige und langfristige Bindungen, wobei Letztere – auch in Ostdeutschland – überwiegen. 1

Bei Wahlen ordnen sich die Wähler den bestehenden Parteien zu. Entweder bleiben sie ihrer Partei, die sie früher auch schon gewählt haben, treu (Wiederwähler) oder sie ändern ihr Verhalten (Wechselwähler1). Für die Parteien ergibt sich daraus die Doppelaufgabe, ihre treuen Anhänger zu mobilisieren und darüber hinaus Wähler zu gewinnen, die sich bei jeder Wahl neu entscheiden bzw. die sich das erste Mal an einer Wahl beteiligen (Jungwähler). Maßgeblich für das Wahlverhalten sind langfristig wirksame Bindungen (Sozialstruktur,Wertorientierungen) oder kurzfristig wirksame Faktoren (Sachfragen, Parteikompetenzen, die Beurteilung der Spitzenkandidaten). Da sich in Ostdeutschland noch kaum stabile Beziehungen zwischen spezifischen sozialen Gruppen und einzelnen Parteien herausgebildet haben, hängen Wahlerfolge vor allem davon ab, ob die Parteien über kompetente Vorschläge zur Lösung der als dringlich empfundenen Probleme und über sachkundige, durchsetzungsfähige, vertrauenswürdige

Dabei werden zwei Typen unterschieden: Parteiwechsler sind Personen, die zwischen Parteien wechseln. Einwechsler wechseln von Nichtwahl zur Wahl (irgendeiner Partei). Wechsler von Wahl zu Nichtwahl werden in den Statistiken als Nichtwähler geführt.

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und populäre Persönlichkeiten verfügen. Dabei können Kandidaten eine wesentlich größere Rolle spielen als in Westdeutschland. Daraus ergeben sich für die Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg folgende Probleme bzw. Gesichtspunkte: • Zwischen Wählern und Parteien bestehen marktähnliche Verhältnisse. Wähler fragen politische Leistungen nach, Parteien bieten politische Leistungen an. Wähler entscheiden sich zumeist für die Partei, deren Programme, Kompetenzen und Personen ihren Erwartungen am ehesten entsprechen. Parteien konkurrieren miteinander um ein Maximum an Wählerstimmen. Sie müssen bestrebt sein, der vorhandenen Nachfrage möglichst umfassend gerecht zu werden. Das bedeutet, dass der Erfolg von Parteien auch davon abhängt, ob sie mit einem potenten Anbieter auf dem Wählermarkt konkurrieren.Wenn ein Anbieter (beispielsweise die SPD) nur über schwache Konkurrenten verfügt, hat er bessere Erfolgsaussichten als ein Anbieter mit einer attraktiven Konkurrenz. • Normalerweise neigen die Menschen dazu, ihr Verhalten unter gleichartigen Bedingungen nicht zu verändern. Sie agieren nach Gewohnheit, weil das am einfachsten ist. Wer seine Zigarettenmarke oder Weinsorte wechselt, muss Marktforschung betreiben und sich

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erst an das neue Produkt gewöhnen, das dann möglicherweise doch nicht zusagt. Das ist beim Wahlverhalten nicht anders. Die Bürger tendieren dazu, dieselbe Partei zu wählen, die sie auch früher gewählt haben. Bei der Bundestagswahl 1998 waren in Ostdeutschland 72 Prozent der CDUAnhänger, 52 Prozent der PDS-Anhänger und 45 Prozent der SPD-Anhänger Wiederwähler, in Brandenburg betrug der Anteil der SPD-Wiederwähler damals sogar 58 Prozent. Die Mobilisierung der treuen Parteianhänger stellt damit eine vordringliche Wahlkampfaufgabe dar, die den Bedürfnissen der Wähler auch entgegen kommt. • Die prinzipielle Neigung der Bürger, ihr bisheriges Wahlverhalten beizubehalten, bedeutet einen großen Vertrauensvorschuss für die Parteien. Dem müssen sie dadurch gerecht werden, dass sie den individuellen Erwartungen ihrer Anhänger im Großen und Ganzen – vor allem auch durch Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit – entsprechen. Bürger bevorzugen eine klar gegliederte Angebotsstruktur mit deutlichen Alternativen, die es ihnen ohne großen Aufwand ermöglicht, sich – möglichst dauerhaft – einer Partei zuzuordnen. Ein klares Profil begünstigt mithin den Erfolg einer Partei. Eine unübersichtliche Angebotslage erschwert dagegen die Entscheidung


Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

und kann zu häufig wechselndem Wahlverhalten oder auch dazu führen, dass sich die Bürger der Entscheidung durch Nichtwahl entziehen. • Wähler haben oft überzogene Erwartungen an die Politik, die diese objektiv gar nicht erfüllen kann. Derartige Erwartungen werden aber nicht selten von den Parteien selbst – absichtlich oder unabsichtlich – genährt, weil sie im Wettbewerb um Wählerstimmen optimistische oder gar unrealistische Versprechungen machen oder weil besonders populäre Spitzenpolitiker den Eindruck von Allmächtigkeit aufkommen lassen. Eine Diskrepanz zwischen hohen Wählererwartungen und faktischen Politikergebnissen kann nur vermieden werden, wenn die Parteien überzogene Hoffnungen gar nicht erst aufkommen lassen und ständig mit ihren Anhängern über den Stand, die Erfolge, Hemmnisse und objektiven Grenzen ihrer Bemühungen um Problemlösungen kommunizieren. Die Vollmobilisierung der eigenen – kaum immer rundum zufriedenen – Anhänger gelingt am besten, wenn Wahlen politische Richtungsentscheidungen darstellen, bei denen sich die Wähler zwischen ihrer Partei (gegebenenfalls als dem „kleineren Übel“) und drohenden Wahlerfolgen der Konkurrenz entscheiden müssen.

• Aus der natürlichen Trägheit des Wählers folgt, dass er seiner Partei durchaus eine gewisse „Frustrationstoleranz“ entgegen bringt: Er sieht auch schon einmal über Fehler und Formschwächen hinweg, wenn das Grundvertrauen in die Partei existiert, dass sie die in sie gesetzten Erwartungen auch nach besten Kräften erfüllt. Das eingangs erwähnte Bild von den Parteien als Allianzen von politischen Eliten und spezifischen sozialen Gruppen verweist auf die Aufgabe der Parteien, die Interessen und Ziele ihrer sozialen Basis im Wirkungsfeld des Staates zu repräsentieren.Wähler reagieren unberechenbar, wenn sich der Eindruck verfestigt, dass bei ihrer Partei Programm und Praxis auseinander klaffen, dass den Versprechungen keine Taten folgen und dass sich keine Resultate einstellen. Dann kommt es zu Abwanderungen, Wahlverweigerung oder gar zur Wahl von rechtsextremen Parteien. Eine längerfristig aussichtsreiche Position im Parteienwettbewerb setzt mithin vor allem ein klares (und beständiges) politisches Profil voraus, das den Wählern eine dauerhafte Zuordnung zu „ihrer“ Partei ermöglicht und zwischen Parteien und Wählern ein Grundvertrauen entstehen lässt, das die Integrationskraft der Parteien stärkt und die Mobilisierung ihrer Stammklientel erleichtert.

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2. Wahlen in Brandenburg Volkskammerwahl 1990

Die Volkskammerwahl war eine Volksabstimmung über die rasche Einführung der D-Mark und die baldige Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Als 3 Sieger erwies sich die Allianz mit DDRweit 48,0 Prozent, die SPD erreichte 21,9 Prozent, die PDS 14,4 Prozent und die 4 „grünen“ Parteien brachten es zusammen auf 4,9 Prozent. In Brandenburg war die Allianz ebenfalls stärkste Partei, gefolgt von SPD und PDS. Die Allianz erzielte hier allerdings mit 38,5 Prozent nach Berlin (Ost) ihr zweitschlechtestes Ergebnis, die SPD hingegen mit 28,9 Prozent – ebenfalls nach Berlin (Ost) – ihr zweitbestes Resultat. Die PDS kam in der Mark mit 18,4 Prozent nach Berlin (Ost) und Mecklenburg-Vorpommern auf den dritten Platz, die „grünen“ Parteien verzeichneten in Brandenburg mit zusammen 5,4 Prozent – wiederum nach Berlin (Ost) – ihr zweitbestes Ergebnis. Die Allianz schnitt im Wahlkreis Cottbus überdurchschnittlich gut ab (48,3%), dort brachte es die SPD auf magere 19,3 Prozent. Ihr bestes Ergebnis lag im Wahl2 3 4 5

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kreis Potsdam (34,4%), wo auch die „grünen“ Parteien besonders erfolgreich waren (6,0%).

Landtagswahl 1990 Die SPD wurde mit einem Zugewinnn von knapp zehn Prozentpunkten gegenüber der Volkskammerwahl stärkste Partei (38,2%), die CDU verlor etwa denselben Betrag und brachte es auf 29,4 Prozent. Die „grünen“ Parteien (Bündnis 90 sowie Die Grünen) verbesserten sich um vier Prozentpunkte (9,3%), die PDS büßte fünf Prozentpunkte ein (13,4%). Anders als in den übrigen vier Ländern, wo die Arbeitnehmer eher zur CDU tendierten, wählte die relative Mehrheit der Arbeiter (39,8%) in Brandenburg die SPD, die auch bei den Angestellten Mehrheitspartei war (41,8%). Die CDU überflügelte die SPD nur bei den Selbständigen, wo die SPD stark unterrepräsentiert war. Bei den in Ausbildung befindlichen Personen hatten die Grünen mit 29,4 Prozent die Nase 5 vorn (SPD: 26,6%, CDU: 20,5%, PDS: 17,2) . Die Wirtschaftskompetenz lag bei der CDU, die Beseitigung der Arbeitslosigkeit

Die wichtigsten Ergebnisse sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Wahlbündnis aus CDU, Demokratischem Aufbruch (DA) und Deutsch-Sozialer Union (DSU). Die Grünen, Unabhängiger Frauenverband (UFV) und Bündnis ‘90. Die in diesem Text mitgeteilten Umfrageergebnisse beziehen sich – soweit nicht anders vermerkt – auf Erhebungen der Forschungsgruppe Wahlen in Mannheim, FGW (siehe Literaturverzeichnis).


Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

trauten die Wähler gleichermaßen einer CDU-geführten und einer SPD-geführten Regierung zu. Die beiden Spitzenkandidaten erfuhren eine recht unterschiedliche Bewertung. Manfred Stolpe wurde mit einem 6 Mittelwert von 1.6 generell positiv beurteilt, bei den SPD-Anhängern erzielte er sogar einen Mittelwert von 2.4. PeterMichael Diestel wurde generell eher abgelehnt (Durchschnitt: -0.6) und lag

auch bei den CDU-Anhängern nur bei 0.4 Punkten. 56 Prozent der Wähler wünschten sich Stolpe als Ministerpräsidenten, für Diestel optierten nur 29 Prozent. Stolpe wurde selbst von 30 Prozent der CDU-Anhänger gegenüber seinem Konkurrenten präferiert. 38 Prozent der Wähler sprachen sich für eine große Koalition aus, von den SPDAnhängern sogar 46 Prozent.

Tabelle 1 Wahlbeteiligung sowie (Zweit-)Stimmenanteile bei der Volkskammerwahl 1990, bei Landtags-, Bundestags- und Europawahlen in Brandenburg 1990-1999 (%)

VK 90 LTW 90 BTW 90 EW 94 LTW 94 BTW 94 BTW 98 EW 99 LTW 99

WBET

CDU

FDP

Grüne

SPD

PDS

Sonst.

93,5 67,1 73,8 41,5 56,3 71,5 78,1 30,0 54,3

38,5 29,4 36,3 23,4 18,7 28,1 20,8 29,1 26,6

4,8 6,6 9,7 2,7 2,2 2,6 2,8 2,3 1,9

5,4 9,3 6,6 4,6 2,9 2,9 3,6 3,3 1,9

28,9 38,2 32,9 36,9 54,1 45,1 43,5 31,5 39,3

18,4 13,4 11,0 22,6 18,7 19,3 20,3 25,8 23,3

4,0 3,1 3,5 9,7 3,3 2,0 8,9 8,0 7,0

WBET:

Wahlbeteiligung in Brandenburg

VK 90:

Bei der Volkskammerwahl 1990 existierten die Länder noch nicht. Hilfsweise wurden die Bezirke zu Grunde gelegt, deren Grenzen sich jedoch nicht exakt an den Ländergrenzen orientierten. CDU = Allianz für Deutschland.

6

Die Mittelwerte beziehen sich auf eine Skala von +5 bis -5.

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PD Dr. Richard Stöss

Bundestagswahl 1990 Im Mittelpunkt der ersten gesamtdeutschen Bundestagwahl stand, wie schon bei der Volkskammerwahl, die deutsche Einheit. Bundes-Sieger war die CDU/CSU mit 43,8 Prozent, die SPD brachte es auf ganze 33,5 Prozent, im 7 Wahlgebiet Ost sogar nur auf 24,3 Prozent. Die PDS schloss mit 2,4 Prozent ab. Da sie im Wahlgebiet Ost aber die Stimmen von 11,1 Prozent der Wähler erhielt, konnte sie in den deutschen Bundestag einziehen. Die West-Grünen scheiterten mit 4,8 Prozent an der Sperrklausel und konnten daher keine Vertreter in den Bundestag entsenden. Die Bündnisgrünen im Osten, die organisatorisch unabhängig von den West-Grünen kandidierten, erzielten 6,2 Prozent und waren daher im Bundestag vertreten. In Brandenburg überrundete die CDU jetzt wieder die SPD. Diese erzielte dort mit 32,9 Prozent ihr bestes Resultat in den neuen Bundesländern, gefolgt von Berlin (Ost) (31,3%) und Mecklenburg-Vorpommern (26,5%). Die CDU schnitt in Berlin (Ost) besonders schlecht ab (24,3%), dann folgte Brandenburg mit 36,3 Prozent. Bei der PDS lag – wie gehabt – die ehemalige Hauptstadt der DDR an erster Stelle (24,8%), gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern (14,2%) und Brandenburg (11,0%). Die Bündnisgrünen 7

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erzielten nach Berlin (Ost) in Brandenburg ihr zweitbestes Ergebnis (6,6%).

Europawahl 1994 Die CDU/CSU wurde mit mäßigem Vorsprung vor der SPD bundesweit stärkste Partei: 38,8% zu 32,2%. Im Wahlgebiet Ost kam die SPD allerdings nur auf 25,3 Prozent. Die märkische SPD erreichte mit 36,9 Prozent das beste sozialdemokratische Ergebnis in Ostdeutschland, das auch über dem Bundesdurchschnitt der SPD lag. Gegenüber der märkischen CDU (23,4%) hatte sie einen Vorsprung von 13,5 Prozentpunkten. Schlechter schnitt die CDU nur in Berlin (Ost) ab: 14,9 Prozent. Die PDS hatte ihre Talfahrt beendet. Gegenüber der Bundestagswahl 1990 verdoppelte sie zwar ihr Ergebnis in Brandenburg (22,6%), belegte damit in der Rangfolge Ostdeutschlands nach Berlin (Ost) (40,1%) und Mecklenburg-Vorpommern (27,3%) wiederum nur den dritten Platz. Für die Bündnisgrünen bildete Brandenburg mit 4,6 Prozent nun das Schlusslicht in Ostdeutschland (siehe unten).

Landtagswahl 1994 Zur Ausgangslage: Die „Ampelkoalition“ war im März 1994 im Zusammen-

Die Bezeichnungen „Osten“,„Wahlgebiet Ost“ und „Ostdeutschland“ umfassen die fünf neuen Bundesländer sowie Berlin (Ost).


Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

hang mit den Stasi-Vorwürfen gegen Stolpe zerbrochen. Nachdem Bildungsministerin Marianne Birthler deshalb bereits Ende 1992 aus der Regierung ausgeschieden war, forderte der Vorsitzende der Bündnis-Fraktion, Günter Nooke, den Rücktritt von Stolpe, woraufhin dieser die Zusammenarbeit mit dem Bündnis aufkündigte und gemeinsam mit der FDP eine Minderheitsregierung führte. Auch die CDU polemisierte heftig gegen Stolpe, befand sich selbst aber in einer desolaten Situation: Auf den Rücktritt des Landesvorsitzenden Lothar de Maizière (1991) folgte der „Wessi“ Ulf Fink, der sich in der Partei nicht durchsetzen konnte. Er wurde 1993 durch Carola Hartfelder ersetzt, die ebenfalls glücklos agierte. Erst im Februar 1994 wurde durch Vermittlung von Helmut Kohl Peter Wagner zum Spitzenkandidaten der CDU in Brandenburg bestimmt. Ende Juni 1994 fanden in Sachsen-Anhalt Landtagswahlen mit den bekannten Folgen („Magdeburger Modell“ und „RoteSocken-Kampagne“) statt. Beides warf seine Schatten auf den Landtagswahlkampf in Brandenburg (Wahltermin: 11.9.1994). Stolpe parierte die Angriffe der CDU, indem er sich gegen eine Kooperation mit der PDS aussprach und die Bereitschaft erkennen ließ, notfalls mit der CDU zusammenzugehen. Die SPD erreichte sensationelle 54,1 Prozent, was gegenüber 1990 einen

Zugewinn von 15,9 Prozentpunkten bedeutete. Dabei handelte es sich um den größten Zuwachs, den jemals eine der beiden großen Volksparteien in der Bundesrepublik erzielt hat. Platz zwei teilten sich CDU und PDS mit je 18,7 Prozent, was für die PDS aber einen Verlust gegenüber der Europawahl 1994 von 3,9 Prozentpunkten bedeutete. Der Vorsprung der SPD gegenüber der CDU betrug 35,4 Prozentpunkte. Die Bündnisgrünen und FDP scheiterten an der FünfProzent-Hürde. 1990 hatten das Bündnis und die Grünen zusammen noch 9,3 Prozent der Stimmen mobilisiert, der FDPAnteil betrug damals 6,6 Prozent. Neben den Bündnisgrünen kandidierte 1994 noch das Bürger-Bündnis Freier Wähler (de facto die Abspaltung der NookeGruppe von Bündnis 90, die den Zusammenschluss der West-Grünen mit dem Ost-Bündnis ablehnte), das es aber nur auf ein Prozent brachte. Die größten Gewinne fuhr die SPD, die alle 44 Wahlkreismandate eroberte, in den ländlichen Regionen der Mark ein. In den kreisfreien Städten fielen ihre Zuwächse dagegen mäßig aus, dort hatte die PDS ihre Hochburgen. Überdurchschnittliche Anteile erzielte die SPD bei Arbeitern, Gewerkschaftsmitgliedern (und hier wiederum insbesondere bei gewerkschaftlich organisierten Arbeitern) und bei Arbeitslosen. Unterdurchschnittlich wurde sie von den

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Selbständigen, den Landwirten, den Beamten und von den in Ausbildung befindlichen Personen (junge Leute!) gewählt. Absolute Mehrheitspartei war sie bei den Arbeitern (57,4%), bei den Angestellten (53,5%) und bei den Gewerkschaftsmitgliedern (56,8%). In Brandenburg hatte sich die SPD mithin zur Partei der Arbeitnehmer entwickelt. In allen Politikbereichen wiesen die Brandenburger der SPD eine weitaus größere Kompetenz zu als der CDU. Wirtschaft: 47% zu 15%; Arbeitslosigkeit: 45% zu 10%; Kriminalität: 28% zu 10%; Wohnungssituation: 46% zu 8%. Die beiden Spitzenkandidaten wurden, wie schon 1990, sehr unterschiedlich bewertet. Manfred Stolpe erreichte mit 8 einem Mittelwert von 2.5 (1990: 1.6) eine recht gute Beurteilung, bei den SPDAnhängern brachte er es sogar auf einen Mittelwert von 3.5 (1990: 2.4). Peter Wagner war im Land noch weithin unbekannt und wurde insgesamt (schwach) negativ bewertet: Mittelwert -0.3 (der entsprechende Wert für Diestel betrug 1990 -0.6). Von den CDU-Anhängern wurde Wagner zwar positiv (0.9) aber schlechter benotet als Stolpe (1.2). 81 Prozent der Bevölkerung (1990: 56%) und sogar 97 Prozent der SPD-Anhänger wünschten sich Stolpe als Ministerpräsidenten.Wagner wurde dagegen nur von sieben Pro8

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zent der Bevölkerung, aber immerhin von 35 Prozent der CDU-Anhänger als Regierungschef präferiert. Allerdings sprachen sich 46 Prozent der CDU-Anhänger (1990: 30%) für Stolpe aus. Kein Ministerpräsident in Westdeutschland konnte bisher auf eine derartig hohe Zuneigung verweisen wie Manfred Stolpe, dessen Popularität durch die Vorhaltungen bezüglich seiner angeblichen Stasi-Verstrickungen keinen Schaden genommen hatte.

Bundestagswahl 1994 Wider Erwarten gewann die CDU/CSU die Bundestagswahl mit 41,5 Prozent vor der SPD, die 36,4 Prozent erhielt. Die Union büßte gegenüber 1990 2,3 Prozentpunkte ein, die SPD legte 2,9 Prozentpunkte zu. In Ostdeutschland war die Sozialdemokratie zwar nach wie vor schwächer als im Westen (31,5% zu 37,5%), im Osten mobilisierte sie mit 7,2 Prozentpunkten jedoch den größeren Zugewinn. Die PDS scheiterte zwar mit 4,4 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde, errang aber vier Direktmandate in Berlin (Ost) und zog daher wiederum in den Bundestag ein. Die Bündnisgrünen schnitten mit bundesweit 7,3 Prozent ab. Im Westen bedeutete dies 7,9 Prozent und damit einen Zugewinn von 3,1 Prozentpunkten gegenüber 1990, im Osten betrug das

Die Mittelwerte beziehen sich auf eine Skala von +5 bis -5.


Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

Ergebnis aber nur 4,3 Prozent, was gegenüber 1990 ein Verlust von 1,9 Prozentpunkten ausmachte. Mit 45,1 Prozent errang die SPD in Brandenburg wiederum das beste SPD-Resultat in Ostdeutschland, mit dem sie auch wieder über dem Bundesdurchschnitt der Partei rangierte. Es folgten SachsenAnhalt mit 33,4 Prozent und Berlin (Ost) mit 33,1 Prozent. Die märkische CDU verzeichnete mit 28,1 Prozent wieder einmal – wie gehabt nach Berlin (Ost) (19,5%) – das zweitschlechteste Resultat in Ostdeutschland. Wie schon bei der Europawahl 1994 bildete die CDU in Brandenburg bundesweit das Schlusslicht aller CDU-Landesverbände. Gegenüber der Landtagswahl 1994, dem bisherigen Tiefpunkt in ihrer Wahlgeschichte, konnte sie sich allerdings um 9,4 Prozentpunkte verbessern. Damit lag die CDU auch wieder klar vor der PDS, die mit 19,3 Prozent auf dem Niveau ihres Landtagswahlresultats, also unterhalb der 22,6 Prozent von der Europawahl 1994, stagnierte. Die Bündnisgrünen erreichten, wie bei der Landtagswahl, 2,9 Prozent und wiederum ihren schlechtesten Wert in Ostdeutschland.

Bundestagswahl 1998 Der bundesweite Abwärtstrend der CDU/CSU setzte sich bei dieser Wahl fort. Erstmalig seit 1982 gab es wieder einen

Machtwechsel an der Spitze der Republik. Die SPD erzielte 40,9 Prozent der Zweitstimmen und überflügelte die Union (35,1%) um 5,8 Prozentpunkte. Diese hatte in Ostdeutschland seit der Bundestagswahl 1990 14,4 Prozentpunkte verloren, in Westdeutschland „nur“ 7,2 Prozentpunkte. Die SPD bildete nun in West und Ost die stärkste Partei. Sie schnitt im Osten (35,1%) freilich wiederum schlechter ab als im Westen (42,3%), konnte aber in beiden Landesteilen ihr Ergebnis seit 1990 deutlich verbessern: im Osten um 10,8 Prozentpunkte, im Westen um 6,6 Prozentpunkte. Die PDS überwand dieses Mal mit 5,1 Prozent die Sperrklausel. Seit der Bundestagswahl 1990 hatte sie sich im Westen von 0,3 Prozent auf 1,2 Prozent und im Osten von 11,1 Prozent auf 21,6 Prozent hochgearbeitet. Die Grünen verzeichneten in West und Ost eine gegenläufige Bewegung: Im Westen verbesserten sie sich zwischen den Bundestagswahlen 1990 und 1998 von 4,8 Prozent auf 7,3 Prozent, im Osten verloren sie von 6,3 Prozent auf 4,1 Prozent. In Brandenburg erzielte die SPD mit 43,5 Prozent wiederum das beste Ergebnis in Ostdeutschland, es folgten (wie 1994) Sachsen-Anhalt (38,1%), dann Mecklenburg-Vorpommern (35,3%) und Berlin (Ost) (35,1%). Gegenüber der Bundestagswahl 1994 hatte die märkische SPD allerdings einen Verlust von 1,6 Prozentpunkten hinnehmen müssen,

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gegenüber der Landtagswahl 1994 sogar ein Minus von 10,6 Prozentpunkten. Die brandenburgische CDU brachte es auf 20,8 Prozent und musste wiederum in Ostdeutschland das zweitschlechteste Ergebnis nach Berlin (Ost) einstecken. Im bundesweiten Ländervergleich der Unionsparteien blieb sie das Schlusslicht. Und auch in ihrer brandenburgischen Wahlgeschichte bildeten die 20,8 Prozent ihr zweitschlechtestes Resultat, das sie nur bei der Landtagswahl 1994 unterschritten hatte. Die PDS stagnierte mit 20,3 Prozent ungefähr auf ihrem Niveau der Bundestagswahl 1994. Nur in Sachsen schnitt sie noch schlechter ab als in Brandenburg (20,0%). Die Bündnisgrünen verbesserten sich gegenüber der Bundestagswahl 1994 um 0,7 Prozentpunkte auf 3,6 Prozent.

Europawahl 1999 Bei der Europawahl machte sich der anfängliche Sympathieverlust der rotgrünen Bundesregierung deutlich bemerkbar. Die CDU/CSU verfehlte nur knapp die absolute Mehrheit. Mit 48,7 Prozent übertraf sie ihr Europawahlergebnis von 1994 um 9,9 Prozentpunkte, gegenüber der Bundestagswahl 1998 legte sie sogar 13,6 Prozentpunkte zu. Die West-Ost-Differenz betrug 50,7% zu 40,6%. Die SPD erreichte klägliche 30,7 Prozent, was gegenüber 1994 nur ein Verlust von 1,5 Prozentpunkten, gegenüber

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der Bundestagswahl 1998 aber ein Minus von 10,2 Prozentpunkten bedeutete. In Ostdeutschland landete die SPD bei 23,6 Prozent, im Westen waren es immerhin 32,6 Prozent. Die PDS verbuchte stattliche 5,8 Prozent, die Grünen erreichten gerade einmal 6,4 Prozent. In Brandenburg erzielte die SPD bei einer Wahlbeteiligung von sage und schreibe 30 Prozent mit 31,5 Prozent wiederum ihr bestes Resultat in Ostdeutschland, es folgten Sachsen-Anhalt (26,7%) und Thüringen (25,6%). Im Vergleich zur Europawahl 1994 hatte sie in Brandenburg 5,4 Prozentpunkte verloren, im Vergleich zur Bundestagswahl 1998 sogar 12,0 Prozentpunkte. Die märkische CDU konnte ihr Verliererschicksal nicht beenden. Mit 29,1 Prozent rückte sie zwar dicht an die SPD heran, dennoch musste sie erneut nach Berlin (Ost) das schlechteste Wahlergebnis in Ostdeutschland einstecken und im bundesweiten Ländervergleich gab sie wiederum die rote Laterne. Mit Blick auf die Europawahl 1994 hatte sie sich jedoch um 5,7 Prozentpunkte verbessert, mit Blick auf die Bundestagswahl 1998 sogar um 8,3 Prozentpunkte. PDS und Bündnisgrüne waren in Brandenburg mit 25,8 bzw. 3,3 Prozent in der ostdeutschen Rangfolge auf Platz zwei – nach Berlin (Ost) – vorgerückt. Die PDS verzeichnete ein bislang einmaliges Ergebnis in Brandenburg.


Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

Landtagswahl 1999 Zur Ausgangslage: Die Landtagswahl fand für die SPD unter ungünstigen Rahmenbedingungen statt: Erstens hatte sich das Ansehen der SPD im Bundesgebiet dramatisch verschlechtert, weil die Regierung unter Bundeskanzler Schröder außerordentlich unkoordiniert und ungeschickt agierte, Regierung, Fraktion und Partei kaum kooperierten und weil sich die SPD in der Öffentlichkeit uneinig und konzeptionslos präsentierte. Zweitens befand sich die märkische CDU seit Anfang 1999 auf dem Weg der Konsolidierung: Im Herbst 1997 hatte der aus Berlin (West) stammende Wolfgang Hackel den Fraktionsvorsitzenden Peter Wagner abgelöst, der das Amt des Landesvorsitzenden aber weiterführte. Nach der Bundestagswahl 1998 drehte sich das Personalkarussell erneut. Hackel gewann den Berliner Innensenator Jörg Schönbohm für das Amt des Parteivorsitzenden, das der ehemalige BundeswehrGeneral im Januar 1999 antrat. Zwei Monate später wurde er zum Spitzenkandidaten der brandenburgischen CDU für die bevorstehenden Landtagswahlen gekürt. Schönbohm brachte die Partei auf „Vordermann“ und betrieb eine geschickte Öffentlichkeitsarbeit. Drittens musste auch die alleinregierende SPD Blessuren hinnehmen, weil sie in Affären verstrickt, Filzvorwürfen ausgesetzt und häufig mit Negativschlagzeilen konfron-

tiert war (Zimmermann, Kaminski, Hildebrandt etc.). Anstatt hart durchzugreifen hat sich die Partei von optimistischen Umfrageergebnissen „einlullen“ lassen. Die SPD mobilisierte 39,3 Prozent der (Zweit-)Stimmen und büßte damit ihre absolute Mehrheit ein. Gegenüber der Europawahl 1999 bedeutete das zwar einen Zugewinn von 7,8 Prozentpunkten, im Vergleich zur Landtagswahl 1994 hatte die SPD jedoch 14,8 Prozentpunkte und im Vergleich zur Bundestagswahl 1998 immer noch 4,2 Prozentpunkte verloren. Die CDU erlangte 26,6 Prozent, was bezüglich der Bundestagswahl 1998 eine Steigerung von 5,8 Prozentpunkten, bezüglich der Europawahl 1999 aber ein Verlust von 2,5 Prozentpunkten ausmachte. Mit 23,3 Prozent konnte die PDS zwar nicht an ihr Europaresultat 1999 (25,8%) anknüpfen, aber gegenüber den Bundestagswahlen 1994 und 1998 und erst recht gegenüber der Landtagswahl 1994 bedeutete dieses Ergebnis eine ansehnliche Steigerung. Die Bündnisgrünen setzten ihre Talfahrt fort und landeten nun auf 1,9 Prozent. Die DVU brachte es mit 5,3 Prozent auf fünf Landtagssitze. Von den 44 Direktmandaten eroberte die SPD 37, die CDU zwei und die PDS fünf. Die SPD verlor insbesondere bei jungen Wählern massiv an Unterstützung. 27 Prozent der 19-24jährigen wählten PDS, 26 Prozent CDU, 24 Prozent SPD und neun Prozent DVU. Für die SPD bedeutete

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dies ein Verlust gegenüber 1994 von 24 Prozentpunkten in dieser Altersgruppe. Unter den sozialen Gruppen fand die SPD bei den Rentnern, bei den Arbeitern und bei den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern und Angestellten überdurchschnittliche Unterstützung. Durchschnittliche Resonanz gab es bei den Angestellten (Verlust gegenüber 1994: 15 Prozentpunkte), unterdurchschnittliche Ergebnisse bei den in Ausbildung befindlichen Wählern, bei Arbeitslosen, Beamten, Selbständigen und Landwirten. Die SPD blieb Mehrheitspartei bei den Arbeitern (44%), Angestellten (39%), Beamten (35%) und Landwirten (39%) und natürlich bei den Gewerkschaftsmitgliedern (45%). Die CDU erreichte nur bei den Selbständigen (39%) und bei den in Ausbildung befindlichen Personen (28%) die (relative) Mehrheit. Die PDS stand nach der SPD bzw. der CDU an zweiter Stelle bei den Auszubildenden (27%), bei Arbeitslosen (29%), Angestellten (28%) und bei Gewerkschaftsmitgliedern (27%). Hinsichtlich der Kompetenzzuschreibungen an die Parteien ist bemerkenswert, dass 35 Prozent der Brandenburger die allgemeine wirtschaftliche Lage im Lande negativ beurteilten. 1994 taten dies nur 28 Prozent und auch im Bundesdurchschnitt 1999 äußerten sich nur 23 Prozent entsprechend. Die Märker waren 9

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vor der Landtagswahl also sehr pessimistisch gestimmt. Im Vergleich zu 1994 büßte die SPD in den wichtigen Politikbereichen erheblich Kompetenz ein: in der Wirtschaftspolitik von 47 Prozent auf 31 Prozent, bei der Schaffung von Arbeitsplätzen von 45 Prozent auf 22 Prozent und bei der Kriminalitätsbekämpfung von 28 Prozent auf 14 Prozent. Die CDU verbesserte sich im gleichen Zeitraum in der Wirtschaftspolitik von 15 Prozent auf 20 Prozent und bei der Schaffung von Arbeitsplätzen von 10 Prozent auf 19 Prozent, blieb aber jeweils hinter der SPD zurück. Bei der Kriminalitätsbekämpfung erfuhr sie ein Zuwachs von zehn Prozent auf 18 Prozent und überholte damit die SPD. Die Unzufriedenheit mit den Leistungen der Landesregierung ist also zwischen 1994 und 1999 stark angewachsen. Hinsichtlich der Koalitionspräferenz neigten die Brandenburger eher zu einer großen Koalition (fanden 47% gut und 29% schlecht) als zu einer SPD-PDS-Koalition (fanden 35% gut und 42% schlecht). Nur knapp ein Drittel der Befragten sprach sich vor der Wahl für eine SPDAlleinregierung aus. Bei der Beurteilung der Spitzenkandidaten schnitt Manfred Stolpe weitaus besser ab als Jörg Schönbohm. Stolpe brachte es bei der Bevölkerung insgesamt

Die Mittelwerte beziehen sich auf eine Skala von +5 bis -5.


Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

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auf einen Mittelwert von 2.3 (1994: 2.5; 1990: 1.6), bei den SPD-Anhängern auf 3.8 (1994: 3.5; 1990: 2.4). Schönbohm wurde mit einem Mittelwert von 0.4 im Vergleich zu seinen Vorgängern zwar durchschnittlich positiv, aber doch sehr zurückhaltend eingestuft (Wagner 1994: -0.3; Diestel 1990: -0.6). Die CDU-Wähler benoteten Schönbohm mit 2.4 (Wagner: 0.9). 58 Prozent der Brandenburger insgesamt (1994: 81%; 1990: 56%) und 85 Prozent der SPD-Anhänger (1994: 97%) wünschten sich Stolpe als Ministerpräsidenten, für Schönbohm optierten 13 Prozent aller Befragten (Wagner: 7%; Diestel: 29%) und 53 Prozent der CDU-Anhänger (Wagner: 35%). 21 Prozent der CDUWähler sprachen sich dagegen für Stolpe aus (1994: 46%; 1990: 30%). Dem Ministerpräsidenten bescheinigten zudem 79 Prozent der Befragten (98% der SPDWähler, 83% der PDS-Wähler und 65% der CDU-Wähler), dass er seine Arbeit bisher eher gut gemacht hat. Insgesamt war die Popularität von Stolpe also nach wie vor sehr hoch, aber im Vergleich zu 1994 doch

rückläufig. Schönbohm lag weit zurück, hatte aber zumeist ein besseres Image als Wagner und Diestel. Die herben Verluste der SPD und die Zugewinne der CDU hatten bundespolitische und landespolitische Ursachen. Die CDU profitierte primär von der Unzufriedenheit mit den Leistungen der Bundesregierung. Denn die Zufriedenheit mit der märkischen CDU war im Lande gering. Auch Schönbohm erhielt nur mäßige Bewertungen. Allerdings hatten sich die Kompetenzzuschreibungen der CDU in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Die brandenburgische SPD wurde nicht nur aus bundespolitischen, sondern auch aus landespolitischen Beweggründen abgestraft. Die Leistungen der Regierung in Potsdam stießen nur auf schwachen Beifall, die Abwanderer von der SPD bemängelten vor allem ein Defizit an sozialer Gerechtigkeit. Eine absolute Mehrheit für die SPD erwarteten nur noch 20 Prozent der Brandenburger und ganze 26 Prozent der SPDAnhänger.

3. Zur Entwicklung und Struktur 10 des Parteienwettbewerbs in Brandenburg Brandenburg bildet die Hochburg der Sozialdemokratie in Ostdeutschland. Im 10

Vergleich zu den SPD-Landesverbänden in den übrigen vier neuen Bundeslän-

Untersuchungsbasis sind die in Abschnitt 2 aufgelisteten neun Wahlen: die Volkskammerwahl, drei Bundestagswahlen, drei Landtagswahlen und zwei Europawahlen.

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dern und zur SPD in Berlin (Ost) erzielte die märkische SPD bei nationalen Wahlen stets das beste Ergebnis, unabhängig davon, ob sich die Stimmung in der Republik für oder gegen die SPD auswirkte. Allein bei der Volkskammerwahl 1990 besetzte sie nach Berlin (Ost) den zweiten Platz. Und mit Ausnahme der Volkskammerwahl und der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl – mit Ausnahme also der Einheitswahlen, die von der Union dominiert worden waren – schnitt sie in Brandenburg immer – teilweise sogar wesentlich – besser als die CDU ab. Die märkische CDU bildete dagegen permanent das Schlusslicht im ostdeutschen und seit der Europawahl 1994 sogar im bundesweiten Ländervergleich. Schlechtere Ergebnisse als in Brandenburg musste sie stets nur in Berlin (Ost) hinnehmen. Brandenburg ist also nicht nur die Hochburg der Sozialdemokratie in Ostdeutschland, sondern zugleich die CDU-Diaspora schlechthin. Selbst bei der Europawahl 1999, bei der die CDU/CSU bundesweit wegen des katastrophalen Erscheinungsbildes von Rot-Grün die absolute Mehrheit nur knapp verfehlte, bildete die inzwischen von Jörg Schönbohm konsolidierte CDU in Brandenburg mit nicht einmal 30 Prozent wiederum die rote Laterne am Geleitzug der Unionsverbände.

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Für die Grünen war Brandenburg zunächst – neben Berlin (Ost) – ein besonders aussichtsreiches Wahlgebiet. Infolge innerer Zerstrittenheit und gravierender politischer Fehler hat sich die Partei jedoch selbst um potentielle Erfolge gebracht. Die anfangs in der Mark durchaus chancenreichen Liberalen haben sich rasch zu einer reinen Mittelstandspartei entwickelt, die neben der CDU keine Existenzberechtigung hat. Die PDS-Ergebnisse in Brandenburg bewegten sich stets im Mittelfeld aller ihrer ostdeutschen Resultate. Erstmalig bei der Europawahl 1999 lag sie in Brandenburg mit knapp 26 Prozent nach Berlin (Ost) an zweiter Stelle. Die Dominanz der SPD in Brandenburg beruht also zunächst einmal auf der Schwäche ihrer Konkurrenten. Als weitere Ursache ist die außergewöhnliche Popularität von Manfred Stolpe hervorzuheben, der zeitweilig sogar die besten Noten im Vergleich aller anderen Ministerpräsidenten in der Bundesrepublik erhielt. Anders als im übrigen Ostdeutschland kann die SPD in Brandenburg zudem auf eine solide gesellschaftliche Verankerung verweisen. Bereits bei der Landtagswahl 1990 war sie relative Mehrheitspartei unter den Arbeitern und Angestellten geworden. 1994 erreichte sie sogar die absolute Mehrheit bei allen Arbeitnehmergruppen,


Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

Tabelle 3 Das Wahlverhalten in den sozialen Gruppen bei Landtagswahlen in Brandenburg 1990-1999 (Abweichungen vom SPD-Ergebnis in Prozentpunkten)

SPD-Ergebnis Rentner in Ausbildung Arbeitslos Arbeiter Angestellte Beamte Selbstständige Landwirte Gewerkschaftsmitglieder Gewerksch. + Arbeiter Gewerksch. + Angestellte

1990

1994

1999

38,2 +5 -12

54,1 +2 -9 +1 +3 -1 -6 -13 -8 +3 +7 -1

39,3 +8 -16 -6 +5 0 -4 -12 0 +6 +10 +5

+2 +4 -14

Datenquelle: Forschungsgruppe Wahlen (FGW).

die sie auch wieder mehrheitlich bei der Landtagswahl 1999 wählten. Unabhängig vom Auf und Ab ihrer Zweitstimmenanteile wurde die SPD von den Arbeitern und von den Gewerkschaftsmitgliedern stets überdurchschnittlich häufig gewählt. Wenig Anziehungskraft übt sie hingegen auf junge Leute und auf Selbständige aus (vgl. auch Tabelle 3). Die märkische Sozialdemokratie kann folglich als die Partei der (insbesondere gewerkschaftlich organisierten) Arbeitnehmer in Brandenburg bezeichnet werden (vgl. dazu aber die einschränkenden Bemerkungen weiter unten).

Die solide gesellschaftliche Verankerung der SPD kommt auch darin zum Ausdruck, dass sich in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre im Schnitt knapp 25 Prozent der wahlberechtigten Brandenburger als treue Anhänger der Partei bezeichneten. 1996/97 lag der Wert nur bei 21 Prozent, 1998 stieg er auf 25 Prozent und 1999 sank er wieder auf 22 Prozent (vgl. Tabelle 2). Insgesamt handelt es sich für ostdeutsche Verhältnisse um ein sehr hohes Niveau an Parteibindungen. Denn es bezieht sich auf die Wahlberechtigten insgesamt, die sich nur rund zur Hälfte bis zu drei Vierteln an Wahlen beteiligen. Die märkische SPD verfügt also über ein

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Tabelle 2 Bundestagswahlabsicht nach Wählertypen in Brandenburg 1994-1999 (%)

CDU-WiW CDU-PW CDU-EW SPD-WiW SPD-PW SPD-EW B90-WiW B90-PW B90-EW PDS-WiW PDS-PW PDS-EW Rest

1994

1995

1996

1997

1998

1999

17 1 1 26 7 3 2 1 0 6 2 1 32

23 1 1 25 2 2 2 1 1 6 1 1 35

19 1 2 21 3 2 2 1 0 6 2 1 40

13 1 1 21 5 5 2 1 1 6 1 1 43

12 1 1 25 6 5 1 1 0 5 1 1 40

13 3 2 22 1 2 1 0 0 6 2 1 49

Jahresdurchschnittswerte, ungewichtet. Datenquelle: Forsa. WiW Wiederwähler: Wollen dieselbe Partei wählen wie beim letzten Mal. PW Parteiwechsler: Wollen eine andere Partei wählen wie beim letzten Mal. EW Einwähler: Waren beim letzten Mal Nichtwähler, wollen sich nun an der Wahl beteiligen. Rest Jungwähler, Wähler sonstiger Parteien, Unentschiedene.

relativ großes Wählerreservoir, das sie allerdings bei Wahlen auch an die Urnen bringen, eben mobilisieren muss. Hinsichtlich der vorrangigen Parteikompetenzen hatte die SPD einen schlechten Start. 1990 lag die Wirtschaftskompetenz bei der CDU und bei der Kompetenz zur Schaffung neuer Arbeitsplätze wurden beide Parteien gleich bewertet. Bis zur Landtagswahl 1994 erarbeitete sich die SPD dann in allen Politikbereichen einen überwältigenden Kompetenzvorsprung gegenü-

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ber der CDU, der die Wähler in Sachen Wirtschaft und Arbeitslosigkeit so gut wie nichts zutrauten. Dieser Kompetenzvorsprung bedeutete eine enorme Anspruchshaltung, der die SPD objektiv nicht gerecht werden konnte, in ihrer praktischen Politik in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre aber auch nicht annähernd gerecht wurde. Bis zur Landtagswahl 1999 ist ein teilweise dramatischer Kompetenzverfall der SPD, insbesondere bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zu verzeichnen, während sich


Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

die Beurteilungen der CDU gleichzeitig verbesserten. Bei der Kriminalitätsbekämpfung überholte sie die SPD sogar. Die bisherige Wahlgeschichte Brandenburgs zeigt, dass die SPD zwar die dominierende politische Partei ist, dass sie aber über keine strukturelle, dauerhafte Mehrheit in der Mark verfügt. Ihr überragendes Wahlergebnis bei der Landtagswahl 1994 stellte gewissermaßen einen „Ausreißer“ dar, der nur unter ungewöhnlich günstigen Rahmenbedingungen möglich war. Dabei

handelte es sich vor allem um die tiefe Krise der CDU und das von der SPD nicht zu verantwortende Scheitern des „Brandenburger Wegs“. Das tatsächliche Wählerpotential der SPD in Brandenburg dürfte bei rund 45 Prozent liegen. Fazit: Die SPD konnte sich in Brandenburg eine dominierende Stellung erarbeiten, dabei hat sie allerdings erheblich von der Schwäche ihrer Mitbewerber und von der außerordentlichen Popularität von Manfred Stolpe profitiert.

4. Zur Profilschwäche der SPD Stellt Brandenburg auch die Hochburg der Sozialdemokratie in Ostdeutschland dar, so unterscheidet sich die Wettbewerbssituation der märkischen SPD doch nicht prinzipiell von der ihrer Schwesterverbände in den anderen östlichen Bundesländern. Die SPD nimmt im Parteiengefüge Ostdeutschlands eine Mittelposition zwischen CDU und PDS ein. Diese Mittelposition bietet die Chance, aus beiden Richtungen Wähler zu gewinnen, sie birgt aber auch die Gefahr, in beide Richtungen Wähler zu verlieren. Um zentrifugale Tendenzen abzuwehren und um zentripetale Bewegungen zu begünstigen, ist die ostdeutsche SPD – mehr als CDU und PDS – auf ein klares und attraktives politisches Profil angewiesen, das

Abwanderungen verhindert und neue Wähler anlockt. Profil ist aber auch notwendig, um treue Wähler zu binden und sie zur Wahlteilnahme zu motivieren. Da sich mangelndes Profil nicht dauerhaft durch populäre Spitzenkandidaten ersetzen lässt, die – nebenbei bemerkt – eher ein Glücksfall als die Regel darstellen, handelt es sich bei der Profilbildung um eine Daueraufgabe der ostdeutschen SPD, die die Bedeutung dieser Daueraufgabe meines Erachtens unterschätzt. Bei der Auswertung von Umfragedaten aus der ersten Hälfte des Jahres 1999 hatte sich bereits gezeigt, dass die märkische SPD ihre Anhänger nicht voll mobilisieren kann. Stammwähler beobachten ihre Partei zumeist besonders kritisch.

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PD Dr. Richard Stöss

Wenn sie unzufrieden sind, wandern sie normalerweise nicht zu einer anderen Partei, sondern ins Nichtwählerlager ab. Wenn sie in Umfragen nach ihrer Wahlabsicht befragt werden, nennen sie nicht „ihre“ Partei, sondern antworten, dass sie sich noch nicht entschieden hätten, welcher Partei sie ihre Stimme geben würden, wenn am kommenden Sonntag Wahlen wären (Unentschiedene). So war es auch in der ersten Hälfte des Jahres 1999:Viele ehemalige SPD-Wähler erklärten sich zu Unentschiedenen, teilweise auch zu Nichtwählern. Abwanderungstendenzen zu anderen Parteien machten sich nur erst ansatzweise bemerkbar. Bei der Landtagswahl im September 1999 sorgten dann sowohl das Mobilisierungsdefizit als auch die Wählerabwanderungen (zumeist zur CDU und zur PDS) für ein enttäuschendes Wahlergebnis. Beides, Mobilisierungsdefizit und Wählerabwanderungen, basieren auf derselben Ursache, der Profilschwäche der SPD in Brandenburg (aber nicht nur dort). Da Profil eine zentrale Kategorie für die Wettbewerbsstrategie der Ost-SPD bedeutet, muss zunächst gefragt werden, was damit gemeint ist oder gemeint sein könnte. Ich will vorab sagen, dass ich den Begriff nicht sonderlich schätze, ihn aber verwende, weil er sich in der Alltagssprache eingebürgert hat. Landläufig ist damit gemeint, dass sich ein Ding durch mehr oder weniger scharfe Kanten von

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anderen Dingen sinnlich erfahrbar unterscheidet. Nun dürfen sich Parteien in einer Demokratie gar nicht scharfkantig voneinander abgrenzen. Schon ein Klassiker der Parteiensoziologie, Sigmund Neumann, stellte 1932 fest, dass jede Partei ihrem Wesen nach Absonderung und Teil der Gesamtheit sei, dass im Begriff des Teils aber der Bezug auf die „Ganzheit“ eingeschlossen sei. „Nur wenn eine gemeinsame Grundlage für die auf spezifische Wünsche ausgerichteten Parteien besteht, wird der politische Kampf nicht zum Auseinanderbrechen der Gesamtheit führen. Nur wenn es Entscheidendes gibt, das eint, kann Trennendes ausgeglichen werden.“ Mit anderen Worten: Zwischen den Parteien muss es zugleich Konsens und Konflikt geben, sonst funktioniert der demokratische Wettbewerb nicht. Beim Parteienwettbewerb ist auch aus wahlstrategischen Gründen von strikten Abgrenzungen (z. B. von starker Polarisierung) abzuraten. Zum einen wirkt „Parteiengezänk“ auf die Wähler eher abstoßend und zum anderen werden dadurch Wählerbewegungen erschwert. Die meisten Parteien sind jedoch auf Wechselwähler angewiesen, um optimale Resultate zu erzielen. Das Kunststück besteht also darin, ein klares Profil zu entwickeln, ohne sich nach außen abzuschotten. Mehr Tiefgang für sozialwissenschaftliche Betrachtungen hat die Vorstellung,


Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

dass sich das Profil eines Objekts aus der Summe seiner hervorstechenden Eigenschaften ergibt. Eine Institution wäre dann profiliert, wenn sie sich durch spezifische Wesensmerkmale auszeichnet, die – in dieser Konstellation – auf keine andere Institution zutreffen. Entscheidend ist also nicht die Abgrenzung nach außen, sondern die positive Bestimmung der internen Gemeinsamkeiten. Und da Parteien keine hierarchischen homogenen Blöcke bilden, sondern pluralistische, kollektive Akteure darstellen, lässt sich die Frage nach dem Profil einer Partei auf die Frage zuspitzen, worin denn – jetzt nenne ich den Begriff, der mir in diesem Zusammenhang präziser erscheint – ihre Identität besteht.

Woraus könnte die SPD ihre Identität beziehen? Aus ihrer Herkunft? Die Ost-SPD blickt bekanntlich auf eine sehr kurze Geschichte zurück.Von einer historischen Tradition kann keine Rede sein. Und während ihrer Entstehung 1989/90, im Prozess der Identitätsbildung, erfuhr sie mehrere Identitätsbrüche, die für die Festigung ihres Selbstbewusstseins nicht gerade förderlich waren. Der Anschluss an die WestSPD konnte mit Blick auf die Herkunft auch keine identitätsstiftende Wirkung haben, weil die Mitglieder und Wähler der SPD in Ostdeutschland unter völlig

anderen gesellschaftlichen Bedingungen sozialisiert worden sind als die in Westdeutschland. Überdies verstand sich die Ost-SPD als eine Partei, die aus der Menschenrechts-, Friedens- und Ökologiebewegung hervorgegangen ist, während die West-SPD in der Tradition der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung steht. Herkunft hat auch etwas mit sozialer Basis zu tun: gemeinsame soziale Herkunft, gemeinsame Erfahrungen, gemeinsame Lebenslagen und gemeinsame Interessen. Ich habe die märkische SPD oben als die Partei der Arbeitnehmer bezeichnet. Könnte darin ein identitätsstiftendes Element liegen? Meine Antwort lautet: nein. Die SPD ist zwar seit 1990 Mehrheitspartei der Arbeitnehmer (Arbeiter, Angestellte und Beamte) in Brandenburg, aber daraus ergibt sich kein eigenständiges Profil gegenüber anderen Parteien. Dies wäre erst der Fall, wenn die SPD von spezifischen sozialen Gruppen besonders, von anderen dagegen kaum präferiert werden und sich dadurch von den anderen Parteien unterscheiden würde. Tabelle 3 zeigt, dass die SPD von keiner sozialen Gruppe deutlich überdurchschnittlich gewählt wird. Eine Ausnahme bilden allenfalls die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass ein um sieben bzw. zehn Prozentpunkte überdurchschnittliches Ergebnis noch kein markantes Profil ausmacht. Das

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PD Dr. Richard Stöss

Tabelle 4 Die Wahlabsicht der gesellschaftlichen Schichten in Brandenburg 1995-1997 (Durchschnittswerte, %)

CDU-WiW CDU-WW SPD-WiW SPD-WW PDS-WiW PDS-WW B90/G-WiW B90/G-WW Rest

Unterschicht

Mittelschicht

Oberschicht

21 3 24 7 5 2 1 1 37

17 3 25 7 6 2 2 2 36

18 3 23 6 11 2 5 3 31

Durchschnittswerte, ungewichtet. Datenquelle: Forsa. WiW Wiederwähler: Wollen dieselbe Partei wählen wie beim letzten Mal. WW Wechselwähler: Wollen eine andere Partei wählen wie beim letzten Mal oder waren beim letzten Mal Nichtwähler und wollen sich nun an der Wahl beteiligen. Rest Jungwähler, Wähler sonstiger Parteien, Unentschiedene. Unterschicht: Befragte mit geringer Bildung und geringem Einkommen (= 44%) Mittelschicht: Befragte mit mittlerer Bildung und mittlerem Einkommen (= 39%) Oberschicht: Befragte mit hoher Bildung und hohem Einkommen (=17%) (Vgl. auch Anm. 11)

wäre bei wenigstens 15 bis 20 Prozentpunkten der Fall. Noch deutlicher wird dies, wenn man die Wahlabsicht der gesellschaftlichen Schichten betrachtet (Tabelle 4): Jeweils rund ein Viertel der 11 Unter-, Mittel- und Oberschicht zählt zu den Daueranhängern und etwa jeweils sieben Prozent der drei Schichten bilden 11

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die Wechselwähler der SPD. Sie wird also von keiner der Schichten besonders bevorzugt. Dasselbe gilt für die CDU, allerdings auf einem Niveau von rund 20 Prozent bei den Wiederwählern und von drei Prozent bei den Wechselwählern. CDU und SPD unterscheiden sich also nicht hinsichtlich der Sozialstruktur ihrer Wäh-

Die Schichten wurden nach Einkommen und Bildung konstruiert. Die Unterschicht (44% der Befragten) besteht überwiegend aus Arbeitern und einfachen Angestellten, die Mittelschicht (39% der Befragten) zumeist aus mittleren und höheren Angestellten und Beamten und teilweise auch aus Selbständigen, die Oberschicht (17% der Befragten) besteht überwiegend aus leitenden Angestellten, gehobenen Beamten, Akademikern und Selbständigen.


Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

Tabelle 5 Die Zusammensetzung der Wählergruppen der Parteien nach gesellschaftlichen Schichten in Brandenburg 1995-1997 (Durchschnittswerte, %)

CDU-WiW CDU-WW SPD-WiW SPD-WW PDS-WiW PDS-WW B90/G-WiW B90/G-WW Rest

Unterschicht

Mittelschicht

Oberschicht

48 44 44 47 34 38 24 32 46

36 37 40 38 38 45 40 44 39

16 19 16 15 29 17 36 24 15

Legende siehe Tabelle 4

ler, sondern hinsichtlich der Größe ihrer Wählerschaft. Die Zusammensetzung ihrer Wählerschaften ist nahezu identisch, wie Tabelle 5 ausweist. Sozialstrukturell profiliert sind dagegen die Bündnisgrünen und die PDS. Beispiel PDS: Fünf Prozent der Unterschicht und sechs Prozent der Mittelschicht aber 11 Prozent der Oberschicht bekennen sich als treue Wähler der Postkommunisten (Tabelle 4). Statistisch ausgedrückt: Je höher der soziale Status desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ein Befragter Wiederwähler der PDS ist. Ein derartiger Zusammenhang findet sich weder bei der SPD noch bei der CDU. Die SPD verfügt mithin weder über eine historische noch über eine sozialstrukturelle Identität.

Die grundlegenden Ziele einer Partei kommen besonders in den Wertorientierungen ihrer Mitglieder und Wähler sowie in den Grundwerten ihrer Programmatik zum Ausdruck. Ob die SPD in Ostdeutschland bzw. in Brandenburg über einen Kranz von identitätsstiftenden Zielen verfügt, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschließend beantwortet werden, weil dazu kaum Forschungen vorliegen. Meine eigenen Untersuchungen für das Jahr 1994 stimmen eher skeptisch: Die Wertorientierungen der SPD-Wählerschaft in Brandenburg entsprechen weithin dem Bevölkerungsquerschnitt und sind recht pluralistisch strukturiert. Ein spezielles Profil – im Vergleich etwa zu CDU und PDS – wird nicht erkennbar.

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Identitätsfördernd können sich auch institutionelle Verfahrensweisen auswirken: das Parteileben, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitglieder, die interne Kommunikation oder die Beitrittsmotive. Untersuchungen über den organisatorischen Zusammenhalt der SPD in Brandenburg sind mir nicht bekannt und daher ist auch keine Aussage darüber möglich, ob die SPD durch eine institutionelle Identität gekennzeichnet ist. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage zu beantworten, ob die Identität der SPD über Personen (Stolpe, Hildebrandt, Reiche, Platzeck etc.) gestiftet werden kann: Dies ist gerade in Ostdeutschland durchaus möglich und in Brandenburg offenbar auch der Fall. Nur eben vermag Personalisierung weder eine gemeinsame Tradition noch gemeinsame Grundwerte zu ersetzen, jedenfalls nicht langfristig. Dazu eine ergänzende Bemerkung: Ich habe eingangs auf das Risiko hingewiesen, dass besonders populäre Spitzenpolitiker

durch hohe Erwartungen an ihre Leistungsfähigkeit auch überfordert werden können. Das überragende Landtagswahlergebnis der SPD von 1994, insbesondere die traumhafte Benotung von Stolpe und die massiven Kompetenzzuschreibungen für die SPD in allen Politikbereichen, bedeuteten nicht nur Zustimmung zur bisherigen Arbeit der Landesregierung, sie signalisierten auch eine enorme Erwartungshaltung an die künftige Politik. Das schlechte Ergebnis bei der Landtagswahl 1999 beruhte – insoweit es hausgemacht war – sowohl auf der objektiven Überlastung als auch auf subjektiven Unzulänglichkeiten der SPD und ihrer Politiker. Beides führte zu einem Mobilisierungsdefizit und zu den Wählerabwanderungen, weil der Bindungskitt zwischen der Partei und ihren Anhängern, das sozialdemokratische Profil, zu schwach war. Daraus ziehe ich die Schlussfolgerung, dass sich die Profilierung der SPD vor allem auf ihre grundlegenden politischen Ziele erstrecken sollte.

5. Chancen für die Profilbildung der SPD in Brandenburg: Grundwerte Die Profilschwäche der SPD in Ostdeutschland hat vor allem zwei Ursachen: Die Partei ist noch sehr jung und der gesellschaftliche Umwälzungsprozess in den neuen Ländern (Transforma-

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tion) ist noch nicht zum Abschluss gelangt. Dauerhafte Allianzen von politischen Eliten und sozialen Gruppen konnten sich unter diesen Bedingungen kaum herausbilden. Im Vergleich zu den übri-


Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

gen ostdeutschen Landesverbänden befindet sich die märkische SPD allerdings in einer komfortablen Situation, weil es ihr gelungen ist, eine beachtliche gesellschaftliche Verankerung zu erreichen. Aber auch sie befinden sich im Parteienwettbewerb, wie die übrigen SPDVerbände in Ostdeutschland, in einer Mittelposition, woraus sich die erwähnten Mobilisierungs- und Abwanderungsprobleme ergeben. Die SPD in Brandenburg wäre daher gut beraten, wenn sie ihre – teilweise sogar absolute – Mehrheitsposition bei den Arbeitern, Angestellten und Beamten als Ausgangsposition für eine gezielte Profilierung als Arbeitnehmerpartei nutzt. Wenn es ihr gelingt, das Grundvertrauen der Arbeitnehmer (einschließlich der entsprechenden Rentnergruppen) zu erlangen und daraus eine längerfristige Allianz unter Einschluss der Gewerkschaften zu schmieden, würde sie sich damit ein beträchtliches Mobilisierungspotential und zudem einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber der CDU und der PDS erschließen. Anders als der Union im Westen steht der Ost-CDU nämlich kein konfessionell gebundenes Wählerpotential von vergleichbarer Größe zur Verfügung, das ihr als dauerhafte Mobilisierungsreserve dienen könnte. Sie wird daher immer primär auf kurzfristige und folglich fragile Wählerallianzen angewiesen sein. Hinsichtlich der PDS muss

die SPD sehr auf der Hut sein, dass ihr die Postkommunisten nach dem „demokratischen Sozialismus“ und der „sozialen Gerechtigkeit“ nun nicht auch noch die Rolle der Arbeitnehmerpartei streitig machen. Welche Möglichkeiten stehen der SPD in Brandenburg zur Verfügung, um ihr Profil zu schärfen? Ich hatte im vorigen Abschnitt dargelegt, dass die SPD trotz ihrer starken Verankerung in der Arbeitnehmerschaft bislang keine sozialstrukturelle Identität ausgebildet hat. Ich bezweifele, dass dies unter den Bedingungen des sozialen Wandels überhaupt noch möglich ist. Die wachsende Differenzierung der Gesellschaft, gerade auch der Arbeiterschaft und der Angestelltenschaft, verhindert nämlich, dass aus der Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Großgruppen gleichartige Erfahrungen, Einstellungen und Interessen und damit gleichgerichtete Parteipräferenzen erwachsen. Langfristige Allianzen zwischen politischen Eliten und gesellschaftlichen Gruppen lassen sich nur noch über gemeinsame Werte herstellen. Unter Werten werden gesellschaftlich bedeutsame Grundüberzeugungen von Gruppen verstanden, die relativ dauerhaft und von hohem Allgemeinheitsgrad sind und Konzeptionen des Wünschenswerten zum Ausdruck bringen. Werte steuern politisches Verhalten. Sie regeln die Auswahl zwischen unterschiedlichen

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Handlungszielen. Allerdings liefern sie keine speziellen Verhaltensanweisungen, sondern nur globale Orientierungen für Richtungsentscheidungen. Politische Werte beziehen sich auf die Gestaltung der gesellschaftlichen Ordnung insgesamt. Wenn es sich um für eine Partei besonders bedeutsame politische Werte handelt, spricht man auch von Grundwerten (Freiheit, Gerechtigkeit, Materialismus, Autorität etc.). Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer gezielten Profilierung durch Grundwerte könnte darin bestehen, eine Debatte in Gang zu setzen, deren Resultat ein markanter Grundwertekatalog der SPD in Brandenburg ist, der die märkische Sozialdemokratie hinsichtlich ihrer grundlegenden politischen Anliegen deutlich von anderen Parteien unterscheidet. Im diesem Katalog müsste erstens die Identität von Herkunft und Zukunft der Partei zum Ausdruck gelangen. Er müsste zweitens mit den Grundwerten der Bundespartei kompatibel sein (was nicht den Verzicht auf brandenburgische Spezifika bedeutet). Und er müsste drittens den Erwartungen der Bevölkerung bezüglich der historisch-politischen Rolle der SPD Rechnung tragen. Dieser Aspekt ist besonders bedeutsam, weil die SPD gelegentlich dazu neigt, die Rolle der „bürgerlichen“ Parteien zu übernehmen. Die Erwartungen

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der Bevölkerung, das Außenbild der SPD, hängen schließlich eng mit ihrer Geschichte, mit ihren Erfolgen und Niederlagen, mit ihren Leistungen und mit ihrem Versagen zusammen.Während die CDU als Partei der Durchschnittsbürger, der Mittelklasse gilt, die für den Status quo, für Ruhe und Ordnung und für Kontinuität steht, verbindet man mit der SPD Wandel, Reformen und Fortschritt und erwartet von ihr, dass sie sich besonders den Interessen des „kleinen Mannes“ annimmt. Als Reformpartei ist die SPD daher – gerade in Krisenzeiten oder in Umbruchsituationen – weitaus größeren Anforderungen ausgesetzt als die CDU, von der im Prinzip nur erwartet wird, dass sie den Staat anständig regiert. Nach Thomas Meyer, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Grundwertekommission der Bundes-SPD, bedeutet Sozialdemokratie die „historische Verpflichtung auf die innere und unauflösliche Verbindung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit“. Diese Formulierung könnte den Ausgangspunkt für die Wertedebatte in Brandenburg bilden, weil die aufeinander bezogenen Begriffe Demokratie und soziale Gerechtigkeit durchaus geeignet erscheinen, den Gründungskonsens der SDP/SPD und ihre politische Marschrichtung zu verklammern. Und beide Begriffe enthalten im Kern bereits die Abgrenzung gegenüber CDU und PDS: Während die CDU ihre Identität


Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

nicht gerade auf soziale Gerechtigkeit stützen kann, repräsentiert die PDS hinsichtlich ihrer historischen Tradition eine Variante totalitärer Herrschaft. Daraus folgt keineswegs, dass die PDS heute und in Zukunft als antidemokratische Partei ausgegrenzt werden soll (das wäre für die SPD eine folgenschwere Fehlentscheidung), das bedeutet aber, dass sie hinsichtlich ihrer Herkunft eine postkommunistische Partei darstellt, die ihre Identität daher nicht demokratisch fundieren kann. Dennoch bemüht sie sich nach Kräften, die Einheit von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit für sich zu reklamieren. Hätte sie damit Erfolg, bedeutete dies eine existenzielle Bedrohung der SPD (nicht nur in Ostdeutschland). Das Ziel der märkischen SPD, eine auf Grund-

werte gestützte Profilierung zu erreichen, besteht also auch – und nicht zuletzt – darin, die „historische Verpflichtung auf die innere und unauflösliche Verbindung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit“ im öffentlichen Diskurs als Synonym für Sozialdemokratie fest zu verankern und damit auch vor postkommunistischem Zugriff zu schützen. Durch die Verbindung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit könnte sich die SPD auch als Arbeitnehmerpartei profilieren und ihre diesbezügliche soziale Verankerung verstetigen, ohne sich die mittlerweile oft als „altbacken“ empfundene Bezeichnung Arbeitnehmerpartei demonstrativ ans Revers zu heften. (Abgeschlossen im Mai 2000)

Tabelle 6 Wahlabsicht zur Landtagswahl und zur Bundestagswahl in Brandenburg im Mai/Juni 2000 (%) („Sonntagsfrage“) Landtagswahl CDU SPD FDP B90/G PDS Sonstige Unentschieden Nichtwähler

15 34 2 2 10 2 23 12

Bundestagswahl 17 30 2 4 8 1 30 8

Wahlberechtigte Bevölkerung, n = 943 Datenquelle: forsa/Deutsche Paul Lazarsfeld Gesellschaft.

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PD Dr. Richard Stöss

Nachtrag (Januar 2001) Die oben beschriebenen Merkmale des Parteienwettbewerbs in Brandenburg haben sich seit der Landtagswahl 1999 nicht verändert. Der CDU gelang es bisher nicht, in der Großen Koalition ihre Wettbewerbsposition zu verbessern. Und auch die Befürchtungen, die Wettbewerbschancen der SPD könnten sich in Folge des Regierungsbündnisses mit der CDU verschlechtern, haben sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil. Ein Blick auf die Umfrageergebnisse zeigt, dass die märkische SPD ihr Formtief von 1999 überwunden hat. Das dürfte teilweise darauf beruhen, dass die Bundesregierung Tritt gefasst und respektable Ergebnisse vorzuweisen hat. Die 12 Daten in Tabelle 6 signalisieren aber auch, dass der Bundestrend nicht maßgeblich für den Wählerrückhalt der brandenburgischen SPD ist. Im Sommer vergangenen Jahres hätten 34 Prozent der Brandenburger bei einer (fiktiven) Landtagswahl die SPD gewählt, bei einer (fiktiven) Bundestagswahl nur 30 Prozent. Bei diesen Zahlen handelt es sich allerdings um Bruttowerte, weil etwa 35 Prozent der Befragten noch unentschieden waren oder sich gar nicht an einer Bundes- oder Landtagswahl beteiligen wollten. Schätzt man auf der Grundlage dieser Brutto12

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werte die tatsächliche Wahlstärke der Parteien zum Befragungszeitpunkt, dann ergibt sich folgendes Resultat (zum Vergleich die Ergebnisse des BrandenburgBarometers September 2000 von Infratest dimap): Forsa

Infratest dimap

CDU

24

25

SPD

46

44

FDP

2

3

B90/G

3

3

20

21

5

4

PDS Sonstige

Wohlgemerkt: Dabei handelt es sich um Schätzungen. Die Unterschiede zwischen beiden Befragungen dürften auch auf verschiedenartigen Schätzmethoden beruhen und sollten daher nicht auf die Goldwaage gelegt werden. Jedenfalls liegt die SPD mit rund 45 Prozent deutlich über ihrem Landtagswahlergebnis von 1999 (39,3%) und dürfte damit ihr tatsächliches Wählerpotenzial mehr oder weniger ausgeschöpft haben. CDU und PDS stagnieren (mit leicht fallender Tendenz). Die SPD profitiert also nach wie vor von der Schwäche ihrer Konkurrenten. Weitere Analysen über die Wertorientierungen der Parteianhänger in Brandenburg,

Datenerhebung durch forsa im Mai/Juni 2000 im Auftrag der Deutschen Paul Lazarsfeld Gesellschaft und des Otto-Stammer-Zentrums am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin.


Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg

die hier nicht im Einzelnen referiert werden können, belegen, dass sich die SPD unverändert in der oben beschriebenen Mittelposition befindet, daraus gegenwärtig allerdings Nutzen zieht. Sie hat seit der Landtagswahl 1999 Wähler von anderen Parteien hinzu gewonnen und

auch ehemalige Nichtwähler mobilisiert. Dennoch besteht ihre Profilschwäche fort. Die Partei wäre schlecht beraten, ließe sie sich wiederum von den guten Umfrageergebnissen „einlullen“. Die Identitätsfrage bleibt auf der Tagesordnung.

PD Dr. Richard Stöss ist Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin http://www.polwiss.fu-berlin.de/osi/osz/index.htm

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Richard Stöss

Literatur Feist, Ursula/Hans-Jürgen Hoffmann: Die Landtagswahlen in der ehemaligen DDR am 14. Oktober 1990: Föderalismus im wiedervereinten Deutschland – Traditionen und neue Konturen, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 22. Jg. (1991), H. 1, S. 5-34. Forschungsgruppe Wahlen: Wahl in den neuen Bundesländern. Eine Analyse der Landtagswahlen vom 14. Oktober 1990, Berichte der Forschungsgruppe Wahlen Nr. 60, Mannheim 1990. Forschungsgruppe Wahlen: Wahl in Brandenburg. Eine Analyse der Landtagswahl vom 11. September 1994, Berichte der Forschungsgruppe Wahlen Nr. 74, Mannheim 1994. Forschungsgruppe Wahlen: Wahl in Brandenburg. Eine Analyse der Landtagswahl vom 5. September 1999, Berichte der Forschungsgruppe Wahlen Nr. 97, Mannheim 1999. Neugebauer, Gero: Aus dem Aufbruch an die Macht. Zehn Jahre SPD in Brandenburg, in: Perspektiven des Demokratischen Sozialismus, 16. Jg. (1999), H. 4, S. 51-63. Schmitt, Karl: Die Landtagswahlen 1994 im Osten Deutschlands. Früchte des Föderalismus: Personalisierung und Regionalisierung, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 26. Jg. (1995), H. 2, S. 261-295. Schmitt, Karl: Die Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen vom 5. und 12. September 1999: Landespolitische Entscheidungen im Schlagschatten der Bundespolitik, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 31. Jg. (2000), H. 1, S. 43-68. Stöss, Richard/Gero Neugebauer: Die SPD und die Bundestagswahl 1998. Ursachen und Risiken eines historischen Wahlsiegs unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Ostdeutschland, Berlin 1998 (Arbeitshefte aus dem Otto-Stammer-Zentrum, Nr. 2). Stöss, Richard/Oskar Niedermayer: Zwischen Anpassung und Profilierung. Die SPD an der Schwelle zum neuen Jahrtausend, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 5 v. 28.1.2000, S. 3-11.

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Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs? von Dr. Gero Neugebauer

Auf dem 7. Parteitag der PDS Anfang Oktober 2000 pries die Vorsitzende der brandenburgischen PDS entsprechend der neuen Linie der Gesamtpartei ihre Partei als Hoffnungsträgerin für eine „MitteLinks-Koalition“ in Brandenburg. Mit der Wahl des Vorsitzenden der brandenburgischen SPD Matthias Platzeck verband sie die Annahme,„dass die SPD wieder um ein erkennbares sozialdemokratisches Profil ringt“ (Tack 2000: 6). Sie beschrieb weder das Profil der eigenen Partei noch gab sie einen Hinweis auf den Stand der Strukturreform oder darauf, dass die PDS auf der Suche sowohl nach neuen politischen Strategien und Konzepten als auch nach sie tragenden und umsetzenden Personen ist. Bisher hat die brandenburgische SPD die PDS ungeachtet ihrer Kooperationsangebote an den staubigen Rand des Brandenburger Weges verwiesen und warum die SPD angesichts einer schwachen CDU den Partner wechseln sollte, ist nicht ersichtlich. Was also hat die PDS der SPD zu bieten? Nicht nur Anita Tack vermisst den Ruf nach der PDS aus der brandenburgischen Öffentlichkeit (Tack 2000a: 26) und selbst aus den eigenen Reihen wird treffend bemerkt, dass eine veränderte

Wahrnehmung der PDS erst dann eintreten könnte, wenn sich die PDS zur Gesellschaft hin geöffnet habe und über politische Inhalte identifiziert werde (Berliner Morgenpost, 14.11.2000). Der Wunsch nach Aufwertung vermittelt den Frust der Akteure an der Rolle der PDS als Opposition im Lande und ihre Überzeugung, dass dieser Weg die Partei aus ihrem Dilemma führen könne. Andere sehen das Dilemma nicht in der Oppositionsrolle, die vermeintlich das Selbstverständnis der PDSBasis prägt, sondern in einer Entscheidung für oder gegen einen Rollentausch mit ungewissem Ausgang. Diese Auffassung stellt immer noch eine realistischere Perspektive und eine Position mit Tradition dar, als es vage Hoffnungen auf einen Wechsel in die Position des Juniorpartners sind. Konsequenterweise verfügte Lothar Bisky für die PDS ein Ende des Geraunes über eine rot-rote Koalition (Berliner Zeitung, 03.01.2001). Letzten Endes dürfte ihm nicht verborgen geblieben sein, dass – unabhängig von den Bauchschmerzen in den eigenen Reihen und dem künftigen Wählerverhalten – in der SPD Brandenburgs die Akzeptanz der PDS noch auf erhebliche Widerstände trifft.

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Dr. Gero Neugebauer

Die PDS im brandenburgischen Parteiensystem Tabelle 1 Wahlergebnisse der Parteien in Brandenburg 1990-1999 (in Prozent) Wahl VW 90 KW 90 LW 90 BW 90 KW 93 EW 94 LW 94 BW 94 BW 98 KW 98 EW 99 LW 99

PDS 22,8 16,6 13,3 11,0 21,1 22,6 18,7 19,3 20,3 21,6 25,8 23,3

SPD 29,9 28,0 38,2 32,9 34,5 36,9 54,4 45,0 43,5 38,9 31,5 39,3

CDU 34,3 31,8 29,4 36,3 20,5 23,4 18,7 28,1 20,7 21,4 29,1 26,5

B90/G 5,4 3,8 9,2 6,6 4,1 4,5 2,8 2,8 3,6 4,1 3,3 1,9

FDP 5,2 6,0 6,6 9,7 7,0 2,7 2,2 2,6 2,8 4,1 2,2 1,8

Sonst. 2,4 13,7 3,0 3,4 12,4 9,7 3,3 2,0 8,9 9,7 7,9 5,2*

Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung. Differenzen zu 100% durch Rundungen * nur DVU

Das Position der PDS im Parteiensystem in Brandenburg ist nach inzwischen drei Landtagswahlen weitgehend konsolidiert. Trotz mancher rhetorischer Schlenker betrachten weder die SPD noch die CDU die PDS auf der Landesebene als koalitionsfähig. Da aber weder die FDP noch Bündnis 90/Die Grünen eine relevante Rolle im brandenburgischen Parteiensystem spielen, hat die PDS theoretisch nur Chancen, sich mit Hilfe der SPD aus der Opposition in die Regierung zu hieven, während der SPD prinzipiell mehr

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Optionen zur Verfügung stehen, wie die Wahlresultate zeigen. Auf den Abstieg 1990, die PDS verlor auf allen Ebenen gegen ihre Hauptkonkurrenten deutlich, ist seit 1993 ein Aufstieg in den ostdeutschen Ländern erfolgt. In Brandenburg bedrängte sie die CDU erfolgreich auf der Kommunalebene und ließ sie auf der Landes- wie auf der Bundesebene nicht besonders gut aussehen. Das gelang ihr gegenüber der SPD nicht. Bei den Kommunalwahlen stieg die Differenz zwischen den beiden Parteien


Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

seit 1990 von elf auf über 17 Prozentpunkten an, bei den Landtagswahlen schwankte sie zwischen 25 (1990) und 36 (1994) Prozentpunkten und lag zuletzt bei 16 Punkten, während bei nationalen Wahlen der Abstand zwischen 1990 und 1998 von sieben (VK-Wahl 1990) auf 23 (1998) Punkte anstieg. Die PDS zeigt sich besonders in der kommunalen Politik, wo sie der CDU den zweiten Platz bestreitet, stark. Kommunalwahlergebnisse sind nicht vergleichbar mit Ergebnissen einer Landtags- oder Bundestagswahl, weil in der kommunalen Politik die vor Ort handelnden Personen und deren Vertrautheit mit den dortigen Problemen eine wichtige Rolle spielen. Da der Parteienwettbewerb auf der lokalen Ebene mehr und mehr Bedeutung erhält, kann die PDS für sich in Anspruch nehmen, als Partei in den Kommunen befriedigend akzeptiert zu sein. Die landespolitische Wirkung dieses Potenzials ist jedoch beschränkt, denn ihre kommunalen Mandatsträger verfügen zwar über einen Draht zu den häufig aus der Kommunalpolitik kommenden Landtagsabgeordneten, nicht aber zur Regierung. Da bezweifelt werden kann, dass kommunalpolitische Erfolge quasi

automatisch landespolitische Kompetenz nachweisen und damit förderlich für Wahlerfolge auf Landes- oder sogar auf Bundesebene werden können, kann schlecht mit einem Verweis auf kommunale Potenzen landespolitische Stärke behauptet werden. Erst durch eine Regierungsbeteiligung könnte die PDS ihre linkage power, d.h. die Verbindung von Parteifunktionen und Ämtern oder Mandaten auf verschiedenen Ebenen im Land erheblich ausbauen. Insgesamt hat sich die Tendenz zur Stabilisierung eines Drei-Parteiensystems in Brandenburg verstetigt, ohne dass damit zugleich gesagt werden kann, dass die SPD nicht auch allein (wieder) mehrheitsfähig sein könnte. Die Chancen der PDS auf eine bessere Platzierung sind unentschieden. Sie hat gegenwärtig ein Potenzial von 63 Prozent Wiederwählern und ist damit stärker von der Reduktion von Parteibindungen sowie erhöhter Wechselbereitschaft der brandenburgischen Wähler tangiert, als es die CDU (72,8 %) oder die SPD (81,9 %) mit ihren relativ hohen Anteilen an Wiederwählern sind (FORSA 2000).

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Dr. Gero Neugebauer

Die PDS in der brandenburgischen Gesellschaft

Tabelle 2 Sozialstrukturelle Zusammensetzung der Wähler der PDS bei den Landtagswahlen in Brandenburg 1994 und 1999 sowie zur BTW 1998 (in %) Gruppe

LTW 1994

LTW 1994

LTW 1999

LTW 1999

BTW 1998

Gesamt1

PDS2

Gesamt

PDS

Gesamt PDS

erwerbstätig

52,4

54,4

53

53

52

55

Rentner

27,3

22,7

26

25

23

21

Berufstätig

in Ausbildung

4,6

5,9

6

7

6

7

arbeitslos

9,6

12,3

8

11

5

12

Arbeiter

33,3

26,9

34

29

24

28

Angestellte

40,3

51,2

41

48

37

46

Beamte

2,1

3,4

5

5

6

4

Selbständige

5,0

4,1

7

5

8

7

Landwirte

3,0

1,8

4

3

1

1

ja

26,7

32,0

20

23

18

23

nein

65,4

63,3

74

73

76

72

Berufsgruppe

Gewerk.Mtgl.

1 Anteil an der Wählerschaft 2 Anteil unter den Wählern der PDS Quelle: FGW, LTW Brandenburg 1994: 15, LTW Brandenburg 1999: 18, BTW 1998, S. 24 (jeweils Wahltagsbefragung)

46


Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

Die sozialen Dimensionen eines Wahlresultats können als ein Indiz für die gesellschaftliche Verankerung einer Partei gewertet werden, denn sie sagen etwas über die Einbindung einer Partei in ihre gesellschaftliche Umwelt und ihre Akzeptanz bei den Wählern aus. Die Wählerstruktur der PDS in Brandenburg entspricht in etwa der Erwerbsstruktur der brandenburgischen Bevölkerung. Daraus folgt für die PDS-Anhängerschaft: Sie weist einen niedrigeren Rentneranteil auf als es in der Gesamtheit

Brandenburgs der Fall ist, die erwerbstätige Anhängerschaft entspricht dem Landesdurchschnitt. Es dominieren die Angestellten, der Anteil der Arbeiter ist weit, der der Selbstständigen und der Landwirte leicht unterdurchschnittlich. Die Anteile der Arbeitslosen wie der Auszubildenden sind höher als im Durchschnitt der Berufsgruppen, doch es gibt kein ausgesprochenes Defizit. Das kann lediglich im Bereich der konfessionellen Bindungen gefunden werden: 1994 wie 1999 gehörten 85 Prozent der PDSAnhänger keiner Konfession an.

Die PDS als intermediärer Akteur Die PDS bemüht sich Verbindungen zur Gesellschaft nicht nur durch parteiinterne Strukturen und parteinahe Vereine oder Verbände, sondern auch durch Kontakte zu gesellschaftlichen Organisationen herzustellen. Zu den parteiinternen Strukturen zählen die Interessenund Arbeitsgemeinschaften (IG/AG), die in unterschiedlicher Zahl und Größe (1999: 9) seit 1990 im Landesverband oder bei ihm sowie auf der Kreisebene existieren und die sehr unterschiedliche Aktivitäten verfolgen (Kaufhold 2000: 19f.). So soll die AG Betrieb und Gewerkschaften durch neue bündnispolitische Zielsetzungen aktiviert werden, wobei es zuerst darum geht, in der Partei selbst

um ein Verständnis für gewerkschaftspolitische Arbeit zu werben. Die AG Senioren oder die AG LISA stellen generationen- oder geschlechtsspezifische Gruppierungen dar, wie sie auch in anderen Parteien zu finden sind. Die AG Junge GenossInnen existiert nicht mehr, ein Jugendverband „solid“ soll die Jugend für die PDS gewinnen. Andere AG ( u. a. Umwelt, Recht) sollen es der PDS erlauben, sich Fachwissens zu bedienen. Die gesellschaftliche Relevanz der AG im Sinne eines Hineinwirkens in die Gesellschaft kann dann bezweifelt werden, wenn sie im wesentlichen der Kommunikation spezifischer Gruppierungen in der PDS-Anhängerschaft dienen. In einer

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Dr. Gero Neugebauer

Verengung auf Binnenkommunikation kann auch eine Gefahr für die politische Bildungsarbeit der PDS-nahen „RosaLuxemburg-Stiftung“ liegen, die, wie das Kommunalpolitische Forum Land Brandenburg e.V., das die kommunalpolitische Ressourcen der PDS repräsentiert, etliche Aktivitäten organisiert. Organisationen wie der Offene Wirtschaftsverein für Unternehmer und Selbstständige (OWUS) – Vorsitzender ist z. Z. der PDS-Bundestagsabgeordnete aus Potsdam Rolf Kutzmutz – oder andere, die – wie die Volkssolidarität, der Arbeitslosenverband oder der Mieterbund – wegen der Repräsentanz von PDS-PolitikerInnen in Leitungsgremien als PDS-nah galten oder gelten, agieren in Politikbereichen wie Sozial-, Wohnungs- oder Arbeitsmarktpolitik, in denen die Partei Kompetenzen behauptet. Der Erwartung der Partei, Netzwerke konstruieren und den Zugriff auf Ressourcen, darunter Wähler, mobilisieren zu können, steht die Hoffnung der Verbände entgegen, bei Forderungen an staatliche Institutionen von der PDS unterstützt zu werden. Bei kommunalpolitischen Kooperationen übte die PDS in Brandenburg noch Mitte der neunziger Jahre landesweit eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der SPD aus, verwies auf ein unverkrampftes Verhältnis zur CDU und verhielt sich kooperativ gegenüber Bündnis 90/Die Grünen (Gothe 1996: 105 f.). Eine

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neue Untersuchung weist nach, dass sich die seinerzeitigen schwachen Tendenzen zur Kooperation mit der PDS seitens der anderen Parteien verfestigt haben und dass – mit Ausnahmen bei der CDU – keine generelle Verweigerung der Zusammenarbeit mit der PDS mehr zu finden ist (Pollach 2000: 230 ff.). Zwischen einzelnen DGB-Gewerkschaften und der PDS-Führung hat sich das Verhältnis entspannt. Einerseits hat die PDS bestimmte Kampagnen, wie beispielsweise die Ladenschluss-Initiative der Gewerkschaft HBV unterstützt, andererseits sind Gewerkschafter auch PDSWähler. Nach Angaben aus der PDS hatten Mitte der neunziger Jahre zwei Drittel der Kreisverbände als relativ festgefügt bezeichnete und teilweise formalisierte Kontakte zu DGB Kreisvorständen oder zu Vorständen der Gewerkschaften HBV, ÖTV, IG Metall, IG Bau/Steine/Erden und der GEW. Zweifel an der Nützlichkeit und Notwendigkeit der Kooperation mit den Gewerkschaften werden in der PDS nur verdeckt geäußert. Auf der Landesebene besteht kein wahrnehmbares Risiko für die PDS, von den DGB-Gewerkschaften zugunsten einer bestimmten Konfliktstrategie gegenüber der SPD instrumentalisiert zu werden. Wie Politiker andere Parteien nutzen auch PDS-Parlamentarier die Chance, Positionen in diversen öffentlich-rechtlichen Gremien wie Rundfunkräten, Vor-


Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

ständen von Sparkassen und Kommunaloder Landesunternehmen, Kuratorien, Verbands- und Vereinsleitungen und anderen Organisationen zu besetzen und ihr zivilgesellschaftliches Engagement als Parteipolitiker zur Herstellung oder Intensivierung von Einfluss auf Entschei-

dungen ebenso wie als Möglichkeit des Zugriffs auf Ressourcen, auf die Verteilung von Zugangschancen zu Positionen und Mitteln und der Präsentation der eigenen Person gegenüber Wählern zu nutzen.

Die Mitglieder der PDS Brandenburg Tabelle 3 Mitgliederentwicklung in den Kreisen und kreisfreien Städten Kreis

31.12.1996

31.12.1998

31.12.1999

Brandenburg/Havel Cottbus Stadt Frankfurt/Oder Potsdam/Stadt Barnim Dahme-Spreewald Elbe-Elster Havelland Märkisch-Oderland Oberhavel Oberspreewald-Lausitz Oder-Spree Osttprignitz-Ruppin Potsdam-Mittelmark Prignitz Spree-Neiße Teltow-Fläming Uckermark

474 1.288 998 2.014 825 1.089 660 660 1.713 1.068 696 1.295 450 892 433 1.125 850 1.022

345 1.154 810 1.626 843 995 665 699 1.526 1.059 637 1.105 350 806 435 431 528 918

355 1.054 721 1.663 784 981 591 571 1.390 941 563 994 355 793 365 746 628 776

Gesamt

17.549

14.932

14.271

Quelle: Angaben des LV Brandenburg der PDS

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Dr. Gero Neugebauer

1990 soll die PDS noch rund 50.000 Mitglieder gehabt haben, was angesichts der Tatsache, das allein der SED-Bezirk Potsdam 1989 rund 100.000 Mitglieder zählte, eine gewisse Wahrscheinlichkeit besitzt. Ende 1991 hatte die PDS knapp 25.000 Mitglieder, 1995 bereits weniger als 18.000 und Ende 1999 noch 14.271. (vgl. Tabelle 3) Die regionale Verteilung der Mitglieder auf die 18 Kreisverbände ist sehr verschieden: die Spanne reicht von 355 Mitgliedern in Brandenburg/Havel und Ostprignitz/Ruppin bis zu 1.663 Mitgliedern in der Stadt Potsdam. Knapp 50% (7.023) der Mitglieder sind in 6 von 18 Kreisverbän-

den organisiert; die Zahl der großen Kreisverbände mit mehr als 1000 Mitgliedern hat zwischen 1996 und 1999 von 8 auf 6 abgenommen und eine solch große Differenz wie 1996 von 1581 Mitgliedern zwischen dem größten (Potsdam/Stadt: 2014) und dem kleinsten (Prignitz: 433) hat sich 1999 auf 1308 reduziert (Potsdam/Stadt 1663, Prignitz: 355). Wahrnehmbare Zuwächse finden sich in den Stadtverbänden Potsdam und Brandenburg und am deutlichsten am Rand von Berlin (Teltow-Fläming). Zwar gelang es in den letzten Jahren, den Anteil von Mitgliedern unter 20 Jahre zu steigern, 1997 gehörten 39 (0,25%) und

Tabelle 4 Mitgliederentwicklung in den einzelnen Altersgruppen 1997-1999

Altersgruppe

1997 Mitglieder absolut in %

bis 20 21-25 26-30 31-40 41-50 51-60 61-65 über 65

39 54 153 1.091 1.862 2.305 2.579 7.707

Gesamt

15.791

0,25 0,34 0,97 6,91 11,79 14,6 16,33 48,8

Quelle: Angaben des LV Brandenburg der PDS

50

1998 Mitglieder absolut in % 48 58 99 845 1.887 1.775 2.005 8.212 14.929

0,44 0,38 0,67 5,51 12,71 12,43 13,86 55,00

1999 Mitglieder absolut in % 63 54 96 786 1.814 1.774 1.978 7.706 14.271

0,32 0,39 0,66 5,66 12,64 11,89 13,43 54,00


Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

1999 schon 63 Jugendliche (0,44%) zu dieser Altersgruppe, aber zwischen 1996 und 1999 ist die Zahl der Mitglieder im Alter bis zu 30 Jahren absolut wie relativ von 489 (2,7%) auf 213 (1,4%) gefallen. Die Zahl der über 60-Jährigen Mitglieder hat sich zwischen 1996 (10.534) und 1999 (9684) im Jahr 1999 reduziert; ihr Anteil an der Mitgliederschaft ist jedoch von mehr als 57 Prozent auf weit über 67 Prozent gestiegen. Die fatalen Auswirkungen der demografischen Situation der Brandenburger PDS zeigen sich im Vergleich mit der Altersstruktur der SPD im Land Brandenburg für das Jahr 1999. (vgl. Tabelle 5)

Der dramatische Alterungsprozess der PDS-Mitgliedschaft reduziert sowohl die personellen Ressourcen für Wahlkämpfe, Volksentscheids- oder Unterschriftskampagnen zuungunsten einer stärkeren Belastung einer insgesamt älter gewordenen Mitgliederschaft als auch die Möglichkeiten der innerparteilichen Rekrutierung von Eliten, also von Menschen, die bestimmte herausgehobene Funktionen einnehmen und darin Politik machen und verantworten. Die Perspektive der Mitgliederentwicklung im Bereich der Altersgruppen, aus denen Mandatsträger und Funktionäre rekrutiert werden können, ist für die PDS ungünstig: 1999 waren 3646

Tabelle 5 Altersstrukturen der SPD und der PDS in Brandenburg 1999

Altersgruppe

bis 20 21-25 26-30 31-40 41-50 51-60 61-65 über 65

SPD Mitglieder in % absolut 0,81 2,48 3,46 15,72 26,58 29,49 11,11 10,36

Gesamt

Altersgruppe

PDS Mitglieder in % absolut

60 183 256 1.162 1.952 2.180 821 766

bis 20 21-25 26-30 31-40 41-50 51-60 61-65 über 65

0,44 0,38 0,67 5,51 12,71 12,43 13,86 54

7.393

Gesamt

63 54 96 786 1.814 1.774 1.978 7.706 14.271

Quelle: LGF SPD Brandenburg

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Mitglieder bei der SPD und 2813 bei der PDS bis zu 50 Jahre alt; bis zu 60 Jahre alt waren es insgesamt 5826 bei der SPD und 4587 bei der PDS. In der Struktur der Mitgliedschaft zeigen sich zwei Probleme: zum einen die Überalterung der Basisorganisationen im ländlichen Raum – bereits 1994/95 lag in jedem Kreis der Anteil der über 60 Jahre alten Mitglieder bei mehr als 50 Prozent; in der Ostprignitz und in Potsdam-Mittelmark waren es bereits mehr als 70 Prozent – und die relativ schwache „Verankerung“ der Partei im Arbeitsmarkt durch vollzeitbeschäftigte Mitglieder. Das reduziert Multiplikationschancen und kann sich auf die Absicht aus-

wirken, stärker in und mit den Gewerkschaften zu arbeiten; vor Ort wird es kaum und wohl nur auf Vorstandsebene möglich werden. Die Verteilung der Funktionen auf mehr jüngere als ältere Mitglieder ist eine, die Konfrontation von verschiedenen Kulturen eine andere Folge der Altersstruktur, die einen latenten Generationenkonflikt bewirken. So zeigen beispielsweise ältere und alte Mitglieder Vorbehalte gegen Angehörige von Jugend- und Protestkulturen. Dadurch können Bündnisse und der Zugang zu Gruppierungen, die ebenfalls zu der Gesellschaft gehören, der gegenüber sie sich öffnen will, erschwert werden.

Die Situation der Parteiorganisation Der im Juni 1990 gebildete Landesverband der PDS Brandenburg besteht seit dem Abschluss der kommunalen Gebiets- und Kreisreformen in Brandenburg aus 18 Kreis- oder Stadtverbänden als kleinste Parteigliederung; die nach territorialen, thematischen oder sozialen Kriterien gebildeten Basisorganisationen sind ebenso keine Parteigliederung wie die Gebiets- bzw. Stadtverbände, die die Fläche der 44 Altkreise einnehmen. Mitte 1998 gab es noch rund 1.200 Basisgruppen. Der Trend zur Bildung ortsübergreifender – und damit weniger – wohnge-

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bietsbezogener Basisgruppen setzt sich fort und wird die Möglichkeiten des Mitglieds erschweren, sich am Parteileben (Teilnahme an Versammlungen, Veranstaltungen und Mitarbeit bei Kampagnen) zu beteiligen. Mitglieder können Zusammenschlüsse regional oder landesweit „auf der Basis von gemeinsamen spezifischen sozialen Interessen, bestimmten politischen Themen und Tätigkeitsfelder oder Weltanschauungen“ (Statut 1998: 26) bilden. Das legitimiert theoretisch, praktisch weniger eine inhaltliche Vielfalt, die


Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

Anlass bietet darüber nachzudenken, ob eine Partei, in der sich letztlich antagonistische Auffassungen organisieren können, noch eine Organisation von Mitgliedern auf der Basis einer gemeinsamen Ideologie sein kann – oder nicht besser ein Verein mit politischem Charakter und unterschiedlichen Sparten sein sollte. Die inhaltliche Kohäsion einer Partei kann als schwach gelten, wenn eine innerparteiliche Opposition ein von der Parteimehrheit abweichendes Gesellschaftskonzept vertritt. In Brandenburg hat beispielsweise die Kommunistische Plattform mit den dortigen Landesvorständen der DKP und der KPD eine gemeinsame Veranstaltung durchführt, die „mithelfen (soll), aus dem Nebeneinander ein Miteinander all derer zu gestalten – und das nicht nur im Land Brandenburg – die als Kommunistinnen und Kommunisten oder als Sozialistinnen und Sozialisten davon überzeugt sind, dass die gegenwärtige kapitalistische Ordnung überwunden werden muss“ (Mitteilungen 2000: 26). Der Landesvorstand, er führt die Geschäfte des Landesverbandes und wird für zwei Jahre gewählt, soll Politikangebote ausarbeiten, diskutieren und entscheiden sowie die außerparlamentarische Arbeit, einschließlich Kampagnen, und die Öffentlichkeitsarbeit organisieren. Ob er das leisten kann oder will, mag angesichts seiner Einschätzung durch die Landesvorsitzende, eine „Zufallsmann-

schaft“ zu sein, der es an politischer Sachkompetenz fehle (Berliner Zeitung, 28.08.2000), bezweifelt werden; da fehlen schon die Voraussetzungen für vertrauensvolle Kooperationen. Die beim Landesvorstand angesiedelte Geschäftsstelle hat quasi als Unterbau sieben Regionalgeschäftsführer, die jeweils zwei bis drei der 18 Kreisgeschäftsstellen betreuen; darunter existieren noch 33 Gebietsgeschäftsstellen. Als ehrenamtliche Helfer standen und stehen den Kreisverbänden zumeist Vorruheständler und Rentner unterstützend zur Seite. Nach den Vorstellungen der Parteireformer sollen die Ressourcen des Landesverbandes durch den Zugriff auf die Kapazitäten der 26 Brandenburger PDSAbgeordneten (22 Landtag, 4 Bundestag mit ihren MitarbeiterInnen) dadurch vergrößert und verbessert werden, dass ein Netzwerk aus den 18 Geschäftsstellen der PDS und Bürgerbüros der 26 Abgeordneten gebildet werden soll (Kommission innerparteiliche Entwicklung, September 2000, http//:www.pds-brandenburg.de). Das setzt die Erwartung voraus, dass keine Schwierigkeiten im Verhältnis zwischen dem Landesvorstand und den Mandatsträgern auf den verschiedenen Ebenen bestehen. Publizistisch ist der Landesverband mit der LandesZeitung vertreten. Die Landtagsfraktion publiziert den „Linksdruck“

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und in nahezu allen Kreisen und Gebieten erscheinen kleinere Zeitungen (Kaufhold 2000: 25), die auf der Basis von Eigenfinanzierung bzw. Spenden und ehrenamtlicher Redaktionsarbeit existieren. Die Verteilung erfolgt zumeist über ein Abo-System. Daneben geben der Landesvorstand und einige Kreisvorstände gesonderte Info-Blätter heraus, die über die Geschäftsstellen vertrieben werden. Die Arbeit des Landesverbandes beruht auf dem Prinzip der Eigenfinanzierung; die Abführungen der Kreisverbände an den Landesvorstand regeln sich nach der finanziellen Stärke der Kreisverbände. Seit der Inkraftsetzung der Finanzordnung vom 29.3. 1992 gilt in der PDS Brandenburg unter dem Stichwort „Finanzierung der Partei von unten“ ein Finanzkonzept, das eine Verteilung der Einnahmen aus den Mitgliedsbeiträgen von der Basis zum Kreisvorstand, zum Landesvorstand 1 und bis zum Bundesvorstand vorsieht .

Ein innerparteilicher Finanzausgleich soll die finanzielle Existenz aller Kreisverbände garantieren sowie die Handlungsfähigkeit des Landesverbandes absichern. Die wichtigste Einnahmequelle sind die Mitgliedsbeiträge. Die Einnahmen daraus sind zwischen 1994 und 1999 von 2.4 Mio. DM auf mehr als 3.0 Mio. DM gestiegen. Im gleichen Zeitraum verlor die Partei rund 3.500 Beitragzahler, jedoch stieg der durchschnittliche monatliche Beitrag von 12,00 auf 18,66 DM an und die Spenden nahmen von rund 377.000,00 DM auf mehr als 780.000,00 DM zu (www.pds.brandenburg.de/archiv/2000/mai). Verbesserungen werden bei Einwerbungen von Sponsorengeldern, Förderbeiträgen, Spenden und durch Rationalisierungen sowie Beitragserhöhungen erwartet, weil u. a. eine „Ausweitung des Personalbestandes“ (Protokoll 1999/2:25) angestrebt wird.

Wer führt die PDS Brandenburg? Bei der Konstituierung der Parteien in den ostdeutschen Ländern sind „die Machtverhältnisse innerhalb der Parteien … ohne demokratische Prozesse geklärt worden“ (Möller 1991: 43). Das trifft – mit 1 2

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nachhaltiger Wirkung – grosso modo auch auf die PDS zu. Damit sind nicht Mängel an demokratischen Prozeduren 2 gemeint , sondern dass informelle Gruppierungen Entscheidungen vorformulie-

Dieses Prinzip gilt weiterhin. Vgl. Finanzpolitische Grundsätze des Landesverbandes Brandenburg der PDS (Protokoll 1998: S. 31/Teil II). In der PDS Brandenburg kann bei einer Personalentscheidung nicht mit „Nein“ gestimmt, sondern sich nur enthalten werden.


Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

ren, Entscheidungsprozesse dominieren und damit Entwicklungen initiieren oder blockieren, bis genehme Mehrheiten vorhanden sind oder Personen resigniert haben. Das gilt besonders hinsichtlich der Rekrutierung und der Selektion von Führungspersonal. Einerseits sind Nachwuchsfragen Entscheidungen über Eliten, die in ihren Funktionen in der Lage sein sollen, Probleme zu erkennen und kompetent politische Lösungen vorzubereiten, zu entscheiden und zu verantworten; dazu müssen sie fachlich qualifiziert sein. Andererseits sind Nachwuchsfragen mehr als nur personalpolitische Fragen und angesichts der erheblichen Differenzen im Landesverband und des mangelnden Konsens in wichtigen Fragen der innerparteilichen wie der Parteipolitik erhält jede Personalentscheidung den Charakter einer Richtungsentscheidung. Wenn die Landesvorsitzende über den Mangel an Personal, dass politische Funktionen und Ämter übernehmen könnte, klagt (Tack 2000a: 26), können dafür das Fehlen einer Personalreserve, mangelnde Nachfrage wegen einer ungewissen Perspektive und geringen Vertrauens oder eine schlechte Nachwuchsförderung verantwortlich sein. Die Frage, ob statt des Landesvorstandes faktisch nicht doch die Landtagsfraktion die Partei führt und die PDS Brandenburg damit ein Beispiel für die Parteientwicklung in Ostdeutschland seit 1990

darstellt, kann eindeutig zu Gunsten der Fraktion entschieden werden. Die Entwicklung des Landesverbandes der PDS zu einem neuen Parteityp, der sogenannten Fraktionspartei – damit ist eine Partei gemeint, die ihr Machtzentrum sowie ihre wichtigsten organisatorischen und finanziellen Ressourcen in ihren Parlamentsfraktion konzentriert und die Parteifunktionären den Zugang zu Mandaten und/oder Regierungsämtern verschafft (Lösche 2000: 88) – ist nicht zu übersehen. Die im Landesverband weitgehend akzeptierte Führungsperson Lothar Bisky ist aus freien Stücken offensichtlich nicht gewillt, im Landesvorstand eine Integrations- und Führungsrolle zu übernehmen, nachdem er als Vorsitzender der Gesamtpartei ausgeschieden ist. Er verkörpert (noch) in der Landtagsfraktion eine Kontinuität, die im Landesvorstand nicht erkennbar ist. Bisky hatte den seit 1990 amtierenden Vorsitzenden Heinz Vietze 1991 als Landesvorsitzender abgelöst, gab das Amt jedoch 1993 auf, als er den Bundesvorsitz übernehmen musste; er blieb Fraktionsvorsitzender. Seinem Nachfolger Helmut Markov (heute Mitglied des Europaparlaments) folgte 1995 Wolfgang Thiel; er blieb bis 1999 im Amt. Dann wurde mit rund 55 Prozent der Delegiertenstimmen Angelika Tack gewählt, die im Februar 2001 wieder kandidieren möchte.

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Die Fraktion wird seit mehr als zehn Jahren von Lothar Bisky als Vorsitzendem und Heinz Vietze als Fraktionsgeschäftsführer geführt. In der ehemaligen Troika – bis zu seinem Unfalltod komplettierte Michael Schumann die Gruppe – verkörpert Heinz Vietze Kontinuität im Politikmanagement der PDS; in der öffentlichen Wahrnehmung genießt der Fraktionsvorsitzende als Repräsentant der PDS eine herausgehobene Beachtung. Das relativiert die Bedeutung der Inhaber hauptamtlicher Parteifunktionen, die zugleich Fraktionsmitglieder sind. Im politischen Tagesgeschäft ist die Fraktion das eigentliche Aktionszentrum der Partei,nicht der Landesvorstand. Die Fraktion arbeitet in einer unmittelbaren politischen Wettbewerbssituation im Parlament, die durch Kooperation wie durch Konkurrenz markiert ist. Die Fraktion hat zudem wichtige Ressourcen. Sie hat sechzehn Mitarbeiter in der Geschäftsstelle und kann auf vielfältige Dienstleistungen der Verwaltung des Landtags zurückgreifen. Jeder der Abgeordneten, sie haben aus ihrer Tätigkeit eine Vollzeitbeschäftigung gemacht, verfügt über ein Budget, aus dem Volloder Teilzeitstellen für MitarbeiterInnen bezahlt werden können. Durch den Vorsitz in vier Landtagsausschüssen (Arbeit/Soziales/Gesundheit und Frauen, 3

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Haushalt und Finanzen, Europaangelegenheiten und Entwicklungspolitik, Wahlprüfung) und die Stellvertretung in drei weiteren (Haupt-, Innen- und Petitionsausschuss) besitzt die Fraktion den Zugang zu wichtigen Entscheidungsprozessen wie zu den Medien. Sie erhält zudem erhebliche finanzielle Mittel, über deren Einsatz nicht der Landesvorstand entscheidet. Der bezahlt die Inhaber hauptamtlicher Wahlfunktionen (Landesvorsitzende/r, Landesgeschäftsführer/in und Landesschatzmeister/in) nur dann, wenn sie nicht gleichzeitig Land3 tagsmitglieder sind . Vom politischen Einfluss wie von dieser Ressourcenstruktur her ist damit die Fraktion das eindeutige Zentrum der Partei. Das kann den Wunsch erklären, Partei- und Fraktionsvorsitz in eine Hand zu legen, denn dann wäre für die Außenwelt das Aktionszentrum der PDS eindeutig erkennbar. In der Zusammensetzung der Fraktion sind Kontinuität und sanfter Wandel erkennbar; sie ist erst in der letzten Wahlperiode einer stärkeren Fluktuation ausgesetzt gewesen. Sieben der gegenwärtig 22 Mitglieder absolvieren ihre dritte Wahlperiode, für vier weitere ist es die zweite und für die restlichen 12 Abgeordnete die erste Wahlperiode. Der älteste 1999 gewählte PDS-Parlamentarier ist im

Auf der Lohnliste der Partei steht z. Z. nur der Landesschatzmeister.


Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

Jahr 1925, der jüngste 1971 geboren. 17 der 22 Mitglieder sind bis 1960 geboren, fünf danach; drei von ihnen waren im Wahljahr 1999 erst 30 Jahre alt oder jünger. Mehrere Mitglieder haben zu DDR-Zeiten, d. h. bis 1990, hauptamtlich im Apparat oder in Einrichtungen der SED oder der SED/PDS sowie im Staatsapparat gearbeitet:Von den seit 1990 tätigen sind es vier, von den seit 1994 tätigen drei und fünf der zwölf, die 1999 neu gewählten wurden. Mehr als die Hälfte der gegenwärtigen Fraktionsmitglieder sind nach 1990 zeitweilig von der PDS direkt (Angestellte/r, Fraktions- oder Wahlkreismitar-

beiter) oder indirekt (Mandatsinhaber) abhängig gewesen, bevor sie in den Landtag einzogen; Parallelfunktionen (MdL und hauptamtliche Funktion) eingeschlossen. Insgesamt kann die Fraktion 13 Mitglieder haben Erfahrungen aus der kommunalen Ebene – als Versammlung mehrheitlich professioneller Politiker und Politikerinnen gewertet werden. Das ist sowohl ein Indikator für die gestiegene Bedeutung der PDS als Arbeitgeberin als auch für ein weitgehend geschlossenes, weil InhaberInnen von Parteifunktionen bevorzugendes, Rekrutierungsverfahren.

Eine Problemskizze der PDS in Brandenburg Der Landesverband Brandenburg der PDS ist politisch etabliert. Zwar kann die Partei keine flächendeckende effiziente Organisation im gesamten Verbreitungsgebiet nachweisen und verliert zugleich an Organisationsdichte im Land. Dennoch kann sie politisch aktiv sein und bleiben, weil sie einmal finanziell (noch) gut gestellt und durch die sinkenden Mitgliederzahlen nicht entscheidend geschwächt ist. Da bislang alle Strategien zur Mitgliederrekrutierung wenig Erfolg gehabt haben, ist die PDS erheblichen Personal- und Nachwuchsproblemen ausgesetzt. Dennoch sprechen die Befunde dafür, dass sie als Mitgliederpartei

mittelfristig Bestand haben wird, sich jedoch hinsichtlich ihrer personellen Ressourcen mit dem Gedanken anfreunden sollte, auf professionelle Anbieter bei der Durchführung von Kampagnen, Wahlkämpfen etc. zurückzugreifen; die Lösung anderer Ressourcenprobleme könnte durch den Einzug in die Landesregierung erheblich befördert werden. Ihr Bild ist bislang stärker durch ihr Image als durch ihre Kompetenzen bestimmt. Einer relativ hohen Kompetenz im Politikfeld „Soziale Gerechtigkeit“ folgt eine geringere in der Bildungspolitik sowie der Ausländerpolitik, während ihr in anderen Feldern wie Wirt-

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schaftspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Verkehrs- und Umweltpolitik oder Innere Sicherheit nur wenig Kompetenz zugesprochen wurde (Krumrey 2000: 19 f.). Ihre Anhänger vertreten mehrheitlich die Meinung, dass unter den politischen Zielen: „Mehr Sicherheit und Ordnung“ , „Ausbau der sozialen Sicherungssysteme“, „Weniger staatliche Bevormundung in der Wirtschaft“ und „Mehr Einfluss der Bürger auf die Politik“ das letztgenannte das wichtigste sei (PDSWähler: 43, SPD: 33, CDU: 29 Prozent); erst danach folgt das sozialpolitische Thema 4 (FORSA 2000) . Nicht der Weg in die Regierungsverantwortung, sondern die Notwendigkeit der Modernisierung der Partei erfordert schnelle Lösungen für Probleme der Personalrekrutierung. So zeigt die Herkunft der Parteieliten der PDS Brandenburgs ein Nebeneinander von Eliten mit einer längeren DDR- Sozialisationsphase einerseits und solchen ohne diese Prägung. Soweit Kader als Transformationseliten in der PDS Funktionen behielten oder übernahmen, erhielt die Tätigkeit für die Partei in der Lebensplanung eine starke 5 Bedeutung. Das mag erklären, warum nur wenige jüngere Kandidaten aus 4

5

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einem parteiferneren Umfeld, deren politische Sozialisation wie deren beruflicher Hintergrund eine größere Distanz zur SED wie zur DDR erkennen lassen, rekrutiert worden sind. Insofern ist der Schritt zu neuen Eliten, die die PDS aus der Transformations- und Konstituierungsphase heraus in die nähere Zukunft führen, noch nicht gelungen, obwohl das als dringend erforderlich zur Bewältigung anstehender Anforderungen betrachtet wird (Hornbostel 2000). Zudem erwarten im Zusammenhang mit der Medialisierung der Politik die WählerInnen, an der Spitze einer Partei eine kompetente Persönlichkeit vorzufinden, die weniger die Probleme der Partei repräsentiert, sondern sie über die Politik der Partei und ihre Kompetenz für die Lösung der Konflikte und Probleme im Lande informiert; in der PDS Brandenburg steht das noch aus. Die PDS hat sich mit ihren Wahlerfolgen im Parteiensystem Brandenburgs etabliert. Sie sieht sich als eine Partei, die „…im Wettstreit mit anderen Parteien und Kräften einen erkennbaren und anerkannten Beitrag im Ringen um demokratische Mehrheiten für eine antikapitalistische sozialistische Gesellschaft“ (Konzeption

Das Politikfeld „Ausbau der sozialen Sicherungssysteme“ hat für 25 Prozent der SPD-Anhänger, für 24 Prozent der PDS-Anhänger und für 18 Prozent der CDU-Anhänger in Brandenburg Priorität. Mehr Sicherheit und Ordnung hat für knapp 34 Prozent der CDU- und für über 28 Prozent der SPD – Anhänger, aber nur für 20 Prozent der PDS-Anhänger die erste Priorität (FORSA 2000) Latent oder manifest vorhandene Abneigungen innerhalb wie außerhalb der Partei gegen die Tätigkeit politischer Repräsentanten der PDS in herausgehobenen Positionen haben dazu geführt, dass das Verbleiben einem Wechsel – auch in die Arbeitslosigkeit – vorgezogen wird.


Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

2000: 10) leisten will, denn „Gesellschaft und Politik dieses Landes brauchen eine moderne, starke PDS als kapitalismuskritisches sozialistisches Korrektiv zum Heute und als politische Kraft für die Schaffung gesellschaftlicher Mehrheiten für politische Alternativen und wirkliche gesellschaftliche Reformen Morgen“ (Thesen 2000: 1). Durch eine Strukturreform sowie durch eine programmatische Weiterentwicklung soll die PDS modernisiert werden. Die Diskussion um ein neues Programm der Gesamtpartei stockt, die Landespartei kann von daher keine Anregungen aufnehmen und ist durch den Rückzug von Bisky aus der Programmkommission der PDS zusätzlich geschwächt. Die programmatischen Aussagen in ihren Wahlprogrammen haben sich von allgemeinen Erklärungen und Forderungen hin zu spezifischen Anregungen in landes- und besonders kommunalpolitischen Fragen entwickelt (Kaufhold 2000: 22f). Insofern wird es interessant sein zu erfahren, wie das Konzept der antikapitalistischen Gesellschaft aussehen soll, wenn die Partei davon ausgeht, dass sie dafür auch die Zustimmung der WählerInnen, von deren Neigung zu ideologisch motivierter Stimmenabgabe sie bislang profitiert hat, gewinnen kann. Sicher kann sie da nur ihrer Anhänger sein, selbst wenn in Brandenburg insgesamt 83 Prozent der PDS-, 60 Prozent der

SPD- und über 50 Prozent der CDUAnhänger der Aussage „Der Sozialismus ist im Grunde eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde“ zugestimmt haben und es bei den PDS-Anhängern keine grundsätzliche Ablehnung dieser These gab, aber bei immerhin bei 15 Prozent der CDU- und bei 12 Prozent der SPDAnhänger. Die CDU-Anhänger stimmten mit knapp 27 Prozent auch am wenigsten der Behauptung zu, die „DDR hatte mehr gute als schlechte Seiten“. Das galt für rund 12 Prozent der SPD und nur für gut 3 Prozent der PDS-Anhänger: Die waren zu über 53 Prozent von den guten Seiten überzeugt; Parteigänger der Sozialdemokraten (33 %) und der CDU (25 %) eindeutig weniger. Das korrespondiert insofern mit Aussagen über die Zufriedenheit mit der Demokratie, als CDU-Anhänger zu gut 30 Prozent, die der SPD zu 26, die der PDS aber nur zu rund 15 Prozent sich positiv äußern. (FORSA 2000). Die programmatische Positionsbestimmung, deren Unterbau im Rahmen einer Programm- und Strategiediskussion noch genauer bestimmt werden soll, weist die PDS in Brandenburg als eine Weltanschauungspartei aus. Zwar ist nicht nur in der PDS die Überzeugung verbreitet, dass in Brandenburg keine antikapitalistische Gesellschaft in einem kapitalistischen Umfeld errichtet werden kann und dass die erhofften antikapitalistischen Mehrheiten bei einem –

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Dr. Gero Neugebauer

unsicheren – Stimmenanteil von weniger als einem Viertel des Elektorats nicht zu erreichen sind, weil weder realsozialistische Revitalisierungs- und Neudeutungsversuche noch eine vage protosozialistische Perspektive neue Wählerschichten mobilisieren. Dennoch bleiben kapitalismuskritische Positionen zur Analyse und Kritik landespolitischer Entwicklungen, die in der SPD immer weniger Raum finden, erforderlich, um dem selbstformulierten Anspruch, eine sozialistische Partei zu sein, gerecht zu werden, selbst wenn dieser Anspruch nicht eingelöst werden kann, solange das Projekt „Moderner Sozialismus“ nicht als konkretes Reformprojekt Gestalt angenommen hat, was unter anderem daran liegt, dass die Programmdiskussion der PDS dem – alten – Muster der Echter6 nacher Springprozession folgt. Die Selbsteinschätzung, sie sei eine Volkspartei, soll ihr unter dem Gesichtspunkt der Selbstlegitimation nicht bestritten werden, nur hat das mit der Parteiwirklichkeit wenig zu tun. Zwar kommen Volksparteien wegen ihres „weitläufigen Umfassungsanspruchs nicht daran vorbei, wachsende unvereinbare Spannungen und gegenläufige Tendenzen zu vereinen und zum Ausdruck zu 6 7

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bringen“ (Wiesendahl 1998: 22), aber trotz der polarisierten Flügel repräsentiert die PDS nicht diese volksparteilichen Spannungen und Tendenzen. Ihre sozialstrukturell heterogene Wählerbasis weist sie trotz ihrer Verankerung in den sozialen Strukturen des Landes deshalb nicht als Volkspartei aus, weil diese Struktur die des sie stützenden Milieus sein könnte. Sie ist weitgehend eine Fraktionspartei mit einem außerparlamentarischem Arm, dessen Aktivitäten und Kampagnen in den letzten Jahren die Oppositionsrolle der Partei verdeutlicht haben. Das Image der PDS ist dadurch wie durch das Bild der Landespartei als eines Ort permanenter Auseinandersetzungen geprägt, die von der Öffentlichkeit nicht als inhaltliche, sondern als persönliche 7 Konflikte wahrgenommenen werden . Die Kultur der innerparteilichen Auseinandersetzungen bekräftigt die Vermutung, dass in der PDS Brandenburgs erst dann über die inhaltlichen Elemente einer Strategie der Partei auf Landesebene entschieden werden wird, wenn die Entscheidung darüber getroffen worden ist, welche Personenkartelle die Richtung (in) der Partei angeben werden. Das Hickhack um Koalitionsoptionen ist ein Bespiel dafür, wie beeinflusst durch takti-

Die Pilger springen dabei von einem Bein auf das andere und bewegen sich langsam voran; Zurückgesprungen wird seit 1945(sic!)nicht mehr. So berichtete die Berliner Morgenpost am 14.11.2000 auf S. 31 unter der Überschrift „Machtkampf in der PDS vor der Parteikonferenz“ ausführlich über interne Probleme des Landesverbandes, die an Personenfragen festgemacht werden.


Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

sches Denken, mangelnde Konzeptionen und fehlende konsequente Entscheidungen von und über Positionen und Personen, Blockaden entstehen, die sich auf die Entwicklung der Partei hemmend auswirken und sie in ihrer politischen Handlungsfähigkeit lähmen. Da die PDS ihre politische Erfolge an die Fähigkeit knüpft,„Druck von links“ auf die SPD ausüben zu können, hat sie sich in eine Konkurrenz begeben, in der von ihr alternative Konzepte zu deren Vorschlägen erwartet werden. Sie hat sich damit

auf eine Position eingelassen, die es ihr nicht erspart, sich zu Fragen der Modernisierung der Gesellschaft, der Politik und der Ökonomie in Brandenburg zu äußern. Am absehbaren Ende der Transformationsphase der brandenburgischen Gesellschaft und angesichts der weiterhin ablaufenden gesellschaftlichen Differenzierungs- und Wandlungsprozesse gilt es für die PDS im Lande, die Voraussetzungen für ihre Zukunftsfähigkeit zu reflektieren. Den Konsens darüber hat sie noch nicht gefunden.

Dr. Gero Neugebauer ist Dozent an der Freien Universität Berlin http://www.polwiss.fu-berlin.de/osi/osz/index.htm

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Gero Neugebauer

Literatur: Forsa 2000: Umfrage der Forsa-Agentur im Mai/Juni 2000, n=1850, Berlin-Brandenburg-Bus Freie Universität Berlin/ Otto-Stammer-Zentrum Gothe, Heiko et al.,1996, Organisation, Politik und Vernetzung der Parteien auf Kreisebene in den fünf neuen Bundesländern. Endbericht des KSPW-Projekts „Kreisparteien“, FU Berlin, ZI für sozialwissenschaftliche Forschung Hornbostel, Stefan, 2000, Von Überlebenden, Kolonisten und Newcomern. Kaderauslese, Personalpolitik,Westimport – Neue und alte Eliten in Ostdeutschland, in: Frankfurter Rundschau, 19.02.2000, S. ZB 3 Kaufhold, Bernd, 2000, Der Transformationsprozess der brandenburgischen PDS, Manuskript, Berlin Konzeption der 2. Info-Tour der PDS Brandenburg im Jahr 2000, in: Protokoll der 22. Beratung des LV der PDS Brandenburg in Potsdam am 07.10.2000, Manuskript, Potsdam Krumrey, Lars, 2000, Der Brandenburger Wählermarkt im Spiegel der Parteienkonkurrenz bei den Landtagswahlen 1999, Manuskript, Berlin Lösche, Peter, 2000, Neuer Typus von Partei? in: Michael Brie/Rudolf Woderich (Hg.), Die PDS im Parteiensystem, Berlin, S. 86-92. Mitteilungen, 2000, Gemeinsame Erklärung der DKP, der KPD und der KPF der PDS des Landes Brandenburg, in: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS 11, H.10 Möller, Bärbel, 1991, Soziologisch-politologische Analyse der Parteientwicklung in der DDR (Zeitraum Oktober 1989 bis Oktober 1990, in: Dimitris Th. Tsatsos (Hg.), Auf dem Weg zu einem gesamtdeutschen Parteirecht, Baden-Baden 1991,S. 29-54. [Schriften zum Parteienrecht 5] Pollach,Günter/Jörg Wischermann/Bodo Zeuner, 2000, Ein nachhaltig anderes Parteiensystem. Profile und Beziehungen von Parteien in ostdeutschen Kommunen. Ergebnisse einer Befragung von Kommunalpolitikern, Opladen 62


Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?

Protokoll,1999, 6. Landesparteitag. 1. Tagung 20./21.Februar 1999 Fürstenwalde, 2 Hefte, o. O. Satzung für den Landesverband Brandenburg der PDS ,1998, in: Tagung des 5. Landesparteitages der PDS Land Brandenburg, Potsdam 7. Juni 1998, Protokoll, Teil 2, S. 21-36, o. O. Tack, Anita ,2000, Mit Leidenschaft und Energie, in: Disput 10/Pressedienst 42/43, S.5-6 Tack, Anita 2000a,Warum ist der Ruf so schwach nach der PDS? Aus der Rede von Anita Tack auf der Basiskonferenz der Brandenburger PDS am 18. 11. 2000 in Cottbus, in: Pressedienst Nr. 51/52,2000, S.26 Thesen zur Struktur- und Personalpolitik im Landesverband Brandenburg der PDS, Manuskript, o. O. (Potsdam), o. J (November 2000) Wiesendahl, Elmar, 1998, Wie geht es weiter mit den Großparteien in Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1/2,1998

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Die CDU Brandenburgs im Aufwind – nach langer Durststrecke Reiner Schmock-Bathe

Die Bilanz Jörg Schönbohms nach zwei Jahren an der Spitze der brandenburgischen CDU fällt klar aus: Die absolute Mehrheit der SPD gebrochen, die Talfahrt der CDU in der Wählergunst beendet, als Partei an Selbstbewusstsein gewonnen, an der Regierung beteiligt. Das ist nicht wenig, bedenkt man die desolate Verfassung der Christdemokraten, die im Januar 1999 bereits ihren fünften Vorsit-

zenden seit dem politischen Umbruch von 1989 kürten. Aber: Gelang dieser Umschwung allein aus eigener Kraft? Welche Rolle spielten äußere Einflüsse? Und: Wie ist es um die Fortsetzung des Erholungstrends der in Brandenburg bislang so schwachen Christdemokraten bestellt? Fragen, auf die an dieser Stelle eine kursorische Antwort gegeben werden soll.

Auf dem Tiefpunkt: Herbst 1998 Die CDU in Brandenburg war im Winter 1998/99 in einer desolaten Lage. Die Bundestags- und Kommunalwahlen vom 27. September 1998 hatten das Landtagswahldebakel von 1994 bestätigt; die Partei schien sich bei Ergebnissen von rd. 20 % der Stimmen einzurichten. Ein ähnliches Ergebnis bei den Landtagswahlen im September 1999 schien kaum vermeidbar. Seit der Wende war die Zahl der Mitglieder kontinuierlich auf rd. 8000 gesunken, die Parteiführung hatte weniger durch politische Initiativen als durch innerparteiliche Intrigen und Streit von

sich reden gemacht. Mit ‘kraftvoller Oppositionsarbeit’ oder dem Begriff der ‘Regierung im Wartestand’ war die brandenburgische CDU meist nicht in Zusammenhang gebracht worden. In den Ton der Medienberichterstattung – soweit sie überhaupt stattfand – hatten sich zuweilen Züge von Mitleid eingeschlichen. Innerparteilich brachte das Engagement Schönbohms ab Oktober/November 1998 zweifellos einen Stimmungsumschwung mit sich. Wie die Presse vermeldete, war der ehemalige Berliner Innensenator vom Start weg „omniprä-

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Reiner Schmock-Bathe

sent”. Sie begleitete den Neu-Brandenburger, der sein Amt in Berlin zugunsten des politischen Abenteuers in Brandenburg niedergelegt hatte, bei seiner Kennenlern-Tour. Und bereits dies bildete einen bemerkenswerten Kontrast zum kargen Medienecho der Jahre zuvor. Endlich wieder positives über die eigene Partei zu lesen, dürfte nach den Jahren der Personalquerelen Balsam für die frustrierten Mitglieder gewesen sein. Mit der Abwahl der CDU/CSU-FDPRegierung im Bund war zwischenzeitlich ein in Brandenburg seit langem negativ

auf die Arbeit der CDU-Landespartei wirkender Faktor weggefallen. Gerade die Regierung Stolpe hatte sich bei passender Gelegenheit gern gegen die Bundesregierung profiliert, was im Lande offenbar auch Anklang gefunden hatte. Insbesondere der Druck der CDU-Bundespartei in der Frage der Stasi-Kontakte von Ministerpräsident Stolpe hatte hier zu Solidarisierungseffekten geführt. Mit dem Amtsantritt der Regierung Schröder fiel die Belastung weg, als CDU-Landespartei herhalten zu müssen für die unpopuläre Regierung Kohl.

Die Landtagswahl von 1999 Doch nicht nur das: Binnen kurzem wurde die neue Situation zum Treibsatz für die Ambitionen der damaligen CDUOpposition. Der im September 1999 erreichte Tiefpunkt des Ansehens der rotgrünen Bundesregierung und das daraus resultierende Stimmungstief kamen der Union auch in Brandenburg überaus zu Hilfe. Trotzdem konnte die Union ihre Zweitstimmen-Verluste von 1994 nicht annähernd wettmachen. Es reichte nur zu ansehnlichen, aber – im Gegensatz zu Thüringen und dem Saarland, wo allerdings die Ausgangsbasis deutlich besser war – nicht entscheidenden Gewinnen. Von ihren, bei der Bundestagswahl 1990 erzielten Ergebnissen, trennten sie wei-

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terhin Welten. Und die Sozialdemokraten behielten trotz ihrer beträchtlichen Verluste noch 140.000 Zweitstimmen Vorsprung, was auf die Gesamtzahl der Wählenden in Höhe von rund 1,1 Mio. Personen bezogen werden muss. Ihr relativer Wahlerfolg konnte jedoch nicht verdecken, dass die CDU nur beschränkt zu mobilisieren vermocht hatte. Dieser zeigt sich nicht nur daran, dass es der Partei bei weitem nicht gelungen war, das Desaster von 1994 rückgängig zu machen, als man nur um Haaresbreite nicht dritte Kraft geworden war. Es zeigte sich auch an der erneut um 2 Prozentpunkte auf 54 Prozent gesunkenen Wahlbeteiligung und vor allem im Einzug


Die CDU Brandenburgs im Aufwind – nach langer Durststrecke

Zweitstimmen

SPD CDU PDS DVU

1990 (LT)

1990 (BT)

1994

1999

487.134 372.572 170.804 –

468.294 516.617 157.022 –

580.422 200.700 200.628 –

433.521 292.634 257.309 58.246

der DVU in den Landtag. Trotz der bundespolitischen Situation und der vielbeschworenen Ernüchterung über die Alleinregierung der SPD im Land hatten nicht einmal alle, die konservativ oder einfach nur protestorientiert waren, den Weg zu CDU gefunden. Die DVU und auch die PDS hatten sich ebenfalls ein großes Stück vom Kuchen abgeschnitten. Letztlich zeigt dies, dass die Gesundung der Partei und der Wandel ihres öffentlichen Bildes weithin noch nicht für glaubwürdig gehalten wurde. Die CDU wurde noch im Herbst 1999,ein Jahr nach dem faktischen Amtsantritt von Jörg Schönbohm, nicht als wählbare Alternative angesehen. Es zeigt damit auch das bodenlos geringe politische Gewicht der Partei, das Schönbohm bei Amtsantritt vorfand. Und es zeigt, dass Schönbohms Dauereinsatz kurzfristig keine Berge versetzen konnte, was im Prinzip – und zumal in der brandenburgischen Union – geeignet gewesen wäre, einer Spekulation Nahrung zu liefern, er sei für diese

Aufgabe auch nicht der Richtige. Der Bruch der SPD-Mehrheit im Landtag war demnach kein Erfolg der brandenburgischen CDU, sondern wohl eher Ergebnis einer gewissen Ernüchterung über die Regierung Stolpe, des Wegfalls der CDU/CSU-FDP-Regierung im Bund als Antipoden und des generell gegen die Sozialdemokraten laufenden Trends im Sommer und Herbst 1999. Zugleich bedeutete es, dass sich die CDU auf ihr prozentuales Ergebnis vom September 1999 nicht stützen konnte, es wäre ein halbes Jahr zuvor oder wenige Monate später – im Licht der CDU-Spendenaffäre – sicher nicht zu erzielen gewesen. Eine von Häme und Mitleid freie Berichterstattung über den Sympathie und Bekanntheit in der Fläche suchenden Spitzenkandidaten und Parteivorsitzenden allein konnte hieran noch wenig ändern. Immerhin aber hatte Schönbohm die Unentwegten, die über die Jahre der Desorientierung nicht von der CDU gelassen hatten, wieder zu motivieren ver-

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Reiner Schmock-Bathe

mocht. Er war der rettende Strohhalm, an den sich die an ihrer Partei schier verzweifelten Christdemokraten nach fünf Vorsitzenden in acht Jahren (Schirmer, de Maiziere, Fink, Hartfelder, Wagner) klammerten. Und er hatte – ebenso wichtig – die vorhandene Führungsetage der Partei diszipliniert; sicher keine einfache Arbeit angesichts der Verletzungen, die man sich mit den Jahren gegenseitig zugefügt hatte. Die Wahlen für die Parteiführung und die Listenplätze der Landtagswahl gingen ungewöhnlich geräuschlos über

die Bühne. Doch muss dieses Bild insofern akzentuiert werden, als die Landespartei andererseits auch ungewöhnlich „reif” gewesen sein dürfte für einen, der bereit war, das Heft entschlossen in die Hand zu nehmen. Alle die Frustrationen der Vergangenheit bis hin zum Finanzdesaster Mitte der neunziger Jahre, die Unfähigkeit der politischen Führung, sich auf die Konkurrenz und die politische Sacharbeit zu konzentrieren, hatten Aufbauarbeit fast unmöglich oder ihre Erfolge zunichte gemacht.

In die Regierung Schönbohm dürfte aber am Tag nach der Landtagswahl völlig klar gesehen haben, das die Bewahrung aller Erfolge davon abhing, den Glücksfall des Bruchs der SPD-Mehrheit zu nutzen und in die Regierung zu kommen. Die Wirkung des Stimmenzuwachses allein würde bald verpuffen, nur die Regierungsbeteiligung würde ihm die Möglichkeit bieten, die weitere Erfolge zu erzielen. Zum einen würde die Regierungsrolle den Zusammenhalt der CDU im Innern festigen. Die Beschäftigung mit sich selbst würde im Zuge der neuen Möglichkeiten, politisch zu gestalten, erheblich an Attraktivität verlieren; auch die Zeit hierfür würde knapper werden. Für groben politischen Dilettantismus würde man nun mit dem

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Amt zu bezahlen haben, und auch die Öffentlichkeit und vor allem die Medien würden viel genauer hinschauen. Das würde disziplinierend wirken. Zum anderen würde die Regierungsbeteiligung auch Schönbohms eigene Rolle zementieren, als dieser Erfolg viel augenfälliger sein würde, als der Teilerfolg bei der Landtagswahl. Als der Mann, der die Partei binnen neun Monaten aus dem Tal der Tränen zur Regierungspartei befördert hatte, würde er landespolitisch über Jahre unangefochten bleiben. Nach außen würde sich die CDU durch die Regierungsbeteiligung als regierungsfähig profilieren und den Ruf des programmatischen und politischen Leichtgewichts abschütteln können. Sie würde


Die CDU Brandenburgs im Aufwind – nach langer Durststrecke

Erfahrungen sammeln können, Einfluss haben und endlich auch politische Gestaltungserfolge vorzuweisen haben. Ihre politischen Initiativen und Programme würden als potentielle Regierungspolitik ernster genommen und stärker multipliziert. Die Jahre, in denen die Partei nur dann Medienpräsenz bekam, wenn sie ihren Parteitag abhielt und ihren jeweiligen Vorsitzenden demontierte, würden vorbei sein. Sie würde in den Genuß eines völlig neuen, durch die eigene Bedeutung von Stärke geprägten Verhältnisses zu den Medien kommen. Nicht zuletzt würde die Regierungsbeteiligung die Partei erstmals in die Lage versetzen, Karrierechancen für politisch Interessierte zu bieten, ihre Sympathisanten zu fördern. Dagegen musste Schönbohm die immensen strukturellen Nachteile der Oppositionsrolle fürchten. Als Opposition, zumal als nicht alleinige Opposition, hatte man die parlamentarischen Mechanismen, die im Zweifel stets zum frustrierenden Untergang jedes Änderungsantrages führen, neun Jahre lang erlitten. Zumal in der Enge des geringen landespolitischen Gestaltungs- und Verteilungsspielraums droht die berühmte Freiheit der Opposition, politische Alternativen zu entwerfen und alles zu fordern, allzu leicht in Unernsthaftigkeit umzuschlagen. Quälende Selbstbespiegelungs- und Gärungsprozesse in der brandenburgischen Union waren Symptome, die für

diese Entwicklung standen. Zur vielbeschworenen ‘Erneuerung in der Opposition’ hatte die CDU nicht gefunden. In den Jahren seit 1990 hatte die innere Entwicklung per Saldo eher stagniert, war von wegweisender Programmarbeit wenig zu vernehmen gewesen. Letztere war, wo sie stattfand, von den Medien schlicht nicht zur Kenntnis genommen worden. Statt dessen hatte man zusehen müssen, wie die politische Konkurrenz die z.T. kaum mehr reversiblen wesentlichen landespolitischen Weichenstellungen und Grundsatzentscheidungen getroffen hatte. Schwer genug, zu akzeptieren, dass man sich nun einer Landespolitik zu widmen haben würde, die in manchem den alten Bundesländern ähnelt: Man sitzt in der Schuldenfalle, konsolidiert unentwegt den Haushalt und ringt mit den Mühen der Ebene, dem Umsteuern in gewachsenen Ansprüchen und Strukturen. Keine Ära, in der Geschenke verteilt werden, sondern eine, die Einschnitte vornimmt. Daran war aber im September/Oktober nichts mehr zu ändern. Man musste nach vorn blicken – und in die Regierung kommen. Dass dies erreicht wurde, war für Schönbohm ein Glück, bei dem verschiedene Faktoren im Spiel waren, die noch viel genauer geklärt werden müssen. Ob es die geographische Nähe des Landes zum ehemals geteilten Berlin war, die eine Mitregierung der PDS ausschloss,

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oder ob es gesamtparteiliche Erwägungen waren, die dahin gingen, die PDS nicht aufzuwerten, ob es Erwägungen der SPD waren, mit der bislang so dilettierenden CDU werde sich das Regieren leichter gestalten – sicher von allem etwas, aber die genaue Gewichtung dieser Faktoren bleibt Spekulation und ist hier nicht Gegenstand. Das politische Glück der CDU komplettiert wurde durch das Aus-

scheiden von Regine Hildebrandt aus der Politik. Sie, eine der Identifikationsfiguren der brandenburgischen SPD, hatte die Christdemokraten in Brandenburg immer wieder sehr direkt kritisiert und konnte sich eine Zusammenarbeit im Kabinett offenbar nicht vorstellen. Ihr Abschied verschaffte der CDU auch in den Medien zusätzlichen Freiraum.

Bilanz der Mitregierung und Ausblick In den vergangenen 18 Monaten seit dem Antritt der großen Koalition in Brandenburg hat die CDU ihr neues Erscheinungsbild als Regierungspartei mit politischem Profil und ohne innere Querelen festigen können. Die Präsenz der Partei in den Medien ist inzwischen nicht mehr ausschließlich auf das Phänomen des ‘omnipräsenten’ Vorsitzenden zugespitzt. Kein Wunder, denn das Wort von CDU Ministern oder der Fraktionsspitze ist nun von realer politischer Bedeutung und nicht lediglich Chronistenpflicht. So ist die Berichterstattung zumindest in den Printmedien gegenüber den Jahren von 1992 – 1998 nicht nur erkennbar wesentlich intensiver geworden, sondern sie hat mit der Beziehung zwischen Partei und politischen Absichten auch einen anderen Gegenstand als

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früher, als innerparteiliche Fragen im Mittelpunkt standen. Kurzum: Sie hat sich normalisiert. Allerdings ist die Ära Schönbohm der CDU keineswegs frei von Rückschlägen. Der lange Kampf von Kulturminister Wolfgang Hackel mit der Landesverfassung, die Probleme des Justizministers Schelter mit der Unabhängigkeit der Justiz oder Schönbohms Diskussionen mit Bundestagspräsident Thierse sind Beispiele. Derartige Vorfälle werden von Medien generell begierig aufgegriffen und im Falle der CDU überlagerten sie prompt die politische Sacharbeit der Partei. Allerdings haben andererseits auch noch nicht alle Journalisten vergessen, dass viele Akteure in der Partei mit jenen identisch sind, die sich in den Jahren zuvor mit Lust selbst zerfleischten. Entspre-


Die CDU Brandenburgs im Aufwind – nach langer Durststrecke

chend kritisch fällt dann die Berichterstattung aus. Insgesamt aber hat die brandenburgische CDU ihre unverhoffte Chance ergriffen und bis jetzt – vielleicht entgegen manche Prophezeiung – nicht wieder verspielt. Unter der Leitung von Jörg Schönbohm normalisiert sich ihr Erscheinungsbild, wobei nicht sicher ist, ob und wann dies auch zu zählbaren Erfolgen führt. Auch einige der äußeren Rahmenbedingungen, wo sie

überhaupt modifizierbar sind (eine Rekonfessionalisierung der neuen Länder hat z.B. bekanntlich nicht stattgefunden), haben sich gewandelt. Ob die CDU sich weiter erholen kann, wird aber nicht zuletzt von der Verfassung der Sozialdemokratie abhängen. Doch unabhängig davon stehen die Aussichten nicht schlecht, dass die CDU die alten Zeiten langsam vergessen machen und ihren relativen Erfolg von 1999 zumindest konservieren kann.

Reiner Schmock-Bathe, ist Diplom-Politologe. Seine Interessensgebiete sind die „CDU/Parteien in den neuen Ländern“ und „Ostmitteleuropa“. Kritik und Kommentare sind unter rschmock@web.de erbeten

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Parteien des 21. Jahrhunderts von Dr. Volker Hauff und Matthias Machnig

1. Gesellschaft im Wandel – neue Anforderungen an sozialdemokratische Parteien Westliche sozialdemokratische Parteien stehen vor ähnlichen Herausforderungen: Die Internationalisierung der Märkte erfordert politische Antworten. Mit dem Zusammenwachsen der Europäischen Union entwickeln sich ähnliche politische Strategien der Sozialdemokraten auf immer mehr Politikfeldern. Und die Regierungsverantwortung, die Sozialdemokraten heute in den meisten europäischen Ländern tragen, gibt ihnen einen Gestaltungsauftrag für neue Konzepte des Arbeitens, Wirtschaftens und Lebens. Sie werden ihn bewältigen, wenn sie die Herausforderungen des Strukturwandels programmatisch und organisatorisch annehmen.

Die Internationalisierung der Märkte Sozialdemokraten haben überall in Europa eigene Strategien entwickelt, um gesellschaftliche Ausgrenzung und politische oder ökonomische Benachteiligung zu beseitigen. Sie stehen in ihren Ländern für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Zur Realisierung dieser Werte sind in den

jeweiligen Ländern spezifische Instrumente, Institutionen und rechtliche Normen entstanden und praktiziert worden. Global agierende Unternehmen, weltweite Fusionen und die Internationalisierung der Arbeitsmärkte haben die Möglichkeiten nationalstaatlicher Instrumente für eine Politik sozialer Gerechtigkeit verändert. Zumindest Teilen des Arbeitsmarktes werden durch scharfe internationale Konkurrenz Bedingungen gesetzt, die die sozialstaatlichen Strukturen in Europa vor neue Herausforderungen stellen. Nationale Politik stößt an Grenzen. Dennoch: Die Internationalisierung der Märkte bietet Chancen. Sozialdemokratische Parteien in Europa wollen Gestaltungsoptionen zurückgewinnen. Und sie müssen die tief greifende Verunsicherung, die die Entgrenzung der Märkte gerade in der sozialdemokratischen Wählerschaft auslöst, ernst nehmen. Die neue Form der Ökonomie hat keineswegs das sozialdemokratische Jahrhundert beendet. Neue Formen der

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Dr. Volker Hauff und Matthias Machnig

Ungleichheit und der gesellschaftlichen und politischen Ausgrenzung sind entstanden, und neue Spielräume der individuellen Freiheit sind allen Teilen der Gesellschaft zu erschließen.

Gesellschaftlicher Wandel Die Sozialstruktur in allen europäischen Ländern hat sich gewandelt. Die Informations- und Dienstleistungsgesellschaft wird den Trend weiter verstärken. Damit hat sich auch die Basis für die Mitgliedschaft und das Führungspersonal sozialdemokratischer Parteien, wie ihre Wählerschaft, verändert. Die relativ stabilen gesellschaftlichen Milieus der Industriegesellschaft sind durch unübersichtliche Lebensverhältnisse und Szenen ersetzt worden, deren soziale Lage und Lebensstile einem dauerndem Wandel unterworfen sind. Die geringe soziale und räumliche Mobilität ist abgelöst worden von individualisierten Lebenswegen und neuen, mobileren Arbeits- und Qualifikationsformen. Mit der Ausdifferenzierung der großen sozialmoralischen Milieus hat die Bindungskraft und die Orientierungsfunktion der Parteien nachgelassen. Heute muss für Unterstützung sozialdemokratischer Politik in einer Vielzahl von Milieus geworben werden. Die Individualisierung der Lebensläufe, die Unübersichtlichkeit der individuellen Erfahrungen und die Geschwindigkeit des Wandels der

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Lebensstile und der Qualifikationsanforderungen erfordert von politischen Großorganisationen, Menschen in anderer Form anzusprechen. Anders als die Industriearbeiterschaft teilen die viele Menschen nur noch wenige Erfahrungen miteinander. Neue Interessengegensätze hinzu haben sich entwickelt, die quer durch alle gesellschaftlichen Lagen hindurch verlaufen: Junge und Alte, Familien und Alleinstehende, Einheimische und Zuwanderer, um nur einige neue Interessengegensätze zu nennen: Solidarität über diese Gegensätze hinweg zu stiften, bedarf verstärkter Anstrengungen und neuer Wege. Hier zeichnet sich die große, gemeinsame Aufgabe der europäischen Sozialdemokraten ab: Sie sind heute vor allem die Partei gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Veränderungen der Kommunikationsstrukturen Wähler müssen heute immer aufs Neue gewonnen werden; sie sind nicht länger ein verlässlich abrufbarer Stamm von Unterstützern. Es sind die Beweglichen, die Wechselwähler, die Wahlen entscheiden. Gerade unter ihnen aber werden politische Urteile auf einem hohen Informationsniveau gefällt, das die Vielzahl von Medien ermöglicht. Und sie sind es, die Parteien mit wachsender Distanz gegenüberstehen.


Parteien des 21. Jahrhunderts

Parteien besitzen nicht länger ein Monopol der Deutung von Politik. Ohne den Filter der Medien wird politisches Handeln nicht mehr wahrgenommen. Trotz des Entstehens globaler Medienunternehmen hat die Zahl der Fernsehkanäle und die Pluralisierung der Presse überall zugenommen. Der Durchbruch des Internet wird die Art und Weise, in der politisch Interessierte Informationen beschaffen und verbreiten können, noch einmal revolutionieren. Damit entsteht eine von den Medien und ihren spezifischen Perspektiven beherrschte Sicht der Welt und ihrer Probleme.

Veränderte Erwartungen der Mitglieder Der Platz von Sozialdemokraten im Parteiensystem aller europäischer Länder hat sich verändert. Sie begreifen sich als Wettbewerber um die besten Konzepte zur Deutung und Lösung neuer gesellschaftlicher Probleme. Sozialdemokratische Parteien sind längst keine klassischen Arbeiterparteien mehr. Sie sind vielmehr eine politische Heimat für Menschen aus fast allen Teilen der Bevölkerung. Deshalb passen alte Lagerkonzepte nicht mehr zur Bestimmung ihres Standorts.

Sozialdemokraten stehen überall in Europa dafür, den Strukturwandel menschlich zu gestalten statt ihm blind zu folgen. Sie stehen dafür, die Chancen, die der ökonomische und soziale Wandel mit sich bringen, für die Schaffung sozialer Gerechtigkeit zu nutzen. Dafür müssen sie Wahlen gewinnen, dafür müssen sie auch breite Unterstützerkoalitionen mobilisieren. Und sie müssen neue Gruppe an sich binden. Neue Interessenten und neue Unterstützergruppen werden neue Erwartungen an die Sozialdemokratie herantragen, auf die bestehende Strukturen der Organisation nicht hinreichend eingestellt sind. Lebenslange Mitgliedschaft kann angesichts unübersichtlicherer Biographien und gewachsener Mobilität nicht länger die einzig mögliche Form der Mitarbeit sein. Daher müssen neue Mitarbeitsformen entwickelt werden, die eine Öffnung der Parteien auch durch neue Formen der Organisation unterstützen. Engagement für die Sozialdemokratie muss auf verschiedene Weise und in unterschiedlicher Intensität möglich sein.

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2. Strukturprobleme sozialdemokratischer Parteien in Europa Rückläufige Mitgliederentwicklung Alle europäischen sozialdemokratischen Parteien sind mit folgenden Trends konfrontiert Die Mitgliederzahl geht seit Jahren zurück - die Entwicklung der britischen Labour Party in den 90er Jahren ist hier eine seltene Ausnahme. Die Parteien altern zusehends; die Alterspyramide verschiebt sich immer weiter nach hinten, da nicht in ausreichendem Maße neue, jüngere Mitglieder in die Parteien eintreten. Die Zahl der Mitglieder in der jüngeren und mittleren Generation, die bereit sind, politische Verantwortung und Führungspositionen zur übernehmen, nimmt ab. Gibt es hier keine Trendwende, wird es immer schwieriger, alle Funktionen und Mandate qualifiziert zu besetzen. Sinkendes Engagement und Mitgliederschwund führen aber auch dazu, dass sich die Bindungskraft in die Gesellschaft verändert. Diese Entwicklung berührt die Wurzeln sozialdemokratischer Organisationskultur und Mehrheitsfähigkeit.

Verlust von Vertrauen in Politik Auch außerhalb der Mitgliedschaft ist die Identifikation mit den Parteien in Europa seit etwa 30 Jahren rückläufig. Dieser Trend ist besonders bei jungen, höher gebildeten sowie politisch interessierten Menschen signifikant.

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Sinkende Identifikation mit Parteien bedeutet nicht zwangsläufig zurückgehendes Interesse an Politik. Rund 70 Prozent aller Europäerinnen und Europäer diskutieren häufig oder gelegentlich im Freundeskreis über politische Themen. Darüber hinaus engagieren sich immer mehr Bürgerinnen und Bürger in Initiativen und Aktionen außerhalb der traditionellen Parteien. Allerdings ist dieses Engagement sehr viel individueller, diversifizierter und kurzfristiger als das oft auf lange Zeit angelegte Engagement in Parteistrukturen. Parteien und Institutionen haben in den letzten Jahren in der Bevölkerung an Ansehen verloren haben. Viele Bürgerinnen und Bürger ziehen Kompetenz und Willen der Parteien in Zweifel, wichtige Zukunftsaufgaben aufzugreifen und zu bewältigen. Die Gemeinwohlorientierung von Parteien wird in Frage gestellt. Sinkendes Vertrauen in Parteien und Institutionen führt nicht unbedingt zu einer Ablehnung der demokratischen Grundordnung. Sinkendes Vertrauen korreliert häufig mit wirtschaftlicher und sozialer Verunsicherung der Bevölkerung.

Sinkende Wahlbeteiligung - Steigende Komplexität von Politik In allen westlichen Ländern ist die Beteiligung der Bevölkerung an Parla-


Parteien des 21. Jahrhunderts

mentswahlen rückläufig. In den letzen 50 Jahren ist die Wahlbeteiligung in den westeuropäischen Staaten im Schnitt um etwa 10 Prozent gesunken. Dabei liegt die Beteiligung an landesweiten Wahlen immer noch an der Spitze, regionale und lokale Wahlen bewegen deutlich weniger Wählerinnen und Wähler an die Urne. Die Gründe für immer häufigere Wahlenthaltsamkeit sind vielfältig. Wählerinnen und Wähler schrecken zunehmend vor der Komplexität politischer Probleme und Fragen zurück. Die Stammwählerschaften der Parteien schmelzen immer weiter zusammen. Besser ausgebildete und politisch

interessiertere Bürgerinnen und Bürger gehen ins Lager der Wechselwähler, sozial schlechter gestellte wandern eher in das Lager der Nichtwähler. Dies Entwicklung trifft Sozialdemokraten in besonderem Maße, da gerade ihre traditionellen Wählerschichten auf Distanz zu Politik und die sie tragenden Institutionen gehen. Soll dies verhindert und darüber hinaus neue Ideen und Bevölkerungsgruppen integriert werden, sind Konsequenzen notwendig. Konsequenzen für die Programmatik, aber auch Konsequenzen für die Organisation.

3. Orientierung für sozialdemokratische Organisationspolitik Erhalt der Mitgliederpartei Sozialdemokratische Parteien brauchen die Vielfalt und Kreativität ihrer Mitglieder- und Anhängerschaft. Die Öffnung für breite gesellschaftliche Gruppen hat ihren Wandel von reinen Arbeiterparteien des 19. Jahrhunderts zu modernen Volksparteien ermöglicht. Der Wandel war Voraussetzung dafür, dass es heute in der Mehrheit der westeuropäischen Staaten sozialdemokratisch geführte Regierungen gibt. Gut 150 Jahre nach ihren Anfängen ist die Sozialdemokratie die führende politische Kraft in Europa.

Heute arbeiten in sozialdemokratischen Parteien Angehörige vieler gesellschaftlichen Schichten und Gruppen mit - Industriearbeiter und Wissenschaftler, Handwerker und Kulturschaffende, Arbeitnehmer und Unternehmer, Männer und Frauen, Junge und Ältere. Einigendes Band bleiben unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Eine Volkspartei muss mitten im Volk sein. Nur so ist sicher, dass es einen Austausch von Ideen und Konzepten zwischen Regierung, Parlamenten, Partei und Bevölkerung gibt - einen Austausch in beiden Richtungen. Unsere Mitglieder

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sind dabei das wichtigste Scharnier. Sie sorgen dafür, dass unsere Parteien in der Gesellschaft verwurzelt bleiben; sie bringen sich und ihre Forderungen in den Meinungsbildungsprozess ein und gewährleisten, dass unsere Politik sich an Interessen und Bedürfnissen der Menschen ausrichtet. Nicht überall ist die Verankerung in der Gesellschaft noch gegeben. Sie wieder herzustellen, die Türen für neue Menschen und die Köpfe für neue Ideen weit zu öffnen, ist Voraussetzung dafür, dass Sozialdemokraten führende politische Kraft bleiben. Den gesellschaftlichen Wandel erkennen und aufnehmen, auf der Höhe der Zeit sein, Organisation und Programme immer wieder auf den Prüfstand stellen - wenn Sozialdemokraten dies beherzigen, werden sie die neuen Anforderungen gut bestehen.

Differenzierte Kompetenzen entwickeln Für den Erhalt als Mitgliederpartei, für den professionellen Umgang mit den Anforderungen der Mediengesellschaft und für den Aufbau einer dienstleistungsorientierten, lernbereiten Parteiorganisation müssen die sozialdemokratischen Parteien Europas ein Bündel differenzierter Kompetenzen entwickeln. Sie benötigen dafür: • Programm- und Handlungskompetenz, d.h.: in zentralen Politikfeldern neue Optionen und Chancen aufneh-

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men, Korridore für deren Realisierung aufzeigen und konsequent in Regierungshandeln umsetzen; Innovationskompetenz, d.h.: gesellschaftliche Trends frühzeitig aufgreifen, diese Veränderungen rechtzeitig analysieren und kontinuierlich auch in politisches Handeln übersetzen; Dialogkompetenz, d.h.: Unterstützung für Reformen durch Moderation und Diskursorientierung erreichen; Kommunikationskompetenz, d.h.: Personen und Symbole für die Verbreitung von Ideen und Werten nutzen; Organisationskompetenz, d.h.: gesellschaftliche Veränderungen in organisatorischen und institutionellen Strukturen abbilden.

Professionalisierung der Parteiarbeit Um leistungsfähig zu sein, brauchen moderne Parteien klare Informationsund Entscheidungsstrukturen sowie moderne Organisationselemente. Ihr wichtigstes Kapital aber ist die Motivation und Qualifikation ihrer Mitarbeiter und ehrenamtlichen Repräsentanten. Gerade in Zeiten raschen Strukturwandels benötigen sie regelmäßige Schulung und Unterstützung. Qualifikation durch Managementwissen, Kommunikationsfähigkeit und Sachkompetenz sind dabei zentrale Elemente.


Parteien des 21. Jahrhinderts

Aufbau einer Dienstleistungskultur

Öffnung der Partei

Parteien müssen sich heute auch als moderne Dienstleister verstehen. Dazu zählen strategische Dienstleistungen für die Arbeit von Partei und Fraktionen wie etwa Beratung, Projektentwicklung sowie konzeptionelle und programmatische Entwürfe. Immer wichtiger werden kommunikative Dienstleistungen wie Pressearbeit, gekaufte Kommunikationskampagnen und hochwertige Materialien zur Öffentlichkeitsarbeit. Das Management der Partei muss organisationspolitische Dienstleistungen bieten: Beiträge für die Qualifizierung von Mitgliedern und Hauptamtlichen sowie Beratungsund Unterstützungsangebote für die Untergliederungen.

Voraussetzung für eine vermittelnde Rolle sozialdemokratischer Parteien ist ihre Offenheit gegenüber allen gesellschaftlichen Gruppen. Die Dialogfähigkeit ist die Grundlage für Kompetenz zur Innovation. Deshalb ist die Öffnung für junge Menschen notwendig, für Menschen, die mit neuen Technologien und neuen Formen der Wirtschaft arbeiten, aber auch für all jene, die eine punktuelle Mitarbeit, Projektarbeit oder Möglichkeiten zur befristeten Unterstützung einzelner Ziele oder Personen suchen.

Partei als intermediäre Organisation Dienstleister sein heißt für eine moderne Partei auch, eine vermittelnde Funktion zwischen verschiedenen politischen Institutionen einerseits und der Öffentlichkeit andererseits wahrzunehmen. Die Parteiorganisation ist Teil eines Netzwerkes, das die Schwesterparteien ebenso wie die Fraktionen, nahestehende Verbände und Gewerkschaften, Parteigliederungen und die Regierungsmitglieder umfasst. Kommunikation wird aber nicht nur zwischen politischen Akteuren vermittelt, sondern auch mit den Parteimitgliedern, den Medien und den Wählern.

OnlinePartei werden Dabei können die neuen Informationsund Kommunikationstechnologien, auch das Internet, helfen. OnlinePartei zu sein heißt nicht nur, eine eigene Visitenkarte im weltweiten Netz vorzuzeigen: Es bedeutet auch, einen direkten Zugang zu den eigenen Mitgliedern zu besitzen und damit Informationen ohne den Filter der Medien weitergeben zu können. Das Internet ermöglicht eine schnellere, effizientere Kommunikation innerhalb der Organisation und den Gewinn über ein Stück Deutungshoheit über die eigene Politik. Das Internet eröffnet die Chance, neue Arbeits- und Organisationsformen zu entwickeln. Diskussionsforen beispielsweise bilden bereits heute eine nützliche Basis für politischen Austausch mit Unterstützern und Gegnern sozialdemokratische

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Politik. Zusätzlich bietet das Internet aber auch die Chance zur Selbstorganisation von Interessen-, Fach-, Themen- oder Projektgruppen, die Mitglieder und NichtMitglieder zusammenführen können.

Aufbau von Kompetenznetzwerken Kompetenznetzwerke werden immer wichtiger als eine neue Form der Arbeit im Vorfeld der politischen Organisationen. Politische Entscheidungen - etwa im

Bereich der Biotechnolgie oder der Energiewirtschaft werfen heute ökonomische, ökologische, finanzielle, soziale und ethische Fragen auf: Eine Partei kann aber nicht mehr alles Wissen, das zur Lösung komplexer Probleme notwendig ist, bereit halten. Sie muss deshalb den Anstoß dazu geben, all jene, die über Kompetenz in Sachfragen verfügen, zur Zusammenarbeit zu bringen.

4. Organisation ist Politik Der rasche Strukturwandel fordert den Sozialdemokraten Antworten auf neue soziale Fragen ab. Die Veränderung der Gesellschaftsstruktur erfordert aber auch einen Wandel der Organisation, denn sie haben organisatorische und institutionelle Konsequenzen: Sozialdemokratische Parteien benötigen vielfältigere und zugleich offenere Formen der Mitarbeit, flexiblere Formen der Organisation und der politischen Dienstleistungen und professionelles kommunizieren in den

Medien. Darüber hinaus müssen Sozialdemokraten neue Dialogformen für den politischen Diskurs in unseren Gesellschaften entwickeln. Bei alle dem gilt: Organisation ist Politik, programmatische Arbeit hat organisatorische Voraussetzungen. Organisationen, auch Parteien, sind kein Selbstzweck. Sie werden Vertrauen und Unterstützung gewinnen, wenn sie offen in und für die Gesellschaft sind.

Dr. Volker Hauff ist Mitglied im Vorstand der KPMG - Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Matthias Machnig ist Bundesgeschäftsführer der SPD http://www.spd.de

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BRANDENBURGER STEHEN EIN FÜR TOLERANZ UND FREMDENFREUNDLICHKEIT. Die Aktion „Brandenburg gegen Rechts“ entstand als Gegenreaktion auf die vielen fremdenfeindlichen Übergriffe der vergangenen Jahre in Brandenburg. Es ist höchste Zeit, dagegen Widerstand zu mobilisieren! Darum haben sich in den letzten Wochen eine ganze Reihe von Verbänden, unter anderem die Falken, Jusos und die Landjugend zu einer gemeinsamen Aktion entschlossen. Mit Postkarten, T-Shirts, Ansteckern und Aufklebern dokumentieren wir im alltäglichen Leben unsere Einstellung. Rechtsextremismus darf nicht zur dominierenden Jugendkultur werden. Deshalb ist es notwendig, dass alle Demokraten ihre Haltung auch sichtbar in der Öffentlichkeit darstellen. Diese Materialien werden von dem Aktionsbündnis zu Selbstkostenpreisen an Interessierte abgegeben. Ein weiteres wichtiges Projekt des Aktionsbündnisses ist das Internet-Portal „Aktiv gegen Rechts“. Unter der Adresse http://www.aktiv-gegenrechts.de finden sich jede Menge nützlicher Tipps für alle, die sich mit dem Rechtsextremismus in Brandenburg und der Bundesrepublik näher beschäftigen. Hierzu gehört in erster Linie eine umfangreiche Linksammlung rund um das Thema Rechtsextremismus. Sie bietet vielfältige Hintergrundinformationen und aktuelle Hinweise zum Thema Rechtsextremismus. Mittlerweile haben wir mehr als 36.000 Zugriffe auf unsere Seiten gehabt. Daneben kann man unter der Adresse einen Newsletter abonnieren. Alle Materialien können im Shop online bestellt werden. Neugierig geworden? Dann schau einfach vorbei:

www.aktiv-gegen-rechts.de


SPD-Landesverband Brandenburg, Friedrich-Ebert-StraĂ&#x;e 61, 14469 Potsdam PVSt, DPAG, Entgelt bezahlt, A47550

Bislang erschienen: 1.

Zukunft der brandenburgischen Hochschulpolitik*

2.

Sozialer Rechtsstaat*

3.

Informationsgesellschaft*

4.

Verwaltungsreform*

5.

Arbeit und Wirtschaft*

6.

Rechtsextremismus*

7.

Brandenburg - die neue Mitte Europas

8.

Was ist soziale Gerechtigkeit?

9.

Bildungs- und Wissensoffensive

10.

Zukunftsregion Brandenburg

11.

Wirtschaft und Umwelt

12.

Frauenbilder * leider vergriffen


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