perspektive21 - Heft 26

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HEFT 26 APRIL 2005 www.perspektive21.de

SPD-Landesverband Brandenburg, Friedrich-Ebert-Straße 61, 14469 Potsdam PVST, DPAG, Entgelt bezahlt, A47550

BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK

Seit 1997 erscheint „perspektive 21 – Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik“.

HAUSHALTSPOLITIK ZWISCHEN KONSOLIDIERUNG UND AUFBAU OST

Zur Zeit sind folgende Titel lieferbar: Heft 13 Kräfteverhältnisse – Brandenburgisches Parteiensystem Heft 14 Brandenburgische Identitäten Heft 15 Der Islam und der Westen Heft 16 Bilanz – Vier Jahre sozialdemokratisch-bündnisgrünes Reformprojekt Heft 17 Ende der Nachwendezeit. PDS am Ende? Heft 18 Der Osten und die Berliner Republik Heft 19 Trampolin oder Hängematte? Die Modernisierung des Sozialstaates. Heft 20 Der Letzte macht das Licht aus?! Heft 21/22 Entscheidung im Osten: Innovation oder Niedriglohn? Heft 23 Kinder? Kinder! Heft 24 Von Finnland lernen?! Heft 25 Erneuerung aus eigener Kraft

Ohne Moos nix los? MATTHIAS PLATZECK THOMAS KRALINSKI

TOBIAS DÜRR

: Die demografische Transformation

: Sparen mit Speer – und was noch?

NIKOLAUS VOSS OLIVIER HÖBEL TINA FISCHER

: Demografie und Zukunft

: Finanzpolitik für Brandenburg

RAINER SPEER

HEFT 26 APRIL 2005

Einzelne Exemplare von bisher erschienenen Ausgaben schicken wir Ihnen gerne auch auf Wunsch kostenlos zu. Senden sie uns bitte eine E-Mail an perspektive-21@spd.de.

Ohne Mos nix los?

Wenn Sie Interesse an bisher erschienenen Ausgaben haben, können Sie ältere Exemplare auf unserer Homepage www.perspektive21.de als pdf-Datei herunterladen.

: Umbau Ost statt Weiter-so-Aufbau-Ost

: Von Luxembourg lernen, heißt siegen lernen

: Grips statt Beton

CARSTEN STENDER

: Bürokratieabbau für Brandenburg

ERARDO CHRISTOFORO RAUTENBERG

: Schwarz-Rot-Gold


Das neue Deutschland

Das Debattenmagazin Wieviel Einspruch verträgt der Mainstream? Heute regieren die 68er – aber was kommt, wenn sie fertig haben? Die Berliner Republik ist der Ort für eine neue politische Generation: undogmatisch, pragmatisch, progressiv. Weil jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht.

Kr ise im Westen, Umbr uch im Osten – wie wir gemeinsam Chancen beg reifen und Refor men durchsetzen. Mit Beiträgen von: Frank Decker, Wolfgang Engler, Matthias Platzeck, Uwe Rada, Landolf Scherzer, Alexander Thumf ar t und vielen anderen

Bezug der bereits erschienenen Hefte möglich

www.b-republik.de

Die Berliner Republik erscheint alle zwei Monate. Sie ist zum Preis von 5,- EUR im Zeitschriftenhandel erhältlich oder im Abonnement zu beziehen: Das neue Deutschland Die Zukunft als Chance Herausgegeben von Tanja Busse und Tobias Dürr 336 Seiten. Broschur. s 15,90 (D) ISBN 3-351-02553-X

als Jahresabo zum Preis von 30,- EUR als Studentenjahresabo zum Preis von 25,- EUR

aufbau

V E R L A G

W W W. A U F B A U - V E R L A G . D E

Jetzt Probeheft bestellen: Telefon 030/255 94-130, Telefax 030/255 94-199, E-Mail vertrieb@b-republik.de


[ editorial ]

Ohne Moos nix los? st Sparen sexy? Wohl kaum. Für den Staat bedeutet Sparen – oder neudeutsch: Haushaltskonsolidierung – weniger Geld auszugeben, weniger Grundsteine zu legen, weniger Fördermittelbescheide zu übergeben. Kurzum staatliche Leistungen für jeden einzelnen Bürger einzuschränken. Nicht nur für die Menschen, auch für die Politik keine Situation, die die innere Befriedigung erhöht. Ohne Moos also nix mehr los in Brandenburg, im Osten, in ganz Deutschland? Auf jeden Fall nicht mehr so viel wie in den ersten 15 Jahren nach der Wende. Ob das in der Vergangenheit mehr ausgegebene Geld jedoch immer sein Ziel erreicht hat, ist dabei noch eine ganz andere Frage. Haushaltskonsolidierung führt in Brandenburg aber auch künftig nicht zum Stillstand. Im Gegenteil: Angesichts einer im Vergleich zu den westdeutschen Flächenländern immer noch doppelt so hohen Investitionsquote von gut 20 Prozent werden von staatlicher Seite deutliche Impulse für Wirtschaft und Arbeitsplätze gesetzt. Brandenburgs neuer Finanzminister Rainer Speer und Tobias Dürr geben dazu in ihren Beiträgen genug Stoff zum Nachdenken. Haushaltskonsolidierung und die Neuausrichtung der Förder- und Strukturpolitik sind in diesen Monaten die Schwerpunkte brandenburgischer Landespolitik. Und es braucht keines Propheten, um vorauszusagen, dass diese Themen auch in den kommenden Jahren die politische Agenda bestimmen werden. Und das alles geschieht vor dem Hintergrund eines demografischen Wandels, der unser Land in den nächsten Jahrzehnten in fast allen denkbaren Bereichen dramatisch verändern wird. Matthias Platzeck und Thomas Kralinski beschreiben in ihren Beiträgen die spezifischen brandenburgischen Ausprägungen dieser demografischen Revolution und geben erste Antworten. Politik in Brandenburg bleibt spannend, denn dieses Land ringt um eine Erneuerung aus eigener Kraft. Dazu ist es notwendig, wie Platzeck es formuliert, „das Land in ein Gespräch über seine Zukunft zu verstricken“. Mit dieser Ausgabe der Perspektive wollen wir dazu einen Beitrag leisten.

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KLAUS NESS

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[ impressum ]

HERAUSGEBER

SPD-Landesverband Brandenburg Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V. REDAKTION

Klaus Ness (ViSdP), Thomas Kralinski (leitender Redakteur), Ingo Decker, Dr. Tobias Dürr, Dr. Klaus Faber, Tina Fischer, Klara Geywitz, Lars Krumrey, Christian Maaß, Till Meyer, Manja Orlowski ANSCHRIFT

SPD-LANDESVERBAND

Friedrich-Ebert-Straße 61, 14469 Potsdam Telefon: 0331/200 93 -0 Telefax: 0331/270 85 35 ANSCHRIFT

WISSENSCHAFTSFORUM

c/o Klaus Faber An der Parforceheide 22, 14480 Potsdam Telefon: 0331/62 45 51 Telefax: 0331/600 40 35 E-MAIL

: Perspektive-21@spd.de

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GESAMTHERSTELLUNG UND VERTRIEB

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[ inhalt ]

Ohne Moos nix los? HAUSHALTSPOLITIK ZWISCHEN KONSOLIDIERUNG UND AUFBAU OST MAGAZIN

— MATTHIAS PLATZECK: Demografie und Zukunft – Nicht nur in Ostdeutschland wird die Bevölkerungsentwicklung das Land verändern . . . . . . 5

Die demografische Transformation Eine kleine Einführung in die Brandenburger Bevölkerungsentwicklung . . . . . . 9 THOMAS KRALINSKI:

THEMA

— RAINER SPEER: Finanzpolitik für Brandenburg Warum das Land sparen und gleichzeitig investieren muss . . . . . . . . . . . . . . . 25 TOBIAS DÜRR: Sparen mit Speer – und was noch? Wie man ein Produkt verkauft, das eigentlich niemand haben will . . . . . . . . . 43

Umbau Ost statt Weiter-so-Aufbau-Ost Die neuen Länder brauchen mutige politische Entscheidungen . . . . . . . . . . . 53 NIKOLAUS VOSS:

OLIVIER HÖBEL: Von Luxembourg lernen, heißt siegen lernen Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen in der EU? . . . . . . . . . . . . 61 TINA FISCHER: Grips statt Beton oder warum die aktuelle Diskussion um den Solidarpakt zur richtigen Zeit kommt . . . . . . . . . . . . . . . 67 CARSTEN STENDER: Bürokratieabbau für Brandenburg Anwendungsfreundliche Rechtssetzung statt Flucht vor Gemeinwohlpflichten . . 77

Schwarz-Rot-Gold Das Symbol für die nationale Identität der Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .87 ERARDO CHRISTOFORO RAUTENBERG:

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Demografie und Zukunft NICHT NUR IN OSTDEUTSCHLAND WIRD DIE BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG DAS LAND VERÄNDERN VON MATTHIAS PLATZECK

ie andere Menschen auch beschäftigen sich Politiker am liebsten mit Problemen, für die sie schnelle Lösungen anbieten können. Das ist verständlich, zugleich aber der Grund dafür, dass sich die Politik in Deutschland noch immer viel zu zögerlich dem Thema der Bevölkerungsentwicklung annähert. Denn für die dramatischen Herausforderungen unserer demografischen Zukunft gibt es nun einmal per Definition keine „Patentlösungen“. Die Rechnung ist einfach: Kinder, die vor 15 Jahren nicht geboren wurden, werden weder in fünf noch in zehn Jahren oder später ihrerseits Nachwuchs bekommen. Sie sind einfach nicht da. Alle diese nicht geborenen Menschen werden unserem Land in den kommenden Jahrzehnten als produktive Arbeitskräfte fehlen – also ausgerechnet dann, wenn die Zahlen der zu versorgenden Rentner ihren höchsten Stand erreichen. Ändern lässt sich daran nichts mehr. Das nicht geborene Kind ist längst in den Brunnen gefallen. Der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg hat das Demografiedilemma der Politik klar beschrieben: „Da politische Macht in einer Demokratie durch Wahlen errungen wird, für deren Erfolg sich das Versprechen einer sorglosen Zukunft als ein geeignetes Mittel erwiesen hat, ist die Verdrängung der demografischen Probleme zu einer heimlichen überparteilichen Staatsräson unseres demokratischen Wohlfahrtsstaats geworden.“ Birgs bitterer Schluss: „Wer dem Wähler als erster die Wahrheit sagt, der hat verloren.“ Aber Angst ist kein guter Ratgeber. An Birgs Faustregel hat sich Politik in Deutschland viel zu lange gehalten. Auch unter den Bürgern herrscht daher verbreitete Unkenntnis über die unausweichlich bevorstehenden Prozesse der Schrumpfung und Alterung unserer Gesellschaft. Noch 2003 ergab eine Umfrage, dass 52 Prozent aller Deutschen von dem Begriff demografische Entwicklung noch niemals auch nur gehört hatten. Die Folge ist ein gefährlicher Kreislauf: Weil der Politik keine sofort wirksamen Lösungen einfallen, schiebt sie das demografische Pro-

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[ matthias platzeck ]

blem auf die lange Bank – und weil sie das tut, verstehen die Bürger nicht, was unweigerlich auf unser Land zukommt. So geht kostbare Zeit verloren: Der überfällige Kurswechsel wird immer wieder vertagt. In Brandenburg haben wir uns entschlossen, diesen verhängnisvollen Kreislauf aus Verdrängung und Unkenntnis endlich zu durchbrechen. Die Voraussetzung demografischer Zukunftsfähigkeit ist Aufklärung: die schonungslose Auseinandersetzung mit der demografischen Realität und ihren Folgen. Diese Debatte ist dringend nötig, denn nichts verunsichert Menschen so sehr wie Probleme, die zwar im Alltag wahrgenommen, aber im Kern nicht begriffen werden. Demografische Bildung wird zu einer Schlüsselaufgabe demokratischer Politik. Tatsächlich ist die demografische Zukunft in ihren vielfältigen Facetten längst angebrochen. Beileibe nicht nur in Ostdeutschland leben die Menschen schon heute inmitten des dramatischen Wandels. Abwanderung und zunehmender Wohnungsleerstand, die Schließung von Schulen, Bibliotheken und Schwimm-bädern, ländliche Regionen mit immer weniger jungen Menschen und Dörfer ohne Kinder – das alles ist bereits heute Wirklichkeit: „Von Sachsen über Thü-ringen bis ins Ruhrgebiet zieht sich eine regelrechte Schneise der Entvölkerung quer durch die Republik“, heißt es in einer aktuellen Studie zu den demografi-schen Perspektiven bis 2020. Mit anderen Worten: Was heute schon im Osten geschieht, steht auch im Westen mit voller Wucht bevor. Zusammenhalt und Lebenschancen neu organisieren Zugleich aber entstehen in Deutschland und Europa moderne neue Ballungsräume: verdichtete Boomregionen mit dichter internationaler Vernetzung. Sie werden in den kommenden Jahren immer heftiger um die rapide schwindende Zahl qualifizierter Arbeitskräfte konkurrieren. Vor allem Baden-Württemberg und Bayern sind heute die Gewinner der enormen innerdeutschen Wanderung. Aber auch das brandenburgische Umland von Berlin gilt allen einschlägigen Untersuchungen zufolge als eine der zukunftsträchtigsten Regionen Deutschlands. Für die kommenden Jahrzehnte werden ihr daher beträchtliche weitere Bevölkerungszuwächse vorausgesagt. So intensiv wie kein zweites Bundesland erlebt Brandenburg daher die gegenläufigen Prozesse von Bevölkerungsschrumpfung und -wachstum zugleich. Dass diese Lage in den einzelnen Regionen des Landes Hoffnungen und Ängste in höchst unterschiedlichen Mischungsverhältnissen auslöst, ist nur zu begreiflich. Während die einen zu Recht neue Chancen erkennen, fürchten sich andere davor, 6

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[ demografie und zukunft ]

dauerhaft „abgehängt“ zu werden. Harte innergesellschaftliche Konflikte können die Folge sein. Zusammenhalt, Bildung und Lebenschancen für alle unter radikal veränderten sozialräumlichen Bedingungen neu zu organisieren, wird zur zentralen Frage demokratischer Politik. Völlig neue Verhältnisse erfordern völlig neue Ideen. Brandenburg muss deshalb auf dem Weg in die demografische Zukunftsfähigkeit Vorreiter in Deutschland sein. In den kommenden Jahren werden sich gerade vor Ostdeutschland demografische Herausforderungen auftürmen, für die sich in der Vergangenheit keine Beispiele finden. Im Jahr 2020 werden die Zuweisungen des Solidarpakts II endgültig ausgelaufen sein. Bis dahin müssen die neuen Länder auf ihren eigenen Beinen stehen – und laufen. Noch also bleibt uns Zeit. Mit großer Sicherheit „abgehängt“ wird Ostdeutschland nur, wenn wir sie ungenutzt verstreichen lassen. Brandenburg darf und wird diesen Fehler nicht begehen. ■

MATTHIAS PLATZECK

ist Ministerpräsident des Landes Brandenburg und SPD-Landesvorsitzender. perspektive21

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[ matthias platzeck ]

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Die demografische Transformation EINE KLEINE EINFÜHRUNG IN DIE BRANDENBURGER BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG VON THOMAS KRALINSKI

ine Stadt in Brandenburg. Vieles wirkt unfertig, manche Straße ist eher eine Sandpiste, vieles ist in Bewegung. Falkensee ist die am schnellsten wachsende Kommune Deutschlands, bis 2020 wird sich die Einwohnerzahl auf 44.000 verdoppelt haben. Die Stadt wirkt lebendig – und jung. An allen Ecken wird gebaut, die Gewerbegebiete füllen sich. Der Bedarf an neuen Kitas und Grundschulen ist groß. Ganz anders im Südwesten Brandenburgs. Der ICE gleitet durch Jüterbog – das Zeichen der modernen Zeit hält nicht. Rechts und links der Bahntrasse – Leere. Im Ort selbst: renovierte Häuser, hergerichtete Straßen – und Ruhe. Die Stadt schrumpft, wenn auch langsamer als anderswo. Mit dem Regionalexpress ist man demnächst in nur noch 45 Minuten in Berlin – dies ist der Hoffnungsschimmer für einen Ort, der an manchen Stellen wirkt, als wäre er mit seinen neuen Fassaden ein potemkinsches Dorf. Unlängst befragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa die Deutschen über ihre Vorstellungen zum demografischen Wandel. Das nüchterne Ergebnis: nur 7 Prozent der Befragten konnten exakt beschreiben, was sich hinter demografischem Wandel verbirgt. Und dass, obwohl sich ein Großteil der politischen Elite einbildet, das Thema schon lange zu kennen.

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Demografie als Elitenthema Aber Elitendiskurs hin oder her – beim Volk ist die Bevölkerungsveränderung noch nicht angekommen. Zwar mögen die Menschen die eine oder andere Auswirkung spüren – komplexe Zusammenhänge sind noch nicht erkannt. Dieselbe Umfrage hat aber auch versucht, nach den Gründen für das Unwissen zu forschen. Ergebnis: Für die Mehrheit ist das Thema komplett neu und sie fühlen sich von Politik und Medien nicht informiert. Und: Drei Viertel der Deutschen glauben, dass die Politik weder den Mut hat, diese unangenehmen Fakten unters Volk zu tragen noch die Probleme wirklich lösen kann. perspektive21

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[ thomas kralinski ]

Fangen wir also ganz vorne an. Wo steht das demografische Brandenburg? In Brandenburg kommen zu wenig Kinder zur Welt. Und das schon seit 1970. Damals bekamen 20 Frauen und Männer 22 Kinder – das waren etwas mehr als die 21, die rein statistisch zum Erhalt der Einwohnerzahl ohne Zuwanderung nötig sind. Seit den siebziger Jahren sank die Geburtenrate langsam – abgesehen von einem kurzen Anstieg um das Jahr 1980 (dem so genannten „Honecker-Buckel“) aufgrund der „sozialpolitischen Maßnahmen“ in der DDR. An diesem „Honecker-Buckel“ lässt sich auch gut das „demografische Echo“ studieren. Zum einen ergaben sich die hohen Kinderzahlen damals auch aufgrund der großen Elterngeneration, die als Babyboomer nach dem Zweiten Weltkrieg zur Welt kamen. Die vielen Kinder des „Honecker-Buckels“ werden wiederum in ein paar Jahren dafür sorgen, dass die Zahl der Neugeborenen wieder etwas steigt. Wieder etwas mehr Geburten Zur Wende lag die Geburtenrate bei 16 Kindern pro 20 Männer und Frauen. Danach brach die Zahl der Neugeborenen in nie da gewesener Geschwindigkeit ein. Der Tiefststand wurde 1993 mit nur 7 Kindern auf 20 Männer und Frauen erreicht – eine der tiefsten Geburtenraten der Welt. Seitdem steigt die Geburtenrate wieder leicht an, allerdings ist sie mit 1,2 Kindern pro Frau nach wie vor eine der niedrigsten in Deutschland und Europa. Es gibt verZahl der Geburten in Brandenburg 1960 bis 2020 50.000

37.000

40.000 29.000

1960

1970

1980

1990

18.000

17.000

2000

2010*

15.000

2020*

Quelle: LDS; * = Prognose

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[ die demografische transformation ]

schiedene Ursachen für den Einbruch der Geburtenrate: ein deutlicher Anstieg des Durchschnittsalters der Mütter, die starke Abwanderung junger Frauen sowie die wirtschaftlichen und sozialen Unsicherheiten der Nachwendezeit. Der leichte Anstieg der Geburtenrate seit Mitte der neunziger Jahre geht mit einer regionalen Aufspaltung einher – im Berliner Umland ist die Zahl der Neugeborenen höher als in den äußeren Regionen (während vor der Wende die Geburtenrate in den ländlichen Regionen höher war). Darüber hinaus ist in Ostdeutschland ein Trend zu beobachten, der sich bereits seit vielen Jahren in den alten Ländern abzeichnet: Vor allem die jungen und gut ausgebildeten Frauen verzichten mehr und mehr auf Familiengründung. In den kommenden Jahren wird erwartet, dass die Geburtenrate sich auf niedrigem Niveau bei 13 Kindern auf 20 Männer und Frauen stabilisieren wird. Gleichwohl wird die Zahl der Neugeborenen weiter sinken, da die Zahl der potenziellen Mütter sinkt. Gerade als Folge des Geburtenknicks nach der Wende werden ab 2012 auch die Kinderzahlen weiter zurückgehen. Dieses „demografische Echo“ wird sich dann jede Generation wiederholen. Besonders stark wirkt sich dies in den äußeren Regionen des Landes aus. Dort sinkt die Zahl der 15-45jährigen Frauen von 322.000 (2002) auf nur noch 191.000 (-41 Prozent). Im Berliner Umland ist der Rückgang der potenziellen Mütter nur halb so groß – ihre Zahl geht von 207.000 auf 160.000 (-22 Prozent) zurück. Lebenserwartung steigt Während die Zahl der Kinder in Brandenburg rapide sinkt, steigt die Lebenserwartung im Land. Seit der Wende ist sie für Männer um fast fünf und die der Frauen um knapp vier Jahre gestiegen auf 74 bzw. 81 Jahre. Der Trend zur höheren Lebenserwartung setzt sich auch in den kommenden Jahren fort – und wird 2020 bei 76 Jahren für Jungen und 83 Jahren für Mädchen liegen, womit das Niveau der alten Bundesländer erreicht würde. Die steigende Lebenserwartung fällt in den kommenden Jahren mit der älter werdenden „Babyboomer“-Generation der Nachkriegszeit zusammen. So wird die Zahl der über 60jährigen von 640.000 auf 822.000 im Jahr 2020 (+28 Prozent) steigen. Noch stärker ist der Anstieg bei den über 80jährigen von 87.000 auf 183.000 (+112 Prozent). Das Berliner Umland ist dabei besonders stark von der Alterung betroffen – dort steigt bis 2020 die Zahl der über 60jährigen um 45 Prozent und die der über 80jährigen um 134 Prozent. Dabei wirken sich die hohen Zuzüge der neunziger Jahre aus, als vor allem die Altersgruppe der 30-40jährigen aus der Stadt in das Berliner Umland gezogen ist. perspektive21

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[ thomas kralinski ]

Durch die zunehmende Alterung der Brandenburger Bevölkerung und die sinkenden Kinderzahlen wird das Geburtendefizit (also der Saldo aus Neugeborenen und Sterbenden) in den kommenden Jahren immer größer. Im Jahr 2002 betrug dieser negative Saldo 9.000, im Jahr 2020 wird er bei 21.000 liegen. Bis dahin wird insgesamt eine Viertel Million Brandenburger mehr gestorben als geboren sein. Dieser Saldo könnte allein durch Wanderung nach Brandenburg ausgeglichen werden. Und um es gleich vorwegzunehmen: Bis 2020 wird damit gerechnet, dass per saldo (nur) 89.000 Menschen nach Brandenburg ziehen werden – woraus sich ein Defizit von 171.000 Menschen ergibt. Die Wanderung ist damit das zweite bestimmende Element der Bevölkerungsentwicklung und lässt sich in drei Elemente unterscheiden. Da ist zum einen die Wanderung mit dem Ausland, die sich vor allem auf Aussiedler und Asylbewerber bezieht. Zwischen 1990 und 2003 sind per saldo 120.000 Menschen aus dem Ausland nach Brandenburg gezogen, die Mehrzahl zwischen 1992 und 1996. Der Ausländeranteil beträgt damit 2,6 Prozent – und ist einer der niedrigsten der Bundesrepublik. Bisher ist nicht anzunehmen, dass die Zuwanderung aus dem Ausland deutlich ansteigen wird, da Zuwanderung in der Regel zu Arbeitsplätzen und zu bereits bestehenden Netzwerken hin erfolgt. Weiblich, ledig, jung, sucht … Die zweite Wanderungswelle vollzieht sich zwischen Brandenburg und den alten Bundesländern. Seit 1990 ist dieser Wanderungssaldo durchgängig negativ, hat sich Mitte der neunziger Jahre abgeschwächt und ist seit 1997 wieder wachsend. In den vergangenen Jahren haben sich bei den Fortzüglern mehrere Schwerpunkte herauskristallisiert. So ist die Mehrzahl der Abwanderer zwischen 18 und 30 Jahre alt (2003: 47 Prozent), auch ist der Frauenanteil überdurchschnittlich groß (bei den 18-25jährigen in 2003: -50,5 pro 1.000 Frauen, -37,1 pro 1.000 Männer). In der Summe wandern vor allem die jungen Frauen und damit auch zukünftige Mütter ab. Wanderungsanalysen weisen auch darauf hin, dass das Bildungsniveau der Abwanderer etwa doppelt so groß ist wie im Durchschnitt der Bevölkerung. Gleichwohl kann davon ausgegangen werden, dass die Abwanderung der jungen Menschen in den nächsten Jahren deutlich zurückgehen wird – vor allem weil die Zahl der jungen Menschen infolge des Geburtenknicks der Nachwendezeit deutlich kleiner wird.

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[ die demografische transformation ]

Während sich Anfang der neunziger Jahre die Abwanderung noch quer über das ganze Land legte, sind es seit 1993 vor allem die äußeren Regionen des Landes, die von der Abwanderung in die alten Länder besonders hart getroffen werden. Bis zu 5 Prozent der Generation der 18-25jährigen sind pro Jahr aus den peripheren Regionen abgewandert. Pro Jahr verlassen per saldo etwa zwischen 11.000 und 18.000 Menschen die äußeren Regionen – das entspricht einer Stadt wie Angermünde. Im Berliner Umland hingegen hat es seitdem eine Zuwanderungswelle gegeben, mit der per saldo über 231.000 Menschen (1991 bis 2003) nach Brandenburg gezogen sind. Dabei liegt der Altersschwerpunkt bei den 30- bis 50jährigen sowie deren Kindern. Prognostiziert wird, dass der positive Wanderungssaldo im Berliner Umland auch in den kommenden Jahren – wenngleich deutlich kleiner – erhalten bleibt. Allerdings wird sich eine deutlich stärkere räumliche Differenzierung bemerkbar machen.

Bevölkerungsentwicklung in den Kreisen des Landes

Brandenburg/Havel Cottbus Frankfurt/Oder Potsdam Barnim Dahme-Spreewald Elbe-Elster Havelland Märkisch-Oderland Oberhavel Oberspreewald-Lausitz Oder-Spree Ostprignitz-Ruppin Potsdam-Mittelmark Prignitz Spree-Neiße Teltow-Fläming Uckermark

1990 92.400 132.300 86.200 140.900 150.700 142.900 142.700 132.300 174.400 169.100 166.400 193.800 118.800 172.300 109.400 157.400 150.100 170.400

2003 75.500 107.500 67.000 145.000 174.000 160.200 125.500 153.300 191.700 197.100 136.300 193.100 110.100 201.300 91.200 141.300 161.100 143.400

2020 66.100 95.400 58.600 162.500 166.300 150.900 110.300 158.700 184.900 194.300 115.600 172.600 97.700 200.300 77.600 124.400 151.700 123.500

Veränderung 1990- 20032003 2020 -18,3 -12,5 -18,7 -11,3 -22,3 -12,5 2,9 12,1 15,5 -4,4 12,1 -5,8 -12,1 -12,1 15,9 3,5 9,9 -3,5 16,6 -1,4 -18,1 -15,2 -0,4 -10,6 -7,3 -11,3 16,8 -0,5 -16,6 -14,9 -10,2 -12,0 7,3 -5,8 -15,8 -13,9

in % 19902020 -28,5 -27,9 -32,0 15,3 10,4 5,6 -22,7 20,0 6,0 14,9 -30,5 -10,9 -17,8 16,3 -29,1 -21,0 1,1 -27,5

Quelle: LDS, LUW, eigene Berechnungen

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[ thomas kralinski ]

Zwei Drittel des Bevölkerungszuwachses bis 2020 von 53.000 Menschen im Umland wird sich auf Potsdam und das Havelland konzentrieren. Im südöstlichen Teil des Berliner Umlandes werden sogar Bevölkerungsverluste prognostiziert (wobei diese Beurteilung mit Blick auf den neuen Flughafen Schönefeld sicherlich noch nicht abschließend ist, wenn man sich die Entwicklung in ähnlichen Regionen wie um den neuen Münchener Flughafen ansieht). Die Wanderungsströme illustrieren die demografische Zweiteilung des Landes. Die äußeren Regionen sind gekennzeichnet durch hohe Abwanderung, niedrige Geburtenraten und stark wachsende Geburtendefizits. Im Berliner Umland sind die Geburtenraten etwas höher (gleichwohl zu niedrig), der Wanderungssaldo pendelt sich nach den hohen Raten Mitte der neunziger Jahre auf niedrigem Niveau ein. Dieser Saldo kann das Geburtendefizit dennoch mehr als ausgleichen. Bis zum Jahr 2001 konnte die Bevölkerungszunahme im Berliner Umland den Rückgang der Bevölkerungsentwicklung in den Kreisen 2003-2020 -5,3

UM

natürlicher Saldo

-16,9 -15,4

TF SPN

-2,3

PR

6,4

-16,9 -1,7

-13,4

PM

-17,8

OPR

-0,7

LOS

17,8 -12,6

-22,3

OSL

-4,4

0,7

-19,0

OHV

-18,3

MOL

17,3

-19,7

13,9

HVL

-12,1 -1,4

EE

18,2

-15,5

LDS

8,6

-17,6

BAR

10,9

-17,0

P

-0,8

FF

-4,5

CB

-4,0 -1,0

BRB -30

-20

-10

20,1

-5,3 -9,7 -9,0

0

Saldo in 1.000 Personen

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Wanderungssaldo

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20 Quelle: LDS


[ die demografische transformation ]

Einwohnerzahl in den äußeren Regionen überkompensieren. Seitdem jedoch geht die Bevölkerungszahl Brandenburgs langsam zurück – bis 2020 um jährlich zwischen 6.000 und 13.000 (bei weiterer Zunahme im Umland und starkem Rückgang in den peripheren Regionen). Während der neunziger Jahre war die Bevölkerungsentwicklung hauptsächlich von den Wanderungsströmen dominiert. In den kommenden Jahren wird es jedoch vor allem die natürliche Bevölkerungsentwicklung sein, die die Richtung der Veränderung determiniert. So wird in allen Kreisen der Geburtensaldo negativ sein. Bis 2020 wird in nur neun Kreisen ein positiver Wanderungssaldo prognostiziert, wobei nur in drei Kreisen das Geburtendefizit ausgeglichen wird. Gespaltenes Land So wird auf dem konsolidierten Niveau die Bevölkerungszahl des Landes bis 2020 um etwa 7 Prozent auf 2,41 Millionen zurückgehen. Das ist verglichen mit Sachsen (-13 Prozent) und Sachsen-Anhalt (-19 Prozent) ein sehr moderater Rückgang. Gleichwohl versteckt sich hinter dieser Zahl ein Rückgang der Einwohnerzahl in den äußeren Regionen um fast 14 Prozent (seit 1990 um -23 Prozent) und eine Zunahme im Berliner Umland um über 5 Prozent (seit 1990 um +30 Prozent). Die Entwicklung der jüngeren Altersgruppen in Brandenburg Brandenburg

äußere Regionen

Berliner Umland

0-6jährige als Maß für Bedarf an Kita-Plätzen 2002 112.300 2020 100.600 Veränderung in % -10,4

63.400 55.400 -12,6

48.900 45.200 -7,6

6-10jährige als Maß für Bedarf an Grundschulen 2002 63.100 2020 74.000 Veränderung in % 17,3

36.500 41.100 12,6

26.600 32.900 23,7

111.300 61.500 -44,7

66.700 61.400 -7,9

10-16jährige als Maß für Bedarf an Sekundarstufe 1 2002 178.000 2020 122.900 Veränderung in % -31,0

Quelle: LDS, LUW, eigene Berechnungen

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[ thomas kralinski ]

Dieser Trend macht auch deutlich, dass das Gewicht des Berliner Umlandes Jahr für Jahr größer wird. Zur Wende betrug der Bevölkerungsanteil der äußeren Regionen noch 70 Prozent des gesamten Landes – um das Jahr 2050 wird dieser Anteil nur noch bei 50 Prozent liegen. Brandenburg mit demografischem Anker Gerade der Vergleich mit anderen Bundesländern im Osten macht deutlich, in welch privilegierter Lage Brandenburg trotz aller Probleme ist, da es mit dem Berliner Umland einen einmaligen demografischen Anker besitzt. Doch verstecken sich hinter der konsolidierten Bevölkerungszahl noch weitere Entwicklungen. So entwickelt sich die Einwohnerzahl in den Kreisen sehr unterschiedlich. Vor allem die berlinfernen Kreise, denen das stabilisierende Element des Umlandes fehlt, müssen weiterhin mit starken Rückgängen von bis zu 16 Prozent bis 2020 rechnen. Damit sinkt auch die Bevölkerungsdichte weiter. Uckermark und Prignitz gehören bereits heute zu den am dünnsten besiedelten Kreisen Deutschlands (mit 47 bzw. 43 Einwohner pro qkm) – im Jahr 2020 werden dort nur noch 40 bzw. 37 Einwohner pro qkm leben. Dem steht eine Bevölkerungsdichte im Berliner Umland von derzeit 221 Einwohnern pro qkm gegenüber. Die Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials in Brandenburg Brandenburg

äußere Regionen

Berliner Umland

1.829.000 1.534.000 -16,1

1.137.000 871.000 -23,4

692.000 663.000 -4,2

682.000 504.000 -26,1

416.000 285.000 -31,5

266.000 218.000 -18,0

958.000 933.000 -2,6

599.000 534.000 -10,9

359.000 400.000 11,4

15-65jährige 2002 2020 Veränderung in % 20-40jährige 2002 2020 Veränderung in % 40-65jährige 2002 2020 Veränderung in %

Quelle: LUW, LDS, eigene Berechnungen

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[ die demografische transformation ]

Da vor allem junge Frauen stärker abwandern als Männer, wird sich das Verhältnis von Frauen und Männern in den kommenden Jahren – insbesondere in den äußeren Regionen – deutlich wandeln. Kamen dort 1990 auf 100 Männer noch 94 Frauen, werden es im Jahr 2020 nur noch 82 (!) Frauen sein. Zu befürchten ist eine deutliche Verrohung der gesellschaftlichen Sitten, zumal tendenziell gerade die besser Gebildeten (auch Männer) weiterhin abwandern werden. Kommt eine solche Spirale – gerade aus Sicht der Frauen – erst einmal in Gang, ist es schwer, sie wieder aufzuhalten. In den peripheren Regionen entsteht so eine männlich dominierte Gesellschaft, die sich zu einem großen Teil aus sozialen und wirtschaftlichen „Verlierern“ mit relativ schlechter Bildung und unsicheren oder gar keinen Arbeitsplätzen rekrutieren wird. Es besteht die Gefahr, dass sich diese Gruppe auch kulturell stark von Entwicklungen in anderen Teilen des Landes isolieren wird. Weniger Kleinkinder In den kommenden Jahren wird sich die Zahl der verschiedenen Altersgruppen weiter merklich verändern – die Zahl von Kindergärten und Schulen ist dafür immer der erste und wichtigste Indikator. Zwar wird die Zahl der Kleinkinder bis 2020 weiter sinken. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die geringe Altersgruppe der Post-Wende-Generation mehr Kinder bekommen, als ihre Eltern. Dadurch kann ein nochmaliger radikaler Geburteneinbruch vermieden werden, gleichwohl geht die Zahl der 0-6jährigen im Berliner Umland um 8 Prozent, in den äußeren Regionen sogar um 13 Prozent zurück. Auf der anderen Seite wird es bis 2020 sogar einen Aufwuchs in den Besetzungszahlen für die Grundschulen geben, das Tal der Tränen ist somit durchschritten. Im Berliner Umland steigt die Zahl der 0-6jährigen sogar um fast ein Viertel. Gleichwohl ist im Bereich der Sekundarstufe I und II auch in den kommenden Jahren mit weiteren Schulschließungen zu rechnen. Die Schaffung der Oberschule – durch Zusammenlegung von Gesamtund Realschulen – soll dabei helfen, einige Schulstandorte insbesondere in den äußeren Regionen zu erhalten. Gleichwohl wird ein Großteil der Schulstandorte nicht zu halten sein. Die Abwanderung und die veränderten Geburtenzahlen führen auch zu Veränderungen im Arbeitskräftepotenzial. Das wird eine schwere Restriktion für den weiteren ökonomischen Umbau darstellen. Der erste spürbare Wandel wird in den kommenden Jahren auf dem Ausbildungsmarkt erfolgen, wenn binnen kurzer Zeit die nur noch halb so große Wendegeneration Ausbildungsplätze nachfragen wird. Die Angebots-Nachfrage-Relation wird sich also im Vergleich zu heute perspektive21

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[ thomas kralinski ]

umkehren. Dieser Einbruch wird dazu führen, dass die Unternehmen händeringend nach Azubis suchen werden. Dabei wird der Druck auf die Qualität der Schulabgänger noch größer werden, denn in einer Situation, wo Unternehmen förmlich jeden nehmen „müssen“, wird es schwieriger werden, die Ansprüche an Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erfüllen. Die veränderte Demografie wird sich in den kommenden Jahren jedoch auch in den anderen Altersgruppen bemerkbar machen. Bis 2020 wird das Erwerbspersonenpotenzial (die 15-65jährigen) um 295.000 (-16 Prozent) zurückgehen. Auch hierbei sind die äußeren Regionen stärker (-23 Prozent) als das Berliner Umland (-4 Prozent) betroffen. Unterteilt man diese Gruppe weiter, wird deutlich, wie stark das Arbeitskräftepotenzial altern wird – und dass es bis auf die Gruppe der über 40jährigen im Berliner Umland überall sinken wird. Der Rückgang des Arbeitskräftepotentials wird deshalb zu einem starken Fachkräftemangel in der Brandenburger Wirtschaft, insbesondere in den wachsenden Zweigen der Industrie führen. Besonders spürbar wird dieser Fachkräftemangel in den äußeren Regionen des Landes sein, da hier zum einen die Erwerbspersonenzahl besonders stark zurückgeht und zum anderen hier auch einige der zentralen Zweige des verarbeitenden Gewerbes angesiedelt sind.

Einwohnerzahl ausgewählter Kommunen Brandenburgs Veränderung in % 1990- 2003- 19902003 2020 2020

1990

2003

2020

Schwedt

53.600

39.400

30.700

-26,5

-22,1

-42,7

Eisenhüttenstadt

51.200

38.600

30.800

-24,6

-20,2

-39,8

Senftenberg

36.900

30.000

24.700

-18,7

-17,7

-33,1

Wittenberge

31.800

21.100

16.600

-33,6

-21,3

-47,8

Falkensee

22.100

36.200

44.200

63,8

22,1

100,0

Oranienburg

37.100

40.400

41.500

8,9

2,7

11,9

Teltow

15.800

18.900

24.900

19,6

31,7

57,6

Eberswalde

53.600

42.900

35.900

-20,0

-16,3

-33,0

Neuruppin

34.000

32.100

29.300

-5,6

-8,7

-13,8

Quelle: LDS, eigene Berechnungen; jeweils Gebietsstand 2003

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[ die demografische transformation ]

Zu den spürbarsten Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs gehören die Veränderungen in der Infrastruktur. Viele Orte müssen nicht nur den wirtschaftlichen Umbruch, sondern auch gleichzeitig Abwanderung und Geburtenrückgang bewältigen. In den großen Städten kommt dazu noch der Suburbanisierungsdruck, das heißt der Wunsch zur Abwanderung in die Umlandgemeinden. Von diesen Trends sind in Brandenburg vor allem die Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern betroffen. Auch hier liegen alle Orte mit Schrumpfungsprozessen in den berlinfernen Gegenden des Landes. Die Stadtentwicklung steht somit vor einer besonderen Herausforderung, vor allem in Städten mit besonders starkem Einwohnerrückgang. Besonders spür- und erlebbar ist dabei der Wohnungsleerstand, zumal in einer Mietergesellschaft wie der Ostdeutschen, der besondere Ängste hervorrufen kann, wenn Wohnungsunternehmen in immer größere Schieflagen geraten. Bedrohlicher Wohnungsleerstand Derzeit stehen in Brandenburg etwa 150.000 Wohnungen leer – das entspricht einer Quote von 12 Prozent. Einige Stadtviertel haben sogar Leerstandsquoten von bis zu 70 Prozent. Die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen sind dabei mit Leerstandsquoten von bis zu 40 Prozent in besonderem Maße betroffen. Mit dem so genannten „Rückbauprogramm“ von Bund und Ländern wird bereits seit einigen Jahren versucht, den Wohnungsmarkt zu stabilisieren. So sollen bis 2009 48.000 Wohnungen abgerissen werden. Gleichzeitig sollen mit Stadtentwicklungskonzepten und einer Aktivierungsstrategie frei gewordene Flächen entwickelt werden, die Innenstädte stabilisiert, die Infrastruktur angepasst werden und städtisches Leben weiter entwickelt werden. Diese Schrumpfungsstrategien gehen einher mit Wachstumsbedürfnissen in der Infrastruktur im Berliner Umland. Dort ist der Nachholbedarf an Straßen, Kitas oder Schulen nach wie vor groß – und noch nicht gedeckt. Damit sind wir bei den Fragen der kommenden Jahre. Welche Auswirkungen wird die Bevölkerungsentwicklung auf Brandenburg in den kommenden Jahren haben? Am offensichtlichsten ist die Anpassung der öffentlichen Infrastruktur im Verkehrs-, Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich. Dabei muss die Frage im Mittelpunkt stehen, wie es gelingen kann, in den Gegenden mit Bevölkerungsrückgang die weniger und vor allem die älter werdende Bevölkerung mit öffentlicher Infrastruktur zu versorgen und gesellschaftliches Leben vor Ort weiterhin zu ermöglichen. perspektive21

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[ thomas kralinski ]

Dabei muss das Dilemma überwunden werden, Anbindung und Grundausstattung zu gewährleisten bei gleichzeitig sinkenden öffentlichen Mitteln. Unter diesem Blickwinkel wird beispielsweise das derzeitige Straßennetz kontinuierlich überprüft werden müssen – bis hin zur Aufgabe nicht mehr benötigter Straßen. Auch der öffentliche Nahverkehr wird vor einer ähnlichen Herausforderung stehen. Er muss auch in Zukunft eine Basismobilität sichern, um kulturelle oder soziale Angebote erreichen zu können. Im ländlichen Raum wird Nahverkehr vor allem für die älteren und jüngeren Bewohner benötigt, da die Erwerbstätigen in der Regel über ein Auto verfügen. Neue Angebotsformen – wie Rufbusse – werden deshalb weiter zunehmen. In Gransee wurde jetzt erstmals ein Bürgerbus eingerichtet – das Modell einer Buslinie mit ehrenamtlichen Busfahrern hat Zukunft. Basismobilität und soziale Infrastruktur Gerade bei der Anwendung von Telefon, Internet und E-Mail stehen wir noch am Anfang. Insbesondere im Verwaltungsbereich, aber auch bei Bildung, Versorgung und Gesundheit gibt es noch viele Anwendungsmöglichkeiten. Vor allem gilt es, die Menschen in den entlegenen Regionen mit den neuen Anwendungen vertraut zu machen. Unmöglich ist dies nicht, den einen oder anderen GedankenSprung aber wird man wohl noch machen müssen. Auch werden wir überlegen müssen, ab welchem Einzugsgebiet und welcher Schulgröße es nötig ist, Internate an den weiterführenden Schulen einzurichten – um so auch in Zukunft eine hohe Bildungsqualität anbieten zu können. Darüber hinaus wird in den dünn besiedelten Gegenden für seltene Fächer auch Video-Unterricht nötig sein – wie er beispielsweise in Finnland Gang und Gebe ist. Die soziale Infrastruktur ist eine sehr wichtige Bestimmungsgröße für den Zusammenhalt des Landes. Insofern ist es unabdingbar, auch in dünn besiedelten Gegenden soziale Dienstleistungen weiter anzubieten – nur wird sie anders aussehen als heute. Dabei werden Konflikte nicht vermeidbar sein – zum Beispiel über Schließungen bestimmter Fachabteilungen von Krankenhäusern, wie derzeit bei der Geburtshilfe in Templin. Viele der bekannten Standards werden in den kommenden Jahren nicht mehr haltbar sein. Nach neuen Lösungen wie besserer Zusammenarbeit zwischen ambulanter und stationärer Betreuung oder der verstärkte Einsatz von Hubschraubern werden nötig sein. Anders sieht es dagegen im Alten- und Pflegebereich aus, wo die Ausbildung von neuem Fachpersonal nicht mit dem wachsenden Bedarf Schritt halten kann. Dabei wird auch deutlich, dass das Land bei andauernder hoher Langzeitarbeitslosigkeit gleichzeitig vor Fachkräftemangel stehen wird, da Qualifikation und 20

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[ die demografische transformation ]

Fertigkeiten der Arbeitslosen nicht mit den nachgefragten Arbeitskräften übereinstimmen. Dieser Zusammenhang – Fachkräftemangel und hohe Arbeitslosigkeit – birgt in den kommenden Jahren erheblichen sozialen Sprengstoff, insbesondere wenn der Ruf nach verstärkter Außenzuwanderung größer wird. Bei einigen stark wachsenden Branchen wie im Alten- und Krankenpflegebereich, aber auch in einzelnen Zweigen der Industrie ist dies bereits heute spürbar. Neue Ideen für kleineren Haushalt

äußere Regionen 70 %

äußere Regionen 58 %

äußere Regionen 50 %

Berliner Umland 30 %

Berliner Umland 42 %

Berliner Umland 50 %

Wie zwingend die Etablierung neuer und flexibler Infrastrukturangebote ist, verdeutlicht sich auch über die Einnahmebilanz des Landes. Derzeit werden lediglich 44 Prozent der Einnahmen über Steuern gedeckt, 36 Prozent fließen dem Land über Solidarpakt und Länderfinanzausgleich zu. Mit dem Auslaufen des Solidarpaktes bis 2019 wird das Volumen des Haushaltes somit schrittweise an ein vergleichbares Niveau westdeutscher Flächenländer angepasst. Darüber hinaus bedeutet jedoch jeder Einwohner, den das Land verliert, pro Jahr etwa ein Einnahmeausfall von 2.300 €. Insgesamt wird das derzeitige Haushaltsvolumen von 9,8 Milliarden € bis 2020 auf etwa 7,4 Milliarden € sinken – mithin um 24 Prozent und damit deutlich schneller als die Bevölkerungsentwicklung. Die Herausforderung der kommenden Jahre besteht also darin, alle staatlichen Aufgaben strikt Bevölkerungsanteil im Umland nach ihrer Notwendigkeit und Finanund den äußeren Regionen zierbarkeit zu überprüfen. Dabei wird 100 % die bestimmende Frage sein, wie staatliche Aufgaben und öffentliche Grundversorgung von Menschen in dünn be75 % siedelten und schrumpfenden Regionen gewährleistet werden kann. Derzeit erfolgt die Umgestaltung der öffentlichen 50 % Infrastruktur eher nachholend – in Zukunft wird es darauf ankommen, neue Angebote schneller in die Praxis umzu25 % setzen und nicht erst, wenn die Budgetlage keinen anderen Ausweg mehr zu lässt. Dabei werden gerade auch die 0% Kommunen eine entscheidende Rolle 1990 2020* 2050* Quelle: LDS, * = Prognose spielen. Land und Kommunen, aber perspektive21

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[ thomas kralinski ]

auch die Kommunen untereinander müssen, in Zukunft ihre Investitionsentscheidungen stärker miteinander koordinieren und besser als bisher deren langfristige Finanzierbarkeit und Folgelasten beachten. Gleichwohl wird es aber in einigen Bereichen auch zu einem Ausbau an sozialer Infrastruktur kommen müssen. Das starke Anwachsen der älteren Mitbürger – die Zahl der über 80jährigen wird sich bis 2020 mehr als verdoppeln – wird zu mehr Pflegedienstleistungen führen. Auf der anderen Seite erfordert der Rückgang der Kinderzahlen eine passgenauere und neu definierte Familienpolitik. Eine Familienpolitik, die auf der einen Seite das Ziel von mehr Kindern verfolgt. Auf der anderen Seite muss es gelingen, dass die vorhandenen Kinder besser als bisher ausgebildet werden, dass sie gesünder sind und soziale Verwahrlosungstendenzen – die in letzter Zeit immer häufiger zum Vorschein kommen – durchbrochen werden. Eine neue Familienpolitik wird auf mehr setzen müssen als auf eine exzellente Versorgung mit Kita-Plätzen – sie hat den Geburtenrückgang der neunziger Jahre auch nicht aufhalten können. Vielmehr bedarf es einer engen Verzahnung von Bildungs-, Gesundheits-, Arbeitsmarkt- und Familienpolitik. Der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt – und insbesondere die Schaffung familienfreundlicher Arbeitsplätze – wird eine entscheidende Rolle zukommen, wenn die Geburtenzahlen wieder steigen sollen und sich die Lücke zwischen Kinderwunsch (zwischen 1,7 und 2,4 Kinder pro Frau) und Realität (zwischen 1,1 und 1,3 Kindern pro Frau) geschlossen werden soll. Initiative und Verantwortung anstacheln Die auseinanderklaffende Entwicklung in den beiden verschiedenen Landesteilen wird dabei in den kommenden Jahren zu einem stärker werdenden ZentrumsPeripherie-Konflikt führen. Die jüngste Debatte um das neue Leitbild des Landes hat darauf einen ersten Vorgeschmack gegeben. Die Herausforderung an die politische Klasse wird entsprechend zunehmen, den Konflikt nicht zusätzlich anzuheizen sondern zu kanalisieren. Eine Voraussetzung dafür ist, dass überall im Land Verständnis für die Entwicklungen der kommenden Jahre geschaffen wird. Die Gratwanderung besteht dabei darin, nicht nur Frustration und ein Gefühl des „Abgehängtseins“ zu schaffen. Ein aufklärerischer Ansatz reicht dementsprechend nicht aus – er muss durch eine aktivierende Strategie ergänzt werden. Aktivierend in Richtung von mehr Eigenverantwortung und -initiative, von mehr Engagement für die eigene Region. Wenn selbst Unternehmer drohen, beim Ausbleiben von Fördermitteln aus dem Land gehen zu wollen – wie jüngst im Süden des Landes gedroht wurde –, 22

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[ die demografische transformation ]

kann es mit Unternehmertum und Eigeninitiative im Land nicht weit her sein. In den vergangenen Jahren haben sich die Menschen an die Fördermittel „gewöhnt“ – denn bisher war noch immer genügend davon da. Die Philosophie des Aufbaus Ost bestand darin, dass staatliche Mittel die Lücke zwischen Wirtschaftskraft Ost und West schließen. Ab 2008 nun werden die Solidarpaktmittel schrittweise zurückgefahren – ohne das bisher absehbar ist, dass sich die „Aufbaulücke“ geschlossen hat bzw. schließt. Fördermittel wird es also in Zukunft für alle weniger geben – die Frage ist, wie es gelingt, diesen Entwöhnungsprozess zu erklären. Und wie es gelingt, dass das „süße Gift“ Steuermittel von Initiative und Verantwortung abgelöst wird. Nur durch mehr sozialen Zusammenhalt werden die kommenden schwierigen Jahre zu bewältigen sein. Wie bedroht dieser Zusammenhalt ist, ist in letzter Zeit bereits mehrfach deutlich geworden. Kindesmisshandlungen, Angriffe auf ausländische Geschäfte, die Anti-Hartz-Demonstrationen sind Zeichen dafür. Noch viel mehr aber greift Desinteresse an der Entwicklung der Heimat, (demonstratives) Wegschauen und ein Ohnmachtsgefühl vieler Menschen um sich. Ohnmacht über das, was sie selbst leisten können und über das, was Politik und Gesellschaft überhaupt an Gestaltungsspielraum zuerkannt wird. Erst wenn die Menschen stärker als bisher erkennen, dass es auf sie selbst und ihr wohlverstandenes Eigeninteresse ankommt, wird sich auch Stimmung und Lage im Land verbessern. Und dann wird vielleicht auch in Orten wie Jüterbog wieder mehr Leben einkehren. ■

THOMAS KRALINSKI

ist Politikwissenschaftler und Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Brandenburger Landtag. perspektive21

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[ thomas kralinski ]

Literatur Landesumweltamt Brandenburg/Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik Brandenburg (Hg.), Bevölkerungsprognose des Landes Brandenburg für den Zeitraum 2003-2020, Potsdam 2004 Landesregierung Brandenburg, Zweiter Bericht der Landesregierung zum demografischen Wandel, Potsdam 2005 (i. E.) Landesumweltamt Brandenburg/Gemeinsame Landesplanungsabteilung BerlinBrandenburg (Hg.), Symposium Demographischer Wandel im gemeinsamen Planungsraum Berlin-Brandenburg, Potsdam 2003 Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik Brandenburg (Hg.), Statistisches Jahrbuch 2004, Potsdam 2004 Helmut Seitz, Perspektiven der ostdeutschen Kommunalfinanzen bis zum Jahr 2020, in: ifo Dresden berichtet, Heft 2/ 2004 Michaela Kreyenfeld/Dirk Konietzka, Familienpolitik und Geburtenentwicklung in Deutschland, in: Georg Milbradt/Johannes Meier (Hg.), Die demografische Herausforderung – Sachsens Zukunft gestalten, Gütersloh 2004 Steffen Kröhnert/Nienke von Olst/Reiner Klingholz, Deutschland 2020. Die demografische Zukunft der Nation, Berlin 2004 Wolfgang Kiel, Luxus der Leere. Vom schwierigen Rückzug aus der Wachstumswelt, Wuppertal 2004

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Finanzpolitik für Brandenburg WARUM DAS LAND SPAREN UND GLEICHZEITIG INVESTIEREN MUSS VON RAINER SPEER

In den kommenden Jahren steht Brandenburg ebenso wie alle anderen ostdeutschen Länder vor erheblichen finanzpolitischen Herausforderungen. Dabei liegen Risiken und Chancen viel näher beieinander, als dies in der öffentlichen Debatte oft wahrgenommen wird. Diese wird überwiegend von griffigen Schlagworten wie „leere Kassen“, „hohe Verschuldung“ und „Verschwendung von Fördermitteln“ bestimmt. Dabei entsteht ein Bild, das nicht nur als Folge seiner Eindimensionalität der tatsächlichen Finanzlage der ostdeutschen Bundesländer nicht gerecht wird. Vor allem blockiert diese Sicht den Blick auf die heute tatsächlich noch vorhandenen Handlungsmöglichkeiten, über die alle Ostländer verfügen, um das prophezeite „worst-case-Szenario“ zu verhindern. Auch in der Finanzpolitik spielt sich das Leben in Relationen ab. Im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung, wonach die Finanzlage der Ostländer besonders schlecht sei, ist darauf hinzuweisen, dass sie insbesondere durch die erhebli-

I.

chen Solidarpakt-Mittel sowie die Fördermittel der EU-Strukturfonds noch vergleichsweise gut ist. Besser jedenfalls, als dies bei vergleichbaren westdeutschen Flächenländern der Fall ist. Pro Einwohner hat Brandenburg derzeit etwa 1000 € mehr zur Verfügung als die finanzschwachen Vergleichsländer im Westen. Beste Förderkulisse Im innerdeutschen Wettbewerb um Ansiedlungen und Investitionen wird es bis zum Jahr 2019 nirgendwo eine attraktivere „Förderkulisse“ geben als im Osten. In dieser Tatsache liegt die Chance, die die neuen Länder jetzt ergreifen müssen, um bis zum Auslaufen des Solidarpakts wirtschaftlich und finanziell im wesentlichen auf eigenen Beinen stehen zu können. Nur wenn dieses Zeitfenster ungenutzt verstriche, träte das Negativszenario tatsächlich ein, das heute schon oft – und zwar zu Unrecht – plakativ an die Wand gemalt wird. Es geht nicht darum, die Probleme herunterzureden. Aber: perspektive21

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[ rainer speer ]

Noch hat der Osten alle Chancen, noch fließen ihm erhebliche Ressourcen zu, mit denen Wachstum und Entwicklung wirkungsvoll generiert und stimuliert werden können. Höchster „Mehrwert“ Deshalb kommt es in der Finanzpolitik entscheidend auf die richtige Balance zwischen der notwendigen Konsolidierung des Landeshaushaltes und der zielgerichteten Investition in die Zukunftspotenziale des Landes an. Während ersteres dazu dient, Einnahmen und Ausgaben des Landes dauerhaft in Übereinstimmung zu bringen, kann allein letzteres dazu beitragen, jene ausreichende wirtschaftliche Basis zu schaffen, auf deren Grundlage Brandenburg dann ab 2019 tatsächlich „auf eigenen Beinen“ stehen kann. Beide Ziele müssen zugleich verfolgt werden. Diesem Ansatz hat sich die brandenburgische Landesregierung verschrieben. Die Finanzpolitik hat damit die zentrale Aufgabe, die notwendigen finanziellen Ressourcen für den „zweiten Aufbruch“ (Matthias Platzeck) zu sichern und zur Verfügung zu stellen. Dies kann aber nur dann gewährleistet werden, wenn die knappen Mittel beherzt auf jene Politikfelder konzentriert werden, die langfristig den höchsten „Mehrwert“ für die Entwicklung des ganzen Landes versprechen. 26

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Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU in Brandenburg folgt genau dieser Überlegung. Dort heißt es, die Koalitionspartner seien sich einig, „dass der eingeschlagene Konsolidierungskurs zur Sicherung der Handlungsfähigkeit der Politik zwingend notwendig ist und konsequent fortgesetzt werden muss“. Und weiter: „Die Koalition setzt sich eine weitgehende Sanierung des Haushalts zum Ziel, um keine weiteren Hypotheken auf die Zukunft zu legen. Die Nettokreditaufnahme soll bei Einnahmen gemäß mittelfristiger Finanzplanung (2003-2007) bis spätestens 2010 auf Null reduziert sein, so dass es danach möglich ist, Schulden abzubauen.“ Sanieren und Investieren Ausdrücklich hebt der Koalitionsvertrag damit auf den untrennbaren Zusammenhang von Sanierung des Haushaltes und Sicherung der Handlungsfähigkeit der Politik ab. Im Klartext: Der Konsolidierungskurs ist kein Selbstzweck. Weder ist er ein „landespolitisches Abbruchunternehmen“, noch wird „das Land dabei kaputt gespart“, wie uns Kritiker vorwerfen. Das ist eine politische Verzeichnung, die mit der tatsächlichen Entwicklung im Land auch nicht in Übereinstimmung steht. Es gibt deshalb jeden Grund, derartiger Kritik aus Überzeugung klar und eindeutig entgegenzutreten. Erst der Verzicht auf den be-


[ finanzpolitik für brandenburg ]

schriebenen Zusammenhang von Konsolidierung und Investitionen würde das Land in eine Situation führen, in der die Handlungsfähigkeit der Politik tatsächlich verloren ginge und die Förderung politisch vorrangiger Schwerpunkte nicht mehr möglich wäre. Der brandenburgische Landeshaushalt umfasst in den Jahren 2005/2006 jeweils rund 10 Milliarden €. Brandenburg verfügt damit – wie die anderen Ostländer auch – über eine überdurchschnittliche, um etwa ein Drittel bessere Finanzausstattung als vergleichbare westliche Flächenländer. Bei allen Problemen, vor denen die Landesfinanzen stehen: Das ist ein Pfund, mit dem man wuchern muss – und Brandenburg tut das auch. Um das an einem Beispiel zu illustrieren: Die Landesregierung ist sich der zentralen Bedeutung von Wissenschaft und Forschung bewusst. Deshalb ist es trotz der beschlossenen Konsolidierungsmaßnahmen in vielen anderen Bereichen gelungen, die Ausgaben für diesen Bereich mit rund 340 Millionen € pro Jahr stabil zu halten. Brandenburg sichert damit nicht nur das Bestehende, sondern baut die Wissenschaftslandschaft sogar weiter aus: Vor kurzem ist an der BTU Cottbus das ambitionierte „Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum“ (IKMZ) eingeweiht worden. Um diese international viel beachtete „Universitätsbibliothek der Zukunft“

II.

beneiden uns viele andere Universitätsstandorte in Deutschland. Verwirklicht aber wurde sie für rund 32 Millionen € in der Lausitz. In Wildau wird gerade eine denkmalgeschützte Industriehalle für die Nutzung durch die dortige Technische Fachhochschule umgebaut. An der FH Senftenberg hatte ich jüngst Gelegenheit, am Spatenstich für ein neues Institutsgebäude für Biotechnologie teilzunehmen. Das allein sind schon drei Beispiele aus nur einem Jahr, die bekräftigen, was trotz angespannter Finanzlage in Brandenburg alles „noch geht“. Wer das nicht anerkennt, sollte einen nüchternen Blick auf die Zustände in vielen anderen deutschen Hochschulstandorten werfen, in denen Vergleichbares eben nicht stattfindet. Ressourcen freisetzen Dieser weitere Ausbau der für das Land entscheidenden Entwicklungsmotoren ist nur möglich, wenn die Finanzpolitik umgekehrt durch Konsolidierung und Konzentration die dafür benötigten finanziellen Ressourcen freisetzt. Wer das letztere nicht will, kann das erstere nicht tun. Dies ist – hier am Beispiel von Wissenschaft und Forschung dargestellt – der Zusammenhang, um den es mir immer geht. Zugespitzt: Der Konsolidierungsansatz in der Finanzpolitik begrenzt nicht die Entwicklungschancen des Landes, sondern ermöglicht erst, sie auch zu nutzen. Es geht perspektive21

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[ rainer speer ]

also bei der Konsolidierung nicht ums „Sparen“ allein, sondern darum, dass politisches „Gestalten“ in Brandenburg auch in Zukunft möglich bleibt. Genau dies ist gemeint, wenn der Koalitionsvertrag von der „Sicherung der Handlungsfähigkeit der Politik“ spricht. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich dieser Ansatz auch öffentlich ohne jede Vorbehalte und aus Überzeugung vertreten lässt – gerade auch von Sozialdemokraten! Ausgaben begrenzen Obwohl Brandenburg erhebliche Mittel aus dem Solidarpakt und aus Brüssel erhält, sieht der Entwurf des Doppelhaushalts 2005/2005 bei einem Gesamtvolumen von 10 Milliarden € jährlich eine Ermächtigung zur Kreditaufnahme von 976 Millionen € in 2005 und 831 Millionen € in 2006 vor. Damit sinken die Kreditermächtigungen gegenüber den Vorjahren zwar deutlich und auch die Kreditfinanzierungsquote unterschreitet die 10-Prozent-Marke. Dennoch handelt es sich ohne Zweifel um hohe Summen. In ihnen kommt – verkürzt gesagt – zweierlei zum Ausdruck: Erstens, dass Brandenburg nach wie vor über seine Verhältnisse lebt. Auch mit überdurchschnittlicher Finanzausstattung kann das Land derzeit noch nicht auf weitere Kreditaufnahmen verzichten. Dahinter verbirgt sich die Notwendigkeit, die 28

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gesamte Struktur des Landeshaushalts kritisch zu durchforsten, Aufgaben zu reduzieren und Ausstattungsvorsprünge zu beseitigen. Diese Aufgabe ist schwieriger, als oft angenommen wird. Denn der weit überwiegende Teil des Haushaltes ist dem Grunde und vielfach auch der Höhe nach bundesoder landesrechtlich gebunden oder besteht aus Dritt- und Kofinanzierungsmitteln und ist damit dem sofortigen Konsolidierungszugriff entzogen. Natürlich lassen sich auch rechtliche Bindungen lösen – dies aber setzt entsprechende gesetzliche Änderungen voraus, die kurzfristig nur begrenzt machbar sind. Messbare Erfolge Dennoch ist es unzutreffend, die Notwendigkeit der Kreditaufnahme allein auf die Ausgabenstruktur des Haushaltes zurückzuführen. Die Zeiten einer expansiven Ausgabenpolitik sind auch in Brandenburg lange vorbei. Bei der Begrenzung der Landesausgaben sind auch in den letzten Jahren messbare Erfolge erzielt worden. So bleibt das Haushaltsvolumen 2005/2006 in etwa stabil, obwohl der Etat erhebliche durchlaufende Posten (z.B. Hartz IVMittel 190 Millionen €, Ganztagsschulförderung 32,5 Millionen €) enthält. Die laufenden Ausgaben entwickeln sich in Brandenburg im Ländervergleich unterdurchschnittlich. Auch


[ finanzpolitik für brandenburg ]

die Entwicklung der Personalausgaben konnte in Brandenburg trotz Tarifsteigerungen erfolgreich stabilisiert werden, während sie in vielen Ländern kontinuierlich angestiegen sind. Darin kommt zum Ausdruck, dass die Begrenzung der Ausgaben in Brandenburg zu greifen beginnt, obwohl dies bei einer globalen Betrachtung des Haushaltsvolumens (noch) nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Die Ausgabenstruktur allein kann die Notwendigkeit der Kreditermächtigungen also nicht begründen. Massive Einnahmeausfälle Hier kommt der zweite Aspekt ins Spiel: Die Situation der öffentlichen Haushalte in Bund und Ländern kann nicht verstanden werden ohne die Berücksichtigung der Einnahmeentwicklung in den letzten Jahren. Diese ist von massiven Steuerausfällen durch die Steuerreformen und die anhaltend schwache wirtschaftliche Entwicklung in ganz Deutschland gekennzeichnet. Die Einnahmen der öffentlichen Haushalte sind damit wieder etwa auf das Niveau von 1995 zurückgefallen. Die dadurch entstandenen Einnahmeausfälle gegenüber den Erwartungen veranschlagen wir allein für Brandenburg auf bis zu 1 Milliarde € jährlich (im Jahr 2003). Kein Haushalt in Deutschland kann Ausfälle in dieser Höhe einfach „wegstecken“ oder ih-

nen „hinterher sparen“. Das gilt nicht nur für Ostdeutschland, das gilt für die westdeutschen Länder in der Regel ganz genauso. Auch sie stehen mittlerweile zumeist mit dem Rücken an der Wand. Was wirklich geht Für Brandenburg machen diese Einnahmeausfälle bis zu 10 Prozent des gesamten Haushaltsvolumens aus. Derartige Summen sind im Rahmen von sofortigen Ausgabereduzierungen schlichtweg nicht verkraftbar. Auch das Wegbrechen der Steuereinnahmen führt also zu einem entsprechenden Kreditbedarf der Länder. Die Landesregierung hatte dies bei der Aufstellung des Haushaltes entsprechend den Verabredungen des Koalitionsvertrages zu berücksichtigen. Sie hat sich dafür entschieden, die zusätzlichen Einnahmeausfälle durch die letzte Steuerschätzung je zur Hälfte zusätzlich durch Einsparungen zu erbringen und durch eine entsprechende Anpassung der Kreditermächtigung abzudecken. Nun gibt es Forderungen aus der Landespolitik, „noch mehr“ zu sparen und die Neuverschuldung „stärker abzusenken“. Als Finanzminister bin ich der letzte, der gegen dieses Anliegen etwas einzuwenden hätte. Nur: Ich habe bis heute keine belastbaren Vorschläge gehört, wie dieses Ziel in der Praxis umgesetzt werden kann. Bis dahin orientiere ich mich an dem, „was wirklich perspektive21

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[ rainer speer ]

geht“ statt an dem, was zwar sofort bestellt, aber nicht geliefert werden kann.

Entwicklungsannahmen für die Region Berlin-Brandenburg. Damals sollte das strukturschwache Land durch massive Investitionen zügig den Prozess der nachholenden Modernisierung und des Anschlusses an das „Westniveau“ schaffen. 1992 betrug die Investitionsquote in Brandenburg sagenhafte 35,5 Prozent! Es ist aus heutiger Sicht leicht, über diese Politik den Stab zu brechen. Es ist auch müßig. Wenn man aus dem Rathaus kommt, ist man immer klüger. Rückblickend lässt sich jedenfalls feststellen, dass Brandenburg damals auf das fal-

Nachholende Modernisierung Brandenburg ist derzeit mit 17,1 Milliarden € verschuldet. Es ist davon auszugehen, dass die Verschuldung des Landes bis 2010 mit etwas über 20 Milliarden € ihren Scheitelpunkt erreichen wird. Dieser hohe Schuldenstand ist in Brandenburg vor allem eine Folge der Ausgabenpolitik der frühen neunziger Jahre nach der Wende mit ihren optimistischen Wachstums- und

Schuldenstand und Nettokreditaufnahme bzw. -ermächtigung jährliche Nettokreditaufnahme Mio. €

Mio. € kumulierter Schuldenstand 25.000

2.500

20.000

2.000

15.000

1.500

10.000

1.000

5.000

2008**

2007**

2006*

2005*

2004

2003

2002

2001

2000

1999

1998

1997

1996

1995

1994

1993

1992

1991

0

500

0

* Entwurf ** Mittelfristige Finanzplanung Quelle: MdF

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[ finanzpolitik für brandenburg ]

sche Pferd gesetzt hatte und sich die entsprechenden hochfliegenden Erwartungen so nicht erfüllt haben. Nur Sachsen ist im Osten einen grundsätzlich anderen Weg gegangen – deshalb steht unser Nachbar im Süden heute bei der Verschuldung und den Zinslasten deutlich besser da. Wir „sparen“ noch nichts Erst nach dem Jahr 2010 wird Brandenburg beginnen können, seine Verschuldung abzutragen. Umgekehrt bedeutet das: Obwohl der „Sparkurs“ der Landesregierung in aller Munde ist, „sparen“ wir bis dahin im Grunde genommen gar nichts, sondern sind weiterhin gezwungen, neue Schulden zu machen. Nun ist allgemein anerkannt, dass die Begrenzung der Verschuldung eine Pflicht ist, um den nachfolgenden Generationen nicht alle Spielräume zu nehmen. Für die Begründung der Konsolidierungsanstrengungen ist dies auch ein wichtiges Argument. Weniger bekannt ist dagegen, in wie starkem Maße die Verschuldung bereits heute die Handlungsmöglichkeiten des Landes limitiert. Im vergangenen Jahr musste Brandenburg fast 850 Mllionen € für den Schuldendienst aufwenden, ein hoher Betrag, der für aktive Politikgestaltung nicht mehr zur Verfügung steht. Dabei profitiert auch Brandenburg von dem derzeit äußerst niedrigen Zinsniveau, so

dass der ursprüngliche Ansatz sogar unterschritten wurde. Dies muss aber nicht immer so bleiben. Bereits geringfügige Änderungen des Zinsniveaus können erhebliche Auswirkungen auf die Schuldendienstzahlungen des Landes haben. Dieses Risiko unterstreicht die Notwendigkeit der Konsolidierung noch einmal zusätzlich. Verengte Spielräume Anschaulicher werden die Auswirkungen, die die Verschuldung bereits heute auf die Spielräume der Finanzpolitik hat, wenn man sich die Pro-Kopf-Ausgaben in verschiedenen Ländern näher ansieht. Im Jahr 2005 gibt Brandenburg je Einwohner 3.875 € aus („Primärausgaben“: Personal, Sachausgaben, Investitionen, konsumtive und investive Zuweisungen, Zinsen). Zum Vergleich: Sachsen wendet pro Einwohner 3.586 € auf. Nun könnte man daraus den Schluss ziehen, in Brandenburg fände mehr Politik für die Bürger statt, sie erhielten mehr Leistung vom Staat. Doch der Eindruck täuscht. Bereinigt man die Zahlen nämlich um die Aufwendungen für den Schuldendienst, schmilzt der Vorsprung Brandenburgs fast vollständig zusammen: 3.494 € in Brandenburg stehen dann 3.428 € in Sachsen gegenüber. Das bedeutet, dass der wesentliche Strukturunterschied zwischen Brandenburg und Sachsen im perspektive21

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Bereich der Zinsausgaben besteht, was ursächlich durch die unterschiedliche Höhe der Verschuldung bedingt ist. Diese liegt in Sachsen derzeit bei rund 11,8 Milliarden € bei 4,3 Millionen Einwohnern. Dieser Vergleich zeigt aus meiner Sicht eindrucksvoll, wie stark die entsprechenden Lasten bereits heute – und nicht erst in der fernen Zukunft der nachfolgenden Generationen – die finanziellen Handlungsmöglichkeiten begrenzen. Die Begrenzung und Rückführung der Verschuldung liegt damit also auch im Interesse bereits der heutigen und nicht nur der zukünftigen Generationen. Der Staat muss sich wieder „Luft verschaffen“ – diesem Ziel dient der in der Koalition verabredete Konsolidierungskurs. Aufgaben reduzieren Der Entwurf des Doppelhaushaltes 2005/2006 sieht deshalb strukturelle Einsparungen von knapp 270 Millionen € vor, von denen – in unterschiedlicher Höhe – alle Ressorts betroffen sind. Der Staat muss sich Schritt für Schritt auf seine Kernaufgaben beschränken. Ich plädiere in diesem Zusammenhang seit längerem dafür, den abgenutzten Begriff der „Aufgabenkritik“ durch den klareren der „Aufgabenreduzierung“ zu ersetzen. Denn genau das ist gemeint. Das politische Problem dabei ist: Während sich der „schlanke 32

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Staat“ in der öffentlichen Debatte stets breiter Zustimmung erfreut, sieht es immer dann anders aus, sobald die Aufgabenreduzierung konkret wird. Auch dieser Auseinandersetzung muss man sich offen stellen: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ kann jedenfalls keine Maxime der Finanzpolitik sein. 7.400 Stellen weniger Die Landesregierung hat Anfang des Jahres auch ihre Personalbedarfsplanung fortgeschrieben. Etwa 26 Prozent der Ausgaben des Landes entfallen auf Personalkosten. Dies ist – bedingt durch Ost-Tarif und geringere Versorgungslasten – noch unterdurchschnittlich. Zum Vergleich: In den westdeutschen Ländern liegt der Personalausgabenanteil im Durchschnitt bei 40 Prozent. Allerdings werden Tariferhöhungen, die absehbare OstWest-Gehaltsangleichung und das Aufwachsen der noch sehr niedrigen Versorgungslasten des Landes – von derzeit knapp 30 Millionen € auf geschätzte 450 Millionen € im Jahr 2020 – zusätzliche Kosten verursachen. Vor diesem Hintergrund muss die Landesregierung weiterhin aktiv bleiben, um die Dynamik der Personalkostenentwicklung zu begrenzen und insgesamt im Griff zu behalten. Derzeit verfügt die brandenburgische Landesverwaltung über etwa


[ finanzpolitik für brandenburg ]

57.500 Stellen. Sie sollen bis zum Jahresende 2009 auf rund 50.100 reduziert werden – also um 7.400 Stellen innerhalb von fünf Jahren. Es geht dabei darum, die Personalausstattung des Landes dauerhaft an den Bedarf und an die langfristigen finanziellen Möglichkeiten des Landes anzupassen. Demografische Effekte spielen dabei eine wichtige Rolle, etwa wenn es um den veränderten Bedarf an Lehrerstellen geht. Auch bei diesem Thema ist der in der Öffentlichkeit verbreitete Eindruck nicht richtig: Bereits seit mehreren Jahren hat Brandenburg sein

Landespersonal erfolgreich und deutlich abgebaut – allein seit 2000 um 8.700 Stellen. Dies hat bereits jetzt günstige Auswirkungen auf den Landeshaushalt. Es ist ein wichtiger Erfolg, dass der Weg zur Begrenzung der Personalausgaben im Konsens mit den Gewerkschaften beschritten werden konnte, mit denen ein entsprechender „Solidarpakt“ abgeschlossen wurde – ein erfolgreiches Modell einer „Konsolidierung im Konsens“. Deshalb sollte am „Solidarpakt“ mit den Gewerkschaften keinesfalls gerüttelt werden.

Stellenvergleich der Landesverwaltung Brandenburg mit finanzschwachen westdeutschen Flächenländern und Sachsen Brandenburg 2009

19,9

Schleswig-Hostein 2005

19,5

Niedersachsen 2004

19,6

Sachsen 2004

22,7

Rheinland-Pfalz 2005

20,6

Brandenburg 2005

22,1 17

18

19

20

21

22

23

Stellen je 1.000 Einwohner

Fazit: Brandenburg erreicht selbst 2009 immer noch nicht den Vergleichswert von Schleswig-Holstein aus dem Jahre 2005 Quelle: MdF, Basis sind die in Haushaltsplänen ausgewiesene Stellen

perspektive21

33


[ rainer speer ]

Die Anstrengungen der Landesregierung zur Begrenzung der Ausgaben und Konsolidierung des Haushaltes ermöglichen umgekehrt erst, die immer noch erheblichen Ressourcen des Landes auf die zentralen Entwicklungspotenziale zu konzentrieren. Mit Bildung, Wissenschaft und Wirtschaftsförderung hat die Koalition entsprechende Politikfelder als „politische Prioritäten“ definiert. Ihre Vorrangstellung ist im Doppelhaushalt finanzpolitisch abgebildet.

III.

Zweithöchste Investitionsquote Die Ausgaben für Wissenschaft und Forschung im Land bleiben stabil. Die Ausgaben für Bildung steigen von 283 Millionen € im Jahr 2004 auf 331 Millionen € im Jahr 2005 um rund 16 Prozent an. Zurückzuführen ist dies u.a. auf das Ganztagsschulprogramm, die steigende Nachfrage bei Kitas und höhere Zahlungen Brandenburgs für das Gastschülerabkommen mit Berlin. Was oft übersehen wird: Obwohl die Zuschüsse für Privatschulen prozentual leicht abgesenkt werden sollen, steigt der Gesamtbetrag auch hier aufgrund steigender Schülerzahlen an. Schließlich bleibt der geltende KitaRechtsanspruch in Brandenburg und damit eins der bundesweit besten Kinderbetreuungssysteme unangetastet. Ein politisch gewollter „Ausstattungsvorsprung“, den Brandenburg sich als 34

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kinderfreundliches Land auch in Zukunft leisten wird. Einen deutlichen Aufwuchs erfährt schließlich die dritte politische Priorität: die Wirtschafts-, Technologie- und Innovationsförderung. Hier steigen die Ausgaben von knapp 1 Milliarde € auf über 1,1 Milliarden € deutlich an. Mit diesen bewussten politischen Schwerpunktsetzungen investiert Brandenburg in seine Zukunft. Niemand bestreitet, dass die Finanzlage angespannt ist. Es kann aber überhaupt keine Rede davon sein, dass „kein Geld“ mehr da ist. Ein Ausdruck dieser Konzentration der Mittel ist eine hohe Investitionsquote von 20,7 Prozent in 2005 und 20,4 Prozent in 2006 – dies ist nach Sachsen die zweithöchste Investitionsquote aller Länder. Auch deshalb ist der vorgelegte Etat ein „Haushalt der Investitionen“ bezeichnet, der es zugleich leistet, strukturelle Einsparungen vorzunehmen und die Kreditermächtigungen abzusenken. Konsolidieren und investieren – es ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Brandenburg muss, um den „zweiten Aufbruch“ zu gestalten, beides tun. Der Solidarpakt II Mit dem Solidarpakt II steht den ostdeutschen Ländern dafür befristet ein zusätzlicher und unverzichtbarer finanzieller „Treibstoff“ zur Verfügung. Aus dem so genannten „Korb 1“ erhalten sie


[ finanzpolitik für brandenburg ]

bis 2019 insgesamt 105 Milliarden €. Aus dem „Korb 2“ noch einmal 51 Milliarden €. Brandenburg wird aus den Leistungen des Solidarpakts II bis zum Jahr 2019 etwa 15 Milliarden € erhalten. Dies ist eine erhebliche Solidarleistung in Deutschland und keine Selbstverständlichkeit. Dies gilt es anzuerkennen. Dieser beachtliche Beweis innerdeutscher Solidarität mit den ostdeutschen Ländern ist umso höher einzuschätzen, als Wirtschaftsflaute und Steuerausfälle auch in den Kassen der westdeutschen Länder ihre Spuren hinterlassen haben. Die politische Auseinandersetzung mit dem

Bund und den anderen Ländern um die berechtigten Ansprüche des Ostens muss deshalb gleichermaßen mit Nachdruck wie mit Augenmaß geführt werden. Mit Nachdruck dort, wo es um die verbindliche Festschreibung von Leistungen geht, die bislang zwar politisch zugesagt, aber noch nicht gesetzlich verankert sind. Dies betrifft den „Korb 2“ des Solidarpakts, für den alle ostdeutschen Länder eine gesetzliche Regelung fordern. Dieses Thema bleibt auch aus brandenburgischer Sicht weiter auf der Tagesordnung. Mit Augenmaß muss die Debatte dort geführt werden, wo es um die verant-

Solidarpakt II: Neuregelung der Sonderbedarfsergänzungszuweisungen Mio. € 1.600 1.400 1.200 1.000 800 600 400 200

2019

2018

2017

2016

2015

2014

2013

2012

2011

2010

2009

2008

2007

2006

2005

0

Quelle: MdF

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[ rainer speer ]

wortungsvolle Verwendung der Solidarpakt-Mittel oder um Ansprüche geht, die über den Solidarpakt II hinausgehen. Ich rate sehr dazu, keinen Illusionen nachzuhängen. Es wird keinen Solidarpakt III geben. Das bedeutet: Bis 2020 müssen die Ostländer ihre Finanzen konsolidiert haben und wirtschaftlich auf die Beine gekommen sein. Gelingt dies nicht, findet hier keine Politik mehr statt. Dies umreißt – in kurzen Worten – die politische Herausforderung, vor der auch Brandenburg steht. Es sind insbesondere auch diese Solidarpakt-Mittel, die dem Land derzeit noch seine vergleichsweise überdurchschnittliche Finanzausstattung sichern. Zu wenig bekannt ist dagegen in der Öffentlichkeit, dass diese Mittel ab dem Jahr 2009 Schritt für Schritt bis zum Auslaufen des Solidarpakts um durchschnittlich etwa 10 Prozent im Jahr zurückgehen werden. Erst dann wird Brandenburg tatsächlich weniger Geld zur Verfügung haben. Die Debatte um den „Sparkurs“ spielt sich damit derzeit vor dem Hintergrund eines Einnahmeniveaus ab, das in absehbarer Zeit nicht mehr bestehen wird. Die Landespolitik ist gefordert, sich bereits jetzt auf diese Entwicklung vorausschauend einzustellen. Auf Normalniveau Das Abschmelzen des Solidarpakts trägt neben anderen Faktoren dazu bei, dass sich das Haushaltsvolumen des Landes 36

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von heute 10 Milliarden € auf schätzungsweise nur noch rund 7,5 Milliarden € im Jahr 2020 reduzieren wird. Ein Rückgang um ein Viertel, der die Notwendigkeit, Einnahmen und Ausgaben des Landes dauerhaft in Übereinstimmung zu bringen, noch einmal unterstreicht. Für Dramatisierungen bietet diese Entwicklung dennoch keinen Anlass. Ich bin davon überzeugt, dass sie sich gestalten lässt. Die Geschäftsgrundlage der Förderung des Aufbaus Ost war jedem von Anfang an klar: Sie war immer als zeitlich befristet und damit als endlich gedacht. Anders ausgedrückt: Mit dem Auslaufen des Solidarpakts II kehrt im Osten finanzwirtschaftliche „Normalität“ ein – mit einem Ausstattungsniveau der öffentlichen Haushalte, auf dem sich vergleichbare Westländer heute schon befinden. Bis dahin bleiben die Solidarpakt-Gelder eine besondere „Trumpfkarte“ des Ostens, die es klug zu spielen gilt, um den höchsten „Mehrwert“ an Entwicklung zu realisieren. EU: Karten neu gemischt Ähnliches gilt für die Unterstützung durch die Europäische Union. Über 6 Prozent der Einnahmen Brandenburgs bestehen derzeit aus EU-Mitteln. Die aktuelle Förderperiode, die den ostdeutschen Ländern bislang die Höchstförderung und Brandenburg rund drei Milliarden € für Strukturpolitik sicherte, wird mit dem Jahr 2006 auslaufen. Danach


[ finanzpolitik für brandenburg ]

werden die Karten neu gemischt. Über die Entscheidung der Landesregierung, das Land fördertechnisch in zwei „Förderperioden“ aufzuteilen, hat es erhitzte Diskussionen gegeben. Derzeit ist noch offen, welchen Förderstatus das Land in der nächsten Förderperiode erhalten wird, mit einer entsprechenden Entscheidung ist möglicherweise erst im kommenden Jahr zu rechnen. Eine realistische Einschätzung der Förderperspektiven kann aber so oder so nur zu dem Ergebnis kommen, dass die ostdeutschen Länder in den nächsten Jahren mit weniger Geld aus Brüssel werden rechnen können – und zwar ganz unabhängig von dem formalen Förderstatus. Das heißt: Auch „Ziel 1-Höchstförderung“ wird nach dem Jahr 2006 nicht mehr dasselbe bedeuten wie „Ziel 1“ heute. Am 1. Mai 2004 sind zehn neue Staaten der EU beigetreten, die meisten davon deutlich wirtschaftsschwächer und damit unterstützungsbedürftiger als es die ostdeutschen Länder heute sind. Der EUHaushalt wird sich hingegen nicht entsprechend dem zusätzlichen Bedarf erhöhen. Allein aus diesem Grund schon ist es unrealistisch, auf eine gleichbleibend hohe Unterstützung durch die EU zu hoffen. Positive Entwicklungen Dass die ostdeutschen Länder mit weniger Unterstützung rechnen müssen, hat natürlich auch mit den seit

1990 erzielten Entwicklungsfortschritten zu tun. Sie sind nicht so groß wie Anfang der neunziger Jahre erhofft und bislang auch noch nicht ausreichend, um ein selbsttragendes wirtschaftliches Wachstum hervorzubringen. Trotzdem sind unbestreitbar erhebliche Fortschritte erzielt worden, die die Situation in vielen Bereichen wesentlich verbessert haben. Dies muss dann auch als positive Entwicklung anerkannt werden, anstatt darüber Klage zu führen, dass man möglicherweise aus dem Status der „ärmsten EU-Regionen“ herauszufallen „droht“. Dennoch ist klar, dass Brandenburg auch nach 2006 noch auf eine angemessene Förderung aus den EU-Strukturfonds angewiesen bleibt. Die Landesregierung setzt sich deshalb mit Nachdruck dafür ein, dass die Interessen des Landes im Rahmen der Förderkulisse der nächsten EUFörderperiode ausreichend berücksichtigt werden. Nimmt man alle Förderungen und Transferzahlungen zusammen, dann gibt es vermutlich weltweit keine zweite Wirtschaftsregion, die derart massiv von Unterstützung von außen profitiert hat wie Ostdeutschland seit 1990. Dies wirft verständlicherweise immer wieder die Frage nach dem Erreichten, nach der Zwischenbilanz des „Aufbaus Ost“ auf. Dabei fehlt es nicht an schrillen Wortmeldungen – erst jüngst wieder hat es ein Buch mit

IV.

perspektive21

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[ rainer speer ]

dem Titel „Supergau Deutsche Einheit“ zum Bestseller gebracht. Die Realität in Ostdeutschland treffen solch pauschale Einschätzungen nicht. Tatsächlich fällt die bisherige Bilanz des „Aufbaus Ost“ gespalten und damit differenzierter aus: Erhebliche Fortschritte wurden beim Ausbau der Infrastruktur, der Sanierung der Städte, der Verbesserung der Umweltqualität und der Entwicklung einer leistungsfähigen Hochschullandschaft erzielt. Entgegen beliebten Vorurteilen, die auch durch beständige Wiederholung nicht richtiger werden, konzentrieren sich diese Entwicklungsfortschritte keineswegs nur auf die Metropolen und großen Städte, auch wenn nicht bestritten werden kann, dass die Infrastrukturlücke nach wie vor nicht geschlossen ist. Weitere Anstrengungen sind also erforderlich. Aufbau Ost: kein „Supergau“ Man darf auch durchaus daran erinnern, dass wir heute von manchen Problemen gar nicht mehr reden müssen, die in den neunziger Jahren noch ein wichtiges Thema waren – eben weil sie gelöst wurden. Die Wohnungsnot gehört zum Beispiel dazu. Auch „immaterielle“ Errungenschaften wie Demokratie, Rechtsstaat, kommunale Selbstverwaltung und freie Medien verbieten es aus meiner Sicht, von einem „Supergau“ zu reden. Auch sie gehören zu einer Zwischenbilanz des „Aufbaus 38

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Ost“ dazu. Derartige Leistungen und Erfolge kann nur gering schätzen, wem die Maßstäbe der Kritik gehörig verrutscht sind. In dieser Nacht werden dann alle Katzen grau. Was die bisherigen Anstrengungen dagegen nicht erreicht haben, ist eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland, eine ausreichend starke produktive Basis, um dauerhaft aus „eigener Kraft“ bestehen zu können. Angesichts der massiven finanziellen Förderung des „Aufbaus Ost“ ist wenig einleuchtend, dass dieses Ziel aus Mangel an Geld verfehlt worden sein soll. Mentalitätswechsel nötig Dieser Befund ist in Brandenburg Ausgangspunkt für die Diskussion um eine Neuausrichtung der Förderpolitik, der Konzentration der Mittel auf Wachstumskerne und Entwicklungsmotoren, die auf die umliegenden Regionen ausstrahlen sollen. „Die Stärken stärken“ – zum Nutzen des gesamten Landes. Es ist ein Missverständnis, dass dabei das Berliner Umland zu Lasten oder sogar auf Kosten der berlinferneren Regionen gestärkt werden soll. Worum es geht ist, Entwicklung überall dort konzentriert zu fördern, wo sich entsprechende Ansatzpunkte finden – unabhängig davon, wo sich diese regional befinden. Das bedeutet umgekehrt, dass für eine entsprechende Konzentration von Förderungen ein regionaler oder lokaler „Re-


[ finanzpolitik für brandenburg ]

Brandenburg – Demografische Eckwerte 1990

1990/91: Einsetzen starker Geburtenrückgang

1993/94: Schließung Kitas

2000

2003/04: Beginn Reduzierung Sekundarschulstandorte

2010

2010: Beginn Fachkräftemangel

2020

2020/25: Letzte geburtenstarke Jahrgänge (1960-65 vor „Pillenknick“) gehen in Rente

1997/98: Beginn Reduzierung Grundschulstandorte

2006-2011: Reduzierung Schulabgängerzahlen um 60 %

2010: Pflegekapazitäten werden knapp

2014: Zahl der Hochbetagten (>80 J.) ggü. 2000 verdoppelt

ca. 2025: Weniger Erwerbstätige und mehr Rentner: Rentensystem akut gefährdet

2025/30: Erstes demografisches Echo Die nach 1990 nicht geborenen Kinder fehlen als Eltern – erneuter Rückgang der Geburtenzahlen

2030

2035/40: Letzte geburtenstarke Jahrgänge (1960-65 vor „Pillenknick“) werden Hochbetagte (> 80 J.)

2040 ca. 2040: Erneuter Anstieg Pflegebedarf

2050

Nach 2040 Schätzung: Bevölkerungszahl wird unter 2 Mio. Ew fallen (2003: 2,574 Mio.)

2050: Zweites demografisches Echo Die 2025/30 nicht geborenen Kinder fehlen als Eltern – erneuter Rückgang der Geburtenzahlen

perspektive21

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[ rainer speer ]

sonanzboden“ vorhanden sein muss, der mit einiger Wahrscheinlichkeit verspricht, mit den eingesetzten Mitteln auch die höchstmöglichen Effekte zu erzielen. Wo dieser „Resonanzboden“ aus vernetzter lokaler und regionaler Kompetenz hingegen fehlt, wird auch mit hoher finanzieller Förderung voraussichtlich kein wirtschaftlicher Entwicklungsfortschritt zu erwarten sein. Auch dies ist eine Lehre aus den Erfahrungen der letzten 15 Jahre. Neben der konzeptionellen Neuausrichtung der Förderpolitik selbst, an der die Landesregierung arbeitet, ist deshalb auch ein förderpolitischer „Mentalitätswechsel“ aller Akteure erforderlich: Von input zu output – nicht die Sicherung des höchsten Fördermittelanteils ist der Maßstab für politischen oder wirtschaftlichen „Erfolg“, sondern die damit realisierten Ergebnisse und Entwicklungsfortschritte. Über diese Fragen muss im Land eine breite und offene Diskussion geführt werden. Sie wird auch die demografische Entwicklung berücksichtigen müssen, die die Rahmenbedingungen für Landespolitik grundlegend verändern und durch den Einwohnerrückgang die Einnahmen des Landes aus dem Länderfinanzausgleich verringern wird. Ausdünnung und Verdichtung Brandenburg mit der Metropole Berlin in seiner Mitte ist von besonders un40

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gleichzeitigen Entwicklungen betroffen. Hier ist es nicht allein und nicht einmal in erster Linie der Bevölkerungsrückgang selbst, der die Politik vor neue Herausforderungen stellt. Denn anders als andere Regionen ist Brandenburg massiv von „Ausdünnung“ und „Verdichtung“ zugleich betroffen: 1990 lebten rund 30 Prozent der Märker im Berliner Umland und rund 70 Prozent in der Peripherie des Landes. Für das Jahr 2020 dagegen wird ein Bevölkerungsanteil von rund 40 Prozent im Berliner Umland und nur noch knapp 60 Prozent in der Peripherie prognostiziert. Die Besiedelung in vielen Regionen des Landes nähert sich damit „skandinavischen Verhältnissen“. Die vorhandenen Förderinstrumentarien müssen deshalb auch auf ihre „Demografiefestigkeit“ hin überprüft werden. Die Chancen nutzen Dies sind – in groben Zügen – die Herausforderungen, vor denen Brandenburg heute steht. Die Landesregierung wird ihren Beitrag dazu leisten, die Entwicklung Brandenburgs voranzubringen, seine Innovationskraft zu stärken und den inneren Zusammenhalt des Landes zu sichern. Die Konsolidierungsanstrengungen dienen dazu, die dafür erforderlichen Mittel freizusetzen. Das Land hat viele Chancen und es verfügt durch seine Lagegunst über manche Vorteile, die andere Län-


[ finanzpolitik für brandenburg ]

der nicht haben. Damit verfügt Brandenburg über ausreichend Möglichkeiten, die Propheten eines „Supergaus Deutsche Einheit“ eines Besseren zu

belehren. Brandenburg hat es in der Hand – und die Finanzpolitik wird ihren Beitrag dazu leisten. ■

RAINER SPEER

ist Finanzminister des Landes Brandenburg. perspektive21

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[ matthias platzeck ]

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Sparen mit Speer – und was noch? WIE MAN EIN PRODUKT VERKAUFT, DAS EIGENTLICH NIEMAND HABEN WILL VON TOBIAS DÜRR

„Volkswirtschaftliche Belebung setzt gezwungenermaßen die Konsolidierung der Staatsfinanzen voraus. Es dürfen keine Zweifel an der finanziellen Leistungsfähigkeit des Staates aufkommen. Die Verbraucher müssen darauf vertrauen, dass die Renten bezahlt und das Gesundheitssystem finanziert werden können. Fehlt ein solches Vertrauen, weigern sich die Verbraucher, Geld auszugeben – selbst wenn die Exportwirtschaft anzieht, nimmt die Binnennachfrage dann nicht zu.“ Paavo Lipponen, finnischer Premierminister von 1995 bis 2003 „Anderthalb Jahrzehnte nach seiner Wiedererrichtung aus dem Geist der freiheitlichen Revolution von 1989 braucht das Land Brandenburg einen entschlossenen Aufbruch.“ Erster Satz der Präambel des zwischen SPD und CDU geschlossenen Koalitionsvertrages für die 4. Wahlperiode des Brandenburgischen Landtages 2004-2009 Die Finanzpolitik ist integraler Bestandteil der Landespolitik insgesamt. Auf der einen Seite stellt sie die finanziellen Mittel für jede Fachpolitik zur Verfügung, auf der anderen Seite begrenzt sie angesichts der zunehmend schwierigen Finanzlage zugleich deren Optionen. An der beispiellosen Dimension des Finanzproblems, vor dem Brandenburg objektiv steht, kann heute kein Zweifel mehr bestehen. Die Landesregierung hat

I.

dies im Grundsatz auch so anerkannt. Zu entscheiden ist allein, wie Brandenburg mit dieser Situation weiter umgeht. Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen ist eine ungeschminkte Analyse der finanziellen Situation des Landes. Mit dem üblichen Gesundbeten, den Relativierungen und Beschönigungen vergangener Jahre muss es vorbei sein. Namentlich Ministerpräsident Matthias Platzeck und Finanzmiperspektive21

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[ tobias dürr ]

nister Rainer Speer haben den neuen Kurs der klaren Worte in den vergangenen Monaten konsequent vorgegeben. Auch wenn dies den einen oder anderen verstört haben mag, folgt diese Grundphilosophie völlig dem erfolgreichen Leitmotiv auch der SPDWahlkampagne vom vergangenen Jahr, mit Ehrlichkeit zu überzeugen und den Menschen reinen Wein einzuschenken. Das Motto könnte lauten: „Willkommen in der Wirklichkeit“. Keine Notoperationen In der brandenburgischen Finanzpolitik setzt Finanzminister Rainer Speer nicht auf kurzfristige Notoperationen, mit denen der Haushalt von Jahr zu Jahr – vielleicht – gerade noch einmal so eben zusammengeflickt werden könnte, sondern er nimmt die langfristigen demografischen und finanzwirtschaftlichen Entwicklungstrends in den Blick. Das ist neu – und es ist richtig. Zu den demografischen Eckpunkten gehören dabei die schrumpfende Gesamtbevölkerung, die starken Disparitäten zwischen den Regionen innerhalb des Landes sowie die Verschlechterung der Position Brandenburgs im Länderfinanzausgleich durch den Einwohnerverlust.1 Die wesentlichen finanzwirtschaftlichen Eckpunkte sind das Abschmelzen des Solidarpakts

II, drastisch einsetzend ab 2008, und dessen völliges Auslaufen im Jahr 2019, ferner die absehbare Verringerung der EU-Fördermittel sowie die Einnahmeschwäche infolge der gesamtwirtschaftlichen Struktur- und Konjunkturkrise.2 Vor diesem schwierigen Hintergrund geht es für Brandenburg darum, eine finanzpolitische Perspektive über den Tag hinaus zu entwickeln. Im Zentrum steht der Anspruch, die Grundlinien der Finanzpolitik nachhaltig mit den absehbaren Einnahmen in Übereinstimmung zu bringen und auf Dauer nicht finanzierbare Ausgabenvorsprünge abzubauen. Dieser grundsätzlich angelegte Ansatz genießt Vorrang vor dem bloß Effekte erheischenden Abbrennen konsolidierungspolitischer Strohfeuer – also vor reiner Konsolidierungsrhetorik, die zwar schlagzeilenträchtig ist, aber jede Nachhaltigkeit vermissen lässt. Konsolidierung im Konsens Klar muss sein: Das Konsolidierung kann nicht das exklusive „Geschäftsfeld“ des Finanzministeriums bleiben. Die politische Grundsatzentscheidung über den einzuschlagenden Weg trifft das gesamte Kabinett, das sie als Kollegialorgan damit auch verantwortet. Es kommt deshalb darauf an, die not-

1 Höchst lesens- und bedenkenswert dazu: Wolfgang Kil, Luxus der Leere: Vom schwierigen Rückzug aus der Wachstumswelt, Wuppertal 2004. 2 Einen besonders düsteren, dabei keineswegs von vornherein abwegigen Überblick bietet neuerdings die Kapitel „In der Schuldenfalle“ und „Die demografische Katastrophe“ in: Uwe Müller, Supergau Deutsche Einheit, Berlin 2005, Seiten 95-159.

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[ sparen mit speer – und was noch ? ]

wendigen Grundsatzentscheidungen über die künftige Ausrichtung der brandenburgischen Finanzpolitik in der Gesamtverantwortung des Kabinetts zu treffen. Erforderlich ist Konsens innerhalb der Landesregierung wie auch innerhalb der Koalition. Dieses Verfahren der „Konsolidierung im Konsens“ ist überhaupt die einzige Chance, die verabredeten Ziele durchzusetzen. Die Gesundung der Landesfinanzen wird entweder ein politisches Gemeinschaftsprojekt der gesamten Landesregierung sein – oder sie wird scheitern.3 Die Frage ist: Wie kann diese Politik der nachhaltigen Konsolidierung dauerhaft kommunikativ begleitet werden, damit die nötige politische und bürgerschaftliche Akzeptanz wenigstens in dem Maße sichergestellt wird, dass nicht sofort wieder die alten Reaktionsmechanismen („Das Land wird kaputt gespart!“, „Immer auf die Kleinen!“) einrasten. Dazu zunächst ein Blick auf das, was mit Sicherheit nicht funktionieren wird. In der Vermittlung von „Konsolidierungspolitik“ liegen in Bund und Land reichhaltige Erfahrungen vor. Sie lehren vor allem eines: dass „Sparpolitik“ für sich allein nicht wirksam oder gar „positiv“ verkauft werden kann. Es

II.

gibt keine attraktive „Ästhetik des Verzichts“. Nur im Zusammenhang mit der Landespolitik insgesamt („Politik aus einem Guss“) besteht eine Chance, we-nigstens ausreichend Akzeptanz für notwendige Maßnahmen zu gewinnen. Die Koalitionsparteien haben also ein politisches „Produkt“ im Angebot, das ei-gentlich niemand haben will. Die geringe Halbwertzeit von persönlich positiven Zuschreibungen („Sparkommissar“, „eiserner Hans“ Eichel und ähnliches) unterstreicht dies. Dergleichen bloß personalisierende Attribute der Stärke und Entschlossenheit werden im finanzpolitischen Alltagsgeschäft schnell zerrieben – die Folgen lassen sich am heutigen Zustand Hans Eichels besichtigen. Insofern ist aus den bisherigen Vermittlungsbemühungen vor allem zu lernen, was alles nicht geht. Drei Beispiele: Argument I: Die Rede vom „erfolgreichen Konsolidierungskurs“. Kein Sparkurs verkauft sich von selbst. Es gibt in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zwar eine „erfolgreiche Wirtschaftspolitik“ oder eine „erfolgreiche Sozialpolitik“, nicht aber eine „erfolgreiche Sparpolitik“. Man darf sich hier nichts vormachen: Sparen ist nicht sexy, und daran wird sich auch nichts ändern. Zwar weisen Meinungsumfra■

3 Zur grundsätzlichen Notwendigkeit verstärkter Gemeinsamkeit in der deutschen Politik vgl. jetzt sehr eindringlich Frank Decker, Mehr Konsens wagen: Zur Krise des deutschen Parteiensystems, in: Daniel Morat und Undine Ruge (Hg.), Deutschland denken: Beiträge für die reflektierte Republik, Wiesbaden 2005, Seiten 125-143.

perspektive21

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[ tobias dürr ]

gen regelmäßig große Mehrheiten dafür aus, die Ausgaben des Staates zu begrenzen, Subventionen zurückzufahren und die Verschuldung zu senken. Doch sind diese Bekenntnisse für die Vermittlung praktischer Politik vollständig wertlos. Die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich zwar abstrakt „Reformen“, „Konsolidierung“ und den „schlanken Staat“ – die damit unweigerlich verbundenen Belastungen und Einbußen hingegen schätzen sie mitnichten. Gemeinhin stellt man sich am Stammtisch und auf den Marktplätzen unter Sparpolitik vor, „die da oben“ sollten auf Diäten und Dienstwagen verzichten, die Beamten müssten bluten, die Besserverdienenden– jedenfalls stets „die anderen“ – würden endlich zur Kasse gebeten, und im Übrigen seien irgendwelche nicht näher benannten Subventionen abzubauen. Diese Einstellungen sind Teil des Problems, nicht Teil der Lösung. Immer auf die Kleinen? Dieselben Bürgerinnen und Bürger nämlich, denen die hohe Staatsverschuldung grundsätzlich missfällt, sehen die Dinge oft beträchtlich anders, sobald es um konkrete Einsparungen geht – ob es sich dabei um Kita-Gebühren, höhere Busfahrpreise oder geringe Förderung für Jugendprojekte handelt. Während man üblicherweise am öffentlichen Dienst kein 46

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gutes Haar lässt, reagieren viele Menschen ungehalten, wenn etwa weniger Polizisten vor Ort sind („Innere Sicherheit!“) oder weniger Lehrer zur Verfügung stehen („Lehren aus PISA!“). Konsolidierung gilt als gut und richtig – solange sie rein rhetorisch stattfindet. Aus sich selbst heraus strahlt also kein Konsolidierungskurs so positiv aus, dass er Änderungen von Verhalten und Erwartungen bewirken könnte. Staatliche Sparmaßnahmen werden grundsätzlich als unvertretbare Anschläge auf soziale oder politische Besitzstände wahrgenommen: „Immer auf die Kleinen!“ ■ Argument II: Die Rede von „unseren Kindern und Kindeskindern“. Dass Deutschland und auch Brandenburg über ihre Verhältnisse leben, gehört ausweislich zahlreicher Meinungsumfragen mittlerweile zum verbreiteten Gemeingut. Die Bürger erkennen abstrakt sogar an, dass dies auf Dauer nicht gut gehen wird. „Wir dürfen die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder nicht durch hohe Schulden aufs Spiel setzen“: Dieser Hinweis gehört heute zum Grundbestand jeder finanzpolitischen Rhetorik und findet auch stets viel freundlichen Beifall. Ernst gemeint sind solche Bekenntnisse jedoch selten. Im Zweifel ist den Menschen der Rock noch immer näher als die Hose: Die heute zu verkraftenden Einschnitte wiegen in der subjektiven Betroffenheit allemal schwe-


[ sparen mit speer – und was noch ? ]

rer als die noch so dramatisch an die Wand gemalten Belastungen künftiger Generationen. Die hohe empirisch vorfindliche Zustimmung zur Argumentation mit den „nachfolgenden Generationen“ gaukelt also Zustimmung zu „nachhaltiger“ Finanzpolitik weitgehend nur vor – verlassen sollten sich sparwillige Politiker auf derlei wohlfeile Bekenntnisse besser nicht. Argument III: Der Sonst-wird-allesnoch-schlimmer-Diskurs. In seiner Not greift der Konsolidierungspolitiker gern zu der Redefigur, sofern man jetzt nicht ganz energisch gegensteuere, werde es in Zukunft nur noch schlimmer. Die Adressaten werden vor die Wahl zwischen einer „ziemlich schlimmen“ Option heute und einer „noch viel schlimmeren“ Alternative in der Zukunft gestellt. Das Argument ist in der Sache absolut zutreffend, wenn man etwa die Konsequenzen der „Zins-Schulden-Falle“ bedenkt. Erfolgreich für Sparpolitik werben lässt sich auf diese Weise trotzdem nicht. Den Menschen erscheint nämlich die Alternative insgesamt als reichlich unattraktiv. Und ohnehin: Im Zweifel – siehe „unsere Kinder und Kindeskinder“ – wiegen tatsächliche Belastungen heute für fast alle schwerer als nur theoretisch in Aussicht gestellte noch schwerere Belastungen in der Zukunft. Hier kommt die alte Lebensweisheit ins Spiel, dass es „so schlimm“ schon nicht kommen werde. Wird die Zukunft dann doch „so ■

schlimm“, wie zuvor an die Wand gemalt, ist es freilich zu spät. Zu bedenken ist, dass diese düsteren Argumentationsmuster allesamt darauf zielen, die Akzeptanz eines Kurses der Konsolidierung dadurch zu bewirken, dass den Menschen ein kräftiger Schreck in die Glieder gejagt wird. Hier ist grundsätzliche Skepsis angebracht. Die Politik muss sehr aufpassen, vorhandene Ängste nicht noch zu verstärken. Statt der gewünschten Einsicht in die Notwendigkeit könnte sie sonst leicht die defätistische Haltung auslösen, es habe „eh alles keinen Sinn“. Statt verstärkt Einsicht zu zeigen, machen die Bürgerinnen und Bürger dann völlig dicht. Lethargie aber ist das genaue Gegenteil jener Haltung, die für den „Zweiten Aufbruch“ Brandenburgs benötigt wird, welchen sich die Koalitionsparteien vorgenommen haben. Was ist falsch am Sparen? Was also ist falsch an den erörterten Argumenten für Sparsamkeit und Konsolidierung? Im Grunde gar nichts. Sie sind in der Sache völlig richtig. Nur leiden sie an einem schweren Defekt: Sie entfalten keine kommunikative Wirksamkeit aus sich heraus, sie können einer Politik der Konsolidierung keine öffentliche Akzeptanz verschaffen. Sie mögen zu einigen wohlmeinenden Kommentare in der überregionalen Qualitätspresse anstiften, aber perspektive21

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ihre Strahl- und Überzeugungskraft in die Tiefe der brandenburgischen Gesellschaft hinein wird gegen Null tendieren. Als Zwischenergebnis zu konstatieren ist demnach ein fundamentales Dilemma: Einerseits kann Konsolidierungspolitik allein mit finanzpolitischen Argumenten offensichtlich nicht überzeugend „werblich“ vermittelt werden. Andererseits aber führt an dieser Politik einer nachhaltigen und konsequenten Konsolidierung aus den sattsam bekannten zwingenden Gründen überhaupt kein Weg vorbei. Alles andere wäre unverantwortlich – übrigens gerade auch denjenigen gegenüber, die diese Notwendigkeit heute noch nicht erkennen wollen. Der zentrale strategische Ansatz, diese Einsicht zu erreichen, liegt deshalb darin, den allein für sich schwer zu vermittelnden Konsolidierungskurs in untrennbarem Zusammenhang mit dem Leitmotiv des „Zweiten Aufbruchs“, der Politik einer „Erneuerung aus eigener Kraft“ zu betrachten. Sollte nämlich dieser Ansatz misslingen, sollte sich also die Stimmung im Land nicht ändern und Brandenburg stattdessen perspektivlos dahindümpeln, dann wird es den Koalitionsparteien im nächsten Wahljahr 2009 auch nichts nützen, dass sie am Haushalt ein bisschen herumkonsolidiert und die Neuverschuldung heruntergefahren haben. Es wird ihnen schlicht niemand danken.

III.

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Kommt jedoch Brandenburg umgekehrt mit dem „Zweiten Aufbruch“ tat-sächlich in Bewegung und kann die Koalition infolgedessen – zunächst mindestens atmosphärisch – spürbare Erfolge vorweisen, dann kann möglicherweise in der Folge dieser Politik auch die für sich genommen kaum popularisierbare Sparpolitik mit „durchgeschleust“ werden. In diesem Fall besteht sogar zunehmend die Aussicht, für den inneren Zusammenhang zwischen gesunden Staatsfinanzen und wirtschaftlicher Gesundung wachsendes Verständnis zu finden. Mit Amt und Führungsstärke Der Erfolg des „großen Ganzen“ ist damit notwendige Bedingung für den Erfolg der Konsolidierung – und umgekehrt. Dieser Grundansatz der Wechselwirkung zwischen „Zweitem Aufbruch“ und „nachhaltiger Konsolidierung“ muss also jeder finanzpolitischen Kommunikationsstrategie zugrunde liegen. Das wichtigste Kapital, über das die brandenburgische Landespolitik verfügt, ist das hohe Ansehen ihres ersten Amtsund Sympathieträgers Matthias Platzeck. Dies ist in zahlreichen Umfragen belegt und wurde durch das Wahlergebnis vom 19. September 2004 beglaubigt. Die akademische Debatte über die angeblich verderbliche „Personalisierung“ und damit „Amerikanisierung“ der deutschen


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und speziell brandenburgischen Politik geht völlig ins Leere. Es sind in Wirklichkeit nie Kollektive wie „die Regierung“, „die Parteien“ oder gar „die Politik“, die irgendetwas tun, beginnen und bewegen, sondern ursächlich immer handelnde Personen. Mit Matthias Platzeck besitzt die Politik in Brandenburg qua Amt, Charisma und Führungsstärke einen herausragenden und öffentlich am stärksten anerkannten Akteur. Glaubwürdigkeit erhalten Platzeck ist damit zugleich der entscheidende Motor des „Zweiten Aufbruchs“, der „Erneuerung aus eigener Kraft“ – so schwer diese Bürde für ihn persönlich zuweilen auch sein mag. Nur in diesem Gesamtkontext kann eine erfolgreiche Politik der Konsolidierung betrieben werden. Daraus folgt auch, dass im Kontext der notwendigen Haushaltskonsolidierung alles vermieden werden sollte, was die Glaubwürdigkeit der Regierungspolitik beeinträchtigen könnte. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass etwa die Kita-Finanzierung in der Tat ein politisches Tabu bleibt – in keiner anderen Frage hat sich der Ministerpräsident im Wahlkampf, auf Parteitagen und in seiner Regierungserklärung klarer festgelegt. Der mögliche „Einspareffekt“ stünde in keinem Verhältnis zum aufgebrauchten politischen Kapital. Jede Politik – auch jede Finanzpolitik – braucht Akzep-

tanz, Matthias Platzeck ist dafür die sicherste Gewähr. Dies sollte bei allen Maßnahmen berücksichtigt werden: Die aus guten Gründen zu politischen Prioritäten der Regierungspolitik erklärten Themen müssen unbedingt als Prioritäten erkennbar bleiben. „Konsolidierungsbeiträge“ könnten sonst zu kostspieligen „Pyrrhussiegen“ mit verheerenden politischen Konsequenzen werden. Vertrauen ist ein knappes Gut: leicht zu verspielen und extrem schwer wieder zu erlangen. Die Brandenburger Koalition aus SPD und CDU hat einen klaren Wählerauftrag. Die anfängliche Polemik der PDS gegen die „Koalition der Verlierer“ war eine leidlich originelle Pointe, ging aber von vornherein vollständig an den Präferenzen der Bürger vorbei. Die nämlich unterstützen, wie empirische Erhebungen belegen, eine Zusammenarbeit eben dieser beiden Parteien bei allen Vorbehalten immer noch am stärksten. Aber die Bürger werden diese Koalition an ihren Erfolgen messen. Gemeinsame Erfolge Diese Erfolge können nur gemeinsam errungen werden – keinesfalls gegeneinander. Und eine andere Koalitionskonstellation, der man die Bewältigung der Probleme Brandenburgs eher zutrauen würde als der heute bestehenden, ist weit und breit nicht zu erkennen. perspektive21

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In den kommenden Jahren werden die Bürger beobachten, was die Regierungskoalition insgesamt für das Land und für sie tut. Die Perspektive der nüchternen Märker ist hier zum einen ganz utilitaristisch am eigenen Nutzen orientiert. Zum anderen teilen sie die Erwartung, SPD und CDU in Potsdam sollten, da sie schon eine gemeinsame Koalition führen, doch nun bitteschön auch an einem Strang ziehen. Bereits das aufgeklärte Eigeninteresse gebietet daher allen brandenburgischen Sozialdemokraten und Christdemokraten, dieser Großen Koalition zum Erfolg zu verhelfen. Ohne Kleinkrieg Leider unterscheidet sich die Sicht etlicher Parteiaktivisten in Sozial- und Christdemokratie diametral von der Perspektive der Bürger: Diese Heißsporne unterstellen nämlich immer noch, SPD und CDU hätten sich zu einem Mannschaftsspiel verabredet, bei dem zwei Mannschaften innerhalb einer Koalition gegeneinander anträten. Und so geht es aus dieser kurzsichtigen Parteiperspektive regelmäßig darum, dem vermeintlichen Gegner so richtig einen „einzuschenken“. Dieses „Spiel“ wird am Ende niemand gewinnen. Nach der Wahl vom 19. September 2004 ging der koalitionsinterne Kleinkrieg zunächst genauso weiter, wie er in der von beträchtli50

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chem Misstrauen innerhalb der Koalition gekennzeichneten vergangenen Wahlperiode aufgehört hatte. Erst in jüngerer Zeit scheint – mehr einstweilen auf der Ebene des Kabinetts, weniger noch zwischen den Landtagsfraktionen – Besserung einzutreten. Man kann nur hoffen, dass dieser Trend anhält. Zweiter Aufbruch Denn nochmals: Die allermeisten Bürger halten völlig zu Recht überhaupt nichts davon, die beiden vorgeblichen Regierungspartner ge-geneinander agieren zu sehen. Auf dem Spiel steht deshalb immer das Ansehen beider beteiligten Parteien zugleich. Wohlgemerkt: Es müssen durchaus nicht immer Friede, Freude und Eierkuchen herrschen – eine Koalition ist keine Einheitspartei. Aber ein gewisses Maß an Vertrauen ist absolut unverzichtbar, wenn gemeinsame Ziele erfolgreich durchgesetzt werden sollen. Dazu gehört auch die für Brandenburger Verhältnisse noch frische Erkenntnis von der Notwendigkeit, dem politischen Partner auf Zeit auch seine Erfolge zu gönnen – anstatt stets noch auf das kleinste Haar in der Suppe hinzuweisen. Es muss Abschied genommen werden von den verhängnisvollen Fehlern der Vergangenheit; ein gewisses Maß an Fairness gehört in der Großen Koalition ebenso dazu wie der Verzicht auf wechselseitige politi-


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sche Überforderung. Völlig zutreffend hat Matthias Platzeck nach der Wahl darauf hingewiesen, nun habe diese Koalition ihre „zweite Chance“ bekommen. Dass es keine dritte geben wird, wenn diese zweite nicht genutzt wird, bedarf keiner näheren Erläuterung. Also: Kein entschlossener „Zweiter Aufbruch“ ohne Platzeck; keine erfolgreiche Politik für Brandenburg bis 2009 ohne diese Große Koalition; keine dritte Chance, wenn die zweite vergeben wird – und keine Akzeptanz für Konsolidierung ohne diese drei entscheidenden Voraussetzungen: Dies alles muss im Zusammenhang gedacht werden, es steht und fällt alles miteinander. Alle operativen Maßnahmen und Ansätze auch der Öffentlichkeitsarbeit leiten sich von diesen Grundvoraussetzungen her. Was folgt nun aus alledem? Vor allem dies: Nur im Rahmen einer integrierten positiven strategischen Gesamtvision für das Land Brandenburg wird auch der richtigerweise eingeschlagene Kurs der Haushaltskonsolidierung mit Erfolg betrieben werden können. Klarheit, Transparenz sowie insgesamt das eindeutige Bekenntnis zur „Ankunft in der Wirklichkeit“ bleiben entscheidende legitimatorische Voraussetzungen jeglicher Politik der Konsolidierung. Mit seinem jüngsten demografie- und wirtschaftspolitischen Impuls hat Matthias

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Platzeck den eingeschlagenen Kurs der ehrlichen Bestandsaufnahme nochmals nachdrücklich bekräftigt.4 Das alles ist unbedingt notwendig, aber es ist für sich genommen noch nicht hinreichend zur Begründung einer Politik der nachhaltigen Haushaltskonsolidierung. Positive Kernbotschaft Dauerhafte öffentliche Einsicht in die Notwendigkeit dieser Politik wird nur entstehen, sofern sie sich als unerlässlicher Bestandteil einer strategischen Gesamtbemühung begreifen lässt, Brandenburg als zukunftsträchtige Region mitten in Europa gleichsam neu zu entwerfen. Ohne den engen inneren Zusammenhang zu den völlig zutreffend als absolut vorrangig benannten Zielen der Landesregierung wird das Projekt der Haushaltskonsolidierung unangebunden in der Luft hängen bleiben. Die Bemühungen auf den Feldern der Bildung, der Wissenschaft und Forschung, der Wirtschaft, der Demografie, der Demokratie- und Engagementpolitik, der Familienpolitik, der Bekämpfung des politischen Extremismus jeder Spielart et cetera müssen also jederzeit als aufeinander bezogene Bestandteile der einen großen gemeinsamen Anstrengung für Brandenburgs Zukunft wahrnehmbar und erfahrbar sein – und in einem geduldigen Prozess des perma-

4 Matthias Platzeck, Das zupackende Land, Beitrag auf der Klausurtagung des SPD-Landesvorstandes am 18. Februar 2005 in Michendorf.

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nent campaigning in Hinterzimmern und Hörsälen, bei Bürgerversammlungen und Vereinsabenden auch so erklärt werden: Das alles hat miteinander zu tun! Das alles dient dem einen übergeordneten Zweck, unter sich weiter dramatisch verändernden Bedingungen so vielen Brandenburgern wie nur irgend möglich dennoch eine lebbare Zukunft zu ermöglichen! Dies ungefähr wäre die

– übrigens auch jegliches Ministerialund Verwaltungshandeln normativ anleitende – positive Kernbotschaft, die beim „Zweiten Aufbruch“ für Brandenburg vermittelt werden muss. Gelingt dies, wird das Sparen zwar immer noch nicht besonders viel Spaß machen – aber seinen Sinn werden immer mehr Menschen dann nach und nach immer besser begreifen. ■

DR. TOBIAS DÜRR ist Politikwissenschaftler, Publizist und Chefredakteur der Zeitschrift „Berliner Republik“.

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Umbau Ost statt Weiter-so-Aufbau-Ost DIE NEUEN LÄNDER BRAUCHEN MUTIGE POLITISCHE ENTSCHEIDUNGEN VON NIKOLAUS VOSS

„Die halbe Wegstrecke ist geschafft“, so Bundeskanzler Gerhard Schröder bei Auftritten im Bundestagswahlkampf 2002 im Osten Deutschlands. Und in der Tat gab und gibt es viele Statistiken und Untersuchungen, die diese Aussage bestätigen. Als sich die neuen Länder für die Verhandlungen zur Neuordnung des Länderfinanzausgleichs rüsteten, beauftragten sie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mit einer Bestandsaufnahme der Infrastrukturausstattung der neuen Länder. Das DIW kommt in seinem Gutachten „Infrastrukturausstattung und Nachholbedarf in Ostdeutschland“ (2000) zu dem Schluss, dass die ostdeutschen Länder Ende 1999 einen Infrastrukturkapitalbestand (gemessen am Brutto-Anlagevermögen je Einwohner zu Preisen von 1991) in Höhe von 70 Prozent aller westdeutschen Flächenländer und in Höhe von 74 Prozent aller finanzschwachen westdeutschen Flächenländer hatten. Im „Zweiten Fortschrittsbericht wirtschaftswissenschaftlicher Institute

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über die Entwicklung in Ostdeutschland“ stellen die Institute fest, dass nach wie vor deutliche Mängel in der Infrastrukturausstattung der neuen Länder vorhanden sind. Von einem flächendeckenden Nachholbedarf könne allerdings nicht mehr gesprochen werden. Im Klartext: Die so genannte „Infrastrukturlücke“ kann sukzessive geschlossen werden. Es ist Aufgabe der „zweiten Hälfte der Wegstrecke“, diese zu schließen. Vor diesem Hintergrund war es folgerichtig, 2001 den Solidarpakt II zu vereinbaren, der im Rahmen des so genannten „Korb I“ zwischen 2005 und 2019 noch einmal weitere 105 Milliarden € für die neuen Länder zur Verfügung stellt. Der Bund hat darüber hinaus zugesagt, für den Aufbau der neuen Länder in einem „Korb II“ bis zu weiteren rund 51,1 Milliarden € für überproportionale Leistungen zur Verfügung zu stellen. Bislang sind die einzelnen Komponenten des „Korbes II“ nicht abschließend definiert.

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Die Rahmenbedingungen für den Aufholprozess in den neuen Ländern sind bis zum Jahr 2020 relativ klar gesetzt. Das heißt, dass die Landespolitiken bereits heute wichtige Weichenstellungen treffen können, ja müssen. Die folgenden Rahmenbedingungen bilden die wesentlichen Koordinaten für einen Prozess, der in Zukunft stärker vom „Umbau Ost“ als von einem „Weiter-so-Aufbau-Ost“ geprägt sein wird: ■ Die Bevölkerung entwickelt sich in den neuen Ländern bis zum Jahr 2020 negativ. Die neuen Länder verlieren zwischen 2003 und 2020 rund 1,449 Millionen Einwohner (also etwa 11 Prozent). Das liegt zum Einen an dem drastischen Einbruch der Geburten zwischen 1991 und 1994, zum Anderen natürlich an den negativen Wanderungssalden. Noch drastischer ist der Rückgang des Erwerbstätigenpotenzials (Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren) um 22 Prozent bis 2020. Grund hierfür ist, dass in den nächsten Jahren mehr ältere Personen aus dem Erwerbsleben ausscheiden werden als junge Personen hinzukommen. ■ Der Solidarpakt II ist degressiv ausgestaltet. Während sich die Zuweisungen zwischen 2005 und 2008 mit jährlich ca. 10,4 Milliarden € nahezu auf gleichem Niveau bewegen wie im Solidarpakt I bis zum Jahr 2004, beginnt mit dem Jahr 2009 eine deutliche Zurückführung (2009: 9,5 Milli-

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arden €/2019: 2,1 Milliarden €). Dies wird dazu führen, dass die gesamten Pro-Kopf-Einnahmen, die den ostdeutschen Ländern und Gemeinden zur Verfügung stehen, von heute 120 Prozent des Niveaus der westdeutschen finanzschwachen Flächenländer auf Werte unterhalb des Vergleichswertes zurückfallen werden. Das wird zu einer starken Verengung der finanzpolitischen Spielräume der ostdeutschen Länder und Kommunen führen. Folglich müssen die öffentlichen Haushalte frühzeitig angepasst werden. ■ Von erheblicher Bedeutung dürfte auch die Ausgestaltung der EU-Förderung zwischen 2007 und 2013 sein. Zunächst geht es darum, dass die neuen Länder – soweit wie möglich – als Ziel-1-Gebiet eingestuft werden, d.h. weiterhin in den Genuss der Höchstförderung kommen. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass eine Einstufung als Ziel-1-Gebiet letztmalig sein wird. Zwar ist derzeit noch nicht absehbar, mit welchem Volumen die Kohäsionsfonds (EFRE und ESF) sowie der ELER ausgestattet sein werden. Dennoch wird es darauf ankommen, dass die Förderperiode genutzt wird, die Förderung zielgerichtet auf investive Zwecke auszurichten. Die öffentlichen Strukturen in den neuen Ländern sind nach der Wende nicht nur nach westdeutschen Vorbildern aufgebaut worden (je

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nachdem, aus welchem Bundesland die Aufbauhelfer kamen), sie sind vor allem in der Erwartung entwickelt worden, dass die Wirtschaftskraft sich über einem überschaubaren Zeitraum an die der westdeutschen Flächenländer anpassen würde. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Vier Aufgaben für die Länder Angesichts der Entwicklung der öffentlichen Haushalte und der Bevölkerungszahlen werden alle neuen Länder gezwungen sein, ihre öffentlichen Strukturen anzupassen. Dazu vier Bespiele: ■ In allen neuen Ländern hat ein Prozess des Bürokratieabbaus begonnen. Er muss fortgesetzt und forciert werden, um der Wirtschaft stärkere Entfaltungsmöglichkeiten zu geben und die öffentlichen Verwaltungen von Aufgaben zu entlasten. Auch der Bund ist gefordert, endlich Ernst mit wirksamen Beiträgen zur Deregulierung zu machen. Dazu zählt auch, dass die Umsetzung von europäischen Recht auf nationaler Ebene sich auf die tatsächlich notwendigen Regelungsbedarfe beschränkt und nicht durch zusätzliche Standards insbesondere im sozialen und im Umweltbereich verschärft und damit zu höheren Kosten führen werden. ■ In allen neuen Ländern werden umfassende Verwaltungs- und Gebietsreformen auf allen Ebenen notwendig sein, um die öffentlichen Verwaltungen

an die demografische Entwicklung anzupassen und Kosten zu sparen. Dazu zählen vor allem auch Aufgabenverlagerungen von der Landes- auf die kommunale Ebene (Funktionalreform). In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise bereitet die Landesregierung ein Verwaltungsmodernisierungsgesetz vor, mit dem u.a. im Ergebnis aus zwölf Landkreisen und sechs kreisfreien Städte vier oder fünf Kreise entstehen sollen. ■ Mit diesen Reformen ist ein drastischer Personalabbau verbunden. So wird das Land Mecklenburg-Vorpommern über die nächsten Jahre ca. 10.000 Stellen im Landesdienst abbauen, um ein vergleichbares Niveau pro Kopf gegenüber den finanzschwachen westdeutschen Flächenländern zu erreichen. Damit einher geht eine deutliche Straffung der Verwaltungsstrukturen. ■ Notwendig ist es ebenso, deutliche Straffungen im Schulsystem und in der Hochschullandschaft zu erreichen. Beide Systeme sind in der Regel zu kleinteilig. Dieses führt dazu, dass insbesondere in ländlichen Räumen einzügige Schulen vorgehalten werden, die den qualitativen Ansprüchen an Bildung nicht entsprechen können und zudem sehr kostenintensiv sind. Die wachsende Orientierung auf Ganztagsschulangebote und längerem gemeinsamen Lernen sind Schritte in die richtige Richtung. Die Hochschullandschaft in den neuen Ländern ist oft davon geperspektive21

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prägt, dass viele Studiengänge parallel angeboten werden, wobei die Anzahl der vorhandenen Lehrstühle für Lehre und Forschung eine unterkritische Grenze erreichen. Beispielhaft könnte der Universitätsverbund in der Öresundregion (Dänemark/Schweden) Leitbild für eine Entwicklung sein, die zu mehr internationaler Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen führen kann. Es wurde schon dargestellt, dass das Erwerbstätigenpotenzial in Ostdeutschland drastisch zurückgehen wird. Bis zum Jahr 2020 wird hier mit einem Rückgang von 22 Prozent ausgegangen. Zwar geht damit auch eine gewisse Entlastung auf dem Arbeitsmarkt einher und die Unterbeschäftigung würde rechnerisch gesehen dadurch zurückgehen, weil heutige Erwerbslose (überproportional viele Langzeitarbeitslose) mit dem Erreichen des Rentenalters aus der Statistik herausfallen. Zugleich aber wird je Einwohner bezogen auch das Bruttoinlandsprodukt sinken. Das bedeutet, dass der Osten gegenüber dem Westen mit Blick auf künftige Wachstumspotenziale unter weiteren Nachteilen leiden wird. Eine weitere Folge der demografischen Entwicklung wird ein deutlicher Rückgang der Kaufkraft und damit der Binnennachfrage sein. Das heißt aber auch, dass für die auf den Binnenmarkt ausgerichtete regionale Wirtschaft mit einem Rückgang von

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Arbeitsplätzen zu rechnen ist. Insofern müsste der Fokus der Wirtschaftspolitik stärker auf Herstellern von Gütern gerichtet werden, die für ihre Produkte überregionale bzw. internationale Absatzmärkte erschließen können. Deren Chancen werden ganz wesentlich von ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten abhängig sein. Ganz wesentliche Faktoren sind dabei, ob der Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften gedeckt und ob die Arbeitskosten begrenzt werden können. Fachkräftemangel ab 2009 Wie bedeutsam hochqualifizierte Fachkräfte sein werden, wird spätestens ab dem Jahr 2009 erkennbar werden, wenn durch den Geburtenknick drastisch weniger junge Leute für den Ausbildungsmarkt zur Verfügung stehen. Spätestens dann wird ein Prozess einsetzen, der den Fachkräftebedarf nur durch entsprechende Zuwanderung oder aber durch freilich sehr kostenintensive Qualifizierung von Arbeitslosen befriedigen wird können. Auf diese Entwicklungen muss sich die Politik in den neuen Ländern einstellen. Das bedeutet vor allem, dass die Mittel aus dem Solidarpakt II und die in der EU-Förderperiode 20072013 zur Verfügung stehenden Gelder sehr viel stärker investiv eingesetzt werden müssen. Um die Zukunftsfähigkeit der neuen Länder zu sichern,


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müssen insbesondere die nachstehenden vier Politikfelder in den Mittelpunkt gestellt werden: ■ Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, ■ Schließen noch bestehender Infrastrukturlücken, ■ Forschung und Entwicklung von Netzwerken, ■ Entwicklung der Humanressourcen. Diese vier Politikfelder stehen im engen Zusammenhang und ergänzen sich. Vereinfacht lässt sich sagen, dass eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unzureichend bleibt, wenn sie nicht mit einer adäquaten Infrastrukturausstattung einhergeht und durch zukunftsorientierte Forschung und Entwicklung flankiert und angetrieben wird. Alle Initiativen in diesem Zusammenhang gehen letztlich von Menschen aus, und deshalb bleibt die Förderung des Humanpotenzials unentbehrlich. Es ist politisch sicherlich sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass sich diese Schwerpunkte in die gegenwärtige Lissabon-Strategie der EU einordnen, die darauf abzielt, die EU bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Kernpunkte der Lissabon-Strategie ist die Schaffung von neuen und zukunftssicheren Arbeitsplätzen, lebenslanges Lernen und Wettbewerbsfähigkeit durch Innova-

tion. Um Innovationen voranzubringen, sollen 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden. Mehr Wirtschaftspolitik Die vorgenannten Schwerpunkte tragen aber auch dem Umstand Rechnung, dass die Entwicklung in den neuen Ländern im BIP-Durchschnitt im Vergleich mit anderen deutschen und europäischen Regionen unbefriedigend ist. Wachstumsstimulierende Impulse werden sich im wesentlichen aber nur dadurch erreichen lassen, dass produktive Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe, in Forschung und Entwicklung und im Dienstleistungssektor geschaffen werden. Das bedeutet aber auch, dass die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht auf sozialpolitische Maßnahmen, sondern auf die Schaffung von Arbeitsplätzen ausgerichtet werden muss. Eigene Landesarbeitsprogramme sind daher auch insoweit nicht zielführend, weil mit der Umsetzung der Reformen am Arbeitsmarkt durch die Bundesregierung ausreichend Instrumentarien zur Verfügung stehen. Der Arbeitslosigkeit kann im wesentlichen nur durch ein entsprechendes Angebot an nachhaltigen, zukunftsorientierten Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt entgegengewirkt werden. Wege dorthin müssen sich perspektive21

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daran orientieren, in welchen Wirtschaftssektoren und Regionen solche Arbeitsplätze entstehen können. Sie müssen sich daran ausrichten, wie an vorhandene, wettbewerbsfähige sektorale und regionale Wachstumskerne angeknüpft werden kann. Förderung nicht selbstverständlich Für die Vorbereitung der EU-Förderperiode 2007-2013 bedeutet eine stärkere investive Ausrichtung der Förderung auch, dass die Mittelaufteilung zwischen dem EFRE und dem ESF zu Gunsten des EFRE neu justiert werden muss. Die Erfahrung bei der Ansiedlung neuer Unternehmen in den neuen Ländern zeigt ganz deutlich, dass sich diese vor allem auf Oberzentren und entlang der Hauptverkehrsachsen orientieren, so dass hier bereits regionale Wachstumskerne entstanden sind. Entsprechend muss auch die Förderpolitik sich im wesentlichen auf diese Wachstumskerne orientieren und mit der Schaffung von Arbeitsplätzen verbunden sein. Die Zeit der Gießkannenförderung muss der Vergangenheit angehören. Und zugleich muss dem Gewöhnungseffekt fortlaufender Förderung entgegengewirkt werden, um spätestens im Zeitraum 2013-2020 zu sich selbst tragenden Branchen und Entwicklungen zu gelangen. Wir haben bereits oben ausgeführt, dass eine adäquate Infrastrukturaus58

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stattung eine wesentliche Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der neuen Länder ist. In den nächsten Jahren wird es darauf ankommen, noch bestehende Infrastrukturlücken zu schließen. Dieses bezieht sich zum einen auf die Verkehrs- und gewerbliche Infrastruktur. Bei der Verkehrsinfrastruktur wird es in den nächsten Jahren jedoch notwendig sein, weniger auf Neubau als auf Modernisierung der wichtigen Verkehrsnetze zu setzen. Die demografische Entwicklung wird es mit sich bringen, insbesondere beim Landes- und Kommunalstraßenbau, genau darauf zu achten, ob die Bedarfe tatsächlich auch vorhanden sind. Das gleiche trifft zu auf den Schienenverkehr und die Flughäfen. Hier kommt es im Wesentlichen darauf an, die Erreichbarkeit der wirtschaftlichen Zentren zu verbessern. Demografie fordert Umsteuerung Im Wohnungsbau ist mit dem Stadtumbauprogramm Ost bereits eine wesentliche Umsteuerung erfolgt. Dieses Programm gilt es fortzusetzen. Zugleich sollte die Eigenheimförderung aufgegeben werden, da der Wohnungsmarkt ausreichend Wohnraum zur Verfügung stellt und zudem so der Zersiedlung der Landschaft entgegengewirkt werden kann. Wenn überhaupt, sollte sich die Eigenheimförderung auf eine Vitalisierung der Innen-


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städte konzentrieren. Das gleiche gilt für die Städtebauförderung. Angesichts der demografischen Entwicklung ist auch im Schul- und Hochschulbau eine Umsteuerung notwendig, die sicherstellt, dass die zu tätigen Investitionen nur in bestandsfähige Standorte erfolgen. Für den Schulbau bedeutet dieses, dass vor allem im ländlichen Raum stärker auf Schulzentren mit Ganztagsschulangeboten orientiert werden muss. Bei den Berufsschulen ist zu berücksichtigen, dass für viele Ausbildungsrichtungen angesichts des Rückgangs der Berufsschüler oft nur noch ein Angebot in den Ländern vorgehalten werden kann, um überhaupt sinnvolle Klassenstärken zu erzielen. Bei den Hochschulen – es wurde bereits ausgeführt – müssen die Investitionen stärker darauf ausgerichtet werden, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit durch Spezialisierung und Netzwerkbildung vorangetrieben wird. Die demografische Entwicklung wird an den Hochschulen aber auch immer stärker die Frage aufwerfen, inwieweit sie selbst einen Beitrag dazu leisten, dass junge Menschen zielgerichtet auf die in den neuen Ländern tatsächlich nachgefragten Fachberufe hin ausgebildet werden. Damit ist keineswegs die Forderung erhoben, dass nur „Landeskinder“ an ihren Hochschulen studieren sollen. Aber

zu hinterfragen ist jedenfalls, ob es zeitgemäß ist, dass Hochschulen oft am tatsächlichen Bedarf vorbei ausbilden und ob es richtig ist, dass die Hochschulen in den neuen Ländern überproportional den Fachkräftebedarf in den alten Ländern befriedigen. Bis zum Jahr 2020 stehen den neuen Länder durch den Solidarpakt II und dadurch, dass weite Bereiche voraussichtlich weiterhin in den Genuss der Ziel-1-Gebiet-Förderung der EU kommen, überproportional Finanzmittel zur Verfügung. Allerdings ist die Ausstattung der zur Verfügung stehenden Finanzmittel degressiv ausgerichtet. Parallel dazu geht die Bevölkerungszahl und das Erwerbstätigenpotenzial drastisch zurück. Wenn die neuen Länder dauerhaft ihren Bestand sichern wollen, dann müssen sie bis zum Jahr 2020 auf „eigenen Füßen stehen“. Zukunft aus eigener Kraft gestalten zu können, bedeutet, dass die bisherigen Entwicklungsstrategien des Aufbau Ost in vielerlei Hinsicht kritisch zu hinterfragen sind. Eine neue Ausrichtung des Aufbau Ost bedeutet, stärker auf einen systematischen Umbau Ost zu orientieren. Die Zeit läuft. Mutige politische Entscheidungen werden notwendig sein. ■

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NIKOLAUS VOSS

ist Leiter der Abteilung Koordinierung der Landes- und Bundespolitik in der Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern. perspektive21

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Von Luxembourg lernen, heißt siegen lernen MINDESTBESTEUERUNG VON UNTERNEHMENSGEWINNEN IN DER EU? VON OLIVIER HÖBEL

mmer wieder bestimmen Schlagworte wie Steuerwettbewerb und Unternehmensabwanderung die politischen Debatten. Auch bei den jüngsten Ereignissen, die die Republik wirtschaftspolitisch in Atem hielten – die Rede von Bundespräsident Horst Köhler, die Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder und der Jobgipfel von Regierung und Opposition – spielten diese Fragen eine wichtige Rolle. Der Regierungsvorschlag, die Körperschaftssteuersätze erneut zu senken – von derzeit 25 Prozent auf nur noch 19 Prozent bei einer Gegenfinanzierung über eine breitere Bemessungsgrundlage – zielt darauf ab, im internationalen Steuerwettbewerb besser aufgestellt zu sein und damit Investoren zu locken. Seit fast einem Vierteljahrhundert ist die politische Agenda in den meisten Ländern darauf ausgerichtet, staatliche Aktivitäten zurückzudrängen und Steuern ausschließlich als Belastung anzusehen – und nicht auch als notwendige Finanzierung staatlicher Aufgaben. Andererseits wurden jegli-

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che Beschränkungen des Kapitalverkehrs aufgegeben. Insgesamt hat durch diese beiden Entwicklungen ein Wettlauf nach unten angefangen. Durch Steuererleichterungen für Unternehmen sollten Investoren angelockt und neue Beschäftigung generiert werden. Gewolltes Ergebnis dieser Politik war sicherlich, dass die gesamtwirtschaftliche Steuerbelastung (Anteil des Steueraufkommens am BIP) in Deutschland von 24,6 Prozent im Jahr 1980 auf 21,5 Prozent in 2003 gesenkt wurde, obwohl zwischenzeitlich mit der Deutschen Einheit erhebliche zusätzliche Herausforderungen zu bewältigen waren. Dass der erhoffte Effekt, mehr Wachstum und Arbeitsplätze, zudem ausblieb, sei hier nur am Rande erwähnt. Agressive Steuerpolitik in Erweiterungsländern Erheblich an Bedeutung gewonnen hat diese Debatte mit der Erweiterung der Europäischen Union. Die Beitrittsländer, die einen enormen Bedarf perspektive21

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[ olivier höbel ]

an ausländischen Direktinvestitionen zur Modernisierung ihres Kapitalstocks haben, versuchen mit einer aggressiven Steuerpolitik (soll heißen, sehr niedrigen Sätzen bei der Unternehmensbesteuerung) dieses Kapital anzuziehen. Spitzenreiter ist Zypern, welches bei der Körperschaftssteuer nur noch einen Satz von 10 Prozent erhebt. Allerdings reicht die Spanne auch bis 35 Prozent in Malta, was inzwischen schon als besonders hoch anzusehen ist. Das Mittelfeld (von Lettland bis Tschechien) liegt bei Sätzen zwischen 15 und 25 Prozent. Das ist zwar sehr niedrig, angesichts jüngster Steuersenkungen in anderen Staaten (in Deutschland vielleicht bald 19 Prozent) aber auch nicht so aggressiv, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Allerdings ist der Wettlauf nach unten keineswegs an seinem Ende angelangt, die Dynamik des Prozesses ist ungebrochen. Steuerwettbewerb durch Subventionierung In der EU gibt es verschiedene Auffassungen darüber, wie mit diesem Steuerwettlauf umzugehen ist. Der britische Schatzkanzler Gordon Brown sieht darin überhaupt kein Problem, im Gegenteil: durch diesen Wettbewerb würde sich das leistungsfähigste System durchsetzen. Jegliche Form einer Harmonisierung der Unterneh62

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mensbesteuerung wäre nach dieser „marktradikalen“ Position sogar schädlich. Anders dagegen der deutsche Bundeskanzler: „In den mittel- und osteuropäischen Ländern gibt es die Erwartung: Wir haben niedrige Steuersätze und Löhne. Aber für die Infrastruktur, die wir deshalb nicht selber finanzieren können, stellt uns die EU zur Verfügung. Das geht so nicht.“ Die Opposition, beispielsweise in Gestalt des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, sekundiert ihm dazu. Noch Radikaler ist die Vorstellung des ehemaligen französischen Wirtschafts- und Finanzministers Nicolas Sarkozy, der Ländern mit niedriger Besteuerung den Zugriff auf die Fördermittel der EU verwehren will. Vernetzte Waren- und Kapitalströme Europa wächst immer mehr zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum zusammen. Das Nebeneinander unterschiedlicher Sätze und Systeme der Unternehmensbesteuerung ist damit ein Problem. Allerdings sollte, gerade für die Investitionsentscheidungen der Unternehmen, die Besteuerung, die nur ein Faktor unter vielen darstellt, nicht überbewertet werden. Die Waren- und Kapitalströme zeigen eine zunehmende Vernetzung, aber per Saldo keine Verlagerung von Investitionen. Das ist der empirische Beleg da-


[ von luxembourg lernen, heißt siegen lernen ]

für, dass die Unternehmen bei weitem nicht so mobil sind, wie es die Vertreter der „Sachzwang Globalisierung“ – Agitation im allgemeinen Glauben machen wollen. Die wissenschaftlichen und die politischen Frontleute dieser Zeitgeistbewegung betreiben eben zuerst und vor allem schlichte Ideologie anstelle von gründlicher Analyse. Sie tun das insbesondere dann, wenn sie dem seit jeher bekannten Verhaltensmuster „Das Klagen ist des Kaufmanns Gruß“ – das jeder Positionierung und Forderung von DIHK, BDI, BDA etc. zugrunde liegt – bereits den Erklärungswert an sich zuschreiben. Während die interessengeleitete Politik der Wirtschaftsverbände darauf abzielt, die öffentlichen Güter und Leistungen für immer geringere Beiträge der Unternehmen und der Unternehmer zum Staatshaushalt verfügbar zu machen, wird in den Unternehmen sehr wohl eine Kosten-Nutzen-Abwägung zum Verhältnis von öffentlichen Gütern und Steuern als deren Preis vollzogen. Steuern für Infrastruktur und Zusammenhalt Tatsache ist allerdings: der Staat ist dringend auf ausreichende Einnahmen angewiesen, um seine Aufgaben zu erfüllen. Wir wollen in einem Land mit einer funktionierenden und leistungs-

fähigen Infrastruktur und einem sozialen Zusammenhalt leben. Wem das wichtig ist, der muss in der Steuerpolitik für zwei Ziele streiten. Erstens muss die Steuerpolitik dafür sorgen, dass die Staatsausgaben, die zur Gestaltung einer effizienten, sozial ausgewogenen und ökologisch verträglichen Entwicklung erforderlich sind, finanziert werden können. Zweitens muss sie gewährleisten, dass die Lasten dieser Finanzierung gerecht auf die Mitglieder der Gesellschaft verteilt werden. In der Bundesrepublik Deutschland ist in den vergangenen Jahren gegen beide Ziele massiv verstoßen worden. Im jüngsten Stabilitäts- und Wachstumsprogramm der Bundesregierung wird darauf verwiesen, dass in den letzten vier Jahren in Deutschland die Steuerquote am Bruttoinlandsprodukt um 2 Prozent vermindert wurde. Doch gerade das ist wahrlich keine Errungenschaft. Staatsverschuldung ist nicht links Dieses Ergebnis wurde mit der deutlichen Einschränkung öffentlicher Aufgaben erkauft. Es ist verantwortlich für massive Steuerausfälle und hat zu erheblichen Finanzierungsproblemen geführt. Beantwortet wurden die so verursachten Probleme mit ökonomisch wie sozial kontraproduktiven Kürzungen der öffentlichen Ausgaben sowie der Ausweitung der öffentlichen perspektive21

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[ olivier höbel ]

Kreditaufnahme. Im Lichte der sozialen Realität im Lande zeigt sich dabei sehr klar, dass Staatsverschuldung kein Ergebnis linker Politik ist. Die gewachsene und noch wachsende öffentliche Verschuldung ist einzig das Ergebnis einer Politik, die einseitig die oberen Einkommensgruppen und die Unternehmen durch die verschiedenen Steuerreformen des letzten Jahrzehnts begünstigt hat. Spiegelbildlich dazu ist der Anteil der Lohn- und Konsumsteuern am Gesamtsteueraufkommen massiv angestiegen. Zur Finanzierung der Staatsaufgaben werden also immer mehr diejenigen herangezogen, die keine Standortwahl für sich behaupten können. Arbeitnehmer und Verbraucher sind die Verlierer der Steuerpolitik. Diese Politik ist ungerecht und senkt die Lebensqualität. Das ist Politik gegen Massenkaufkraft und Binnennachfrage, womit wir beim eigentlichen Problem von wirtschaftlicher Stagnation, von Massenarbeitslosigkeit und gesellschaftlicher Krise sind. Mindestbesteuerung als erster Schritt Wäre die deutsche Steuerquote des Jahres 2004 so hoch gewesen wie im Jahre 2000, hätten die öffentlichen Haushalte gut 60 Milliarden €. mehr zur Verfügung gehabt. Es ist nicht nur sinnvoll, sondern wie ein Blick zu 64

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wichtigen europäischen Nachbarn zeigt auch ohne Schaden für die Gesamtwirtschaft machbar, dass die Finanzierungsgrundlage des Staates insgesamt durch höhere Steuereinnahmen verbessert wird. Im Jahre 2003 betrugen die Steuerquoten in Frankreich 27,5 Prozent, in Österreich 28,4 Prozent und im Vereinigten Königreich 28,9 Prozent. 25 Länder mit 25 Regeln Ein europäischer Steuerwettlauf nach unten wird die Finanzierungsbasis des Staates nur noch weiter aushöhlen. Wettbewerb ist deshalb auf diesem Gebiet schädlich. Dadurch entsteht eine Situation, wo es (fast) nur Verlierer gibt. Eine europaweite Harmonisierung der Besteuerung ist deshalb notwendig und zu begrüßen, eine Mindestbesteuerung wäre ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Bleibt die Frage, wie eine solche Harmonisierung aussehen könnte. Im Fokus der öffentlichen Debatte stehen in der Regel die Steuersätze. Doch einheitliche Steuersätze sagen so lange nichts über tatsächlich gezahlte Steuern aus, wie unterschiedliche Ausnahmen, Abschreibungsregeln und sonstige Feinheiten die Basis, von der Steuern abgeführt werden, unterschiedlich gestalten. In den 25 Ländern der EU existieren gegenwärtig auch 25 ver-


[ von luxembourg lernen, heißt siegen lernen ]

schiedene Regelwerke, um die Bemessungsgrundlage der Unternehmensbesteuerung zu bestimmen. Deshalb ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass der Europäische Rat die Kommission beauftragt hat, gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten Regeln für eine einheitliche Bemessungsgrundlage bei der Unternehmensbesteuerung zu entwickeln. Erst auf dieser Basis ließe sich sinnvoll über Mindeststeuersätze reden. Zu bedenken ist allerdings, dass Entscheidungen über Steuern in der EU einstimmig getroffen werden müssen. Jedes Mitgliedsland hat also faktisch ein Vetorecht. Ob tatsächlich praktikable Ergebnisse herauskommen oder die ganze Debatte nicht nur eine Luftnummer bleibt, ist deshalb völlig offen. Zu bedenken ist ferner, wie hoch die effektive Besteuerung der Unternehmen in den EU-Ländern derzeit tatsächlich ausfällt. Da es sich bei grenzüberschreitenden Investitionen in der Regel um große Unternehmen handelt, ist die Körperschaftssteuer dafür der richtige

Maßstab. Und hier kommt man zu verblüffenden Ergebnissen. Im Jahre 2002 (neuere internationale Vergleichszahlen liegen noch nicht vor) betrug nach den Angaben von EUROSTAT der Anteil der Körperschaftssteuer am BIP in Deutschland 0,6 Prozent. Das war der niedrigste Wert, der nur noch von Litauen erreicht, aber von keinem unterboten wurde. Der Durchschnittswert unter den 25 EU-Staaten betrug 2,4 Prozent, den größten Steuerbeitrag leisteten die Unternehmen in Luxembourg mit 8,6 Prozent. Die (aggressive) Steuerpolitik in Deutschland wäre demnach ursächlich für die Einführung einer Mindestbesteuerung in der Europäischen Union. Mit manchem Steuergeschenk an die Unternehmen ist man hier zu Lande wohl weit über das Ziel einer internationalen Wettbewerbsfähigkeit hinausgeschossen. Und übrigens: danken tun es die Verbände Frau Merkel und Herrn Westerwelle. ■

OLIVIER HÖBEL

ist Sozialwirt und Bezirksleiter der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen. perspektive21

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[ matthias platzeck ]

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perspektive21


Grips statt Beton WARUM DIE AKTUELLE DISKUSSION UM DEN SOLIDARPAKT ZUR RICHTIGEN ZEIT KOMMT VON TINA FISCHER

eder hat es gehört. Der Osten habe die in ihn geflossenen Gelder nicht richtig investiert. Die Mittel aus dem Solidarpakt I seien falsch ausgegeben worden und entsprechen nicht dem vereinbarten Berechnungsschema mit den Ländern. Die Fehlverwendungsquote liegt dabei teilweise über 70 Prozent. Statt die teilungsbedingten Sonderlasten abzubauen und die Finanzschwächen ihrer Kommunen auszugleichen, sollen die neuen Bundesländer die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen (SoBEZ) aus dem Solidarpakt I verwendet haben, um Haushaltslöcher zu stopfen. Die Diskussion um den Aufbau Ost hat mit diesen Äußerungen des Bundes neue Aktualität bekommen. Der Eindruck in der Öffentlichkeit ist verheerend. Grob irreführend ist in diesem Zusammenhang, die Summe von 1.250 Milliarden € zu nennen, die seit der Wende nach Ostdeutschland geflossen sind. Dies ist wohl eher als Ausdruck härter werdender Verteilungskämpfe

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zu werten: Der Osten soll als Fass ohne Boden erscheinen. Der Protest der Länder ist deshalb verständlich. Auch in einem Land wie Brandenburg, verschuldet mit über 17,5 Milliarden € und einer Arbeitslosenquote von über 20 Prozent, hört man solche Töne nicht gern. Missbrauchte Solidarität Und zur Erinnerung: Ursächlich für die mangelhafte Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft ist die aus dem Krieg resultierende Teilung Deutschlands. Auch standen die großen Aufbauhilfen nach dem Krieg nur dem Westen zur Verfügung. Es lag nicht in der Entscheidungsgewalt der Ostdeutschen, 40 Jahre länger auf Demokratie und Marktwirtschaft warten zu müssen. Sie hatten für die Niederlage Deutschlands doppelt zu zahlen. Zieht man von den in Rede stehenden 1.250 Milliarden € die Ausgaben ab, die normale Staatsaufgaben darstellen, wie z.B. die Ausgaben für die öfperspektive21

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[ tina fischer ]

fentlichen Bediensteten des Bundes in den neuen Ländern, und die Ausgaben für Leistungen wie Arbeitslosengeld und Renten, wird die Summe realistischer. Wirtschaftsforschungsinstitute nennen lediglich Beträge zwischen 250 und 350 Milliarden €, die zwischen 1990 und 2003 als „reine Aufbauhilfen“ nach Ostdeutschland geflossen sind. 15 Milliarden für Brandenburg Brandenburg hat aus dem Solidarpakt I, der bis Ende 2004 die Zuweisungen des Bundes an die ostdeutschen Länder für die letzten zehn Jahre regelte, knapp 15 Milliarden € erhalten. Dabei handelte es sich ganz überwiegend um die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen, bei denen es sich um allgemeine Haushaltsmittel ohne Zweckbindung handelt, da der Bund Ergänzungszuweisungen gem. Art. 107 GG nur zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs leistungsschwacher Länder gewähren darf. Allerdings haben die Länder politisch die Verantwortung für den zweckentsprechenden Einsatz der SoBEZ übernommen. Die Verwendungsauflage ist in § 11 IV Finanzausgleichsgesetz a.F. normiert, wonach die SoBEZ zum Abbau tei-

lungsbedingter Sonderlasten und zum Ausgleich der unterproportionalen Finanzkraft eingesetzt werden sollen; Sanktionsmöglichkeiten sind nicht vorgesehen. Seit 2002 haben die Länder im Rahmen von sog. „Fortschrittsberichten Aufbau Ost“ die Mittelverwendung nachzuweisen. Inhalt und Verfahren sind im Finanzausgleichsgesetz festgeschrieben.1 Auch Brandenburg gehört zu den Ländern, die keinen vollständigen Nachweis der SoBEZ erbringen konnte. Was lief schief? „Einheitliche“ Lebensverhältnisse Im Rahmen des Vereinigungsprozesses sprachen sich Politiker parteiübergreifend dafür aus, den Osten mit hohen finanziellen Transferleistungen zu unterstützen; zu nennen sind der Fonds Deutscher Einheit, das Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost und der Solidarpakt I und II. Heute fragen wir uns, ob diese Zahlungen tatsächlich zur gewünschten finanziellen Selbstständigkeit der neuen Länder führen oder ob der Osten mehr den je vom Westen abhängt und die Kluft zwischen beiden noch wächst? Auch wenn die wechselnden Förderstrategien des Landes in den letzten

1 In § 11 III 3,4 FAG heißt es: „Die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen berichten dem Finanzplanungsrat jährlich im Rahmen von Fortschrittsberichten über ihre jeweiligen Fortschritte bei der Schließung der Infrastrukturlücke, die Verwendung der erhaltenen Mittel aus den SoBEZ und die finanzwirtschaftliche Entwicklung der Länder- und Kommunalhaushalte einschließlich der Begrenzung der Nettoneuverschuldung. Die Berichte werden bis Ende September des dem Berichtjahr folgenden Jahres vorgelegt und mit einer Stellungnahme der Bundesregierung im Finanzplanungsrat erörtert.“

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15 Jahren, statt „Leuchttürmen“ sprechen wir jetzt von „Ankerstädten“, nicht immer erfolgreich waren – die Investitionen in Infrastruktur scheinen sich bezahlt gemacht zu haben. Stammsitze im Westen Quer durch alle Branchen haben Unternehmen mit Stammsitz in Westdeutschland Tochterunternehmen in Brandenburg gegründet – BASF, Bosch-Siemens, Daimler Chrysler, Heidel-berger Druckmaschinen, INA Schaeffler, MTU, Rolls Royce, Vattenfall und VEBA, und viele weitere. Allerdings: Handelt es sich dabei nicht um rechtlich selbstständige juristische Personen, sondern nur um Betriebsstätten, erhält Brandenburg bei einigen Steuerarten nur Zerlegungsanteile. Bei der Gewerbe- oder Körperschaftssteuer fallen diese Anteile in der Regel wesentlich niedriger aus. Nur ein kleines Beispiel dafür, wie viele Stolpersteine es auf dem Weg zur finanziellen Selbstständigkeit gibt. Der Wunsch nach einem sicheren Arbeitsplatz, nach Wohlstand und Wachstum ist auch 15 Jahre nach der Wiedervereinigung in Brandenburg ungebrochen. Doch die Tatsachen sehen anders aus. Der Konvergenzprozess stockt seit einigen Jahren. Die Phasen hoher Zuwächse des Bruttoinlandproduktes (BIP) sind vorbei. Lag das BIP je Ein-

wohner im Verhältnis neue Bundesländer – alte Bundesländer 1997 bei 61 Prozent, stagniert es seitdem: Im Jahr 2003, d.h. sechs Jahre später, lag es erst bei 62 Prozent. Nicht viel besser das BIP je Erwerbstätigkeit im o.g. Verhältnis: Im Jahr 1997 bei 67 Prozent, ist es im Jahr 2003 auf magere 71 Prozent angewachsen. Ungeachtet dessen, ob man anhand dieser Zahlen noch vom „Aufbau Ost“ oder realistischer vom „Ausbau Ost“ spricht – von „einheitlichen“ Lebensverhältnissen in Ost und West kann keine Rede sein. Nur die Hälfte über Steuern Das jährliche Wirtschaftswachstum reicht nicht aus, um einen selbsttragenden Aufschwung zu initiieren. Dies ist aber Voraussetzung, um die Arbeitslosigkeit wirksam zu verringern. Für Deutschland halbierte die EUKommission gerade ihre Wachstumsprognose auf 0,8 Prozent. Mit den eigenen Steuereinnahmen können die ostdeutschen Länder gegenwärtig nicht einmal 50 Prozent ihrer Haushalte finanzieren. Brandenburg mit einem Haushaltsvolumen von knapp 10 Milliarden € kann dies nur zu 40 Prozent. Wen wundert es, dass die Einnahmenseite einiger Länder der von 1995 gleicht. Gründe dafür gibt es etliche – allen voran die schwache Konjunktur. Auch die mehrstufige Steuerreform des Bunperspektive21

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des, mit denen Private und Unternehmen in Milliardenhöhe entlasten wurden, führte bei den Ländern zu weniger Einnahmen. Credo der Gleichwertigkeit Verschärft wird die Situation durch die demografische Entwicklung Brandenburgs, also die Überalterungs- und Abwanderungsprozesse sowie den Geburtenrückgang. Das Land könnte insgesamt in den nächsten 15 Jahren mehr als 6 Prozent seiner Bevölkerung verlieren, die peripheren Regionen sogar bis 15 Prozent. Hieraus sehen Haushaltspolitiker nicht nur Probleme bei der künftigen Versorgung einzelner Regionen, sondern auch bei den Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich. Diese sind an die Einwohnerzahlen gekoppelt und die gerade beschriebene demografische Entwicklung in Brandenburg lässt weitere Einnahmeverluste vermuten. Es war sicher nicht richtig, den Ostdeutschen „einheitliche“ Lebensverhältnisse zu versprechen: Die gab und gibt es auch im Westen nicht. So war die Arbeitslosenquote in Lübeck immer höher als in Regensburg. Richtiger ist es, von „gleichwertigen“ Lebensverhältnissen zu reden. Es gibt allerdings zu denken, dass sich bisher an einer Konkretisierung dieses Begriffes noch niemand versucht und schlüssig darin eingebunden hat, dass z.B. 70

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Tarifverträge und Leistungen aus Hartz IV für die Ostdeutschen niedriger als für die Westdeutschen festgeschrieben sind. Also: Spätester Zeitpunkt für eine selbsttragende Wirtschaft ist das Jahr 2019. In diesem Jahr läuft der Solidarpakt II aus, auf den sich Bund und Länder am 23. Juni 2001 geeinigt haben. Dann muss Brandenburg auf eigenen Beinen stehen. Den Kopf in den märkischen Sand zu stecken, hilft wenig. Ressourcenknappheit, steigender Konkurrenz- und Veränderungsdruck und Globalisierung zwingen uns, nach vorne zu schauen. Doch wie schaffen wir es, spätestens in 15 Jahren „gleichwertige“ Lebensverhältnisse zu schaffen? Blick nach vorne richten Es gibt bereits erstaunliche Erfolgsbilanzen. Auf der Habenseite stehen attraktive, restaurierte Städte, wie Potsdam, Rheinsberg, Luckenwalde oder Luckau. „Schöner Wohnen und Leben“ in Brandenburg ist eine werthaltige Investition, um zu bleiben oder herzukommen – in eine Forschungslandschaft mit drei Universitäten in Potsdam, Frankfurt/Oder und Cottbus, fünf Fachhochschulen, der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg sowie den zahlreichen außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Dabei kann sich eine solide Infra-


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struktur, hohes gewerbliches Wachstum und eine Investitionsquote von über 20 Prozent sehen lassen. Stärken stärken! Auch die Devise „Stärken stärken!“ gilt für Brandenburg. „Was könnt ihr gut in der Region?“ „Was könnt ihr besonderes bieten, was sind euere Produkte?“ „Was wollt ihr verkaufen?“ Von den Antworten hängt die Zukunft Brandenburgs ab. Diese kann nur das Land und nicht der Bund beantworten. Die vom Bund in diesem Jahr geplanten Branchenkonferenzen in den Bereichen Automobil-, Luftund Raumfahrtindustrie, Chemieindustrie, Tourismus, Ernährungswirtschaft und Unternehmensfinanzierung können dabei nicht mehr als ein Impuls sein. Neben der Diskussion, die das vom Wirtschaftsministerium vorgelegte Papier über die Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung im Land entfacht, besteht der Glaubensstreit zwischen Infrastruktur- und Wissenschaftspolitikern.2 „Wir brauchen mehr Straßen und Brücken, dann kommt auch die Wirtschaft, siedelt sich an und bringt Arbeitsplätze“, erläutern Abgeordnete parteiübergreifend aus dem Bereich Infrastruktur. „Falsch“, halten die Bil-

dungs- und Wissenschaftsleute entgegen. „Wir brauchen Grips statt Beton. Wir müssen in die Köpfe investieren. Wir brauchen unternehmerische und innovative Talente. Leute, die so unser Land voranbringen.“ Innovation schafft Wachstum: Durch die Förderung und Entwicklung zukunftsorientierter Technologien in Brandenburg können die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes langfristig gesichert, dauerhafte Arbeitsplätze geschaffen und der Wegzug junger, qualifizierter Menschen verhindert werden. Chefsache F + E Junge Betriebe sind für Brandenburg als Jobmotor von herausragender Bedeutung. Die in den letzten Jahren gegründeten Betriebe in den neuen Ländern beschäftigen 11 Prozent aller Arbeitnehmer. Ein Beispiel dafür ist die im Jahr 2000 gegründete Firma aircom Druckluft GmbH in Wildau mit ihren 18 Mitarbeitern. Chefsache „Forschung und Entwicklung“. Der richtige Zeitpunkt, Fachhochschulen, Technologie- und Gründungszentren und Wirtschaftsförderungsgesellschaften zu besuchen, genauer hinzuhören, warum Brandenburg bei Bundesprogrammen wie Innoregio, aber auch wie beim Pilot-

2 Das Papier „Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung“ mit Arbeitsstand vom 2. März 2005 sowie eine Präsentation samt Karte sind auf der Internetseite des Wirtschaftsministerium unter der Rubrik „Wirtschaftspolitik aktuell“ zu finden.

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projekt „Erleichterung von Existenzgründungen aus Forschungseinrichtungen“ bisher verhältnismäßig schlecht abschneidet. Rasches Handeln ist gefragt, zumal die Zeit kommen wird, wo spezifische FuE-Förderung für Ostdeutschland eingestellt werden wird. Erste Studien belegen, dass das FuE-Gefälle zwischen Ost und West niedriger ist als innerhalb Westdeutschlands das Gefälle zwischen Nordwest und Süd. Umso mehr muss auf die Produktivität und nicht nur auf die Intensität bei Innovationsförderung geachtet werden. Nur dort, wo Wissenschaft mit Wirtschaft, Industrie und Dienstleistung zusammenkommt, entstehen Innovation, Produkte und weitere Arbeit. Innovationspolitik muss daher dort ansetzen, wo die entsprechende kritische Masse hierfür bereits vorhanden ist oder herbeigeführt werden kann. Mit der Schwerpunktsetzung „Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft und Technologie“ im Doppelhaushalt 2005/06 weist die Landesregierung bereits eine Richtung, die in dieser Legislatur mit weiteren Handlungen unterlegt werden will. Woher kommt das Geld? Nicht nur die Wirtschaft will wissen, woran sie die nächsten Jahre ist. Vor dem Hintergrund der oben aufgezeigten absehbaren Einnahmesituation des 72

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Landes existiert bei Regierung und Parlament ein natürliches Bedürfnis nach Planungssicherheit. Die „Haushaltsnotlage“ ist bis jetzt nur gedacht. Wer wie Brandenburg knapp 10 Prozent seines Haushaltsvolumens von insgesamt 10 Milliarden € allein für Schuldendienste ausgibt, das Risiko steigender Zinsen nur am Rande erwähnt, muss nicht nur genau überlegen, in was investiert wird, sondern woher die Mittel dafür kommen. Solidarpakt II bis 2019 Wichtige Planungsgrundlage ist dabei der Solidarpakt II, der seit diesem Jahr nunmehr die Zuweisungen des Bundes an die ostdeutschen Länder regelt. Der Korb I enthält Sonderbedarfsergänzungszuweisungen über 105 Milliarden €, die bis 2019 befristet an die Länder in Jahresscheiben ausgereicht werden. Der Korb II enthält überproportionale Zuweisungen des Bundes und der EU an die Länder über 51 Milliarden €. Neben den Gemeinschaftsaufgaben und den Investitionszulagen rechnet der Bund bislang hier als dritte Ausgabensäule auch seine Finanzhilfen hinzu, die er z.B. beim Wohnungs- oder Städtebau gewährt. Dabei müssen Besonderheiten beachtet werden: Erhielten die ostdeutschen Länder die SoBEZ bis zum Auslaufen des Solidarpakts I „zum Abbau teilungsbedingter Sonderlasten sowie


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zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft“, wird die Verwendung ab 2005 eingeschränkt. Nach § 11 II FAG werden ab diesem Jahr die SoBEZ nur noch „zur Deckung teilungsbedingter Sonderlasten aus dem starken infrastrukturellen Nachholbedarf und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft“ gewährt. Die explizite Festlegung auf den infrastrukturellen Nachholbedarf macht es Brandenburg nicht einfacher, künftig die Verwendung der SoBEZ in den Fortschrittsberichten besser nachzuweisen. Denn Brandenburg hat für Aufwendungen für die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der DDR aus dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz alleine in den Jahren 2002, 2003 und 2004 jeweils über 400 Millionen € aufbringen müssen.3 Zahlungsverpflichtungen, auf die die Länder keinen Einfluss haben, da sie auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts basieren. Weniger SoBEZ Außerdem werden die SoBEZ ab 2006 beschleunigt abgebaut. Erhält Brandenburg im Jahr 2005 noch 1.509 Millionen € und im Jahr 2006 immerhin noch 1.502 Millionen €, schrumpft

dieser Betrag bei der letztmaligen Zahlung für das Jahr 2019 auf magere 300 Millionen €. Hinsichtlich der 51 Milliarden € aus Korb II ist es Begehren der neuen Länder, zur Planungssicherheit ihre Anteile sowie die Termine und Teilbeträgen festzuschreiben. Der Bund zögert hierbei vernehmlich und mahnt zunächst eine erkennbar bessere Verwendung der Mittel aus Korb I an. Der Grund ist bekannt: Die Länder hätten die Mittel aus dem Solidarpakt I in den vergangenen Jahren fehl verwendet – einige Länder in hohem Umfang. Diese Länder werden nicht umhinkommen, an die laufende Verwendung der Mittel aus Korb I strengere Maßstäbe anzulegen, um die Auszahlungen ihres Anteiles aus Korb II nicht zu erschweren. Jährliche Überprüfung Die neu entfachte Debatte um den Aufbau Ost, die sich mit dem Vorliegen der Fortschrittsberichte jährlich wiederholen wird, ist insofern hilfreich, als der Konsolidierungsdruck auf die Länder aufrechterhalten wird. Schädlich ist, wenn dabei wegen hoher Fehlverwendungsquoten der Verdacht der Unfähigkeit jährlich neu geschürt wird. Denn dieser Verdacht ist in weiten Teilen unbegründet. Denn das Berech-

3 Die jeweils geleistete Zahlungen seit 1992 und die prognostizierten Aufwendungen bis 2019 sind getrennt nach Zusatz- und Sonderversorgungssystemen in der Drucksache 4/354 nachzulesen.

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nungsschema, auf das sich die Länder mit dem Bund geeinigt haben, sieht vor, dass von den eigenfinanzierten Investitionen die anteilige Nettokreditaufnahme subtrahiert wird. Nur die Differenz wird als aus SoBEZ finanzierte Investitionen anerkannt. Die negative Entwicklung der Steuereinnahmen und die damit einhergehende ansteigende Nettokreditaufnahme führten im Ergebnis dazu, dass der SoBEZ-Nachweis schwieriger wird. Bundesfinanzminister Hans Eichel sollte nach seinen erfolgreichen Verhandlungen in Brüssel über Neudefinition der EU-Stabilitätskriterien entsprechendes Verständnis für die Sondersituation in Brandenburg und den neuen Bundesländern haben können, denn er kennt die Situation: Überstieg auf Bundesebene im Jahr 2003 die Nettokreditaufnahme die Investitionen um knapp 13 Milliarden €, war für das Jahr 2004 ein Zuwachs auf ca. 17 Milliarden € zu verzeichnen. Nichts desto trotz stellt sich die Frage, ob alles beim Alten bleiben sollte? Die Antwort ist nein! Erweiterter Investitionsbegriff Denn der Solidarpakt II hat eine Geschichte. Der zugrundeliegende Kernvertrag ging davon aus, dass die Gewährung von SoBEZ dazu dienen sollte, die Infrastrukturlücke zu schließen, die den Entwicklungsprozess und die 74

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Angleichung zu Westdeutschland behindert. In allen ostdeutschen Ländern gibt es mittlerweile Standorte, die für Investoren in dieser Hinsicht genauso attraktiv sind wie vergleichbare in Westdeutschland. Ob weitere Investitionen in Infrastruktur helfen, wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, ist unwahrscheinlich. Daher muss die Frage nach dem Kernvertrag neu gestellt werden. Bildung statt Beton Die gesamtdeutsche Solidarität verlangt von den neuen Ländern, die zur Verfügung gestellten Solidarpaktmittel dort einzusetzen, wo sie den höchsten Ertrag in Form von Wachstum und Arbeitsplätzen bringen. Blicken wir in die Zukunft Brandenburgs, kann die Lösung nicht Beton sein. Statt Umgehungsstraßen ist eine Investitionspolitik für Wachstum und Beschäftigung notwenig. Da in Brandenburg traditionelle Wirtschaftszweige und Industrieforschung kaum noch vorhanden sind, brauchen wir stärkeres Engagement in Bildung und Forschung. Diese Erkenntnis ist auch beim Bund vorhanden. Ergebnis der Innovationskonferenz „Aufbau Ost“ am 31. März 2005 in Berlin war kein Sonderprogramm für Infrastruktur. Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung, hat vielmehr angekündigt, ein Nachwuchsforschungs-


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programm aufzulegen, in das ab Mitte diesen Jahres bis 2012 rund 150 Millionen € fließen soll. Ziel des Sonderprogramms „InnoProfile“ ist es, wirtschaftliche und technologische Stärken einzelner Regionen in den neuen Ländern gezielt auszubauen. Und auch Wolfgang Clement, Bundeswirtschaftsminister, will einen High-Tech Gründerfonds auflegen, um damit die Finanzierungs- und Eigenkapitalbasis der jungen High-Tech Betriebe in den neuen Bundesländern zu stärken; im Gespräch ist eine Gesamtsumme von bis zu 240 Millionen €. Mit dem Auflegen dieser Innovationsprogramme für die neuen Länder bestätigt der Bund den Weg Brandenburgs, statt in Umgehungsstraßen in Wissenschaft und Forschung zu investieren. Konsequenterweise müssen dann auch unsere Ausgaben für Forschung und Entwicklung, ob nun an Hochschulen, außeruniversitären For-

schungseinrichtungen oder Unternehmen, für diese Sonderprogramme vom Investitionsbegriff gedeckt sein. Aus Sicht der Länder wäre deswegen eine Erweiterung bzw. eine weiter gefasste Auslegung des Investitionsbegriffs der SoBEZ sinnvoll. Diese Verhandlungen mit dem Bund wären jedoch behutsam zu führen. Keinesfalls darf dies in einer sich ausweitenden und dann ergebnisoffenen Debatte schließlich dazu führen, dass der Solidarpakt II der Höhe nach insgesamt gekürzt wird. Doch auch dem Bund muss es daran gelegen sein, dass die neuen Länder wirtschaftlich gesund aufgestellt sind – zeigt er doch selbst mit seinen Innovations- und Branchenkonferenzen die Wege auf. Deswegen sollte er bei den Verhandlungen mit den Ländern ein offenes Ohr haben: Innovation schafft Wachstum – und deswegen Grips statt Beton! ■

TINA FISCHER

ist Rechtsanwältin und seit 2004 Landtagsabgeordnete für die SPD in Brandenburg. perspektive21

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[ tina fischer ]

ALEXANDER GAULAND

ist promovierter Jurist und Herausgeber der „Märkischen Zeitung“ in Potsdam. Zuletzt erschien von ihm die „Anleitung zum Konservativsein“, Deutsche Verlagsanstalt 2002 76

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Bürokratieabbau für Brandenburg ANWENDUNGSFREUNDLICHE RECHTSSETZUNG STATT FLUCHT VOR GEMEINWOHLPFLICHTEN VON CARSTEN STENDER

ie Brandenburgerinnen und Brandenburger haben verstanden. Die Nachwendezeit ist ein für alle mal vorbei. Damit ist auch der bisweilen reichlich paternalistischen Stil des Umbaus von Staat, Gesellschaft und Ökonomie an sein Ende gekommen. Das Land steht an einem Wendepunkt. Die unreflektierte Übernahme von Regelungen und Strukturen der alten Bundesrepublik führt nicht mehr weiter. In wenigen Jahren wird auch die Inanspruchnahme finanzieller Transfers, denen keine eigene Wertschöpfung gegenübersteht, enden. Brandenburg ist keine „kleine DDR“ mehr. Das Land will und muss sich deshalb als zupackende Region neu erfinden. Ob dies gelingt ist offen, aber es gibt Grund zur Hoffnung, weil sich ein Mentalitätswechsel abzeichnet: Bereits heute ist ein gewisser Trend zur Eigeninitiative, zu mehr Optimismus und berechtigtem Selbstvertrauen der Brandenburgerinnen und Brandenburger spürbar. Warum sollte den Märkern misslingen, was den Oberbayern

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gelang? Brandenburg scheint jedenfalls zu diesem zweiten Aufbruch bereit und dabei kommt es auf eigene Kreativität, eigene Mühe und eigene Kompetenz an. Die Aufgabe der sozialdemokratisch geführten Landesregierung besteht in dieser Phase darin, die Barrieren für die Entfaltung der eigenen Kräfte wegzuräumen. Der Staat wird das Land nicht ewig mit fremden Ressourcen segnen können. Er kann aber jeden und jede in die Lage versetzen, seine Stärken auszubilden und sich selbst Wohlstand und Zukunft zu erarbeiten. Er sorgt für Chancengerechtigkeit und dafür, dass niemand zurückgelassen wird. In diesem Sinne gilt für die Brandenburger die Feststellung Gerhard Schröders: Sie wollen den Staat an ihrer Seite wissen; sie wollen ihn nicht vor die Nase gesetzt bekommen. Bliebe die „Erneuerung aus eigener Kraft“ nur ein ideenpolitisches Konstrukt und das „zupackende Land“ nur ein modisches Label, so würde sich für die Lebenslagen der Menschen nichts perspektive21

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[ carsten stender ]

ändern. Die sozialdemokratisch geführte Landesregierung würde an öffentlicher Zustimmung verlieren: Stillstand delegitimiert. Selbstvertrauen und Wagemut An der Veränderung der Mentalitäten im Bezug auf das Selbstvertrauen und den Wagemut der Bürgerinnen und Bürger einerseits und die Gewährleistungsverantwortung des Staates andererseits hängen Erfolg und Misserfolg einer Politik für Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand. Eine Landespolitik, die nur als technisches Projekt der Eliten des politisch-administrativen Systems daherkommt, muss scheitern. Eine Landespolitik aber, die die Menschen für eine Kultur der ökonomischen und sozialen Erneuerung im Vertrauen auf die eigenen Möglichkeiten begeistert, hilft Lebenschancen zu eröffnen. Diese Politik des Wegräumens von Barrieren, des Eröffnens von Spielräumen für Eigenverantwortung und die Entfaltung kultureller, wirtschaftlicher und persönlicher Freiheit muss ihren Niederschlag auch in praktischem, kleinteiligem Regierungshandeln finden, und zwar ohne dass das politische Projekt selbst dadurch kleinteilig und uninspiriert erscheinen dürfte. Dies gilt beispielhaft auf dem Feld des Bürokra-

tieabbaus. Kaum ein anderes Feld eignet sich so sehr als Lackmustest darauf, ob es dem Land mit mehr Freiheit und Verantwortung für den Einzelnen einerseits und den Umbau einer rudernden Bürokratie zur steuernden Landesverwaltung ernst ist. Brandenburg braucht dazu ein ressortübergreifendes Konzept der Entbürokratisierung, dass handwerkliche (d.h. insbesondere juristische) Solidität mit einer politischen Idee von individueller Entfaltung, wirtschaftlichem Erfolg und gerechten Rahmenbedingungen verbindet. Bürokratieabbau als Wunderseife Dem Potsdamer Verwaltungswissenschaftler Werner Jann verdanken wir die Einsicht, dass Deregulierung (nicht anders als Regulierung) ein politischer und kein bürokratischer Prozess ist. Das Bürokratieproblem ist daher nicht durch irgendwelche administrativen Maßnahmen zu bewältigen. „Es gibt keine technokratische (oder bürokratische) Lösung für Deregulierung.“ Viel weniger ist eine „Bürokratieabbaubürokratie“ 1 die Wunderseife, mit der man der Landesverwaltung nur den filzigen Pelz waschen muss. Es wäre eine fatale Fehlvorstellung, wenn man die Ursache des hohen Determinierungsgrades darin

1 Vgl. Hans-Wilhelm Baumann, Vom Bürokratieabbau zur Bürokratieabbaubürokratie?, in: Das Rathaus 1-2/2005, Seite 11 ff.

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[ bürokratieabbau für brandenburg ]

sehen würde, dass „wild gewordene, hyperaktive Beamte in den Ministerien außer Kontrolle geraten sind.“ Vielmehr liegen unseren Systemen der Wirtschaftsaufsicht, der Abgaben- und Informationspflichten, der Genehmigungs- und Anzeigeverfahren politische Wertungen und Entscheidungen zu Grunde, die sich nicht einfach wegwischen lassen. Die Geschichte vom Sack und vom Esel In den meisten politisch relevanten Bereichen von „Bürokratieabbau“ geht es um materielle Konflikte zwischen divergierenden Interessen, z.B. zwischen unternehmerischer Entscheidungsfreiheit und Anforderungen des Umweltschutzes und der sozialen Sicherung oder dem Bedarf der Verwaltung an Informationen über Tatbestände und Daten (Haftungsbestimmungen, Mitbestimmung, Steuern, Abgaben, Statistiken, Abrechnungs- oder Auskunftspflichten). Diese Regelungen, von denen Betroffene gelegentlich behaupten, sie seien überflüssig, begründen in der Regel Gemeinlasten, d.h. Pflichten, die dem Einzelnen oder einem Unternehmen im Interesse der Gemeinschaft auferlegt wurden. Wird die Diskussion

auf solche Konflikte konzentriert, so erscheint die Überschrift „Bürokratieabbau“ fragwürdig, trifft dies doch nur einen Randaspekt des eigentlichen Problems. Wir sind dann in Wahrheit mit einer Art Tarnkappenstrategie des Neoliberalismus konfrontiert, die darauf abzielt, gewisse Konsequenzen der Gemeinpflichtigkeit des Eigentums mit dem berechtigten Anliegen der Bürokratiekritik soweit zu vermengen, dass man sich anschließend leichter aus der Verantwortung stehlen kann. Diese Form des „Bürokratieabbaus“ kann der Brandenburger Weg nicht sein. „Hier wird der Sack Bürokratie geschlagen und eigentlich der Esel sozialer Rechtsstaat in seinen vielfältigen Ausprägungen gemeint.“2 Reglementierung in Breite und Tiefe Im Übrigen darf man eine Entbürokratisierungsstrategie nicht auf der Lebenslüge aufbauen, der Normenhunger liege sich mit den Mitteln der Verwaltungsmodernisierung gewissermaßen „wegoperieren“. Alles Klagen ändert nichts daran, dass die Aufgabe der Gesetzgebung eine unentrinnbare und ständige ist. 3 Die Reglementierung breitet sich sowohl in die Breite wie

2 Werner Jann, „Bürokratieabbau. Thesen zur Öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages“, BTInnenausschuss A-Drucksache 15(4)121, Berlin, 28.06.2004 3 Heinz Schäffer, Über Möglichkeit, Notwendigkeit und Aufgaben einer Theorie der Rechtssetzung, in: derselbe, Theorie der Rechtssetzung, Wien 1988, Seite 24

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auch in die Tiefe hin aus. D.h., dass immer neue Bereiche des Gesellschaft zum Objekt regulativer Politik werden, während die Verrechtlichung zugleich auch in ihrer Intensität zunimmt. Gesetztesstaat mit eigener Dynamik Die Ursachen sind vielfältig: Der formale Rechtstaat mit seinem strengen Vorbehalt des Gesetzes, mit Bestimmtheitsgrundsatz und »Wesentlichkeitstheorie« erzeugt ernorme Determinierungsanforderungen. Es wird zum normenhungrigen Gesetzesstaat, der sich anscheinend unaufhaltsam mit großer Eigengesetzlichkeit und Dynamik entwickelt.4 Die Modernisierung und Ausdifferenzierung der Gesellschaft, die rasante Entwicklung von Technik, Wissenschaft und Zivilisationsrisiken steigert die Komplexität der zu regulierenden Sachlagen, und damit auch die Komplexität des dazu formulierten Rechts. Die Kritik an der Vermehrung und Komplizierung der Gesetze ist daher jedenfalls insoweit unberechtigt, als sie sich auf die unvermeidlichen Folgen gesellschaftlicher Entwicklungen bezieht. „Die offene und pluralistische Gesellschaft ist grundsätzlich instabil; sie kann höchstens in einem beweglichen Gleichgewicht leben. Neue Zustände bedürfen neuer Normen …“ 5

Die Judikate der Rechtsprechung differenzieren sich immer weiter aus, was den Gesetzgeber veranlasst, die Judikatur auf einen ähnlich hohen Spezialisierungsgrad zu korrigieren bzw. zu bestätigen. Kasuistik und kleinteilige Detailierung sind die Folge. Auch die liberale Forderung nach Entbürokratisierung und »weniger Staat« zieht häufig nicht Deregulierung, sondern Reregulierung nach sich. Auch wer staatliches Handeln auf das »Kerngeschäft« beschränken will, und die andere Aufgaben von externen Privaten erledigen lassen will, kann sich nämlich seiner Gewährleistungsverantwortung nicht entziehen. Mit jeder Aufgabenprivatisierung müssen neue Vorschriften zur Steuerung und Überwachung geschaffen werden. Größere Spezialisierung durch Europäisierung So sind z.B. im Zuge der Privatisierungen von Post und Bahn umfangreiche neue Regelwerke erforderlich geworden, die ihrerseits den ganz neuen Verwaltungszweig der Regulierungsbehörden begründet haben. Landes- und Bundesgesetzgebung wird im Übrigen durch den Prozess der europäischen Einigung angetrieben. Brüsseler Verordnungen und Richtli-

4 Dazu ausführlich: Werner Jann et al (Hg.), Politik und Verwaltung auf dem Weg in die transindustrielle Gesellschaft. Festschrift für Carl Böhret zum 65. Geburtstag, Baden-Baden 1998, Seite 357 ff., 5 Peter Noll, Die Normativität als rechtsanthropologisches Grundphänomen, in: Paul Bockelmann, Arthur Kaufmann und Ulrich Klug (Hg.), Festschrift für Karl Engisch zum 70. Geburtstag, Frankfurt am Main 1969, Seite 125 ff.

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nien weisen häufig einen größeren Spezialisierungsgrad auf als nationale Regelungen, weil im Prozess der dahinter stehenden Konsensbildung mehrere Mitgliedsstaaten ihre jeweils eigenen Sonder- und Spezialfälle einbringen, die sich im Ergebnis summieren. Das alte Lied vom Bürokratieabbau Im Übrigen gibt es offenbar einen Zusammenhang zwischen der Instabilität der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage und dem Ausmaß der Normenflut: „In Krisenzeiten läuft der Gesetzgeber Gefahr, die Rechtsstaatlichkeit durch Massenausstoß von Vorschriften umzubringen.“ 6 Der Staat stößt in der Krise Vorschriften aus, wie ein infizierter Körper weiße Blutkörperchen. Der Erfolg ist freilich weit weniger sicher. Trotz der ganz fundamentalen Ursachen der wachsenden Regulierung fehlt es auch zwischen Wittstock und Elsterwerda nicht an Rufen nach „Deregulierung“. Der Gesetzgeber legte seine guten Vorsätze sogar im Landesrecht ausdrücklich nieder: So sieht § 11 des Gesetzes über Ziele und Vorgaben zur Modernisierung der Landesverwaltung (VerwModG) vor, dass vorhandene Normen und Standards auf ihre Qualität und auf ihre Not-

wendigkeit mit dem Ziel einer deutlichen Verringerung zu überprüfen sind. § 5 Abs. 5 des Gesetzes zur Neuregelung des Landesorganisationsrechts (Landesorganisationsgesetz – LOG) schreibt vor, dass Normen und Standards auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen und, soweit möglich, abzubauen, zu vereinfachen oder anzupassen sind. Eine effektive Kontrolle der Notwendigkeit des Erlasses von Vorschriften fand jedoch in Brandenburg bisher kaum statt. Die Fachabteilungen bemühen sich „ihre“ Vorschriften durchzusetzen. Die Z-Abteilungen der Landesministerien wirkten kaum als Korrektiv. Sie interessieren sich allenfalls dafür, ob ausreichend Geld und Personal vorhanden bzw. einzuwerben ist, um die Vollziehung neuer Normen erledigen zu können. Wenig Wirkung von Normprüfungsstellen Die Stabsstelle für Verwaltungsmodernisierung versuchte Fehlentwicklungen zu verhindern, scheiterte aber zumeist am schieren Umfang der Normenproduktion des „motorisierten Gesetzgebers“. Die inzwischen eingerichteten Normprüfungsstellen in den Ressorts haben ebenfalls wenig Wirkung entfaltet: Sie haben im Gesamtgefüge des Ministeriums ein Interesse sich mit

6 Hans Schneider, Gesetzgebung. Ein Lehrbuch, Heidelberg 2002, Seite 270

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den Fachabteilungen gut zu stellen und Konflikten weiträumig aus dem Wege zu gehen. Überflüssige Vorschriften ähneln eben sehr den überflüssigen Subventionen: Solange man im Grundsätzlichen diskutiert, sind sich alle einig: Es gibt eine beinahe unüberschaubare Menge überflüssiger Regulierung. Wenn man allerdings einzelnen Tatbeständen näher tritt, gibt es erbitterte Widerstände der betroffenen Partikularinteressen. Dieses Dilemma scheint unauflöslich. So ist das Missverhältnis von „Ankündigung und Ertrag“ 7 leider ein all zu häufig anzutreffendes Charakteristikum der Bemühungen um eine Modernisierung des Staates. Ausdifferenzierung der Gesellschaft nicht zu stoppen Die Landesregierung ist gut beraten, ihre Strategie der Entbürokratisierung nicht als den heldenhaften (aber untauglichen) Versuch zu inszenieren, sich dem Anwachsen des Normenbestandes entgegen stellen zu wollen. Das gliche dem Bemühen, die Ausdifferenzierung der Gesellschaft zu stoppen. Die Wahrheit ist: Im demokratischen Rechtsstaat gibt es für die gewählte Regierung und die sie tragende

parlamentarische Mehrheit zum Gesetz wenig Handlungsalternativen. Wer sich, zumal als Sozialdemokrat, zu gesellschaftliche Fortschritt (d.i. Ausdifferenzierung) und zum parlamentarisch-demokratischen Rechtsstaat bekennt, kann schlecht zugleich fordern, die Gesetzproduktion möge gewissermaßen einschlafen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Wider die Tonnenideologie Eine spezifisch sozialdemokratische Entbürokratisierungsstrategie verfolgt ein anderes Ziel: Sie will alles daran setzen, dass das Handlungsinstrument »Gesetz« unter den Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten einer dynamischen und demokratisch-rechtsstaatlich verfassten Gesellschaft so gut wie eben möglich einsetzbar ist.8 Entbürokratisierung erscheint – von diesem Standpunkt aus – zunächst als Problem der Regelungsqualität und erst in zweiter Linie der Quantität. Das Gegenkonzept läuft auf eine gefährliche Tonnenideologie hinaus, die die Güte einer Entbürokratisierungsstrategie an der Zahl der gestrichenen Vorschriften messen will. Ausdruck einer solchen verfehlten Sichtweise ist

7 Joachim Jens Hesse, Staatsreform in Deutschland – das Beispiel der Länder, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften (ZSE), I/2003, Seite 579 8 Ortlieb Fliedner, Gute Gesetzgebung. Welche Möglichkeiten gibt es, bessere Gesetze zu machen? FES-Analyse Verwaltungspolitik (hg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung), Bonn 2001, Seite 6

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es z.B., wenn die Landes-CDU großspurig mit den Zahlen der vom Innenminister aufgehobenen Vorschriften wirbt. Jörg Schönbohm selbst scheint insoweit viel weiter zu sein: Auf einer Vorstandsklausur der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK) Brandenburg sagte er unlängst: „Soweit es den Abbau bestehender Vorschriften betrifft, hat die Vergangenheit gelehrt, dass nicht allein auf dessen Quantität abgestellt werden darf. Zwar sorgt ein zahlenmäßiger Abbau für die notwendige Transparenz und bessere Überschaubarkeit des Vorschriftendschungels. Über die Qualität der Vorschriften, ob und in welchem Maße sie unnötigen Aufwand – und in dessen Folge Kosten – bedingen – und das dürfte das Entscheidende sein –, vermag er jedoch nichts zu sagen.“ Eben. Forderungen nach Streichung von 40 Prozent des Normenbestandes, wie sie von der Mittelstandsvereinigung der CDU erhoben werden, sind – jedenfalls bezogen auf das Brandenburger Landesrecht – völlig unrealistisch. Deregulierung mit Augenmaß angehen Eine Lockerung der rechtlichen Einbindung, eine Vereinfachung des Verfahrens oder eine Herabsetzung bestimmter Anforderungen (Standards) ist gleichwohl in vielen Fällen möglich und wünschenswert. Bisher fehlt es zu

oft an rechtstatsächlicher Vorbereitung, an rechtswissenschaftlicher Durcharbeitung der Gesetzentwürfe und am sorgfältigen Vergleich mit alternativen Gesetzeskonzeptionen und Gesetzesformulierungen. Dies ist wohl auch die Folge eines Mangels an wissenschaftlich vorgebildeten Gesetzgebungsexperten. Unerwünschte Risiken und Nebenwirkungen Insbesondere Gesetzesvorhaben, die Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes, v.a. auf kleine und mittlere Betriebe haben, sollten nur im Dialog mit den betroffenen privatwirtschaftlichen Akteuren entwickelt werden. Um das Korrektiv der wirtschaftlichen Praxis frühzeitig nutzen zu können, sollten exemplarische Unternehmen ausgewählt werden, die an einem solchen Dialog über Bürokratiekosten und unerwünschte „Risiken- und Nebenwirkungen“ Interesse haben. Externe Durchführungskosten sollten nicht ohne methodische Basis geschätzt werden, sondern durch Umfragen bei den betroffenen Unternehmen (Business Test Panels) systematisch erhoben werden. Es gilt die Gesetzesfolgenabschätzung stärker zu institutionalisieren und zu professionalisieren. Anstatt eines Wildwuchses in der Ressortforschung bedarf es einheitlicher Standards für die wissenschaftliche Vorbereitung, Begleitung und Evaluation perspektive21

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landespolitischer Programme und ihrer rechtlichen Grundlagen. Erwägenswert ist auch die Einführung einer Beschwerdestelle, ähnlich des „unabhängigen Landesbeauftragten für Bürokratieabbau, Deregulierung und Aufgabenabbau“ in Baden-Württemberg. Es braucht eine Stelle mit Ombudsmannfunktion, an die sich jeder und jede mit Kritik und Vorschlägen wenden kann, wie die Landesverwaltung ihre Leistungen bürgerfreundlicher, kostengünstiger und einfacher erbringen kann. All das würde helfen, das Bewusstsein für die externen Folgekosten gesetzgeberischer Aktivität zu steigern. Ein „zahnloser Tiger“ hilft nicht Die Erfahrungen in anderen Bundesländern zeigen, dass zentrale Normprüfungsstellen einen wichtigen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten können. Es ist daher zu begrüßen, dass jetzt in der Staatskanzlei eine Stabsstelle eingerichtet wird. Ihr soll nunmehr die Überprüfung des bestehenden sowie des künftig zu setzenden Rechts obliegen. Wenn dies mehr als ein Symbol sein soll, bedarf es einer abgemessenen personellen Ausstattung dieser Arbeitseinheit. Im Übrigen steckt der Teufel auch hier im Detail der Ausgestaltung: ■ Es bedarf zunächst eines breiten Zuständigkeitsbereichs der zentralen Normprüfung. Neben Gesetzen und 84

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Rechtsverordnungen sollten auch interne Vorschriften der Fachministerien in den Zuständigkeitsbereich der zentralen Normprüfung fallen. Insoweit ist eine gewisse Durchbrechung des Ressortprinzips in Kauf zu nehmen. ■ Die Normprüfungsstelle muss frühzeitig beteiligt sein. Deshalb sollte das jeweils federführende Ressort unmittelbar nach der ressortinternen Abstimmung, aber möglichst noch vor Schlusszeichnung durch die Ministerin oder den Minister, dem Normenprüfungsreferat den Entwurf des Gesetzes, der Verordnung etc. zur Kenntnisnahme zuleiten. ■ Die Normprüfstelle prüft die Notwendigkeit, Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit, Verständlichkeit und Anwendungs- und Vollzugsfreundlichkeit sowie Gender-Gesichtspunkte von Rechtsvorschriften. Die Normprüfung erfolgt schwerpunktmäßig unter dem Gesichtspunkt der Bürokratiekritik. Sie ersetzt nicht die Rechtsförmlichkeitskontrolle durch das Ministerium der Justiz (MdJ) nach der Geschäftsordnung der Landesregierung Brandenburg. Die sicherste Methode eine effektive Arbeit der Normprüfungsstelle zu torpedieren, bestünde darin, sie mit der Expertise über Fragen der Rechtssetzungskompetenz, der materiellen Verfassungsmäßigkeit und der EU-Konformität zu beschäftigen. Die Normprüfstelle darf kein Neben-Justizministerium werden. ■ Die Normprüfung sollte die Möglichkeit haben, in Bezug auf einzelne


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Handlungsfelder des Bürokratieabbaus externen Sachverstand der Wissenschaft, der Sozialpartner, der Unternehmen und der zivilgesellschaftlichen Akteure im Übrigen zu mobilisieren. Die Landesregierung steht im Wort alle Anregungen im Bezug auf hemmende Bürokratie sorgfältig und zügig auszuwerten und Konsequenzen zu ziehen, wo immer das sinnvoll ist. ■ Die Normprüfung muss, soweit die Abstimmung mit den Ressorts ergebnislos bleiben, verfahrensmäßige Rechte haben. Ablehnende Voten gehören in die Kabinettsvorlagen. Qualitätsoffensive für das Steuerungsmedium „Recht“ Wer fordert, dass das Brandenburg besser regiert werde müsse, fordert – verwaltungswissenschaftlich gesprochen –, dass sich die Problemverarbeitungskapazität des politisch-adminis-trativen Systems erhöhen müsse. Dies aber ist gleichbedeutend mit der Forderung, die Qualität des zentralen Steuerungsmediums „Recht“ zu erhöhen. Ohne eine Vorstellung von den Anforderungen an gute Gesetzgebung ist mithin „kein Staat zu machen“: Verständlichkeit des Ausdrucks, Einfachheit der Regelung, Präzision, und Transparenz. Legt man diese

Maßstäbe an, so ist der Befund einigermaßen ernüchternd: Es beginnen bei unzu-treffenden bzw. irreführenden Gesetzestiteln, setzt sich fort über unübersichtliche Sammelgesetze, lästige Kettenverweisungen bis hin zur Mangelhaftigkeit des sprachlichen Ausdrucks.9 Was wir bräuchten ist ein Entbürokratisierungsansatz, der von der Einsicht ausgeht, dass verständliche Gesetze die nächstliegende und billigste Methode sind, um einen erleichterten Zugang zum Recht zu verwirklichen.10 Es ist zu wünschen, dass in der Öffentlichkeit und bei den im Gesetzgebungsprozess Verantwortlichen das Bewusstsein dafür steigt, dass die juristisch-legistische Umsetzung von politischen Gestaltungsanliegen kein bloßer Formalismus ist. Sprachpolizei für Juristen einführen Es geht um weit mehr, als „um ein Steckenpferd einiger Juristen; es geht hier nicht um Ordnungsspleen oder Sprachpolizei. Es geht um ganz handfestes. Es geht um die Frage, ob man sich in der Rechtsordnung auskennen kann oder ob sie auch für den Fachmann unübersichlichtlich bleibt; es geht um Kosten in enormer Höhe –

9 Heinz Schäffer, Über Möglichkeit, Notwendigkeit und Aufgaben einer Theorie der Rechtssetzung, in: derselbe, Theorie der Rechtssetzung, Wien 1988, Seite 26 10 Fritz Schönherr, Sprache und Technik der Gesetze, in: Schambeck, Herbert (Hrsg.), Österreichs Parlamentarismus, Werden und System, Berlin 1986, Seiten 833 ff, 851

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für den Rechtssuchenden und für die Vollziehung, also für die Allgemeinheit. Der Zeitaufwand, der den Rechtsunterworfenen, der Vollziehung und der Kontrolle durch schlechte Gesetze entsteht, ist unglaublich hoch.“ 11 Gelänge es in Brandenburg in Sachen Qualität der Landesgesetzgebung, in Punkto Anwendungs- und Vollzugsfreundlichkeit des Rechts und bei der

Streichung hemmender und ineffektiver Vorschriften besser zu sein als andere Länder, so wäre dies ein wichtiger Beitrag für die Erneuerung aus eigener Kraft. Dieses Land hat das Potenzial, sich als zupackendes Land neu zu erfinden. Ohne die Veränderung von Strukturen und Mentalitäten in der Landeswaltung wird das freilich nicht gehen. ■

DR. CARSTEN STENDER

ist Justitiar der SPD. Er promovierte über „Gesetzgebungstechnik. Zur Abfassung anwendungs- und vollzugsfreundlicher Vorschriften.“ 11 Karl Korinek, Die Qualität der Gesetze – staatsrechtliche und legistische Verantwortlichkeiten im Gesetzgebungsprozeß, in: Michael Holoubek/Georg Lienbacher (Hg.), Rechtspolitik der Zukunft – Zukunft der Rechtspolitik (Texte zur Rechtspolitik; 3), Wien/New York 1999, Seite 21 ff.

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Schwarz-Rot-Gold DAS SYMBOL FÜR DIE NATIONALE IDENTITÄT DER DEUTSCHEN VON ERARDO CRISTOFORO RAUTENBERG

ie Frage nach der nationalen Identität ist zehn Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung plötzlich aktuell geworden und seitdem hält das öffentliche Interesse mit gewissen Schwankungen an. Die allgemeine Diskussion über diese Thematik begann Ende des Jahres 2000 mit umstrittenen Äußerungen von zwei CDU-Politikern. So kannte man den vom damaligen CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer aufgegriffenen Spruch „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!“ zuvor nur von Aufnähern auf den Jacken der so genannten Nazi-Skinheads. Der vom damaligen CDUFraktionsvorsitzenden Friedrich Merz kreierte Begriff deutsche Leitkultur, mit dem dieser den vom Göttinger Islamwissenschaftler Bassam Tibi 1996 geprägten Begriff europäische Leitkultur in einer von Tibi als „gefährlich“ abgelehnten Weise abgewandelt hat, assoziiert ebenfalls nationalistisches Gedankengut. Die beiden genannten Politiker wollten ihre missverständlichen Aussprüche allerdings keinesfalls als Ausdruck nationalistischer Über-

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heblichkeit verstanden wissen. Dies ändert aber nichts daran, dass sie von den Rechtsextremen gleichwohl eben so verstanden werden. Deren Interpretation des Ausspruchs von Laurenz Meyer, den sich immerhin auch 30 Prozent der Befragten einer im März 2001 durchgeführten Emnid-Umfrage zu eigen gemacht haben, hat sogar den Charme, den sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen mehr zu entsprechen. So kommt dem Substantiv Stolz laut Duden auch die Bedeutung „übertriebenes Selbstbewusstsein“ oder „Überheblichkeit“ zu und in diesem Sinn haben die Deutschen die anderen Nationen während des wilhelminischen Kaiserreichs und des so genannten Dritten Reichs zu übertreffen versucht. Die Deutschen sangen leider nicht nur „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt!“, sondern schändeten diesen bereits 1841 entstandenen Text, indem sie durch ihr Verhalten den Eindruck erweckten, dass – wie es der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Philipp Scheiperspektive21

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demann in einer Rede am 24. Juni 1924 formulierte – „Deutschland über alle und alles zu beherrschen bestrebt sei: ‚An deutschem Wesen soll die Welt genesen!‘ Was haben derartig törichte Worte dazu beigetragen, alle Welt gegen Deutschland aufzuhetzen! Nationalistische Gesinnung ist Intoleranz, Überheblichkeit ist Streit, ist Krieg oder doch dauernde Rüstung zum Krieg.“ Heute gehört die missverständliche erste Strophe des Deutschlandliedes zu Recht nicht mehr zu unserer Nationalhymne und es hat sich in ganz Europa bei den verantwortlichen Politikern die Einsicht durchgesetzt, dass der Nationalismus in die Sackgasse führt. Die fortschreitende europäische Einigung stößt in der europäischen Bevölkerung aber auch auf Ablehnung, weil eine nicht zu unterschätzende Minderheit den Verlust ihrer nationalen Identität befürchtet. Dies wiederum ist Wasser auf die Mühlen aller derer, die nationalistische Positionen vertreten – und zwar in ganz Europa. Ohne „deutsche Nation“ Die Deutschen sind bisher in ihrem Verhältnis zur Nation von einem Extrem ins andere gependelt. Nach dem nationalistischen Exzess der HitlerDiktatur wurde der Begriff der Nation – durchaus verständlich – in beiden deutschen Staaten vielfach verdrängt. 88

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In der DDR gipfelte dies darin, dass die Worte „deutsche Nation“ 1974 aus der Präambel der Verfassung getilgt und die DDR-Hymne mit der Textzeile „Deutschland, einig Vaterland!“ nicht mehr gesungen, sondern nur noch gespielt wurde. Gegenreaktion auf Tabus In der Bundesrepublik entwickelte sich als Reaktion auf die mangelnde gesellschaftliche Aufarbeitung der Jahrhundertbarbarei der Vernichtungslager bei vielen Angehörigen der so genannten 68er-Generation ein negativer Nationalismus, wonach alle anderen Nationen besser als die eigene bewertet wurden. Ich erkläre mir den Anstieg des nationalistischen Rechtsextremismus nach der Wiedervereinigung auch als eine Gegenreaktion auf die vorangegangene Tabuisierung und Ächtung jeder Erscheinungsform eines nationalen Bewusstseins in Deutschland. Man verstand sich eben als Europäer und die ganz Feinen sogar als Weltbürger. Führende Sozialdemokraten, wie etwa Helmut Schmidt, der während seiner Regierungszeit des Öfteren vor einer Verdrängung des Gedankens der nationalen Identität warnte, und Willy Brandt, der nach dem Fall der Mauer am 10. November 1989 davon sprach, dass jetzt zusammenwachse, was zusammen gehöre, muss man allerdings von dieser Kritik ausnehmen. Jüngst


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sprach sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück dafür aus, „dass die SPD den Begriff Patriotismus nicht anderen überlässt.“ Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, auf den neuen Nationalismus wiederum mit einer Tabuisierung oder gar Ächtung jeder Erscheinungsform eines nationalen Bewusstseins zu reagieren und damit den Rechtsextremen letztlich die inhaltliche Gestaltung der nationalen Identität zu überlassen. Dem neuen deutschen Nationalismus muss ein zu entwickelnder deutscher Patriotismus entgegengehalten werden, dem – vom Gedanken der europäischen Einigung beseelt – eine Geringschätzung anderer Nationen wesensfremd ist und der auch das Bekenntnis zur eigenen verfassungsmäßigen Ordnung beinhaltet. Der 3. Oktober Ende 2004 flammte die öffentliche Diskussion über die „nationale Identität“ wieder auf, nachdem Bundesfinanzminister Hans Eichel Anfang November den Vorschlag unterbreitet hatte, den Tag der Deutschen Einheit aus Kostengründen nicht mehr am 3. Oktober, sondern am ersten Sonntag dieses Monats zu begehen. Er scheiterte damit am Widerstand derer, die den Nationalfeiertag in seiner erst durch den Einigungsvertrag (Art. 2 Abs.2) geschaffenen Gestalt bereits als Teil der

nationalen Identität begreifen, wogegen sich durchaus einiges anführen lässt. Nationalist nein, Patriot ja Die Auseinandersetzung ist sodann als Patriotismusdebatte unter dem Gesichtspunkt der Integration von Ausländern und der Bekämpfung des Islamismus fortgeführt worden. Parallel dazu hatten Günter Buchstab und Jörg-Dieter Gauger von der KonradAdenauer-Stiftung ihr dreiundvierzig Seiten umfassendes Plädoyer für einen modernen Patriotismus vorgelegt und war sowohl vom bayerischen CSUInnenminister Günter Beckstein als auch vom brandenburgischen CDUInnenminister Jörg Schönbohm erneut die deutsche Leitkultur ins Feld geführt worden. Daraufhin hatte der führende CDU-Politiker Wolfgang Schäuble seine Partei vergeblich vor einer „Debatte über den missverständlichen Begriff der Leitkultur“ gewarnt, die – wie Matthias Platzeck konstatierte – „nur Reflexe hervorruft und niemandem nützt“. Weiter hilft allerdings eine Äußerung von Johannes Rau, die dieser bereits unmittelbar nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten machte und der ich nur zustimmen kann: „Ich will nie Nationalist sein, aber ein Patriot wohl. Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt, ein Nationalist ist jeperspektive21

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mand, der die Vaterländer der anderen verachtet“. Seine Liebe zu Deutschland hat auch Bundespräsident Horst Köhler seit seinem Amtsantritt bereits zu mehreren Anlässen bekannt. Mit dem Bekenntnis zum Patriotismus ist somit die Grenze gefunden, die bei der Ausprägung nationaler Identität nicht überschritten werden sollte. Die Problematik besteht nun darin, dass die Bildung von Identität nicht ohne Abgrenzung auskommt. Sie bedarf zwar nicht der Überheblichkeit, doch liegt eine derartige Grenzüberschreitung nahe. Daher konstatiert der Chefredakteur der Zeit in der Ausgabe vom 9. Dezember 2004 zu Recht: „Über die Trennlinie zwischen (gewünschtem) Patriotismus und (verwünschtem) Nationalismus streiten selbst Historiker“. Wofür steht Schwarz-Rot-Gold? Was sollten danach die Inhalte unserer nationalen Identität, eines deutschen Patriotismus sein? Eine Antwort ist meines Erachtens in der Farbkombination Schwarz-Rot-Gold zu finden, die unser einziges Staatssymbol mit Verfassungsrang darstellt. Art. 22 unseres Grundgesetzes lautet nämlich: „Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold“. Ich wage nun zu behaupten, dass unsere Bundesflagge auch alle die Werte symbolisiert, die den Kernbereich unserer nationalen Identität ausmachen sollten. Um diese These zu belegen, ist es erfor90

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derlich, die Ursprünge der schwarz-rotgoldenen Flagge zu ergründen, aber auch darzulegen, wofür die Farben Schwarz-Weiß-Rot stehen, die von den Rechtsextremen bevorzugt werden. Vor einiger Zeit noch sah man bei rechtextremistischen Aufmärschen regelmäßig die Kriegsflagge des Norddeutschen Bundes und des nachfolgenden Deutschen Reichs bis 1921. Dabei handelt es sich um eine weiße Fahne mit schwarzem Kreuz und den Farben Schwarz-Weiß-Rot mit dem Eisernen Kreuz in der oberen inneren Ecke. Diese Flagge ist inzwischen zu einem Symbol für neonazistische und ausländerfeindliche Anschauungen geworden, so dass ihre Verwendung in der Öffentlichkeit von der Polizei in den meisten Bundesländern regelmäßig wegen Störung der öffentlichen Ordnung unterbunden wird. Da das Zeigen der ebenfalls in den Farben Schwarz-Weiß-Rot gehaltenen Hakenkreuzflagge des Dritten Reichs in der Öffentlichkeit als Straftat verfolgt wird und daher schon aus diesem Grund als Sammlungssymbol ausscheidet, verwenden die Neonazis inzwischen die einfache schwarz-weiß-rote Flagge. Röcke, Knöpfe und Aufschläge Die Farbkombination Schwarz-RotGold hat eine längere Tradition als die schwarz-weiß-rote Flagge. Vor allem im 19. Jahrhundert war weit verbreitet, diese Farbzusammenstellung auf das kaiser-


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liche Wappen des am 6. August 1806 aufgelösten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zurückzuführen. Sie findet sich dann jedenfalls bei den Uniformen des 1813 mit Billigung des preußischen Königs aufgestellten Lützowschen Freikorps, in dem sich Freiwillige aus ganz Deutschland zum Kampf gegen das Napoleonische Frankreich sammelten: Schwarz umgefärbte Zivilröcke mit goldfarbenen Knöpfen sowie roten Vorstößen und Aufschlägen. Major Adolf Freiherr von Lützow erbat von Friedrich Wilhelm III., dass das Freikorps, das seine Uniform selbst stellen musste, „schwarze Montierung tragen dürfe, weil nur bei dieser Farbe die Kleidungsstücke, welche sie schon haben, durch Färben benutzt werden könnten.“ Einheitssehnsuchtsfarben Offenbar haben aber bei der Farbenwahl nicht nur Zweckmäßigkeitsüberlegungen eine Rolle gespielt, denn bei der Aufstellung des Korps war von Lützow der schrullige Friedrich Ludwig Jahn behilflich, der schon zuvor mit Blick auf das untergegangene alte Reich seine „Einheitssehnsuchtsfarben“ Schwarz-Rot-Gold bei den Turnern propagiert hatte und der 1848 in der Frankfurter Paulskirche äußerte: „Noch immer trage ich die deutschen Farben, so ich im Befreiungskriege aufgebracht habe.“

Obwohl Lützows wilde verwegene Jagd – so das von Carl Maria von Weber vertonte Gedicht Theodor Körners – den Franzosen militärisch nur wenig Sorge zu bereiten vermochte, und die „Schwarze Schar“ von ihnen schließlich fast völlig aufgerieben wurde, nahm die nationale Verehrung nach dem Ende des Feldzugs gegen Napoleon weiter zu. Eleonore Prohaska, die bei den Lützower Jägern als Mann verkleidet unter dem Namen August Renz diente und am 16. September 1813 bei Dannenberg im Kampf gegen französische Truppen tödlich verwundet wurde, erlangte als Potsdamer Jeanne d‘Arc sogar den Status einer Symbolfigur der Freiheitskriege; 1889 wurde der „Heldenjungfrau“ im Mittelpunkt des Potsdamer Alten Friedhofs ein Denkmal errichtet. So verwundert nicht, dass am 12. Juni 1815 bei der Gründung der Jenaer Burschenschaft, an der ehemalige „Lützower“ wesentlich beteiligt waren, deren Kleidung zur Festtracht erwählt wurde. Als Burschenschaftsbanner soll zunächst eine zweibahnige rot-schwarze Fahne mit goldenem Rand geführt worden sein. Wartburgfest 1817 Am 31. März 1816 erhielt die Burschenschaft dann eine dreibahnige rotschwarz-rote Fahne mit einem goldenen Eichenzweig in der Mitte, die am 18. Oktober 1817 zum Wartburgfest mitgeführt wurde. Dort trugen bereits viele perspektive21

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Teilnehmer schwarz-rot-goldene Kokarden und der Kieler Student August von Binzer trug zum Fest ein Lied bei, das diese Farben verherrlichte und alsbald in aller Munde war. Neue Farben für die Freiheit Als sich am 17. Oktober 1818 in Jena die Vertreter der deutschen Burschenschaften versammelten, die am folgenden Tag die Allgemeine Deutsche Burschenschaft gründeten, beschloss man für diese als einheitliches Banner die „ehemaligen deutschen Farben“, und zwar in der seitdem üblichen Folge Schwarz, Rot und Gold in drei gleich breiten, horizontalen Streifen. Wofür stand nun damals die neue Fahne? Vor allem für ein geeintes, von Fremdherrschaft befreites Deutschland, das in der Gestalt eines Volkskaisertums den Deutschen Bund ablösen sollte, den fünfunddreißig souveräne Fürsten und vier freie Städte als nationalen Minimalkonsens am 8. Juni 1815 gegründet hatten. Die Fürsten hatten sich der nationalen Begeisterung, gerade unter der akademischen Jugend, während der Befreiungskriege zwar gern bedient und sie sogar geschürt, dachten aber nach Beseitigung der napoleonischen Gefahr gar nicht mehr daran, den beim Bürgertum geweckten Erwartungen zu entsprechen und ihre Machtbefugnisse zugunsten einer staatlichen Einigung 92

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der Nation, aber auch von mehr bürgerlichen Freiheiten zu beschränken. Als Reaktion verbrannten die Studenten auf dem Wartburgfest unter anderem einen Perückenzopf und einen Korporalstab als Symbole der verhassten Fürstenherrschaft. Nachdem dann auch noch der Jenaer Theologiestudent Karl Ludwig Sand am 23. März 1819 den Dramatiker August von Kotzebue als Gegner der Ideale der Burschenschaften erdolcht hatte, fürchteten die Fürsten ernsthaft um ihre Macht. Auf maßgebliches Betreiben des österreichischen Staatskanzlers Fürst Metternich wurden im August 1819 die so genannten Karlsbader Beschlüsse gefasst. Diese nahm der Bundestag – die Versammlung der Bevollmächtigten der Staaten des Deutschen Bundes – am 20. September 1819 einstimmig an. Dadurch wurden die Burschenschaften verboten und alle diejenigen der Verfolgung ausgesetzt, die für nationale und liberale Ideen eintraten. Hambacherfest 1832 Als aber im Juli 1830 die Franzosen ihren König stürzten und einen Bürgerkönig auf den Thron setzten, erfasste die Begeisterung für diese Demonstration der Macht des Volkes auch Deutschland. Höhepunkt der Volksbewegung war das Hambacherfest am 27. Mai 1832, das ganz unter


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dem Zeichen von Schwarz-Rot-Gold stand und an dem nach vorsichtigen Schätzungen 25.000 Menschen aus allen Gesellschaftsschichten teilnahmen. Nun wurden mit gleicher Intensität ein vereinigtes Deutschland, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit sowie demokratische Mitbestimmung gefordert. Auch war der Nationalismus der Freiheitskriege einem neuen Patriotismus gewichen. Geburtstag der Nationalität Der Hauptredner Johann Georg August Wirth sprach von dem Fest als „Geburtstag der deutschen Nationalität und der europäischen Gesamtfreiheit“ und führte aus: „Die Natur der Herrschenden ist Unterdrückung, der Völker Streben ist die Freiheit! Hinwegräumung der Throne ist das dringendste Bedürfnis des Jahrhunderts. Ohne Beseitigung der Fürstenthrone gibt es kein Heil für unser Vaterland, kein Heil für Europa, kein Heil für die Menschheit.“ Wirth schloss seine Rede mit einem „Hoch auf das conföderierte, republikanische Europa.“ Die Reaktion folgte umgehend: Der Bundestag erließ im Sommer 1832 Dekrete, die eine Verschärfung der Karlsbader Beschlüsse bedeuteten. Besonders schwer sollte das Tragen der schwarz-rotgoldenen Farben geahndet werden, weil dies ein „Attentat gegen die Sicherheit und die Verfassung des Bundes“ sei.

Hoffmann von Fallersleben verlor 1842 sein Amt als Professor an der Universität Breslau und wurde wegen „politischer Gefährlichkeit“ aus mehreren deutschen Städten ausgewiesen. Auf der damals noch britischen Insel Helgoland dichtete er am 26. August 1841 sein Lied der Deutschen, mit dessen erster Strophe er nicht die anderen Nationen herabwürdigen, sondern die Fürsten der Staaten des Deutschen Bundes treffen wollte, die der nationalen Einigung entgegenstanden. Auch er war „ein Schwarz-Rot-Goldener“, worauf hinzuweisen Bundespräsident Theodor Heuss am 2. Mai 1952 anlässlich der Wiedereinführung – der dritten Strophe – des Deutschlandliedes als Nationalhymne Anlass sah. Die Revolution von 1848 Trotz aller Repression waren die Gedanken von Einheit und Freiheit und ihr Symbol Schwarz-Rot-Gold aus dem Bewusstsein des Volkes nicht mehr zu tilgen, was auch einigen Fürsten dämmerte. So schlug König Ludwig I. von Bayern dem Bundestag 1846 ohne Erfolg vor, Schwarz-Rot-Gold zur Bundesfahne zu wählen, um damit „der revolutionären Partei eine Waffe zu entreißen.“ Dieser kam jedoch wiederum Frankreich mit der Februarrevolution von 1848 zur Hilfe, die zur Abdankung des Bürgerkönigs Louis Philippe am 24. Februar führte. Die Unruhen griffen erperspektive21

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neut auf Deutschland über und den Fürsten wurden demokratische Zugeständnisse abgetrotzt. Am 9. März 1848 hob die Bundesversammlung alle Ausnahmegesetze auf und erklärte Schwarz-RotGold zu den Farben des Deutschen Bundes. Wenige Tage später wurde angeordnet, dass schwarz-rot-goldene Farben in allen Bundesfestungen angebracht, von den Bundestruppen getragen und in den Bundessiegeln geführt werden sollten. Am 13. März 1848 wurde Metternich gestürzt. Kaiser Ferdinand I. erschien mit der schwarz-rot-goldenen Fahne am Fenster der Wiener Hofburg. Preußen mit Schwarz-Rot-Gold In Preußen reagiert Friedrich Wilhelm IV. zu zögerlich, wodurch sich in der Bevölkerung Aggressionen anstauen. Am 18. März 1848 kommt es in Berlin auf dem Schlossplatz zu einem Übergriff des Militärs auf dort versammelte Bürger, die sich zur Wehr setzen. Die Kämpfe, die auf das weitere Stadtgebiet übergreifen und bis in die frühen Morgenstunden des 19. März andauern, kosten über 200 Barrikadenkämpfern das Leben. Der König lenkt nun gegen den Widerstand seines Bruders und späteren Thronfolgers, des Prinzen Wilhelms, ein und zieht seine Truppen zurück. Am 21. März 1848 lässt sich der König auf dem Schlossplatz eine schwarz-rot-goldene Fahne bringen und erklärt, dass er diese nun als sein 94

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Panier tragen wolle, obwohl er noch in der blutigen Nacht zum 19. März 1848 ausgerufen hatte: „Schafft mir diese Fahne aus den Augen!“ Nachdem der König nun seine neue Fahne an einen Bürgerschützen als Träger übergeben hat, reitet er mit einer schwarz-rot-goldenen Armbinde unter großem Jubel der Bevölkerung durch Berlin und erlässt am Abend einen Aufruf „An mein Volk und an die deutsche Nation“, in dem er unter anderem erklärt: „Ich habe heute die alten deutschen Farben angenommen und mich und mein Volk unter das ehrwürdige Banner des Deutschen Reichs gestellt. Preußen geht fortan in Deutschland auf!“ Anschließend wird auf dem Berliner Schloss die schwarzrot-goldene Fahne aufgezogen. An das Kriegsministerium ergeht die Order, dass die Soldaten neben der preußischen die deutsche Kokarde anzustecken haben. Paulskirche bestimmt neue Flagge Zunächst nahmen die weiteren Ereignisse einen günstigen Verlauf. Am 18. Mai 1848 zog in die Frankfurter Paulskirche die erste frei gewählte gesamtdeutsche Volksvertretung ein, um eine freiheitliche Reichsverfassung zu erarbeiten. Bereits am 31. Juli 1848 bestimmte die Deutsche Nationalversammlung Schwarz-Rot-Gold zur Kriegs- und Handelsflagge des neuen Reiches.


[ schwarz-rot-gold ]

Doch zur Gründung eines demokratisch legitimierten Deutschen Reichs kam es bekanntlich nicht: Zwar wurde am 27. März 1849 König Friedrich Wilhelm IV. von der Nationalversammlung zum Kaiser der Deutschen gewählt, aber der preußische König, der sich noch ein Jahr zuvor an die Spitze der nationalen Bewegung setzen wollte, lehnte am 3. April 1849 ab und erklärte später: „Die Kaiserkrone aus der Hand des Volkes ist ein imaginärer Reif aus Dreck und Letten (Lehm, Anm.) gebacken, an dem der Modergeruch der Revolution klebt, die von Volkssouveränität und Parlamentarismus sprach.“ „Gegen Demokraten – Soldaten“ Die Träger der Farben Schwarz-RotGold, zu denen er selbst gehört hatte, waren für ihn nun „mehrheitsanbetende Schöpse, Mitglieder der europäischen Schuftenschaft.“ Das Ende des Traumes von einem demokratischen deutschen Reich war damit eingeleitet. Am 28. April 1849 lehnte Preußen auch die Reichsverfassung ab, die zuvor bereits 28 deutsche Staaten angenommen hatten und in der erstmals in der deutschen Geschichte Grundrechte niedergelegt worden waren. Die Ablehnung der Reichsverfassung durch Preußen hat den Ausbruch von Volksaufständen im Rheinland, in der Pfalz, in Baden und Sachsen zur

Folge. Friedrich Wilhelm IV. handelt nun entsprechend einem seiner weiteren Aussprüche: „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten!“ und entsendet preußische Truppen zur Niederschlagung der Aufstände. Mit der Übergabe der Festung durch die Reste der badisch-pfälzischen Revolutionsarmee an das unter dem Oberbefehl des Kronprinzen Wilhelm, des späteren deutschen Kaisers Wilhelm I., stehende preußische Militär endet am 23. Juli 1849 die Reichsverfassungskampagne. Am 2. September 1850 wird der symbolische Schlusspunkt gesetzt und die schwarz-rot-goldene Fahne vom Turm der Paulskirche in Frankfurt am Main niedergeholt. Es folgt die Abnahme der schwarz-rot-goldenen Fahne vom Bundespalais am 15. August 1852, wenngleich der Beschluss des Bundestages vom 9. März 1848 über die schwarz-rot-goldenen Bundesfarben bis zur Auflösung des Deutschen Bundes im Jahre 1866 förmlich in Kraft blieb. Gefährdung der alten Ordnung Mit der Ernennung des erzkonservativen Otto von Bismarck zum preußischen Ministerpräsidenten setzt 1862 eine neue Entwicklung ein, die nach drei so genannten Einigungskriegen 1871 zur Reichsgründung unter Schwarz-Weiß-Rot durch die Fürsten führt. Bismarck erkannte, dass der perspektive21

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Wunsch nach nationaler Einheit nicht mehr aus dem Bewusstsein der Bevölkerung zu beseitigen war und dies eine ständige Gefährdung der alten Ordnung bedeuten würde, falls die Obrigkeit sich nicht selbst der Frage der nationalen Einheit annehmen würde. Durch seine auf die Herstellung der nationalen Einheit unter preußischer Vorherrschaft und unter Ausschluss des alten Rivalen Österreichs gerichtete Kriegsführungspolitik gelingt es ihm, die nationale Idee von der demokratischen abzukoppeln, damit das liberale Bürgertum in Nationale und Demokraten zu spalten und so den Obrigkeitsstaat zu bewahren, der erst 1918 untergeht. Kaiserreich mit schwarz-weiß-rot Das 1871 gegründete Deutsche Reich übernahm die von Bismarck kreierte schwarz-weiß-rote Handelsflagge des Norddeutschen Bundes. Allerdings gab es eine Vielzahl an Fürsprechern für Schwarz-Rot-Gold. Insbesondere die süddeutschen Staaten fühlten sich durch diese Fahne besser vertreten, die auch im Bewusstsein der Bevölkerung noch tief verwurzelt war. Alle Vorstöße scheiterten indes am Widerstand von Wilhelm I., für den diese Flagge endgültig diskreditiert war, nachdem unter ihr 1848/49 Revolutionäre für ein einheitliches demokratisches Deutschland und 1866 Einheiten des Bundesheers 96

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auf der Seite Österreichs gegen preußische Truppen mit schwarz-rot-goldenen Armbinden gekämpft hatten. Für diesen vom Gottesgnadentum überzeugten Herrscher war Schwarz-RotGold „aus dem Straßendreck erstiegen“, für seinen Kanzler Bismarck waren dies „Farben des Aufruhrs und der Barrikaden“. Revolution und Republik Als das Wilhelminische Kaiserreich 1918 unterging, hatte sich erfüllt, was August Bebel nach seiner Gründung prophezeit hatte: „Das mit ‚Blut und Eisen‘ zusammengeschweißte Reich ist kein Boden für die bürgerliche Freiheit, geschweige für die soziale Gleichheit.“ Während die November-Revolution von 1918 noch unter roten Fahnen erfolgte, bestand alsbald bei der Mehrheit der sozialdemokratisch organisierten Arbeiterschaft Einigkeit darüber, dass eine Parteifahne nicht die der neuen Republik werden könne. Ebenso war großen Teilen des Bürgertums zunächst wohl noch bewusst, dass man der Arbeiterschaft nicht zumuten konnte, wieder die Flagge des Wilhelminischen Obrigkeitsstaates, der Sozialistengesetze und der Demokratenverfolgung anzunehmen. Als die Reichsregierung am 21. Februar 1919 der Nationalversammlung den Verfassungsentwurf für die neue Republik zur Beratung vorlegt, heißt es


[ schwarz-rot-gold ]

darin: „Die Reichsfarben sind schwarzrot-gold“. Dies entsprach übrigens auch dem ausdrücklichen Wunsch des Gesandten Österreichs, dessen damalige Regierung den dann von den Siegermächten verwehrten Anschluss der Republik Österreich an das Deutsche Reich erstrebte und für die das die preußische Hegemonie symbolisierende Schwarz-Weiß-Rot im Falle eines Beitritts nicht akzeptabel gewesen wäre. Die unterschiedlichen Positionen der Parteien prallen in der entscheidenden Sitzung des Verfassungsausschusses vom 3. Juni 1919 aufeinander. Während der Vertreter der USPD mit seinem Plädoyer für die rote Fahne allein bleibt und die Mehrheitssozialdemokraten (SPD) den Entwurf verteidigen, treten die Vertreter der neu gebildeten Deutschen Volkspartei (DVP) und der Deutsch-Nationalen Volkspartei (DNVP), deren Vorläufer die Eliten des Kaiserreiches repräsentierten, für die Beibehaltung von Schwarz-Weiß-Rot ein. Sie begründen dies mit zwei Argumenten: ■ die geplante Beseitigung von Schwarz-Weiß-Rot sei ein Verstoß gegen die „nationale Würde“, weil das deutsche Volk unter diesen Farben einen „großartigen Aufschwung“ erlebt habe ■ zum anderen wiesen Schifffahrtsund Handelskreise auf die schlechte Sichtbarkeit von Schwarz-Rot-Gold auf See hin.

Am 2. und 3. Juli 1919 folgt die Beratung und endgültige Beschlussfassung des Flaggenartikels der Verfassung in der Nationalversammlung. Es wird schließlich ein vom SPD-Abgeordneten Quarck und vom Zentrumsabgeordneten Gröber zu Beginn der Beratungen eingebrachter Vermittlungsantrag mit 213 gegen 90 Stimmen angenommen. Danach lautete Art.3 der Reichsverfassung: „Die Reichsfarben sind schwarzrot-gold. Die Handelsflagge ist schwarz-weiß-rot mit den Reichsfarben in der oberen Ecke.“ Achtung vor Kriegsopfern In der vorangegangenen hitzigen Debatte hatte der DVP-Abgeordnete Wilhelm Kahl alle wesentlichen Bedenken zusammengefasst und ausgeführt, dass er „nicht in erster Linie gegen Schwarz-Rot-Gold, sondern gegen den Farbenwechsel als solchen“ sei. Dieser sei unzweckmäßig, weil er die deutschen Handelsinteressen verletze, denn das Ausland habe sich schon auf Schwarz-Weiß-Rot eingestellt. Auch sei unter diesen Farben und nicht unter Schwarz-Rot-Gold die nationale Einheit verwirklicht worden. Des Weiteren erfordere die Achtung vor den Opfern des Weltkrieges, dass die Flagge, unter der „unsere Helden“ gefallen seien, nicht gewechselt werde: „Vor allem aber fordert es die Selbstachtung vor uns als Deutsche. In den perspektive21

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Augen unserer Feinde würde der Wechsel eine Selbstentwertung sein, die uns geradezu verächtlich macht.“ Ablösung der Parteifahnen Zuvor hatte der Reichsminister des Inneren, Eduard David (SPD), in einer begeisternden Rede im Namen der Reichsregierung dem später dann auch angenommenen parteiübergreifenden Kompromissvorschlag zugestimmt und unter anderem ausgeführt: „Wir müssen nach einem Symbol suchen, das über alle Parteigegensätze und alle Parteifahnen hinaus von möglichst allen Parteien als der Ausdruck der Zusammengehörigkeit zur Volksgemeinschaft, die höher ist als alle Parteien, angesehen und empfunden wird. Das ist die Aufgabe. Als Symbol für diese innere Einheit, für dieses nationale Gemeinschaftsgefühl, glaube ich, ist das Schwarz-Rot-Gold durch seine eigene Geschichte gegeben …“ Die gleiche Motivation ist dem Aufruf des sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert zum Verfassungstag am 11. August 1922 zu entnehmen, in dem er die Bestimmung des Deutschlandliedes zur Nationalhymne ankündigte und dabei insbesondere auf die dritte Strophe einging: „Einigkeit und Recht und Freiheit! Dieser Dreiklang aus dem Liede des Dichters gab in Zeiten innerer Zersplitterung und Unterdrückung der 98

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Sehnsucht aller Deutschen Ausdruck; es soll auch jetzt unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten. Sein Lied, gesungen gegen Zwietracht und Willkür, soll nicht Missbrauch finden im Parteikampf, es soll nicht der Kampfgesang derer werden, gegen die er gerichtet war; es soll auch nicht dienen als Ausdruck nationalistischer Überhebung. Aber so, wie einst der Dichter, so lieben wir heute ‚Deutschland über alles‘. In Erfüllung seiner Sehnsucht soll unter den schwarz-rotgoldenen Fahnen der Sang von Einigkeit und Recht und Freiheit der festliche Ausdruck unserer vaterländischen Gefühle sein.“ Flaggenstreit in Weimar Alle diese Hoffnungen erfüllten sich indes nicht. Schwarz-Rot-Gold wurde alsbald für die rechts gerichteten Gegner der demokratischen Weimarer Republik deren verhasstes Symbol und daher flaggten sie zu öffentlichen Feierlichkeiten demonstrativ Schwarz-WeißRot. Diese Ablehnung der Reichsfarben erfuhr noch eine Steigerung, als im Februar 1924 in Magdeburg der republikanische Frontkämpferverband „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ gegründet wurde. Damit sollte zwar ein überparteiliches Bekenntnis zum demokratischen Nationalstaat und zur Republik symbolisiert werden. Doch dem Verband gehörten fast ausschließlich Mit-


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glieder der so genannten Weimarer Koalition, d.h. der SPD, DDP und des Zentrums an, und er wurde von den Sozialdemokraten dominiert, die stets den Bundesvorsitzenden stellten. Für einen großen Teil der Bevölkerung wurde das Reichsbanner daher als eine Art sozialdemokratischer Kriegerverband und Schwarz-Rot-Gold dementsprechend auch als eine Parteifahne wahrgenommen, was die Väter der Weimarer Verfassung gerade hatten vermeiden wollen. Spott und Verunglimpfung Dies führte nun zu den schlimmsten Verunglimpfungen der Reichsfarben. Nationalsozialisten pflegten von der Judenfahne zu reden und machten sich insbesondere über den goldenen Streifen lustig, den sie etwa als hühnereigelb oder schlicht als Scheiße bezeichneten. Trotz seines bis 1933 formal verfassungstreuen Verhaltens ließ Reichspräsident Paul von Hindenburg so gut wie keine Gelegenheit aus, seine verdeckte Obstruktion gegen die republikanischen Farben zu zeigen. So verspottete auch er das Nationalsymbol, indem er demonstrativ von Schwarz-Rot-Gelb sprach. Bereits eine Woche nach dem knappen Wahlsieg der Nationalsozialisten erließ Reichspräsident Hindenburg dann am 12. März 1933 eine entlarvende, von Reichskanzler Hitler gegengezeichnete vorläufige Regelung der

Flaggenhissung, die einen klaren Verstoß gegen den Flaggenartikel der Reichsverfassung bedeutete. Der Erlass Hindenburgs sah vor, „dass vom morgigen Tage bis zur endgültigen Regelung der Reichsfarben die schwarzweiß-rote Fahne und die Hakenkreuzfahne gemeinsam zu hissen sind. Die Flaggen verbinden die ruhmreiche Vergangenheit des Deutschen Reichs und die kraftvolle Wiedergeburt der Deutschen Nation. Vereint sollen sie die Macht des Staates und die innere Verbundenheit aller nationalen Kreise des deutschen Volkes verkörpern!“ Mit der von hämischen Kommentaren der antirepublikanischen Presse und öffentlichen Fahnenverbrennungen begleiteten Niederholung von SchwarzRot-Gold wurde der erste Verfassungsbruch unter dem legal an die Macht gekommenen Reichskanzler Hitler umgesetzt. Die rechtliche Grundlage folgte dann allerdings wenige Tage später mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933. Ablösung durch Hakenkreuz Die Anhänger der kaiserlichen schwarz-weiß-roten Fahne konnte sich allerdings nur kurze Zeit freuen. Der Dualismus mit der Hakenkreuzfahne wurde bereits durch das Reichsflaggengesetz vom 15. September 1935 beendet. Dieses erste der drei berüchtigten Nürnberger Gesetze bestimmte: perspektive21

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Artikel 1: Die Reichsfarben sind schwarz-weiß-rot. Artikel 2: Reichs- und Nationalflagge ist die Hakenkreuzfahne. Sie ist zugleich Handelsflagge. Flagge als „elementarer Akt“ Nach dem Ende der Nazidiktatur war die Frage der künftigen Nationalfarben verständlicherweise zunächst nicht von großem Interesse. So bestand im Herrenchiemseer Verfassungskonvernt Einigkeit, dass diese Flagge die Farben Schwarz-Rot-Gold aufweisen sollte und ein Flaggenstreit im neuen Deutschland auf jeden Fall vermieden werden müsse. Diese Einigkeit setzte sich auch im Parlamentarischen Rat fort. Die Verhandlungen in den Ausschüssen führten schließlich zu dem Ergebnis, dass nur eine Einigung über die Farben, nicht aber über die Gestaltung der Bundesflagge zu erreichen war. Daraufhin beschloss der Hauptausschuss auf Anregung seines Vorsitzenden Carlo Schmid (SPD), dass die Abstimmung über den entsprechenden Verfassungsartikel, die nach seiner Auffassung „ein elementarer Akt“ sei, bei der letzten Lesung des Grundgesetzes im Plenum des Parlamentarischen Rates erfolgen solle. Die entscheidende Sitzung, bei der zwei Anträge zur Abstimmung gestellt waren, fand demgemäß am 8. Mai 1949 statt. Der Antrag 100

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Lehr (CDU) lautete: „Die Bundesfarben sind schwarz-rot-gold. Über die Gestaltung der Flagge entscheidet ein Bundesgesetz“. Nach dem Antrag Schmid (SPD) sollte Artikel 22 des Grundgesetzes folgende Fassung erhalten: „Die Bundesflagge ist schwarz-rotgold“. Zur Begründung dieses Antrages brachte der Abgeordnete Ludwig Bergsträsser den Wunsch der SPD zum Ausdruck, dass der Bund die Flagge führen solle, „die in Weimar gesetzlich festgelegt wurde“ und „die zum ersten Male vor 100 Jahren durch das Frankfurter Parlament in die Gesetzgebung einging“. Neue Flagge im Grundgesetz Als Symbol für das neue Staatswesen enthalte sie die beiden wesentlichen Elemente einer Flagge: das Symbol der Tradition und eine innere Willenserklärung. Diese innere Willenserklärung sei das Bekenntnis zur „Einheit in der Freiheit“. Die Entscheidung über die Flagge einem Bundesgesetz vorzubehalten, bedeute, den Wahlkampf zum ersten Bundesparlament zu einem großen Teil zu einem Flaggenstreit und damit zu einer Angelegenheit des Gefühls zu machen. Bei der anschließenden Abstimmung wurde zunächst der Antrag Lehr mit 34 zu 23 Stimmen abgelehnt und dann der Antrag Schmid mit 49 gegen eine Stimme angenommen.


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In der Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland kam es dann wiederholt zu Verunglimpfungen der schwarzrot-goldenen Flagge, die aber nachdrücklicher verfolgt wurden als während der Weimarer Republik. Später ereigneten sich derartigen Straftaten nur noch selten, weil die heranwachsende Generation sich kaum noch für die Nationalfarben interessierte. Die von den Vätern des Grundgesetzes noch befürchte Neuauflage des erbitterten Flaggenstreites in der Weimarer Republik blieb daher aus. „Spalterflagge“ mit Wappen Auch die DDR entschied sich in ihrer Verfassung von 1949 für eine schwarzrot-goldene Staatsflagge (Art. 2 Abs.1). Das überrascht auf den ersten Blick, weil die Kommunisten während der Weimarer Republik noch für eine rote Reichsflagge gekämpft hatten, erklärt sich aber aus der Einsicht der verantwortlichen kommunistischen Funktionäre, dass die noch angestrebte gesamtdeutsche Republik jedenfalls nicht unter ihrer Parteifahne zu realisieren sein werde. Nachdem beide deutsche Staaten zehn Jahre die gleiche Flagge verwendet hatten, wurde in der DDR mit Wirkung vom 1. Oktober 1959 das Staatswappen in die Staatsfahne eingefügt. Dieses bestand bekanntlich aus einem goldenen Ährenkranz, um den sich ein schwarz-rot-goldenes Tuch schlang und in dem sich ein geöffneter Zirkel und

ein Hammer befanden. Die drei Symbole sollten für das Bündnis von Bauern, Arbeitern und wissenschaftlicher Intelligenz stehen. Da die neue Staatsflagge die von der DDR nun propagierte Zwei-Staaten-Theorie untermauern sollte, wurde sie in der Bundesrepublik auch als Spalterflagge tituliert. Da sich die Staatsflagge der DDR aber gleichwohl aus denselben Farben zusammensetzte wie die der Bundesrepublik, wurde durch sie auch dann noch ein Beitrag geleistet, das Bewusstsein von der Einheit der deutschen Nation wach zu halten, als sich die Staats- und Parteiführung der DDR davon schon längst zugunsten einer eigenen sozialistischen Nation verabschiedet hatten. So brauchten die Bürger der DDR während der Wende lediglich das Staatswappen aus dem Fahnentuch herauszuschneiden, um ihrem Wunsch nach Überwindung der deutschen Teilung Ausdruck zu verleihen. Revolution von 1989 Die friedliche Revolution von 1989 war daher wie die blutige von 1848/49 auf das engste mit den Farben SchwarzRot-Gold verknüpft. In beiden Fällen haben die Bürger letztlich für dieselben Werte gekämpft. Aber die Revolution von 1989 war zudem erfolgreich und auch die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik hat sich anders als die der Weimarer Republik bewährt. So perspektive21

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kann unserem wichtigsten Staatssymbol heute auch nicht mehr entgegengehalten werden, was sowohl bei den Beratungen der Weimarer Verfassung als auch des Grundgesetzes mit einer gewissen Berechtigung eingewandt worden war: Dass es unter diesem Symbol in der deutschen Geschichte nur zu Misserfolgen gekommen sei. Flagge von Demokratie und Freiheit Die schwarz-rot-goldene Bundesflagge verkörpert über ihre Repräsentationsfunktion hinaus alle die Werte, die den Kernbereich unserer nationalen Identität ausmachen sollten: Freiheit, Einheit und Demokratie. Sie fügen sich zu einem deutschen Patriotismus zusammen, vor dem sich keine andere Nation zu fürchten braucht und der sich in die Europäische Union problemlos einfügt. Mir ist allerdings bewusst, dass manch deutscher Politiker ein Problem mit Nationalsymbolen hat, weil damit in der deutschen Geschichte viel Missbrauch getrieben worden ist. Bei unserer Nationalflagge ist das unzweifelhaft nicht der Fall, denn sie steht eben nicht für nationalistische Verirrungen, sondern für einen demokratischen deutschen Rechtsstaat. Auch darf nicht vergessen werden, dass für die Mehrheit der europäischen Bevölkerung die Nationalfahne als Identifikationssymbol trotz und wahrscheinlich sogar gerade wegen der fortschreiten102

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den europäischen Einigung als unverzichtbar empfunden wird. Darüber hinaus ist unsere Nationalflagge mit ihrer freiheitlich demokratischen Tradition vorzüglich geeignet, sich darunter heutzutage gegenüber den rechtsextremistischen Gegnern unserer Verfassung zu versammeln. Ein Erfolg des Kampfes gegen den Rechtsextremismus setzt aber voraus, dass die Politiker der demokratischen Parteien sich bewusst sind, dass der durch die Farben Schwarz-Rot-Gold symbolisierte Kernbereich unserer nationalen Identität zum demokratischen Grundkonsens gehört, der mir ohnehin zurzeit zu wenig gepflegt zu werden scheint. Sie sollten sich daher davor hüten, die nationale Identität in einer diesen Kernbereich verletzenden Weise parteiisch überzuinterpretieren und bei der Bekämpfung eines innerhalb des demokratischen Spektrums befindlichen politischen Gegners zur Polarisierung der Bevölkerung zu instrumentalisieren. Andernfalls würden davon letztlich nur die Rechtsextremen profitieren. Dies würde eine Schwächung des gemeinsamen Kampfes aller Demokraten gegen den Rechtsextremismus bedeuten. Wir dürfen es als deutsche Patrioten nicht zulassen, dass sich solch eine unmenschliche Geisteshaltung bei uns wieder breit macht und das Ansehen Deutschlands in der Welt schwer schädigt – und auch dafür stehen die Farben Schwarz-Rot-Gold. ■


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Literatur: Bernd Buchner, Um nationale und republikanische Identität, Bonn 2001 Günter Buchstab/Jörg D. Gaugner, Was die Gesellschaft zusammenhält. Plädoyer für einen modernen Patriotismus, Sankt Augustin 2004 Otto Busch/Anton Schernitzky, Schwarz-Rot-Gold, Offenbach 1952 Eduard David, Um die Fahne der Deutschen Republik. Stuttgart, Berlin 1921 Wilhelm Erman, Schwarzrotgold und Schwarzweißrot, Frankfurt am Main 1925 Berndt Guben, Schwarz, Rot und Gold. Biographie einer Fahne, Berlin/Frankfurt am Main 1991 Hans Hattenhauer, Deutsche Nationalsymbole, Köln 1998 Axel Stelzner/Christoph Stelzner, Die deutsche Trikolore und die Jenaer Urfahnen, in: „Blätter zur Landeskunde“ der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 1999 Johannes Thiele (Hg.), Das Buch der Deutschen, Bergisch Gladbach 2004 Veit Valentin/Ottfried Neubecker, Die deutschen Farben, Leipzig 1929 Dorothea Weidinger (Hg.), Nation, Nationalismus, Nationale Identität, in: Schriftenreihe „Kontrovers“ der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1998 Paul Wentzke, Die deutschen Farben, Heidelberg 1927 Wilhelm Zechlin, Schwarz Rot Gold und Schwarz Weiß Rot in Geschichte und Gegenwart, Berlin 1926

DR. ERARDO CRISTOFORO RAUTENBERG

ist Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg. perspektive21

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