perspektive21 - Heft 29

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HEFT 29 FEBRUAR 2006 www.perspektive21.de

SPD-Landesverband Brandenburg, Friedrich-Ebert-Straße 61, 14469 Potsdam PVST, DPAG, Entgelt bezahlt, A47550

BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK

Seit 1997 erscheint „perspektive 21 – Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik“. Wenn Sie Interesse an bisher erschienenen Ausgaben haben, können Sie ältere Exemplare auf unserer Homepage www.perspektive21.de als pdf-Datei herunterladen.

INNOVATION, WIRTSCHAFT UND WISSENSCHAFT IN BRANDENBURG

Zukunft: Wissen. ULRICH KLOTZ

: Die Innovation der Innovationspolitik

GÜNTER BAASKE

: Aufbruch in die Wissenswirtschaft

MATTHIAS PLATZECK

HEFT 29 FEBRUAR 2006

Zur Zeit sind folgende Titel lieferbar: Heft 13 Kräfteverhältnisse – Brandenburgisches Parteiensystem Heft 14 Brandenburgische Identitäten Heft 15 Der Islam und der Westen Heft 16 Bilanz – Vier Jahre sozialdemokratisch-bündnisgrünes Reformprojekt Heft 17 Ende der Nachwendezeit. PDS am Ende? Heft 18 Der Osten und die Berliner Republik Heft 19 Trampolin oder Hängematte? Die Modernisierung des Sozialstaates. Heft 20 Der Letzte macht das Licht aus?! Heft 21/22 Entscheidung im Osten: Innovation oder Niedriglohn? Heft 23 Kinder? Kinder! Heft 24 Von Finnland lernen?! Erneuerung aus eigener Kraft Heft 25 Ohne Moos nix los? Heft 26 Heft 27 Was nun, Deutschland? Die neue SPD Heft 28

Zukunft: Wissen.

Einzelne Exemplare von bisher erschienenen Ausgaben schicken wir Ihnen gerne auch auf Wunsch kostenlos zu. Senden sie uns bitte eine E-Mail an perspektive-21@spd.de.

: Land in Bewegung

STEFAN PINTER

: Was müssen wir wissen?

KLARA GEYWITZ

: Wissenschaftsland Brandenburg

MARTINA MÜNCH

: Ist doch alles Cottbus!

BERNHARD NAGEL STEFFEN REICHE TILL MEYER

: Studiengebühren im Vergleich

: Das Wettrennen hat begonnen

: Wider die Ideologie


Das Debattenmagazin Wieviel Einspruch verträgt der Mainstream? Heute regieren die 68er – aber was kommt, wenn sie fertig haben? Die Berliner Republik ist der Ort für eine neue politische Generation: undogmatisch, pragmatisch, progressiv. Weil jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht.

Bezug der bereits erschienenen Hefte möglich

www.b-republik.de

Die Berliner Republik erscheint alle zwei Monate. Sie ist zum Preis von 5,– EUR inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten als Einzelheft erhältlich oder im Abonnement zu beziehen: Jahresabo 30,– EUR; Studentenjahresabo 25,– EUR Jetzt Probeheft bestellen: Telefon 0 30/2 55 94-130, Telefax 0 30/2 55 94-199, E-Mail vertrieb@b-republik.de


[ vorwort ]

Zukunft: Wissen. o kommen die Jobs der Zukunft her? Diese Frage bewegt alle. Die Antwort darauf ist einfach und schwer zugleich: Wissen ist die zentrale Ressource. Das bedeutet Investition in Bildung – schulische und vorschulische –, in Ausbildung, in Hochschulen, in Forschungseinrichtungen, in Weiterbildung. Wirtschaftspolitik ist also vor allem Bildungs- und Wissenschaftspolitik. In Brandenburg sind deshalb Bildung, Wissenschaft und Wirtschaft die prioritären Politikbereiche, die von Kürzungen im Landeshaushalt verschont bleiben sollen. Doch wie sieht die Realität im Lande aus? Klara Geywitz und Martina Münch analysieren in diesem Heft die Stärken und Schwächen des Brandenburger Hochschulsystems und fragen nach dem Nutzen des ehrgeizigen Aufbauprogramms. Dass die Hochschulen allein nicht für neue Arbeitsplätze sorgen können, dürfte jedem klar sein. Wirtschaft und Wissenschaft müssen zu einer Innovationspolitik verzahnt werden, die Wirtschaftspolitik der Zukunft muss wissenszentriert sein. Die bisherige Brandenburger Wirtschaftsförderung war dazu kein geeignetes Instrument mehr, deshalb hat die Landesregierung sie auf neue Füße gestellt. Kürzlich schrieb die Financial Times aus London mit Bewunderung über die neue Strategie der Wirtschaftsförderung in Brandenburg. Auch Die Zeit lobte unser Land für seine Vorreiterrolle. Die neue wirtschaftspolitische Strategie ist Teil einer Erneuerung, die vor allem auf Wissen und Lernen setzt. Nur wenn wir uns dies immer wieder vor Augen halten, werden wir erfolgreich sein können. Wie wir in Brandenburg diesen Weg beschreiten wollen, steht im Mittelpunkt der Beiträge von Günter Baaske und Matthias Platzeck.

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THOMAS KRALINSKI

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[ impressum ]

HERAUSGEBER

J SPD-Landesverband Brandenburg J Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V. REDAKTION

Thomas Kralinski (leitender Redakteur), Lars Krumrey (V.i.S.d.P.), Ingo Decker, Dr. Tobias Dürr, Klaus Faber, Tina Fischer, Klara Geywitz, Christian Maaß, Till Meyer, Manja Orlowski ANSCHRIFT

Friedrich-Ebert-Straße 61 14469 Potsdam Telefon: 0331/200 93 -0 Telefax: 0331/270 85 35 E-MAIL

: Perspektive-21@spd.de

INTERNET

: http://www.perspektive21.de

GESAMTHERSTELLUNG UND VERTRIEB

weberpress. Daniela Weber Postfach 60 16 31, 14416 Potsdam BEZUG

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[ inhalt ]

Zukunft: Wissen. INNOVATION, WIRTSCHAFT UND WISSENSCHAFT IN BRANDENBURG MAGAZIN

— : Die Innovation der Innovationspolitik Von der Technikplanung zur Förderung der Innovatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

ULRICH KLOTZ

THEMA

— GÜNTER BAASKE : Aufbruch in die Wissenswirtschaft Wie die sozialdemokratische Wirtschaftspolitik der Zukunft aussieht . . . . . . . 19 MATTHIAS PLATZECK : Land in Bewegung Brandenburg zwischen Zukunft und Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

: Was müssen wir wissen? Komplexität erfordert kommunizieren, kooperieren und experimentieren. . . . 41

STEFAN PINTER

KLARA GEYWITZ : Wissenschaftsland Brandenburg Wie aus dem Nichts ein beachtliches Hochschulnetz entstand . . . . . . . . . . . . . 51

: Ist doch alles Cottbus ! Wie eine Hochschule eine Region bewegen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

MARTINA MÜNCH

: Studiengebühren im Vergleich Wer über Studiengebühren redet, sollte ihre Auswirkungen genau kennen . . . 77

BERNHARD NAGEL

: Das Wettrennen hat begonnen Wer eine Hochschulkrise vermeiden will, muss Studiengebühren einführen . . 89 STEFFEN REICHE

: Wider die Ideologie Studiengebühren lassen viele Fragen offen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

TILL MEYER

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Die Innovation der Innovationspolitik VON DER TECHNIKPLANUNG ZUR FÖRDERUNG DER INNOVATOREN VON ULRICH KLOTZ

nnovation“ – Zauberformel, Schlüsselbegriff, Modewort, Worthülse … Angesichts seiner inflationären Verwendung ist das Thema zurzeit nicht gerade originell. Über kaum etwas anderes ist so schnell Einigkeit zu erzielen, kaum eine Politikerrede oder Konferenzbeitrag, kaum ein Memorandum oder Kommissionsbericht kommt ohne Sätze aus wie diesen: „Innovationen bestimmen unsere Zukunft.“ Gäbe es nicht Computer, hätten manche heute Stempel für solche Schablonen. Im Grunde ist das Innovationsthema so alt wie die Industriegesellschaft, die schließlich aus Innovationen – Erfindungen mit Marktrelevanz – hervorgegangen ist. Doch seit man in den siebziger Jahren bei uns erstmals eine „technologische Lücke“ diagnostizierte – weil die Bedeutung der Mikroelektronik zu spät erkannt wurde – wird so etwa alle zwei, drei Jahre in der Politik mit kriegerischem Vokabular eine neue (die wievielte?) „Innovationsoffensive“ gestartet. Wie bei jedem facettenreichen Begriff, so sind auch beim Stichwort „Innovation“ Missverständnisse nichts Ungewöhnliches. Allein die Fachliteratur unterscheidet heute gut ein Dutzend verschiedener Arten: Produkt-, Prozess-, Durchbruchs- , Basis-, Inkremental-, Substitutions- usw. -innovationen, ganz abgesehen von zahllosen Beiworten: technische, organisatorische, soziale, kulturelle … Innovationen. Referieren Manager über Innovation, ziehen sie oft das neueste HighTech-Gadget aus der Westentasche: ein GPS-Video-MP3-Mobil-Irgendwas. Seht her – das ist Innovation! Doch was uns Ingenieure präsentieren, ist Technik von heute und Innovation von gestern – dafür braucht es allenfalls noch eine Marketingoffensive. Innovation ist kein Gegenstand, sondern ein Prozess. Innovation bedeutet Veränderung, in den Worten Joseph Schumpeters: „etwas Neues zu tun oder etwas, was bereits gemacht wird, auf eine neue Art zu machen.“ Angesichts vielfältiger sozialer, ökologischer, politischer und ökonomischer Fehlentwicklungen wachsen allerdings auch Zweifel am Allheilmittel Innovation. Nicht

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[ ulrich klotz ]

alles was neu ist, ist auch nützlich. Auch ist das Neuere nicht immer das Bessere. Innovation sollte kein Selbstzweck sein, sondern Lösungen liefern für unsere „Aufgabe Zukunft: Qualität des Lebens“. Dieses Motto einer legendären IG MetallKonferenz von 1972 ist so kurz wie zeitlos richtig. Weil Lebensqualität insbesondere durch Arbeit (oder Arbeitslosigkeit) beeinflusst wird, zählen vor allem Veränderungen auf diesem Feld zu den Innovationen, über die es sich nachzudenken lohnt. Viele Ansätze zur Verringerung der Arbeitslosigkeit konzentrieren sich auf Möglichkeiten zur Kostensenkung oder zur Verteilung der vorhandenen Arbeit. Doch durch Sparen oder Umverteilung wird keine neue, zusätzliche Arbeit geschaffen. Neue Arbeit entsteht durch Innovation. Sie ist der Schlüsselfaktor für den Erfolg von Unternehmen und damit letztlich auch für die Wohlfahrt ganzer Nationen. Innovationspolitik ist das unterstützende Instrumentarium, um dafür geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. Eine unter Innovationspolitikern allseits beliebte Floskel lautet: „Forschung ist die Umwandlung von Geld in Wissen. Innovation ist die Umwandlung von Wissen in Geld.“ Nach der Devise: „Viel hilft viel“ glauben die meisten Zeitgenossen, man müsse nur die Ausgaben für Forschung und Entwicklung kräftig genug steigern – so wie die EU in ihrer Lissabon-Strategie drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung anstrebt – und dann klappt es auch wieder mit den Innovationen, mit Wirtschaftswachstum und neuen Arbeitsplätzen. Doch so einfach ist es nicht. Ohne Zweifel sind Bildung, Forschung und Entwicklung Schlüssel für den zukünftigen Erfolg jeder hoch entwickelten Gesellschaft. Hier kann man schwerlich genug tun. Aber Innovation ist mehr als Forschung und Entwicklung, denn Forschung führt nicht immer zu Innovationen und nicht alle Innovationen beruhen auf Forschungsergebnissen. Ein kurzer Rückblick zeigt, dass eine Politik zur Verbesserung unserer Innovationsfähigkeit künftig neue Schwerpunktsetzungen und Perspektiven braucht. Innovationspolitik als Etikettenschwindel Die seit den siebziger Jahren mehr oder weniger regelmäßig wiederkehrenden Bemühungen Innovationspolitik zu betreiben, folgten bislang allesamt ähnlichen Mustern: Expertenrunden („Innovationsräte“) beim Kanzleramt oder den einschlägigen Ministerien identifizieren diese oder jene Forschungszweige, diese oder jene Schlüssel-, Querschnitts- oder Zukunftstechnologien, deren Weiterentwicklung anschließend mit gezielten Förderprogrammen subventioniert wird. Dieser Politikansatz geht also im Kern davon aus, dass staatliche Institutionen und Bera6

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tergremien technologische und wirtschaftliche Erfolge identifizieren könnten, die in einer noch unbekannten Zukunft liegen. In der Praxis führen die daraus resultierenden Maßnahmen oftmals dazu, dass Forscher und Unternehmen nach Themen suchen, für die es Fördermittel gibt, statt sich um Förderung für ihre Themen zu bemühen. Von Firmenvertretern, die sich in den Gremien für bestimmte Entwicklungen stark machen, bekommt man hinter vorgehaltener Hand später nicht selten zu hören: „Ohne die staatliche Förderung hätten wir dieses Projekt wohl gar nicht erst angefangen.“ Die Wirkungen staatlicher Technikplanung kann man anhand einer langen Liste von Misserfolgen studieren. Dabei handelt es sich nicht nur um die oft genannten, weil spektakulär am Markt und Gesellschaft vorbei entwickelten Milliardenprojekte. Dazu gehören etwa der Supercomputer SUPRENUM als deutsche Antwort auf IBM, der schnelle Brüter SNR 300 oder der Hochtemperaturreaktor THTR 300. Daneben verstauben auch tausende andere kleinere und größere Förderruinen in den amtlichen Archiven. Da staatliche Akteure selten zugeben, dass sie von industriellen Lobbies systematisch im Unklaren gelassen werden, setzt sich die Erkenntnis, weshalb diese Technology-Push-Politik meist in Sackgassen endet, allerdings nur zögerlich durch. Zukunft hat keine Lobby Innovation ist das Erdenken und Ausprobieren des heute noch Unbekannten. Und das kann nun mal nicht Gegenstand eines politischen Beschlusses sein. Im Gegenteil: Da politische Entscheidungen auf der Grundlage verfügbaren Wissens gefällt werden, neigen sie dazu, den Forschungsstand zu zementieren, statt ihn zu erweitern. Jede Entscheidung zugunsten einer bestimmten Entwicklung oder Technologie ist zugleich immer auch eine Entscheidung gegen viele andere mögliche Entwicklungen. Maßnahmen, die Weiterentwicklungen von dem subventionieren, was bereits bekannt ist, wirken eher strukturkonservierend als innovationsfördernd – schließlich wurde das elektrische Licht auch nicht durch stetiges Verbessern der Kerze erfunden. Für das bereits Bekannte, für die Gegenwart und mitunter auch die Vergangenheit, gibt es immer irgendeine Lobby. Demgegenüber ist wirkliche Innovation in den Beraterrunden unterlegen. Was noch kaum jemand kennt, hat wenig Fürsprecher. Im Gegenteil: Je radikaler eine neue Idee mit dem Bisherigen bricht, desto heftiger sind die Widerstände des Establishments: „Innovation im Konsens ist Nonsens“ (Erich Staudt). perspektive21

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[ ulrich klotz ]

Wo Interessengruppen Einfluss haben, werden der Mainstream und Modethemen begünstigt. Dann haben Vorsilben wie „nano-, bio-, regio- …“ Konjunktur. Was schon eine einflussreiche Lobby hat, kann so neu nicht mehr sein. Oft wird in technologischen Aufholjagden die Imitation als Innovation bezeichnet und gefördert. Dabei gerät das wirklich Neue ins Hintertreffen, weil viele Forscher lieber im Bereich der Fördertöpfe bleiben als sich auf unbekanntes Terrain zu wagen. Diese Art staatlichen Handelns mit dem Begriff „Innovationspolitik“ zu belegen ist also Etikettenschwindel. Da hilft es auch nicht, wenn das Bundesforschungsministerium bei jeder Etaterhöhung verkündet: „Deutschland ist wieder zum Land der Ideen geworden.“ 1 In der Debatte über staatliche Förderpolitik wird häufig darauf verwiesen, dass deutsche Unternehmen auf vielen Gebieten erfolgreich und auch international wettbewerbsfähig sind. Andererseits sind von ganzen Industriezweigen, in denen deutsche Firmen einstmals führend waren, wie etwa Unterhaltungselektronik oder Fototechnik, hierzulande nur noch Nischenexistenzen übrig. Die Industriezweige, die noch heute das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden – Automobil- und Maschinenbau, Elektrotechnik und Chemie – gründen sich im Kern auf Durchbruchsinnovationen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Es ist deshalb an der Zeit, über eine Innovationspolitik nachzudenken, die diesen Namen auch verdient. Staatliche Techniksteuerung als Ursache für Innovationsschwäche Um Aufschluss über den Stand im internationalen Innovationswettlauf zu erhalten, werden regelmäßig Anteile und Trends von Forschungs- und Entwicklungsausgaben in einzelnen Segmenten, Sektoren und Ländern ermittelt. Hohe FuEAufwendungen gelten als Indikator für Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsorientierung. Typisches Beispiel sind die jährlichen Regierungsberichte zur „Technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands“. Was die Höhe staatlicher FuE-Ausgaben betrifft, lag Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren sogar über den Lissabonner EU-Zielmarken. Damals flossen im Schnitt ca. 3,3 Prozent der öffentlichen Haushalte in die Forschung. Doch gerade in dieser Zeit hoher Forschungsetats wurzeln viele unserer heutigen Probleme. Es ist trivial: In der Bildungs- und Forschungspolitik werden heute die Weichen gestellt, wo die Reise von Wirtschaft und Gesellschaft morgen und übermorgen hingeht. Das Problem ist, dass die Folgen falscher Weichenstellungen mitunter erst Jahrzehnte später sichtbar werden. 1 So das Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF in einer Presseerklärung vom 8. August 2005.

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Die Ursachen unserer heutigen Wirtschafts- und Arbeitsmarktprobleme reichen bis in die sechziger Jahre zurück. In jener Zeit und den beiden folgenden Dekaden wurden bei uns zahllose Forscher in mit Milliardenaufwand neu errichtete staatliche Großforschungszentren (vor allem für Atomtechnik) gelockt. Zur selben Zeit gründeten in den USA oftmals blutjunge Leute reihenweise Firmen, die heute den Weltmarkt für Informationstechnik beherrschen (Microsoft, Apple, Intel, Cisco, Sun, Dell und viele andere). Obgleich viele dieser Unternehmen kaum dreißig Jahre alt sind, spielen sie bei der seither beobachtbaren Kräfteverschiebung zwischen den USA und Europa eine nicht zu unterschätzende Rolle. Das lässt schon ein Vergleich von Forschungsetats erahnen: Microsoft gibt inzwischen (2005) jährlich knapp 8 Milliarden US-$ für Forschung und Entwicklung aus. Damit ist das Forschungsbudget allein dieses einen Unternehmens etwa doppelt so groß wie das der Europäischen Union (Gesamtbudget des 6. EU-Rahmenprogramms für die Jahre 2002-2006: 17,5 Milliarden €. Das sind etwa 4 Milliarden US-$ pro Jahr). Mehr know-how-Import als Export Hier mag man einwenden, dass die Höhe der FuE-Aufwendungen letztlich wenig besagt. In der Tat – mitunter schadet viel auch viel. Zum Beispiel, wenn knappe Forschungskapazität in zukunftsträchtigen Feldern fehlt, weil sie durch finanzielle Steuerung in andere Bereiche gelenkt wurde. So wurden beispielsweise in Deutschland (West wie Ost) in geradezu panischen und letztlich erfolglosen Aufholjagden im Bereich der Hardware jahrelang Milliarden in den Sand gesetzt, während der strategisch ungleich wichtigere Bereich der Software bis in die neunziger Jahre hinein in deutschen Förderprogrammen praktisch keine Rolle spielte. Als Folge solcher Fehlsteuerungen diagnostizieren internationale Vergleichsuntersuchungen inzwischen spezifische Innovationsschwächen im Land der Dichter und Denker. So ist laut Bundesbank die deutsche Technologiebilanz seit einigen Jahren negativ, wir importieren mehr technologisches know-how als wir exportieren. Auf vielen Wachstumsmärkten, die auf erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Innovationen basieren, ist Deutschland gar nicht oder nur unzureichend vertreten. Dies betrifft vor allem eine Reihe wissensintensiver Gebiete mit besonders hoher Wertschöpfung. Vor allem deshalb sind wir auf der internationalen Wohlstandsskala ins Mittelfeld zurückgefallen. Das Pro-Kopf-Einkommen (kaufkraftbereinigtes BIP/ Person) ist in den USA inzwischen rund ein Drittel höher als bei uns. Während normalerweise solche Produktivitätsunterschiede schrumpfen, weil früher oder späperspektive21

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ter hier wie dort mit den gleichen Mitteln und Methoden gearbeitet wird, fällt Deutschland seit Mitte der neunziger Jahre sogar immer weiter zurück. Neue Kaufkraftrelationen als Folge des Strukturwandels Diese Wohlstandslücke ist kein Konjunkturphänomen, sondern Folge unterschiedlich verlaufenden Strukturwandels: „Ähnlich wie die Kaufkraft von Agrarprodukten gemessen an Industriegütern im Laufe von etwa 100 Jahren auf etwa ein Drittel ihres Wertes sank, so sinkt seit einigen Jahrzehnten die relative Kaufkraft von Industriegütern gegenüber wissensintensiven Dienstleistungen. … Industriegüter hatten im Jahr 2000 gemessen an den Wissensgütern – zum Beispiel Gesundheitsfürsorge und Bildung – nur noch ein Fünftel der Kaufkraft, die sie noch 1960 hatten.“ 2 Ein einfaches Beispiel: Um 300 Dollar zu erlösen muss ein Agrarerzeuger heute etwa 1.000 Kilo Zucker herstellen oder ein Industriegüterproduzent ein Fernsehgerät. Ein Produzent immaterieller Wissensgüter wie etwa Microsoft, erhält dieselbe Summe für eine Kopie seines Office-Pakets. Welchen Aufwand erfordert die Produktion von 1.000 Kilo Zucker oder eines Fernsehgerätes (über die gesamte Wertschöpfungskette)? Und wie viel Aufwand benötigt eine (und jede weitere) Kopie von MS-Office? Digitalisierte Informationsgüter können mit marginalem Aufwand vervielfältigt und verbreitet werden. Deshalb gibt es hier – anders als bei Industrie- und Agrargütern – nur Unikat-Arbeit. Fabrikzentrierte Massenfertigung ist der Internetwelt obsolet, denn hier genügt stets die Erzeugung eines einzigen Exemplars, um den gesamten Weltmarkt (mit identischen Kopien) versorgen zu können. Unter diesen Bedingungen hängt Markterfolg von der Einzigartigkeit ab, mit Imitation und Reproduktion kommt man hier nicht weit. Wenn schon nicht das Produkt, dann muss zumindest das Marketing innovativ sein. Bei digitalisierbaren Gütern zählen Wissen und Ideen – die Fähigkeit, mit Erfahrung und Kreativität Informationen in neues Wissen (= Innovation) zu verwandeln. Ein Buch oder ein Computerprogramm kauft man nicht, weil der Autor besonders schnell oder besonders viele Zeilen schrieb. Fleiß und Ausdauer zählten, als Texte noch handschriftlich kopiert werden mussten. Wie früher der Buchdruck, so wälzt heute der Computer die Gesellschaft um, weil Fähigkeiten neu bewertet werden. Kaufkraftrelationen sind durch relative Knappheiten beeinflusst. In einer Agrarwirtschaft ist Boden, in einer industriell geprägten Wirtschaft ist (Sach-)Kapital der knappe Faktor. In einer Gesellschaft mit wachsendem Überangebot an Infor2 Peter F. Drucker, Was ist Management? München 2002, Seite 398.

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mationen wird die Fähigkeit, Informationen aufzunehmen und das Talent, diese in Wissen zu verwandeln, zum knappen Faktor. Also das, was man auch Humankapital nennt. Wem es gelingt, die Aufmerksamkeit vieler auf sich zu ziehen, der ist heute besser dran als so mancher Fabrikbesitzer – Google hat inzwischen den doppelten Börsenwert von Daimler-Chrysler. Weil man zwar Informationen, nicht aber Wissen kaufen kann und Humankapital auch nicht beliebig vermehrbar ist, profitieren talentierte Träger dieser Ressource von der zunehmenden Verknappung – die verschiedenen Formen des heutigen Fachkräftemangels sind erste Vorboten einer gesellschaftlichen Umwälzung. Gewinner und Verlierer als Folge neuer Knappheiten Weil Wissensproduzenten mit einem Minimum an Arbeitsaufwand und Rohstoffen ein Produkt vervielfältigen und verbreiten können, für dessen Tauschpreis agrarische und industrielle Produzenten ein Vielfaches aufwenden müssen, wachsen weltweit die sozialen Gegensätze zwischen unterschiedlich entwickelten Personen und Regionen. Kapital wandert zu den knappen Faktoren, also dorthin, wo das Wissensniveau und die Kreativität besonders hoch entwickelt sind – in der Hoffnung, mit den Kopien innovativer Wissensgüter exorbitante Gewinne zu realisieren. Wenn, wie 2005 geschehen, Microsoft 32 Milliarden US-$ Dividenden ausschüttet, steigt das verfügbare Einkommen der US-Bürger statistisch um 3,7 Prozent. Doch was passiert tatsächlich? Tatsächlich verschärft sich die Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer. Wer etwas kann, was Computer nicht können, wer über Talent, Kreativität, Intuition, Einfühlungsgabe und Erfahrungswissen verfügt, hat jedenfalls weitaus bessere Chancen als jemand, der etwas tut, was prinzipiell auch durch technische Systeme erledigt werden kann. Da immer mehr Routinetätigkeiten auf die Technik übertragen werden, bleibt für den Menschen nur noch das übrig, was Maschinen nicht können. Deshalb nehmen intellektuelle Anforderungen und Wissensintensität in vielen Arbeitsfeldern rapide zu. Daneben verbleiben Tätigkeiten, die teilweise „einfach“ genannt werden, wie etwa Reinigung oder Pflege. Viele hiervon sind kaum technisierbar, da sie wegen ihres Anteils an Unvorhersehbarem alltägliche Mini-Innovation erfordern. Zwar werden inzwischen in Japan nicht nur elektronische Haustiere, sondern auch schon Altenpflege-Roboter vermarktet, doch werden sich in solchen Feldern noch viele Techniker die Zähne ausbeißen. Klar ist jedenfalls: Wer Algorithmisierbares tut, etwas was andere Menschen oder gar Maschinen auch können, ist wachsendem Konkurrenzdruck ausgesetzt – auch deshalb sinken perspektive21

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die Preise für viele Industriegüter. Norbert Wiener, ein Vater der Kybernetik, sah schon 1947 die Folgen seines Tuns klar voraus: „Menschen mit geringen Kenntnissen werden künftig nichts mehr zu verkaufen haben.“ 3 Deshalb öffnet sich heute die soziale Schere zwischen den Gewinnern und Verlierern des Strukturwandels. Mutige Trennung vom Bisherigen als Erfolgsfaktor Titel wie „Exportweltmeister“ besagen also nicht so viel, wie es auf den ersten Blick scheint. Es kommt vor allem darauf an, was man produziert und exportiert. Je langsamer der Strukturwandel, je höher der Anteil an Agrarprodukten und an konventionellen Industriegütern, desto mehr und härter müssen Menschen für dasselbe Einkommen arbeiten. Ein rohstoffarmes Hochlohnland kann sein Wohlstandsniveau nur solange halten, wie seine Menschen in der Lage sind, stets Neues zu erzeugen – etwas, was andere noch nicht können aber begehren. Wohlstand basiert auf wachsender Produktivität durch permanente Innovation. Wer hingegen versucht, dem Innovationsdruck defensiv zu begegnen, zum Beispiel durch immer neue Sparmaßnahmen, zahlt früher oder später Lehrgeld in Form sinkenden Wohlstands. Ein Kostenwettlauf mit den aufsteigenden Ländern endet fast immer in einer Sackgasse.4 Dass manche Länder beim Vergleich von Wachstum, Pro-Kopf-Einkommen und Arbeitslosenquote inzwischen besser dastehen als wir, hat auch etwas mit einem anderen Verständnis von Innovation zu tun. Begreift man Innovation nicht nur in technischen Kategorien, sondern als (strukturelle) Veränderung und „Prozess schöpferischer Zerstörung“ (Joseph Schumpeter), dann heißt Innovation auch, sich beizeiten von Bereichen zu trennen, die aufgrund des Strukturwandels das Wohlstandsniveau nach unten ziehen. Dadurch gewinnt man freie Kapazitäten, um neue Felder mit höherer Wertschöpfung zu erschließen. Ein Beispiel hierfür lieferte kürzlich IBM mit dem Verkauf seiner gesamten PC-Produktion, um sich auf lukrativere Dienstleistungen konzentrieren zu können. SONY hat ähnliche Probleme: Die Produktion elektronischer Geräte ist aufgrund der Konkurrenz nachrückender Länder inzwischen ein Verlustgeschäft, die Gewinne stammen bei 3 Norbert Wiener, Kybernetik, Reinbek bei Hamburg 1968, Seite 50. 4 Hans-Jürgen Warnecke, der vor seiner Zeit als Fraunhofer-Präsident die Rollei-Werke leitete, schildert ein anschauliches Beispiel. Als dieser traditionsreiche Kamerahersteller durch billige japanische Nachbauten unter Druck geriet, verlagerte man die Produktion nach Singapur, wo die Arbeitskosten noch unter den japanischen lagen. So konnte sich Rollei einige Jahre lang recht gut im Wettbewerb behaupten. Die Katastrophe brach herein, als die Japaner mit einer neuen Generation elektronisch gesteuerter Kameras auf den Markt kamen. Dem hatte Rollei nichts entgegenzusetzen und ging in Konkurs. Warnecke: „Wir hatten nur Kosten und Preise im Blick und haben darüber die Investitionen in Neuentwicklungen vernachlässigt. ... Wenn ein Unternehmen alt werden will, muss es durch ständige Innovation jung bleiben.“ Aus: Hans J. Warnecke und Hans-Jörg Bullinger, Kunststück Innovation, Berlin, Heidelberg, New York 2003.

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SONY ausschließlich aus Geschäften mit immateriellen Gütern wie Videospielen, Filmen und Musik sowie Finanzdienstleistungen. Ein weiteres Lehrstück ist der Wandel von Nokia von einem Ende der achtziger Jahre kurz vor dem Bankrott stehenden „Gemischtwarenladen“ zu einem erfolgreichen Technologieausrüster. Nokia trennte sich damals von fast allen konventionellen Produktbereichen und konzentrierte sich ganz auf das neue Feld der Telekommunikation. Dieser Prozess gelang, weil man in Finnland bereits in den siebziger Jahren die Bedeutung der Informationstechnik erkannt hatte. Nicht zuletzt die finnischen Gewerkschaften kamen hinsichtlich der Wirkungen dieser Technologie damals zu ganz anderen Einschätzungen als etwa ihre deutschen Kollegen, die ja lange Zeit den „Jobkiller“ Computer bekämpften. Nach der Phase der Wissenschaftspolitik (1960 -1980) und der Phase der Technologiepolitik (bis etwa 1990) war Finnland das erste Land, das zu Beginn der neunziger Jahre zu einer Innovationspolitik überging. Humboldt und Schumpeter gleichzeitig fördern Ausgangspunkt dieser Umorientierung war die Erkenntnis, dass es darauf ankommt, alle Faktoren, die den Innovationsprozess beeinflussen, gleichzeitig zu entwickeln. Statt lediglich einzelne Anwendungsfelder zu fördern, wird in Finnland auf breiter Ebene die Verbesserung der Innovationsfähigkeit gefördert. Mit einem klugen Politik-Mix aus von Humboldt und Schumpeter wurden frühzeitig die Humankapital-Grundlagen für den späteren Strukturwandel von einer rohstoffabhängigen Low-Tech-Wirtschaft zu einer wissensintensiven High-Tech-Wirtschaft geschaffen. Auf dieser Basis konnte Finnland sogar trotz des Wegfalls der Ostmärkte in den letzten Jahren seine Arbeitslosigkeit halbieren und zugleich zeigen, dass erfolgreiche technisch-ökonomische Entwicklung auch ohne eine Verschärfung sozialer Ungleichheit möglich ist. Solche und viele ähnliche Beispiele zeigen: Das alles Entscheidende ist die Kompetenz, um die Potenziale und Wirkungen neuer Technologien frühzeitig genug erkennen zu können – und zwar auf allen Ebenen der Gesellschaft. Menschen sind offener gegenüber Veränderungen, wenn sie diese auch verstehen. Wo solche Kenntnisse unterentwickelt sind und deshalb jede Neuigkeit zunächst Kassandrarufe auslöst, hat verzögerter Strukturwandel oft genau das zur Folge, was die Warner eigentlich verhindern wollten: Nämlich zunehmende Arbeitslosigkeit und geringere Durchschnittseinkommen. Außerdem werden die Unternehmen mit Strukturdefiziten und erkennbarem Aufholpotenzial zu lohnenden Übernahmeobjekten für Investoren aus den fortgeperspektive21

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schritteneren Ländern. Hier erhält Deutschland gerade einen ersten Vorgeschmack von Entwicklungen, die in Zukunft massiv zunehmen werden. Wie Staat und Interessengruppen aufgrund eines verkürzten Innovationsverständnisses den Strukturwandel verzögern, kann man gut anhand der deutschen Nachkriegsentwicklungen verfolgen. In einer vergleichenden Untersuchung der west- und ostdeutschen Innovationshistorie kommen die Autoren zu dem Schluss, dass westdeutsche Unternehmen den staatlichen Versuchen, bestimmte Techniktrends zu begünstigen, eher widerstehen konnten als die VEB und dass gerade hierin ein Grund für die Überlegenheit des Westens zu suchen sei.5 Zugespitzt heißt dies: Wenn bei uns Unternehmen innovativ und erfolgreich sind, dann sind sie es oft nicht wegen, sondern trotz staatlicher „Innovationspolitik“. Wer in die falsche Richtung fährt, kommt auch mit erhöhtem Aufwand nicht schneller ans Ziel – im Gegenteil. Deshalb ist bei der allzeit wohlfeilen Forderung nach „Staatsknete“ stets große Vorsicht angezeigt. Was kurzfristig helfen mag, kann sich langfristig verheerend auswirken – wenn etwa staatliche Hilfen den Innovationsdruck lindern und so Innovation verzögern. Innovation als Thema von Gewerkschaften Hingegen können vorausschauende Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel eine frühzeitige Steigerung des Kostendrucks bei endlichen Ressourcen, durchaus helfen, Innovationsprozesse zu beschleunigen. Wer etwa heute schon durch Ressourcensteuern oder Umweltauflagen veranlasst wird, Technologien für einen intelligenteren Umgang mit Energie zu entwickeln, der ist spätestens dann im Vorteil, wenn morgen Rohstoffmangel neue Lösungen erzwingt. Es ist eine Aufgabe des Staates, Probleme und Engpässe zu antizipieren und vorsorgliche Rahmenbedingungen auch gegen vielfältige Lobby-Interessen durchzusetzen. Ausgehend von solchen Überlegungen und einem erweiterten Innovationsbegriff – in dem neben technischen auch soziale und ökologische Aspekte stärker berücksichtigt werden – befassen sich einzelne Gewerkschaften bereits seit den siebziger Jahren mit dem Thema „Innovation“. Damals gründete die IG Metall als Reaktion auf die „Uhrenkrise“ sogar eigene Innovations-Beratungsstellen in einigen von Strukturwandel besonders heftig gebeutelten Regionen. Mit deren Hilfe wurden regionale Entwicklungskooperationen (heute Cluster genannt) initiiert, in denen sich Techniker, Betriebsräte, Verbraucherorganisationen und Kom5 Johannes Abele u.a. (Hg.), Innovationskulturen und Fortschrittserwartungen im geteilten Deutschland, Köln 2001.

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munalpolitiker gezielt für solche Produkt-Innovationen engagierten, die zu jener Zeit absehbare Engpässe und Problemfelder antizipierten. Da seinerzeit die Umweltdebatte ihren ersten Höhepunkt hatte, standen vor allem Techniken zum intelligenteren Umgang mit endlichen Ressourcen wie Energie und Wasser im Mittelpunkt. Das große Engagement der Beteiligten spiegelte sich vor allem in der Realisierung früher Prototypen bei Solar-, Wärme-Kraft-Kopplungs- und Brauchwasser-Techniken wider. Daneben wurden frühe Modellentwicklungen auf dem Gebiet der benutzer- und altersgerechten Gestaltung von Software für unterschiedlichste Anwendungsfelder initiiert, weil sich die zu jener Zeit sehr kritische Debatte über die Auswirkungen der Computertechnik vor allem aus Unkenntnis und mangelhafter Gestaltungsfähigkeit eines arroganten EDV-Establishments speiste, das technisches Wissen als Herrschaftswissen hütete. So wurde zu Beginn der achtziger Jahre sichtbar, welche Innovationsfelder mit sozialem und ökologischem Nutzen aus gewerkschaftlicher Sicht zu bevorzugen sind und welche zugleich das Potenzial zur Schaffung von vielen hunderttausend Arbeitsplätzen bieten – richtige Rahmenbedingungen vorausgesetzt. Förderung der Innovatoren als Ansatz künftiger Innovationspolitik Dass ein solcher Ansatz insbesondere für Techniker und Ingenieure attraktiv ist, zeigte die überaus erfolgreiche Mitgliedergewinnung im Rahmen der Arbeit der Innovations-Beratungsstellen und ihrer Arbeitskreise zur Rationellen Energieverwendung und zur Alternativen Produktion. Zugleich wurden hier aber auch früh die Grenzen von vorwiegend technikorientierten Ansätzen deutlich. Es wurde klar, dass es nicht reicht, Innovationsprozessen eine „richtige“, zum Beispiel auf Nachhaltigkeit zielende Richtung zu geben. Letztlich ist entscheidend, ob eine Innovation auch von der Gesellschaft angenommen wird und sich am Markt durchsetzen kann. Von bloßen Ideen und guten Absichten entstehen noch keine neuen Arbeitsplätze. Da sich Innovationen nicht einfach aus dem vorhandenen Wissen ableiten und somit auch nicht systematisch planen oder erzeugen lassen, muss also über die Möglichkeiten, Innovation zu fördern, neu nachgedacht werden. Wie kann man die Entstehung von etwas sinnvoll fördern, das man selbst noch gar nicht kennen kann? Wie kann man dem Neuen beim Weg ans Licht und bei seiner erfolgreichen Durchsetzung in Unternehmen und Gesellschaft tatsächlich helfen? Bei der Suche nach Antworten müssen auch die Konsequenzen berücksichtigt werden, die sich aus der ständig wachsenden Mobilität technischen Wissens ergeperspektive21

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ben. Unternehmen können ihre Entscheidungen über Forschungs- und Produktionsstandorte immer mehr in weltweitem Maßstab treffen, weil als Folge der Informatisierung das Transferieren von technischem Wissen über beliebige Distanzen hinweg immer einfacher und billiger wird. Derzeit verlagern insbesondere amerikanische High-Tech-Firmen Teile ihrer Forschungs-, Entwicklungs- und Design-Bereiche in großem Stil in marktnahe und kostengünstige Regionen.6 Da zugleich aufgrund multinationaler Kapitalverflechtungen die Unterscheidung zwischen inund ausländischen Unternehmen immer fragwürdiger wird, werden Konzepte, die auf Verbesserung des technologischen Leistungsstandes von einzelnen Ländern abzielen, zunehmend sinnlos.7 Auf den Weltmärkten konkurrieren nicht Länder miteinander, sondern Unternehmen. Es kann also nicht darum gehen, andere Länder nieder zu konkurrieren, sondern es kommt darauf an, das eigene Land als Standort für mobiles technisches Wissen, für mobiles Kapital und damit für innovative Wirtschaftsaktivitäten attraktiv zu machen, um mit deren Hilfe die eigene Produktivität und damit auch das Einkommen der heimischen Arbeitskräfte zu erhöhen. Die Menschen sind entscheidend In einer globalisierten und hochgradig vernetzten Weltwirtschaft hängt die Innovationskraft eines Wirtschaftsstandorts weniger von der nationalen Verfügbarkeit innovativer Technologien ab als vielmehr von ihrem Potenzial an innovationsfähigen und innovationsbereiten Menschen. In der Praxis zeigt sich, dass der heute alles entscheidende Engpass die in den Unternehmen vorhandene Kompetenz ist, um in der wachsenden Flut an Forschungsergebnissen die Möglichkeiten neuer Technologien rechtzeitig identifizieren und diese auch nutzen zu können. Das betrifft besonders kleine und mittlere Unternehmen. Auch die beste Forschungs- und Technologiepolitik kann wenig erreichen, wenn Bildungspolitik den Arbeitskräften nicht die Qualifikationen vermittelt, die überhaupt erst die Voraussetzungen schaffen, um neues technisches Wissen erfolgreich entwickeln und anwenden zu können.8 Ausgehend von diesen Erkenntnissen haben einige Länder in der Forschungspolitik ihren Fokus von der direkten Förderung von Technologien auf die Förderung von Innovatoren verlagert und können seither beträchtliche Erfolge verzeichnen.9 Wenn wir nicht weiter zurückfallen wollen, muss auch 6 Vgl. Titelstory Business Week v. 21.3.2005: Outsourcing Innovation. 7 Immerhin beschloß der Deutsche Bundestag Anfang 2005, sich vom Begriff der „technologischen Leistungsfähigkeit“ zu verabschieden und künftig breiter angelegte Betrachtungen zu Rate zu ziehen. 8 Henning Klodt, Grundlagen der Forschungs- und Technologiepolitik, München 1995.

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[ die innovation der innovationspolitik ]

in Deutschland ein solcher Strategiewechsel stattfinden. Dies betrifft nicht nur staatliche Aktivit채ten, sondern vor allem auch die Gestaltung von Strukturen und Innovationsprozessen in den Unternehmen. L

ULRICH KLOTZ

ist Diplom-Ingenieur und arbeitet beim Vorstand der IG Metall zu den Schwerpunkten Forschungspolitik, Informationsgesellschaft und Zukunft der Arbeit. 9 Vgl. etwa Finnland: Gerd Schienstock, From direct Technology Policy towards Conditions-Enabling Innovation Policy, in: Gerd Schienstock and Osmo Kuusi (Hg.), Transformation Towards a Learning Society. The Challenge for the Finnish Innovation System, Helsinki 1999.

perspektive21

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Aufbruch in die Wissenswirtschaft WIE DIE SOZIALDEMOKRATISCHE WIRTSCHAFTSPOLITIK DER ZUKUNFT AUSSIEHT VON GÜNTER BAASKE

m Herbst 2005 hat Brandenburg damit begonnen, seine Wirtschaftsförderung neu auszurichten. Die neue Strategie ist eine Antwort auf Strukturveränderungen in der Brandenburger Wirtschaft, auf den demografischen Wandel und einen schrumpfenden Landeshaushalt; sie unterstützt den Weg Brandenburgs in die Wissensgesellschaft von morgen. Die neue Förderstrategie wird aber nur dann erfolgreich sein, wenn die Menschen im Land sie verstehen und akzeptieren. In den nächsten Monaten muss die Politik deshalb den Menschen die neue Förderstrategie erklären. Dabei kann hierbei ein Bild helfen: Man stelle sich Brandenburg nach der Wende als ein riesiges Feld vor. Wie geht der Bauer vor, der für Wachstum sorgen soll? Zunächst setzt er sich ein Ziel: Überall auf dem Feld sollen Pflanzen wachsen. Sehr vorsichtig und differenziert beginnt er sodann mit der Arbeit, schließlich passen sich seine Pflanzen den neuen Gegebenheiten erst mühsam an. Der Bauer setzt viele kleinteilige Schwerpunkte, gleichmäßig

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auf dem Feld verteilt. Sogar bisher pflanzenlose Gegenden bewässert er in der Hoffnung auf Wachstum. Besonders intensiv pflegt er einige große Pflanzen, die ums Überleben kämpfen. Von seinen erfolgreichen und wohlhabenden Nachbarn bekommt er dabei viele Ratschläge. Aber niemand kann zu diesem Zeitpunkt vorhersagen, wo sich welche Pflanzenarten gut entwickeln werden. Es ist eine Zeit der Unsicherheit. Die Ratschläge brachten keinen Erfolg Erst einige Jahre später ist auf dem Feld eine eindeutige Struktur erkennbar. Manch große alte Pflanze ist abgestorben, andere haben Dank intensiver Pflege überlebt. Auf einigen ehemaligen Brachflächen blüht und gedeiht es, anderenorts ist das Wasser versickert, ohne die Saat zum Keimen zu bringen. Der Bauer kann jetzt regelrechte Wachstumsgebiete ausweisen. Und er bemerkt, dass bestimmte perspektive21

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[ günter baaske ]

Pflanzenarten auf dem Feld besonders gut wachsen. Die Ratschläge seiner Nachbarn allerdings, so stellt er fest, brachten häufig keinen Erfolg. Im Laufe der Jahre haben sich auch die Rahmenbedingungen für die Bewirtschaftung des Feldes verändert. Das Wasser ist knapp geworden und der Bauer muss eine neue Bewässerungsstrategie wählen: Fortan bündelt er seine Kräfte. Er konzentriert sich auf die Wachstumsgebiete und die besonders gut wachsenden Pflanzenarten, die er an Schwerpunktorten pflanzt. Die übrigen Teile des Feldes erhalten weiterhin eine Grundbewässerung. So erzielt der Bauer mit weniger Mitteln einen höheren Ertrag.

I. Die neue Brandenburger Wirtschaftsförderung Anhand dieses Bildes lassen sich die Grundzüge der neuen Brandenburger Förderpolitik erläutern: Die Pflanzen stehen für die Brandenburger Unternehmen, die Pflanzenarten für unterschiedliche Branchen, die Bewässerungsstrategie des Bauers für die Wirtschaftsförderung. So wie der Landwirt nicht wissen konnte, welche Pflanzen wo gedeihen, konnte die Politik Anfang der neunziger Jahre nach 40 Jahren Planwirtschaft nicht vorhersagen, welche Branchen und Standorte sich in Brandenburg gut behaupten würden. Die Binnen- und Außenmärkte der Brandenburger Wirtschaft waren im Jahr 1990 zusam-

Die regionalen Wachstumskerne Brandenburgs

regionale Wachstumskerne (15) mehrere Standorte bilden einen Wachstumskern Quelle: Landesregierung Brandenburg

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[ aufbruch in die wissenswirtschaft ]

mengebrochen, neue Wirtschaftsstrukturen mussten sich erst entwickeln. Deshalb war es richtig, dass die Politik der Wirtschaftsförderung gemäß des raumordnerischen Leitbildes der Dezentralen Konzentration viele kleinteilige Schwerpunkte setzte. Heute, nach 15 Jahren, haben sich Regionen und Wirtschaftszweige mit besonders großen Potenzialen herausgebildet. In anderen Gebieten ist weniger entstanden als erhofft. Hier ist die Arbeitslosigkeit besonders hoch. Die Menschen ziehen fort in die Wachstumsregionen. So wie für den Bauer das Wasser knapp wird, muss Brandenburg mit immer weniger Haushaltsmitteln auskommen. Das Haushaltsvolumen verringert sich in den kommenden 15

Jahren von derzeit jährlich 10 Milliarden € auf rund 7,5 Milliarden €, denn die Mittel aus dem Solidarpakt laufen im Jahr 2019 aus und auch die EUFördermittel werden weniger. Von dezentraler Konzentration verabschiedet Aus all diesen Gründen hat die Regierung Platzeck Brandenburgs „Bewässerungsstrategie“ überdacht, also die Politik der Wirtschaftsförderung neu ausgerichtet. Von der Dezentralen Konzentration als Leitbild unserer Landesentwicklung haben wir uns verabschiedet. Künftig fördert Brandenburg seine Wirtschaft nach dem Motto „Stärken stärken“.

Wirtschaftsförderung mit zwei Säulen: Wachstumsprogramm für den Mittelstand

bis zu einer Investitionssumme von 2,5 Millionen € erhalten klein- und mittelständische Unternehmen (bis 250 Mitarbeiter) höchstmögliche Förderung von 50 % – unabhängig von Branche und Ort (KMU stellen bisher 75 % der Anträge, bekommen aber nur 15 % der Mittel), Verfahrwen wurde entbürokratisiert.

Förderung für nicht-KMU und KMU mit über 2,5 Mio € Investitionssumme in drei Stufen Basisförderung von 17,5 % der Investitionssumme für alle Unternehmen für förderfähige Investitionen Potenzialförderung von 17,5 % für bestehende Unternehmen in 16 Schwerpunktbranchen sowie für neue Unternehmen in Schwerpunktbranchen in Schwerpunktbranchenorten KMU-Zuschlag von 15 % der Investitionssumme Quelle: Landesregierung Brandenburg

perspektive21

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Impulse setzen wir dort, wo neue Arbeitsplätze und Wachstum wahrscheinlich sind. Deshalb hat das Kabinett 15 so genannte Regionale Wachstumskerne ausgewählt – einzelne Städte und Städteverbünde. Kriterien waren die Einwohnerzahl sowie das wirtschaftliche und vor allem auch das wissenschaftliche Potenzial. Alle Ressorts der Landesregierung unterstützen die Wachstumskerne künftig dabei, ihre wirtschaftlichen Potenziale zu entfalten. Die Mittel werden also räumlich konzentriert. Je nach Bedarf fließen zusätzliche Mittel in die Infrastrukturförderung (wie Straßenbau und Stadtentwicklung), aber auch in die For-

schungsförderung, die Unternehmensförderung oder in Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel. So sollen die Standorte noch attraktiver werden. Wachstumsprogramm für den Mittelstand Zum anderen konzentriert sich Brandenburg in Zukunft auf 16 Wachstumsbranchen mit sehr großen Entwicklungschancen (so genannte Branchen-Kompetenzfelder). Das Land fördert Investitionen von Unternehmen dieser Wirtschaftszweige in besonderer Weise, ebenso wie die Ansiedlung von Unternehmen dieser Branchen an ausgewählten Schwerpunktorten.

Branchen-Kompetenzfelder

Quelle: Landesregierung Brandenburg

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Drittens haben wir ein Wachstumsprogramm für den Brandenburger Mittelstand aufgelegt, das kleinere und mittlere Unternehmen unabhängig von Ort und Branche fördert. Und zwar wesentlich unbürokratischer als bisher. Diese mittelständischen Unternehmen erhalten für förderfähige Investitionen bis zu einer Investitionssumme von 2,5 Millionen € stets die höchstmögliche Förderung. Mit Prioritäten Orientierung geben Die neue Strategie hat der Brandenburger Politik schon jetzt Lorbeeren eingebracht. Für die Wochenzeitung Die Zeit beispielsweise ist Brandenburg mit seiner Förderstrategie bundesweit Vorreiter: „Das einzige Bundesland, das sich zu einer Konzentration der Förderpolitik bekennt, ist Brandenburg.“ Und die Märkische Oderzeitung lobte: „Es ist richtig, dass sich die Landesregierung früher als die anderen Bundesländer der Herausforderung einer sinkenden Einwohnerzahl gestellt hat.“ Die Attraktivität der neuen Strategie rührt daher, dass sie Wirtschaft und Haushalt zukunftsfähig macht, klare Prioritäten setzt und den relevanten Akteuren eine eindeutige Orientierung gibt. Doch die Förderstrategie ist noch mehr, nämlich ein erster Schritt Brandenburgs in Richtung der Wissensgesellschaft der Zukunft, hin zu einer lern- und wissensbasierten Wirtschaftspolitik.

II. Was ist die Wissensgesellschaft? Der Begriff Wissensgesellschaft geht vielen Politikern leicht über die Lippen – klar ist seine Bedeutung selten. Dabei können wir nur dann eine vernünftige Wirtschaftspolitik betreiben, wenn wir eine Vorstellung davon haben, wie die Wirtschaft der Zukunft aussieht. Die meisten Experten sind sich einig, dass sich die westlichen Ökonomien und Gesellschaften in einem Strukturwandel befinden, dessen Ausmaß durchaus mit dem Übergang von der Agrar- in die Industriegesellschaft vergleichbar ist. Wir befinden uns auf dem Weg in die Wissensgesellschaft oder die wissensbasierte Wirtschaft. In der wissensbasierten Wirtschaft sind nicht mehr Material, Arbeitskraft, Land und Kapital die wichtigsten Produktionsfaktoren, sondern Wissen und Expertise. Bislang waren Produkte gefragt, die sich durch hochwertige Rohstoffe, fleißige Arbeiter oder funktionstüchtige Fabriken preislich und qualitativ von anderen unterschieden. Ohne Zweifel bleiben all diese Faktoren wichtig. Doch zunehmend besteht der Wert von Produkten in der „eingebauten“ Expertise: Software ist dafür ein gutes Beispiel, oder Computerchips und Mobiltelefone. Jene Unternehmen werden künftig die Nase vorn haben, die über mehr Wissen verfügen perspektive21

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als ihre Konkurrenten: die gute Ideen produzieren, sich Innovationen ausdenken, ihre Produkte pfiffig vermarkten oder ihre Kunden kompetent betreuen. Schon Anfang der neunziger Jahre produzierte Intel Computerchips für weniger als 100 Dollar – verkauft wurden sie für das fünffache. Die Pressung einer CD-Rom mit einem Computerprogramm kostet wenige Cent – harte Euros zahlen wir für die Idee des Programms, das uns intelligent die Arbeit erleichtert. Einen Handwerker bestellen wir nicht mehr ins Haus, nur weil er Werkzeug bedienen kann, sondern weil er in einer immer komplexeren Welt über das passende Wissen verfügt und – auch das ist (soziales) Wissen – freundlich ist. Anders gesagt: Jene Wirtschaftsakteure werden im Wettbewerb bestehen, die Wissen aufnehmen oder erzeugen, weiterentwickeln und schließlich in Kompetenzen und Innovationen umsetzen. Auch Landwirte brauchen neues Wissen Arbeitsplätze werden vor allem für „Wissensarbeiter“ entstehen – also Menschen, die mit Wissen umgehen. Die einfache Arbeit erledigen Maschinen oder sie wandert in Billiglohnländer. Trotzdem ist die Wissensgesellschaft keine Gesellschaft der wissenschaftlichen Elite, keine „Wissen24

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schaftsgesellschaft.“ Auch der Erfolg von Landwirten, Klempnern, Elektrikern oder Hoteliers hängt davon ab, wie sie Wissen einsetzen, um Kundenwünsche besser zu erfüllen. Globalisierung führt zu schnellerem Austausch Die Entwicklung in Richtung Wissensgesellschaft ist eng mit der Globalisierung verknüpft. Grenzüberschreitende Finanzströme, liberalisierte Märkte weltweit, neue Informationsund Kommunikationstechnologien und eine moderne Transportinfrastruktur führen dazu, dass Unternehmen sich in einem wachsenden globalen Wettbewerb um Produkte und Dienstleistungen befinden. Gleichzeitig trägt die Globalisierung zu einer schnellen Steigerung und Verbreitung des vorhandenen Wissens bei. Heutzutage ist Wissen über das Internet für alle Akteure frei verfügbar. So ist eine regelrechte Innovationsdynamik entstanden. Nehmen wir Mobiltelefone: Vor drei Jahren hatten die Geräte kaum mehr als Telefontasten, vor zwei Jahren kam der eingebaute Fotoapparat, jetzt der MP3-Player, das Radio und sogar das Fernsehen. Verschläft ein Unternehmen eine Entwicklung, bricht der Umsatz ein. Unternehmen stehen vor einer zweiten Herausforderung – das Wissen altert rapide. Ein Beispiel: Vor weni-


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gen Jahren wurden in der Londoner U-Bahn mehrere Rolltreppen an zentralen Stationen angehalten. Mitarbeiter hatten Risse an Verstrebungen entdeckt. Bald stellte sich heraus, dass niemand mehr die Funktion der Verstrebungen kannte. „Ein typischer Fall. Das Wissen verschwindet. Irgendjemand hat es mitgenommen“, schrieb Gero von Randow in der Zeit über diese Geschichte. Die Rolltreppen wurden komplett ersetzt. Unternehmen müssen mit dem wachsenden Wissen Schritt halten. Der Wettbewerb zwingt sie zu schnellen Reaktionen in einer immer komplexeren, wissensintensiveren Umwelt. Er zwingt zu Organisationsstrukturen, in denen neues Wissen optimal gemanagt wird. Einen strategischen Vorteil haben dabei lernende Organisationen, deren Mitarbeiter Wissen miteinander teilen. Voraussetzung dafür sind gut ausgebildete und selbstständige Arbeitnehmer, die Verantwortung übernehmen können und bereit sind, ein Leben lang zu lernen. Brandenburger Unternehmen auf dem Weltmarkt So entstehen für die Wirtschaft neue Risiken, aber auch neue Chancen: Selbst kleine Unternehmen können in der Wissensgesellschaft weltweit Geld verdienen. Schon heute drängen mittelständische Brandenburger Unter-

nehmen auf den Weltmarkt – und zwar mit großem Erfolg. Das Medizintechnikunternehmen Celon AG aus Teltow mit 35 Mitarbeitern beispielsweise vertreibt seine Produkte weltweit und erzielt zwei Drittel seines Umsatzes im Ausland. Eine weitere wissensbasierte Firma ist die Uwe Braun GmbH aus Lenzen in der Prignitz. Das Unternehmen stellt Lichttechnik für die global agierende Autoindustrie her und hat im Jahr 2005 eine Reihe neuer Arbeitsplätze geschaffen. Nicht arm, nur arrogant Die Wissensgesellschaft, so sagen Ökonomen voraus, wird den meisten Staaten mehr Wohlstand bringen. „Es wird keine armen Länder geben. Es wird nur ignorante Länder geben“, schreibt Peter Drucker, einer der führenden Theoretiker der Wissensgesellschaft. Zweifellos darf die Politik die Herausforderungen der wissensbasierten Wirtschaft der Zukunft nicht ignorieren. Der Staat muss die Rahmenbedingungen für innovationsfähige Unternehmen schaffen. Und er muss die Menschen dabei unterstützen, sich in der Wissensgesellschaft zurecht zu finden. Staatliche Stellschrauben können die Qualifizierung von Arbeitskräften sein, die öffentlichen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, Ansiedlungshilfen, das Schaffen von Kontaktperspektive21

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möglichkeiten zwischen Betrieben sowie – letztlich – auch die Sozialpolitik. III. Brandenburgs Aufbruch in die Wissensgesellschaft Brandenburg hat begonnen, an diesen Rahmenbedingungen für die Wissensgesellschaft zu arbeiten, unter anderem in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik, aber auch mit der neuen Strategie der Wirtschaftsförderung. Letztere kann als ein Schritt in Richtung Wissensgesellschaft interpretiert werden. Wenn Wissen für die Wirtschaft zum zentralen Wirtschaftsfaktor wird, dann siedeln sich Unternehmen dort an, wo es Wissensinstitutionen wie Hochschulen oder Forschungsinstitute gibt. Deshalb wird sich auszahlen, dass Brandenburg Anfang der neunziger Jahre neun Hochschulen und Universitäten gründete. Dass sich hier nicht weniger als 25 außeruniversitäre Forschungsinstitute befinden. Und dass die Metropolregion Berlin-Brandenburg über die höchste Dichte von Wissenschaftseinrichtungen in der Bundesrepublik verfügt. Unternehmen müssen ihr Wissen aber auch mit Akteuren außerhalb der Wissenschaft in „Wissensnetzwerken“ vertrauensvoll austauschen können. Diesen Vernetzungsaspekt berücksichtigt die neue Wirtschaftsförderpolitik ebenfalls. So wollen wir alle relevanten Akteure in den Regionalen Wachs26

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tumskernen zu neuen Formen der Kooperation bewegen. Selbst die Regionen, die keine Regionalen Wachstumskerne geworden sind, sollen neue Kulturen der Zusammenarbeit entwickeln – um irgendwann selbst Wachstumskern zu werden. Gute Chancen hat beispielsweise die Region Kleinmachnow, Teltow und Stahnsdorf. Auch die Branchenförderung zielt auf Netzwerkbildung: Unternehmen der 16 Wachstumsbranchen, die sich an ausgewählten Schwerpunktorten ansiedeln, werden besonders intensiv gefördert. Für jede Branche wird ein so genanntes Branchen-Netzwerk gebildet, in dem sich die Unternehmen austauschen können. Die Branchen-Netzwerke sollen unter anderem Technologietransfers durchführen. Vernetzung ist gefragt Neben der Ansiedlungspolitik kann auch die materielle Förderung einzelner Branchen als Schritt in die Wissensgesellschaft gelten. In einigen der 16 Branchen spielt Wissen naturgemäß bereits heute die zentrale Rolle, etwa in der Biotechnologie, der Logistik, der Luftfahrttechnik oder der Energiewirtschaft. In vielen anderen Wachstumsbranchen – von der Ernährungswirtschaft bis zum Tourismus – gewinnt die Ressource Wissen zunehmend an Bedeutung.


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Eine Wissensgesellschaft lebt von einem innovativen Klima, von Pioniergeist, Offenheit gegenüber Veränderungen, Neugier auf das Neue. Dieses Klima will die neue Strategie fördern, indem sie Anstrengung belohnt: Bei unserer Wirtschaftsförderpolitik handelt es sich um einen Prozess. Wie in der Fußballbundesliga können Regionen auf- und absteigen. Das spornt die Akteure vor Ort zu neuen Ideen an. Damit hat Brandenburg nicht weniger als einen Imagewandel eingeleitet, der über die Landesgrenzen hinaus wahrgenommen wird. Die Botschaft lautet: Wir schaffen es aus eigener Kraft. Dieser Imagewandel motiviert die Brandenburger. IV. Das magische Dreieck in der Wissensgesellschaft Auch die Politik muss in einer Wissensgesellschaft lernen und das eigene Handeln hinterfragen. Diesen Lernprozess treibt die neu ausgerichtete Förderstrategie ein stückweit voran: Viel ist in der Literatur über modernes Regieren davon geschrieben worden, dass sich die deutschen Verwaltungen besser untereinander koordinieren müssen, um effizienter und weniger widersprüchlich zu handeln. Weil alle wirtschaftsrelevanten Programme der Landesministerien auf die Regionalen Wachstumskerne hin gebündelt werden, sind die Ministerien nun zu verstärkter Zusammenarbeit gezwungen.

Ressortdenken war gestern, Kooperation ist heute. Die Neuausrichtung der Wirtschaftsförderpolitik ist ein Schritt auf dem Weg des Strukturwandels. Um in den kommenden Jahrzehnten erfolgreich zu sein, muss Brandenburg sich zudem anderweitig auf die Wissensgesellschaft vorbereiten. Die Landespolitik muss überlegen, welche weiteren Schritte sinnvoll sind. Ein zentrales Element wird dabei die Bildungspolitik sein. Zentral ist die Bildungspolitik Denn im Mittelpunkt jeder Politik in der Wissensgesellschaft steht die Bildung und Ausbildung der Menschen. Fast jeder Arbeitsplatz verlangt bereits heute Vielseitigkeit, Eigenverantwortung und Selbstmotivation. Weil die Hierarchien flacher werden, sind Arbeitnehmer keine bloßen Befehlsempfänger mehr. Sie müssen mehr Verantwortung übernehmen, sie sollen mitdenken und Entscheidungen treffen. Ihr Wissen und ihre Fähigkeiten müssen sie stetig den Anforderungen anpassen. Deshalb müssen sie sich lebenslang weiterbilden. Zugegeben: Das verlangt vom Einzelnen nicht gerade wenig. Zumal in der Wissensgesellschaft auch unkonventionelle Arbeitsformen zunehmen. Immer öfter müssen sich Arbeitnehmer als freie Mitarbeiter behaupten, in Teilzeit arbeiten oder mit Arbeitszeitperspektive21

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konten umgehen. Es ist die Aufgabe von Erziehung, Schule, Ausbildung und Hochschule, die Menschen zu einem Leben in der Wissensgesellschaft zu befähigen. Familie und Arbeit verbinden Dabei darf Bildung nicht als bloße Vermittlung von Fachwissen betrachtet werden. Zur Bildung gehören auch Kreativität, Fantasie, Allgemeinwissen, soziale Kompetenzen, Lern- und Motivationsfähigkeit. Im Gegenzug verspricht die Wissensgesellschaft dem Einzelnen mehr Autonomie, mehr Selbstbestimmung und größere Chancen. Aus diesen Gründen stellt die Brandenburger Regierungskoalition Bildung in den Mittelpunkt ihrer Politik. Kein Kind darf mehr zurückgelassen werden, hat Matthias Platzeck als Richtschnur vorgegeben.1 Erste bildungspolitische Veränderungen sind sichtbar: Wir haben beispielsweise die Oberschulen eingeführt, die sechsjährigen Grundschulen erhalten, neue Ganztagsschulen geschaffen und wir arbeiten daran, die Qualität der Kindertagesstätten zu verbessern. Bildung allein genügt jedoch nicht, um in der Wissensgesellschaft erfolgreich zu arbeiten. Wer eigenverantwort-

lich und kreativ sein will, der braucht ein Leben neben der Arbeit, ein soziales Netz aus Familie und Freunden, ein Hobby als Ausgleich, Zeit für Muße. Nicht umsonst führen bereits einige Firmen Betriebskindergärten ein, andere Unternehmen untersagen die Arbeit nach 20 Uhr, beispielsweise in der Werbebranche. Die Politik muss es den Menschen ermöglichen, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen – auch aus wirtschaftlichen Gründen! Tatsächlich ist dieses magische Dreieck aus Bildungs-, Familien- und Wirtschaftspolitik die sozialdemokratische Antwort auf die Wissensgesellschaft im 21. Jahrhundert. Nötig sind Selbstständigkeit und Mut Darüber hinaus sitzt die Politik an weiteren Stellschrauben. Zum Beispiel kann sie die Arbeitnehmerrechte gestalten: In den Unternehmen müssen Bedingungen herrschen, unter denen Menschen auch selbstständig arbeiten können. Arbeitnehmer in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen werden wenig Mut haben, ihrem Chef die eigene Meinung entgegenzuhalten. Offenheit ist aber eine Grundbedingung für den Erfolg innovativer Unternehmen. Die betriebliche Mitbestimmung und ein vernünftiger Kündigungsschutz sind daher

1 Rede auf der Familienkonferenz des Landes Brandenburg in Potsdam am 25. Oktober 2005: Keine Zukunft ohne Kinder; vgl. http://www.stk.brandenburg.de/sixcms/detail.php?id=229615&_siteid=26

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Voraussetzung für Produktivität und Kreativität. Schließlich müssen auch die Sozialsysteme auf die Wissensgesellschaft reagieren. Während nämlich flexible Beschäftigungsverhältnisse, Arbeitsplatzwechsel und Heimarbeit zunehmen, sind die Sozialsysteme weiterhin auf das „normale“ sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis ausgerichtet. Die SPD muss neue Lösungen suchen Das beste Beispiel hierfür ist die staatlich geförderte private Altersvorsorge (RiesterRente), die Selbstständigen nur unter bestimmten Bedingungen zusteht, obwohl gerade diese Gruppe privat vorsorgen müsste. Die SPD mit ihrer Kernkompetenz der sozialen Sicherheit sollte sich grundlegende Gedanken darüber machen, wie die Sozialsysteme den neuen Arbeitsformen in der Wissensgesellschaft angepasst werden können. Diese hier skizzierten Konturen einer (sozialdemokratischen) lern- und wissensbasierten Wirtschaftspolitik lassen sich in Stichworten zusammenfassen. Wir müssen: J Bildungs-, Familien- und Wirtschaftspolitik als magisches Dreieck begreifen. Langfristiger wirtschaftlicher Erfolg wird sich in Brandenburg nur dann einstellen, wenn die Menschen in Kindergarten, Schule,

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Ausbildung und Hochschule auf die Wissensgesellschaft vorbereitet werden und wenn Familie und Beruf problemlos vereinbart werden können. Bildung als Kompetenzvermittlung im umfassenden Sinne verstehen. Bildung ist mehr als reines Fachwissen. In der Wissensgesellschaft finden sich Menschen nur dann zurecht, wenn sie auch über Fähigkeiten wie soziale Kompetenzen oder Selbstständigkeit verfügen. Die enge Zusammenarbeit zwischen Schule, Hochschule und Wirtschaft vorantreiben. Junge Menschen müssen möglichst früh mit zukünftigen Arbeitgebern in Kontakt kommen. Deshalb knüpft z.B. die Brandenburger SPD-Landtagsfraktion mithilfe des Projektes „Schule und Wirtschaft“ Gesprächsfäden zwischen Unternehmen und Schülern. Ein innovationsfreundliches Klima im Land schaffen. Die Wissensgesellschaft setzt eine positive Einstellung der Menschen gegenüber Neuem voraus – Offenheit, Neugier, Kreativität und Mut. Netzwerke fördern. Geteiltes Wissen ist multipliziertes Wissen: Der Austausch zwischen relevanten Akteuren erhöht die Wahrscheinlichkeit von Innovationen und neuen Ideen. Zukunftsbranchen und -regionen unterstützen. Dazu gehört auch die engere Verknüpfung von Wissenperspektive21

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schafts- und Forschungseinrichtungen mit Unternehmen. Nur die schnelle Umwandlung von Wissen in Produkte und Dienstleistungen bringt neue Arbeitsplätze. J Außeruniversitäre Forschung und Entwicklung stärken. Weil künftig vor allem neue und bessere Produkte zählen, muss sich die Wirtschaftsförderung der Zukunft stärker auf außeruniversitäre Forschung und Entwicklung richten als auf den Bau und die Ausrüstung von Produktionsstandorten. Eine solche Strategie muss allerdings im gesamtdeutschen und europäischen Kontext umgesetzt werden. Ein Bundesland allein ist dazu aus finanziellen und wettbewerblichen Gründen nicht in der Lage.

J Für sichere Arbeitsverhältnisse und Mitbestimmung eintreten. Die Arbeitnehmer in den Betrieben brauchen ein Mindestmaß an Sicherheit und Mitspracherechte, um in flachen Hierarchien selbstständig und verantwortungsbewusst zu arbeiten. J Die Sozialsysteme der Wissensgesellschaft anpassen. Auch Menschen in flexiblen Beschäftigungsverhältnissen müssen staatlich organisierte soziale Sicherheiten genießen. Wer, wenn nicht wir Sozialdemokraten könnte eine solch umfassende Politik für die Wissensgesellschaft entwerfen und umsetzen? Die SPD tut gut daran, die Debatte zu diesem Thema voranzutreiben. L

GÜNTER BAASKE

ist Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg. 30

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Land in Bewegung BRANDENBURG ZWISCHEN ZUKUNFT UND VERGANGENHEIT VON MATTHIAS PLATZECK

randenburg ist ein Land in Bewegung. Wir haben uns auf den Weg der Erneuerung gemacht – aus eigener Kraft und mit guten Gründen. Wie alle anderen europäischen Regionen stehen auch Brandenburg und die brandenburgische Wirtschaft in zunehmendem internationalem Wettbewerb. Ich habe nicht den leisesten Zweifel: In diesem Wettbewerb haben wir alle Chancen, uns erfolgreich zu behaupten. Denn Brandenburg kann im 21. Jahrhundert ein Land der Arbeit und des Wachstums, der sozialen Sicherheit und der Lebenschancen für alle sein. Aber: Der Wettbewerb um die bessere Zukunft ist überall ein Wettbewerb um die besseren Ideen. Weder wir noch irgendwer sonst auf dieser Welt wird erfolgreich sein mit einer Politik des bloßen Weiterso. Zukunft gewinnt Brandenburg deshalb unter einer entscheidenden Bedingung: Wir müssen die Weichen richtig stellen und unsere Schwerpunkte richtig wählen. Das setzt zunächst die nüchterne Auseinandersetzung mit unserer Situation voraus.

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Welche Faktoren sind entscheidend? Da sind zum einen die Landesfinanzen. Durch das Abschmelzen der besonderen Ostförderung wird unser Landeshaushalt bis 2019 um voraussichtlich ein Fünftel schrumpfen. Deshalb müssen wir bis dahin alles tun, um auf unseren eigenen Beinen nicht nur stehen, sondern auch laufen zu können. Zugleich schrumpft und altert die Bevölkerung unseres Landes. Neue Chancen durch Veränderungen Jeder einzelne Brandenburger, jede einzelne Brandenburgerin weiß aus dem eigenen, alltäglichen Erleben, welche schwierigen Anpassungsprobleme dies für unser Land bedeutet. Doch diese Entwicklung birgt auch neue Chancen: Wir werden in Brandenburg vor dem Hintergrund des heftigen Geburtenrückgangs seit 1990 schon in wenigen Jahren eine beträchtliche neue Nachfrage nach gut qualifizierten Arbeitskräften erleben. Bereits in den nächsten fünf Jahren wird nach seriösen Prognosen mit eiperspektive21

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[ matthias platzeck ]

nem Fachkräftebedarf von 100.000 jungen Menschen in der Brandenburger Wirtschaft gerechnet, weitere 100.000 werden bis 2015 benötigt. Es ist wahr: Brandenburg braucht wieder mehr Kinder. Aber ebenso wahr ist: Allen vorhandenen jungen Menschen in unserem Land werden wir Arbeit und Lebenschancen ermöglichen können, wenn wir dafür sorgen, dass sie mit zeitgemäßer Bildung und Ausbildung ins Berufsleben eintreten. Bei allem anderen, auch bei allen Debatten über die richtigen Methoden der Wirtschaftsförderung darf deshalb eines niemals vergessen werden: Die wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass Wirtschaft im 21. Jahrhundert funktionieren kann, sind Bildung und Ausbildung. Dafür müssen wir alles tun. Denn gute und gut bezahlte Arbeit ohne gute Bildung, gute Ausbildung und Fortbildung wird es nirgendwo mehr geben – auch nicht bei uns in Brandenburg. Moderne Wirtschaft schafft Arbeit Vordringlichstes Ziel und wichtigste Aufgabe im Land ist die Steigerung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Dem musste unsere bisherige Förderpolitik angepasst werden. Zukunftsfeste Arbeitsplätze kann nur eine moderne und wettbewerbsfähige Wirtschaft schaffen. Aber umgekehrt 32

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gilt genauso: Modern und wettbewerbsfähig wird unsere Wirtschaft nur sein, wenn wir allen Brandenburgerinnen und Brandenburgern die Chance eröffnen, ihre Potenziale ganz und gar auszuschöpfen. Deshalb müssen wir an erster Stelle in die Menschen unseres Landes und ihre Potenziale investieren. Auf ihre Fähigkeiten zur Erneuerung und zu innovativen Ideen kommt es an. Wir müssen unsere Möglichkeiten noch entschlossener nutzen und unsere Stärken systematisch stärken. Gute Bildung für alle von Anfang an Genau diesen Weg haben wir in Brandenburg unter dem übergreifenden Leitmotiv der „Erneuerung aus eigener Kraft“ systematisch eingeschlagen. Wir haben damit begonnen, ganz bewusst und zielgerichtet in Köpfe zu investieren, und wir haben entsprechende finanzpolitische Prioritäten gesetzt. Dabei konzentrieren wir uns auf die wesentlichen Voraussetzungen für neues Wachstum und für Arbeitsplätze mit Zukunft: Wir setzen auf gute Bildung für alle von Anfang an – weil gute Bildung die Voraussetzung ist für gute Arbeit. Und wir setzen auf hochklassige Forschung – weil in der Wissenschaft die Ideen produziert werden, aus denen neue marktfähige Produkte und Dienstleistungen hervorgehen können.


[ land in bewegung ]

Deshalb haben wir die Bildung im Elementarbereich ebenso wie die Fachkräftesicherung und den Technologietransfer auf die Agenda gesetzt. Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik genauso wie die Wissenschaftspolitik und die Wirtschaftspolitik des Landes – das alles wird ressortübergreifend gestaltet. Und wir werden das komplizierte Planungsrecht vereinfachen – auch hier haben wir uns auf den Weg gemacht. Und bei allem zusammen gilt: Ein Rad muss dabei ins andere greifen. Ein integrales Kernstück unserer Politik der „Erneuerung aus eigener Kraft“ ist dabei die Neuausrichtung der Wirtschaftsförderpolitik unseres Landes sowohl in sektoraler wie in regionaler Hinsicht. Worum geht es? Mit der Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung sollen die knapper werdenden Fördermittel so eingesetzt werden, dass damit der größte Nutzen für die wirtschaftliche Entwicklung in Brandenburg erzielt werden kann. Stärken stärken, Potenziale fördern Unsere persönliche Lebenserfahrung aus 15 Jahren Aufbau Ost führt hier zu genau denselben Schlüssen wie die regional- und wirtschaftswissenschaftliche Forschung: Allemal sinnvoller und effizienter als die gleichmäßige Verteilung ist es, knappe Mittel dort zu konzentrieren, wo sie am besten wirksam

werden können, damit sie von dort aus auf größere Gebiete und auf zusätzliche Branchen ausstrahlen können. Stärken zu stärken und die größten Potenziale zu fördern ist also kein Selbstzweck. Es geht nicht darum, dass die Starken noch stärker werden, während andere zurückbleiben und abgehängt werden. Sondern es geht im Gegenteil gerade darum, unsere besonders entwicklungsfähigen Regionen und Branchen weiter so zu kräftigen, dass sie andere Regionen und Branchen immer besser mitziehen können. Mittelstand schnell und unbürokratisch fördern Wenn alle gleich schwach wären, gäbe es niemand mehr, auf den man sich stützen könnte – gedient wäre damit letztlich keinem. Klar ist im Übrigen: Auch künftig wird es mit der Basisförderung eine Wirtschaftsförderung für alle Branchen und Regionen geben. Mit der so genannten Potenzialförderung hingegen sollen zum einen Unternehmen in denjenigen Branchen gefördert werden, die die größten Wachstumseffekte versprechen. Zum anderen setzt die Potenzialförderung gezielt beim Mittelstand an, denn genau hier bestehen die größten Aussichten auf neue Arbeitsplätze. Das Wachstumsprogramm für den Brandenburger Mittelstand ermöglicht die zielgerichtete, schnelle und unbüperspektive21

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rokratische Förderung mittelständischer Firmen. Die Konzentration auf Branchen-Kompetenzfelder ermöglicht die gezielte Förderung Erfolg versprechender Wirtschaftssektoren. Unsere neue Förderstrategie sieht dabei 16 Branchen-Kompetenzfelder vor. Zugegeben: Das sind nicht gerade wenige. Vom Tourismus bis zur Luft- und Raumfahrt Manche fragen uns: „Seid Ihr denn in Brandenburg tatsächlich auf so vielen Gebieten kompetent?“ Tatsächlich spiegelt diese Zahl die Breite und Vielfalt der gegenwärtigen Wirtschaftsstruktur vom Tourismus bis zur Luft- und Raumfahrt in unserem Land wider. Wir tragen dieser Tatsache Rechnung, weil wir eines auf keinen Fall wollen: vorschnell und überhastet Entwicklungsmöglichkeiten beschneiden. Wir wissen aber, dass wir die weitere Entwicklung der einzelnen Branchen genau beobachten und in Zukunft gegebenenfalls stärker konzentrieren müssen. Es ist der Landesregierung innerhalb eines knappen halben Jahres gelungen, gemeinsam mit allen Beteiligten erste Festlegungen für die Verwirklichung der neuen Förderstrategie auf den Tisch zu legen. Das zeigt: Hier ist mit viel Ernsthaftigkeit gearbeitet worden. Das Tempo war hoch, die Qualität hat darunter nicht gelitten. Es ist uns gelungen, die Beteiligten an einen Tisch 34

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zu bringen, ihre Meinung zu hören, Interessen zu bündeln und Strategien für die kommenden Jahre zu formulieren. Grundlage der Beschlüsse des Kabinetts sind die Ergebnisse der interministeriellen Arbeitsgruppe Aufbau Ost. Diese Arbeitsgruppe hat hervorragend gearbeitet – wie übrigens auch die Regierung insgesamt. Wir haben nach den Landtagswahlen 2004 versprochen, als Team zukünftig besser zusammenzuarbeiten – und wir haben dieses Versprechen eingehalten. Wir haben damit zugleich ein handfestes Beispiel dafür geliefert, wie gut die übergreifende Zusammenarbeit der Ressorts im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes funktionieren kann. Auf diesem Kurs der Kooperation müssen wir bleiben. Wirtschaftliche und wissenschaftliche Potenziale Wir haben 15 regionale Wachstumskerne im Land definiert. Was diese 15 Städte beziehungsweise Verbünde von Städten auszeichnet, das sind ihre im Vergleich besonders viel versprechenden wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Potenziale. Aufgrund dieser Potenziale lassen sich hier Perspektiven dynamischerer Entwicklungen als anderswo vorhersagen. Diese Entwicklungen wollen wir durch gezielte Förderung verstärken. Im Einzelnen geht es um die folgenden regio-


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nalen Wachstumskerne: Spremberg; den Städteverbund aus Finsterwalde, Lauchhammer, Schwarzheide, Senftenberg und Großräschen; Cottbus; Luckenwalde; Frankfurt an der Oder und Eisenhüttenstadt; Fürstenwalde; den Verbund aus Wildau, Königs Wusterhausen und Schönefeld, also die Region des zukünftigen Flughafens Berlin-Brandenburg International; Ludwigsfelde; unsere Landeshauptstadt Potsdam; Brandenburg an der Havel; Eberswalde; den Verbund von Oranienburg, Velten und Hennigsdorf; Neuruppin; den Verbund aus Wittenberge, Perleberg und Karstädt; Schwedt an der Oder. Sorgfältige Bewertung von Entwicklungsprozessen Die Entscheidung für diese Städte und Verbünde haben wir verantwortungsbewusst und nach sorgfältiger Abwägung getroffen. Die Kritik von Verantwortlichen aus den leer ausgegangenen Kreisen habe ich wahrgenommen. Selbstverständlich hätten wir uns alle Konflikte ersparen können, wenn wir diesen Einwänden nachgegeben hätten. Nur hätte das Ergebnis dann mit dem Gedanken der Konzentration und Bündelung knapper Mittel nichts mehr zu tun gehabt. Genau umgekehrt kommen – ähnlich wie im Fall der Zahl der Branchenschwerpunkte – unsere 15 Schwerpunkte manchen immer noch zu zahlreich vor. So viele wach-

sende Kerne gebe es in Brandenburg gar nicht, hat man uns entgegengehalten. Doch auch hier gilt: Es geht bei unserer neuen Förderstrategie um mehr als die Bestandaufnahme eines aktuellen Status quo: Es geht um die Bewertung besonderer Potenziale – also der möglichen zukünftigen Entwicklungsprozesse. Das ist der entscheidende Punkt. Wirtschaft ist immer ein dynamischer und eigendynamischer Prozess, Wirtschaft ist Entwicklung. Es liegt deshalb in der Natur der Sache: Weder die erfolgreichen Branchen und Produkte der Zukunft noch die zukünftigen Erfolgsregionen lassen sich heute mit letzter Sicherheit voraussagen. Es gibt keine zu 100 Prozent sichere mathematische Formel, nach welcher der eine Ort ausgewählt und der andere verworfen werden kann. Unterstützung künftiger Möglichkeiten Bei der Ausweisung von regionalen Wachstumskernen geht es nicht nur um die Honorierung bereits bestehender Zustände, sondern auch um die Unterstützung aktueller Entwicklungen und künftiger Möglichkeiten. Mit der Entscheidung für die 15 Wachstumskerne und auch für die 16 Branchenkompetenzfelder schaffen wir Planungssicherheit für die Entscheidungsträger ebenso wie für die ansässigen und potenziellen neuen Wirtschaftsunternehmen vor Ort. perspektive21

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Andererseits steht schon heute fest, dass es eine regelmäßige Evaluierung der jetzigen Festlegungen geben wird, in deren Ergebnis auch straffende Veränderungen der Förderlandschaft möglich sind. Eigene Stärken identifizieren In den Regionalkonferenzen haben wir für die neue Förderstrategie geworben, haben die Konzepte der lokal Handelnden aufgenommen und in unsere Überlegungen einbezogen. Im Ergebnis dieser zehn Konferenzen ist ein deutlicher Effekt der Mobilisierung und Aktivierung in den einzelnen Städten und Landesteilen auszumachen. Weit mehr als zuvor haben sich Akteure in den einzelnen Regionen zusammengetan, um sich Klarheit darüber zu verschaffen: Wo liegen überhaupt unsere besonderen Stärken? Mit welchen Pfunden können wir wuchern? Worin sind wir besser als andere? Wie können wir unsere Kräfte bündeln? Und welche Synergieeffekte können wir durch die bessere Zusam-menarbeit aller Akteure vor Ort erzielen? Diese neue Besinnung auf die eigenen Kräfte überall im Land ist ein enorm wichtiger Wert an sich. Denn eines sollte uns allen inzwischen klar geworden sein: Es werden auch in Zukunft niemals vor allem staatliche Fördermittel sein, die über den Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens 36

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oder einer Branche, einer Stadt oder einer Region entscheiden. Öffentliche Fördermittel sind kein Ersatz für gute Ideen, für Kooperation, für die Besinnung auf die eigenen Kräfte! Wo Fördermittel nicht verantwortungsvoll und weitsichtig eingesetzt werden, da wird es auch mit ihnen keine Erfolge geben. Wo man dagegen auch ohne besondere Fördermittel mit strategischer Weitsicht agiert, da wird vieles heute noch Unerwartete möglich sein. Entscheidungen über Fördermittel schreiben Entwicklungen nicht amtlich vor. Deshalb appelliere ich an alle Akteure überall in den Städten, Kreisen und Kommunen unseres Landes: Macht so weiter! Behaltet den in den vergangenen Monaten an vielen Orten spürbar gewordenen Willen zur Erneuerung aus der eigenen Kraft bei! Und entwickelt dieses Engagement weiter! Anpackende Grundhaltung im Land Dass ein echter Ruck durchs Land geht, das haben wir in den vergangenen Monaten bei vielen verschiedenen Akteuren in allen Regionen unseres Landes festgestellt. Besonders augenfällig hat sich diese veränderte und anpackende Grundhaltung in jüngster Zeit in der Prignitz gezeigt. Im Ergebnis hat das dazu geführt, dass wir mit Wittenberge, Perleberg und Karstädt


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einen weiteren Wachstumskern anerkannt haben. Keine gleichmäßige Förderung mehr Wir werden in Zukunft keine flächendeckend gleichmäßige Wirtschaftsförderung mehr betreiben, weil dies unser Land insgesamt nicht mehr voranbringen würde. Zu dieser Entscheidung stehen wir. Ebenso sehr aber steht die Landesregierung zum verfassungsgemäßen Recht aller Brandenburger auf Daseinsvorsorge und Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Auch daran wird selbstverständlich nicht gerüttelt. Zugleich mit der Neuausrichtung der Förderstrategie haben wir deshalb festgelegt, die Entwicklungspotenziale in den ländlichen Räumen durch die verbesserte Zusammenarbeit aller Ressorts konsequent zu erschließen. Auch hier lässt sich durch bessere Kooperation und die Konzentration auf eigene Stärken noch viel erreichen. Brandenburg wird auch in Zukunft stark von der Forstwirtschaft, von der Landwirtschaft, dem Gartenbau und der Fischerei geprägt sein. Alle diese Sektoren sind im Wandel, doch sie werden auch weiterhin Perspektiven und Arbeitsplätze bieten. Großes Potenzial im ländlichen Raum haben daneben der Tourismus, die Holz verarbeitende Wirtschaft, die Ernährungswirtschaft, die Energiewirtschaft, die grüne Biotechnologie und die Gesund-

heitswirtschaft. Diese Felder bieten Beispiele für dynamische Wirtschaftsentwicklungen – Entwicklungen, die sich noch vor ein paar Jahren niemand hätte vorstellen können. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die Gesundheitswirtschaft zu einem der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren im ländlichen Raum werden würde? Genau das ist aber zunehmend der Fall – mit ausgezeichneten weiteren Zukunftsaussichten. Schon heute vielerorts Spitzenreiter Und wer hätte sich vorstellen können, dass Brandenburg mit Abstand zum Spitzenreiter in Deutschland unter den Produzenten von Biodiesel aufsteigen würde? Genau diese Entwicklung ist aber eingetreten. Sie war nur möglich, weil wir Agrar- und Industriepolitik passgenau aufeinander abgestimmt haben. Und was uns beim Biodiesel gelungen ist, müssen wir auch bei der Verzahnung weiterer Branchen und Regionen hinbekommen. Und ein drittes Beispiel: Es ist klar, dass die Braunkohle das Standbein der brandenburgischen Energiewirtschaft bleibt. Aber wer hätte sich vorstellen können, dass daneben auch die Solarenergie bei uns so rasant an Bedeutung gewinnen würde? Die vor vier Jahren gegründete Solar-Manufaktur in Prenzlau ist schon heute einer der größten Hersteller von Solarmodulen in Deutschland, und sie ist perspektive21

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auf dem Sprung, die Technologieführerschaft in Europa auf dem Markt der Photovoltaik zu übernehmen. Das bringt moderne und gute Arbeitsplätze in die Uckermark. Konzentration findet Lohn Unsere Neuausrichtung der brandenburgischen Förderpolitik ist in Fachkreisen nahezu durchweg positiv aufgenommen worden. Das angesehene Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin erklärt, Fördermittel dürften nicht mit der Gießkanne ausgeschüttet werden. Vielmehr müssten sie dort konzentriert werden, wo Wachstums entstehe. Nur früher damit anfangen sollen hätten wir, fügt das DIW hinzu. Sicher, diesen Schuh müssen wir uns anziehen. Aber auch so liegen wir in Brandenburg mit unserer neuen Förderpolitik noch immer weit vorn. So schreibt die namhafte Wochenzeitung Die Zeit: „Das einzige Bundesland, das sich […] zu einer Konzentration der Förderpolitik bekennt, ist Brandenburg.“ Damit sei Brandenburg den anderen Ländern weit voraus. Solches Lob tut gut, solche Zustimmung motiviert. Aber wir stehen erst am Anfang. Beschlüsse zu fassen allein genügt nicht. Was also werden wir für die neuen Wachstumskerne tun? Jetzt kommt es darauf an, die neuen regionalen und branchenbezogenen Förderschwerpunkte durch konkrete Entwick38

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lungskonzepte mit wirklichem Leben zu erfüllen. Solche regionalen und lokalen Entwicklungskonzepte müssen für die Wachstumskerne entwickelt, fortgeschrieben und abgestimmt werden. Die Interministerielle Arbeitsgruppe Aufbau Ost wird Gespräche mit Vertretern der 15 Regionalen Wachstumskerne aufnehmen. Bis Mitte 2006 soll das Kabinett Vorschläge dazu erhalten, mit welchen Maßnahmen die Landesregierung die Regionalen Wachstumskerne in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung weiter unterstützen kann. Regionale Zusammenarbeit verbessern In den ausgewählten Branchen wird gezielt die Bildung von Unternehmensnetzwerken gefördert, weil die regionale Zusammenarbeit die Verankerung der Unternehmen in den Regionen unseres Landes verbessert. Wo Unternehmen in regionale Wertschöpfungsketten eingebunden sind, sinkt die Gefahr, dass sie Werke in Brandenburg schließen, weil in Fernost oder Osteuropa kurzfristig höhere Gewinne zu erzielen sind. So binden wir Unternehmen an unser Land. Es gibt drei herausragende Branchen, mit denen wir schon heute bundesweit an die Spitze kommen können. Das sind die Luft- und Raumfahrttechnik, die Biotechnologie sowie die Medienwirtschaft. Hier steckt jede Menge Innovationskraft. Gerade auf diesen drei Feldern verbindet


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uns jetzt schon eine enge Zusammenarbeit mit Berlin. Berlin liegt in der Mitte unseres Landes. Die Stadt hat Strahlkraft, nicht nur ins unmittelbare Umland, sondern weit darüber hinaus. Davon wollen wir künftig noch besser profitieren. Die Möglichkeit zur Zusammenarbeit auf immer mehr Gebieten innerhalb der europäischen Ge-samtregion Berlin-Brandenburg bedeutet für unser Land eine der größten Zu-kunftschancen überhaupt. Zusammenarbeit mit Berlin intensivieren Mit dem neuen Landesinnovationskonzept soll deshalb nicht nur die Innovationskraft der Unternehmen gestärkt, sondern auch die Zusammenarbeit mit Berlin weiter intensiviert werden. Auch auf der Gemeinsamen Kabinettsitzung von Brandenburg und Berlin im Dezember 2005 haben wir Beschlüsse gefasst, die unsere Länder noch enger miteinander verzahnen. Damit haben wir die weiteren Schritte der Zusammenarbeit abgesteckt. Hierdurch ändert sich nichts an der Perspektive für das Zusammengehen mit Berlin. Soll dieser Schritt gelingen, dann kommt es auch weiterhin zunächst darauf an, die Menschen vom Sinn dieses Schrittes zu überzeugen. Aber was wäre überzeugender als ganz konkrete positive Entwicklungen bei uns hier in Brandenburg? Klar ist: Zur Metropolregion, für die wir werben, gehören Berlin und das gesamte Land Brandenburg.

Nur wenn die gemeinsame Entwicklung dieser Region für die Menschen überall in Brandenburg handfest erlebbar wird, wird die Zustimmung zur Länderfusion wachsen. Die neue brandenburgische Förderpolitik hat schon jetzt das Image unseres Landes deutlich verbessert. Unser neues Konzept findet bundesweit positive Beachtung. Der Grundsatz, systematisch Stärken zu stärken, ist vernünftig und zukunftsweisend. Er ist zugleich die Richtschnur für die gesamte künftige Landespolitik. Wir wollen die überall in unserem Land schlummernden Potenziale wecken. Vielleicht als wichtigstes Ergebnis dieses Perspektivwechsels beobachten wir seit Monaten die eindrucksvolle Selbstaktivierung und Selbstmobilisierung der Regionen unseres Landes. Niemand wird aufgegeben Die Landesregierung ist fest entschlossen, niemanden in Brandenburg aufzugeben. Keine Region, keine Stadt, kein Mensch soll zurückgelassen werden. Dabei bleibt es. Aber neue Perspektiven verspricht die neue Förderstrategie vor allem dort, wo sich Menschen auf ihre eigenen Kräfte besinnen. Nicht mehr so sehr bestehende Defizite begründen Ansprüche auf Förderung, sondern die engagierte Arbeit daran, diese Defizite zu verringern. Diese Selbstaktivierung überall in unserem Land brauchen wir drinperspektive21

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gend, und wir unterstützen sie nachdrücklich. Dass die Regionen unseres Landes den konstruktiven Wettbewerb untereinander aufgenommen haben, ist ein gutes Zeichen. Perspektiven für Kinder in ihrer Heimat Mit der Neuordnung der Förderstrategie haben wir wichtige Weichen für die künftige Entwicklung, für Wachstum und Arbeit in Brandenburg gestellt. Wir wollen allen Brandenburgern, ihren Kindern und Kindeskindern langfristige Lebensperspektiven hier in ihrer Heimat geben. Dazu wollen wir das ganze Land aktivieren. Dabei weiß ich sehr gut: Mitten im Umbau ist es erst einmal schwer, immer die Nerven zu behalten. Denn wo ein Haus rekonstruiert wird, da entsteht immer erst einmal Unordnung. Da wird viel Staub aufgewirbelt, da werden morsche Dielen herausgerissen. Da sitzt vielleicht auch nicht jeder Handgriff auf Anhieb. Und da sieht man auch nicht von Anfang an, wie das erneuerte Gebäude nach dem Umbau einmal aussehen wird. Das eine ist „nicht mehr“ – das andere ist „noch nicht“: In

diesem Zustand dazwischen gedeihen die Zweifel am Gelingen des Bauwerks am wildesten. „Das kriegen die doch nie und nimmer hin“, heißt es dann fast triumphierend. Und genau an diesem Punkt stehen wir heute bei uns in Brandenburg. Es wäre aber völlig falsch, den Kopf in den Sand zu stecken und mit Verweigerung zu reagieren. Die Landesregierung ist angetreten, um etwas hinzukriegen. Wir wollen etwas aufbauen. Wir wollen Probleme lösen. Wir wollen mehr Arbeit und größere Lebenschancen für mehr Menschen schaffen. Und wir sind heute mitten bei der Arbeit. Der Bürgermeister von Perleberg hat die neue Förderpolitik unseres Landes mit den Worten gelobt, sie habe nicht nur „Aktionen provoziert“, sondern „auch die Gedankenwelt verändert“. Genau darum geht es im Grunde. Es geht um den Mut zur Erneuerung aus der eigenen Kraft. Gemeinsam alles dafür tun, dass immer mehr Regionen, immer mehr Städte, immer mehr Menschen in Brandenburg ihr Schicksal tatkräftig und miteinander in die eigenen Hände nehmen – auch diesem großen Ziel dient die neue Brandenburger Förderpolitik. L

MATTHIAS PLATZECK

ist Ministerpräsident des Landes Brandenburg sowie SPD-Bundes- und Landesvorsitzender. Der Text basiert auf der von Matthias Platzeck am 14. Dezember 2005 vor dem Landtag abgegebenen Regierungserklärung 40

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Was müssen wir wissen? KOMPLEXITÄT ERFORDERT KOMMUNIZIEREN, KOOPERIEREN UND EXPERIMENTIEREN. VON STEFAN PINTER

lle reden von der Wissensgesellschaft. Ihre Verkünder preisen sie als das neue Paradigma, das auf die Agrar-, Industrie- und Informationsgesellschaft folgt. Aus ihr erwachsen neue Herausforderungen. Von ihr erhoffen sie sich neue Ideen für die vielfältigen Probleme, vor denen wir alle stehen. Was ist das Besondere an diesem Phänomen? Welche Konsequenzen leiten sich daraus ab? Alle „Vorgänger“ der Wissensgesellschaft können begrifflich plausibel erklärt werden. Agrargesellschaft? Ja, richtig. Die Mehrzahl der Bevölkerung lebte von der Landwirtschaft. Industriegesellschaft? Alles klar: Fabriken und rauchende Schlote. Informationsgesellschaft? Computer und Internet. Aber Wissensgesellschaft? Inwiefern ist Wissen ihre „neue“ Basis? Wenn gerade jetzt die Wissensgesellschaft entdeckt wird: Heißt das, Aristoteles und Platon, Newton und Einstein haben nichts gewusst? Haben die Nutzung des Feuers, die Erfin-

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dung der Seefahrt oder 1.000 Jahre alte südchinesische Fruchtfolgesysteme kein Wissen erfordert? Wohl kaum. Zu wissen und das Wissen durch Lernen zu mehren, ist eine menschliche Kompetenz. In diesem Sinne ist jede Gesellschaftsformation eine Wissensgesellschaft, ob sie nun „Agrar-“, „Industrie-“, „Informations-“ oder eben „Wissensgesellschaft“ genannt wird. 1.000 Drucker ersetzen 10.000 Mönche Auch die Dramatik der gegenwärtigen Veränderungen ist nicht neu. Die durch Computer und Internet ausgelöste Informationsrevolution ist nicht die erste dieser Art, sondern bereits die vierte. Der kürzlich verstorbene Managementautor Peter Drucker hat überzeugend nachgewiesen, dass die Erfindung der Schrift vor 5.0006.000 Jahren in Mesopotamien, die Erfindung des Buches vor etwa 1.300 Jahren in China und die Erfindung perspektive21

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der Druckerpresse vor 550 Jahren in Deutschland ihr bereits vorausgingen.1 Mit der Druckerpresse „ersetzten“ in Europa 1.000 Drucker die 10.000 Mönche, die bis dahin in mühevoller Handarbeit Bücher abgeschrieben hatten. Erfolgreich ist, wem schnell Neues einfällt Weder sind die Menschen heute intelligenter noch sind die Konsequenzen neuen Wissens dramatischer. Geändert hat sich nicht die Fähigkeit, zu wissen und Wissen einzusetzen, um Probleme zu lösen. Was sich geändert hat, ist der Stellenwert, der neuem Wissen beigemessen wird. Früher wurde der Entwicklung von Wissen viel Zeit zugestanden. Was gewusst wurde, baute auf Vorwissen auf. Das Wissen der Vorväter musste dabei nicht einmal ersetzt werden. Solange es sich bewährte, wurde es bewahrt und bestenfalls ergänzt. Handwerk und Landwirtschaft funktionierten Jahrtausende nach diesem Prinzip. Selbst Basisinnovationen wie die Erfindung des Buchdrucks änderten daran wenig. Zwar lösten sie altes Wissen ab. Aber nur, um dann selbst die Grundlage neuer Wissenssysteme zu bilden, die die Würdigung von Wissen verkörperten. Erst die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozesse der Moderne

führten dazu, dass altes Wissen nicht mehr als wertvoll, sondern eben nur noch als alt gilt. Wer heute erfolgreich sein will, der muss sich schleunigst etwas Neues einfallen lassen. Bevor die Mitbewerber drauf kommen. Auch heute käme wohl niemand auf die Idee, Wissen veraltet zu nennen, mit dem alle Probleme gelöst werden können. Erst wenn unser Wissen vor neuen Problemen versagt, kommen uns Zweifel an seiner Aktualität. Genau das ist der Fall – vor allem in der sich immer weiter ausdehnenden Sphäre wirtschaftlicher Aktivität. „Niemand kann den Wandel managen. Wir können ihm nur einen Schritt voraus sein.“ 2 Und also schneller als der Wandel selbst sein. Was musste sich verändern, damit dieses Ziel zum Leitstern der „Wissensgesellschaft“ werden konnte? J Wertewandel. Die Werte, die dem menschlichen Handeln zugrunde liegen, werden pluralistischer, Lebenskonzepte flexibler. Gehorsam, Fleiß, Ausdauer – diese so genannten Pflicht- und Akzeptanzwerte waren früher handlungsleitend. Heute dominieren Selbstentfaltungswerte wie Partizipation, Freude am Genuss, freie Meinungsäußerung und Gleichwertigkeit von Arbeit und Freizeit. J Informatisierung. Winzige Mikrochips können so viele Informationen verarbeiten wie früher tonnen-

1 Peter F. Drucker, Management im 21. Jahrhundert, Berlin 1999, Seite 148ff. 2 ebd., Seite 109.

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schwere Rechenmaschinen. Das führt dazu, dass heute jedes Haushaltsgerät zum „intelligenten“ Computer werden kann. Die Digitalisierung von Informationen ermöglicht es, überall und zu jeder Zeit parallel zu empfangen und zu senden. Dadurch werden immer mehr Informationen erzeugt, die zudem sehr individuell und dezentral verteilt werden können. J Strukturwandel. Innerhalb der traditionellen Sektoren Landwirtschaft und Industrie werden die verwendeten Systeme komplizierter. Zugleich verschiebt sich die Wertschöpfung zugunsten von (Informations-)Dienstleistungen, die wiederum intensive Interaktionen „von Mensch zu Mensch“ bedingen. J Wettbewerb. Politische Liberalisierung und Deregulierung, das Entstehen neuer Märkte in Asien, die Mobilität des Kapitals, die Informatisierung und die Verringerung der Transportkosten forcieren die Globalisierung des Wirtschaftslebens. Immer neue Wettbewerber gibt es, die schnell lernen und sich nicht mehr mit der Rolle von Vorleistungsproduzenten zufrieden geben. All diese Veränderungen führen dazu, dass Wissen veraltet – moralisch und real. Um zu bestehen, müssen wir

uns verändern. Nicht gemächlich im Zuge darwinistischer Evolutionsprozesse, sondern von heute auf morgen. Erst schalten, dann Geschwindigkeit erhöhen Wie aber wird man zu einem Vorreiter des Wandels? Indem man alle seine Kräfte verdoppelt? Nehmen wir einmal an, Sie fahren gerade Auto. Was tun Sie, wenn Sie Ihre gegenwärtige Geschwindigkeit von 70 km/h verdoppeln wollen? Sie werden vielleicht noch etwas Gas geben, dann aber vom Gas gehen und erst einen Gang heraufschalten, bevor Sie erneut das Gaspedal betätigen. Ein anderes Beispiel: Wenn Sie in einem Ihnen unbekannten Haus ein Zimmer suchen, werden Sie sich danach auf die Suche begeben. Es wird Ihnen wenig nutzen, wenn Sie dabei schneller durch das Haus rennen. Veränderung ist nie die schnellere Bewegung von A nach B. Veränderung beginnt damit, dass wir die (sozialen) Systeme verstehen, in denen wir handeln.3 Der erste Schritt zum Verständnis unserer Umwelt ist scheinbar banal. Wir müssen ihre Komplexität akzeptieren. Und wir müssen erkennen, dass die Erhöhung der Komplexität die wichtigste Form der Umweltveränderung ist. Das lässt sich an einem einfa-

3 Im hier gemeinten Verständnis sind soziale Systeme Organisationen (Unternehmen und Behörden), Märkte, Staaten, Kulturen etc.

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chen Beispiel zeigen. In einem System aus fünf Glühlampen, von denen jede aus oder an sein kann, gibt es 32 unterschiedliche Systemzustände. Ein System von 25 Glühlampen kann über 33 Millionen unterschiedliche Zustände annehmen. Jede zusätzliche Glühlampe verdoppelt die Zahl der möglichen Systemzustände.4 Dieses Beispiel lässt sich ohne weiteres auch auf die Kommunikation in einem Arbeitsteam anwenden. Komplexität als das zentrale Problem Doch damit nicht genug. Komplexe Systeme sind vernetzt, intransparent und verändern sich dynamisch: Vernetzt, weil kein Merkmal sich isoliert von einem anderen verändert. Gleichzeitig müssen viele Merkmale beachtet werden. Intransparent, weil nicht alles sichtbar ist, was man sehen will. Dynamisch, weil sie sich ohne das Zutun Einzelner verändern. Eine Maschine ist nicht komplex, sondern kompliziert. Sie besteht aus vielen Teilen. Aber das Zusammenwirken der Teile ist stabil. Die einzigen Veränderungen sind der Verschleiß dieser Teile, nicht aber ihr Zusammenspiel. Ein Unternehmen ist dagegen komplex. In ihm arbeiten viele Menschen. Sie können es aber auch wieder verlassen – frei-

willig oder unfreiwillig. Wann sie das tun, ist meist ungewiss. Die Beziehungen zwischen diesen Menschen ist formal zwar geklärt (und oft genug nicht einmal das). Informell gibt es aber graue Mäuse und graue Eminenzen, auf die kein Organigramm hinweist. Die Komplexität moderner Organisationen und Gesellschaften ist das eigentliche Wissensproblem. Frederic Taylor, der Vater des wissenschaftlichen Managements, konnte es sich noch leisten, sich ein Unternehmen wie eine Maschine vorzustellen und die in ihm Arbeitenden wie Rädchen im Getriebe. Bewegungsstudien und die davon abgeleiteten Optimierungsmaßnahmen führten zu immer mehr Produktion und Gewinn. Nicht mehr vom Gleichen, sondern Neues Heute verspricht die Anwendung der Maschinenmetapher jedoch keinen dauerhaften Erfolg mehr. Wer heute in einem globalisierten Markt versucht, ein Unternehmen wie eine Maschine zu behandeln, der wird ebenso scheitern wie ein Autofahrer, der im ersten Gang auf 100 km/h beschleunigen will. Die Komplexität moderner Organisationen und Gesellschaften stellt das Wissensproblem neu. Kaum jemand bestreitet, dass Frederic Taylor ein klu-

4 Fredmund Malik, Strategie des Managements komplexer Systeme, Bern 2003, Seite 187.

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ger Mann war. Sein Wissen ist heute jedoch nur noch von begrenztem Wert. Um mit komplexen Organisationen erfolgreich arbeiten zu können, ist somit nicht ein Mehr vom gleichen Wissen, sondern neues Wissen, anderes Wissen und ein neues Verständnis von Wissen erforderlich: J Vernetzung und Dezentralisierung statt Hierarchie. Die Steuerung komplexer Systeme verlangt weit mehr Informationen als ein Mensch oder auch eine Gruppe von Menschen verarbeiten können. Auch moderne Kommunikationsmittel sind nicht in der Lage, alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die notwendig wären, um optimale Entscheidungen zu treffen. Die Idee, dass eine Person oder auch ein kleines Managementteam wie Puppenspieler die Fäden ziehen, passt nicht zu einem komplexen System, das ständig neue Informationen erzeugt. Immer mehr Verantwortung muss daher an der Quelle dieser Informationen vorhanden sein. Und diese Quelle ist in den allerwenigsten Fällen das Management selbst. J Muster statt Regeln. Wenn sich die Beziehungen zwischen den Teilen eines Systems permanent ändern, dann sind eindeutige „wenn, dann“Regeln nicht mehr sinnvoll. Bei permanenter Änderung müssten so viele

Regeln gelernt werden, dass damit schon wieder ein neues Komplexitätsproblem entstehen würde. Wenn es beispielsweise 100 verschiedene Fußballspiele gäbe, könnte Fußball wie ein Theaterstück trainiert werden. Da es aber unendlich viele Fußballspiele gibt, konzentriert sich das Training auf wiederkehrende Muster wie z.B. Eckstöße oder das Zusammenspiel zentraler Teammitglieder.5 Im Unterschied zu einer Regel enthalten Muster immer ein Moment der Unsicherheit. Ebenso, wie nicht aus jedem Eckstoß ein Tor wird, führt nicht jede Produktidee eines Unter-nehmens zum Markterfolg. Handeln ohne Unsicherheit ist in komplexen Systemen nicht denkbar. J Wissen als Konstruktion. Müssen wir jeden Baum gesehen haben, um zu verstehen, was ein Wald ist? Natürlich nicht. Der Wald ist ein komplexes Ökosystem, das bei den Bäumen anfängt und bei den unter jeder Baumrinde verborgenen Mikrowelten noch lange nicht aufhört. Unsere Vorstellung von „Wald“ ist eine Konstruktion, eine Wirklichkeitsvorstellung, die von der komplexen Realität des Waldes meilenweit entfernt ist. Ist das ein Problem? Nein, solange wir uns anhand dieses Bildes in einem Wald zurechtfinden können. Unser Wissen von komplexen Syste-

5 Fredmund Malik (Fußnote 4), Seite 200.

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men, ob sie nun Wälder sind oder Unternehmen, ist immer eine Konstruktion. Entscheidend ist nicht, ob diese Konstruktion richtig ist, sondern ob sie brauchbar ist. Die Idee, dass das Wissen in komplexen Systemen eine Wirklichkeitskonstruktion ist, entlastet uns und lenkt die Aufmerksamkeit auf neue Aspekte. Wir müssen uns nicht mehr damit beschäftigen, die richtige Vorstellung zu bilden. Vielmehr geht es darum, eine gemeinsame Vorstellung zu finden, die unsere Ziele unterstützt.6 Markt statt Organigramm Wissen als Konstrukt, die Anwendung von (Handlungs-)Mustern und dezentrale Verantwortung – das ist das Basiswissen für die erfolgreiche Steuerung komplexer Systeme. Wie kommt man also von hier aus zur Formulierung konkreter Steuerungsmaßnahmen? Über einen Umweg! Der Umweg besteht darin, eine anspielungsreiche Metapher bzw. Analogie zu suchen, die die genannten Prinzipien verkörpert und auf komplexe Systeme angewendet werden kann.7

Der Organismus, das Ökosystem, das Gehirn und der Markt sind Metaphern, für die das Basiswissen gilt und die auf komplexe Systeme anwendbar sind. Nehmen wir einmal an, dass komplexe Systeme wie ein Markt organisiert sind, auf dem verschiedene Akteure zusammenkommen, um im Verlauf von Tausch-, Kooperationsund Konkurrenzhandlungen ihre individuellen Ziele zu erreichen. Der Markt ist eine gute Metapher, weil Friedrich August von Hayek ihn bereits ausführlich als komplexes Phänomen analysiert hat: J Ein Markt kann nicht zentral gesteuert werden, weil eine übergeordnete Institution die für eine direkte Steuerung notwendigen Informationen nicht in Erfahrung bringen und verarbeiten kann. Dies ergibt sich direkt aus dem Verständnis von Komplexität. Angesichts des Scheiterns der sozialistischen Planwirtschaften kann sie auch als empirisch bestätigt gelten. Gesteuert wird ein Markt dezentral durch die Handlungen der Marktteilnehmer – im Sinne ihre individuellen Ziele und aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen.

6 Der hier verwendete Wissensbegriff ist der des Konstruktivismus (Piaget, von Förster, von Glasersfeld, Watzlawick). Das konstruktivistische Denken geht davon aus, das Menschen ihre Wirklichkeit konstruieren. Wir nehmen nicht die objektive Wirklichkeit war, sondern stehen in einem aktiven Konstruktionsprozess. 7 Die Verwendung von Metaphern und Analogien wird oft bei Kreativitätstechniken angewendet. Ein Beispiel ist die Bionik. Der Ausdruck setzt sich aus „Biologie“ und „Technik“ zusammen und bringt damit zum Ausdruck, wie für technische Anwendungen Prinzipien verwendet werden können, die aus der Biologie abgeleitet wurden. Das erste deutsche Patent im Bereich Bionik wurde 1920 Raoul Heinrich Francé für einen „Neuen Streuer“ nach dem Vorbild einer Mohnkapsel erteilt (Deutsches Patentamt, Nr. 72 37 30).

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J Marktergebnisse sind nicht genau vorhersagbar. Wenn fünf Unternehmen auf dem Automarkt miteinander konkurrieren und eine 10prozentige Steigerung des Marktanteils planen, dann muss zwangsläufig mindestens ein Unternehmen seine Planung verfehlen. Mehr als 100 Prozent Marktanteil geht eben nicht. Selbst wenn sich alle vornähmen, ihren Marktanteil zu halten, würde das kaum gelingen. Möglich sind jedoch Musteraussagen wie: „Eine frühere Markteinführung des neuen Pkw-Modells wirkt sich positiv auf die Gesamtnachfrage für das kommende Jahr aus.“ J Die Vorstellung, die wir uns von einem Markt bilden, kann immer nur eine Konstruktion sein. Für die Zwecke dieses Textes reicht es völlig aus, wenn wir uns vorstellen, dass auf einem Markt Anbieter und Nachfrager zusammenkommen, etwas tauschen bzw. untereinander kooperieren oder konkurrieren. Was getauscht wird, wann getauscht wird und wie hoch die erzielten Preise sind, ist dabei völlig unerheblich. Wir können uns nun eine Organisation wie einen Markt vorstellen, auf dem verschiedene Akteure zusammenkommen, um ihre Ziele zu erreichen. Damit werfen wir den klassischen Blick auf die Organigrammstruktur

einer Organisation über Bord. Das Bild der „Organigramm-Organisation“ eignet sich nicht für die Steuerung komplexer Systeme, weil seine Anwendung dazu führt, dass Informationsflüsse kanalisiert und zentralisiert werden. Dies widerspricht dem Erfordernis der Dezentralisierung und behindert die Vernetzung. Individuelle Ziele mit Organisationen versöhnen Die Organisation als Markt gedacht beleuchtet das Verhältnis zwischen individuellen und kollektiven Zielen auf neue Weise. Klassische Vorstellungen gehen davon aus, dass es nur eine Form von Zielen gibt – die der Organisation. Dass davon abweichende individuelle Ziele existieren, wird eher nebenbei erwähnt. Die Marktmetapher ist realistischer, weil sie von individuellen Zielen ausgeht. In dieser Vorstellung ist es eine zentrale Aufgabe, sie mit den Organisationszielen zu versöhnen. Aus der Marktmetapher leiten sich nun drei Prinzipien für die erfolgreiche Steuerung komplexer Systeme ab: J Kommunikation. Märkte funktionieren nicht ohne Kommunikation. Im klassischen Tauschmarkt ist das noch relativ einfach, weil Vertragsprozesse und Geld als Tauschmittel eine sichere Geschäftsgrundlage sind. Kooperative Strategien bedürperspektive21

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fen jedoch einer gemeinsamen Vertrauensbasis und der Verständigung über gemeinsame Ziele. Im komplexen System „Organisation“ wird die Notwendigkeit gelingender Kommunikation noch deutlicher. Allein die Verfolgung einer Strategie ist ein umfassender Kommunikationsprozess. Eine echte Strategie gibt es praktisch nicht, solange nicht alle sie kennen und verstehen. Was nutzt das schönste mission statement, wenn die Arbeiter kein Englisch können. J Kooperation. Die vollkommene Konkurrenz, in der kleine Unternehmen isoliert voneinander konkurrieren, ist eine weltfremde Konstruktion der Wirtschaftstheorie. Im realen Leben eines Marktes ist Kooperation ebenso wichtig wie Konkurrenz. Dafür gibt es zahlreiche empirische Belege. Man denke nur an die Allianzen der Luftfahrtunternehmen. Entscheidend ist für jeden Marktakteur die Frage, wann der richtige Zeitpunkt für Kooperation oder Konkurrenz ist und wie viel eigenes Wissen in eine Kooperation investiert werden sollte. Auch Organisationen leben von der Balance zwischen Kooperation und Konkurrenz. Konkurrenz ist dabei noch die leichtere Aufgabe. Echte

Kooperation jedoch will gelernt sein. Ihre Vorab-Bedingung sind gemeinsame Ziele. Sie erfordert eine grundsätzlich wertschätzende Haltung gegenüber den Kollegen sowie die Fähigkeit zum Dialog. J Experimente. Die Marktteilnehmer starten unterschiedliche Handlungsstrategien, um ihre Ziele zu erreichen. Der Markt liefert zugleich eindeutige Informationen darüber, welche Strategien funktionieren oder scheitern. Unzählige Akteure versuchen in Kooperation miteinander oder in Konkurrenz zueinander immer wieder neue Strategien. Auf diese Weise „entdeckt“ der Markt neues Wissen. Oder wie Friedrich August von Hayek sagt: Der Wettbewerb auf dem Markt ist ein Entdeckungsverfahren. Auch Organisationen können Entdeckungsverfahren gestalten. Sie müssen jedoch bereit sein, Fehler als notwendig zu akzeptieren. Sie müssen sich aktiv von vermeintlichen Gewissheiten lösen. Und sie müssen in die Suche nach dem Neuen ebensoviel investieren wie in die Optimierung bestehender Prozesse. Für diese Prinzipien der Steuerung komplexer Systeme können unzählige praktische Beispiele angeführt werden. Deren einziges Problem besteht darin,

8 Guido Bessimo und Charles Huber, Virtuelle Fabrik Nordwestschweiz/ Mittelland – ein Produktionsnetzwerk, in: Charles Huber u.a. (Hg.), Kooperationsnetze der Wirtschaft, Zürich 2005, Seite 151-171.

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dass sie sich so neu, unverbraucht und innovativ anhören. Das bedeutet nichts anderes, als das die Masse der Organisationen brav weitermacht – als Tayloristische Maschinenwesen. Dennoch zum Schluss noch ein Beispiel aus der Praxis. Es zeigt: Der Umgang mit Komplexität ist machbar. Komplexe Aufgaben mit Netzwerken bearbeiten 1999 wurde die Virtuelle Fabrik Nordwestschweiz-Mittelland offiziell gegründet.8 Kernstück ist ein stabiles Unternehmensnetzwerk mit 20 rechtlich selbstständigen Unternehmen und etwa 500 Mitarbeitern. Das Leistungsspektrum umfasst Design, Planung, Fertigung, Montage und Service rund um mechatronische Aufgabenstellungen.9 Das Ziel des Netzwerks ist es, im Rahmen einer Wertschöpfungskette technologische hochwertige komplexe Aufgabenstellungen und Leistungen anzubieten. Alle Unternehmen haben eigene Kundenkontakte und akquirieren selbstständig Aufträge. Wenn ein Auftrag nicht im eigenen Unternehmen abgewickelt werden kann, werden alle Netzwerkpartner angeschrieben. Die Partner formieren sich dann – Auftrag

für Auftrag – entsprechend ihrem Leistungsangebot. Kontinuierliche Erneuerung nötig Das Netzwerk hat ein Führungsteam aus fünf Geschäftsinhabern der Mitgliedsunternehmen. Es wird jährlich in einer Generalversammlung bestätigt oder neu gewählt. Das Führungsteam steuert die Geschäftsprozesse des Netzwerks: Netzwerkentwicklung, Auftragsabwicklung, Auftragsgewinnung, Lernen und Optimierung sowie Finanzen. Es verwaltet die je nach Unternehmensgröße zu zahlenden jährlichen Beiträge von 1.000 - 6.500 €. Mit diesen werden alle Aktivitäten gezahlt, die das Netzwerk nicht selbst erbringen kann, z.B. Marketing- und Verkaufsaktivitäten. Zusätzlich erbringen die Partner 812 Leistungstage für das Netzwerk. Institutionen zur Weiterentwicklung des Netzwerkes sind ein jährlicher Erfahrungsaustausch aller Unternehmen, ein Roundtable, an dem sich z.B. alle Außendienstmitarbeiter der Unternehmen treffen, um gemeinsame Projekte zu beraten und Empfehlungen auszutauschen, und ein Innovationsclub, der in einem zweimonatlichen Turnus über neue Projekte berät.

9 Der Begriff Mechatronik (Mechanik-Elektronik) ist ein Kunstwort. Er wurde ab 1969 von der japanischen Firma Yaskawa Electric Cooperation geprägt und findet seinen Ursprung in der Feinmechanik. Später kam die Informatik als neue Kerndisziplin hinzu. Die Mechatronik beschäftigt sich interdisziplinär mit dem Zusammenwirken mechanischer, elektronischer und informationstechnischer Systeme.

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Ein Netzwerkmanager der Virtuellen Fabrik beschrieb die Erfolgsfaktoren kürzlich auf einer Tagung in Berlin: J Vertrauen ist das A und O erfolgreicher Netzwerkarbeit. Es entsteht nur, wenn alle Teilnehmer einbezogen und ihnen Angebote zur Mitarbeit gemacht werden. J In einem Netzwerk muss möglichst viel sichtbar gemacht und kommuniziert werden, um Vertrauen zu schaffen. Technik (Internet und Intranet) ermöglicht diese Transparenz für alle Netzwerkteilnehmer. J Die Organisation ist dezentral und funktioniert nach dem bottom-upPrinzip. In einem Netzwerk müssen Kompetenzen dezentralisiert werden, bis es den Beteiligten unwohl wird. Nur eine möglichst hohe Autonomie der Teile sichert die Lebensfähigkeit des Ganzen. Entscheidungen werden immer von unten getroffen. Das dauert zwar länger,

ermöglicht aber eine höhere Motivation. Das zahlt sich langfristig aus. Viel lässt sich aus diesem Beispiel lernen – über den Wert von Netzwerken, über das Leistungspotenzial kleiner Unternehmen und über die Bedeutung von Vertrauen und Kooperation im Wirtschaftsleben. Bezogen auf unsere Ausgangsfragen, was das besondere an der Wissensgesellschaft ist und welche Konsequenzen sich aus ihr ableiten, ist festzustellen: Die Wissensgesellschaft geht mit steigender Komplexität einher. Vor allem aber erfordern komplexe Systeme anderes Wissen – das Denken in Mustern statt Regeln, Vernetzung, Dezentralisierung und konstruktivistisches Denken. Das mit der Anwendung der Maschinenmetapher auf Organisationen entstandene Wissen verliert dabei an Wert. Sich diesem Wissensverlust zu stellen, umzudenken und neu zu lernen, wird zu einer Überlebensfrage in der Wissensgesellschaft. L

STEFAN PINTER

ist Volkswirt und Kommunikationstrainer und Referent der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg. 50

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Wissenschaftsland Brandenburg WIE AUS DEM NICHTS EIN BEACHTLICHES HOCHSCHULNETZ ENTSTAND VON KLARA GEYWITZ

randenburg war, ist und bleibt wissenschaftliches Entwicklungsland. Von Landwirtschaft und Bergbau geprägt, waren Hochschulen in den drei brandenburgischen DDRBezirken Mangelware – insbesondere im Vergleich zur DDR-Hauptstadt und Sachsen. Die ersten Schritte der Landesregierung nach 1990 waren richtig und mutig, es folgte eine nicht vergleichbare Aufbauleistung. Finanzielle Gründe führten Ende der neunziger Jahre dazu, sich von weiteren Ausbauzielen, so von der Gründung weiterer Fachhochschulen, zu verabschieden. Heute steht Brandenburg im Vergleich zur Situation vor 15 Jahren und mit anderen Bundesländern nicht so schlecht dar. Zwar besteht objektiv eine Unterfinanzierung, diese fällt allerdings aufgrund des bewussten Verzichts z.B. auf medizinische Fakultäten qualitativ weniger ins Gewicht als Kritiker glauben machen wollen. Für die Zukunft braucht Brandenburg weitere Investitionen im Hochschulbereich. Allerdings wird dies nicht allein aus dem Landeshaushalt zu bestreiten sein

B

– Drittmittel ein zu werben und die nachhaltige Unterstützung forschungsnaher Unternehmen für die Hochschulen des Landes zu gewinnen ist das Gebot der Stunde. In den drei brandenburgischen Bezirken der DDR gab es bis 1989 vier Hochschulen, von denen sich drei in Potsdam (Pädagogische Hochschule, Akademie für Staat und Recht, Hochschule für Film und Fernsehen) und eine in Cottbus (Ingenieurhochschule, ab Oktober 1989 Technische Hochschule) befanden. Alle waren in ihrer Ausbildung jeweils auf einen Volkswirtschafts- und Wissenschaftszweig orientiert, verliehen Diplomabschlüsse und besaßen das Promotionsrecht. Alle vier Hochschulen hatten überregionale Funktionen zu erfüllen und bekamen deshalb Studenten aus allen Bezirken der DDR. Während der Bevölkerungsanteil der drei Bezirke bei 16 Prozent der DDRGesamtbevölkerung lag, waren sie mit nur 4 Prozent an der DDR-Hochschulbildung beteiligt.

I.

perspektive21

51


[ klara geywitz ]

An diesen vier Hochschulen wurden 1989 insgesamt 1.020 Studenten neu immatrikuliert. Davon kamen rund 41 Prozent aus dem Gebiet des heutigen Landes Brandenburg – bei einem Potenzial von 3.400 Studienanfängern waren dies gerade einmal 12 Prozent. Die Gründe dafür lagen vor allem in den sehr engen Ausbildungsprofilen, die nach zentraler DDR-Planung angeboten wurden. Zwölfmal weniger Studenten An den 30 Fach- und Ingenieurschulen im heutigen Land Brandenburg begannen 1989 3.750 Anfänger mit ihrer Ausbildung. Sie kamen zu rund 76 Prozent aus dem heimatlichen Territorium, von den 5.200 potenziellen Studienanfängern verblieben mithin rund 55 Prozent in Heimatnähe. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Hochschullandschaft in den brandenburgischen Bezirken der DDR kaum entwickelt war. Bezogen auf etwa 2,7 Millionen Einwohner kam ein Studienanfänger auf 2.600 Einwohner (BRD-Durchschnitt: 1:214). Andererseits war die Fachschullandschaft deutlich günstiger strukturiert. Der Wissenschaftsrat hat 1991 auf dieser Grundlage und der bevölkerungspolitischen und wirtschaftlichen Strukturen Empfehlungen für den 52

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Aufbau von Hochschulen im Land Brandenburg abgegeben. Zunächst sollten nur eine Universität und vier Fachhochschulen an sechs Standorten gegründet werden, um der zu erwartenden studentischen Nachfrage und dem regionalen Bedarf zu entsprechen. An der Universität Potsdam sollte dem Ausbau der Lehrerbildung und Weiterqualifizierung besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Rechtsund Wirtschaftswissenschaften sollten neu aufgebaut werden. Die Geisteswissenschaften sollten mit einer kulturgeschichtlichen Akzentuierung in enger Anbindung an die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften neu strukturiert und entwickelt werden. Für die Fachhochschulen wurden folgende Profile empfohlen: J eine Fachhochschule Lausitz mit den Standorten Cottbus und Senftenberg und einer ingenieur-, wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Orientierung, J eine technisch ausgerichtete Fachhochschule Wildau sowie J eine Fachhochschule im Raum Potsdam/Brandenburg mit sozialwissenschaftlicher, künstlerisch-kultureller und technisch-wirtschaftswissenschaftlicher Orientierung. Mit dem Gesetz über die Hochschulen des Landes Brandenburg vom 24. Juni 1991 wurden die Weichen für die Entwicklung der Hochschullandschaft


[ wissenschaftslandschaft brandenburg ]

gestellt. Auf dieser Grundlage erfolgte die Gründung von drei Universitäten: Universität Potsdam, Technische Universität Cottbus und Europa-Universität Frankfurt (Oder). Ferner wurden 1991 die fünf Fachhochschulen (Lausitz in Cottbus und Senftenberg, Wildau, Eberswalde, Potsdam und Brandenburg) errichtet. Die Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg erhielt den Auftrag zur Neustrukturierung. Start eines ambitionierten Programms Mit diesen Entscheidungen ist die Landesregierung deutlich über die Empfehlungen des Wissenschaftsrates hinausgegangen. Begründungen dafür finden sich in der Schwerpunktsetzung der Landesregierung: Das Land Brandenburg verstand sich als Hochschulentwicklungsland, das durch den Aus- und Aufbau von Wissenschaftseinrichtungen, insbesondere Hochschulen, den wachsenden quantitativen und qualitativen Ansprüchen gerecht werden wollte. Für die folgenden Jahre wurde seitens der Landesregierung mit einer starken Bevölkerungszunahme und allein schon deshalb mit einer steigenden Nachfrage nach Hochschulbildung gerechnet. Es wurde auf eine regionalisierte Hochschulentwicklung mit einer größeren Zahl kleinerer Standorte anstelle einer Konzentration auf wenige Hochschul-

standorte gesetzt. Die Ausbauplanung des Landes wollte die Entwicklung zur Massenuniversität verhindern und die Vorteile überschaubarer Größenordnungen zum Beispiel für das Einhalten von Regelstudienzeiten und reformorientierte Studiengänge nutzen. Im Unterschied zum Universitätsausbau in anderen neuen Bundesländern sollte in Brandenburg nicht jede Universität ein sehr breites Fächerspektrum haben, sondern deutliche Profile aufweisen: Lehrerbildung in Potsdam, Technik und Umweltwissenschaften in Cottbus, Geistes-, Rechts- und Kulturwissenschaften in Frankfurt (Oder). In Abstimmung mit Berlin wurde bewusst auf die Errichtung medizinischer und theologischer Fakultäten verzichtet. Hochschulen als Strukturpolitik Mit dem Ausbauschwerpunkt im Fachhochschulbereich wurde daran gedacht, auch in der länderübergreifenden Abstimmung einen Ausgleich an Fachhochschulkapazitäten (z.B. für Berlin) anzubieten. Zum damaligen Zeitpunkt erschien die Gründung weiterer Fachhochschulen im Norden des Landes und in der Oder-Region unvermeidlich. Die Planung der Landesregierung sah beim Ausbau mittelfristig 35.500 und langfristig 42.000 Studienplätze vor. Die im September 1991 durch die brandenburgische Landesregierung eingeperspektive21

53


[ klara geywitz ]

setzte Landeskommission für Hochschulen und Forschungseinrichtungen erhielt den Auftrag, ein Gesamtkonzept für Struktur und Gestaltung der brandenburgischen Hochschul- und Forschungslandschaft zu erarbeiten. Gleichzeitig wurde eine weitere Landeskommission mit der Erarbeitung von Empfehlungen für Fachhochschulen beauftragt. Die Konzepte beider Kommissionen basierten auf den Empfehlungen des Wissenschaftsrates und den Gründungsdenkschriften der drei Universitäten. Dabei ließen sie sich von den Grundgedanken leiten, dass Hochschul- und Forschungsentwicklung sowohl bildungspolitisches Erfordernis als auch Instrument der regionalen Strukturentwicklung sei, wissenschaftliche Schwerpunkte zu setzen und Profile zu bilden seien. Im Rahmen von Stufenplänen sollte die Finanzierbarkeit gesichert und eine enge Abstimmung mit Berlin gewährleistet werden. Ziel war kürzere Studiendauer Basis für die Planung der Ausbildungskapazitäten war eine Prognose der Studienanfänger- und Studierendenzahlen im Land Brandenburg bis zum Jahr 2010. Das vorgelegte Prognosemodell baute auf einer angenommenen Entwicklung in zwei Phasen auf: einer Übergangsphase bis 1997 und einer Zielphase bis 2010. Für die Übergangsphase wurde einen Annäherung an die Bildungsparameter der 54

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alten Bundesländer angenommen und für das Jahr 2000 Studienanfängerzahlen zwischen 7.400 und 8.800 prognostiziert. Das Maximum sollte im Jahr 2007 mit zwischen 9.200 und 10.500 Studienanfängern erreicht werden. Ausgehend von einer gegenüber den alten Bundesländern um zwei Semester kürzeren Verweildauer wurde daraus für das Jahr 2000 eine Gesamtstudierendenzahl zwischen 27.000 und 32.000 und für das Jahr 2010 zwischen 45.000 und 51.500 Studierenden errechnet. Große Hoffnungen in Fachhochschulen Auf der Basis dieser Prognose empfahl die Brandenburgische Landeskommission für Ende der neunziger Jahre 35.000 und im Endausbau 40.000 Studienplätze zu errichten. Aufgrund der kürzeren Studiendauer und der praxisbezogenen Ausbildung versprach man sich insbesondere vom Ausbau der Fachhochschulen kurzfristig positive Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Das Verhältnis der Verteilung der Studienplätze an Universitäten und Fachhochschulen sollte von zunächst 2:1 bis zum Jahr 2000 auf 3:2 verändert werden. Wegen der kürzeren Regelstudienzeiten an den Fachhochschulen wäre die Zahl der Studienanfängerplätze dann ausgeglichen. Ausgehend von den Empfehlungen des Wissenschaftsrates sollten bis zum


[ wissenschaftslandschaft brandenburg ]

Jahr 2000 insgesamt 34.400 flächenbezogene Studienplätze geschaffen werden, davon 20.400 an Universitäten, 13.600 an Fachhochschulen und 400 an der Kunsthochschule (HFF). Die Brandenburgische Landeskommission untersetzte diese Empfehlung nach einzelnen Universitäten und Fachhochschulen. Dabei sollten 3.800 Studienplätze im Fachhochschulbereich erst später standortspezifisch und nach Studiengängen zugeordnet werden. Nach diesen Planungen hätte Brandenburg als eines der ersten Bundesländer bis zum Jahr 2000 einen Fachhochschulanteil von 40 Prozent bei den Studienplätzen erreicht. Alternativen zur Massenuniversität Das Land entwickelte im Jahr 1993 auf der Grundlage der Kommissionsempfehlungen „Eckwerte für die Wissenschaftspolitik des Landes Brandenburg“ ein erstes Planungskonzept für den Hochschulbau, das von einer Entwicklung der flächenbezogenen und personalbezogenen Studienplätze im Verhältnis 1:1 ausging, um Studienbedingungen zu schaffen, die die Einhaltung von Regelstudienzeiten ermöglichen. Inhaltlich setze das Land dabei strukturelle Ziele wie die verstärkte interdisziplinäre Forschung und Ausbildung (so zum Beispiel die Verbindung von Architektur und Bauwesen

an der BTU Cottbus), den Verzicht auf medizinische, agrarwissenschaftliche und theologische Fakultäten sowie überschaubare, in Forschung und Lehre auf Effizienz bedachte Universitäten als Alternative zu Massenuni-versitäten und auf den verstärkten Ausbau der Fachhochschulen. Die Empfehlungen der Landeskommissionen konnten aufgrund knapper werdender Haushaltsmittel von Land und Bund nur mit starken Abweichungen umgesetzt werden. Die ursprüngliche Orientierung der Studienangebote an denen der alten Bundesländer erwies sich überdies letztlich als nicht tragfähig, insbesondere aufgrund des zurück gehenden Interesses an natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen. Bei den weiteren Planungen wurden die jeweils aktuellen Entwicklungen der Studiennachfrage berücksichtigt. Die 1996 vom Land eingesetzte Kommission für Wissenschaft und Forschung sprach sich im Interesse der Konsolidierung des Aufbaus der vorhandenen Hochschulen gegen die bis dahin geplante Gründung einer weiteren Fachhochschule im Norden Brandenburgs aus. Der Hochschulentwicklungsplan für die Jahre 1997 bis 2001 brachte den Abschied vom gleichmäßigen flächenbezogenen und personalbezogenen Ausbau der Studienplätze. Eine erneute Prognose der Studienanfänger-

II.

perspektive21

55


[ klara geywitz ]

und Studierendenzahl ergab Zahlen, die trotz eines längerfristig zu erwartenden deutlichen Rückgangs der Geburtenzahlen bis zum Jahr 2000 oberhalb der ersten Prognose lagen. Ausbau auf 29.500 Studienplätze So wurden im Jahr 2000 rund 9.700 Studienanfänger angenommen (davon 5.500 an Universitäten). Insgesamt gab es 33.800 Studierende (davon 21.700 an Universitäten). Ab 2007/2009 ging man von einem Rückgang auf 6.900 bis 7.700 Studienanfänger bei einem vor-

läufigen Höchststand der Studierenden zwischen 38.800 und 42.400 aus. Die Entwicklungen im Hochschulbereich bis zum Jahr 2001 und die genannten demografischen Perspektiven führten zu einer Grundsatzentscheidung der Landesregierung, die im 2004 geschlossenen Koalitionsvertrag von SPD und CDU bestätigt wurde. Das Land Brandenburg wird bis zum Jahr 2007 seine personalbezogenen Studienplatzkapazitäten von 26.000 (Stand 2001) um 3.500 auf dann 29.500 ausbauen. Die Bedeutung dieses Ausbaus wird insbesondere im Vergleich zu anderen Bundesländern deutlich, die derzeit trotz steigender Stu-

1 Die Maßzahl „personenbezogene Studienplätze“ setzt die Zahl der Studenten ins Verhältnis zum fachspezifischen Bedarf an wissenschaftlichem Personal (Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter usw.)

Personalbezogene Studienplätze 1 in Brandenburg Planung 2007 Uni Potsdam

10.948

Ist 2001

Eckwerte Planzahlen 1993

9.999

BTU Cottbus

5.186

5.088

Europa-Uni Frankfurt

4.220

3.973

HFF

Hochschulentwicklungsplan 1997

400

400

FH Brandenburg

1.405

1.112

FH Eberswalde

1.281

778

FH Lausitz

2.649

2.064

FH Potsdam

1.806

1.476

TFH Wildau

1.746

1.145

Uni gesamt

20.354

19.060

18.477

20.500

FH gesamt

8.887

6.575

7.056

13.523

29.641

26.035

25.933

34.423

Gesamt

56

heft 29 | februar 2006


[ wissenschaftslandschaft brandenburg ]

dierendenzahlen ihre Kapazitäten zum Teil massiv abbauen. Der gleichzeitige Ausbau der Studienplätze auf 24.500 stellt sicher, dass hinsichtlich der zu erwartenden demografischen Entwicklung auch langfristig keine Unterauslastung der Flächen eintreten wird. Hochschulpakt gibt mehr Sicherheit Die brandenburgische Hochschullandschaft wurde in den ersten Jahren mittels einer detaillierten Steuerung durch die Wissenschaftsverwaltung aufgebaut. Heute drücken autonom erarbeitete

Entwicklungspläne der Hochschulen den inzwischen erreichten relativ stabilen Ausbaustand aus. Die in den vergangenen Jahren erlangte Autonomie der Hochschulen findet vor allem in deren Leitungs- und Entscheidungsstrukturen ihren Ausdruck. Der erstmals 2004 unterzeichnete und 2007 fortzuschreibende Hochschulpakt ist Ausdruck eines neuen Vertrauens zwischen Hochschulen und Landesregierung. In ihm erklärt das Land unter Anerkennung der bisherigen Leistungen der brandenburgischen Hochschulen und ihrer Bedeutung als Quelle von Innovationen und als Stan-

2 Die Maßzahl „flächenbezogene Studienplätze“ setzt den fachspezifischen Bedarf an studienplatzrelvanten Hochschulflächen (z.B. Labore, Bibliotheken usw.) ins Verhältnis zur realen Studentenzahl.

Flächenbezogene Studienplätze 2 in Brandenburg Planung 2007 Uni Potsdam

7.052

Ist 2001

3.275

2.640

Europa-Uni Frankfurt

3.202

2.811

FH Brandenburg FH Eberswalde

Eckwerte Planzahlen 1993

6.538

BTU Cottbus HFF

Hochschulentwicklungsplan 1997

407

407

1.409

1.409

833

804

FH Lausitz

2.437

2.230

FH Potsdam

1.535

1.079

TFH Wildau

1.342

1.198

Uni gesamt

13.529

11.989

12.305

20.500

FH gesamt

7.556

6.720

7.281

13.523

21.492

18.057

19.992

34.423

Gesamt

perspektive21

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[ klara geywitz ]

dortfaktor, dass das Hochschulsystem des Landes Brandenburg in seiner Gesamtheit nicht angetastet wird und alle Hochschulen weiter bestehen sollen. Bei künftig globalisierten Haushalten wird die bereits bestehende Übertragbarkeit der Mittel gewährleistet und fortentwickelt. Hochschulen werden bei künftigen Haushaltssperren ausgenommen, soweit es um die Berufung von Professoren geht und es wird ihnen eine Lockerung der Stellenplanbindung zugebilligt. Darüber hinaus strebt das Land auf längere Sicht eine Konsolidierung und Aufstockung der Hochschulhaushalte an. Wettbewerb zwischen Hochschulen Das im Haushaltsjahr 2004 eingeführte Modell der leistungsorientierten Mittelvergabe stellt neben der Globalisierung der Hochschulhaushalte ein zentrales Element der erweiterten Fi-nanzautonomie dar. Transparent und für die Hochschulen nachvollziehbar werden die verfügbaren Mittel anhand definierter Parameter und Indikatoren vergeben. Leistungen der Hochschulen wirken sich im Wettbewerb untereinander auf ihre Haushalte aus. Das Modell räumt den Hochschulen große Mitgestaltungsmöglichkeiten bei der Finanzierung ihrer Arbeit ein, stellt dabei die eigene Strukturplanung auf eine verlässliche Grundlage und gewährt gleichzeitig eine hohe Flexibilität. Diese 58

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ermöglicht es, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Die leistungsorientierte Mittelvergabe stellt somit ein Steuerungsinstrument dar, dass einerseits die Initiative der Hochschulen fördert, andererseits auch einen qualifizierten Einfluss auf die Hochschulentwicklung eröffnet. Die Teilung des Modells in eine Grundzuweisung und den Leistungsteil ermöglicht die Berücksichtigung sowohl spezifischer struktureller Gegebenheiten und Entwicklungen der jeweiligen Hochschulen als auch den Erfolg im Wettbewerb der Hochschulen untereinander. Anreize für die Verbesserung der Lehre, die Verkürzung der Studienzeiten, die Schwerpunktsetzung und Intensivierung der Forschung, die Herstellung der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern und die Internationalisierung der Hochschulen werden gesetzt. Zwar befindet sich die leistungsorientierte Mittelvergabe in der Erprobungsphase und sollte erst mit der Evaluierung der Steuerungseffekte überprüft werden. Dennoch ist kurzfristig die Verbesserung einiger Parameter notwendig. Bei Gewährleistung der Planungssicherheit für die Entwicklung und Umsetzung von Strukturplänen sollten insbesondere die Umsetzung des Bologna-Prozesses und der Professorenbesoldungsreform Eingang in den Leistungsteil finden. Eine Weiterentwicklung des Mittelvergabemodells durch die Ausweitung des Leistungsteils und insbesondere eine differenzierte Be-


[ wissenschaftslandschaft brandenburg ]

rücksichtigung von Forschungsleistungen sollten ernsthaft diskutiert werden. Die jüngste Prognose der Kultusministerkonferenz ergibt ein deutlich sinkendes Potenzial an Studienanfängern. In den nächsten 15 Jahren wird sich die Zahl der Schulabgänger mit Hochschul- und Fachhochschulreife von 11.300 auf 6.500 annähernd halbieren. Diese Zahlen beruhen auf der Annahme einer nur wenig steigenden Abiturquote. Politisches Handeln kann in Brandenburg nicht kurzfristig mehr Kinder schaffen, die in 15 oder 20 Jahren studieren. Wohl aber ist zum Beispiel mit der Einführung der Oberschule ein klares, übersichtliches und der demografischen Entwicklung adäquates Schulsystem geschaffen werden, das zunächst die Voraussetzungen für einen qualitativ hochwertigen Unterricht für alle Schüler in allen Regionen

III.

schafft. Die Zahl der Studienberechtigten werden nicht allein durch die Schulzeitverkürzung und Qualitätsverbesserungen an Gymnasien gesteigert werden können. Nötig ist ein Netz von Oberstufenzentren, an dem Schüler nach der Oberschule ihren individuellen Weg zur Hochschulreife gehen können. Darüber hinaus müssen Schule und Hochschule besser miteinander vernetzt werden. Lehrer müssen qualifiziert werden, um kompetent Auskunft über Studienmöglichkeiten zu geben. Vernetzung mit Wirtschaftspolitik Das Studium muss in den Köpfen der Brandenburger – der Schüler und Eltern, der Lehrer, der Unternehmer – die Möglichkeit werden, eine qualifizierte Erstaus-

Schulabsolventen mit Hoch- und Fachhochschulreife

Brandenburg

Berlin

Bund

2000

11.507

12.187

257.702

2005

11.300

13.300

265.160

2010

9.700

12.300

284.280

2015

5.700

10.700

259.700

2020

6.500

10.700

245.370

Quelle: KMK 2005

perspektive21

59


[ klara geywitz ]

bildung zu erhalten. Verbesserte Studienbedingungen, die einen schnelleren Hochschulabschluss ermöglichen, werden junge Frauen und Männer in die Lage versetzen, nicht nur ihr berufliches Leben früher als bisher zu beginnen. Auch ein Kinderwunsch kann früher erfüllt werden, so dass einem weiteren Rückgang der Geburtenzahlen etwas entgegen gesetzt werden könnte. Über die demografischen Aspekte hinaus ist für den Erfolg der Wissenschaftsstrategie des Landes jedoch eine Vernetzung mit anderen zentralen Politikfeldern, hier insbesondere mit der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik, wichtig. Aufgrund der sinkenden Finanzkraft des Landes wird es nicht möglich sein, die gewohnten Förderstandards einfach weiter zu schreiben. Auch hier kommt es zu einer Prioritätensetzung beim Einsatz der Mittel. Dabei ist darauf zu ach-

ten, dass die einzelnen Handlungsfelder vernetzt werden, damit die viel beschworenen Synergieeffekte eintreten. Zahl der Abiturienten erhöhen Moderne Wissenschaftspolitik darf sich also nicht nur im Rahmen des Einzelhaushaltes des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur bewegen. Sie fängt bei Investitionen im Bildungssystem an, um die Zahl unserer Abiturienten und gleichzeitig die Qualität der Abschlüsse zu erhöhen. Sie reicht über die Fortschreibung des Landesinnovationskonzeptes hin zur Neuausrichtung der Förderstrategie des Landes. Dabei ist es notwendig, die Branchenkompetenzfelder und Wachstumskerne mit den wissenschaftlichen Einrichtungen und ihren Arbeitsfeldern abzugleichen. Wer den

Anteil der gleichaltrigen Absolventen mit Hoch- und Fachhochschulreife

Brandenburg

Berlin

Bund

2000

36,1 %

37,2 %

37,0 %

2005

37,2 %

45,0 %

40,8 %

2010

39,8 %

44,5 %

42,8 %

2015

41,6 %

45,2 %

43,9 %

2020

40,0 %

42,8 %

43,5 %

Quelle: KMK 2005

60

heft 29 | februar 2006


[ wissenschaftslandschaft brandenburg ]

wirtschaftlichen Mehrwert von Hochschulen und Instituten in der Region nutzen will, muss diese in die Wirtschaftsförderstrategie des Landes integrieren. Anteil der Drittmittel steigt Gleiches gilt natürlich auch für die Überarbeitung der Landesentwicklungsplanung. Die Verzahnung von Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik ist eine Grundvoraussetzung, damit die brandenburgischen Hochschulen sich weitere Finanzierungsquellen, insbesondere aus der Wirtschaft kommende Forschungsmittel erschließen können. Dabei haben die brandenburgischen Hochschulen in der Vergangenheit durchaus eindrucksvolle Resultate erzielt. So stieg der Anteil der Industrieforschungsmittel am forschungsbezogenen Drittmittelaufkommen zwischen 2000 und 2004 um mehr als 20 Prozent. Das ist deutlich mehr als der Bundesdurchschnitt. Die Ausgaben für Wissenschaft und Forschung im Land Brandenburg müssen steigen. Nur so können wir Plätze im nationalen und internationalen Wettbewerb gut machen, die anderen überholen und uns gemeinsam mit Berlin als eine der innovativsten Regionen in Europa

dauerhaft behaupten. Der Staat muss seinen Beitrag dafür leisten. Wissenschaft ist Haushaltspriorität Brandenburg ist bereit, trotz zurückgehender Gesamteinnahmen die Investitionen des Wissenschaftshaushaltes stabil zu halten. Der Bereich Wissenschaft und Forschung ist eine von drei haushaltspolitischen Prioritäten der Koalition seit dem Doppelhaushalt 2005/2006. In der Tat kann das Ziel, die Mittel nicht zu kürzen (Koalitionsvertrag), gehalten werden, sofern es um den Anteil am gesamten Haushalt geht. Der Anteil bleibt konstant bei etwa 4 Prozent und damit knapp bemessen. Der Anteil direkter Ausgaben für Hochschulen liegt bei 2,2 Prozent. Diese Leistung darf man jedoch nicht zu gering schätzen. Weitere Mittel für die Hochschulen und Institute können nur von Dritten – ob private oder öffentliche – somit auch vom Bund, kommen. Das Land Brandenburg schafft hierfür in wichtigen Teilbereichen die Voraussetzungen, durch mehr Autonomie für die Einrichtungen und durch eine nachhaltige, auch auf die Wissenschaftslandschaft des Landes ausgerichtete Förderstrategie. L KLARA GEYWITZ

ist stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg und Vorsitzende des Arbeitskreises Bildung und Wissenschaft. perspektive21

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Ist doch alles Cottbus! WIE EINE HOCHSCHULE EINE REGION BEWEGEN KANN VON MARTINA MÜNCH

Vor drei Jahren überschrieb die Süddeutsche Zeitung einen Artikel mit den Worten „Ist doch alles Cottbus!“. Die Überschrift stand synonym für provinziell, irrelevant und langweilig. Dem programmierten Aufschrei der Cottbuser begegnete man in der Zeitungsredaktion mit herablassender Arroganz. Wofür also steht Cottbus? Viele Westdeutsche vermuten Cottbus an der polnischen Grenze, manche sogar dahinter. Ostdeutsche stellen sich verödete Braunkohletagebau-Landschaften vor. Dem Bundesligaverein FC Energie ist es zu verdanken, dass die geografischen Kenntnisse in Gesamtdeutschland verbessert wurden. Manche kulturinteressierte Mitmenschen haben vielleicht vom ambitionierten Staatstheater Cottbus gehört. Anderen sind der Branitzer Park, Fürst Pückler oder die Sorben ein Begriff. Cineasten kennen das Cottbuser Filmfestival. Vor der Wende hatte die Stadt rund 136.000 Einwohner. Dies ist vor allem einem rasanten Anstieg der Bevölkerung in den siebziger Jahren zu ver-

I.

danken. Damals kamen tausende Kohlekumpel in die Stadt, um die Lausitzer Braunkohle abzubauen. In den Nachwendejahren verloren dann über 20.000 Bergarbeiter ihren Arbeitsplatz. Auf der Suche nach neuen Lebensperspektiven und Arbeit verlassen jetzt vor allem junge, gut ausgebildete und mehrheitlich weibliche Bewohner die Stadt in Richtung Berlin oder alte Bundesländer. Folgen des Strukturwandels Zwischen 1994 bis 2004 verlor Cottbus 15 Prozent seiner Einwohner, im Jahr 2020 wird mit 85.000 Einwohnern gerechnet. Der Kaufkraftindex liegt mit 82,9 Prozent des Bundesdurchschnittes (2005) zwar leicht über dem Brandenburger Durchschnitt (81,8 Prozent), doch schon der umliegende Landkreis Spree-Neiße liegt mit 77,3 Prozent deutlich darunter. Bei einer Arbeitslosenquote von knapp 20 Prozent zeigen sich im Raum Cottbus alle sozialen Folgeerscheinungen des Strukturwandels. perspektive21

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[ martina münch ]

Dazu gehört leider auch der latente Rechtsextremismus, der immer wieder für hässliche Schlagzeilen sorgt. Dies alles macht deutlich, dass Cottbus mit Identitäts- und Zukunftsproblemen zu kämpfen hat und sich selbst neu erfinden muss. Lohnt der Aufwand? Dabei spielen die Hochschulen eine entscheidende Rolle. 1991 wurde die Brandenburgische Technische Universität (BTU) in Cottbus gegründet, an der heute etwa 4.700 junge Menschen studieren. Weitere 1.000 Studierende lernen an der Fachhochschule Lausitz, die im 30 km entfernten Senftenberg ihren Hauptsitz hat und in Cottbus eine Zweigstelle betreibt. Auch die übrigen 2.300 Studierenden der Fachhochschule dürften sich viel in Cottbus aufhalten – nicht nur, um sich mit Literatur aus der neuen Cottbuser Hochschulbibliothek zu versorgen. Der Anteil ausländischer Studenten ist mit etwa 25 Prozent an der BTU verhältnismäßig hoch und sorgt für multikulturelle Farbtupfer. 52 Millionen €, BaföG-Zahlungen nicht mitgerechnet, stellt das Land jährlich für den laufenden Betrieb der BTU zur Verfügung. Hinzu kommen Investitionen in Universitätsgebäude und in Großgeräte und Labore. Von 2001 bis 2004 wurden hierfür über 76 Millionen € aufgewendet, knapp die 64

heft 29 | februar 2006

Hälfte davon Landesmittel. Sichtbarstes Zeichen dieser Bautätigkeit ist die neue futuristisch anmutende Hochschulbibliothek, die etwas nüchtern Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum (IKMZ) genannt wird. 30 Millionen € Baukosten und nochmals fast 8 Millionen € für die technische Ausstattung kostete die Bibliothek. Bis 2009 werden noch weitere 93 Millionen € verbaut werden. Angesichts dieser Summe, die der Steuerzahler zur Verfügung gestellt hat, muss sich die BTU fragen lassen, ob sich dieser große Aufwand lohnt. Sind die Gelder sinnvoll und effektiv eingesetzt? Welche Auswirkungen hat die Uni auf die Region? Und wie steht es mit der Qualität von Forschung und Lehre? Bis vor wenigen Jahren waren die Aufgaben der Hochschulen klar definiert: Sie sollten junge Menschen wissenschaftlich ausbilden und herausragende Forschungsergebnisse produzieren. Hochschulen waren Teil des staatlichen Bildungssystems und wurden folglich durch die öffentliche Hand, also mit Steuermitteln, finanziert. Die Freiheit von Wissenschaft und Lehre ist schließlich im Grundgesetz verankert. Aber auch der technologische Fortschritt in Wirtschaft und Industrie verlangt nach immer mehr Akademi-kern, und dieser Trend hat sich in der postindustriellen Wissens-

II.


[ ist doch alles cottbus ! ]

gesellschaft weiter verstärkt. Als immer mehr junge Menschen in die darauf nicht vorbereiteten Hochschulen drängten, begann nicht nur in den alten Ländern das Zeitalter der Massenuniversitäten. Legimitationsdruck steigt Solange die Wirtschaft prosperierte und die Steuereinnahmen gesichert waren, schien dies für den Staat auch kein Problem zu sein. Doch bei sinkenden Staatseinnahmen und wirtschaftlicher Stagnation beginnen Verteilungskämpfe um den Anteil am Steuerkuchen. Spätestens seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gerieten die Hochschulen zunehmend unter Legitimationsdruck und mussten gegenüber Politik und Gesellschaft ihre Existenzberechtigung nachweisen. Bildung und Wissenschaft waren nicht länger ein Wert an sich, über dessen herausragende Bedeutung ein gesellschaftlicher Grundkonsens bestand. Knapper werdende Mittel beschleunigten auch die Ökonomisierung des Hochschulwesens. Die Fragen lauten bis heute: Wie steht es um die Qualität des Studiums? Entsprechen Niveau und Zahl der Absolventen den Erfordernissen von Wirtschaft, Gesellschaft und Forschungseinrichtungen? Wird am Bedarf des Arbeitsmarktes vorbei ausgebildet? Welche Forschungsergebnisse und wie viele Patente kann die Hoch-

schule vorweisen? Führen die Forschungen auch zu neuen Produkten und Dienstleistungen? Wie hoch sind die Drittmitteleinnahmen? Ist die Hochschule mit ihrem Angebot und durch ihre Leistungen national und international konkurrenzfähig? Sind Höhe und Art der Bezahlung der Hochschullehrer noch zeitgerecht? Letztlich geht es um den Nachweis, ob Bau und Betrieb einer Hochschule Nutzen für Land, Region und Stadt bringen und ob die Steuermittel effizient eingesetzt werden. Evaluation und Benchmarking heißen die neuen Zauberworte. Ein Ergebnis davon sind Hochschulrankings. Alles wird gezählt: Studierende pro Professor, pro 1.000 Einwohner, Studierende in der Regelstudienzeit, Kosten pro Studierende und Studienfach, Absolventen pro Studienfach, Frauenanteil, Ausländeranteil, Drittmittel pro Professor, Zahl der Patente, Publikationen pro Fachbereich, Nobelpreise pro Hochschule und so weiter und so fort. „Im Bereich Wissenschaft und Forschung verfügt das Land Brandenburg insgesamt über eine gute Infrastruktur. Jedoch ist der Bevölkerungsanteil der Studierenden und die Anzahl der FuE-Beschäftigten im Land unterdurchschnittlich, die Landesmittel für Wissenschaft und Forschung sind absolut rückläufig und die Anzahl der

III.

perspektive21

65


[ martina münch ]

Patentanmeldungen ist vergleichsweise gering. Dies ist ein Anzeichen für einen ausbaufähigen Wissens- und Technologietransfer in die Wirtschaft.“ 1 Die BTU Cottbus bietet in Brandenburg die besten Studienbedingungen – zumindest was das Platzangebot der Hochschule und die vorhandenen Studienplätze betrifft. An der BTU Cottbus sind demnach nur 95 Prozent der personalbezogenen Studienplätze2 besetzt und die flächenbezogenen „nur“ zu 150 Prozent überbelegt.3 Ganz anders ist die Situation an der FH Brandenburg. Dort sind die personalbezogenen Studienplätze mit 178 Prozent und die flächenbezogenen mit

169 Prozent überbelegt. An der Universität Potsdam sind die personalbezogenen mit 162 Prozent und die flächenbezogenen Studienplätze mit 244 Prozent überfüllt. So wundert es auch nicht, dass die Studierenden an Brandenburgs Universitäten schlechter betreut werden als im Durchschnitt der alten und neuen Länder. Dieser Trend hat sich in den vergangenen Jahren sogar verstärkt: Im Jahr 2000 hatte ein Brandenburger Universitätsprofessor 55 Studierende zu betreuen, 2004 waren es schon 67. Allerdings sind die schlechten Brandenburger Durchschnittswerte hauptsächlich der starken Überlastung der

1 Brandenburger Ministerium für Wirtschaft, Analyse zur sozioökonomischen Lage im Land Brandenburg – Handlungsempfehlungen zum Einsatz der EU-Strukturfonds 2007-2013, 2005. 2 Die Maßzahl „personenbezogene Studienplätze“ setzt die Zahl der Studenten ins Verhältnis zum fachspezifischen Bedarf an wissenschaftlichem Personal (Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter usw.) 3 Die Maßzahl „flächenbezogene Studienplätze“ setzt den fachspezifischen Bedarf an studienplatzrelvanten Hochschulflächen (z.B. Labore, Bibliotheken usw.) ins Verhältnis zur realen Studentenzahl.

Studierende und Studienplätze Hochschule

Studierende im WS 2004/05

Universität Potsdam

personalbezogene Studienplätze 2005

flächenbezogene Studienplätze 2005

17.200

10.700

7.100

BTU Cottbus

4.900

5.200

3.300

Europa-Uni Frankfurt

5.100

4.200

3.200

600

400

400

HFF Potsdam FH Brandenburg

2.400

1.300

1.400

FH Eberswalde

1.500

1.200

800

FH Lausitz

3.200

2.600

2.400

FH Potsdam

2.400

1.700

1.500

TFH Wildau

2.900

1.700

1.300

Quellen: Studierendenstatistik des LDS, Berechnungen MWFK

66

heft 29 | februar 2006


[ ist doch alles cottbus ! ]

Universität Potsdam geschuldet. Deutlich besser ist jedoch das Betreuungsverhältnis an den Brandenburger Fachhochschulen. 8 Studenten, 1 Mitarbeiter Ein differenziertes Bild ergibt sich beim Blick auf die Fächergruppen der einzelnen Hochschulen. Hier wird deutlich, dass vor allem in den Naturund Ingenieurwissenschaften die Betreuungsrelationen auch im Ländervergleich sehr günstig sind. Zudem unterliegen viele dieser Studiengänge keiner Zulassungsbeschränkung. So kommen beispielsweise an der Universität Cottbus nur acht Studentinnen und Studenten auf einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, im Fachbereich Mathematik gar nur fünf.

Ein Indikator für die künftige wirtschaftliche und wissenschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes ist der Anteil der Studierenden an der Gesamtbevölkerung. Brandenburg ist hier bundesweites Schlusslicht. Das gibt Anlass zu Besorgnis, da auch der Anteil der Landeskinder, die an den eigenen Hochschulen studieren, ebenfalls eine der niedrigsten in Deutschland ist. Gleichzeitig ist Konsens, dass der wichtigste Rohstoff für die Zukunft eines Landes in den Köpfen seiner Kinder liegt. Deshalb muss auch in Zukunft alles dafür getan werden, dass mehr Brandenburger Schulabgänger auf die Hochschulen gehen – und nicht weniger. Bleibt die Frage, was den Ländern ihre Hochschulen bzw. ihre Studierenden wert sind. Brandenburg erreicht

Betreuungsrelationen an Universitäten und Fachhochschulen

Jahr

Universitäten Studenten pro

Fachhochschulen Studenten pro

Professor

wiss. Pers.

Professor

wiss. Pers.

62,88

18,11

31,29

147,21

alte Länder

2003

neue Länder

2003

49,78

14,82

28,47

140,70

Brandenburg

2004

67,00

27,29

30,86

92,59

Meck.-Vorp.

2003

38,85

10,62

25,53

177,01

NRW

2003

85,82

25,40

33,96

94,53

Quelle: Statistisches Bundesamt

perspektive21

67


[ martina münch ]

bei den Ausgaben je Einwohner und Jahr für die Hochschulen den Länderdurchschnitt nicht. Aufgrund des hohen Nachholbedarfs in den neuen Ländern übersteigen die Baumaßnahmen den Bundesdurchschnitt jedoch deutlich. Auch die Ausgaben pro Student übersteigen den Bundesdurchschnitt und insbesondere den der alten Bundesländer klar.

Da Brandenburg relativ wenig Studierende und nur neun staatliche Hochschulen hat, gehen nur 3,7 Prozent des Landeshaushaltes an die Hochschulen. Das ist der niedrigste Wert in ganz Deutschland. Auf dem vorletzten Platz liegt Bremen mit 5,7 Prozent. Am meisten gibt NordrheinWestfalen für seine Hochschulen aus (10 Prozent des Landeshaushalts), der

Betreuungsverhältnis an ausgewählten Fächergruppen in Brandenburg Hochschule

Fächergruppe

Universität Potsdam Agrar-, Forst-, Ernährungswiss.

18,7

7,0

Ingenieurwissenschaften

148,0

29,6

Mathematik, Naturwiss.

43,0

7,7

Sport BTU Cottbus

EUV Frankfurt

Studenten pro wiss. Pers. Professor

106,1

18,6

Ingenieurwissenschaften

41,9

8,1

Mathematik, Naturwiss.

21,9

4,9

Recht, Wirtschaft, Sozialwiss.

79,9

25,7

Mathematik, Naturwiss.

21,0

10,5

Sprach- und Kulturwiss.

105,2

27,8

HFF

Kunst/Sprach-, Kulturwiss.

16,2

8,1

FH Brandenburg

Ingenieurwissenschaften

66,5

52,3

Mathematik, Naturwiss.

39,8

25,8

Agrar-, Forst-, Ernährungswiss

30,2

19,4

Ingenieurwissenschaften

21,6

19,4

Ingenieurwissenschaften

24,1

15,8

Recht, Wirtschaft, Sozialwiss.

37,7

29,4

Ingenieurwissenschaften

21,7

12,9

Sprach- und Kulturwiss.

20,0

13,9

Ingenieurwissenschaften

21,5

10,2

Mathematik, Naturwiss.

43,1

38,3

FH Eberswalde FH Lausitz FH Potsdam TFH Wildau

Quellen: LDS-Studierendenstatistik, LDS-Personalstatistik, Stand 2004

68

heft 29 | februar 2006


[ ist doch alles cottbus ! ]

Durchschnitt der Bundesländer liegt bei 8,28 Prozent. 1990 ohne Universität Bei diesen Betrachtungen sollte jedoch stets berücksichtigt werden, dass Brandenburg das einzige Bundesland war, in dem es 1990 keine einzige Universität gab. Der Aufbau von neun Hochschulen – mit heute durchweg gutem Ruf – gehört zu den großen Erfolgsgeschichten des Landes. Zuletzt erhielt die Landesregierung sogar den ein oder anderen Rat, einige Hochschulen zu schließen – und so den Landeshaushalt zu sanieren. Die Entscheidung, dies nicht zu tun, wird sich in Zukunft noch auszahlen. Doch diese Vergleiche sagen sehr wenig aus über die tatsächliche Qua-

lität von Lehre und Forschung, über das Klima in den Hochschulen und ihre Wirkung auf die Stadt bzw. die Region, in der sie angesiedelt ist. Vor allem Gegenden mit geringer Wirtschaftskraft, häufig genug noch von Bevölkerungsabwanderung bedroht, versprechen sich von Hochschuleinrichtungen weitaus mehr als die Stabilisierung der Bevölkerungszahl. Die Cottbuser Universität ist mit ihren 960 Beschäftigten, davon 130 Professoren, 320 wissenschaftlichen Mitarbeiter und 200 aus Drittmittel finanzierten Beschäftigten, einer der größten Arbeitgeber der Stadt. Allein diese Zahlen verdeutlichen das Gewicht der BTU. Die BTU ist die einzige Universität in Brandenburg, die nahezu ausschließlich natur-

IV.

Wie viele Studentinnen und Studenten?

Jahr

Anteil der Studierenden an der Bevölkerung

Deutschland

2003

2,14 %

neue Länder

2003

1,64 %

Brandenburg

2004

1,56 %

Nordrhein-Westfalen

2003

2,77 %

Mecklenburg-Vorpommern

2003

1,57 %

Quelle: Statistisches Bundesamt

perspektive21

69


[ martina münch ]

wissenschaftlich-technische Studiengänge anbietet: J Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik J Architektur, Bauingenieurwesen und Stadtplanung J Maschinenbau, Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurwesen J Umweltwissenschaften und Verfahrenstechnik. Bereits im Gründungsauftrag der Hochschule wurden die Probleme der Lausitz und der Bedarf an Wissenstransfer in die Region formuliert. Mit ihren vier Fakultäten will die BTU auch hierfür ihre Problemlösungskompetenz unter Beweis stellen. Vor allem die fakultätsübergreifenden Forschungsschwerpunkte „Regionaler Wandel“ und „Wandlung, Übertragung und Nutzung

von Energie“ sind auf den historischen Energiestandort Lausitz zugeschnitten. Dort ist einerseits die Rekultivierung großer Braun-kohleabbauflächen im Gange, andererseits entstanden hochmoderne Kraftwerke. Zusammen mit Unternehmen Ein wichtiger Forschungsschwerpunkt der Zukunft wird die Entwicklung eines CO2freien Kraftwerks in Kooperation mit dem Industriepartner Vattenfall sein. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz vor kurzem erst in Cottbus genommen. Diese Konstellation ist ein Glücksfall für die Region und birgt große Zukunftschancen. Der Lehrstuhl Kraftwerkstechnik hat in den vergangenen Jahren in Zusammenarbeit mit dem Centrum für Energietechnologie Brandenburg CEBra (eine Aus-

Ausgaben für Hochschulen und Studenten in Deutschland Ausgaben pro Studierender in € Deutschland

Ausgaben insgesamt

8.623

199

454

10

Ausgaben insgesamt

9.979

143

darunter Baumaßnahmen

2014

29

darunter Baumaßnahmen Brandenburg

Ausgaben pro Einwohner in €

Mecklenburg-

Ausgaben insgesamt

10703

180

Vorpommern

darunter Baumaßnahmen

1865

31

Nordrhein-

Ausgaben insgesamt

6981

199

Westfalen

darunter Baumaßnahmen

47

1

Quelle: Statistisches Bundesamt 2002; Angaben ohne Hochschulkliniken

70

heft 29 | februar 2006


[ ist doch alles cottbus ! ]

gründung der BTU), dem Institut für Energietechnik und den regional und überregional tätigen Energieunternehmen an der BTU ein auch für Studierende attraktives energiespezifisches Forschungszentrum etabliert. Auch bei den anderen fakultätsübergreifenden Forschungsschwerpunkten „Leichtbau und Funktionsmaterialien“, Fahrzeug- und Antriebstechnik“, „Informationstechnologie und Kommunikation“ sowie Modellierung und Simulation“ zieht sich das Thema Energie wie ein roter Faden durch die Themenstellungen. Dazu kommt ein weiterer für die Region wichtiger und national wie international zunehmend bedeutsamer Schwerpunkt bei den Lehrstühlen Architektur und Stadtplanung. Dabei geht es um die Fragen, wie in Zukunft mit schrumpfenden Städten umgegangen werden soll. Internationale Pionierarbeit Welche Modelle für den so genannten Rückbau gibt es, welche Konzepte, welche spezifischen Probleme, aber auch welche gestalterischen und strukturellen Chancen bieten sich für eine Stadt und eine Region? Auf diesen Gebieten leisten die Lehrstühle der BTU mit ihren Studenten Pionierarbeit, die auch international anerkannt und gefragt ist. Ihrem Profil nach soll die BTU einen Großteil der künftigen naturwis-

senschaftlich-technischen Intelligenz des Landes Brandenburg ausbilden. Von den bereits erwähnten 52 Millionen €, die das Land jährlich für den laufenden Betrieb der Universität bereitstellt, sind über 42 Millionen reine Personalkosten. Die Drittmitteleinnahmen der BTU belaufen sich auf jährlich etwa 15 Millionen €, die Hälfte davon kommen aus Programmen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) oder des Bundes, die andere Hälfte sind industrielle Forschungs- und Entwicklungsaufträge. Kritisch anzumerken bleibt, dass die Hochschule selbst nicht Mitglied der DFG ist und dass die diesbezüglichen Empfehlungen des Wissenschaftsrates, der die BTU vor drei Jahren evaluierte, bisher nicht umgesetzt wurden. Jährlich schlägt der Verband Deutscher Ingenieure (VDI) Alarm, da nach seinen Berechnungen Jahr für Jahr in Deutschland ein Bedarf von etwa 20.000 Ingenieuren nicht gedeckt wird. Die Zahl der Absolventen in den ingenieurwissenschaftlichen Kerngebieten ist in den vergangenen Jahren um rund ein Drittel von etwa 46.000 auf zirka 30.000 gesunken. Dieser Mangel gefährdet die Innovationskraft der Unternehmen und ist Bedrohung Nummer 1 für die Weiterentwicklung von Schlüssel- und Basistechnologien, auf denen die Wirtschaftskraft des Standortes Deutschland beruht.

V.

perspektive21

71


[ martina münch ]

Warum entscheiden sich Abiturienten und vor allem junge Frauen in ganz Deutschland – und leider auch in Brandenburg – immer seltener für ein natur- oder ingenieurwissenschaftliches Studium? Ein Hauptgrund dafür dürfte in der geringen Attraktivität des naturwissenschaftlichen Schulunterrichts liegen. Unterricht in der Uni Dass dies nicht automatisch so sein muss, zeigen die hervorragenden Ergebnisse des Max-Steenbeck-Gymnasiums in Cottbus. Dessen Schüler sind mit schöner Regelmäßigkeit Preisträger bei internationalen Mathematikund Naturwissenschaftsolympiaden. Die BTU hat mit diesem Spezialgymnasium einen engen Kooperationsvertrag abgeschlossen, der es z.B. den Schülern erlaubt, für ihren Unterricht und Praktika die Labore der Universität zu nutzen. Die Cottbuser Universität und viele andere naturwissenschaftlich ausgerichtete Universitäten versuchen darüber hinaus mit einer Vielzahl von Veranstaltungen das Interesse auf ihre Studiengänge zu wecken. Test-Tage, Schnupperstudium, Schülerseminare, Exkursionen, Praktika und Kinderuniversität werden für Jugendliche in Zusammenarbeit mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen angeboten. Die BTU führt darüber hinaus in den 72

heft 29 | februar 2006

Herbstferien den Kurs „JUWEL – jung, weiblich, Lust auf Technik“ durch. Diese Kurse sind beispielhaft und haben erhebliche Auswirkung auf die Motivation von Lehrern und Schülern aus. Hoher Ausländeranteil Dennoch hat die BTU in diesem Wintersemester erstmals in ihrer Geschichte rückläufige Studierendenzahlen. Waren im Wintersemester 2004/ 2005 noch 4.900 Studierende immatrikuliert, so sind es ein Jahr später bereits 200 Studierende weniger. Und dies, obwohl die demografische Entwicklung die Studienanfänger noch gar nicht erreicht hat. Der Großteil der Studierenden kommt aus Brandenburg oder dem nahe gelegenen Sachsen. In den alten Ländern ist die BTU nach wie vor zu wenig bekannt, so dass deren Studentenanteil relativ klein ist. Deshalb ist es umso bemerkenswerter, dass an der Cottbuser Hochschule etwa 1.100 Ausländer studieren. Doch rückläufige Studierendenzahlen können künftig erhebliche finanzielle Auswirkungen auf die BTU haben, da das brandenburgische Hochschulfinanzierungsmodell weniger die Finanzierung des einzelnen Lehrstuhls als vielmehr die Zahl der Studierenden in der Regelstudienzeit berücksichtigt. Sinkt jedoch das Globalbudget, das die


[ ist doch alles cottbus ! ]

BTU über diesen Mechanismus jährlich vom Land zugewiesen bekommt, sind Stellenkürzungen unvermeidlich. Betroffen davon würden jedoch nicht die verbeamteten und daher schwer kündbaren Professoren sein, sondern vor allem wissenschaftliche Mitarbeiter, die in der Regel über Zeitverträge beschäftigt sind. Doch gerade diese Mitarbeiter stellen das wissenschaftliche Nachwuchspotenzial dar, das künftig für Forschungsergebnisse und Innovationen sorgen soll. Wird den wissenschaftlichen Mitarbeitern gekündigt, werden sie unweigerlich auf der Suche nach einer neuen Stelle die BTU und somit auch die Stadt verlassen. Finanzmodell anpassen Was also ist zu tun? Unabwendbar ist: Der Betrieb einer technischen Universität kostet viel Geld, viel mehr als der einer geisteswissenschaftlichen. So hat beispielsweise die Viadrina in Frankfurt (Oder) bei vergleichbaren Studierendenzahlen, aber mit sozial- und kulturwissenschaftlichen sowie juristischen Fakultäten ein jährliches Budget von rund 20 Millionen € gegenüber dem Cottbuser Haushalt von 52 Millionen €. Wenn das Land wert auf eine natur- und ingenieurwissenschaftliche Hochschule mit entsprechenden technologischen Innovationen legt, muss auch das Finanzmodell an demografische und studienwahlspezifische

Veränderungen angepasst werden. Eine Neujustierung des leistungsorientierten Mittelverteilungsmodells ist erforderlich, wenn die Lausitz nicht abgehängt werden soll. Denn ausgerechnet die zentrale natur- und ingenieurwissenschaftliche Universität würde den Kürzeren ziehen, sollte es beim derzeitigen Hochschulfinanzierungsmodel bleiben. Profil schärfen Gleichzeitig muss die BTU selbst durch Schärfung ihres Profils, durch hohe Qualität von Wissenschaft und Lehre sowie klare Strukturen dafür sorgen, dass sie für Studenten, aber auch für die Partner aus Industrie und außeruniversitärer Forschung attraktiv bleibt. Hierbei können externe Evaluationen hilfreich sein. Die Errichtung eines eigenen Hochschulrates, wie er auch im Landeshochschulgesetz vorgesehen ist, könnte die Universität bei diesen Aufgaben beraten und unterstützen. Für Brandenburg und Berlin, aber speziell auch für die Lausitz gilt, dass universitäre Doppelstrukturen Ressourcen vergeuden und sich letztlich selbst neutralisieren. Erforderlich ist dringend eine engere Kooperation von BTU und Fachhochschule, zumal im Abstand von wenigen Kilometern ganz ähnliche Studiengänge angeboten werden. Im Rahmen des Bologna-Prozesses perspektive21

73


[ martina münch ]

bieten sich hier enge Abstimmungsmöglichkeiten durch abgestufte und modularisierte Bachelor- und MasterAbschlüsse. Von der Wirtschaft lernen heißt in diesem Fall, dass die Zusammenarbeit mit der Konkurrenz beiden unschlagbare Vorteile nach außen bringt und Kräfte, die im Gegeneinander gebunden waren, freisetzt. Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind in Industriegesellschaften grundlegende Bestandteile der Infrastruktur. Das arbeitsteilige Zusammenwirken von Wirtschaft und Gesellschaft wird so ermöglicht. Nicht nur die Ausbildung von Akademikern für den Arbeitsmarkt wird durch Hochschulen sichergestellt, sondern auch (Grundlagen-)Forschung für die weitere Verwertung in Wissenschaft und Wirtschaft. Neben den unmittelbaren wirtschaftlichen Effekten, die Hochschulen als Arbeitgeber und Nachfrager erzielen, spielen sie eine wichtige Rolle als Impulsgeber für die regionalökonomische Entwicklung. Diese unterschiedlichen Auswirkungen von Hochschulen untersucht das aktuelle, jedoch noch nicht abgeschlossene – Forschungsprojekt „Hochschule und Region“ aus Rheinland-Pfalz.4 Der bereits vorliegende erste Teil der Studie kommt zu folgenden Ergebnis-

VI.

sen: Bei einem Mitteleinsatz von 1 € entsteht ein Umsatzeffekt in Höhe von 2,6 € und eine Bruttowertschöpfung von 1,58 €. Folglich zieht der staatliche Mitteleinsatz von 28.000 € in eine Hochschule einen Vollzeitarbeitsplatz eines Rheinland-Pfälzers nach sich. Von besonderer Bedeutung sind die Ausgaben der Studierenden, die durchschnittlich 7.100 € pro Jahr zur Verfügung haben und davon knapp 69 Prozent für Dienstleistungen ausgeben. Große Arbeitsmarktpotenziale Überträgt man diese Ergebnisse auf Cottbus, dann werden allein durch den laufenden Betrieb der BTU rund 1.850 Arbeitsplätze außerhalb der Universität gesichert. Unberücksichtigt sind in dieser Berechnung die Zahl der Arbeitsplätze aufgrund von Hochschulbaumaßnahmen, der studentischen Ausgaben und der von der BTU eingeworbenen Drittmittel. Fakt ist jedoch: Der Betrieb einer Hochschule ist Wirtschaftsförderung im besten Sinne. Und dabei war von Technologietransfer und dem Wertschöpfungspotenzial durch hoch qualifizierte Absolventen noch gar nicht die Rede. So hat es allein im letzten Jahr mindestens acht Unternehmensausgliederungen aus der Universität gegeben. Deren Arbeitsplatzeffekte mögen zwar klein sein, ihre

4 TAURUS-Institut an der Universität Trier, Lehrstuhl VWL und Wirtschaftspolitik I, TU Kaiserslautern, Institut für Statistik und Ökonometrie, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Forschungsprojekt Hochschule und Region. Regionalwirtschaftliche Wirkungen der Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Rheinland-Pfalz, Trier 2005.

74

heft 29 | februar 2006


[ ist doch alles cottbus ! ]

Potenziale aber sind um so größer. Kurzum: Die Technische Universität ist Cottbus und steht wie kaum eine andere Einrichtung für die Zukunft der Stadt. Ein-

mal mehr zeigt sich: Die beste Investition, die sich Brandenburg leisten muss, ist die Investition in Bildung und Wissenschaft. L

DR. MARTINA MÜNCH ist SPD-Landtagsabgeordnete aus Cottbus und Vorsitzende des Landtagsausschusses für Wissenschaft, Forschung und Kultur. perspektive21

75



Studiengebühren im Vergleich WER ÜBER STUDIENGEBÜHREN REDET, SOLLTE IHRE AUSWIRKUNGEN GENAU KENNEN VON BERNHARD NAGEL

enn man die sozialen Auswirkungen von Studiengebühren untersucht, gehen viele von der landläufigen Auffassung aus, dass das Studium in Deutschland für die Studierenden kostenlos sei. Dies ist nicht richtig. Aus einer Untersuchung von Beckmann im Jahre 1997 ergibt sich, dass der private Finanzierungsanteil etwa ein Drittel beträgt. In einer neuen Studie kommen Dohmen und Hui 2004 zu dem Ergebnis, dass er knapp die Hälfte beträgt. Dies bedeutet, dass die Studierenden die Hälfte der Kosten ihres Studiums selbst oder durch ihre Eltern zu tragen haben. Der Hauptkostenblock, an den auch von den Studierenden selbst meist nicht gedacht wird, sind die so genannten Opportunitätskosten, das heißt der Verzicht auf ein Arbeitseinkommen während des Studiums. Sie sind deshalb relativ hoch, weil die Studierenden mit ihrer abgeschlossenen Schulbildung bereits die Möglichkeit haben, auf dem Arbeitsmarkt zu relativ hohen Gehältern einzusteigen.

W

Hinzu kommen die Lebenshaltungskosten, die für die Studierenden insofern nicht ganz so hoch wie für Andere sind, weil sie u.a. von den niedrigen Mensapreisen profitieren. Eine Entlastung erhalten die Studierenden durch Bafög, durch die Kindergeldzahlungen, die der Staat an ihre Eltern gibt, durch Subventionen aller Art, zu denen auch begünstigte Monatskarten der Verkehrsbetriebe und Versicherungsleistungen zählen. I. Der Abschreckungseffekt Wenn man die Effizienz der Einführung von Studiengebühren untersucht, muss man insbesondere fragen, inwieweit sich Studienbewerber durch derartige Gebühren vom Studium abschrecken lassen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Studierenden in Deutschland und Österreich als Alternative ein ausgebautes System der dualen Berufsausbildung vorfinden. Derartige Alternativen sind in den angelsächsischen Ländern nicht gegeben, da es dort keine systematische perspektive21

77


[ bernhard nagel ]

Berufsausbildung nach mitteleuropäischem Muster gibt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Studierenden in den USA bereit sind, relativ hohe Studiengebühren zu zahlen. Sie betrachten das Studium als notwendige Voraussetzung für einen späteren Beruf, in dem sie entsprechend hohe Verdienstmöglichkeiten haben. In Deutschland und Österreich können auch die Absolventen der dualen Berufsausbildung in relativ hohe Gehaltsstufen aufsteigen. Ich spreche nicht von Verwaltungsgebühren, die 50 oder 100 betragen. Sie schrecken niemanden ab. Um die Finanznot des Staates zu lindern, können sie eingeführt werden, wenn gleichzeitig die Effizienz der Verwaltung und die Betreuung der Studierenden verbessert wird. II. Erfahrungen aus den USA In den USA wurden in den letzten Jahren erhebliche Steigerungen der Studiengebühren beobachtet. Dies gilt vor allem für die privaten Universitäten, zu denen auch die berühmten Universitäten wie Harvard, Yale, Stanford und andere zählen. Nicht so teuer sind die State Universities, die wiederum im Durchschnitt erheblich über den Community Colleges liegen. Letztere bieten allerdings nur zweijährige Studienprogramme im Gegensatz zu den vierjährigen Programmen der State Universities und Private Universi78

heft 29 | februar 2006

ties an. Zu beobachten ist, dass die Armen in die Community Colleges abgedrängt werden. Die Reichen konzentrieren sich auf die Private Universities und State Universities, während sie die sog. Liberal Arts Colleges, die ebenfalls vierjährige Studienprogramme, aber darüber hinaus keine Master-Programme anbieten, in letzter Zeit nicht mehr so stark frequentieren. Viele private Stipendien Was die Studienförderung in den USA anbelangt, sind dort in sehr hohem Umfang private Stipendien und Spenden von Privatleuten als Finanzierungsgrundlage der Universitäten zu beobachten. Der Bund und die Einzelstaaten fördern die Studierenden mit Zuschüssen und Darlehen, wobei in den letzten Jahren eine starke Verschiebung von den Zuschüssen auf die Darlehen zu beobachten ist. Dies hängt insbesondere mit der zunehmenden Finanzknappheit der Einzelstaaten zusammen. Ebenfalls in den letzten Jahren wurden die steuerlichen Abzugsmöglichkeiten für Studiengebühren entwickelt und ausgebaut. Es gibt in fast allen Mitgliedstaaten sog. Prepaid Tuition Plans, die meist von privaten Firmen verwaltet werden. Man kann die Studiengebühren vorab ganz oder zum Teil zahlen und damit die späteren Steigerungen der Gebühren „unterlaufen“. Zum Teil wird dies noch


[ studiengebühren und ihre sozialen auswirkungen ]

steuerlich gefördert. Hinzu kommen die sog. 529 Education Savings Programs. Danach wird das Bildungssparen steuerlich gefördert, entweder durch eine sofortige steuerliche Abzugsmöglichkeit oder durch spätere Steuervorteile. Insgesamt ist über die gesamte USA zu beobachten, dass die Verschuldung der Studierenden in den letzten Jahren dramatisch angewachsen ist. Zwar gibt es nach wie vor das großzügig ausgebaute Stipendienwesen. Wer an der HarvardUniversität zugelassen ist, braucht sich um eine Finanzierung meistens nicht zu sorgen. Daneben kann man über Jobs an der Universität seine finanzielle Situation aufbessern. Dennoch ist in den USA eine Spaltung zwischen Arm und Reich zu beobachten, was die Studiermöglichkeiten anbetrifft. Deshalb ist auch der Anteil der jungen Menschen am Altersjahrgang, die ein Studium beginnen, zwischen 1999 und 2001 von 45 Prozent auf 42 Prozent zurückgegangen (OECD, Education at a Glance, 2003). Der Rückgang könnte sich fortsetzen. Auch Staaten wie Kalifornien mit traditionell niedrigen Studiengebühren beginnen zu den Staaten mit hohen Studiengebühren aufzuschließen. III. Australien In Australien gibt es seit 1989 das HECS-Programm (Higher Education Contribution Scheme). Die Studiengebühren können sofort bezahlt werden.

Man erhält dann einen Barzahlungsrabatt von 25 Prozent. Sie können auch nach dem Abschluss des Studiums bezahlt werden. Der Staat fungiert hier als Versicherer, weil er die Rückzahlbarkeit der gestundeten Studiengebühren erst ab einer bestimmten Jahreseinkommenshöhe eingreifen lässt. Diese wurde in den letzten Jahren von 28.495 A$ auf 20.701 A$ gesenkt. Weitere Erhöhungen Seit dem Jahre 1997 gibt es eine Spreizung und Erhöhung der Studiengebühren. Am wenigsten zahlen die Studierenden der Geisteswissenschaften. Am meisten zahlen die Studierenden der Medizin, der Zahnmedizin und Tiermedizin; in die teuerste Kategorie fallen allerdings auch die Jurastudiengänge, obwohl es sich hier um eine reine Buchwissenschaft handelt. Mit der Spreizung der Studiengebühren versucht der Staat, einen Teil der Bildungsrendite abzugreifen, welche die Studierenden erwarten können. Unklar ist, ob die Studiengebühren zu einer Abschreckung von Studierenden aus niedrigen Einkommensschichten geführt haben. Es gibt hierzu widersprüchliche Zahlen. Der allgemeine Anstieg der Studierendenzahlen in Australien ist insofern irreführend, als es vor 1989 einen Numerus Clausus gab, der mit Einführung des HECS-Systems abgebaut wurde. perspektive21

79


[ bernhard nagel ]

Zu vermuten ist, dass die australischen Universitäten sich in Zukunft zu Marktuniversitäten entwickeln, die nach betriebswirtschaftlichen Kriterien vorgehen. Dies muss nicht schlecht sein. Es wird aber dann problematisch, wenn für Reiche, welche sich verpflichten, höhere Studiengebühren zu bezahlen, einen Rabatt beim Eintritt in bestimmte Studiengänge gegeben wird. Dies ist bereits heute in einigen Master-Studiengängen zulässig. Reiche, die mehr zahlen, werden auch bei einem niedrigeren Notendurchschnitt als die anderen aufgenommen. Jedenfalls sind einige Universitäten mit dieser Strategie vorangegangen. Zu vermuten ist, dass auch in Australien die Erhöhung des Kostenanteils der Studierenden selektiv auf die Nachfrage gewirkt hat und noch wirkt. IV. England In England wurde durch die New Labour-Regierung im Jahre 1998 ein System von Studiengebühren eingeführt, das 1999 mit der Ablösung von Zuschüssen durch zinslose Darlehen gekoppelt wurde. Die Studiengebühren betrugen ursprünglich 1.000£ im Jahr; zum Einschreibungstermin im Jahre 2002 werden sie auf 1.100 £ jährlich erhöht. Die Darlehen betragen allgemein 3.815 £ im Jahr, wer in London wohnt, erhält 4.700 £, wer bei seinen Eltern wohnt, nur 3.020 £. 42 Prozent der Studierenden zahlen 80

heft 29 | februar 2006

keine Studiengebühren, 19 Prozent zahlen die Studiengebühren teilweise. Am 11. 7. 2002 legte ein Ausschuss des britischen Unterhauses den sog. Post-16-Student-Support-Report vor. Der Ausschuss verlangt höhere Darlehensbeträge und eine Heraufsetzung der Darlehensobergrenzen. Außerdem wird ein höheres Post-Code-Premium gefordert. Damit ist gemeint, dass die Studierenden, die aus Gegenden mit besonders niedrigem Einkommen stammen, besonders gefördert werden. Die Auswahl wird nach der Postleitzahl getroffen. In einem Minderheitsvotum verlangte der Abgeordnete Holmes von der Liberal Party die Ablösung der Studiengebühren für England durch nachgelagerte Studiengebühren nach schottischem Vorbild. Außerdem sprach er sich dagegen aus, den berühmten Universitäten wie Oxford und Cambridge sog. Top-up fees zu erlauben, d.h. Gebühren, die über die normalen Studiengebühren hinaus gehen und den Marktwert dieser Universitäten ausschöpfen sollen. Genau diese Top-up fees mit einer Obergrenze von 3.000 Pfund sollen nach einem im Januar 2004 mit knapper Mehrheit im britischen Unterhaus gefassten Beschluss ab 2007 für England und Wales eingeführt werden. V. Schottland In Schottland wurde im Jahre 1999 die Regionalautonomie verwirklicht. Das schottische Parlament ist u.a. für die


[ studiengebühren und ihre sozialen auswirkungen ]

Studiengebühren zuständig. Da in Schottland Verhältniswahlrecht gilt, war die Labour Party bei der Regierungsbildung auf die Liberal Party angewiesen. Zuschüsse für Ärmere Diese rang ihr das Zugeständnis ab, dass Schotten an schottischen Universitäten keine Studiengebühren zahlen, sich aber verpflichten müssen, nach dem Abschluss des Studiums und einer gewissen Karenzzeit 2.000 £ in den Graduate Endowment Fund of Scotland einzuzahlen (nachgelagerte Studiengebühren). Der Betrag, der zu zahlen ist, wurde 2002 auf 2.050 £ erhöht. Auch in Schottland gibt es bei den nachträglich zu zahlenden Studiengebühren eine Versicherungslösung, d.h. man muss erst ab einer bestimmten Einkommensgrenze zahlen. Arme Studierende werden in Schottland durch Zuschüsse bis zu einem Einkommen von 15.000 £ der Eltern jährlich unterstützt. Außerdem gibt es bursaries, aus denen Studierende ebenfalls finanziert werden können. Hinzu kommen Sonderprogramme für Graduierte. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass Schottland seine Begabungsreserven besser ausschöpft als England. Zwischen 1999 und 2000 stiegen die Studierendenzahlen von Schotten in Schottland um 9,9 Prozent, zwischen 2000 und 2001 stiegen sie um weitere 5,0 Prozent. Die entsprechenden Zah-

len für England lauten 1,6 Prozent und 2,3 Prozent. Besonders deutlich wird der Unterschied zwischen den beiden Ländern, wenn man die Zahlen zusammen zählt, die für Engländer und Schotten im gesamten Vereinigen Königreich gelten. Zwischen 2001 und 2002 hat sich die Zahl der Studienbewerber aus Schottland, die im Vereinigten Königreich studieren wollen, um 3,2 Prozent erhöht. Die entsprechende Steigerung in England beträgt nur 0,5 Prozent. Zwischen 2002 und 2003 lauten die entsprechenden Zahlen für Schottland 4,2 Prozent für England 1,9 Prozent. VI. Österreich In Österreich wurde von der ÖVP/FPÖBundesregierung im Jahre 2000 relativ kurzfristig ein Konzept von Studiengebühren durchgesetzt. Seit dem Wintersemester 2001/02 müssen jährlich etwa 726 Studiengebühren bezahlt werden. Dies hat zu einem Rückgang der Studierendenzahlen insgesamt um 20 Prozent, der Ersteinschreibungen immerhin um 15 Prozent geführt. Davor hatte es drei Jahre lang Steigerungen der Ersteinschreibungen um jeweils etwa 8 Prozent gegeben. Im Sommersemester 2002 ging die Zahl der Ersteinschreibungen sogar um 15,8 Prozent zurück. Im Wintersemester 2002/03 stieg sie zwar wieder an, lag aber noch um ca. 5 Prozent unter den Zahlen vor Einführung der Studiengebühren. perspektive21

81


[ bernhard nagel ]

Die Zahl der Studierenden aus dem Jahre 2000 wurde bis zum Wintersemester 2003/04 nicht wieder erreicht. Die Zahl der Ersteinschreibungen liegt zwar leicht über der von 2000, die der Ersteinschreibungen von ordentlichen inländischen Studierenden an wissenschaftlichen Hochschulen aber leicht darunter. Es ist unklar, wo diese Studierenden bzw. Studienbewerber geblieben sind. Bei den Studierendenzahlen insgesamt kann man vermuten, dass Karteileichen aus den Statistiken verschwunden sind. Die Zahl von 20 Prozent für 2001/02 erscheint dennoch hoch. Bei den Ersteinschreibungen ist ziemlich sicher, dass die fehlenden Studienbewerber nicht an die Fachhochschulen gegangen sind. Es bleiben nur private Einrichtungen übrig. Alternativ dazu könnten diese Studienbewerber direkt in den Beruf gegangen sein. Studentenzahlen sinken 1996 gab es in Österreich eine ähnliche Situation. Es wurden Leistungen im Bereich der Studienförderung gekürzt. Die Zahl der Studienbewerber sank ab. Es gab insbesondere auch sinkende Übertrittsquoten von sog. BHSAbsolventen, d.h. von Absolventen der berufsbildenden höheren Schulen. Die kurzfristigen Auswirkungen der Einführung von Studiengebühren sind in Österreich überraschend groß. Obwohl die Studiengebühren im interna82

heft 29 | februar 2006

tionalen Vergleich relativ niedrig sind, haben sie zu einem drastischen Rückgang bei der Ersteinschreibung geführt. Es ist zu fragen, ob Studiengebühren ein politischer Preis ähnlich wie der Benzinpreis sind, auf den die Betroffenen besonders sensibel reagieren. Es ist ferner zu fragen, ob die Tatsache eine Rolle spielt, dass die Studiengebühren bis 2003 in den allgemeinen Staatshaushalt flossen und erst ab 2004 in die Haushalte der Hochschulen. VII. Niederlande In den Niederlanden wurde im Jahre 1986 ein neues System der Studienförderung eingeführt. Es gibt Grundstipendien für Alle. Hinzu kommen zusätzliche Stipendien für Bedürftige und Darlehen. Daneben gibt es für alle Studiengebühren. In den letzten Jahren war zu beobachten, dass das Grundstipendium abgesunken ist. Die zusätzlichen Stipendien und die Darlehen stiegen an. Ebenfalls konnte eine Steigerung der Studiengebühren beobachtet werden. Insgesamt haben die Studiengebühren zu keiner erkennbaren Absenkung der Bewerberzahlen an niederländischen Hochschulen geführt. Dies ist insofern verständlich, als alle Studierenden ein Grundstipendium erhalten, aus dem sie die Studiengebühren bezahlen können. Andererseits wurden in den letzten Jahren Erfolgskontrollen eingeführt. Dies


[ studiengebühren und ihre sozialen auswirkungen ]

ging so weit, dass die Studienförderung, auch das Grundstipendium, zuerst nur als Darlehen ausgezahlt wird. Erst wenn man einen Studienfortschritt durch entsprechende Leistungsnachweise belegen kann, wird das Darlehen in einen Zuschuss (Grundstipendium) umgewandelt. Die darüber hinaus zur Verfügung gestellten Darlehen werden von niederländischen Studierenden nicht gerne genommen. Zum einen können damit, da die Darlehensraten immer gleich sind, Schwankungen im Finanzierungsbedarf nicht ausgeglichen werden, zum anderen können die Studierenden ihre finanzielle Situation durch Semesterjobs aufbessern. Auch erklären sich viele Eltern bereit, ihren Kindern finanzielle Zuschüsse zu gewähren, damit sie nicht auf die staatlichen Darlehen angewiesen sind. 2004 wurden die Studiengebühren drastisch auf 1.445 € erhöht. Genaue Zahlen über die Auswirkungen auf die Studierendenzahlen liegen noch nicht vor. VIII. Perspektiven Aus der Betrachtung der verschiedenen Länder ergibt sich, dass die Studiengebühren nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Man muss sie im Zusammenhang mit den übrigen Studierkosten betrachten und hierbei auch die Opportunitätskosten und die Lebenshaltungskosten einbeziehen. Die Abschreckung, die

durch Studiengebühren in Österreich verursacht wurde, kann nicht allein durch ökonomische Faktoren erklärt werden. Vielleicht muss man hier kulturelle Faktoren hinnehmen. Zu vermuten ist z.B., dass die Bereitschaft von Studienbewerbern, sich zu verschulden, in Österreich niedriger als in den USA ist. Hinzu kommt wohl, dass die Studiengebühren in bestimmten Ländern als politischer Preis betrachtet werden. Gebühren mit Stipendien koppeln Die Akzeptanz von Studiengebühren hängt auch mit der Strategie zusammen, welche bei ihrer Einführung gewählt wird. Wenn man, wie in den Niederlanden, die Studiengebühren mit der Einführung eines allgemeinen Grundstipendiums koppelt, ist die Bereitschaft, Studiengebühren zu akzeptieren, höher als in anderen Ländern. Schließlich ist bei der Einführung von Studiengebühren auch an psychologische Wirkungen zu denken. Die Studiengebühren in Schottland wurden besser aufgenommen als die Studiengebühren in Österreich. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass sie in Schottland nur nachträglich bezahlt werden müssen und in einen bestimmten Fonds eingespeist werden, der für den Bildungs- und Hochschulbereich zur Verfügung steht. Fragt man danach, ob Studiengebühren abschreckend auf Studienbewerber perspektive21

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[ bernhard nagel ]

wirken und dadurch ein Hindernis bei der Ausschöpfung von Begabungsreserven darstellen, dann muss man Zuschüsse, Darlehen und Studiengebühren insgesamt betrachten. Außerdem spielt es eine erhebliche Rolle, ob die Studiengebühren den Hochschulen verbleiben. Abschreckungseffekfte dohen Insgesamt kann in Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgrund der Erfahrungen in Österreich nur von der Einführung von Studiengebühren abgeraten werden. Sie dürften einen ähnlichen Abschreckungseffekt wie in Österreich haben, insbesondere dann, wenn sie wie in Österreich in den allgemeinen Staatshaushalt fließen und nicht von vorneherein den Hochschulen verbleiben. Wenn sich das Problem der Unterfinanzierung der Hochschulen aber infolge der zurückgehenden Steuereinnahmen verschärft, ist neben den bisher diskutierten Effizienzverbesserungen im Studienbetrieb, zum Beispiel neben den Globalhaushalten auch an Steuerungsmodelle nach dem Muster des Studienkontenmodells zu denken. Ein solches hat der rheinland-pfälzische Wissenschaftsminister Zöllner im November 2001 vorgestellt. Jeder Studierende bekommt anderthalb so viele credits, wie nach den Prüfungsordnungen zum Abschluss des Studiums im Rahmen der Regelstudienzeit benötigt werden. Es handelt 84

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sich hier um eine Kontingentierung des Rechts auf Bildung. Wer zügig zum Abschluss kommt, kann nicht „verbrauchte“ credits für Weiterbildungsangebote verwenden. Allerdings muss eine einseitige Bevorzugung von Akademikern vermieden werden, wenn es um Ansprüche auf eine finanzielle Beteiligung des Staates an Weiterbildungsmaßnahmen geht, die in dem Zöllner-Modell enthalten sind. Es ist zu fragen, ob nicht alle Bürgerinnen und Bürger einen Darlehensanspruch auf die Finanzierung von Weiterbildungsmaßnahmen erhalten sollen, wobei die Rückzahlung des Darlehens an das Erreichen eines bestimmten Einkommensniveaus gekoppelt werden sollte. Effizienter studieren Für Österreich kann man durchaus in Rechnung stellen, dass die Studierenden sich nach der Einführung von Studiengebühren darum gekümmert haben, effizienter zu studieren. Es fragt sich, ob man dies nur durch Studiengebühren erreichen kann. Mit dem Thema Studiengebühren hat sich im Sommer 2004 die Kommission „Finanzierung lebenslangen Lernens“, der ich angehört habe, in ihrem Schlussbericht beschäftigt. Sie hatte nur den Auftrag, lebenslanges Lernen nach Abschluss eines ersten berufsqualifizierenden Abschlusses zu untersuchen und


[ studiengebühren und ihre sozialen auswirkungen ]

Vorschläge zur Finanzierung zu machen. Studiengebühren sind eigentlich außerhalb dieses Untersuchungsauftrags. Die Studienkontenmodelle, die gegenwärtig in Rheinland-Pfalz erprobt werden, greifen jedoch in den Bereich der Weiterbildung hinein. Nicht verbrauchte credits können übertragen werden und für Weiterbildungsangebote der Hochschulen verwendet werden. Studienkonten als Test Es ergibt sich ein Anreiz für die Studierenden, zügig zu studieren, damit sie möglichst viele credits für die Weiterbildung übrig behalten. Insofern hatte sich die Kommission auch mit Studienkontenmodellen zu befassen. Sie hat das rheinland-pfälzische Modell befürwortet und sich damit gegen allgemeine Studiengebühren entschieden. Da sich Deutschland wegen seiner im internationalen Vergleich immer noch zu niedrigen Studierendenzahlen einen Abschreckungseffekt wie Österreich nicht leisten kann, plädiere ich dafür, angesichts knapper öffentlicher Mittel den Weg der Kontingentierung des Rechts auf Bildung über die Einführung von Studienkonten zu wählen und von Studiengebühren abzusehen. Dafür spricht auch, dass angesichts der exorbitant hohen Studiengebühren in den USA der Prozentsatz der Altersjahrgänge, die dort studieren, zwischen 1998 und 2001 zurückgegangen ist. In

England, einem Land mit weniger hohen Studiengebühren als die USA, ist der Prozentsatz der Altersjahrgänge, der studiert, nicht angestiegen. Wir brauchen in Deutschland aber quantitativ eine Steigerung der Studierendenzahlen und qualitativ eine Verbesserung des Studiums. Dies erreicht man nicht dadurch, dass man jetzt das Nullsummenspiel mit den Studiengebühren spielt. Schließlich sollte man bei der Diskussion um Studiengebühren nicht die – richtig verstandene – Gerechtigkeit aus dem Auge verlieren. So wie die Studiengebührendiskussion heute geführt wird, wird ein ökonomistisches Wissenschaftsverständnis in den Vordergrund geschoben. Es wird gefragt: Inwiefern ist die Wissenschaft und inwiefern ist die Expansion des Wissenschaftsbetriebes für die Gesellschaft nützlich? Ist Wissenschaft effizient? Man kann es auch so ausdrücken: Inwieweit ist die Organisation des Wissenschaftsbetriebes effizient aus wohlfahrtsökonomischer Sicht? Inwiefern produziert Wissenschaft positive, externe Effekte, wie das in der Institutionenökonomie heißt? Eine solche Diskussion – wäre vor dreißig Jahren undenkbar gewesen. Damals wurde völlig anders argumentiert. Es ging um Beteiligung der Betroffenen an den Entscheidungen im Wissenschaftsbetrieb. Insbesondere ging es um die Beteiliperspektive21

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[ bernhard nagel ]

gung der wissenschaftlichen Mitarbeiter am Entscheidungsprozess der Hochschule. Da-mals wurde Wissenschaft als meritorisches Gut behandelt. Sie wurde um ihrer selbst Willen gefördert. Es erschien gerecht, allen qualifizierten Bewerbern ein gebührenfreies Studium zu ermöglichen. Gerechtigkeit steht Kopf Heute wird mit dem Argument, die Krankenschwester finanziere das Studium des Chefarztes, versucht, das Gerechtigkeitsargument auf den Kopf zu stellen. Im übrigen handelt es sich bei diesem Argument um eine unzulässige Partialbetrachtung. Genauso gut könnte man sagen, dass die Krankenschwester oder die Ärztin die Berufsschulausbildung des späteren Handwerksmeisters finanziert. Außerdem ignoriert man, dass in einem Konzept des lebenslangen Lernens die Krankenschwester die Möglichkeit haben soll, Medizin zu studieren und selber Ärztin, ja sogar Chefärztin zu werden. Schließlich haben Krankenschwestern auch Kinder, deren mögliches Medizinstudium durch Gebühren nicht unbedingt gefördert wird. Heute haben wir einen Paradigmenwechsel. Es geht nicht mehr (auch) um austeilende Gerechtigkeit im Sinne von Chancengleichheit, sondern nur noch um die effiziente Verwendung von öffentlichen Mitteln. Man verlässt die Positionen, die wir von Aristoteles und Thomas von Aquin übernommen ha86

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ben und reduziert Gerechtigkeit auf Tauschgerechtigkeit. Es geht nicht mehr um Chancengleichheit als austeilende Gerechtigkeit im Sinne von Aristoteles und Thomas von Aquin, sondern um Tauschgerechtigkeit gegenüber dem als Monade gesehenen Studienbewerber, der als Investor in höhere Bildung betrachtet wird. Wissenschaft wird nur dann gefördert, wenn sie positive Effekte für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung nachweisen kann. Wollen wir Markt-Unis? Hier muss man sich fragen, um welches Gut es sich bei der Wissenschaft handelt und um welche Aufgaben es geht, wenn nach der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung der Hochschulen gefragt wird. Bisher gab es eine Übersteuerung der Hochschulen durch die vielen Wissenschaftsministerien in den einzelnen Bundesländern. Diese Übersteuerung, die insbesondere in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von vielen als richtig angesehen wurde, war nicht erfolgreich. Die Hochschulen haben diese Übersteuerung – zum Teil erfolgreich – unterlaufen. Es könnte sein, dass es jetzt unter der Herrschaft des Effizienzdenkens zu einer Umorientierung der Hochschulen zu Markthochschulen kommt, wie wir das in Australien teilweise beobachten können. Man muss


[ studiengebühren und ihre sozialen auswirkungen ]

fragen, ob wir Markthochschulen haben wollen. Der Problembereich Studiengebühren ist nur ein Teil des Problembereichs Kosten des Studiums und Kostenbelastung, d.h. des Problems, wer die Zeche zahlen soll. Man muss sich überlegen, ob die Fokussierung der Effizienzdiskussion auf Studiengebühren nicht eine ideologische

Verengung ist. Dies liegt insofern nahe, als die Einnahmen aus möglichen Studiengebühren nur einen geringen Teil der Hochschulfinanzierung ausmachen würden. Hauptproblem der Hochschulen ist doch, dass sie zwar derzeit in einer Finanznot sind, aber gleichzeitig noch erhebliche Effizienzreserven haben, die sie bisher nicht ausschöpfen. L

PROF. DR. BERNHARD NAGEL lehrt Wirtschaftsrecht an der Universität Kassel. perspektive21

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Das Wettrennen hat begonnen WER EINE HOCHSCHULKRISE VERMEIDEN WILL, MUSS STUDIENGEBÜHREN EINFÜHREN VON STEFFEN REICHE

er Exportweltmeister Deutschland steht in der globalen Wissensgesellschaft – die neue Technologien und Produkte in immer kürzerer Zeit generiert – vor der Herausforderung, immer mehr in Bildung und Forschung zu investieren. Die anderen werden schneller besser als wir. Deshalb zeigt sich in OECD-weiten Vergleichsuntersuchungen wie PISA oder Education at a glance, dass wir trotz unserer spür- und messbaren Anstrengungen zwar etwas bessere Plätze belegen, die Abstände aber größer werden. Die OECD fordert von Deutschland, dass auch wir mindestens 45 Prozent eines Schülerjahrgangs zum Studium bringen sollen. Im Koalitionsvertrag konnte leider nur durchgesetzt werden, dass wir als Ziel mindestens 40 Prozent benennen. Das ist gerade nach dem Anstieg der Studierendenzahlen in den letzten Jahren von rund 27 Prozent auf zurzeit 36 Prozent eine bis 2009 zu realisierende Zielmarge. Aber sie entspricht nicht dem OECD-weiten Durchschnitt und

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damit nicht dem Ziel, das Deutschland erreichen müsste. Der Hinweis darauf, dass unsere duale Ausbildung so gut ist, dass sie in anderen Ländern einem Hochschulstudium entspricht, reduziert das Problem nur geringfügig. Nachdem am 26. Januar 2005 das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass es „dem Bund gemäß Artikel 75 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 72 Abs. 2 des Grundgesetzes gegenwärtig verwehrt ist, die Gesetzgebung der Länder durch Rahmenvorschriften auf den Grundsatz der Gebührenfreiheit des Studiums … zu verpflichten“, wird jetzt die Einführung von Studiengebühren in einigen Bundesländern vorbereitet. Kita-Gebührenfreiheit als Anfang Die Debatte war im Wesentlichen zwischen SPD- und CDU-geführten Ländern und den Parteien contra und pro geführt worden. Die SPD hatte im Hochschulrahmengesetz das Verbot der perspektive21

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[ steffen reiche ]

Studiengebühren festgelegt. Einige CDU-geführte Länder haben dagegen geklagt, gewonnen und damit das Recht, Studiengebühren einzuführen, erreicht. Belastung für Studenten, Entlastung für Unis Der Sozialdemokrat Peter Glotz hatte Studiengebühren wiederholt für sinnvoll erklärt, da auch für den Kindergarten von den Eltern Gebühren erhoben werden. Ich denke, man muss das Argument von Glotz vom Kopf auf die Füße stellen und ähnlich unseren skandinavischen Mitbewerbern wie Schweden, den Kindergarten elterngebührenfrei machen. Da schon heute rund 90 Prozent der Kita-Kosten von der öffentlichen Hand gezahlt werden (Länder, Kommunen und freie Träger), würde der Betrag, der jetzt für das Elterngeld bereitgestellt wird, ausreichen, um den die Schule vorbereitenden Bildungsauftrag zumindest an den fünf Wochentagen von 9 bis 12 Uhr elterngebührenfrei zu stellen. Das Alter von drei bis sechs Jahren ist die – nach der Zeit von 0 bis 3 Jahren – prägendste Zeit, in der gerade Kinder aus bildungsfernen und oder sozial schwachen Familien entsprechend unterstützt werden müssen. Leider ist dieser Weg der Gebührenfreiheit noch nicht mehrheitsfähig. Studiengebühren wirken entlastend für die Hochschulen, wenn die Länder 90

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nicht im selben Umfang, wie ihnen Einnahmen aus Studiengebühren zufließen, ihre Zuweisung reduzieren. Sie wirken aber belastend für die Studierenden, da sie neben ihrem Lebensunterhalt auch noch Semestergebühren bezahlen müssen. In den meisten jetzt angedachten Modellen wird diese Belastung ans Ende des Studiums verschoben, weil für die Finanzierung der Studiengebühren ein Kredit aufgenommen werden kann. CDU und SPD haben den in dieser Frage weiterhin bestehenden Dissens im Koalitionsvertrag festgehalten. „Die Koalitionspartner sind in der Frage von Studiengebühren unterschiedlicher Auffassung“ (Zeile 1.796 ff). Trotz dieses Dissenses ist der Weg aber offen. Ja, mehr noch: Es kommt noch schlimmer. Bund ohne Kompetenzen Der Kompromiss in der dringend notwendigen Föderalismusreformfrage ist über Zugeständnisse in der Bildungsfrage erst möglich geworden. Der Bund hat mit Abschaffung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau (Artikel 91 a des Grundgesetzes) und der Bildungsplanung (Art. 91 b des Grundgesetzes) nur noch bei Hochschulzulassungen und -abschlüssen eine Gesetzgebungsbefugnis, von der aber die Länder durch eigene Gesetze


[ das wettrennen hat begonnen ]

abweichen können. Die Wirkung der Abschaffung z.B. des Hochschulbaufördergesetzes kann nicht dramatisch genug gedacht werden. Der Bund wird vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2019 die Mittel, die im Zeitraum von 2000 bis 2008 durchschnittlich für Hochschulbau zur Verfügung gestellt worden sind, zu 70 Prozent zweckgebunden an die Länder weiterleiten. Bis Ende 2013 soll das weitere Verfahren überprüft werden. Die bisherigen 50 Prozent Ländermittel sind natürlich nicht zweckgebunden. Nur noch starke Länder rufen Mittel ab Gerade den hoch verschuldeten und mit dem Abbau der „Solidarpaktes IIMittel“ chronisch defizitären ostdeutschen Länderhaushalte gelingt es ebenso wie in einigen anderen Länderhaushalten schon jetzt nicht, alle Mittel des Bundes mit zu finanzieren. Insbesondere die Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ und „Verbesserung der Agrarstruktur und Küstenschutz“ werden aber wie einige andere Bundesprogramme oder europäische Mittel auch in Zukunft vom Bund ausgereicht. Es ist wegen der hohen Arbeitslosigkeit bzw. wegen des hohen Interesses, die eingesetzten Landesmittel zu verdoppeln (bzw. zu vervielfachen) nicht zu erwarten, dass Länder diese

Programme in Teilen nicht abrufen, um die Zukunftsinvestition Hochschulbau im bisherigen oder gar höheren Umfang zu finanzieren. Aller Voraussicht nach sind nur starke Länder wie Bayern, BadenWürttemberg und Hessen wegen einer niedrigen Verschuldungsquote dazu in der Lage. Zur selben Zeit beginnt nun mit dem nächsten Wintersemester der Wettlauf um das beste Modell von Studiengebühren und die höchsten Einnahmen. In fünf Ländern sind Studiengebühren schon beschlossen – NRW, Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen. Angekündigt aber noch nicht beschlossen wurden sie im Saarland. In Hamburg sind Gebühren geplant und in Schleswig Holstein setzt sich die CDU dafür ein, weil Hamburg und Niedersachsen Studiengebühren einführen. Vier Länder als Vorreiter NRW will zum Wintersemester 2006/ 2007 variierend nach Hochschule, maximal 500 € pro Semester an Studiengebühr verlangen. Die NRW-Bank soll ein Studiendarlehen gewähren. Schätzungen gehen von 320 Millionen € zusätzlichen Einnahmen aus. Dieses „freiheitlichste und sozialverträglichste Modell aller Bundesländer“ (Minister Pinkwart) soll mit einer Geld-zurückperspektive21

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[ steffen reiche ]

Garantie versehen werden, wo Schiedsgerichte die Studiengebühren senken oder gar erlassen können, wenn z.B. Pflichtveranstaltungen ausfallen. Baden-Württemberg plant 500 € pro Semester ab Sommer 2007 mit Studierendendarlehen der Landesbank, Bayern zum gleichen Zeitpunkt 300-500 € pro Semester an Unis/Kunsthochschulen und 100-500 € pro Semester an Fachhochschulen mit Studienkrediten der KfW-Bankengruppe. 500 € pro Semester ab Sommersemester 2007 für alle soll es in Niedersachsen kosten. Bessere Bedingungen für die Besseren? So entsteht eine doppelte Gefahr. Diese Länder werden mehr für ihre Hochschulen bauen können und finanzieren ihre Hochschulen schon jetzt besser als einige andere Länder. Darüber hinaus verfügen sie dann über zusätzliche Einnahmen bei den Hochschulen aus Studiengebühren. Hinzu kommt, dass die Besten der Republik von Stipendienstiftungen in Zukunft Studiengebühren erstattet bekommen und insofern auch an diese Hochschulen gehen können, an denen sie auf überproportional viele hoch motivierte Studierende treffen, die in der Regelstudienzeit fertig werden wollen, weil sie bezahlen müssen. Zugleich werden Studierende, die noch suchen und sich ausprobieren wollen, verständlicherweise an Hoch92

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schulen gehen, wo sie weder Studiengebühren noch ein Studienkontenmodell haben. Das heißt, dass an eher nicht so stark überfüllten Hochschulen, Studierende mit durchweg hoher Leistungsmotivation auf Professoren mit vermutlich oft höherer Bezahlung (Beamtenrecht wird Ländersache) und höheren Erfolgsabhängigkeiten treffen. Diese Hochschulen haben also die bessere Finanzausstattung und vermutlich perspektivisch auch höhere Hochschulbauinvestitionen. Hingegen werden bei den durch verschiedene Faktoren überproportional stark wachsenden Studierendenzahlen (12 Jahre zum Abitur, wachsende Studienwilligkeit und die letzten demografisch starken Jahrgänge) in Deutschland Hochschulen ohne Studiengebühren verstärkt Studierende aufnehmen, die anderenorts abgelehnt werden oder die Studiengebühren nicht zahlen wollen bzw. können oder sich erst noch orientieren müssen. Neue Diskussionsrichtung Es verbietet sich allein schon angesichts der großen Zahl von „Rest“ zu reden. Es ist in unakzeptabler Weise zynisch. Aber das Gefühl wird mancherorts auf Dauer nicht auszuschließen sein und wohl auch von den sich schneller entwickelnden Hochschulen mit den oben genannten Vorteilen


[ das wettrennen hat begonnen ]

massiv herausgefordert werden. In einigen Jahren wird die Kommunikation sowohl von den Hochschulen als auch den Studierenden selber in diese Richtung geführt werden. Gerade weil ich die Problematik von Studiengebühren sehe, rate ich, gerade wenn man sie aus verständlichen Gründen ablehnt, genau vor Augen zu haben, welcher Herausforderung man sich damit stellt. Es ist zu befürchten, dass der strukturelle Unterschied zwischen den Regionen der Republik auf diese Weise zusätzlich vertieft wird. Zwischen Süd und Nord und West und Ost einerseits, aber auch zwischen SPD- und CDU-regierten Ländern wird die Schere größer. Keinen Teufelskreis in Gang setzen Die Gefahr, dass die Starken schneller besser und also stärker werden, wächst. Sie investieren mehr in Wissenschaft und Forschung an ihren Hochschulen und haben also schneller besser ausgebildete Fachkräfte, die ihrerseits zu höherer Wertschöpfung beitragen, indem sie neue Technologien und Produkte entwickeln und in neue Betriebe inve-

stieren. Deren hohe Wertschöpfung ermöglicht es den Ländern wiederum, mehr in ihre Hochschulen zu investieren. Ein circulus vitiosus, der auf Jahre und Jahrzehnte die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Republik stört oder zerstört. Das Verfassungsgericht urteilte, dass allgemeine Studiengebühren nicht gegen den Grundsatz einheitlicher Lebensverhältnisse verstoßen. Das kann jedoch nur richtig sein, wenn überall in der Republik nach einem gemeinsamen Modell Studiengebühren erhoben würden und in bundesweit vergleichbaren Studiendarlehen vor- bzw. zwischenfinanziert werden. Der wohl einzig sinnvolle gemeinsame Weg scheitert aber an dem Wunsch der einen, keine Studiengebühren zu erheben und dem Wunsch der anderen, ihre Studiengebühren nach jeweils eigenen Ländermodellen zu erheben. Ich fürchte, dass das Dilemma, sich nicht einigen zu wollen und zu können, die für den jetzigen Zeitpunkt noch zu unterstellende Einheit des Hochschulraumes Bundesrepublik Deutschland derartig tief untergräbt, dass die Einheit und Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse auf Dauer nachhaltig gestört wird. L

STEFFEN REICHE

ist Bundestagsabgeordneter und war Minister für Wissenschaft und Bildung in Brandenburg. perspektive21

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Wider die Ideologie STUDIENGEBÜHREN LASSEN VIELE FRAGEN OFFEN VON TILL MEYER

ie Befürworter und Gegner von Studiengebühren befehden sich hochemotional und mit geschlossenem Visier. Das verhindert, dass man nach rechts und links schauen und sich dem Thema unvoreingenommen und ergebnisoffen annähern kann. Nicht jeder hat eine Hochschule von innen gesehen oder in den letzten 15 Jahren studiert, so dass die Ausgangsbasis für die Beurteilung, ob man Studiengebühren befürwortet oder ablehnt, recht unterschiedlich ausfällt. Wer sich mit dem Thema auseinandersetzt, stellt zunächst fest, dass Langzeitstudiengebühren, Studiumsgebühren für Seniorinnen und Senioren, Einschreibe- und Rückmeldegebühren, Zweitstudiumsgebühren, Studienkonten und nachlaufende Studiengebühren bereits existieren oder vorbereitet werden. Sind das alles Studiengebühren? Im weitesten Sinne ja, denn Studiengebühren sind Gebühren, die während des Studiums anfallen. Fakt ist, dass in Deutschland nur rund 30 Prozent eines Jahrgangs ein Hochschulstudium

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beginnen.1 International gesehen ist das unterdurchschnittlich und lähmt unser Wirtschaftswachstum. Unter diesen Studienanfängern, von denen viel zu viele ihr Studium abbrechen, sind kaum noch Kinder aus einkommensschwachen Familien, dafür 81 Prozent aus der sozialen Herkunftsgruppe „hoch“, also Elternhäusern mit hohem Nettoeinkommen (BMBF 2004).2 Warum ist das so? Die Zugangschancen zu Bildung sind in Deutschland stärker als anderswo von der sozialen Herkunft abhängig. Das fängt schon in den ersten Lebensjahren an und setzt sich bis an die Hochschulen fort. Das ist der Hintergrund, vor dem man die StudiengebührenDebatte betrachten muss. Was ist sozial und gerecht? Studiengebühren seien gerecht, sagen die Befürworter, und argumentieren mit der Putzfrau oder dem Briefträger, die mit ihren Steuern dem reichen Zahnarztsohn das Studium finanzieren

1 Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD, Bildung auf einen Blick, Paris 2002, Seite 248. 2 Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF, Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland 2003. 17. Sozialerbung des Deutschen Studentenwerks, Bonn 2004, Seite 119.

perspektive21

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[ till meyer ]

würden. Das ist eine banale Einsicht, die noch nicht viel aussagt. Denn die Ungleichheit von Finanzierung und Nutzung öffentlicher steuerfinanzierter Investitionen gilt für so ziemlich alle Bereiche: vom kommunalen Theaterhaus über staatliche Forschungssubventionen für einzelne Firmen bis zum Bundesverkehrswegeplan. Die Nutzung derartiger Investitionen erfolgt niemals sozial gestaffelt entsprechend dem Steueranteil. So bezahlen auch Putzfrauen und Briefträger die verbilligte Theaterkarte für den Herren Abgeordneten. Müsste eine Theaterkarte also das Zehnfache kosten? Wir meinen Nein. Wer Kosten und Nutzen verallgemeinern möchte, d.h. den Zugang sozial weniger selektiv gestalten will, darf die Kosten nicht erhöhen. Ohne Bildungssubventionen stünden einkommensschwache Haushalte noch weitaus schlechter da. Unabhängig vom Elterneinkommen Studiengebühren sollen, so heißt es, mit einem sozial verträglichen Finanzierungssystem verbunden werden. Das würde ermöglichen, unabhängig vom Einkommen des Elternhauses zu studieren. Der gleiche Gedanke liegt ja

dem BAföG zugrunde, das bereits heute helfen soll, unabhängig von der Größe des Geldbeutels der Eltern zu studieren. Tut es aber nicht. Viele Kinder nehmen heute schon kein Studium mehr auf, eben weil sie gerade keine Finanzierung mehr über das BAföG erhalten, ihre Eltern aber nicht in der Lage sind, den Lebensunterhalt zu zahlen. Dieses „Mittelstandsloch“ wurde erst im vergangenen Jahr in der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks belegt. Drei-Körbe-Modell als Voraussetzung Würden Studiengebühren diesen Trend nicht verstärken und das Studium zu einer reinen Sache der Besserverdienenden machen? Solange wir nicht das Drei-Körbe-Modell 3 zur Studienfinanzierung einführen, könnten wir nach der Einführung von Studiengebühren folgende Situation erhalten: Auf der einen Seite die Kinder reicher Eltern, denen Mama und Papa alles bezahlen und auf der anderen Seite Studierende, die am Ende des Studiums neben den BAföG-Rückzahlungen vor einem weiteren Schuldenberg, ihrem Hochschulkredit, stehen. Ist das gerecht? Wollen Sozialdemokra-

3 Bei der Studienfinanzierung nach dem Drei-Körbe-Modell sollen alle direkten und indirekten Leistungen gebündelt werden. Der erste Korb fasst die indirekten Leistungen (Kindergeld, Steuerfreibeträge, etc.) zu einer einheitlichen, elternunabhängigen Sockelförderung zusammen. Auf diesen Vollzuschuss wird mit dem zweiten Korb eine einkommensabhängige Aufbauförderung gewährt. Belastungen in der Abschlussphase soll der dritte Korb, die Studienabschlussförderung abfedern.

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[ wider die ideologie ]

ten nicht eine Politik, die den Vielen zugute kommt und nicht bloß den Wenigen? Bildungsgutscheine und Studienkonten unterscheiden sich größtenteils durch den Namen. Bei diesem Modell erhalten die Studierenden ein „Bildungsguthaben“, das sich an der Regelstudienzeit und der Semesterwochenstundenanzahl des gewählten Studienganges orientiert. Mit dem Besuch von Lehrveranstaltungen wird das Konto kleiner. Ist das Konto leer oder wird die Regelstudienzeit um ein bestimmtes Maß überschritten, werden die Studierenden zur Kasse gebeten. Das klingt erst einmal nicht weiter schlimm. Zum besseren Verständnis: die Regelstudienzeit wurde ursprünglich als Verwaltungsgröße eingeführt, damit die Hochschulen einen Studiengang in einer bestimmten Zeit studierbar gestalten können. Mit den tatsächlichen Studienbedingungen bzw. der Durchschnittsstudienzeit hat sie wenig zu tun. Studienkonten als Ausweg? Die allgemeinen Rahmenbedingungen machen das Einhalten der Regelstudienzeit für die meisten Studierenden unmöglich. Überfüllte und fehlende Seminare, Lehrkräftemangel, schlechte Betreuung, unzureichende Ausstattung der Hochschulen mit Büchern, Geräten und Materialien verlängern die

Studienzeit – unabhängig von der Leistung des Studierenden. Hinzukommt, dass Studienkonten bestimmte Lebensumstände bzw. Lebensentwürfe sanktionieren würden. Dabei geht es nicht nur um die so genannten Härtefälle (Behinderung, chronische Erkrankungen), sondern auch um jene Studierende, die nicht dem Bild des Vollzeitstudenten entsprechen – sei es, weil sie arbeiten müssen, sei es, weil sie Angehörige pflegen oder Kinder haben. Persönlichkeitsentfaltung und Verwertbarkeit Gutscheine und Konten würden jene diskriminieren, die über den viel zitierten Tellerrand hinausschauen, interdisziplinär studieren, zusätzliche Qualifikationen wie Sprach- und EDV-Kurse belegen oder sich sozial, gesellschaftlich und politisch engagieren, derweil derjenige, der sein Studium mit einem Minimum an Aufwand und Scheinverbrauch ausrichtet, bevorzugt würde. Soll Schmalhans also Küchenmeister werden? Wir Sozialdemokraten müssen aufhören, den quasi zweckfreien Anspruch auf Bildung als Bestandteil der Persönlichkeitsentfaltung und die ökonomische Verwertbarkeit von Bildungslaufbahnen als Widerspruch zu betrachten. Es entsteht eine völlig falsche Frontstellung, wenn derjenige, der in der Bildungspolitik Begriffe wie Wettbewerb perspektive21

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[ till meyer ]

und Wohlstand benutzt, unter Generalverdacht gerät, er wolle die Unterordnung von Bildung unter die Verwertungsinteressen des Kapitals. Im Mittelpunkt aller Überlegungen sollte aber stehen, wie wir die Hochschulen modernisieren und sie innovativer und leistungsstärker machen können – nicht, wie wir Verantwortung an die Studierendenschaft abgeben können. Dabei gibt es nicht nur eine best practice, sondern immer mehrere Möglichkeiten, gut zu sein. Schön genormt, aber arm Wir bräuchten ein durchlässigeres Bildungssystem, das darauf Rücksicht nimmt, das sich jeder Mensch entwickeln kann. Bisher ist eine individuellere und kontinuierliche Förderung von Studierenden die Ausnahme. Wir bräuchten eine große BAföG-Reform, die derzeit im ideologischen Kleinkrieg der Parteien stecken geblieben ist. Wir bräuchten eine Emanzipation der Hochschulen raus aus den starren Hierarchien und weg vom Gängelband der Ministerien. Um zu mehr Wettbewerb und Effizienz zu gelangen, wollen die Befürworter von Studienkonten und Gutscheinmodellen die Finanzierung der Hochschulen an die „Nachfrage“ koppeln. Man behauptet, dass Qualität etwas mit der Anzahl der Nachfrager zu tun habe. Wer 98

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sich auf Marktmechanismen einlässt, der weiß, dass sich ökonomisch verwertbare Massenfächer wie beispielsweise das unter der Sammelbezeichnung „BWL“ firmierende am besten verkaufen lassen. Orchideenfächer dagegen würden „unrentabel“ und „outgesourct“ werden, weil sie ja weniger Bildungsgutscheine „einspielen“. Weil der Ruf der Hochschule wichtiger als die schwer messbare Qualität würde, werden die Unis in Marketingmaßnahmen investieren. Im Zweifelsfall ist also der aufgeprotzte Lehrstuhl mit Hochglanzprospekt wichtiger als der geniale Forscher, dem es mehr um Wissenschaft, als um Kontoabbuchungen (und damit Geld) geht. Studiengebühren führen zu Mittelkürzungen Studiengebühren, so heißt es, sollen die Unterausstattung der Hochschulen beheben. Aber ist das auch so? Machen wir uns nichts vor: In jedem Land, in dem Studiengebühren eingeführt wurden, haben sich die öffentlichen Mittel für die Hochschulen reduziert. Studiengebühren würden also mittelfristig nicht die Lage der Hochschulen verbessern und keine zusätzlichen Bücher oder Seminarplätze schaffen. „Wer bezahlt, darf auch mitreden“, sagen dann noch die Befürworter und verkennen, dass dieses Mitreden ja bereits auf den Ämtern nicht klappt. Oder dürfen die Steuerzahler mitentscheiden, wie Ent-


[ wider die ideologie ]

bürokratisierung und Verwaltungsreform vonstatten gehen? Nicht mehr als Grips und Hirnschmalz Bildung ist die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Gerade für Sozialdemokraten ist sie deshalb nie zweckfrei gewesen. Sie diente historisch gesehen sowohl dazu, durch das Brechen der Bildungsmonopole Demokratie überhaupt erst möglich zu machen, als auch dazu, Chancengleichheit und Anteil am wirtschaftlichen Wohlstand zu ermöglichen. Durch die weitere schrittweise Privatisierung von zuvor öffentlich finanzierten Bildungskosten würde auch noch das das Minimum an realisierter Bildungsgerechtigkeit beseitigt werden, das dem Einzelnen hilft, die Hürden zwischen ihm und dem Arbeitsmarkt zu überwinden. Genauso wie

Reformieren mehr sein muss als ein Wort für Kürzung, muss Hochschulmodernisierung mehr sein als das Einrichten von Konten und das Einlösen von Gutscheinen. Leistung als sozialdemokratischer Kampfbegriff steht für uns dabei im Mittelpunkt. Denn wie sonst, als über den Ehrgeiz, besser zu sein, kann das Bildungsprivileg der Besserverdienenden gebrochen werden? Den Leistungsgedanken stärker zu betonen als die Kaufkraft von Bildung kommt bei vielen Anhängern von Studiengebühren zu kurz. Wer das Prinzip der Leistung vernachlässigt, der zementiert den Zustand, dass die soziale Herkunft bei der Verteilung von Bildungs- und Karrierechancen den Ausschlag gibt. Der Besuch von Schule und Hochschule sollte daher – abgesehen von wenigen Ausnahmen – nicht mehr kosten, als möglichst viel Grips und Hirnschmalz. L

TILL MEYER

ist Juso-Vorsitzender in Potsdam. Er war AStA-Vorsitzender und Senatsmitglied an der Uni Potsdam sowie Gründungsvorstand des Landesausschusses der Studentinnen und Studenten (LASS) in der GEW. perspektive21

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Das Debattenmagazin Wieviel Einspruch verträgt der Mainstream? Heute regieren die 68er – aber was kommt, wenn sie fertig haben? Die Berliner Republik ist der Ort für eine neue politische Generation: undogmatisch, pragmatisch, progressiv. Weil jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht.

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MATTHIAS PLATZECK

HEFT 29 FEBRUAR 2006

Zur Zeit sind folgende Titel lieferbar: Heft 13 Kräfteverhältnisse – Brandenburgisches Parteiensystem Heft 14 Brandenburgische Identitäten Heft 15 Der Islam und der Westen Heft 16 Bilanz – Vier Jahre sozialdemokratisch-bündnisgrünes Reformprojekt Heft 17 Ende der Nachwendezeit. PDS am Ende? Heft 18 Der Osten und die Berliner Republik Heft 19 Trampolin oder Hängematte? Die Modernisierung des Sozialstaates. Heft 20 Der Letzte macht das Licht aus?! Heft 21/22 Entscheidung im Osten: Innovation oder Niedriglohn? Heft 23 Kinder? Kinder! Heft 24 Von Finnland lernen?! Erneuerung aus eigener Kraft Heft 25 Ohne Moos nix los? Heft 26 Heft 27 Was nun, Deutschland? Die neue SPD Heft 28

Zukunft: Wissen.

Einzelne Exemplare von bisher erschienenen Ausgaben schicken wir Ihnen gerne auch auf Wunsch kostenlos zu. Senden sie uns bitte eine E-Mail an perspektive-21@spd.de.

: Land in Bewegung

STEFAN PINTER

: Was müssen wir wissen?

KLARA GEYWITZ

: Wissenschaftsland Brandenburg

MARTINA MÜNCH

: Ist doch alles Cottbus!

BERNHARD NAGEL STEFFEN REICHE TILL MEYER

: Studiengebühren im Vergleich

: Das Wettrennen hat begonnen

: Wider die Ideologie


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