perspektive21 - Heft 36

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HEFT 36 DEZEMBER 2007 www.perspektive21.de

BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK

STRATEGIEN IM KAMPF GEGEN RECHTSEXTREMISMUS

Den Rechten keine Chance MATTHIAS PLATZECK:

Europa 2027 Politik der kleinen Schritte GÜNTER BAASKE: Mit langem Atem BURKHARD JUNGKAMP: Wir brauchen mehr Demokratieerziehung MARTIN DULIG: Ende eines Strohfeuers? TORALF STAUD: „Wir sind für Sie da!“ MICHAEL KRASKE UND CHRISTIAN WERNER: Starker Staat – oder: Trotz Verbot nicht tot? WOLFRAM HÜLSEMANN: Eigene Wege CHRISTIAN DEMUTH: Was tun? Und was lassen? GIDEON BOTSCH UND CHRISTOPH KOPKE: Die Rechtsextremen und ihr Umfeld KATARINA NIEWIEDZIAL:



vorwort

Den Rechten keine Chance echtsextremismus ist regelmäßig dann schlagzeilenträchtig, wenn spektakuläre rechtsextreme Überfälle bekannt werden. Also dann, wenn etwa Menschen von Nazis durch Städte geprügelt werden, wenn rechtsextreme Jugendliche Obdachlose erschlagen oder wenn ein Döner-Imbiss zum fünften Mal von selbst ernannten „Ariern“ niedergebrannt wird. Mehr als 100 Menschen – Ausländer, Obdachlose, Behinderte, Homosexuelle, Andersdenkende – wurden seit 1990 von Rechtsextremen ums Leben gebracht. Übersehen wurde in der Öffentlichkeit aber lange Zeit, dass sich in bestimmten Regionen Ostdeutschlands mit der NPD eine Partei breit machte, die die meist bis dahin nur lose verkoppelte rechtsextreme Jugendszene an sich bindet und damit ein langfristiges Politik- und Parteienkonzept umsetzen will. Ihre Vorgehensweise ist immer gleich: Aktivistische Kader der NPD ziehen gezielt in bestimmte Regionen abseits des öffentliche Interesses wie etwa die Sächsische Schweiz oder Vorpommern und beginnen eine langfristig angelegte Aufbauarbeit. In Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern hatte die NPD damit schon Erfolg und ist in die dortigen Landtage eingezogen. Auch in Brandenburg sind wir nunmehr verstärkten Anstrengungen der NPD ausgesetzt. Ins Berliner Umland sind einige bekannte hochrangige Kader zugezogen, im Oderland lebt der Bundespressesprecher der NPD und eine Gruppe von 20 Aktivisten um sich schart. Die Brandenburger NPD hat zunächst die Kommunalwahlen 2008 und dann die Landtagswahlen 2009 klar im Blick. Höchste Zeit, die Auseinandersetzung mit ihr zu verstärken. Mit dieser Ausgabe der Perspektive 21 wollen wir dazu unsern Beitrag leisten.

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Matthias Platzeck hat im SPD-Präsidium die Aufgabe übernommen, die Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarländern in Europa zu vertiefen. In diesem Heft erläutert er die Herausforderungen, die vor der EU und ihren neuen Mitgliedsländer liegen. Platzecks These: Die Integration in die EU ist mit dem Beitritt noch längst nicht abgeschlossen, sondern fängt jetzt erst an. Sozialdemokraten tun gut daran, diesen Prozess intensiv zu begleiten und das Europäische Sozialmodell auch zum Erfolgsmodell im Osten der EU zu machen. KLAUS NESS

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inhalt

Den Rechten keine Chance STRATEGIEN IM KAMPF GEGEN RECHTSEXTREMISMUS MAGAZIN

Europa 2027 ................................................................. 7 Warum die innere Vereinigung unseres Kontinents gerade erst begonnen hat MATTHIAS PLATZECK:

Politik der kleinen Schritte ....................................... 15 Wie weiter in Polen nach den Wahlen? KATARINA NIEWIEDZIAL:

THEMA

Mit langem Atem ............................................................... 21 Im Kampf gegen den Rechtsextremismus gibt es keine einfachen Lösungen GÜNTER BAASKE:

Wir brauchen mehr Demokratieerziehung ................ 27 Mit ihm sprach Thomas Kralinski über das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“, Verbote und Demokratie an Schulen BURKHARD JUNGKAMP:

Ende eines Strohfeuers? .......................................................... 33 Über den schwierigen Umgang mit der NPD im Sächsischen Landtag MARTIN DULIG:

„Wir sind für Sie da!“ ............................................................ 39 Die NPD arbeitet an ihrer Verankerung im Land TORALF STAUD:

MICHAEL KRASKE UND CHRISTIAN WERNER:

Starker Staat – oder: Trotz Verbot nicht tot? .................................................. 45 Am Beispiel der „Skinheads Sächsische Schweiz“ kann man sehen, dass Verbote allein im Kampf gegen Rechtsextremismus nichts nutzen Eigene Wege ............................................................ 53 Demokratische Optionen bei rechtsextremen Entwicklungen im ländlichen Raum WOLFRAM HÜLSEMANN:

Was tun? Und was lassen? .............................................. 61 Erfolgsbedingungen und Hinderungsfaktoren von Initiativen gegen Rechtsextremismus CHRISTIAN DEMUTH:

GIDEON BOTSCH UND CHRISTOPH KOPKE: Die Rechtsextremen und ihr Umfeld . 71

Zehn Thesen zur extremen Rechten in Brandenburg perspektive21

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Europa 2027 WARUM DIE INNERE VEREINIGUNG UNSERES KONTINENTS GERADE ERST BEGONNEN HAT VON MATTHIAS PLATZECK

elche Vorstellung haben wir von dem Europa, in dem wir im Jahr 2027 leben wollen? Wie soll es aussehen? Was müssen wir tun, um diese Vorstellung zu verwirklichen? Und welche Hindernisse müssen wir dafür überwinden? Klar ist zunächst: Ein Europa, in dem wir auf wechselseitige Kompromisslosigkeit und diplomatische Scharmützel setzten, würde das Jahr 2027 in keinem guten Zustand erleben. Wer will, dass Europa die gemeinsamen großen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte erfolgreich bewältigt, der braucht die Fähigkeit zum Ausgleich, die Bereitschaft zu besseren gemeinsamen Ergebnissen – zu Ergebnissen, die eben dadurch besser sind, dass wir sie einvernehmlich und mit dem Blick nach vorn erzielen. Es darf schlicht nicht sein, dass sich in Europa diejenigen durchsetzen, die mit besonderer Härte und Kompromisslosigkeit, manchmal sogar Rücksichtslosigkeit, nur für ihre eng verstandenen Eigeninteressen kämpfen. Europa gedeiht nicht, wenn wir es als Nullsummenspiel begreifen, bei dem der eine verliert, was der andere gewinnt. Vielmehr funktioniert Europa, genau umgekehrt, als Zugewinngemeinschaft: Wir gewinnen gemeinsam – oder jeder für sich verliert.

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Eine einzige große Erfolgsgeschichte Manchmal muss man einen Schritt zurücktreten, um das Offensichtliche zu erkennen. Die europäische Vereinigung der vergangenen Jahrzehnte ist eine einzige große Erfolgsgeschichte. Auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkrieges existierten in Europa noch ganze vier freie und demokratische Länder. Das waren Großbritannien, die Schweiz, Schweden und Irland. Und selbst die Freiheit dieser Staaten hing bekanntermaßen am seidenen Faden. Sogar vor zwanzig Jahren noch war Europa geteilt, zu großen Teilen weiterhin unfrei und undemokratisch. Heute ist Europa bis auf ganz wenige verbliebene Ausnahmen ein Kontinent der Freiheit und der Demokratie. Niemals zuvor in der Geschichte herrschte auf unserem Kontinent so viel europäische perspektive21

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Einheit in Freiheit. Der Historiker Timothy Garton Ash hat vollkommen Recht mit seiner Frage: „Wenn man darauf nicht stolz sein darf, worauf denn sonst?” Wir sollten tatsächlich darauf stolz sein. Aber gerade darum dürfen wir diesen unglaublichen Erfolg nicht einen Tag lang als Ruhekissen begreifen, auf dem sich Europa ausruhen könnte. Unser Kontinent steht heute vor enormen Herausforderungen. Diese Herausforderungen müssen wir bewältigen, wenn Europa auch noch im Jahr 2027 und darüber hinaus erfolgreich sein soll. Europa wird ihnen aber nur dann gewachsen sein, wenn wir sie wirklich gemeinsam angehen. Keine Vereinigung ohne Verständigung Die Bedingungen dafür sind nicht einfacher geworden. Die Europäische Union ist heute nicht mehr eine Gemeinschaft von sechs Staaten, die unter Führung entschlossener Staatsmänner wie Schuman, Monnet oder Adenauer ein für allemal den Schrecken der Kriege des 20. Jahrhunderts hinter sich lassen wollten. Die EU ist auch keine mehr oder weniger homogene Gemeinschaft von neun, zwölf oder fünfzehn wohlhabenden westeuropäischen Gesellschaften mehr. Schon heute hat die Union 27 Mitglieder, darunter zehn, die früher kommunistisch regiert wurden. Meine eigene Heimat Brandenburg liegt im Herzen Europas. Sie befand sich aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht auf der begünstigten Seite des Eisernen Vorhangs. Die ersten 35 Jahre meines Lebens habe ich als Bürger einer staatsozialistischen Diktatur erlebt. Ich weiß also aus eigenem Erleben ganz gut, wie vollkommen unterschiedlich die Lebensgeschichten sind, die Bürger verschiedener Staaten der EU einander heute erzählen können. Das ist ein beispielloser Umbruch – ein Umbruch, den die Europäische Union erst einmal verdauen und verarbeiten muss. Wir haben es heute tatsächlich mit einer neuen EU zu tun, und der Prozess der inneren Vereinigung der erweiterten Union ist noch längst nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Mit dem formellen Beitritt der neuen Mitgliedsländer hat dieser Prozess der inneren Vereinigung überhaupt erst begonnen. Gerade wenn wir wollen, dass die EU gemeinsam vorankommt, dann müssen wir offen darüber sprechen, wie radikal unterschiedlich die Europäer heute auf Europa blicken. Die innere Vereinigung Europas setzt die innere Verständigung über Europa voraus. Diese innere Verständigung über Europa müssen wir darum massiv intensivieren. Warum ist das so wichtig? Im Westen der EU fürchten heute viele, dass alte Sicherheiten nicht mehr gelten. Nicht wenige haben Angst – Angst vor dem Verlust vertrauter Sicherheiten, 8

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vor dem Verlust des vertrauten Gesellschaftsmodells, wie sie es aus den vergangenen Jahrzehnten kennen. Auf der anderen Seite stehen die Menschen im neuen Osten der Union mit ihren Hoffnungen – und mit der Erwartung, selbst so bald wie möglich teilhaben zu können am Wohlstand, den das Europäische Wirtschaftsund Sozialmodell im Westen unseres Kontinents geschaffen hat. Beides hängt eng miteinander zusammen. Denn oft genug sind es gerade die Hoffnungen der Menschen im Osten der neuen EU – Hoffnungen auf Jobs, auf Wohlstand, auf ein besseres Leben –, die in den westlichen Mitgliedsstaaten der Union Ängste auslösen. Bekanntlich war es nicht zuletzt der angeblich allgegenwärtige „polnische Klempner“, der vor zwei Jahren das französische Verfassungsreferendum entschied. Hinzu kommen sehr unterschiedliche historische Erfahrungen. Auch in dieser Hinsicht wird Europa in den verschiedenen Mitgliedsländern, im Osten und im Westen, aus ganz verschiedenen Perspektiven wahrgenommen. Die neuen Mitgliedsländer sind eben nicht schon seit Jahrzehnten Teil der Europäischen Union. Die europäische Gründungseuphorie, die dynamischen Aufbaujahre, die dreißig „goldenen Jahre“ mit scheinbar selbstverständlichem Wachstum und Wohlstand – alle diese Erfahrungen teilen die neuen Mitglieder nicht. In den alten Mitgliedsländern wiederum weiß man oft nur wenig über die neuen. Hier besteht durchaus die Vorstellung, mit dem Beitritt der neuen Mitglieder wären die jeweiligen Vorgeschichten, die historischen Prägungen und Erinnerungen in den einzelnen Ländern nicht mehr von Bedeutung. Aber diese Vorstellung ist falsch. Wenn Europäer aus verschiedenen Teilen unseres Kontinents heute über Geschichte und Erinnerung sprechen, dann meinen sie oft völlig unterschiedliche Dinge. Mit den Augen des Anderen sehen Gerade in der jüngsten Zeit haben wir die bleibende Macht der Geschichte wieder erlebt: etwa in den Auseinandersetzungen zwischen Russland und den baltischen Staaten; oder in den Auseinandersetzungen innerhalb der polnischen oder der rumänischen Gesellschaft um den richtigen Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit. Ebenfalls um Geschichte geht es immer wieder in den innenpolitischen Kontroversen Ungarns – mindestens zurück bis zum Vertrag von Trianon aus dem Jahr 1920. Auch die jüngsten Schwierigkeiten im deutsch-polnischen Verhältnis lassen sich überhaupt nur vor dem Hintergrund der schwierigen Beziehungsgeschichte dieser beiden Nationen begreifen. perspektive21

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In der neuen, größeren EU müssen alle Beteiligten noch viel besser lernen, die verschiedenen Ansichten über die Vergangenheit zu verstehen. In Brüssel oder Berlin muss man wissen, was Trianon für Ungarn bedeutet; in Warschau oder Budapest sollte man verstehen, wie mächtig das Motiv der deutsch-französischen Aussöhnung für die Gründungsgeschichte der Europäischen Gemeinschaft gewesen ist. Von der Fähigkeit, Vergangenheit immer auch mit den Augen des Anderen zu sehen, hängt viel ab für Europas Zukunft. Die Verständigung über unsere jeweiligen Wahrnehmungen europäischer Geschichte ist aber nicht Selbstzweck, sondern ganz praktische Notwendigkeit. Wir müssen uns über unsere unterschiedlichen Sichtweisen kontinuierlich austauschen, weil Europa sonst heftig ins Stolpern geraten wird, wenn wir in Zukunft Konflikte innerhalb und außerhalb der Union zu bewältigen haben. Und das wäre ein historischer Fehler. Es gibt viele Aufgaben und Fragen, über die wir die innereuropäische Verständigung massiv intensivieren müssen. Nur dann werden wir die Zielmarke 2027 gut erhalten erreichen. Nur drei dieser Themen seien hier kurz angerissen: die Zukunft des „sozialen Europa“; Europas Beziehungen zu seinen östlichen Nachbarn; und die Zukunft der transatlantischen Beziehungen: DAS „SOZIALE EUROPA“. Oft wird heute gefragt: „Kann sich Europa sein besonderes Wirtschafts- und Sozialmodell noch leisten?“ Ich bin fest überzeugt: Wir müssen diese Frage vom Kopf auf die Füße stellen. Unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts müssen wir genau umgekehrt fragen: „Kann es sich Europa leisten, auf sein besonderes Wirtschafts- und Sozialmodell zu verzichten?“ Ich bin sicher, wir können das nicht. Die Bedingungen des 21. Jahrhunderts heißen: Wissensintensive Wirtschaft, globaler Wettbewerb und demografischer Umbruch. Und gerade deshalb kann es sich Europa heute gerade nicht leisten, sein Wirtschafts- und Sozialmodell aufzugeben. Das Leitbild eines sozialen und gerade deshalb auch wirtschaftlich dynamischen Europa ist heute aktueller denn je. Von fundamentaler Bedeutung wird dabei allerdings sein, ob wir Europäer imstande sind, dieses Erfolgsmodell zeitgemäß zu erneuern. Denn ohne energische Erneuerung geht es nicht. Wo heute vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialmodell gesprochen wird, da geht es in den west-europäischen Gesellschaften oftmals in viel zu defensiver Weise darum, an früheren Errungenschaften festzuhalten. Das ist eine Angst, die wir ernst nehmen müssen. Aber Angst lähmt. Darum ist sie immer ein schlechter Berater. Wo Angst herrscht, da werden keine neuen Wege eingeschlagen. Da fehlt der Mut, die eigenen Ziele unter veränderten Bedingungen vielleicht besser und erfolgreicher zu erreichen. Nicht jeder, der sich soziale Ab-

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sichten auf die Fahnen schreibt, erreicht auch im Ergebnis soziale Ergebnisse. Notwendig ist in der modernen Wissensgesellschaft nicht irgendeine beliebige Form von Sozialstaatlichkeit. Notwendig sind heute tatkräftige Sozialstaaten, die Menschen aktivieren und stärken, die Bürgerinnen und Bürger ermutigen und befähigen, ihr Leben aus eigener Kraft zu gestalten. Notwendig sind vorsorgende Sozialstaaten, die von Anfang an in die Potenziale Menschen investieren – in ihr Wissen und Können, in ihre Bildung, in Forschung und Entwicklung. Notwendig sind Sozialstaaten, die den Menschen verlässliche Brücken bauen – Brücken mit Geländer, über die sie ohne Furcht gehen können. Wer heute Arbeit und Wohlstand für alle will, der muss zu allererst den Zugang zu Bildung und Wissen weit öffnen: für alle, von Anfang an und immer wieder neu im Lebensverlauf. Nur wenn wir diesen Weg einschlagen, werden sich die Europäer und Europa insgesamt in der Welt behaupten. Den modernen Sozialstaat, der in die Menschen investiert, brauchen wir überall in Europa. Er ist gerade kein teurer Ballast für unsere Gesellschaften, sondern wird entscheidend zur Dynamik und Zukunftsfähigkeit unseres Kontinents beitragen. Manche europäischen Länder – vor allem hoch im Norden – weisen hierbei schon heute beträchtliche Erfolge auf. Andere hinken noch hinterher. Der Umbau vom alten, überwiegend nachsorgenden zum modernen, vor allem vorsorgenden Sozialstaat fällt schwer. Aber dieser Umbau ist unumgänglich. Alle Mitglieder der EU werden hier noch viel harte Arbeit bewältigen müssen, wenn Europa im 21. Jahrhundert gleichzeitig eine wirtschaftliche und eine soziale Macht in der Welt sein soll. Die Herausforderung ist riesig. Deshalb werden wir die öffentliche Verständigung und den ganz praktischen Austausch über die Zukunft von Wirtschaft und Sozialstaat in Europa beträchtlich intensivieren müssen. EUROPA UND SEINE ÖSTLICHEN NACHBARN. Auch hier führen unterschiedliche historische Erfahrungen zu unterschiedlichen Bewertungen; auch hier brauchen wir noch viel mehr innereuropäische Debatten über den richtigen Weg in die Zukunft. Deutlich mehr Verständigung und Austausch brauchen wir über das Verhältnis der Europäischen Union zu Russland. Nicht nur energiepolitisch sind beide Seiten aufeinander angewiesen. Darum halten wir in Deutschland das Konzept einer „strategischen Partnerschaft“ der EU mit Russland für richtig. Aber wir müssen konstatieren: Dieses Konzept wird in Europa ausgesprochen kontrovers diskutiert. Anderswo ist man skeptischer als in Deutschland. In Polen etwa betrachtet man die Dinge vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher historischer Erfahrungen deutlich anders.

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Auch diese Diskussionen müssen wir Europäer miteinander führen – geduldig, aber lösungsorientiert. Denn eines würde Europa auf Dauer tatsächlich nicht gut bekommen: dass verschiedene Gruppen von Mitgliedern der EU gegenüber Russland unterschiedliche Strategien und Politiken verfolgen und deshalb gegeneinander ausgespielt werden können. Darum braucht die EU deutlich mehr innere Verständigung, um zu einer gemeinsamen Strategie und Politik gegenüber Russland zu gelangen. Dass hierbei nicht wenig von der zukünftigen Politik Russlands selbst abhängt, versteht sich von selbst. EUROPA UND AMERIKA. Ebenfalls noch längst nicht hinreichend geklärt ist, wie es im 21. Jahrhundert mit unserem Verhältnis zu den Vereinigten Staaten weitergehen wird. Der Konflikt um den verhängnisvollen Krieg im Irak hat Europäer und Amerikaner massiv entzweit. Er hat aber auch Europäer gegen Europäer in Stellung gebracht – und Amerikaner gegen Amerikaner. Das alles ist äußerst beklagenswert, denn ihre großen internationalen Erfolge der Nachkriegszeit haben Europa und die Vereinigten Staaten regelmäßig gemeinsam erreicht: die Schaffung der UNO, den Marshall-Plan, die Gründung der Nato und vieles mehr. Heute haben wir es mit anderen globalen Herausforderungen zu tun: mit dem Aufstieg von China und Indien; mit den Gefahren von Terrorismus und der Verbreitung von Nuklearwaffen; mit Kriegen und Genoziden; mit chronischem Unfrieden im Nahen Osten und Massenmigration; mit der tiefen Krise Afrikas und, alles andere überschattend, mit einer Erderwärmung, die eines Tages die Existenz der Menschheit schlechthin in Frage stellen könnte. Ob wir diese Herausforderungen bewältigen können, wenn Europa und Amerika an einem Strang ziehen, wissen wir nicht. Sicher ist aber, dass wir an diesen Aufgaben auf jeden Fall scheitern werden, sollten Europa und Amerika auf Dauer nicht kooperieren. Unsere Werte sind nicht identisch, aber sehr eng verwandt, unsere langfristigen Interessen mindestens vereinbar. Wirtschaftlich hängen Europäer und Amerikaner stärker voneinander ab denn je. Darum sollten wir im transatlantischen Verhältnis einen ernst gemeinten neuen Anlauf nehmen – spätestens nach der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr, am besten möglichst schon deutlich davor. Gegen Ende des Jahres 2007 machen uns die beunruhigende Situation im Kosovo und ihre möglichen regionalen Auswirkungen aufs Neue klar: Frieden, Freiheit und Sicherheit in Europa verstehen sich auch im 21. Jahrhundert keineswegs von selbst. Sie müssen immer wieder erarbeitet und bewahrt werden. Am Anfang der Vereinigung Europas stand das Ziel, den erneuten Ausbruch von Kriegen auf unserem Kontinent ein für alle Mal zu verhindern. Auch daran gemessen ist die Euro-

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päische Union ein historischer Erfolg ohne Beispiel. Frieden und Freiheit, Wohlstand und sozialer Ausgleich: Diese Errungenschaften müssen wir um jeden Preis bewahren. Gelingen wird uns das aber gerade nicht, wenn wir ängstlich am bereits Bestehenden und einmal Erreichten festhalten. Bewahrung bedeutet nicht Stillstand. Bewahren werden wir Europa, indem wir es dynamisch weiterentwickeln. Tun wir das, können wir bis 2027 gemeinsam viel erreichen. ■ Der Text basiert auf einer Rede, die Matthias Platzeck am 23. November 2007 anlässlich der 17. Jahrestagung des Deutsch-Ungarischen Forums zum Thema „Europa 2027“ in Budapest gehalten hat.

MATTHIAS PLATZECK

ist Ministerpräsident des Landes Brandenburg und Landesvorsitzender der SPD. perspektive21

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katarina niewiedzial – politik der kleinen schritte

Politik der kleinen Schritte WIE WEITER IN POLEN NACH DEN WAHLEN? VON KATARINA NIEWIEDZIAL

ür das Nachrichtenmagazin Polityka handelte es sich um den „wichtigsten Urnengang seit 1989“. In der Tat war die vorgezogene polnische Parlamentswahl im Oktober in vieler Hinsicht einzigartig: Mit einem Stimmenanteil von 41,5 Prozent löste Donald Tusks liberal-konservative Bürgerplattform PO die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) der Brüder Kaczynski als stärkste Kraft ab. Das ist das beste Wahlergebnis, das im Polen der postkommunistischen Ära je eine Partei erhalten hat. Zudem lag die Wahlbeteiligung mit 54 Prozent so hoch wie nie zuvor, in einigen großen Städten betrug sie sogar rund 70 Prozent. Bei den vorangegangenen Wahlen waren es die Transformationsverlierer gewesen, die über den Ausgang entschieden; diesmal gingen verstärkt diejenigen an die Urne, die vom Beitritt Polens in die Europäische Union und vom Wirtschaftsaufschwung profitieren. Vor allem den jungen Wähler im Alter zwischen 18 und 24 Jahren verdankt Donald Tusk seine Wahl. Im Wahlkampf versprach Tusk nicht weniger als ein polnisches Wirtschaftswunder nach irischem Vorbild. „Damit es Polen besser geht“, lautete sein ambitionierter Slogan. Jetzt sind die Erwartungen der Polen an die PO hoch gesteckt. Und auch in Europa verbinden sich große Hoffnungen mit dem neuen Regierungschef. Deutschland und die EU erwarten, dass sich nach dem Abgang des konfrontativen Premiers Jaroslaw Kaczynski die Außenbeziehungen zu Polen verbessern. Denn das zusammenwachsende Europa hat an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des größten neuen EU-Mitgliedslandes ein elementares Interesse. Polen zusammen mit Tschechien ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands in Mittel- und Osteuropa. Umgekehrt wickelt Polen rund ein Drittel seines Außenhandels mit Deutschland ab. Von Tusks Wirtschafts- und Sozialpolitik hängt also nicht wenig ab – auch für Deutschland. Erste Anzeichen für eine positive Entwicklung gibt es bereits. Doch ob die Regierung Tusk der EU langfristig ein verlässlicher und kooperativer Partner sein

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wird, hängt maßgeblich von ihren innenpolitischen Erfolgen ab: Nur wenn Tusk seine Wahlversprechen weitgehend einlöst, wird er seine Position dauerhaft festigen können. Anderenfalls wäre die Versuchung groß, innenpolitische Schwäche mit populistischer Außenpolitik wettzumachen. Jedoch existieren für Tusks angekündigte Modernisierungsstrategie einige gute Voraussetzungen: In Umfragen sprechen die Polen der neuen Regierung großes Vertrauen aus; in der Koalition mit der gemäßigten Bauerpartei PSL verfügt Donald Tusk über eine voraussichtlich stabile Mehrheit im Parlament; das Wirtschaftswachstum ist nach wie vor hoch; und in den kommenden Jahren werden EU-Fördergelder in Milliardenhöhe nach Polen fließen. Ein neues Parteiensystem entsteht Zudem hat Tusks Vorgänger Kaczynski in den vergangenen zwei Jahren einige Steine aus dem Weg geräumt, die der Modernisierung des Landes im Wege standen. Was auch immer man der Kaczynski-Partei – zu recht – kritisch vorhalten mag: Sie hat die überfällige kritische Auseinandersetzung mit dem kommunistischen Erbe des Landes auf die politische Tagesordnung gesetzt und obendrein mit Vehemenz den Kampf gegen die osteuropäischen Krankheit der Korruption aufgenommen. Übrigens teilen PO und PiS die Analyse, dass die fehlende Vergangenheitsbewältigung im Übergang vom Kommunismus in die Demokratie den polnischen Staat bis heute lähmt. Maßnahmen wie die Einrichtung der Korruptionsbehörde CBA wird Tusk daher nicht rückgängig machen. Jedoch verschiebt er den Fokus in Richtung der bislang vernachlässigten Ebene der zukunftsrelevanten policies auf den Gebieten Wirtschaft und Soziales. Sein voraussichtlicher Regierungsstil könnte Tusk dabei helfen. Der 50-Jährige setzt auf Dialog: Er möchte das Vertrauen der Menschen in den Staat wiedergewinnen und die tiefe gesellschaftliche Spaltung zwischen den Verlierern und Gewinnern der Transformation lindern. Dass er sich mit seinem kleinen Koalitionspartner PSL schnell einigen konnte, kann als Indiz für Tusks Kompromissfähigkeit und Willen zur Moderation gelten. Darüber hinaus könnte für Tusk von Vorteil sein, dass sich das polnische Parteiensystem merklich stabilisiert hat. Die ideologisch polarisierte Konfliktlinie zwischen Postkommunisten einerseits und Anhängern der Solidarnosc andererseits löst sich immer weiter auf. Aus dem unruhigen Mehrparteiensystem mit seinen ständigen Parteineugründungen entsteht ein System mit zwei Großparteien, das sich entlang der Konfliktlinie bürgerlich-liberal versus kleinbürgerlich-sozialkon16

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servativ formiert. Fast drei Viertel aller Polen wählten im Oktober eine Partei, die bürgerliche Werte vertritt. Die postkommunistisch-sozialdemokratische Linke sowie populistische Parteien am rechten Rand spielen nur noch marginale Rollen. Diese günstigen Vorzeichen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Regierung Tusk vor einer Reihe von Hindernissen steht. Nach wie vor ist Präsident Lech Kaczynski von der PiS im Amt. In Polens semi-präsidentiellem Regierungssystem verfügt er über wichtige, vor allem außenpolitische Kompetenzen und kann Gesetzesvorhaben blockieren. Kaczynski hat bereits angekündigt, von diesem Recht ausgiebig Gebrauch zu machen. Unterstützung erhält er von seiner mitnichten „geschlagenen“ Partei: Die PiS hat im Vergleich zu der Wahl im Jahr 2005 fast zwei Millionen Wähler hinzugewonnen. Sie wird eine aggressive Oppositionspolitik gegenüber der Regierung betreiben und konsequent daran arbeiten, ihr sozialkonservatives Profil zu schärfen. Der PiS kommt zugute, dass ihre Wählerschaft relativ homogen ist: Es handelt sich vor allem um die Modernisierungsverlierer, die „einfachen Polen“, die Landbevölkerung, die konservativen Katholiken und Hörer des erzkonservativen Radio Maria. „Wir sprechen 50 Prozent der Polen an“, hatte Jaroslaw Kaczynski im Wahlkampf erklärt, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die PiS die vielfältigen Wünsche der anderen Hälfte der Polen kaum berücksichtigen muss. Diese Konstellation verspricht einige Polarisierung im politischen Prozess. Nicht für die neue, sondern gegen die alte Regierung Im Gegensatz zu den Anhängern der PiS bilden die Wähler der PO eine äußerst heterogene Gruppe. Die meisten von ihnen stimmten nicht für die PO, sondern vor allem gegen Jaroslaw Kaczynski, der sich in seiner zweijährigen Regierungszeit weit von der gesellschaftlichen Mitte entfernt hatte. Viele Polen waren der Meinung, Kaczynskis radikaler, konfrontativer und autoritärer Regierungsstil schade dem Ansehen Polens im Ausland und zahle sich in der Sache nicht aus. Um eine „IV. Republik“ zu etablieren und mit den alten kommunistischen Seilschaften abzurechnen, hatte die PiS-Regierung mit fragwürdigen Methoden gearbeitet, darunter Abhöraktionen bei politischen Gegnern und vorgetäuschte Bestechungsversuche. Das versprochene Projekt eines „solidarischen Polens“ blieb hingegen aus: Weder baute Jaroslaw Kaczynski die vollmundig angekündigten Sozialwohnungen, noch trieb er den Ausbau von Autobahnen und Straßen voran. Nicht zuletzt nahmen viele ehemalige Anhänger der PiS ihrer Partei die Koalition mit der radikalen Bauernpartei „Selbstverteidigung“ und der nationalistischen perspektive21

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„Liga polnischer Familien“ (LPR) übel. Die permanenten Skandale um die beiden Koalitionspartner sowie die feindselige Haltung gegenüber den Intellektuellen des Landes schadeten der PiS. Mit dieser Strategie zog sie am Ende zwar viele ehemalige Wähler der beiden populistischen Koalitionspartner zu sich herüber, verlor aber etliche konservative Anhänger aus der Mitte an die PO. Die Vetomacht des Präsidenten, die Stärke, Homogenität und Radikalität der Opposition, die Heterogenität der PO-Anhängerschaft und das fehlende positive Votum der Wähler für eine Reformpolitik sind beträchtliche Hemmschuhe für einen Kurs der konsequenten Erneuerung des Landes. Donald Tusk versucht dieses Dilemma aufzulösen, indem er – hierin erfolgreichen Vorbildern wie Anders Fogh Rasmussen oder David Cameron nacheifernd – das Image des reinen Marktliberalen ablegt und alle sozialen Gruppen gleichermaßen anspricht. Dass sich Tusks Versprechen allerdings kaum miteinander vereinbaren lassen werden, zeigte bereits seine erste Regierungserklärung Ende November, in der er mehr Geld für die Lehrer, Ärzte sowie die übrigen Bediensteten des Öffentlichen Dienstes versprach und gleichzeitig die Senkung der Steuern und Sozialabgaben ankündigte. In seiner dreistündigen und sehr kleinteiligen Rede (die die Opposition an Fidel Castro erinnerte) zählte er Reformprojekte für zahlreiche Politikfelder auf und betonte gleichzeitig immer wieder, den Bürgern keine Zumutungen aufbürden zu wollen. Reformen in Wirtschafts- und Sozialpolitik sind unabdingbar Trotz seiner zahlreichen Ankündigungen nannte Tusk nur wenige konkrete Maßnahmen und setzte keine klaren Schwerpunkte. Dennoch lässt sich anhand der Rede die künftige Handschrift der neuen Regierung erahnen: Es wird eine Politik der vielen kleinen Schritte sein, die in der Summe etwas Großes ergeben sollen. Tusks Politik ist darauf ausgerichtet, Zuversicht zu wecken und Ergebnisse zu erzielen, die sich kurzfristig für die Menschen auszahlen – was wiederum neue Zuversicht zur Folge haben soll. Das ist schon deshalb wichtig, weil im Jahr 2010 die Präsidentschaftswahlen anstehen, in denen Tusk womöglich als Präsidentschaftskandidat gegen Lech Kaczynski antreten wird. Um diesen sozialen Kuschelkurs betreiben zu können, muss die polnische Wirtschaft weiter kräftig wachsen. Auch die polnische Regierung kann jeden Zloty nur einmal ausgeben. Doch um dauerhafte wirtschaftliche Dynamik zu erzielen, muss Polen grundlegende Strukturreformen auf den Gebieten Bildung und Arbeitsmarkt, Gesundheit, Alterssicherung und Innovation vornehmen. Macht Tusk hier18

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mit ernst, wird er nicht umhin kommen, soziale Konflikte auszutragen. Probleme mit dem Koalitionspartner PSL und deren strukturkonservativer Klientel sind somit programmiert; dies umso mehr, als die Bauernpartei die zentralen Ressorts Wirtschaft und Arbeit inne hat. Das Dilemma der Gleichzeitigkeit Doch gerade auf dem Arbeitsmarkt kulminieren viele Defizite der polnischen Wirtschafts- und Sozialpolitik: Die strukturell und regional verfestigte Arbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch, besonders in den gering qualifizierten Gruppen der jüngeren und älteren Bevölkerungsschichten, die Erwerbsquote liegt gerade mal bei 53 Prozent. Dies liegt zum einen am veralteten Bildungssystem, das die berufliche Bildung vollkommen vernachlässigt. Zum anderen schafft ein aus sozialistischer Zeit verbliebenes Frühverrentungssystem vielfältige Anreize, vorzeitig aus dem Arbeitsmarkt auszuscheiden. Hinzu kommt, dass seit dem Beitritt in die Europäische Union ein großer Teil der jungen Menschen nach Großbritannien und Irland abgewandert ist. Das hat dazu beigetragen, dass Polen heute strukturelle Arbeitslosigkeit und einen – mittlerweile dramatischen – Fachkräftemangel zugleich erlebt. Ihre bisherigen Erfolge verdankt die polnische Außenwirtschaft weniger hoher Qualität als niedrigen Arbeitskosten. Doch inzwischen steigen die polnischen Löhne, und Unternehmen wandern zu billigeren Standorten ab. Klar ist deshalb, dass sich die polnische Wirtschaft – wie die deutsche – in den kommenden Jahrzehnten zunehmend im globalen Qualitätswettbewerb behaupten muss. Schon lange verweisen Fachleute darauf, dass Polen seine Wirtschaft auf die Produktion hochwertiger Waren und Dienstleistungen umstellen muss. Darauf allerdings ist das Land noch nicht vorbereitet. Will Polen weiter konkurrenzfähig bleiben, muss es massiv in neue Technologien investieren, die wiederum ohne zeitgemäße Bildungs- und Wissenschaftslandschaften nicht zu haben sein werden. Donald Tusk steht also vor einem „Dilemma der Gleichzeitigkeit“, mit dem es alle Transformationsländer zu tun bekommen. Er muss zugleich den wirtschaftlichen Aufschwung verstetigen, den Lebensstandard der Menschen erhöhen und die verkrusteten sozialen Systeme modernisieren – alles auf einmal und alles zugleich. Eine Politik der kleinen Schritte verspricht höhere Popularitätswerte, reicht aber angesichts der strukturellen Schwierigkeiten nicht aus. Erfolgreich wird der neue Premierminister nur sein, wenn er sichtbare Prioritäten setzen – und die strategische Vision eines polnischen Wirtschafts- und Sozialmodells entwickelt, das zu den perspektive21

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Bedingungen des 21. Jahrhunderts passt. Hier allerdings würde Tusk Neuland betreten. Denn abgesehen von Interventionen vereinzelter Wissenschaftler und Publizisten wird in der polnischen Öffentlichkeit bislang kaum eine tiefgehende Debatte über die entwicklungspolitische Zukunft des Landes geführt. Dabei kann Donald Tusk durchaus von den Brüdern Kaczynski lernen: Es ist das historische Verdienst der PiS, die wichtigste Debatte über den Zustand und die Ausgestaltung der polnischen Demokratie seit 1989 angezettelt zu haben. Dieses Prinzip des entschlossenen Agenda-Setting sollte Tusk nun für das Politikfeld Wirtschaft und Soziales übernehmen. Als Bedingung für zukunftsgerichtetes Handeln ist eine wirtschafts- und sozialpolitische Grundsatzdebatte nicht nur in der Sache dringend geboten. Sie wäre auch ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Stabilisierung des politischen Systems. ■

KATARINA NIEWIEDZIAL

ist Geschäftsführerin des Think Tanks „Progressives Zentrum“ in Berlin. 20

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Mit langem Atem IM KAMPF GEGEN DEN RECHTSEXTREMISMUS GIBT ES KEINE EINFACHEN LÖSUNGEN VON GÜNTER BAASKE

icht und Schatten liegen nah beieinander. Es ist erst wenige Monate her, dass im sächsischen Mügeln acht Inder von einem fremdenfeindlichen Mob durch die Stadt gejagt wurden. Der überforderte Bürgermeister meinte, dass „Ausländer raus!“-Rufe doch jedem mal über die Lippen kommen könnten. Der deutsch-nationalen Zeitung „Junge Freiheit“ gab er bereitwillig ein Interview und verrannte sich vollends. Wasser auf die Mühlen derjenigen, die meinen, dass einige Kommunalpolitiker selbst Teil des Rechtsextremismusproblems sind? Es gibt auch andere Beispiele, in den Rathäusern und Gemeinderäten, wo man der Verantwortung für die lokale Demokratie gerecht wird. Manfred Richter, Bürgermeister von Rheinsberg, ist einer, der nicht abwartet oder beschwichtigt. Der erste Schritt ist oft der schwierigste: sich einzugestehen, dass es ein „rechtes Problem“ im Ort gibt. Nach mehreren Übergriffen auf Ausländer in dem kleinen nordbrandenburgischen Ort hat der Bürgermeister einen Prozess begonnen, an dessen Ende das Engagement nicht nur einiger Aktivisten sondern der ganzen Stadt stehen

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soll. Richters Ziel: Alle müssen mitmachen, wenn Rheinsberg nicht als „braunes Nest“ verschrien sein soll. Das ist jetzt schon eine Zeitlang her und zeitigt erste Erfolge. Auch Johannes H. Lohmeyer, Hoteldirektor aus Dresden, beweist Zivilcourage, indem er die Hotelübernachtungen zweier NPD-Männer storniert. In einem offenen Brief teilt er den beiden Neonazis mit, er könne seinen Mitarbeitern nicht zumuten, „sie zu begrüßen und zu bedienen“. Die ersten Banken sind dabei, der NPD und ihren Mitgliedern die Konten zu kündigen, der im Oktober geplante NPD-Bundesparteitag platzte und ihre Schülerzeitung durfte sie auch nicht verteilen. Allesamt Beispiele, die zeigen, welche Möglichkeiten es gibt, um den Rechtsextremen das Leben schwer zu machen. Mittlerweile klingen die Verlautbarungen der Rechten zunehmend weinerlicher. Aus der Defensive ist nicht gut Propaganda zu machen. Ihre Motivation erlahmt zunehmend. So haben die Rechtsextremen zum ersten Mal seit Jahren verzichtet, am 18. November zum sogenannten „Heldengedenken“ perspektive21

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nach Halbe zu mobilisieren. Die Großdemonstrationen der Demokraten in den vergangenen beiden Jahren haben die Nazis in die Flucht geschlagen. Dieses bürgerschaftliche Engagement wurde ergänzt durch ein neues Gräbergesetz, das verhindert, dass die Ewiggestrigen Andenken und Würde der in Halbe, Seelow und anderen Orten ruhenden Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft missbrauchen können. Wird also alles gut? Mitnichten, denn alte und neue Nazis vergiften das Klima. Laut einer repräsentativen Befragung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos ist die Abschreckung durch den Rechtsextremismus so stark, dass immer weniger Deutsche Lust haben, ihren Urlaub in Sachsen oder Sachsen-Anhalt zu verbringen. So erleidet die Tourismusbranche Mecklenburg-Vorpommerns Umsatzeinbußen zwischen 120 und 200 Millionen Euro pro Jahr, weil das Land nach dem Einzug der NPD in den Schweriner Landtag mit einem rechtsextremen Makel leben muss. Gesamtwirtschaftlich ist der Schaden noch größer, denn der braune Geist und die Wahlerfolge rechtsextremer Parteien zerstören nicht nur Arbeitsplätze in Hotels oder Restaurants. Die neuen und alten Nazis untergraben den wirtschaftlichen Aufschwung Ostdeutschlands. Unsere Ökonomie ist heute abhängig von Toleranz und Internationalität. Allein in Brandenburg haben über 300 Investoren aus 40 22

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Ländern über 40.000 Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert. Der Export der Brandenburger Wirtschaft ist in den vergangenen beiden Jahren jeweils um ein Drittel gewachsen. Wer auf ausländischen Märkten Erfolg haben will, kann sich Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus im Inneren nicht erlauben. Unsere Wirtschaft ist heute zu einem großen Teil von Wissen und Innovation abhängig – und dies entsteht nicht nur in Berlin und Brandenburg. Wir sind heute auch auf Fachleute angewiesen, die jenseits von Elbe und Oder aufgewachsen sind. Dass wir Talente und Technologien anziehen können, zeigt der erfolgreiche Aufschwung der Solarindustrie in Frankfurt (Oder): First Solar kommt aus Arizona, britische und chinesische Investoren unterstützen Oder Sun. Es ist wahrlich nicht so, dass uns Ausländer Arbeit wegnähmen, wie von den Nazis behauptet. Vielmehr ist es genau umgekehrt. Und schon deshalb ist der Kampf gegen die alten und neuen Nazis so wichtig wie nie. Dabei gibt es weder einen Königsweg noch schnelle Erfolge. Aus meiner Sicht geht es um fünf Punkte. 1. Hart gegen rechte Kriminalität… Wir brauchen den permanenten Druck von Staat und Gesetz. Die Feinde der Demokratie dürfen die Demokratie nicht einen Tag lang als schwach erleben. Polizei und Staatsanwalt müssen


günter baaske – mit langem atem

mit aller Härte gegen „große“ und „kleine“ Nazis vorgehen. Jeder soll wissen, dass der Staat Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus nicht toleriert, dass jedes noch so kleine Vergehen gegen Freiheit und Demokratie geahndet wird. Diese Strategie beginnt zu greifen. Auch wenn jede Gewalttat eine zu viel ist: Seit 2004 ist die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten um 15 Prozent zurückgegangen. Repression muss aber ergänzt werden um Ausstiegsoptionen. Wer auf dem Irrweg ist, soll die Chance erhalten, sich zu ändern. Deshalb brauchen wir Aussteigerprogramme. Wir brauchen sie, um Menschen zu helfen, aus dem Abseits wieder zurück in die Gesellschaft zu finden. Erst jüngst konnte man in Sachsen sehen, dass junge Männer nach einer Razzia den Weg direkt in ein Aussteigerprogramm gefunden haben. Wer selbst erkennt, dass Fremdenhass und Rechtsextremismus für ihn keine Option für die Zukunft sind, soll eine zweite Chance erhalten. 2. … und hart gegen ihre Ursachen Jedoch: Härte allein reicht nicht. Wir müssen deshalb genau auf die Ursachen von Rechtsextremismus schauen. Denn niemand gerät aus blauem Himmel auf die schiefe Bahn. Dabei sollte man auch gleich mit einem Vorurteil aufräumen: Rechtsextremismus ist weder ein Ost-, noch ein Jugendphänomen. Wir haben es heute in Ost wie West mit einem

mehr oder weniger konstanten Sockel von 8-10 Prozent rechtsextremer Einstellungen zu tun. Besonders anfällig für rechtsextremes Gedankengut sind Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, mit unsicheren Zukunftsperspektiven. Menschen, die daran zweifeln, dass Demokratie und Marktwirtschaft ihr Leben verbessern kann. Viele Menschen stellen – zu Recht – einfache Fragen: Werde ich auch mit 55 Jahren noch Arbeit haben? Zu welchem Lohn? Wie unterstützt der Staat die Bildung meiner Kinder? Wird es normal, dass sie eine Stunde zur Schule fahren müssen? Werde ich eine auskömmliche Rente haben? Politik und Parteien müssen zuhören, Probleme aufgreifen und Antworten auf diese Fragen finden. Es sind vielleicht nicht immer einfache Antworten, aber Antworten müssen sein. Populisten und Sprücheklopfer, die am Stammtisch das Blaue vom Himmel versprechen, wird es immer geben. Demokraten aber müssen inhaltlich überzeugen. Es gibt gute Gründe, die Auswüchse des globalen Kapitalismus zu kritisieren, Tariftreue und Mindestlöhne zu fordern und das Recht auf gute Arbeit einzufordern. Der Rechtsextremismusforscher Richard Stöss spricht davon, dass die Eindämmung des Rechtsextremismus nur gelingen kann, wenn wir auch das Vertrauen in unsere Wirtschaftsordnung wieder herstellen – und zwar in Ost und West. Deshalb setzen wir uns ein für eine Gesellschaft der Teilhabe und des soziaperspektive21

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len Aufstiegs. „Neue Leitern“ sollen helfen, dass Menschen am wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes teilhaben können. „Neue Leitern“ heißt, dass wir uns noch stärker als bisher dafür einsetzen, die Zahl der Schulabbrecher zu reduzieren, die Rahmenbedingungen für Familien zu verbessern, die Chancen von Älteren auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Es muss uns darum gehen, das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft zu stärken, soziale, wirtschaftliche oder demografische Veränderungen zu erklären und neue Fragen zu beantworten. Das ist die Aufgabe demokratischer Parteien – und wenn ihnen das gelingt, fehlt den Stammtischpopulisten auch der Nährboden für ihre hohlen Phrasen. 3. Widerlegen und aufklären Bei der Kommunalwahl im September 2008 plant die NPD möglichst flächendeckend anzutreten. Es heißt, dass sie derzeit in der Lage wäre, in 12 von 14 Kreisen Kandidaten aufzustellen. Mit einer „Kaderoffensive“ hat die NPD bereits begonnen, ihre Mitglieder auf die Wahlauseinandersetzung vorzubereiten. Dem muss man nicht hilflos gegenüberstehen. In manchen Dörfern und Städten ist der Widerstand gegen Rechts noch unsicher und suchend. Doch nicht mehr Geld würde das Problem lösen, sondern nur mehr Engagement. Gerade im Vorfeld der Kommunalwahl müssen sich 24

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demokratische Bürgerinitiativen, Wählervereinigungen und Parteien verabreden, um gemeinsam gegen braune Kandidaten vorzugehen. In jeder Gemeinde gibt es Aufrechte, die einen runden Tisch einberufen, an dem Polizei, Lehrer, Vereinsvorsitzende, Bürgermeister und andere Interessierte über die Maßnahmen vor Ort diskutieren. Der Kampf gegen den Rechtsextremismus ist nicht nur eine Sache des Staates, sondern aller Bürger. Ein Verbot der NPD würde den Rechtsradikalismus nicht beseitigen. Natürlich ist es ärgerlich, dass die NPD mit Steuergeldern ihre falsche Propaganda vertreiben darf. Aber Ursachen lassen sich nicht wegbeschließen. Toralf Staud hat Recht, wenn er über die NPD sagt: „Nicht verbieten, sondern widerlegen“. Vor den rechtsextremen Argumenten braucht niemand Angst zu haben, sollte ihnen aber auch nicht blauäugig gegenübertreten. Harte Diskussionen lassen sich bestehen – mit guter Schulung. Die Mobilen Beratungsteams des Brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung demos beraten und unterstützen nicht nur, sondern schulen auch für den verbalen Schlagabtausch mit den Demokratieverächtern und Rechtsaußen. Lohnenswert ist ein Blick auf das Verhalten der Rechtsextremen in den Länderparlamenten. Sie haben nichts zu bieten, außer Nullnummern und Dampfplauderei. Mit rüdem und peinlichem Politikstil versagen sie inhaltlich


günter baaske – mit langem atem

auf ganzer Linie, verlesen vorgefertigte Reden, die sie bisweilen nicht nachvollziehen können und kassieren Ordnungsrufe, die sich gewaschen haben. Doch manche der Parlamentarier wissen ganz genau, was sie tun. Sie sind „Wölfe im Wolfspelz“. Im Nähmaschinenstakkato ratterte der sächsische NPD-Fraktionschef Holger Apfel anlässlich einer Debatte zur Zuwanderung am 9. Mai im Dresdner Landtag eine Hetzrede herunter. Er schimpfte auf „staatsalimentierte orientalische Großfamilien“, „arrogante Wohlstandsneger“, die nicht „alle unterschiedslos als Menschen“ zu betrachten seien und auf die Parteien: Sie seien „schwarz-rot-gelb-grüne Volksabwickler“. Man kann versuchen solchen Reden mit Geschäftsordnungen, Ermittlungsverfahren oder Sitzungsausschlüssen zu begegnen. Ganz stoppen wird man die Braunen nicht. Aber gerade den Wählern von NPD und DVU muss man deutlich machen, dass ihre Stimmabgabe rein gar nichts bringt außer wilden Sprüchen und provozierenden Auftritten. DVU- oder NPD-Abgeordnete haben noch keinem Sachsen, Brandenburger oder Mecklenburger das Leben leichter gemacht. 4. Langer Atem statt Aktionismus Bei aller Leidenschaft ist Aktionismus der falsche Weg. Das brandenburgische Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlich-

keit, das in diesen Monaten seinen 10. Geburtstag feiert, leistet, wie auch das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ nachhaltige, wertvolle Arbeit. Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus gibt es keinen Königsweg, aber viele Trampelpfade, die auf kurzen und langen Wegen zum Ziel führen. Deshalb werden wir auch in den kommenden Jahren erhebliche Mittel in die Unterstützung von Zivilgesellschaft investieren müssen. Mitgefühl und Bildung sind die besten Waffen, die wir unseren Kindern im Kampf gegen den Rechtsextremismus an die Hand geben können. Wer verinnerlicht hat, wie Demokratie und Mitsprache funktionieren, was es für Vorteile hat, wenn in der Familie wie im Staat nicht mehr geprügelt und unterdrückt wird, der mag nicht mit den Braunen spielen. Gegen Gewaltfetischismus und das Recht des Stärkeren, die Unterwerfung unters Kollektiv und nationalsozialistische Ideologieversatzstücke müssen wir unsere Werte setzen. Das verlangt Liebe und Mitgefühl in der Kindererziehung, Anerkennung und Zuspruch seitens der Schule. Vor allem braucht es eine starke – und wehrhafte – Demokratie. Deshalb plädiere ich für einen Verfassungszusatz, der die Verbreitung von rassistischem und rechtsextremem Gedankengut verhindert. Der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern hat in diesem Herbst mit den Stimmen aller perspektive21

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demokratischen Parteien als eines der ersten Länder Friedenspflicht und Gewaltfreiheit in seiner Landesverfassung verankert. Wir sollten diesem guten Beispiel folgen. Die Verfassung repräsentiert unseren Wertekonsens. Wir täten gut daran, diesen Konsens zu erweitern. Das stärkt die Demokratie und schwächt diejenigen, die rassistisches und extremes Gedankengut verbreiten. Wir würden damit die Tradition des Großen Kurfürsten wiederbeleben. Der hatte mit dem Edikt von Potsdam 1685 zum ersten Mal auf europäischem Boden Toleranz gegenüber anders Denkenden und Glaubenden zur Staatsdoktrin erklärt und damit den Grundstein für ein weltoffenes und florierendes Gemeinwesen gelegt. 5. Heimat mit Zukunft Wer den Rechtsextremismus und -populismus bekämpfen will, muss die Köpfe und Herzen der Menschen gewinnen. Dies gelingt demjenigen, der ein überzeugendes Zukunftsbild der eigenen Heimat entwerfen kann. Wer einen plausiblen Entwurf eines lebenswerten, menschen-

freundlichen und ökonomisch erfolgreichen Brandenburgs für alle entwickelt, wird allen Hasspredigern überlegen sein. Es geht um handfeste Lebenschancen in einer Heimat mit Zukunft. Deshalb müssen wir – immer weiter – für bessere Bildung, bessere Kinderbetreuung und bessere Durchlässigkeit in den Schulen sorgen. Gute Bildung sichert gute Arbeit und ein auskömmliches Leben. Wir brauchen noch mehr Leute, die sich einmischen, die sich für ihre Heimat engagieren. Die wahren Brandenburger Patrioten sind diejenigen, die dafür sorgen, dass unsere Gemeinschaft zusammenhält. Es sind die ehrenamtlichen Feuerwehrleute, es sind Eltern, die sich für die Schulbibliothek engagieren, es sind die Väter und Mütter, die den Fußballklub am Laufen halten, es sind die Lehrer und Schüler, die sich für eine „Schule ohne Rassismus“ einsetzen. Sie alle stehen dafür, dass in Brandenburg auch weiterhin ein Gefühl des Gemeinsinns entsteht. Das ist es, was unser Land lebenswert macht. Je mehr Menschen sich für ihre Heimat engagieren, umso weniger werden die Rechten eine Chance haben. ■

GÜNTER BAASKE

ist Fraktionsvorsitzender der SPD im Brandenburger Landtag und stellvertretender Landesvorsitzender der SPD. 26

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„Wir brauchen mehr Demokratieerziehung“ ÜBER DAS HANDLUNGSKONZEPT „TOLERANTES BRANDENBURG“ , VERBOTE UND DEMOKRATIE AN SCHULEN SPRACH THOMAS KRALINSKI MIT BURKHARD JUNGKAMP PERSPEKTIVE 21: Nach zahlreichen fremdenfeindlichen Übergriffen und zunehmendem Rechtsradikalismus entschied sich die Landesregierung 1998, ein Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ zu entwerfen. Was war das Ziel? BURKHARD JUNGKAMP: Das Ziel war und ist die Entwicklung eines positiven, weltoffenen und toleranten Klimas in Brandenburg. Wir wollen die Bevölkerung motivieren, sich gegen Rechtsextremismus, gegen Fremdenfeindlichkeit und gegen Rassismus zu engagieren. Aus meiner Sicht ist dies ein ganz wichtiger Punkt: Menschen aufrütteln, damit sie gemeinsam antidemokratische Bewegungen stoppen. Das Handlungskonzept will dazu beitragen, dass Menschen den Mut haben, sich zu positionieren. Wir brauchen eine Kultur des Hinschauens bei fremdenfeindlichen Übergriffen. Und wir wollen, dass Menschen stärker für unsere demokratische Gesellschaft einstehen. Und natürlich gehört dazu

auch der kreative und engagierte Widerstand gegen diejenigen, die das Klima vergiften und Angst verbreiten. Ist das Rezept erfolgreich gewesen? JUNGKAMP: Auf jeden Fall. Ich nehme deutlich wahr, dass das Handlungskonzept von der Gesellschaft angenommen wird. In den Kommunen beobachte ich eine zunehmende Sensibilisierung im Umgang mit demokratiefeindlichen Aktionen und Gruppen. Die Zahl derjenigen, die sich engagieren und positionieren, steigt kontinuierlich an. Überall im Land gibt es lokale Aktionsbündnisse, Runde Tische, Vereins- und Verbandsaktivitäten, dazu kommt der unermüdliche Einsatz einzelner Bürgerinnen und Bürger. Zudem sind in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von wichtigen gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen Partner des Handlungskonzeptes „Tolerantes Brandenburg“ geworden, darunter der Landessportbund, die AOK, die LIGA der freien perspektive21

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Wohlfahrtsverbände, die TourismusMarketing GmbH, der Landesfeuerwehrverband und der DGB mit seinen Einzelgewerkschaften, um nur einige zu nennen. Was mich besonders freut, ist die zunehmende Anerkennung der Arbeit des Handlungskonzeptes jenseits der Landesgrenzen. So wird der Ansatz der so genannten Mobilen Beratungsteams, der in Brandenburg entwickelt wurde, mittlerweile von anderen Bundesländern übernommen und auch durch den Bund im Rahmen der Bundesprogramme als Beratungskonzept adaptiert.

extremismus investiert. Darüber hinaus stehen dem „Toleranten Brandenburg“ seit 2005 auch etwa 200.000 Euro Lottomittel für Einzelprojekte zur Verfügung, hinzu kommen weitere Haushalts- bzw. Lottomitteln aus anderen Ministerien. Ich will nicht bestreiten, dass wir immer noch ein „braunes Problem“ haben. Aber die Zivilgesellschaft ist stärker geworden, auch die Zahl der Gewalttaten hat abgenommen. Am Ziel sind wir jedoch noch lange nicht. Mehr Geld kann ich jedoch nicht versprechen. Ich glaube auch nicht, dass dies das Problem allein lösen würde.

Mehr Geld löst das Problem nicht Sondern? Ist das Handlungskonzept ein Allheilmittel im Kampf gegen den Rechtsextremismus? JUNGKAMP: Nein. Wir sollten das Handlungskonzept nicht überschätzen, es nicht überfordern. Es ist ein richtiger und wichtiger Ansatz, aber kein Allheilmittel. Es lebt in erster Linie durch das Engagement der zahlreichen zivilgesellschaftlichen Gruppen, Projekte und Beratungsstellen. Und die machen alle eine sehr gute Arbeit. Das lässt sich in Zahlen überhaupt nicht ausdrücken. Aber in Geld? JUNGKAMP: Wir haben in den vergangenen zehn Jahren rund 10 Millionen Euro in die Bekämpfung des Rechts28

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JUNGKAMP: Der Kampf gegen den Rechtsextremismus kann nicht von oben verordnet werden, sondern jeder einzelne muss erkennen, dass Fremdenfeindlichkeit, dass Intoleranz, dass Gewalt unserem Land schaden. Diesen Erkenntnisprozess wollen wir mit dem Handlungskonzept voranbringen. Und das gelingt zunehmend.

Keine Alternative zur Aufklärung Woran zeigt sich das? JUNGKAMP: Wir sind sehr stolz darauf, dass die Brandenburger die Rechten aus Halbe vertrieben haben. Die Rechtsextremisten haben aufgegeben, diesen Ort weiter für sich zu besetzen und das Gedenken an die Toten aus dem Zweiten


burkhard jungkamp – wir brauchen mehr demokratieerziehung

Weltkrieg für ihre Ideologie zu missbrauchen. Wo immer sich die Nazis mit Demonstrationen ankündigen, zeigt die Bürgerschaft die rote Karte. Das war – leider – nicht immer so. Die Aufklärung scheint aber noch nicht überall zu funktionieren. Wenn man Schüler den Ausländeranteil schätzen lässt, erhält man Zahlen zwischen 10 und 40 Prozent – bei realen 2 Prozent. JUNGKAMP: Ja, wir haben noch nicht jeden erreicht. Aber ich sehe keine Alternative zum Weg der Aufklärung. Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Ich möchte, dass wir in den Schulen Demokratieerziehung groß schreiben. Das muss im täglichen Unterricht geschehen, im Schulalltag. Hier können auch Schulprojekttage helfen, beispielsweise Projekte zum Thema „Demokratie und Teilhabe“. Welche Säulen enthält das „Tolerante Brandenburg“ heute, fast zehn Jahre nach seiner Gründung? JUNGKAMP: Es geht im Wesentlichen um drei Ebenen. Zum einen geht es um klare politische Signale. Das geschieht durch die Landesregierung mit Hilfe ihres Leitbildes vom „Toleranten Brandenburg – für eine starke und lebendige Demokratie“. Zweitens unterstützen wir zahlreiche Projekte auf örtlicher Ebene und bauen landesweite Strukturen beim Kampf gehen Rechtsradikalismus auf. Die dritte Säule ist

die Repression. Der konsequente Verfolgungsdruck durch Polizei und Justiz zeitigt Folgen, zum Beispiel wenn Propagandamaterial in großen Mengen beschlagnahmt, eine Internetseite abgeschaltet wird oder sogenannte Kameradschaften verboten werden. Nur wenn alle an einem Strang ziehen, werden wir zu einer grundlegenden Veränderung auch in der Gestaltung der Alltagskultur in den Dörfern und Städten Brandenburgs kommen. Kein Jugendproblem Konzentriert man sich dabei nicht zu sehr auf den organisierten Rechtsextremismus? JUNGKAMP: Das wäre in der Tat falsch. Rechtsextremismus ist eher eine gesamtgesellschaftliche Folgeerscheinung. Rechtsextremistische Entwicklungen lediglich als „Jugendproblem“ zu begreifen, greift viel zu kurz, denn der Rechtsextremismus kommt aus der Mitte unserer Gesellschaft. Und er muss auch dort bekämpft werden und das so früh wie möglich. Ein wichtiges Feld sind die Unternehmen. Ich finde es ganz hervorragend, dass sich beispielsweise ein Unternehmen wie Arcelor Mittal in Eisenhüttenstadt hinstellt und sagt, wer sich rechtsradikal betätigt, fliegt raus. Ein zweites wichtiges Feld sind die Familien. Wieso? JUNGKAMP:

Rechtsextremismus hat perspektive21

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häufig soziale Ursachen. Wenn wir die Ursachen von Bildungsarmut, von Hoffnungslosigkeit bekämpfen, wenn wir Eltern unterstützen, können wir auch die Ursachen von Rechtsextremismus bekämpfen. Stabile Familien und gute Schulen sind gut gegen rechte Rattenfänger. Wir brauchen eine Wertedebatte Kriegt das die Regierung alleine hin? JUNGKAMP: Nein, sicher nicht allein. Wir können für gute Bildungs- und eine vorsorgende Familienpolitik sorgen. Aber wir sind auch angewiesen auf die Zivilgesellschaft, auf die Phantasie, den Mut und den Willen etwas zu tun von jedem einzelnen Bürger. Das Handlungskonzept soll dabei eine Stütze sein. Es bietet, wo es gewünscht ist, professionelle Beratung zur Unterstützung und Ausprägung bürgerschaftlichen Engagements an. Das Zusammenspiel dieser drei Ebenen ist eine sinnvolle Kombination und eine Erfolg versprechende Strategie. In den neunziger Jahren hatte man es hauptsächlich mit „nicht-organisiertem“ Rechtsextremismus zu tun. Heute sieht es so aus, als mache sich der „organisierte“ breit. Die NPD wird in vielen Landesteilen immer aktiver. Hat das Handlungskonzept da etwas übersehen? JUNGKAMP: Nein, das Handlungskonzept zielt ja nicht allein auf die Auseinandersetzung mit der NPD, sondern viel30

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mehr auf die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in all seinen Schattierungen. Die politische Schwerpunktsetzung des Handlungskonzepts bietet einen großen Spielraum, auf tatsächliche und sich verändernde demokratiefeindliche Erscheinungen einzugehen. Aus diesem Grund braucht Brandenburg eine breit angelegte Debatte über die Ziele und Werte, die in unserem Land gelten sollen. Das ist auch das Ziel des „Runden Tisches zur Werteerziehung“, der seit einem Jahr arbeitet. Zivilcourage und eine starke Demokratie sind die Ergebnisse einer dauerhaften Verständigung in unserer Gesellschaft. Nur dieser Grundkonsens über eine demokratische Wertegemeinschaft kann verhindern, dass sich antidemokratische, autoritäre und menschenverachtende Haltungen in die Alltagskultur einschleichen und in der Mitte der Gesellschaft festsetzen können. Feuerwehren gegen Rechte Müsste das Handlungskonzept nicht dennoch konsequenter die NPD-Ausbreitung stärker bekämpfen? JUNGKAMP: Im Mittelpunkt des Handlungskonzepts steht nicht die Bekämpfung der NPD, sondern die Auseinandersetzung mit allen organisierten und nicht organisierten Formen des Rechtsextremismus, wie Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Um den Rechtsextremen den Boden zu entziehen, müs-


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sen alltägliche Erscheinungsformen von Fremdenfeindlichkeit weiter zurückgedrängt werden. Da wartet noch eine Menge Arbeit auf uns. Vor allem braucht die Demokratie auch mehr Graswurzelarbeit durch die Demokraten. Wer sich in Feuerwehren, Sportvereinen oder Nachbarschaftshilfen engagiert, bekämpft damit auch Rechtsradikalismus.

reits eine Menge. Herausragend finde ich, dass sich derzeit rund 30 Schulen als so genannte „Schulen ohne Rassismus – Schulen mit Courage“ besonders offensiv mit dem Rechtsextremismus auseinandersetzen. Das müssen noch viel mehr werden.

Wie das?

Wie halten Sie es mit Verboten, beispielsweise von Springerstiefeln oder bestimmten Kleidermarken in den Schulen? JUNGKAMP: Das Tragen und Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen ist gesetzlich verboten und kann strafrechtlich verfolgt werden – sowohl in als auch außerhalb der Schulen. Ein weitergehendes Verbot des Tragens gewisser Kleidungsmarken oder Springerstiefeln in der Schule kann ein sinnvolles Instrument sein, um Grenzen aufzuzeigen. Das funktioniert aber nur, wenn Lehrer, Eltern und Schüler sich gemeinsam darauf verständigen und an einem Strang ziehen. Darum empfehle ich, dies in den Schulen in einer Hausordnung zu regeln. Um die dann durchzusetzen, braucht man aber auf jeden Fall Zivilcourage.

Das ist gelebte Demokratie. Wir dürfen den Rechten keinen Raum geben, sich auszubreiten. Wenn sich die breite Mitte unserer Gesellschaft für ihre eigene Zukunft engagiert, ist mir im Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht bange. JUNGKAMP:

Der Kampf gegen den Rechtsextremismus wird vor allem auch an den Schulen ausgetragen. Müssen sich Lehrer da nicht mehr einmischen? JUNGKAMP: Lehrerinnen und Lehrer sollen, ja sie müssen sich einmischen, ganz klar. Und sie tun das auch in einem hohen Maße. Eins ist mir ganz wichtig: Demokratische Werte können nicht einseitig, nicht allein theoretisch vermittelt werden, sie müssen gelebt werden. Das heißt, wir brauchen nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, die diese Werte vermitteln und vorleben, wir brauchen ganz besonders auch Schülerinnen und Schüler, die Demokratie einfordern und leben, etwa in Schülergremien oder Schulparlamenten. Und da läuft in den Schulen be-

Demokratie ist nie vollendet

Und wie halten Sie es mit dem NPDVerbot? JUNGKAMP: Ich persönlich halte es für unerträglich, dass die NPD sich und ihre Aktivitäten aus öffentlichen Mitteln finanzieren darf. Die NPD stellt perspektive21

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eine ernsthafte Gefahr für unsere freiheitliche und demokratische Grundordnung dar. Darum sollten wir prüfen, ob ein Verbot sinnvoll und umsetzbar ist. Eins ist dabei aber klar: Der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus entkommt man mit einem Verbot der NPD auf keinen Fall. Diese geht auch ohne die NPD weiter. Das Ziel des „Toleranten Brandenburg“ müsste doch sein, sich selbst abzuwickeln.

Wann werden wir das erleben? JUNGKAMP: Ob wir das „Tolerante Brandenburg“ in dieser Form in zwanzig Jahren noch brauchen, wird sich zeigen. Was wir aber auf jeden Fall immer brauchen werden, ist eine aktive Auseinandersetzung mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Demokratie und Toleranz müssen täglich neu gelebt und geschützt werden. Damit ist man niemals fertig. ■

BURKHARD JUNGKAMP

ist Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg und Koordinator des Handlungskonzeptes „Tolerantes Brandenburg”. 32

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martin dulig – ende eines strohfeuers?

Ende eines Strohfeuers? ÜBER DEN SCHWIERIGEN UMGANG MIT DER NPD IM SÄCHSISCHEN LANDTAG VON MARTIN DULIG

ach 18 Uhr sah man am Abend der sächsischen Landtagswahl 2004 bei fast allen Verlierern und Gewinnern lange Gesichter. Die NDP im Landtag, vor dem Landtagsgebäude eine Spontandemo gegen die NPD, im Gebäude aufgeheizte Stimmung und das grinsende Gesicht von Holger Apfel. Überall stellen Journalisten hektisch Fragen nach Ursachen und Konsequenzen für diesen „überraschenden“ Wahlerfolg. Dabei hätte in dieser aufgewühlten Stimmung ein nüchterner Blick auf die sächsische Realität genügt, um dieser Überraschung ihre Grundlage zu entziehen. Weitgehend unterhalb des Radars der öffentlichen Aufmerksamkeit sind seit Beginn der neunziger Jahre im „ostdeutschen Versuchslabor“, vor allem aber in Sachsen, rechtsextreme Strukturen gewachsen. Hier wurde – im Verbund mit radikalen Neonazis – Tag für Tag an der „Faschisierung der ostdeutschen Provinz“ (Toralf Staudt) gearbeitet. Weil starke und gefestigte

N

demokratische Institutionen fehlten, war viel Raum, in dem Rechtsextremisten ungestört agieren konnten. Eine schwache und unorganisierte Zivilgesellschaft hatte dem wenig entgegenzusetzen und der Staat versuchte vergeblich, mit beiden Händen den Deckel auf den langsam überkochenden Topf zu drücken. Der Wahlerfolg, dessen unerwartete Höhe die einzig wirkliche Überraschung gewesen sein dürfte, war nur sichtbares Symptom einer Krankheit, die längst Haupt und Glieder befallen hatte. Leider hat sich die aufgeheizte Stimmung des Wahlabends dann in den ersten Wochen und Monaten der neuen Legislaturperiode nicht gelegt. Für die in dieser Phase straff geführte, gut vorbereitete und in den ersten Wochen auf einer Welle der medialen Aufmerksamkeit schwimmende NPD-Fraktion wurde der Start zum Selbstläufer. Es ist der NPD in dieser Zeit interessanterweise auch deswegen gelungen, im Gespräch zu bleiben, weil ihre immer deutlich arperspektive21

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tikulierte Ablehnung gegenüber dem demokratischen System wenig wahrgenommen wurde und eher Verwunderung darüber entstand, wie „harmlos“ ihre Vertreter im Parlament auftraten. Wesentlich fataler war allerdings, dass der Eindruck entstehen konnte, die demokratischen Fraktionen hätten keine Rezepte, um der NPD zu begegnen und – noch schlimmer – die NPD würde aus den Reihen der demokratischen Fraktionen Unterstützung erfahren. Beispielhaft steht dafür, dass bei der Wahl des Ministerpräsidenten der Kandidat der NPD zwei Stimmen mehr bekam, als die NPD-Fraktion Abgeordnete hatte. Nach dem Strohfeuer Wenn man diesen erschreckenden Blitzstart mit dem geradezu verheerenden aktuellen Zustand der NPD-Fraktion im Juni 2007 kontrastiert, gewinnt man schnell den Eindruck, man habe es mit zwei völlig unterschiedlichen Gruppen zu tun. Ohne das Strohfeuer der medialen Aufmerksamkeit und in den Mühen der Ebene setzte bei der NPD ein Zerfallsprozess ein, der sich mit atemberaubender Geschwindigkeit fortsetzte – von den ursprünglich zwölf Fraktionsmitgliedern sind nur noch acht übrig geblieben. Dadurch wurde sehr deutlich, mit was für einer zusammengewürfelten braunen Truppe man es bei näherer 34

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Betrachtung von Anfang an zu tun hatte. Lediglich ihr diszipliniertes Auftreten und die für sie günstigen Umstände haben zu einer – das muss selbstkritisch festgehalten werden – Überschätzung ihres Potentials geführt: ■ Dass die Fliehkräfte in der Fraktion zu stark geworden waren, zeigte sich erstmals, als drei aus Ostdeutschland stammende Abgeordnete die NPD verlassen haben. Sie brandmarkten Schlüsselfiguren der Fraktion als „Vertreter eines ,Hitlerismus‘“ und waren wohl auch nicht mehr bereit, die straffe Führung westdeutscher Kader zu tolerieren. ■ Die ostdeutsche Gallionsfigur Uwe Leichsenring kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben. ■ Der bekennende Hitlerverehrer Klaus-Jürgen Menzel ließ zuerst eine Pistole in den Landtag schmuggeln und wurde dann wegen „finanzieller Unregelmäßigkeiten“ aus der Fraktion ausgeschlossen. ■ Der letzte „Verlust“ ereignete sich, weil der Landtagsabgeordnete Matthias Paul wegen staatsanwaltlicher Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Besitz von kinderpornografischen Schriften den Landtag freiwillig verlassen hat. Vier Abgeordnete weniger haben die NPD ihren Vorsitz im Umweltausschuss und einen deutlichen Verlust an finanzieller staatlicher Zuwendung ge-


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kostet. Hinzu kam eine Reihe von Skandalen, die dem Ansehen der NPD in der Bevölkerung und in den Reihen der eigenen „Kameraden“ deutlichen Schaden zugefügt haben. Ob das alles dazu beiträgt, dass die NPD im nächsten Sächsischen Landtag nicht mehr vertreten sein wird, bleibt aber abzuwarten. Strikte Abgrenzung im Landtag Um diesen Einzug zu verhindern, ist aber mehr nötig als nur eine geschwächte NPD. Alle demokratischen Fraktionen im sächsischen Parlament suchen deshalb die offensive Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen. Um hier eine Grundlage zu legen, einigten sich alle demokratischen Fraktionen im Januar 2005 auf eine gemeinsame Erklärung, die die strikte Abgrenzung zur NPD deutlich macht. Insbesondere der CDU-Fraktion – die bislang immer stets auf Abgrenzung gegenüber der Linksfraktion/PDS bedacht war – forderte dieser Schritt eine gehörige Portion Selbstüberwindung ab. Auf der Grundlage dieser Erklärung wurden dann auch konkrete Absprachen für den Umgang mit der NPD getroffen. Eine dieser konkreten Absprachen beinhaltet, dass bei Plenardebatten zu Initiativen der NPD grundsätzlich ein Abgeordneter der Koalition und einer der Opposition antwortet. Sinn dieser Verabredung ist, der NPD

nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken und gleichzeitig deutlich zu machen, dass eine Auseinandersetzung mit ihrer Ideologie stattfindet. Für Debatten, die auf dem normalen parlamentarischen Niveau stattfinden, ist das ausreichend. Kommt es jedoch zu Provokationen durch die Rechtsextremisten, haben die Fraktionsvorsitzenden jederzeit die Möglichkeit, kurz und gezielt zu reagieren. Der inhaltliche Umgang mit der NPD wird für die SPD-Fraktion davon bestimmt, sie zu entlarven, indem der ideologische Kern ihrer Initiativen in den Vordergrund der Auseinandersetzung gestellt wird. Dabei ist schon von Beginn an klar geworden: Die Grundlage, auf der die National„demokraten“ ihr gesamtes Handeln aufbauen, ist mit sozialdemokratischen Überzeugungen vollkommen unvereinbar. Die NPD leugnet die prinzipielle Gleichheit aller Menschen und hängt einem biologistischen Menschenbild an, welches biologische Unterschiede auf juristische, gesellschaftliche oder soziale Unterschiede überträgt. Aus dieser konstruierten Ungleichheit heraus ergibt sich, dass auch nicht alle Menschen die gleiche Würde besitzen können. „Gleiche Würde für alle Menschen“ ist aber für die SPD nach dem Bremer Entwurf für das neue Grundsatzprogramm „Ausgangspunkt und Ziel“ ihrer Politik. Unterschiedlicher in dem, auf das sie sich berufen und in dem, was sie perspektive21

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politisch erreichen wollen, können Parteien nicht sein. Relativ einfach macht es uns die NPD bei Debatten, die sich mit dem einzigen wirklichen Identitätsthema des deutschen Rechtsextremismus befassen – dem Nationalsozialismus. Bei derartigen Gelegenheiten enttarnt sie sich in der Regel selbst. Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang an die im Januar 2005 angezettelte Diskussion um die Luftangriffe auf Dresden erinnert, die in dem vom NPD-Abgeordneten Jürgen Gansel eingeführten Begriff „Bomben-Holocaust“ gipfelte. Auf Grundlage einer verneinten deutschen Kriegsschuld wurde hier eine jeder historischen Tatsache und moralischen Verpflichtung entkleidete Gleichsetzung der deutschen Opfer der Luftangriffe mit den Opfern der nationalsozialistischen Vernichtungsindustrie herbeiphantasiert, mit der Gansel das gesamte Panorama rechtsextremer Verschwörungstheorien vor den Zuhörern ausbreitete. Schwieriger wird es natürlich, wenn rechtsextremer „common sense“ weniger eindeutig präsentiert wird. Den ideologischen Kern aus scheinbar harmlosen Initiativen der NPD herauszuschälen ist nicht immer ganz einfach. Wenn die NPD etwa scheinbar harmlos über Familienkredite diskutieren will, wollen sie diese Kredite selbstverständlich nur an verheiratete Deutsche vergeben. So weit, so erwartbar. Darüber 36

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hinaus will die NPD mit dieser Maßnahme aber ihre „Bevölkerungspolitik“ untersetzen, die sich vor dem Hintergrund eines vermeintlich zu erwartenden „Bevölkerungszusammenbruchs“ und dem sich daraus langfristig ergebenden „Aussterben der Deutschen“ in ihren Maßnamen das „Dritte Reich“ und die DDR bewusst zum Vorbild nimmt. Nur keine Illusionen Die NPD stellt die Demokratie grundlegend in Frage. Im Parlament kann man sich dieser Herausforderung stellen und sie auch gewinnen. Nach fast drei Jahren Erfahrung im Sächsischen Landtag bleibt festzuhalten, dass die demokratischen Fraktionen auf einem guten Weg sind, wenn sie sich weiter konsequent mit der Ideologie der NPD auseinandersetzen. Vor einigen Illusionen kann nur dringend gewarnt werden: Vor allem, dass es ausreichend wäre, die NPD im Parlament zu bekämpfen, um sich ihrer zu entledigen. Vor der Illusion, dass der ganze Spuk vorbei ist, wenn die NPD 2009 nicht mehr in den Landtag kommen sollte. Allein die NPD zu „behandeln“, hieße nur am „Symptom“ herumzudoktern. Die „Krankheit“ Rechtsextremismus muss vordringliches Ziel der Behandlung sein. Bei einer Lungenentzündung lindert man den Husten, bekämpft aber die Ent-


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zündung. Der Husten verschwindet dann von alleine. Deswegen gehen auch alle Diskussionen über ein Verbot der NPD letztendlich an den Notwendigkeiten vorbei und verschleiern den Blick für die Tatsachen. Die Behandlung kann nur der unermüdliche Einsatz für die Demokratie und gegen dass Ausbreiten rechtsextremer Wertvorstellungen in den Köpfen der Menschen sein. Das setzt aber ein klares Bild davon voraus, was Demo-

kratie ausmacht. Hier besteht Nachholbedarf, vor dem auch Politik nicht die Augen verschließen kann. Es muss bei allen ein Bewusstsein dafür entstehen, das Pluralität, Toleranz und Weltoffenheit nicht nur Wörter sind, die man in Sonntagsreden benutzt, sondern konstituierende Bedingungen, ohne die eine Demokratie langfristig nicht bestehen kann. Überall werden deshalb Menschen gebraucht, die im Alltag konsequent für diese Werte einstehen. ■

MARTIN DULIG

ist Fraktionsvorsitzender der SPD im Sächsischen Landtag und stellvertretender Vorsitzender des Netzwerks für Demokratie und Courage e.V. perspektive21

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„Wir sind für Sie da!” DIE NPD IST IM SCHWERINER LANDTAG OHNE ERFOLG, ARBEITET ABER EMSIG AN IHRER WEITEREN VERANKERUNG DRAUßEN IM LAND VON TORALF STAUD

n der Tür des NPD-Wahlkreisbüros im vorpommerschen Ueckermünde hängt ein Zettel: „Kein Zutritt für Funk, Fernsehen und andere Medien.“ Trotzdem ist das Büro in dem schmuck sanierten Fachwerkhaus während der dienstäglichen Sprechzeit gut besucht: Ein junges Paar mit Baby auf dem Arm wartet im Flur, drinnen sitzt ein älterer Mann mit seinem Sohn auf dem Ledersofa. Der Büroangestellte, ein sportlicher, junger Mann mit sehr kurzen Haaren, telefoniert gerade. Er hat beste Arbeitsbedingungen, zwei Schreibtische stehen im Raum, ein nagelneuer Kopierer, Fax, Laptop. Alles ist picobello sauber, die Flugblätter auf dem Infotisch sind akkurat zu einem Fächer ausgebreitet. Doch liegen da nicht nur Blättchen der NPD, sondern auch von einer „Initiative für Volksaufklärung e.V.“ und der „Bürgerinitiative Schöner und Sicherer Wohnen“. Beides sind Vorfeldorganisationen örtlicher Neonazis. Tino Müller, 29, dessen Büro das hier ist, war bereits in Neonazi-Kameradschaften aktiv, bevor er vor zwei Jahren zur NPD fand. Da machte er Politik nur am Wochenende,

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nun bekommt er für seine rechtsextremistische Aufbauarbeit sogar noch Geld vom Staat. Jobs für die Parteispitze Vor einem Jahr zog die NPD mit 7,3 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern in den Landtag ein, dem zweiten nach Sachsen 2004. Die Partei jubelte von einer „nationalen Achse Dresden-BerlinSchwerin“. Künftig werde man „von Mitteldeutschland aus eine nationale Welle über das Land schwappen“ lassen, die „die geistig-kulturellen Fundamente des Systems unterspülen“ werde. In Sachsen scheint die NPD ganz gut voranzukommen, bei den letzten Meinungsumfragen lag sie bereits vor der SPD. In Mecklenburg-Vorpommern aber – so scheint es auf den ersten Blick – blieben Erfolge aus: Im Landtag sind die Rechtsextremisten anders als in Dresden nicht recht zum Zuge gekommen. Aber das ist nur die große Bühne der Auseinandersetzung mit der NPD, mindestens genauso wichtig sind die vielen kleinen Bühnen in den Städtchen und Dörfern. Und dort ist die Partei erperspektive21

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folgreicher, dort treiben die Rechtsextremisten ihre Verwurzelung voran. Fast mustergültig hat die NPD in Dresden lange Zeit vorgeführt, wie sich der Landtag als Propagandabühne, Lehrwerkstatt und Geldmaschine nutzen lässt. Auch in Schwerin ist sie emsig und diszipliniert, gleich am Montagmorgen nach der Wahl klopfte eine Abordnung an die Bürotür der Präsidentin und platzte in eine kleine Sektrunde: „Wir wollen anfangen mit der Arbeit“, sagten sie und forderten Schlüssel zu ihren künftigen Büros. Von Anfang an kannte die NPD alle Geschäftsordnungstricks. Das war das Werk von Peter Marx, einem Multifunktionär der Partei, der bis letzten Sommer Geschäftsführer der Dresdener Fraktion war. Dann wechselte er in selber Funktion nach Schwerin, seine sechsköpfige Fraktion lobt er als „sehr ausgewogen zusammengesetzt“. Aber das ist eher eine schönfärberische Chiffre: Die NPD im Nordosten ist von Neonazi-Kameradschaften praktisch übernommen worden. In Dresden konnte die NPD zeitweise ihre halbe Parteispitze mit Jobs absichern, in Mecklenburg-Vorpommern dagegen fließt viel Geld in Kameradschaften. Zwei enge Weggefährten von Tino Müller aus Ueckermünde sind nun als Mitarbeiter angestellt, sein Bruder wird jetzt von der Fraktion für „Jugendarbeit“ bezahlt. Neben Peter Marx sind nur zwei Referenten klassische NPD40

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Kader, und unter den Abgeordneten hat lediglich einer, Landeschef Stefan Köster, eine Parteikarriere hinter sich. Dagegen stellen Kameradschafter, die sich offen als „nationale Sozialisten“ bezeichnen und die NPD wegen ihres legalistischen Auftretens für verweichlicht halten, etwa die Hälfte von Fraktion und Referentenstab. Das führte bereits zu Spannungen. Als Marx beispielsweise zum G8-Gipfel eine NPD-Demo in Rostock anmeldete, gab es scharfe Proteste der Kameradschaften, die ihre Leute nicht in Auseinandersetzungen mit der Polizei oder Gegendemonstranten „verheizen“ wollten. „Die Kameradschaftskader bringen ihre Dynamik in die Fraktion ein“, versucht Marx es positiv auszudrücken. Aber inhaltliche Arbeit oder der parlamentarische Kleinkrieg interessieren sie nicht. Weniger Geld für die NPD Und dann ist da auch noch das enge Korsett, das die Landtagsmehrheit der NPD angelegt hat. Zu Beginn der Legislaturperiode änderten SPD, CDU, PDS und FDP einmütig die Geschäftsordnung: Die NPD hat nun keinen Ausschussvorsitz und weniger Redezeit. Die Zuschüsse für kleine Fraktionen wurden gekürzt, statt 850.000 Euro pro Jahr bekommt die NPD nun nur 600.000 Euro (die ebenfalls betroffene FDP erhielt zum Ausgleich einen zu-


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sätzlichen Vize-Präsidenten-Posten). Als Spitze gegen die NPD wurde eine generelle Regel erlassen, dass Fraktionsmitarbeiter nicht vorbestraft sein dürfen. Filmaufnahmen im Plenarsaal wurden untersagt – denn in Sachsen setzt die NPD Videomitschnitte zu Schulungs- und Propagandazwecken ein. Neues Klima im Landtag „Wir wollten nicht wehrlos dastehen“, sagt Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider (SPD). Mehrfach haben sich Schweriner Politiker Rat geholt in Dresden, so konnten sie besonnener auf die NPD reagieren. Anders als anfangs in Sachsen laufen die Demokraten nicht hektisch aus dem Saal, sondern widersprechen. Oft noch nicht wirklich gekonnt und wirklich argumentativ. Aber immerhin. Und überraschenderweise ist es oft die FDP, die den richtigen Ton trifft. In Dresden konnte die NPD öffentlichkeitswirksame Eklats („Bomben-Holocaust“) provozieren, die Schweriner Kameraden produzieren nur überregionale Schlagzeilen, wenn mal ein Mitarbeiter im Landtag mit einem Schlagstock erwischt wird. In Sachsen gelang es der NPD mehrfach, die anderen Parteien gegeneinander auszuspielen und fremde Stimmen für ihre Anträge zu gewinnen. In Schwerin ist das bis heute nicht vorgekommen. Die Abwehrfront der demokratischen Fraktionen scheint hier zu halten –

nicht zuletzt weil die Nordost-CDU das Problem des Rechtsextremismus wirklich ernst nimmt und bereit ist, anders als in Sachsen mit der PDS zusammenzuarbeiten. Und noch etwas hat sich geändert: Anträge der demokratischen Opposition, derzeit also von FDP oder PDS, werden von den Regierenden nicht mehr wie früher pauschal abgelehnt, wie es im bundesdeutschen Politikbetrieb sonst üblich ist. So gesehen, könnte der Einzug der NPD der Demokratie sogar genutzt haben. Mit besseren Flugblättern Im kleinen Plenarsaal im Schweriner Schloss sitzt die NPD ganz rechts, vom Rest des Landtags trennt sei ein breiter Gang. Bei Besuchern macht es einen guten Eindruck, dass bei der NPD die Bänke stets vollbesetzt sind. Doch mit Wortmeldungen oder Zwischenrufen beteiligen sich nur einige ihrer Abgeordneten, selten meldet sich etwa Tino Müller zu Wort. Trotzdem ist ihm anzumerken, dass er im vergangenen Jahr sicherer geworden ist im Reden. „Die kommunale Arbeit ist mir persönlich viel wichtiger“, sagt er, aber der Landtag sei natürlich für das Vorankommen sehr nützlich. Dort holt er sich Geld und Informationen. Bürgersorgen trägt er mit schriftlichen Anfragen aus Vorpommern nach Schwerin; die Antworten verarbeitet er dann zuhause in Flugblättern, die jetzt dank staatlicher Gelder perspektive21

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noch professioneller sind als früher. Beispielsweise fragte Müller nach Krebserkrankungen im Umfeld einer Mobilfunkstation oder der Zukunft der Justizvollzugsanstalt in Ueckermünde („Können bei einer eventuellen Schließung betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen werden?“). Einmal wollte er wissen, ob „Bürger aus Mecklenburg-Vorpommern Eigentum an Immobilien im von Polen verwalteten Teil von Pommern erwerben“ können. Bürgerinitiativen unterwandert Die Landtagspräsidentin wies die revanchistische Formulierung zurück. Immer wieder versucht das Präsidium, NaziVokabeln oder Beleidigungen von NPD-Leuten mit Ordnungsrufen zu ahnden – beispielsweise wenn Tino Müller Arbeitslose als „Volksgenossen“ anspricht. Aber manchmal ist das Präsidium übereifrig dabei. Schüler auf der Zuschauertribüne etwa verstehen oft gar nicht, wofür jeweils ein Verweis erteilt wurde. Und Entgleisungen aus anderen Parteien werden weniger streng geahndet. Die NPD jedenfalls trägt die Tadel mittlerweile wie Trophäen, ihre Fraktionszeitung heißt „Der Ordnungsruf“. Die radikalsten Reden halten NPDLeute sowieso nicht im Landtag. Auf einer Nazi-Demo war es, dass Fraktionschef Udo Pastörs dazu aufrief, „diese ganze verfaulte Republik zu un42

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terwühlen“. Im Plenum schwadroniert er eher – etwa darüber dass die Gleichberechtigung der Geschlechter „bei den Männern die Entfaltung ihrer Männlichkeit“ blockiere. Oder – so auf einer Sitzung Ende Januar – dass vom Staat „das Gesunde und Starke ... zuallererst zu fördern und zu unterstützen“ ist: „Das ist keine Selektion, sondern einfache Logik, denn wenn das Gesunde und Starke durch mangelnde Förderung irgendwann nicht mehr entsprechende Leistungen erbringen kann, dann ist es auch mit der Unterstützung ...“ Seine letzten Worte gehen in Zwischenrufen unter. Eine blinde PDS-Abgeordnete ruft: „Wollen Sie mich jetzt umbringen, oder was?!“ Immer, wenn sich die NPD irgendwo als Anwalt der Schwachen und Kämpfer gegen Hartz IV präsentieren will, könnte man ihr diese Passage aus Pastörs Rede vorhalten. Und wenn sie wieder ihre populäre Forderung nach kurzen Schulwegen und dem Erhalt von Dorfschulen erhebt, könnte man ihr entgegnen, dass sie doch andererseits Elitenförderung will und ein dreigliedriges Schulsystem – die Folge solcher Zentralisierung aber wären sicherlich längere Schulwege. Bei anderen Themen dagegen ist die Propaganda der NPD schwer zu kontern: Sie ist als einzige Landtagspartei gegen die Nutzung der Gentechnik in der Landwirtschaft, und es gelang ihr bereits, einzelne Bürgerinitiativen zu unterwandern.


toralf staud – „wir sind für sie da“

„Wir sind angekommen im Volk“, sagt Tino Müller. Die Ausgrenzung im Landtag nimmt bei ihm zuhause in Ueckermünde kaum jemand wahr. Im Gegenteil. Kürzlich hat er eine Belohnung ausgesetzt zur Ergreifung der Leute, die im Sommer den Badestrand des Erholungsortes verschmutzt haben. Die NPD freut sich, wenn sie für Ordnung sorgt. Kleine Kriegskasse Sein Kollege aus Anklam, Michael Andrejewski, berät Hartz-IV-Empfänger und verteilt Infoblätter zum „Verhalten bei Hausbesuchen durch das Arbeitsamt“. Andrejewski trägt heute wie schon vor der Wahl alte, ausgebeulte Hosen und Strickjacken. Von den 4.464 Euro monatlicher Diäten spart er soviel wie möglich. „Das ist meine kleine Kriegskasse“, sagt er. Sein Wahlkreismitarbeiter ersteigerte kürzlich gemeinsam mit dem Mitarbeiter von Tino Müller eine alte KonsumKaufhalle im Zentrum von Anklam: 500 Quadratmeter für 17.000 Euro. Die örtliche Sparkasse sagt, sie habe die Neonazis beim Verkauf nicht erkannt. Experten erwarten nun, dass die NPD dort ein Schulungszentrum einrichtet. Jedenfalls ist die Immobilie im Privat-

eigentum von verlässlichen Kameraden aus Vorpommern. Bei einem möglichen NPD-Verbot, feixt Andrejewski, „haben wir hier verbotssichere Strukturen“. Kürzlich legte er sich eine Druckmaschine zu und eine Schneidemaschine. Die Kaufhalle hat übrigens eine Lkw-Zufahrt samt Lieferrampe, was sehr nützlich wäre für eine Nutzung als Druckerei. Tino Müller baut seine Infostände auch außerhalb der Wahlkämpfe auf. Wenn auf einer Bürgerversammlung über Abwasserrohre gestritten wird, fährt Andrejewski natürlich hin – und ist oft der einzige Politiker, der sich überhaupt sehen lässt. „Es schmerzt, sowas zu hören“, sagt im fernen Schwerin CDU-Fraktionschef Armin Jäger. Seine Partei schulte schon vor der Wahl ihre Kommunalpolitiker. Aber es gibt Dörfer im Land, da gibt es schlicht niemanden mehr von der CDU – und schon gar nicht von der SPD, die in den Weiten Mecklenburg-Vorpommerns weniger Mitglieder hat als in großen Städten in Westdeutschland. 2009 sind an der Ostsee Kommunalwahlen, die NPD bereitet sich bereits darauf vor. „Wir“, steht auf einem bunten Plakat vor seinem Büro, und die drei Buchstaben sind doppelt so groß wie der Rest des Satzes: „Wir sind für Sie da!“ ■

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ist Journalist und Buchautor aus Berlin. perspektive21

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michael kraske, christian werner – starker staat – oder: trotz verbot nicht tot?

Starker Staat – oder: Trotz Verbot nicht tot? AM BEISPIEL DER „SKINHEADS SÄCHSISCHE SCHWEIZ“ KANN MAN SEHEN, DASS VERBOTE ALLEIN NICHTS NUTZEN VON MICHAEL KRASKE UND CHRISTIAN WERNER

ie Scheinwerfer reißen die verfallende Mühle am Ausgang des kleinen Ortes Bielatal aus dem Dunkel. Beamte einer Hundertschaft rücken über wucherndes Gestrüpp vor auf das ehemalige Ferienheim der VEB Vereinigte Holzindustrie Finsterwalde. Seit Jahren dämmert das Anwesen in der Sächsischen Schweiz vor sich hin, aber seit kurzem werkeln freundliche junge Männer daran herum. Ungestört von Neugierigen haben sie sich einen Unterschlupf gebaut. Doch an diesem Abend des 4. April 2007 dringen Polizisten in die alten Räume ein und stellen etwa 40 Personalien fest. Unter den Anwesenden entdecken sie alte Bekannte. Gegen zwölf von ihnen ermittelt die Staatsanwaltschaft Dresden. Ihnen wird vorgeworfen, die seit 2001 verbotene Kameradschaft Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) illegal fortgeführt und damit gegen Paragraph 20 des Vereinsgesetzes verstoßen zu haben. Noch am Abend durchsuchen Teams der Polizei mehr als 20 Wohnungen, insgesamt stehen

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etwa 25 ehemalige SSS-Mitglieder im Visier der Ermittler. Die verurteilten SSS-Führungskader S. und R. werden vorläufig festgenommen. S. ist bereits wegen Fortführung der kriminellen Vereinigung zu acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden. Das Urteil liegt noch beim BGH zur Prüfung. Zudem nehmen Beamte Martin S. fest, der in Pirna einen rechten SzeneLaden betreibt. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt ihn, die Führung des harten Kerns der ersten SSS-Generation übernommen zu haben. In seinem Haftbefehl werden zudem Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen sowie Körperverletzungs-Delikte aufgeführt. Eine Privatermee in Schwarz Die SSS dürfte es seit dem 5. April 2001 nicht mehr geben. Damals verbot der sächsische Innenminister die Truppe, die ihre Region von Linken, Ausländern und Kiffern säubern wollte und mit roperspektive21

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her Gewalt gegen ihre Opfer vorging. Die Vorstellung, durch das Verbot sei eine der brutalsten rechten Kameradschaften Deutschlands verschwunden, erweist sich sechs Jahre später als naive Illusion. Vielmehr zeigt das Beispiel der Skinheads Sächsische Schweiz, dass der Rechtsstaat sein ganzes Waffenarsenal aufbieten muss, um die Gefahr wenigstens eindämmen zu können. Und es zeigt, dass rechtsextreme Überzeugungstäter versuchen, jede rechtliche Nische und Schwäche ausnutzen, um weiterzukämpfen. Die Anwesenden des konspirativen Ostertreffens in der alten Mühle von Bielatal behaupten, dass sie lediglich ein Treffen der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) besucht haben, für die alte SSS-Kader mittlerweile im Landesvorstand sitzen. Die Strafverfolger sehen das anders. „Es besteht der begründete Verdacht, dass die Beschuldigten ihre Aktivitäten nicht unter der JN-Struktur entfalten, sondern aus der verbotenen Struktur der SSS heraus“, sagt Oberstaatsanwalt Jürgen Schär, „es ist offenbar der Versuch unternommen worden, dazu in ein legales Mäntelchen zu schlüpfen.“ So seien etwa zur Verabredung des Treffens die alten Kommunikationswege der verbotenen Kameradschaft erneut aktiviert worden. Währenddessen organisiert die JN im Internet den Protest gegen die vermeintlich politische Justiz: „Freiheit für Martin!“ 46

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Der juristische Kampf gegen die rechtsextreme Bande Skinheads Sächsische Schweiz ist ein langer steiniger Weg für die Strafverfolger. Nach 45 Verhandlungstagen und mehr als 100 Zeugen endete der erste Prozess vor dem Landgericht Dresden im Mai 2003 mit milden Strafen von bis zu zwei Jahren auf Bewährung, weil ungeklärt blieb, welchen Einfluss V-Leute des Verfassungsschutzes auf die SSS hatten. Auch für ihre Geständnisse bekamen die fünf Angeklagten Strafmilderung. Dennoch war das Urteil ein Meilenstein. Denn die Männer wurden nicht nur wegen Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung verurteilt, sondern auch wegen Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Im zweiten Prozess im November 2003 wurden elf weitere SSS-Kader ebenfalls zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Trotz milder Urteile ein Erfolg für die Strafverfolger, die das Organisationsstrafrecht nach etwa 20 Jahren wieder auf Rechtsextremisten anwendeten. „Die einzelnen Taten zu verfolgen war vollkommen unbefriedigend, da die Behörden nur unzureichend an die Täter heran gekommen sind“, sagt Oberstaatsanwalt Schär, „wir haben daher Strukturermittlungen eingeleitet, um die Täter aus ihren Schutzräumen zu reißen.“ Die SSS tarnte ihre Gewaltakte. Absprachen trafen sie konspirativ, Mitglieder gaben sich gegenseitig Alibis. In der Sächsischen Schweiz trat die Truppe als


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Privat-Armee auf, mit schwarzen Uniformen und Rangabzeichen marschierten sie offen durch Pirna. Neben den Membern an der Spitze addierten sich Mitglieder, Anwärter der SSS-Aufbauorganisation (SSS-AO) sowie Sympathisanten auf 150 bis 200 Personen. Nur durch die Anwendung des Organisationsstrafrechts (Paragraph 129 StGB und Paragraph 20 Vereinsgesetz) war es möglich, dem harten Kern der SSS nachzuweisen, dass sie im Untergrund trotz Verbot weiter die Fäden im rechten Netz zogen. Die Staatsanwaltschaft Dresden stellte für den Staat gewissermaßen Waffengleichheit her, indem sie der konspirativen Verschleierung von Straftaten verdeckte Ermittler und Observations-Teams entgegenstellte. Verschlüsselte Treffpunkte Die SSS bereitete sich akribisch auf die Auseinandersetzung mit dem Staat vor. In den Jahren 2003 und 2004, lange nach dem Verbot, versammelte sich der harte Kern immer donnerstags zu geheimen Treffen. Per Handy wurden die Mitglieder zu den Zielen gelotst, Orte wurden mit ein- bis dreistelligen Zahlencodes verschlüsselt, ebenso Datum und Uhrzeit. Wenn ein Befehl per SMS versandt wurde, kam die Nachricht nach etlichen Empfängern wieder beim Sender an, der sie erneut herumschickte. Auf diese Weise sollten die Rädels-

führer geschützt und Hierarchien unsichtbar bleiben. Dann trafen sie sich etwa an einer Tankstelle in Stolpen oder im Freibad, wo kein Fremder zuhören konnte. Auf Befehl wurden Handys ausgeschaltet, Freundinnen weggeschickt. Der Staat erhöht den Druck Die Observations-Teams der Polizei fotografierten, aber sie konnten nicht mithören. Was die Ermittler allerdings nach den Donnerstagstreffen registrierten, waren Aktivitäten. Dann trugen etwa SSS-Angehörige stapelweise Wahlplakate der NPD aus einem Gebäude. Die SSS stellte für die NPD mehrfach den Saalschutz. Die Aktionen, die den Treffen folgten, glichen auch denen der alten SSS: Sonnenwendfeiern, gemeinsame Teilnahme am Gedenkmarsch für Rudolf Heß. Auf eine Demo gegen rechts in Pirna organisierten SSS-Kader Störungen. Der verurteilte Rädelsführer S. steuerte über Handy in bewährter Weise kleine gewaltbereite Gruppen. „Durch den Verfolgungsdruck wird die Arbeitsteilung in Kameradschaften erhöht“, sagt Oberstaatsanwalt Schär, „nur noch bestimmte Kameraden sind für Gewalt zuständig.“ Die Arbeitsteilung nützt Rädelsführer S. nichts. Verdeckte Ermittler, ObservationsErgebnisse und abgehörte Telefonate führen dazu, dass er im August 2006 wegen Verstoßes gegen das Vereinsgeperspektive21

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setz zu acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wird. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass S. die verbotenen Strukturen organisatorisch weitergeführt hat. S., in dessen Wohnung Ermittler Regale voll mit NaziLiteratur entdecken, legt Revision ein. Alte planen, Junge schlagen Arbeitsteilig hätte die SSS in der Nacht zum 20. August 2003 beinahe eine Mutter und ihr Kind getötet. Den Anführern ist ein Roma-Lager auf einer Wiese in Gersdorf ein Dorn im Auge. Die Fremden müssen weg. Ethnische Reinheit soll in der Sächsischen Schweiz auch nach dem Verbot der Organisation hergestellt werden. Ein alter SSSAktivist aus der ersten Generation, 27 Jahre alt, und drei junge Kämpfer erkunden das Lager der Roma und finden ein Auto, das nicht verschlossen ist. Sie ziehen sich zurück, zapfen von einem Moped Benzin ab, dann marschieren sie erneut über die Wiese zu dem Auto. 15 Meter vor dem Fahrzeug drückt der Altkader einem der Jungen die Benzinflasche in die Hand. Der geht hin, zündet die Flasche an. Der Wagen fängt schnell Feuer. Flammen schlagen hoch. Die Leute aus dem Wagen-Lager bemerken es nach kurzer Zeit und beginnen zu löschen. Der Sachverständige wird später vor Gericht feststellen, dass das Feuer auf den benachbarten Wohnwagen übergegriffen hätte, wäre es nicht 48

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bemerkt worden. Als die Kameraden das Feuer legen, hält sich in dem nahen Wohnwagen eine Mutter mit ihrem Kind auf. Sie überleben nur, weil sie Glück haben. Einer der jungen Männer nannte in dem folgenden Prozess im Jahr 2005 als Grund, warum er mitgemacht hat: „Ich wollte dazu gehören.“ Die SSS ist für Jugendliche in der idyllischen Sächsischen Schweiz ein Mythos. Sie versuchen, durch Gewalt Anerkennung von ihren Idolen zu erkaufen. Die Alten planen, die Jungen schlagen zu. Ein dichtes rechtes Netz Nicht nur Jugendliche sympathisieren in der Sächsischen Schweiz mit den kriminellen Neonazis. Die Täter sind integriert und akzeptiert. Ihre Väter kämpfen ebenfalls für die rechte Sache. So zog etwa der Steinmetz Egon Weihs, dessen Sohn ebenfalls als Mitglied der SSS angeklagt war, für die NPD in den Stadtrat von Pirna ein. Die Kombination – Vater NPD-Kommunalpolitiker und Sohn verurteilter SSS-Aktivist – findet sich auch in der Familie Rackow. Michael Jacobi errang für die NPD bei der Kommunalwahl am 13.6.2004 ein Mandat in Reinhardtsdorf-Schöna, wo die NPD 25,2 Prozent der Stimmen bekam. Auch seine Söhne wurden der SSS zugerechnet. In seiner Garage fand die Polizei bei einer Razzia Sprengstoff und Waffen. „In der Sächsischen Schweiz gibt es eine sehr enge Zusammenarbeit


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zwischen den Kameraden und der NPD“, sagt der sächsische Verfassungsschützer Olaf Vahrenhold. Was die Lage aber so brisant macht, ist die Unterstützung durch ganz normale, vermeintlich brave Bürger. So gab ein Getränkehändler regelmäßig Rabatt, wenn SSS-Kameraden Bier für ein Treffen holten: „Die letzten hundert Euro braucht ihr nicht zu bezahlen.“ Der Händler hatte eigentlich nichts zu verschenken. Mit Ausnahme der Touristen, die kommen, um die schroffen Felsformationen an der Elbe zu besichtigen, bewegt sich in der Sächsischen Schweiz nicht viel. Der Händler gab dennoch gern, weil er der Meinung war, eine gute Sache zu unterstützen. In der Sächsischen Schweiz haben sich brutale Neonazis, jugendlicher Nachwuchs, Familienväter und Normalbürger zu einem beunruhigenden rechten Netz verwoben. Durch das Verbot der Skinheads Sächsische Schweiz sind weder die Mitglieder der Skinhead-Bande noch deren Ideologie verschwunden. Die Führungsfiguren haben sich auch nicht von den Gerichtsurteilen abschrecken lassen. Im Jahr 2004 wurde ein Verfahren gegen mehrere Mitglieder eingestellt, weil für Jugendstrafverfahren das Beschleunigungsgebot gilt und der Prozess schon vier Monate andauerte. Bewährungsstrafen gegen andere waren offenbar auch keine ausreichende Warnung. Auch die Hoffnung, dass die kriminel-

len jungen Leute als Erwachsene und Familienväter ihre rechtsextremen Aktivitäten einstellen, ist nicht aufgegangen. „Der harte Kern, den ich als faschistisch bezeichne, der wächst nicht raus“, sagt der Dresdner Staatsanwalt Ingolf Wagner. Allerdings setzt die erste Generation der SSS verstärkt auf den politischen Kampf unter der Haube der Jungen Nationaldemokraten (JN). Ein führender Aktivist der Kameradschaft hat die Nutzung legaler Strukturen bereits vor Jahren als mögliche Strategie gegen staatliche Repression ausgegeben: „Dann kann uns das System nichts anhaben.“ Hat der Staat verloren? Die teilweise milden Urteile und die Aktivität verurteilter SSS-Anführer bedeuten nicht, dass der Staat verloren hat. Aber er hat auch noch nicht gewonnen. „Es macht einen Unterschied, ob 30 Mann offen durch die Stadt marschieren und den Bürger vom Gebrauch seiner verfassungsmäßigen Grundrechte abhalten oder ob kleine Grüppchen illegal existieren“, sagt Oberstaatsanwalt Jürgen Schär, „die massenhafte Gewalt und das offene Auftreten der Rechtsextremisten ist zurückgedrängt worden.“ Jugendliche in der Region müssen sich entscheiden: Mache ich mit, dann riskiere ich eine Vorstrafe. Das Mitlaufen ist gefährlich geworden, der Staat hat die Schwelle erhöht, zum aktiven perspektive21

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Rechtsextremisten zu werden. „Es muss eine Potenzierung krimineller Energie stattfinden“, sagt Oberstaatsanwalt Schär, „der normale Jugendliche wird sich solchen Gruppen nicht annähern.“ Die schwarze Liste der SSS Das Vorgehen gegen die SSS zeigt, dass staatliche Repression mit einem hohen Aufwand an Personal kriminelle rechte Strukturen erschüttern kann. Es zeigt auch, dass ein Verbot allein nichts nutzt. Nur wenn der Staat das Verbot ernst nimmt und gegen Wiederbelebungsversuche vorgeht, lassen sich Städte und Dörfer aus der Umklammerung befreien. Für eine Entwarnung in der Sächsischen Schweiz besteht allerdings kein Grund. „Nach den Urteilen in den SSS-Prozessen hat sich die Situation nicht vollständig gebessert“, sagt Verfassungsschützer Vahrenhold, „wir haben nach wie vor eine sehr starke rechtsextremistische Szene, aber ich würde nicht davon ausgehen, dass man sich in Pirna nicht ohne Weiteres frei durch die Stadt bewegen kann.“ Lutz Richter, 32, lebt in Pirna. Er trägt an jedem Ohr einen Ohrring, engagiert sich in dem alternativen Verein Akubiz, wo er Konzerte und Lesungen organisiert. Richter ist für die SSS ein Feind, spätestens seit er im ersten Prozess als Zeuge aussagte. Damals warnte ihn das Landeskriminalamt: Richter stand auf einer schwarzen Liste der SSS, 50

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mit detaillierten Informationen über sein PKW-Kennzeichen, private Gewohnheiten und beruflichen Werdegang. Seither meidet Richter bestimmte Wege wie den durch den Friedenspark in Pirna, wo sich rechte Kameraden abends am Kriegsdenkmal treffen: „Ich würde abends nie durch Reinhardtsdorf-Schöna laufen, weil es da Rechte gibt, die organisiert sind und mich kennen.“ Ist sein Leben in Pirna freier geworden durch die Prozesse und die Razzien? „Offene Aktionen werden seitdem vermieden“, sagt Richter, „auf der Straße hätte ich ja ein Gesicht zu der Tat.“ Die Methoden sind subtiler geworden. Als Richter im November 2006 von einer Theater-Aufführung in Reinhardtsdorf-Schöna kommt, sind die Reifen seines Autos zerstochen. Nachts bekommt er anonyme Anrufe auf seinem Handy: „Komm vor die Tür! Wir warten draußen.“ Brutaler Nachwuchs Auch rechte Gewalt ist nicht verschwunden aus den Städten und Dörfern der Sächsischen Schweiz. Im April 2007 treffen sich Jugendliche, die nicht bei den Rechten mitmachen und bunte Haare und T-Shirts bevorzugen, an ihrem Lieblingsplatz an der Elbe. Von dem erhöhten Bahndamm, der Pirna mit Königstein verbindet, fliegen plötzlich große Steine auf die jungen Leute. Eine Gruppe von 15 jungen Angreifern,


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viele sind nicht mal 18 Jahre alt, jagen „Zecken“, wie es die SSS über Jahre getan hat. „Die wollen nicht nur ein Zeichen gegenüber denen setzen, die sich nicht anpassen“, sagt Lutz Richter, „die bieten sich den alten SSS-Mitgliedern mit solchen Aktionen als Nachwuchs an.“ Die junge Neonazi-Generation in der Sächsischen Schweiz steht ihren Vorbildern an Brutalität in nichts nach. Die Schläger schieben sich noch schnell einen Mundschutz rein, um sich selbst zu schützen, bevor sie zuschlagen. Einige haben Schlagringe dabei. Sie überziehen ihre Opfer mit Frakturen an Kinn, Nasenbein und Schädel. Viel Personal und Zeit Der staatliche Verfolgungsdruck hat es für die Neonazis der Region zwar schwerer gemacht, sich zu organisieren. Doch offenbar funktionieren Strukturen noch so gut, dass auch große Gewaltaktionen wie die im Juni 2005 durchgeführt werden können. Heimkehrer aus Dresden fahren nachts mit der S-Bahn nach Pirna zurück. Bunte Republik Neustadt heißt das Fest, das sie besucht haben, die Dresdner Neustadt gilt als Hochburg der Linken und Alternativen. Als die Gruppe am Bahnhof von Pirna ankommt, wird sie von 60 jungen Rechtsextremisten erwartet, die brutal zuschlagen und treten. Das Gewühl erweist sich später als hilfreich für die Täter. Viele Schläge und Tritte

sind nicht mehr eindeutig zuzuordnen, viele Verfahren werden eingestellt. Nach der Gewalt-Orgie gehen die Ermittler gegen die „Copitzfront“ in Pirna vor, eine Kameradschaft, die offenbar die Ziele der alten SSS weiter verfolgt. Im Jahr 2004 schlägt wohl auch ein verurteilter SSS-Aktivist der ersten Generation wieder zu. B. überfällt offenbar nach einem Stadtfest in Pirna einen jungen Mann, der einen Laden für Hiphop-Kleidung betreibt, und schlägt ihn brutal zusammen. „Der junge Mann hat schlimme Verletzungen im Gesicht davongetragen“, sagt Opferberaterin Marianne Thum. Auf den Prozess vor dem Amtsgericht Pirna wartet das Opfer im Mai 2007 immer noch. „Für den Angeklagten wird die Lage immer besser, je weiter der Fall zurückliegt“, sagt Marianne Thum. Er hat ein Recht auf ein schnelles Verfahren. Mit jedem Tag, den das Amtsgericht Pirna verstreichen lässt, erhöhen sich seine Chancen auf ein mildes Urteil. Nur noch selten ist der Zusammenhang alter SSS-Kader mit Gewalttaten so offensichtlich. Am Beispiel der Skinheads Sächsische Schweiz lassen sich vielmehr die Anpassungsstrategien der neuen Nazis ablesen. Der Skinhead-Truppe wurde vor ihrem Verbot zum Verhängnis, dass sie bei aller konspirativen Verschwörerei nicht auf Uniformen und Rangabzeichen verzichten mochte. Besser können sich Mitglieder einer Schlägerbande perspektive21

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nicht als kriminelle Vereinigung ausweisen. Das haben die SSS-Anführer verstanden und sich auf den politischen Kampf verlegt. Vieles spricht für ein rein taktisches Manöver. „Es wird versucht, die Gruppenstruktur aufrechtzuhalten“, analysiert Verfassungsschützer Vahrenhold. Bei der Fortführung der verbotenen Organisation handelt es sich um ein Dauerdelikt. Um zu verhindern, dass die Strategie der kriminellen Rechtsextremisten aufgeht, die eine systematische Jagd auf Andersdenkende organisiert haben, braucht der Staat festen Willen und einen langen Atem. Die Staatsanwaltschaft Dresden hat nach der Verurteilung von Rädelsführer S. wegen Fortführung der verbotenen

Organisation sechs weitere Mitglieder der SSS angeklagt. Allein in Sachsen gibt es weiterhin mehr als 30 Kameradschaften. Viele unterscheiden sich in Ideologie und Zielen nicht von SSS oder dem ebenfalls als kriminelle Vereinigung verbotenen Sturm 34. Der Staat kann organisierte rechte Kriminalität erfolgreich bekämpfen, wenn er bereit ist, ausreichend Personal und Zeit zu investieren. Ein Verbot macht nur Sinn, wenn es auch durchgesetzt wird. Das ist eine wichtige Erkenntnis aus dem mühsamen Kampf gegen die Skinheads Sächsische Schweiz, Blood and Honour oder Sturm 34: Rechtsstaat und die Sicherheit der Bürger gibt es nicht zum Schnäppchen-Preis. ■

MICHAEL KRASKE UND CHRISTIAN WERNER

sind Politikwissenschaftler, Journalisten und Autoren. Der Beitrag entstammt ihrem Buch „...Und morgen das ganze Land – Neue Nazis, befreite Zonen und die tägliche Angst. Ein Insiderbericht”, Herder Verlag 2007 52

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wolfram hülsemann – eigene wege

Eigene Wege DEMOKRATISCHE OPTIONEN BEI RECHTSEXTREMEN ENTWICKLUNGEN IM LÄNDLICHEN RAUM VON WOLFRAM HÜLSEMANN

„Eben, das sag’ ich ja! Es entwickelt sich, Genossen Bauern! Und darum meine ich, sammelt vielleicht die ganze Bauernschaft etwas Geld.“ „Wofür denn bloß, Väterchen?“, fragten neugierig die Bauern. „Für ein Flugzeug natürlich!“ sagte der Redner. Die Bauern lächelten sehr finster und gingen langsam auseinander. Geld für ein neues Flugzeug brachte Kossonossow, als er von seinem Urlaub zurückkam, nicht mit... Die Leute vom Lande ... waren halt noch ein sehr ungebildetes Volk!* tadt und Land und ihre unterschiedlichen Entwicklungsbedingungen – dies ist ein altes Thema. Nicht immer kommt das, was in der Stadt, in Potsdamer, Berliner oder in Cottbuser Büros gedacht wird, in den kleinen Städten des ländlichen Raumes gut an. Die Erfahrungen der Mobilen Beratungsteams (MBT) zeigen, dass es gerade die Entwicklung der kleineren Städte ist, die zur Sorge oftmals mehr Anlass bietet, als die unserer Dörfer. Die langjährigen Erfahrungen der MBT zeigen: Positive Entwicklungen leben von guten Ideen. Und diese Ideen müssen kommuniziert werden.

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Uhren auf dem Land ticken anders Ein kleiner literarischer Hinweis aus den revolutionären Tagen des frühen Sowjetrusslands (den fast jeder DDR-

Bürger, gelesen von Manfred Krug, kannte) deutete an, was teilweise auch unsere Erfahrung ist: Die Uhren auf dem Lande ticken meist anders als städtische Planungsbüros und Administrationen. Der Propagandist in der Satire Sostschenkos kam mit neuen Ideen ins Dorf. Eine Kampagne wollte er lostreten. Aber mit Veränderungswünschen, die von der Stadt oder dem Land ausgehen, können die Menschen vom Lande häufig nichts anfangen. Das Neue erscheint bedrohlich: Sie lächelten sehr finster und gingen langsam auseinander! Auch die französische Revolution wurde von der Landbevölkerung nicht stürmisch begrüßt – die wollte ihren König behalten. Die Planung der Eisenbahnlinien quer durchs Land waren häufig gegen den vehementen Widerstand im * Michail Sostschenko, Die Kuh im Propeller

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ländlichen Raum umgesetzt worden. Und denken wir nur an den Widerstand gegen die Zwangskollektivierung in der DDR. Auch die Wendlandbauern zeigen sich gegenüber der atomaren Endlagerung in Gorleben mehr als skeptisch und praktizieren zivilen Ungehorsam. Und die brandenburgische Gemeindegebietsreform hat Abwehrhaltung und Resignation in spürbarem Ausmaß ausgelöst. Keine urbanen Fantasien Wie immer wir als Beobachter anstehende oder in Gang gekommene Entwicklungen bewerten: Menschen in ländlichen Räumen entwickeln abwartende Skepsis, wenn sich ihr Lebensraum nach Ideen und Vorstellungen ändert, die nicht auf „ihrem Mist“ gewachsen sind, nicht ihre Lebensgefühle berücksichtigen oder aus urbanen Fantasien geboren sind. Wer also über situationsangepasste Gegenstrategien angesichts rechtsextremer Strategien und antidemokratischer Stimmungen nachdenkt, muss sozioökonomische und sozio-kulturelle Aspekte des ländlichen Raumes im Blick haben. Frisch fröhlich mit „Kampagnen gegen Rechts“ übers Land zu ziehen, kann erfahrungsgemäß geradezu kontraproduktiv sein. Als sich angesichts des entsetzlichen Mordes an dem jungen Marinus Schöberl 2002 im uckermärkischen 54

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Potzlow die Antifa der Kreisstadt und aus Berlin zum Protest versammelte, als Journalisten aus aller Welt Bilder und Meinungen sammelten, wurden die Rollläden der Fenster runtergelassen. Es hat auch Jahre und viele Gespräche gebraucht, bis die Bürgerinnen und Bürger aus Halbe gemeinsam mit Menschen von außerhalb sich gegen die Neonaziaufmärsche auf und vor dem Halber Waldfriedhof öffentlich stellten. Noch sind uns auch die Vorgänge um die so genannten Kameradschaft Freikorps im Havelland in Erinnerung, einer Gruppe junger Leute, die Imbissstände von Besitzern nichtdeutscher Herkunft anzündete und Menschen in Lebensgefahr brachte. Fremdenfeindliche Stimmungen trugen dazu bei, dass die Menschen vor Ort kritische Anfragen von außen abwehrten. Geschichte hinterlässt Spuren Jeder Ort und jede Region lässt bei genauerer Betrachtung eigene Geschichte und eigene Lebenskultur erkennen. Autoritativen Herrschaftsformen wie Patronatsherrschaft, NS-Zeit und SEDDiktatur haben ihre Spuren hinterlassen. Aber insgesamt kann man sagen: Eine von demokratischen Grundwerten geleitete Bürgergesellschaft und demokratische Bürgerverantwortung etablieren sich nicht über kurzatmig von außen gesteuerte Kampagnen. Die Abhängigkeiten, die vom Zusammen-


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leben auf dem Land konstitutiv sind, bringen Verhaltensmuster hervor, die sich von einer urban geprägten und diskursiven Bürgergesellschaft durchaus unterscheiden. Soziologische Untersuchungen weisen aus, dass die Zustimmung in Ostdeutschland zur Demokratie als Staatsform auch im Vergleich zur Bevölkerung in den alten Bundesländern Besorgnis erregend niedrig ist. Nur noch sechs von zehn Ostdeutschen (64 Prozent) halten die Demokratie für die beste Staatsform, wie sich aus dem Datenreport 2006 ergibt. Hingegen gaben 85 Prozent der Westdeutschen an, die Demokratie für die beste Staatsform zu halten. Auf dem Land werden sich diese Werte nicht zwingend zu Gunsten der Demokratie verschieben. An Vorhandenes anknüpfen Die Förderung einer demokratisch orientierten Zivilgesellschaft von außen verlangt zunächst immer umfassende Klärung der konkreten Lebenssituation und der jeweiligen sozialen, kulturellen und politischen Hintergründe. Dass rechtsextreme Strategien den ländlichen Raum Ostdeutschlands als herausragendes Handlungsfeld abgesteckt haben, ist vielerorts beschrieben. Diese Strategien knüpfen nachweislich an Fragen, Enttäuschungen, Unzufriedenheit und tradierten (häufig nicht-demokratischen) Vorstellungswelten der Bevölkerung an.

Nach 1990 hat sich die Landwirtschaft zu einem marktfähigen Wirtschaftszweig entwickelt. Diese Entwicklung war den vorgegebenen Betriebsstrukturen aus DDR-Zeiten geschuldet. Modernisierung und Rationalisierung setzten jedoch Arbeitskräfte in hohem Maße frei. Zum ersten Mal werden nun Dorfökonomie und Sozialstruktur sowie soziokulturelle Merkmale auf dem Dorf nicht mehr durch die Landwirtschaft geprägt. Landwirtschaftliche Ökonomie und der Sozialraum haben sich weitgehend entkoppelt. Damit erscheinen Selbstverständnis und Identität der angestammten Bevölkerung im ländlichen Raum verstört. Die Gemeindegebietsreform hat diesen Identitätsverlust nicht unerheblich verstärkt. Kleine Gemeinden wurden zum Beispiel kleinen Städten zugeordnet und eingemeindet. Gefühlsäußerungen, aber auch die heute zu beobachtenden Kommunikationsweisen der lokalen politischen Akteure machen sehr oft deutlich, dass sich die Dörfer auch nach der Eingemeindung nicht wirklich zum neuen Ort dazugehörig fühlen. Umgekehrt betrachten die Kernstädte die eingemeindeten Dörfer mitunter auch nur als Anhängsel. Diese Siedlungsbereiche brauchen Aufmerksamkeit und Unterstützung. Die Bilder für Verlust an Lebensqualität sind bereits häufig nachgezeichnet worden: Dorfkonsum, Kirche, Schulen, perspektive21

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Arztpraxen usw. haben sich vielerorts aus ökonomisch durchaus einleuchtenden Gründen zurückgezogen. Alternative Konzepte für kleinteiliges Wirtschaften oder Tourismus haben ihre stabilisierende Kraft noch nicht nachweisen können. Die Unterscheidung von innerem Verflechtungs- und äußerem Entwicklungsraum verunsichert gerade diejenigen, die sich „draußen“ fühlen. Zu- bzw. Abwanderungsbewegungen verunsichern ländliche Bewohner zutiefst, weil ihnen damit ihr komplexes Lebensbild gefährdet erscheint. Wenn Kinder, Enkel und Nachbarn „das Weite suchen“, sind die Verbleibenden verunsichert, weil Haus und Hof als Lebenswerk und Lebenssinn in Frage stehen. Eigene Potenziale nutzen Es wäre müßig und dumm, schmerzlich empfundene Entwicklungen im ländlichen Raum zu verteufeln, sowenig wie es sinnvoll war die Entwicklung des mechanischen Webstuhls zu verteufeln. Hinsichtlich situationsangepasster Konzeptentwicklungen als auch der Art der Vermittlung sowie möglicher Beteiligungsverfahren sind politische und gestalterische Innovationen gefragt, will man Demokratie als unveräußerlichen Grundwert und Lebensform verankern helfen. Was im ländlichen Raum zählt, sind ungeschriebene, als stets vorhanden 56

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geltende verlässliche Beziehungen. Nachbarschaftshilfe, Kooperationsfähigkeit, vielgestaltige Beteiligungsformen sind im ländlichen Raum eher vorhanden als in urbanen Lebenszusammenhängen. Gemeinschaft stiftende Rituale, Feste und Vorhaben sind verankert und können, was die Verantwortlichkeit und Ausgestaltung angeht, ausgebaut werden. Bestimmte Gemeinschaftsaufgaben haben sich über Generationen an bestimmten Familien festgemacht. Hier liegen aus unserer Sicht die besten Anknüpfungspunkte für demokratische Mitverantwortung und Mitgestaltung. Andererseits: Menschen, im ländlichen Raum aufgewachsen, fragen dort für die eigene Orientierung eher nach dem, was die anderen denken und tun, als in urbanen Lebenszusammenhängen. Man sieht eher auf Meinungsmacher, sieht auf die Mehrheitsmeinungen und -stimmungen, die kollektiven Bewertungen im Gemeinwesen. Kommunikation und Kooperationsverhalten gestalten sich immer auch unter dem Gesichtspunkt allgemeiner sozialer Kontrolle: Wer dort wohnt, muss nicht immer „konform“ mit der Mehrheitsmeinung gehen, aber die Abweichungen im Auge behalten und die Konsequenzen einkalkulieren. Nur so entgeht man der Gefahr, Integration und Wertschätzung innerhalb der Mehrheitsgesellschaft zu verspielen.


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Deshalb: Plakativ und frontal vorgetragene Kampagnen gegen „Rechts“ und für Demokratie polarisieren meist und bringen nicht den gewünschten Partizipationseffekt (man denke nur an Sostschenkows Satire). So wundert es auch nicht, dass bei einer „Aufklärungsveranstaltung in Sachen Rechtsextremismus“ im sächsischen Mügeln kam kaum jemand aus Mügeln selbst kam. Das Fremde und das Laute mag gut gemeint sein, wirkt aber meist kontraproduktiv. Häufig werden Anstöße „von außen“ als Angriffe und Nestbeschmutzereien verstanden. Symbolpolitik weißt demokratische Sensibilität in den Medien nach, in den Weiten des märkischen Sandes zerrinnt sie erfahrungsgemäß. Schnell und wirklich gut gemeinte Hilfsangebote werden zwar freundlich angenommen, versanden nach unseren Erfahrungen jedoch schnell im ersten Anlauf der Konkretion. Vorhandene endogene Potentiale werden auf diese Weise nicht vitalisiert. Wie die Feuerwehr helfen kann Die repräsentative Demokratie weist politischen Parteien eine wichtige Rolle zu. Nach dem Willen des Grundgesetzes beteiligen sie sich an der politischen Willensbildung. Mittlerweile scheint es trotz dieses herausgehobenen Platzes im Grundgesetz zum guten Ton zu gehören, Distanz zu politischen Parteien zu pflegen. Freie Wählervereinigungen, auch

Verbände wie die Freiwillige Feuerwehr und Einzelakteure übernehmen politische Verantwortung in den Kommunen. Deren politische Grundüberzeugungen aber sind häufig kaum erkennbar. Dieser allgemeine Tatbestand zeigt sich in den ländlichen Räumen Brandenburgs noch eindrücklicher als in den größeren Städten – die Bedeutung demokratischer Parteien ist auf dem Land eher gering. Wo sie aber agieren, verstehen sich ihre Akteure vor Ort häufig nicht als faire politische Konkurrenten auf der Suche nach den besten Lösungen für das Gemeinwesen. Sie artikulieren ihr Selbstverständnis und ihre Gestaltungsabsichten oftmals ausdrücklich „unpolitisch“. Das „Politische“ scheint für die meisten negativ besetzt. Parteiengezänk oder innerparteiliche Querelen, wie sie „weiter oben“ beobachtet werden, wirken für den wünschenswerten Demokratiezuwachs nicht geschmacksbildend. Egomanisch-exhibitionistisch erscheinende Inszenierungen politischer Akteure lösen eher Befremden aus, als dass sie zur politischen Mitbeteiligung einladen. Häufig wird dieses Befremden auch in resignativer Haltung beschrieben: Parteipolitiker würden nur die Probleme sehen wollen, für die sie schnelle Lösungen anbieten könnten. Das mag zu recht unzulässig verallgemeinernd und larmoyant erscheinen. Zu bedenken und zu überprüfen wären solche Stimmungsbilder durchaus. perspektive21

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Hilfreich wäre für die demokratischen Parteien, wenn sie insbesondere im Blick auf die ländlichen Räume, das Nachdenken über ihre eigene Lebenskultur verstärken könnten. Zu Recht beklagen führende Landespolitiker, dass sie sich mitunter wie Kämpfer in Arenen vorkämen, in denen Bürgerinnen und Bürger als Zuschauer nur Bewertungen, meist aber Verurteilungen abgeben. Eine auf Zuwachs angelegte innerparteiliche Kultur wird davon ausgehen müssen, dass neben dem unmittelbaren Willen zum politischen Engagement auch konkrete soziale Bedürfnisse zum Mitwirken in den Parteien motivieren: Zugehörigkeit, willkommen geheißen werden, wahrgenommen und gefragt werden oder eine Meinung auch als Minderheitenmeinung geachtet sehen, stärken den bürgerlichen Partizipationswillen. Kleine Gesten haben mitunter große Wirkung! Das gilt insbesondere mit Blick auf die Teilhabe Jüngerer an der Mitarbeit in demokratischen Parteien. Sarkastische Beobachter meinen, die einzige Partei, die etwas für ihren Nachwuchs tue, sei die NPD. Die Jugendorganisationen der demokratischen Parteien brauchen Kommunikationsforen, die in den Mutterparteien ernsthaft Beachtung finden. Sie dürfen nicht als Spielund Trainingswiesen für künftige Zeiten missverstanden werden. Der Begriff „Jugend“ als soziale Gruppe meint schon seit langem nicht „Men58

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schen im Werden auf das eigentliche Ziel – nämlich erwachsen sein“. Vielmehr ist die „Jugend“ eine Population Gleichwertiger – in einer bestimmten Lebensphase – der Gesamtgesellschaft. So macht es auch keinen politischen Sinn, von „Nachwuchs“ zu reden. Junge Menschen in solchen Zusammenschlüssen sind etwas „Eigenes“. Sie können ein – mit angemessener Teilhabeerfahrung – höchst wichtiges Klärungspotential in politischen Prozessen sein. Häufig stoßen sich nicht politische Grundüberzeugungen zwischen Jungen und Älteren. Alltagskulturelle Spannungen, ausgelöst durch divergierende Kommunikationsformen, behindern generationsübergreifendes Gestalten im Gemeinwesen. Das kann man insbesondere in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus beobachten. Junge Menschen, die geistig alles mitbringen, was eine demokratische Partei braucht, werden mitunter wegen „ihrer großen Klappe“ oder ihrer Kleidung („die sehen ja aus wie bedrohliche Autonome“) ausgegrenzt. Wichtig wäre es, die „Seismographen-Funktion“ der Jüngeren kreativ mit einzubauen. Mit allen Sinnen erfahren Demokratie als politische Wertegemeinschaft braucht politische Bildung, braucht die Übung in der Klärung von Sachen zu Gunsten vernünftiger Ent-


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wicklungen, braucht den Streit und die Fähigkeit zum Kompromiss. Das kann auf dem Lande nicht anders gehen als in urbanen Bereichen. Politische Bildung braucht didaktische Klärungen und Entscheidungen: Wie und zu welcher Zeit und mit welchen Möglichkeiten sollen mit wem politische Fragen bedacht und Schlussfolgerungen gezogen werden? Bildungsprozesse in Lateinamerika lehrten uns vor vielen Jahren bereits, dass es um frühe Mitbeteiligung, um das finden der je eigenen Sprache, um das eigene Erkennen, um Lebensfreude und Freiheit gehen muss. Demokratie wird nur mit allen Sinnen und mit Sinnlichkeit tief erfahren und verinnerlicht. Demokratie muss manchmal auch Spaß machen und das ist etwas anderes als die Befriedigung eines Egotrips. Warum keiner kommt Was bedeutet das für den Umgang mit rechtsextremen Entwicklungen? Der ländliche Raum braucht seine eigenen Formen und hat sein eigenes Tempo. Was eigentlich rechtsextrem ist, kann wohl manchmal nur wirkungsvoll am Stammtisch geklärt werden. In der Regel bestimmt der Bürgermeister, was in seinem Bereich als „rechts“ zu gelten hat. Das kann alles sein, was seine eigenen Familienangehörigen, seine engsten Freunde und Weggefährten nicht ins Zwielicht rückt. Anders als in der Stadt,

müssen im ländlichen Bereich nicht immer von außen neue Plattformen gegen Rechtsextremismus und Rassismus initiiert werden. Ausnahme sollten rechtsextreme Gewalttaten sein: Empörung braucht öffentlichen Raum. Sonst aber lösen öffentliche Versammlungen, eigens zum Thema einberufen, erfahrungsgemäß meist nur Widerwillen und Widerstand aus. Und ein Großteil eingeladener Menschen kommt einfach nicht. Angebote politischer Erwachsenenbildung in der bekannten „Komm-herStruktur“ gibt es zu Hauf. Das muss auch so bleiben. Wollen wir aber diejenigen erreichen, die daran nie partizipieren, müssen die Räume in Augenschein genommen werden, in denen sich Menschen – aus welchen Gründen auch immer – treffen. Die bereits vorhandenen „Zusammenschlüsse“, also Vereine, Initiativen, Kirchgemeinden und andere mehr bieten so etwas wie einen geschützten Raum. Da kann man sich ohne Rechtfertigungsdruck treffen. Das können Orte sein, wo Menschen sich selbst mit den anstehenden Fragen auseinander setzen lernen. Das ist, so unsere Erfahrung, ein meist mühsamer Weg, aber häufig einer mit nachhaltigen Ergebnissen. Vor allem hat das den Vorteil, dass wir Menschen an der Basis erreichen und dafür zugleich von den Dachorganisationen Unterstützung erfahren. Ich denke dabei etwa an den Verband der Freiwillige Feuerwehr, den perspektive21

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Fußballverband, die Johanniter, die Evangelische Landeskirche und viele andere mehr. Die Themen solcher Zusammenkünfte können unterschiedlichste Inhalte und unterschiedlichste Ziele haben. Wichtig ist die Diskussion um die Probleme der Gemeinschaft: ■ Ein eingemeindetes Dorf kann sich nicht damit abfinden, nun „von außen“ bestimmt zu werden. Es fragt nach dem eigenem Gesicht, den eigenen Gestaltungsmöglichkeiten. Eine generationenübergreifende bunte „Dorfkonferenz“ brachte viel Konstruktives in Bewegung. Die Grundsatzentscheidung war nicht zu revidieren. Das Zusammengehen ließ jedoch viele neue Möglichkeiten entdecken. ■ Ein altes Kriegerdenkmal soll in der Dorfmitte wieder ein würdiger Ort sein. Über die Neugestaltung, die zu erneuernden und zu ergänzenden Inschriften muss geredet werden. Eine Dorfversammlung lässt die Meinungen aufeinanderprallen. Eine aus diesem Anlass eingerichtete „Geschichtswerkstatt“ findet unter großer Teilnahme der Bevölkerung eine angemessene Lösung. Rechtsextreme Vorstellungen werden abgewehrt.

Schulzusammenlegungen auf dem Land bringen Unruhe, auf jeden Fall aber längerer Wege und Wartezeiten für die Schülerinnen und Schüler. Rechtsextreme bieten sich als „soziale Begleiter“ zur Überbrückung an. Aufmerksame Menschen aus betroffenen Dörfern, suchen nach Lösungen, um die Wartezeiten sinnvoll auszufüllen. Eltern eines Dorfes bekommen irgendwann mit, dass ihre Kinder ganz selbstverständlich rechtsextreme Musik hören und so nicht-demokratische, inhumane Gedanken unbeobachtet einziehen. Sie bringen die Verteilquelle in Erfahrung. Sie holen sich Hilfe von außen. Irgendwann kommen sie über Grundsatzfragen der Erziehung ins Gespräch.

Wer den rechtsextremen Entwicklungen von vornherein den Boden entziehen will, wird gut beraten sein, die vorhandenen Ressourcen und Potentiale zu stärken und zu fördern. Menschen im ländlichen Raum finden ihre eigenen Wege. Darin sollten sie gut – auch von außen – begleitet werden. Empathie ist eine der Grundbedingungen gelingender demokratischer Entwicklung. ■

WOLFRAM HÜLSEMANN

ist Leiter von demos – Brandenburgisches Institut für Gemeinwesenberatung und Träger des Stuttgarter Friedenspreises 2006. 60

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Was tun? Und was lassen? ERFOLGSBEDINGUNGEN UND HINDERUNGSFAKTOREN VON INITIATIVEN GEGEN RECHTSEXTREMISMUS VON CHRISTIAN DEMUTH

echtsextremismus breitet sich weiter in der Gesellschaft aus. Die Zahl der Mitglieder rechtsextremistischer Parteien und Organisationen ist seit dem formalen Scheitern des NPDVerbotsverfahrens wieder angestiegen. In der rechtsextremistischen Szene hat Militanz und Aggressivität erheblich zugenommen. Gemessen an seiner Einwohnerzahl liegt das Land Brandenburg auf einem traurigen zweiten Platz der Statistik rechtextremistischer Straftaten in Deutschland. Parteien aus diesem Spektrum haben in den letzten Jahren enorme Zuwächse zu verzeichnen. Die NPD erreichte 2004 bei den Landtagswahlen in Sachsen 9,2 Prozent und 2006 in Mecklenburg-Vorpommern 7,3 Prozent der Stimmen. Der DVU zog trotz kaum wahrnehmbarer Oppositionspolitik nach 1999 (5,3 Prozent) im Jahr 2004 (6,1 Prozent) für eine weitere Legislaturperiode in den Brandenburgischen Landtag ein. Die sächsische NPD liegt in den Wählerumfragen weiterhin konstant über fünf Prozent, ob-

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wohl sich deren Landtagsfraktion durch Skandale in nur einer Legislaturperiode halbiert hat und auch ansonsten aus eher fragwürdigem Personal besteht. Nach der Studie zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ von Wilhelm Heitmeyer sind Elemente wie autoritäre Denkmuster und Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Etabliertenvorrechte in großen Teilen der Bevölkerung verbreitet. So stimmen im Osten etwa 68 Prozent der Bevölkerung der Aussage zu, „in Deutschland leben zu viele Ausländer“ (West: 57 Prozent), 39 Prozent sagen, „wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die in Deutschland lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken (West: 28 Prozent).* Um rechtsextremistische Entwicklungen zu bekämpfen werden neben staatlichen Präventions- und Repressionsmaßnahmen immer wieder die * Sven Schönfelder, Rechtspopulistisches Potential in der Bundesrepublik Deutschland, in: Uwe Backes/ Hendrik Steglich (Hg.), Die NPD. Erfolgsbedingungen einer rechtsextremistischen Partei, Baden-Baden 2007

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zentrale Stellung und die besondere Bedeutung der Zivilgesellschaft im Kampf gegen Rechtextremismus hervorgehoben. Als Zivilgesellschaft wird meist jener öffentliche Raum zwischen staatlicher, wirtschaftlicher und privater Sphäre beschrieben, der durch eine Vielzahl vom Staat mehr oder weniger unabhängiger Vereinigungen mit unterschiedlichem Organisationsgrad und form gebildet wird. Welche Bedingungen ermöglichen aber den Aufbau und das erfolgreiche Wirken zivilgesellschaftlicher Initiativen gegen Rechtsextremismus? Und was sind die Hinderungsfaktoren, die Engagement verhindern und konterkarieren? Die folgende Analyse speist sich zum einen aus Interviews mit Experten aus dem Anti-Rechtsextremismusbereich, zum anderen aus den Erfahrungen des Autors als Vorsitzender des Vereins Bürger.Courage aus Dresden. Versagen lokaler Funktionsträger Als einer der wichtigsten Hinderungsfaktoren für ein Engagement gegen Rechtsextremismus kann das Versagen kommunaler Positions- und Funktionseliten wie lokaler Politiker, Journalisten von Regionalzeitungen, Schulleiter, Unternehmensleiter oder auch Vereinsvorsitzender gelten. Sie sind wichtige Wortführer und Multiplikatoren, die in einer Kommune die Bevölkerung auf ihre Seite ziehen und mobilisieren kön62

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nen. Ihr „Versagen“ besteht darin, dass sie neonazistischen Entwicklungen häufig passiv gegenüberstehen oder sie solche Entwicklungen einfach ignorieren. Zwar gibt es viele kommunale Entscheidungsträger, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Auch nimmt deren Zahl angesichts zivilgesellschaftlichen Engagements zu. Dies ist aber nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Für Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, hat dies in mehrfacher Weise Folgen: Sie erhalten in der Folge keine institutionelle und – nicht zu unterschätzen – symbolische Unterstützung in der Gemeinde. Sie werden oftmals als Unruhestifter und Nestbeschmutzer beschimpft, die schlimmer seien als die „ordentlich“ auftretenden Rechtsextremisten. Die Ursachen des Verhaltens sind vielschichtig. Erstens existiert oftmals ein Mangel an Wissen über rechtsextremistische Strategien, so dass über den wahren Kern von rechtsextremistischen Veranstaltungen wie Sonnenwendfeiern oder Skinhead-Musikkonzerten Unkenntnis vorherrscht. Zweitens fehlt immer wieder eine klare politische Positionierung. Rechtsextremisten sind demnach nicht stark, „weil sie verarmten Massen ein Forum bieten. Sie sind stark, weil sie das Politische besetzen, das die etablierten Eliten längst geräumt haben oder nie richtig besetzt haben“.* * Gunnar Hinck, Eliten in Ostdeutschland, Berlin 2007


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Und drittens hört man immer wieder einen falschen Neutralitätsgedanken: Rechtsextremisten seien genauso zu behandeln wie Demokraten. Die Folge ist daher entweder, dass rechtsextremistische Gruppen bei der Ausübung ihrer Aktivitäten keine Steine in den Weg gelegt werden oder aber allen demokratischen Parteien und Vereinen beispielsweise die Nutzung von Schulräumen untersagt wird, weil sonst nämlich die NPD oder Kameradschaften das Recht hätten, ebenfalls jene Räume zu mieten. Niemanden diskriminieren? Immer wieder trifft man als Initiative auf geradezu absurde Reaktionen von Unternehmen und Institutionen, wie folgende Beispiele aus Dresden zeigen: Auf die Anfrage an ein großes Dresdner Unternehmen des öffentlichen Dienstes, ob man zusammen mit dem Verein Bürger.Courage eine Aktion für Demokratie durchführen wolle, erhielt der Verein eine ablehnende Antwort. Die Gründe: Erstens sei eine solche Aktion für Demokratie parteipolitisch, das Unternehmen als neutrale Institution daher nicht berechtigt, ein solches Projekt zu unterstützen. Zweitens könne man nicht partizipieren, weil man als öffentliches Unternehmen niemanden diskriminieren dürfe. Außerdem hätte man Angst vor Vandalismus. Wird aber das Werben für Demokratie zur Parteipolitik, zur Diskriminierung von Anti-

Demokraten und befürchtet man Schaden von Seiten eben jener Antidemokraten, dann zeigt dies erschreckende Mängel der demokratischen Gesinnung bei den Entscheidungsträgern im öffentlichen Sektor. Der beschriebene Fall ist kein Einzelbeispiel. Bei der Anfrage an eine andere Dresdner Institution mit der Bitte, ein unprovokatives Banner zur Warnung vor dem Aufmarsch von Rechtsextremisten aufzuhängen, antwortete die zuständige Abteilungsleiterin, wenn man solche Banner aufhängen dürfe, dann müsse man auch erlauben, Hakenkreuze (!) aufzuhängen. Deswegen müsse sie das ablehnen. Schließlich schlug ein sächsischer Landrat im Gespräch als Lösungsvorschlag für das Jugendproblem „Rechtsextremismus“ vor, man solle doch einfach den Jugendlichen einen Steinbruch und Gotcha-Pistolen zur Verfügung stellen. Dann wäre das Problem erledigt. Distanz zu „linken“ Akteuren Häufig besteht eine gewisse Distanz zwischen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren: Jene sehen – oft berechtigt – das Verhalten staatlicher Akteure in Bezug auf die Behandlung der rechtsextremistischen Thematik äußerst kritisch. Die anderen sind mangels Erfahrung sehr skeptisch im Umgang mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, nicht zuletzt weil sich gerade in diesem Themenbereich häufig „linke“ perspektive21

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Akteure aktiv engagieren. Sie gehen gleichzeitig den Strategien der Rechtsextremisten auf den Leim, die aktiv versuchen, Initiativen gegen Rechtsextremismus als „Linksextremisten“ zu verunglimpfen. Nichtsdestoweniger erscheint es die einzige Möglichkeit zu sein, gerade jene Kräfte vor Ort zu stärken, die eine Gegenkultur gegen rechtsextremes Denken aufbauen können. Gerade in Gebieten – aber nicht nur dort – wo keine NPD-Struktur als Kristallisationspunkt, sondern nur eine oft diffuse rechtsorientierte Subkultur besteht, ist dieses Vorgehen unvermeidlich. In vielen Kommunen – nicht zuletzt im ländlichen Raum und in den neuen Bundesländern – gibt es überhaupt nur eine schwache Zivilgesellschaft und demokratische Kultur. Initiativen gegen Rechtsextremismus haben daher sowohl ein Rekrutierungs- als auch ein Mobilisierungsproblem. Demokratischen Initiativen stehen zunächst vier Gruppen als „Gegner“ gegenüber: die rechtsextrem orientierte Jugendkulturszene, Erwachsene mit völkischen und/oder nationalistischen Deutungsmustern, rechtsextremistische Organisationen ohne (freie Nationalisten oder autonome Kameradschaften) und Organisationen mit Parteistatus (DVU, NPD). Keineswegs bilden diese eine harmonische Einheit. Viele Mitglieder von Kameradschaften lehnen eine Zusammenarbeit mit 64

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rechtsextremen Parteien wie die NPD oder noch stärker mit DVU und Republikanern ab, seien diese doch viel zu systemangepasst, zu wenig revolutionär und unprofessionell.* Ebenso lehnen oftmals völkisch oder nationalistisch gesinnte Erwachsene das militante und antibürgerliche Verhalten von Neonazis und Skinheads ab oder sie sind derart politikverdrossen, dass sie auch die NPD als Partei ablehnen. Nicht minder lassen sich Jugendliche aus rechtsextrem orientierten Jugendkulturen nicht automatisch für rechtsextremistische Zwecke einspannen. Gemeinsames Band nötig Alle diese Gruppen weisen aber ein verbindendes Moment auf: Sie reproduzieren eine Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen, die auf rassistischen, sexistischen, völkischen, nationalistischen und/oder fremdenfeindlichen Motiven beruht. Das führt zu einer vergleichsweise hohen Homogenität im rechtsextremistischen Lager. Bei den demokratischen Kräften muss hingegen ein „gemeinsames Band des demokratischen Bewusstseins“ erst entwickelt werden. Initiativen gegen Rechts müssen hier oft erst eine einheitliche Front der Demokraten organisieren. * Christian Demuth, Die rechtsextremistischen Parteien in Brandenburg; in: Jakob Lempp (Hg.), Die Parteien in Brandenburg, 2008 (i. E.)


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Neben den Rechtsextremisten existiert zusätzlich eine Schicht neutraler Erwachsener und Jugendlicher, die sich meist als unpolitisch verstehen und sich nicht öffentlich positionieren oder politisch artikulieren. Es bestehen fließende Übergänge zwischen jenen Lagern: Sowohl lehnen die meisten „neutralen“ Angehörigen einer Gemeinde neonazistischen Tendenzen ab. Genauso finden sich aber in jener Schicht erhebliche rechtspopulistische Denkmuster, die sich insbesondere durch eine tendenzielle Unterstützung von Thesen der Ungleichwertigkeit des Menschen sowie stark vereinfachender Politikanalysen, nach denen sich das „Volk“ gegen die „da oben“ wehren müsse, zeigen.* Das Problem besteht darin, dass es manchen NPD-Mitgliedern gelingt, ihr persönliches Ansehen in Kommunen oder in Landkreisen auf die NPD zu übertragen. Besonders deutlich wird dies in Kommunen der Sächsischen Schweiz, in denen gerade kleinbürgerliche Selbständige eine solche Rolle einnehmen.** Sie haben oft im lokalen Institutionen- und Kommunikationsgeflecht eine wichtige Rolle oder aber sie werden nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer rechtsextremistischen Organisation aus Kommunikationsprozessen ausgeschlossen. Eine solche Position erschwert natürlich jegliche * Frank Decker, Der neue Rechtspopulismus, Opladen 2004 ** Henrik Steglich, Die NPD in Sachsen. Organisatorische Voraussetzungen ihres Wahlerfolgs, Göttingen 2005

Mobilisierung gegen Rechtsextremismus gerade in kleinen Kommunen. Gerade dort besteht auch das Problem, dass eine Auseinandersetzung mit dem Thema auch immer Konflikte und Ärger bedeutet. Diese kommunale Unruhe wird dann meist nicht auf die Ursachen, also die Neonazis, sondern auf die Symptome, die Initiativen gegen Rechts, projiziert. Verstärkt wird diese Reaktion in der Kommune durch den (oft nicht unberechtigten) Vorwurf von Initiativen an die Bevölkerung, sie selbst pflege rechte Einstellungen. Auf die Bürgermeister kommt es an Schließlich sind Hinderungsfaktoren auch immer Ressourcenfragen. Der Mangel an Geld ist dabei noch der geringste Grund, an dem Initiativen scheitern. Wichtiger noch sind personelle Ressourcen, institutionelle Zugänge wie etwa Räume oder öffentliche Podien sowie die Frage der Institutionalisierung des Engagements. Gerade im ländlichen Raum besteht angesichts des Wegzugs gerade von Jugendlichen, der starken und häufig auch gefährlichen Dominanz rechtsextremer Jugendkulturen sowie der geringen Neigung, sich für „Politik“ zu engagieren ein großes Problem, genügend Leute für Projekte gegen Rechtsextremismus zu mobilisieren. Doris Liebscher und Christian Schmid haben zudem auf den wichtigen Punkt hingewiesen, dass Initiativen wie Fußperspektive21

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ballvereine oder der örtliche Heimatverein, die fest in der Kommune integriert sind, „nicht über die nötige Distanz verfügen, um gegenüber den Kommunalverwaltungen als Zivilgesellschaft im engeren Sinn zu agieren.“ In der Folge sind die etablierten Vereine meist nicht in der Lage, rechtsextremistische Entwicklungen wahrzunehmen und diese kritisch zu hinterfragen. Genau deswegen sind es auch oft nicht integrierte Bürger wie Jugendliche, „Außenseiter“, „Linke“, Intellektuelle und „Zugereiste“, die Initiativen gegen Rechtsextremismus gründen. Die Erfolgsquote eines solchen Engagements wird derart nicht unbedingt gesteigert. Mehr als Information Was sind aber nun die Erfolgsbedingungen? Initiativen können erhebliche Lernprozesse innerhalb von Kommunen anstoßen. Solche Lernprozesse benötigen jedoch eine gewisse Dauer. Keiner Initiative wird dies in Gegnerschaft zu den etablierten kommunalen Strukturen gelingen. Zentral ist daher eine kritische und zugleich empathische Einbindung jener Personen und Institutionen, die zum einen Wortführer und Multiplikatoren in der Kommune sind, zum anderen auch eine bedeutende Rolle in den lokalen Kommunikationsnetzwerken bilden. Dass Institutionen und Funktionseliten einer Kommune 66

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vorbehaltlos Initiativen gegen Rechtsextremismus unterstützen, ist nicht der Normalfall. Aber gerade deshalb muss Vertrauen und Zusammenarbeit mit den lokalen Instanzen aufgebaut werden. Die Einbindung jener staatlichen Institutionen, welche qua Amt – wie Polizei, Politik, Verwaltung, Schulen – (eigentlich) für eine Durchsetzung des demokratischen Prinzips verantwortlich sind, hilft bei der Einbindung etablierter Institutionen. Zentral sind vertrauensbildende, nicht ausgrenzende und angreifende, jedoch auf jeden Fall kritische Maßnahmen. Im Mittelpunkt steht der Bürgermeister: „Erst durch die Beteiligung des Bürgermeisters haben die Initiativen überhaupt irgendeine Form von öffentlicher Anerkennung erfahren und Handlungsfähigkeit erlangt. Relevante Bevölkerungsteile unterstützten Aktionen gegen die Naziszene erst, nachdem sich die lokalen Autoritäten bereits entsprechend positioniert hatten.“* Informationsveranstaltungen über Rechtsextremismus sind zwar sinnvoll und wichtig: Durch solche Veranstaltungen können sich Gleichgesinnte Wissen und Informationen beschaffen, die das eigene Engagement auf eine fundierte Basis stellen. Ebenfalls können durch solche Veranstaltungen wichtige Multiplikatoren erreicht werden, um * Doris Liebscher/Christian Schmid: Auf den Bürgermeister kommt es an, siehe: http://www.bpb.de


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diese etwa für rechtsextreme Symbolik zu sensibilisieren und sie zu Gegenmaßnahmen zu animieren. Gleichwohl birgt die Reduktion auf Informationsveranstaltungen die Gefahr, dass diese nur durch jenen Personenkreis wahrgenommen werden, die sowieso schon für das Thema eingenommen sind. Und überdies können Informationsveranstaltungen dann nach „hinten losgehen“, wenn sie schlecht vorbereitet sind. Neonazis verfolgen eine sogenannte „Wortergreifungsstrategie“. Parteikader und Kameradschaftsmitglieder nehmen an zivilgesellschaftlichen Zusammenkünften, Parteiveranstaltungen und Diskussionsrunden mit dem Ziel teil, zum einen um durch Einschüchterung den politischen Gegner zu bedrohen und dessen Veranstaltungen zu „sprengen“, zum anderen um durch eine offensive Einmischung den Diskurs zu dominieren und Zuhörer für sich zu gewinnen. Aktiv und nicht reaktiv Wichtig ist, dass Aktionen von Initiativen gegen Rechtsextremismus nicht immer nur reaktiv sind, sondern aktiv gesetzt werden. Zweitens sollten sie auch immer so ausgerichtet sein, dass sie sich sowohl für etwas aussprechen, als sich auch gegen etwas aussprechen. Dieser doppelte Ansatzpunkt – etwa für Demokratie und gegen Rechtsextremismus – ist zentral: Ohne ihn wird gerade den neutralen Personen vor Ort nicht be-

wusst, warum sie sich überhaupt gegen Rechtsextremismus engagieren sollen. Ebenfalls reflektiert der Ansatz die nötige pluralistische Basis einer Gegenwehr gegen Rechts und die Tendenz, dass sich Menschen eher für als gegen etwas engagieren. Die Strategie der Nazis Initiativen müssen die Strategien der Neonazis reflektieren und diesen aktiv etwas entgegensetzen. Die Strategie der NPD fußt auf einem Drei-SäulenKonzept: Dem „Kampf um die Köpfe“, dem „Kampf um die Straße“ und dem „Kampf um die Parlamente“. Mit dem „Kampf um die Straße“ soll die kulturelle Hegemonie in der Gesellschaft erlangt, gegen politische Gegner vorgegangen werden und schlicht Präsenz gezeigt werden – sei es durch Demonstrationen, die Teilnahme an Bürgerinitiativen und an von anderen Institutionen initiierten Kundgebungen, wie beispielsweise den Hartz-IV-Demonstrationen. Mit dem „Kampf um die Köpfe“ will die NPD eine rechtsextremistische Jugendkultur fördern. Das Verteilen einer „Schulhof-CD“ an Brandenburger Schulen mit Liedern rechtsextremistischer Bands und Liedermacher gehört ebenso dazu wie die Unterstützung von Konzerten der Neonaziszene und das Verteilen von Schülerzeitungen. Ebenfalls versucht die NPD zunehmend durch soziale Events perspektive21

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und kommunales Engagement wie Kinderfeste, Wanderungen oder Sonnenwendfeiern in breitere gesellschaftliche Kreise einzudringen. Mit ihrem „Kampf um die Parlamente“ zielt die NPD vor allem auf Kommunalund Landesparlamente. Da die Partei in ihrem Programm einen demokratischen Parlamentarismus grundsätzlich ablehnt, ist die Beteiligung an einer kommunalparlamentarischen Arbeit nur ein Instrument dafür, das demokratische System zu stürzen und abzuschaffen. Demokraten müssen deshalb selbst aktiv den Kampf um die Köpfe, Straßen und Parlamente führen und demokratisches Handeln fördern. Auch die NPD lernt Wissen ist Macht. Dies gilt erst Recht beim Engagement gegen Rechtsextremismus und zwar in mehrfacher Weise. Zuerst ist es schlicht wichtig, die Strategien der Rechtsextremisten zu kennen. Ziel muss es daher sein, sich intern weiterzubilden sowie den Informationstransfer an lokale Funktions- und Positionseliten zu organisieren. Man kann sehr deutlich bei der Arbeit in Dresden und der Sächsischen Schweiz wahrnehmen, wie sich im Laufe der Jahre das Wissen von Entscheidungsträgern, etwa über die Nutzung rechtsextremistischer Symbolik im Alltag, verbessert hat. Hinzu kommt: Die NPD hat seit geraumer Zeit begonnen, ihre 68

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Kader zu Weiterbildungsveranstaltungen zu verpflichten.* Mittlerweile besitzen einige Neonazis erhebliche rhetorische und inhaltliche Fähigkeiten. Ferner lohnt sich stets der Rückgriff auf Wissen und Erfahrungen von Polizei, Verfassungsschutz oder Mobilen Beratungsteams. Gerade die Beratungsteams haben durch ihre moralische Stärkung und ihr Hintergrundwissen oft die Gründung von Initiativen vor Ort ermöglicht und diese durch strukturelle Hilfen nachhaltig unterstützt. Zusammen können sie lokale Entscheidungsträger dazu drängen, sich mit der Thematik Rechtsextremismus auseinanderzusetzen. Der große Vorteil der Mobilen Beratungsteams ist, dass sie – ohne in lokale Konflikte involviert zu sein – unabhängig mit vielen Akteuren gesprächsfähig und somit beratungsfähig sind. Um ein Bündnis der meist heterogenen demokratischen Institutionen und Personen zu erreichen, müssen Hürden wie parteipolitische Konkurrenz oder unterschiedliche Rollen (wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer) überwunden werden, um überhaupt das Gemeinsame zu erkennen.** Es ist dabei eher die Regel als die Ausnahme, dass es mehrere Anläufe braucht, bis sich in Kommunen eine kritische Masse der Gegenwehr

* Siehe Argumente für die Kandidaten der NPD unter www.redok.de ** Dirk Borstel, Rechtsextreme Strukturen, Szenen und Umfelder, in: Backes/Steglich, a.a.O. (Fußnote Seite 61)


christian demuth – was tun? und was lassen?

etabliert. Die Selbstverständlichkeit einer demokratischen Stadtkultur kann man nur in wenigen Städten, wie etwa in Leipzig, beobachten. Demokratie muss wehrhaft sein In Dresden hat sich gezeigt, dass erst über einen längeren Zeitraum das Vertrauen zwischen verschiedenen Institutionen aufgebaut werden musste, um ein gemeinsames Bündnis „Dresden für Demokratie“ aufbauen zu können. Gerade das Wechselspiel zwischen Aktionen gegen Rechts und vertrauensbildenden Maßnahmen fördert Vertrauen und die notwendigen Lernprozesse. Gleichwohl kann ein solches Bündnis immer auch instabil bleiben, dominieren doch gerade in konservativen Institutionen Extremismus-Ansätze, die linke und rechte Gruppierungen grundsätzlich in einem Atem nennen und hierdurch oft eine gemeinsame demokratische Gegenwehr verhindern. Die Gründung als überparteiliche Initiative unter einer immer wieder erfolgenden kritischen Einbindung solcher Kräfte ist daher unbedingt notwendig, wenn auch oft schwierig. Oft sind es nämlich gerade sehr linke Jugendliche, die besonders unter den Angriffen der Neonazis zu leiden haben, die Initiativen gegen Rechtsextremismus gründen. Was sich immer deutlicher zeigt: Repression ist ein wichtiges Mittel. Repression hat zum Ziel, in Regionen, in

denen sich rechtsextreme Hegemonien auszubreiten drohen, staatlicherseits durchzugreifen, die in einer wehrhaften Demokratie bestehenden Grenzen aufzuzeigen und rechtsextremistische Strukturen unter Verfolgungsdruck zu setzen. Es geht darum, rechtsextreme Organisationsformen so zu stören und zu beeinträchtigen, dass diese keine stabilen Strukturen errichten können. Zudem können Mitläufer bei einer dauerhaften Repressionsstrategie abgeschreckt werden. Im Rahmen der Repressionsmaßnahmen sollte dabei immer das Motto der wehrhaften Demokratie herausgestellt werden! Auch deswegen sollten Repressionsstrategien entsprechend mit demokratischen Angeboten verbunden werden. Ein Beispiel hierfür kann sein, dass zwar ein Jugendclub wegen rechtsextremer Umtriebe geschlossen wird, man gleichzeitig aber die Option einer Neueröffnung gibt, wenn der Jugendclub in der Folge im Rahmen demokratischer Spielregeln wiedereröffnet werden kann. Hierzu bedarf es dann neben der Repressionsstrategie einer fachlich fundierten Präventionsstrategie für den Aufbau einer demokratisch fundierten Jugendarbeit. Ein Nukleus der Zivilgesellschaft Initiativen müssen solche staatlichen Maßnahmen aktiv einfordern und über die Medien artikulieren. Ebenfalls kann über die Arbeit lokaler und regionaler perspektive21

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thema – den rechten keine chance

Kriminalpräventiver Räte die Zusammenarbeit und Präventionsarbeit zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Initiativen gestärkt werden. In den letzten Jahren sind in ganz Deutschland eine Vielzahl an zivilgesellschaftlichen Initiativen als Reaktion auf die Zunahme rechtsextremistischer Vorfälle entstanden. Nicht zuletzt in den neuen Bundesländern ist eine solche Entwicklung, auch angesichts der fragilen und schwachen zivilgesellschaftlichen Kultur ein wichtiger Erfolg. Trotz des dauernden Abflusses kreativen und gesellschaftlichen Potenzials und der Ausdünnung ganzer Regionen kann das

Entstehen solcher Initiativen als ein Nukleus einer erneuerten demokratischen Zivilgesellschaft gesehen werden, durch den breitere Schichten der Bevölkerung sich für Demokratie engagieren und sich mit Themen wie Menschenrechte und Würde des Menschen beschäftigen. Immer häufiger rekrutieren sich aus Institutionen und Vereinen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, Kandidaten politischer Parteien für politische Wahlen. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus wird so zu einem wichtigen Kompetenzfeld bei der Wahlentscheidung. Und das ist nun wirklich eine gute Nachricht. ■

CHRISTIAN DEMUTH

ist Referent des Willy-Brandt-Hauses in Berlin und Gründer des Dresdener Bürgerinitiative Bürger.Courage e.V. 70

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Die Rechtsextremen und ihr Umfeld ZEHN THESEN ZUR EXTREMEN RECHTEN IN BRANDENBURG VON GIDEON BOTSCH UND CHRISTOPH KOPKE

Die extreme Rechte in Brandenburg geht auf Vorläufer zurück, die zum Teil noch in der Spätphase der DDR entstanden sind. Legale rechtsextreme Gruppen existieren seit der Wiedervereinigung, sie erhielten Zulauf im Zuge der nationalistischen und ausländerfeindlichen Mobilisierungswellen seit Beginn der neunziger Jahre und haben sich seit 15 bis 20 Jahren teils als Milieu, teils als organisatorisches Netzwerk stabilisiert.* Dabei profitieren sie insbesondere von dem verbreiteten Bewusstsein über Defizite der demokratischen und gesellschaftlichen Entwicklung seit dem Beitritt Brandenburgs zur Bundesrepublik, die sich in Teilen der Gesellschaft zu einer manifesten Ablehnung des parlamentarischen Verfassungsstaats entwickeln.

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In Brandenburg wird seit 1993 eine harte Repressionslinie gegen offen neonazistische und gewaltbereite Kräfte verfolgt, die den Handlungsspielraum des Milieus erheblich begrenzt. Zivilgesellschaftliche Initiativen haben, ins-

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besondere seit ihrer Bündelung im „Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt“ 1997, das rechtsextreme Milieu weiter verunsichert. Die konsequente Haltung der Landesregierung, die im Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ seit 1998 zum Ausdruck kommt, unterstützt und integriertdiese staatlichen und gesellschaftlichen Gegenaktivitäten. Rechtsextreme Einstellungen wachsen im gesamten Land. Interessant ist eine weiter auseinander klaffende Schere zwischen dem Berliner Umland und den äußeren Regionen – ein Trend, der nicht zuletzt durch die politische gewollte und geförderte ungleiche Entwicklung im Land („Stärken stärken – Rückbau gestalten“) befördert wird.**

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* Vgl. Christoph Kopke, Entwicklung und Stand der organisierten extremen Rechten in Brandenburg, in: Julius H. Schoeps/Gideon Botsch/Christoph Kopke/Lars Rensmann (Hg.), Rechtsextremismus in Brandenburg. Handbuch für Analyse, Prävention und Intervention, Potsdam 2007 ** Vgl. Richard StössOskar Niedermayer, Rechtsextreme Einstellungen in Brandenburg, in: ebd.

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thema – den rechten keine chance

Rechtsextreme Straf- und Gewalttaten verbleiben auf einem sehr hohen Niveau. Jüngste rückläufige Entwicklungen können noch nicht als Trendwende gewertet werden. Das rechtsextreme und fremdenfeindliche Potenzial in Brandenburg bringt dabei eine besondere Gewaltbereitschaft zum Ausdruck. Von den bekannt gewordenen Menschentötungen in fremdenfeindlich-rechtsextremem Kontext seit 1990 ereignete sich beispielsweise ein Fünftel bis ein Viertel in Brandenburg. Ist die Gewaltneigung unter Jugendlichen generell eher abnehmend, so verfestigt sich jedoch eine gewaltbereite Minderheit. Dabei bilden rechtsextreme Einstellungsmuster und die Zugehörigkeit zu rechten Cliquen offenbar die wichtigsten Rahmenbedingungen.*

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Von der Bereitschaft zur Wahl rechtsextremer Parteien profitierte bisher insbesondere die Deutsche Volksunion (DVU), die als Fraktion im Landtag vertreten ist. Doch der Landesverband der Partei leidet insgesamt unter den bundesweit konstatierten Defiziten und Mängeln dieser „Phantompartei“, zeigt aber gleichwohl Tendenzen zu ihrer Überwindung – beispielsweise in einer gewissen Parteitätigkeit im Land und Fraktionsarbeit im Brandenburger Landtag. Einzig in

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* Vgl. Dietmar Sturzbecher/ Heidrun Großmann, Trends und Einflussfaktoren zu Gewalt und Rechtsextremismus unter Jugendlichen in Brandenburg, in: ebd.

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Brandenburg gelang es der DVU bisher, für eine zweite Legislaturperiode in den Landtag einzuziehen, wobei sie ihre Stimmenanteile sogar ausbauen konnte. Im Vergleich der neuen Bundesländer ist die NPD in Brandenburg eher schwach organisiert. Doch hat sie ihre zeitweilige Schwächung nach dem Austritt eines kompletten Kreisverbandes 2004 offenbar überwunden. Es ist ihr gelungen, im Lauf des letzten Jahres ihre regionalen Untergliederungen und Parteistrukturen erheblich auszubauen – mit dem Ziel, bis zur Kommunalwahl 2008 oder spätestens 2009 zur Landtagswahl im gesamten Land vertreten zu sein. Auf der Grundlage ihrer neuen Strategie („Deutschland-Pakt“, „Volksfront von rechts“) ist die NPD daher ungeachtet der schlechten Ausgangsbedingungen auch in Brandenburg zu einem „Gravitationsfeld“ (Bundesamt für Verfassungsschutz) im Rechtsextremismus geworden. Sie wirkt derzeit – um ein anderes Bild zu wählen – wie ein Flaggschiff: Die Mehrheit der rechtsextremen Kräfte sammelt sich in ihrem Fahrwasser und schwimmt in ihrem Windschatten mit, was nur gelingt, solange diese Kräfte bereit sind, der von der NPD vorgegebene Fahrtrichtung zu folgen. Die NPD muss ihrerseits Rücksicht auf alle Kräfte nehmen, die sich hinter ihrer Flagge formieren. So gelingt ihr offensichtlich zunehmend die Inte-

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gideon botsch, christoph kopke – die rechtsextremen und ihr umfeld

gration des organisierten und milieuförmigen Rechtsextremismus. Eine Voraussetzung dafür ist das institutionalisierte Bündnis mit den neo-nationalsozialistischen „Kameradschaften“. Diese sind in Brandenburg nach einer Reihe von Verboten eher schwach organisiert, aber – mit regionalen Schwerpunkten zum Beispiel in der Lausitz, dem Westhavelland oder in Barnim-Uckermark – durchaus präsent. Doch in jüngster Zeit wenden sich bedeutende Teile der Kameradschaften der NPD zu, kooperieren mit ihr oder unterstützen sie. Indem die NPD dieses Spektrum zunehmend hinter sich bringt, zeigt sich auch die Grenze staatlicher Verbotspolitik – zumindest solange ein Verbot der NPD politisch nicht gewollt ist.

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Neben den in Brandenburg aktiven Landesverbänden von DVU und NPD sowie lokalen und regionalen Kameradschaften existiert ein verfestigtes rechtsextremes Milieu, das sich nicht an Parteien bindet, aber über Jugendund Musikszenen und deren subkulturelle und ökonomische Infrastruktur an den Rechtsextremismus angeschlossen bleibt. Es ist partiell auch für politische Aktionen oder Wahlen mobilisierbar.

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Schließlich wirken im Land einige Organisationen von überregionaler Bedeutung – wie der Freundeskreis Halbe, die „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG) oder das „Deutsche Rechtsbüro“ in Birkenwerder. Besonderes Augenmerk sollte der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ und ihrer regionalen „Einheit Preußen“ gewidmet werden, die funktional immer stärker an die Stelle der seit 1994 verbotenen Wiking Jugend tritt. In Brandenburg organisiert sie mit anderen Organisationen zusammen jährlich den „Märkischen Heimattag“.

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Diese und andere Tendenzen – wie etwa die räumlich verdichtete Ansiedlung rechtsextremer Aktivisten aus Berlin in Gemeinden des Berliner Umlandes – legen die These nahe, dass diese Region für die extreme Rechte zunehmend die Funktion eines „Aufmarsch- und Rückzugsraums“ mit Blick auf die Bundeshauptstadt zukommt. Auf der anderen Seite können in den strukturschwachen Randlagen rechtsextreme Kameradschaftsnetze ohne Rücksicht auf die Landesgrenzen und relativ unbeachtet von der Öffentlichkeit agieren. ■

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DR. GIDEON BOTSCH UND CHRISTOPH KOPKE sind Politikwissenschaftler und wissenschaftliche Mitarbeiter am MosesMendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam. perspektive21

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impressum thema – den rechten keine chance

HERAUSGEBER ■ ■

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Das Debattenmagazin Wie werden wir im 21. Jahrhundert leben? Die alten Lösungen taugen nicht mehr, die neuen kommen nicht von selbst. Die Berliner Republik ist der Ort für die wichtigen Debatten unserer Zeit: progressiv, neugierig, undogmatisch. Weil jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht.

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Seit 1997 erscheint „perspektive 21 – Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik“. Wenn Sie Interesse an bisher erschienenen Ausgaben haben, können Sie ältere Exemplare auf unserer Homepage www.perspektive21.de als pdf herunterladen. Einzelne Exemplare von bisher erschienenen Ausgaben schicken wir Ihnen gerne auch auf Wunsch kostenlos zu. Senden sie uns bitte eine E-Mail an perspektive-21@spd.de. Zur Zeit sind folgende Titel lieferbar: Heft 17 Ende der Nachwendezeit. PDS am Ende? Heft 18 Der Osten und die Berliner Republik Heft 19 Trampolin oder Hängematte? Die Modernisierung des Sozialstaates. Heft 20 Der Letzte macht das Licht aus? Heft 21/22 Entscheidung im Osten: Innovation oder Niedriglohn? Heft 23 Kinder? Kinder! Heft 24 Von Finnland lernen?! Heft 25 Erneuerung aus eigner Kraft Heft 26 Ohne Moos nix los? Heft 27 Was nun Deutschland? Heft 28 Die neue SPD Heft 29 Zukunft: Wissen. Heft 30 Chancen für Regionen Heft 31 Investitionen in Köpfe Heft 32 Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert Heft 33 Der Vorsorgende Sozialstaat Heft 34 Brandenburg in Bewegung Heft 35 10 Jahre Perspektive 21


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