perspektive21 - Heft 38

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HEFT 38 JULI 2008 www.perspektive21.de

BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK

WIE PREUSSEN IN DEN ZWANZIGER JAHREN ZUM BOLLWERK DER DEMOKRATIE WURDE

Das rote Preußen PAUL VAN DYK:

Rettet die SPD!

KURT BECK UND FRANK-WALTER STEINMEIER: THOMAS KRALINSKI: OTTO WELS:

Die Arbeitslosigkeit besiegen

It’s the economy, stupid

„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“

HANS-JOCHEN VOGEL:

Wehret den Anfängen

CHRISTOPHER CLARK:

Das Bollwerk der Demokratie

MATTHIAS PLATZECK:

Sozialdemokraten in Verantwortung

ALEXANDER GAULAND: NORBERT F. PÖTZL: HEIKO TAMMENA:

Beim Erzählen erfunden

Der rote Zar

Zwei demokratische Preußen

CHRISTIAN MAASS:

Demokratie braucht Legitimation



vorwort

Das rote Preußen reußen gehört zu den geschichtspolitischen Themen, die Diskussionsrunden spalten. Der Staat Preußen wurde 1947 aufgelöst, die Debatten über ihn werden aber auch noch in 100 Jahren polarisieren. Das ist auch mehr als verständlich, denn Preußen löst bei den Menschen sehr unterschiedliche Assoziationen aus. Während die einen zunächst an den Pickelhaubenmilitarismus denken, die imperialistische Großmannssucht, die in den ersten Weltkrieg mündete, denken andere an die „Aufklärung von oben“ des Alten Fritz, das Preußische Toleranzedikt oder die Reformen von Hardenberg und vom Stein.

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In dieser Ausgabe der Perspektive 21 wollen wir einen Teilaspekt der preußischen Geschichte näher betrachten, der in der öffentlichen Betrachtung fast ein blinder Fleck ist: das demokratische, „rote“ Preußen der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Dieses sozialdemokratisch geprägte Preußen war im Deutschland der Weimarer Republik ein Hort der Stabilität, der Rechtstaatlichkeit, der Liberalität und Demokratie. Für diese Phase seiner Geschichte standen insbesondere der damalige Ministerpräsident Otto Braun (SPD) und seine sozialdemokratischen Innenminister Carl Severing und Albert Grzesinski. Drei Politiker, die heute in Brandenburg, dem Kernland des früheren Preußens, zu Unrecht fast vollständig in Vergessenheit geraten sind. Mit den Beiträgen insbesondere von Christopher Clark und Heiko Tammena wollen wir einen kleinen Beitrag leisten, dass diese drei Politiker wieder Eingang in das Bewusstsein über unsere eigenen demokratischen Traditionen erhalten. Ich jedenfalls würde mir wünschen, dass getreu dem Motto unseres Ministerpräsidenten Matthias Platzeck, dass Zukunft auch Herkunft braucht, in Brandenburgs Städten und Gemeinden Straßen- und Schulnamen an diese großen Demokraten der Weimarer Republik erinnern. KLAUS NESS

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inhalt

Das rote Preußen WIE PREUSSEN IN DEN ZWANZIGER JAHREN ZUM BOLLWERK DER DEMOKRATIE WURDE MAGAZIN

Solidarität heute ........................................................................ 7 Eine moderne Sozialdemokratie braucht einen modernen Solidaritätsbegriff PAUL VAN DYK:

Die Arbeitslosigkeit besiegen .... 11 Wie die SPD mit einer strategischen Politik sozialen Aufstieg wieder möglich macht KURT BECK UND FRANK-WALTER STEINMEIER:

It’s the economy, stupid ................................................... 17 Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo fängt die Arbeit erst an THOMAS KRALINSKI:

THEMA

„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“ ............. 23 Rede zur Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes am 23. März 1933 vor dem Reichstag OTTO WELS:

Wehret den Anfängen .................................................... 27 Über die Ursachen und Lehren der Ereignisse von 1933 HANS-JOCHEN VOGEL:

Die preußische Demokratie 1919-1932 ............................................................ 35 Das Bollwerk der Demokratie ........................................ 37 Das Preußen der zwanziger Jahre war der Stabilisator der Weimarer Republik CHRISTOPHER CLARK:

Sozialdemokraten in Verantwortung .............................. 51 Institutionen, Verfahren und Prinzipienfestigkeit machten Preußen zum Bollwerk der Demokratie MATTHIAS PLATZECK:

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inhalt

Beim Erzählen erfunden ............................................... 59 Der Wandel von Preußens Bild in der Geschichte ALEXANDER GAULAND:

Der rote Zar ...................................................................... 63 Unter dem Sozialdemokraten Otto Braun erlebte Preußen seine letzte Glanzzeit NORBERT F. PÖTZL:

Zwei demokratische Preußen ................................................ 67 Über die Verdienste der preußischen Innenminister Severing und Grzesinski HEIKO TAMMENA:

Demokratie braucht Legitimation ...................................... 77 Was die SPD heute vom Preußen der zwanziger Jahre lernen kann CHRISTIAN MAASS:

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dezember 2007 – heft 36


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Rettet die SPD! NUR WENN DIE SPD WIEDER REFORMMOTOR WIRD, HAT SIE AUCH EINE ZUKUNFT VON PAUL VAN DYK

ein ganzes Leben lang habe ich nur SPD gewählt und die Partei als Künstler immer wieder unterstützt – ich bin wirklich von ganzem Herzen Sozialdemokrat. Doch wo einst Schröder mit seinem Team einen Reformgeist versprühte, der mich inspiriert hat und dessen späte Früchte heute Hunderttausende in Form von neuen Arbeitsplätzen genießen können, herrscht heute nur noch Unsicherheit, Konzeptions- und Ratlosigkeit. Es sitzt jemand am Parteisteuer, der nicht weiß, wohin er lenken soll, und der im Zweifelsfall lieber laut fluchend den Falschfahrern von der Linkspartei hinterherjagt. Die Sozialdemokratie in Deutschland ist kurz davor, sich selbst ins Abseits zu manövrieren. Deswegen muss die eingeschlagene Richtung, nämlich links und rückwärts, so schnell wie möglich scheitern, damit die SPD eine relevante Größe bleibt. Die Aufgabe der Sozialdemokratie ist es, meiner Ansicht nach, die soziale Marktwirtschaft permanent zu modernisieren. Also: Wie können wir unser Wirtschafts- und Sozialsystem in einer globalisierten Welt beibehalten? Wie reagieren wir auf die drohende Überalterung der Gesellschaft? Was ist heute Gerechtigkeit? Wird den wirklich Bedürftigen richtig geholfen? Aber auch: Übernehmen alle genug Verantwortung für ihr eigenes Leben und die Gemeinschaft? Machen wir Fortschritte bei der Chancengleichheit? Aber auch: Können sich die Leistungsträger richtig entfalten?

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Lange ist nichts passiert Die Probleme waren lange erkannt, aber nichts passierte. Dann kamen Schröder und seine Agenda 2010. Das war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Im System hatten sich strukturelle Fehler aufgetan. Es gab Menschen, die sich mit Transferleistungen begnügten und keinen Druck verspürten, wieder geregelten Tätigkeiten nachzugehen. Zu lange waren gerade in der SPD solche Probleme tabuisiert worden – so wie sie heute wieder ungern angesprochen werden, weil sich alle lieber beim Thema „Gerechtigkeit“ überbieten wollen. Das Prinzip perspektive21

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„Fordern und fördern“ ist unpopulär und wird verdrängt. Aber wo Tabus herrschen, kann keine vernünftige Politik gemacht werden. Jeder wusste um die eklatanten Probleme in der Bildungspolitik und in den Sozialversicherungssystemen, getan wurde fast nichts, weil damit keine Wahl zu gewinnen war. Die Agenda 2010 war da ein Hoffnungsschimmer – von dem nichts übrig geblieben ist. Weder in der SPD noch bei der hochgelobten Kanzlerin. Von ihr geht kein Reformimpuls mehr aus, ihre einzigen Tugenden scheinen der Stillstand und die Flucht in die Außenpolitik oder die Beteiligung an Wahlgeschenken wie der Rentenerhöhung zu sein. Das wirkt immer dann besonders gut, wenn die anderen noch schlechter sind – und das ist bei der SPD leider der Fall. Der Mittelstand treibt die soziale Marktwirtschaft Mit Kurt Becks Hilfe ist die Agenda 2010 vom Tisch gefegt worden. Es gibt keine Konzepte mehr, keine klaren Ziele, keine Überzeugungen. Anstatt sich mit der tatenlosen CDU um die Mitte und die bessere Reformpolitik zu streiten, lässt er sich von Lafontaines Linkspartei treiben und versucht, deren linke Politik zu überbieten, die er im gleichen Atemzug anprangert. Ex-SPD-Chef Matthias Platzeck hat die Folgen dieses Verhaltens einmal sehr schön auf den Punkt gebracht, als er meinte, dass man für jeden gewonnenen LinksparteiWähler „zwei, drei oder vier“ in der Mitte verlieren würde. Die jüngsten Umfragen geben Platzeck recht. Becks Politik steht für mich leider im Moment für den blinden Marsch in die Vergangenheit. Er hat keine Vision für eine zukunftsorientierte, reformfreudige Sozialdemokratie, die von intelligenten, jungen Wählern gewählt werden kann – von solchen Katastrophen wie in Hessen mal ganz abgesehen. Jeder verantwortliche Manager in einem Unternehmen hätte nach einem solchen Fiasko seinen Hut nehmen müssen, in der SPD dagegen gab es keine Konsequenzen. Mir als ehemaligem Ossi ist es völlig egal, wie oft sich die alte SED umbenennt – solange sich Teile der alten Funktionäre dieser Partei nicht zu ihrer Verantwortung für das Unrechtsregime der DDR bekennen und neuere sogenannte Linke aus dem Westen die Geschichte zu verklären versuchen, kann man mit diesen Leuten doch keine Politik machen. Ich kenne viele sozial engagierte jüngere Selbstständige und Unternehmer, die sich in der SPD – von wenigen Ausnahmen abgesehen – durch niemanden mehr verstanden fühlen. Sie beobachten fassungslos, was geschieht – und fühlen sich als Unternehmer nicht gewürdigt und geachtet. Es gibt zwar die „Netzwer8

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paul van dyk – rettet die spd!

ker“ oder die Vertreter des „Seeheimer Kreises“, die ein offenes Ohr für solche Anliegen haben, die aber offensichtlich im Moment in der Partei in der Minderheit sind. Es gibt in der SPD eine Tendenz, vor allem bei den Linken in der Partei, angestellte Dax-Vorstände, die sich nicht vorbildhaft verhalten und die nur einen Bruchteil der deutschen Arbeitgeber repräsentieren, mit allen Unternehmern gleichzusetzen und ihnen mit Argwohn und Misstrauen zu begegnen. Der treibende Motor der sozialen Marktwirtschaft, die vielen anständigen und hart arbeitenden Mittelständler, werden dabei völlig ignoriert. Dabei ist doch manchmal alles so einfach: Jeder weiß, dass wir viele Menschen brauchen, die mit ihren Ideen Arbeitsplätze schaffen. Jeder weiß, dass nur mutige Reformen unser Sozial- und Rentensystem retten. Alle Experten sind sich einig, dass zum Beispiel der geplante Gesundheitsfonds keine Zukunft hat. Hat die Bundesregierung den Mut, diesen Fehler einzugestehen? Die Lösung dieser Probleme aus wahltaktischen Gründen immer weiter in die Zukunft zu verschieben ist gefährlich – und für uns Jüngere untragbar. SPD wird als Reformmotor gebraucht Natürlich kann man sich an das Credo Oskar Lafontaines halten, wonach man immer die Mehrheit auf seiner Seite hätte, wenn man Politik nur für Rentner, Arbeitslose und sozial Schwache macht. Damit mag er recht haben. Aber ob man mit so einer Politik ein Land dauerhaft zukunftsfähig machen kann, darf bezweifelt werden. Natürlich finde ich es auch nicht hinnehmbar, dass manche Arbeitnehmer so wenig verdienen, dass es trotz Fulltime-Job, trotz einer 40-Stunden-Woche, nicht zum Leben reicht. Und natürlich muss man flächendeckend Ganztagsbetreuung anbieten. Wie kann man über so etwas noch ernsthaft diskutieren? Gehen diese (Unions-) Politiker nie in deutsche Großstädte? Kennen sie alle keine alleinerziehenden Mütter? Niemanden unter 40? Wer Wirklichkeit so ignoriert, signalisiert nur eins: Er nimmt uns nicht ernst. Die Bundestagswahl 2009 ist für die Sozialdemokraten leider wohl jetzt schon verloren. Hoffentlich verbrennt die Partei in dieser hoffnungslosen Schlacht nicht ihre wahren Spitzenleute wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Denn diese Kräfte werden für das realistischere Ziel noch gebraucht: die Wahl 2013. Auch wenn es mir zutiefst widerstrebt: Eigentlich muss man sich einen möglichst eindeutigen Sieg der CDU/FDP wünschen, damit die SPD endlich aufperspektive21

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wacht. Je größer ihre Schlappe, desto heilsamer wird vielleicht der Schock. Das wird eventuell die Chance für einen umfassenden Klärungsprozess und einen Neuanfang bieten. Dann kann die SPD wieder der Reformmotor werden, den dieses Land so dringend braucht. Wenn sich die Sozialdemokraten nicht auf diese Rolle zurückbesinnen, dann macht die SPD sich selbst überflüssig. ■

PAUL VAN DYK

ist in Eisenhüttenstadt geboren und heute einer der erfolgreichsten DJs und Produzenten der Welt. 10

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Die Arbeitslosigkeit besiegen WIE DIE SPD MIT EINER STRATEGISCHEN POLITIK SOZIALEN AUFSTIEG WIEDER MÖGLICH MACHT VON KURT BECK UND FRANK-WALTER STEINMEIER

rinnert sich noch jemand an die Situation unseres Landes am 1. Mai 1998? Die Zahl der Arbeitslosen war auf weit mehr als vier Millionen Menschen geklettert. In den Sozialkassen klafften tiefe Löcher, und der Bundesfinanzminister hatte im Bundestag die Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts erklärt, um Rekordzahlen bei der Neuverschuldung zu begründen. Selbst Hunderttausende von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den neuen Ländern verhinderten nicht, dass der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte bei der Mai-Kundgebung in München feststellte: „Unser Land ist Europameister im Anstieg der Arbeitslosigkeit.“ Wir Sozialdemokraten hatten die konservativ-liberale Regierung von Helmut Kohl wegen ihrer mangelnden Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit immer wieder scharf kritisiert. Unsere Überzeugung gilt bis heute: Arbeitslosigkeit ist das Krebsübel unserer Gesellschaft. Sie vernichtet Lebensmut und Lebensperspektiven. Langzeitarbeitslosigkeit macht einsam und führt in die Armut.

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Sozialdemokraten haben die Wende bewirkt Darum machte die SPD, nachdem die Menschen uns die Regierungsverantwortung übertragen hatten, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu ihrer zentralen Aufgabe. Den Reformstau des Landes zu überwinden, neue Fundamente für wirtschaftliches Wachstum zu legen, die Sicherheit der Sozialsysteme langfristig neu zu begründen, verlangte schmerzhafte Entscheidungen. Die SPD brachte die Kraft auf, eine für das Land und die Menschen langfristig erfolgreiche Politik durchzusetzen – im Wissen darum, dass dies die Erfolgsaussichten unserer Partei vorübergehend beeinträchtigt. Wir hatten den Mut, notwendige Reformen einzuleiten, ohne dabei auf den nächsten Wahltag zu schauen. Mit dem Entstehen der Linkspartei haben wir dafür einen hohen Preis gezahlt. perspektive21

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Aber die Anstrengung hat sich für das Land und die Menschen ausgezahlt. An diesem 1. Mai, nach knapp zehn Jahren sozialdemokratischer Gestaltung in der Bundesregierung, können wir mit einigem Stolz sagen, dass wir die Wende zum Besseren geschafft haben. Die Zahl der Arbeitslosen ist auf gut drei Millionen gesunken. Wir sehen sogar gute Chancen, in diesem Jahr zum ersten Mal im vereinten Deutschland wieder eine „Zwei“ vor dem Komma zu erreichen. Weil so viele Menschen wie noch nie in unserem Land sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, haben sich auch die Sozialkassen wieder solide gefüllt. Im Jahr 2011 wollen wir wieder einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorlegen. Das war zuletzt 1969 der Fall. Wir Sozialdemokraten waren es, die diese Wende bewirkt haben. Doch die zurückliegenden zehn Jahre sind für uns lediglich die erste Etappe auf dem langen Weg, die Massenarbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen und Sicherheit für die Menschen in einer völlig veränderten Welt zu gewährleisten. Gestärkt durch die Erfolge, sagen wir jetzt: Wir wollen die Arbeitslosigkeit nicht nur bekämpfen – wir wollen sie besiegen. Unser Ziel für das nächste Jahrzehnt ist: Vollbeschäftigung in Deutschland zu guten Löhnen und fairen Arbeitsbedingungen. Und wir wollen nicht nur, dass jeder Mensch in unserem Land gute Aussichten hat, Arbeit zu finden, sondern auch die realistische Chance auf seinen sozialen Aufstieg erhält. Die Globalisierung bietet große Chancen Wir sind überzeugt, dass wir dieses Ziel mittel- und langfristig erreichen können. Mit einer Politik, die entschlossen auf Innovation und Wachstum setzt, die konsequent die Chancen der Globalisierung nutzt und im Binnenmarkt neue Dienstleistungen fördert. Die weltweite Arbeitsteilung und die Globalisierung der Finanzmärkte haben überall auf der Welt bislang ungekannte Kräfte entfesselt. Unzählige Menschen – nicht nur in China und Indien, sondern von Mexiko bis Chile, von der Türkei bis Kasachstan, von Indonesien bis Vietnam – haben zum ersten Mal die Chance, sich einen Wohlstand aus eigener Kraft zu erarbeiten, und sie nutzen sie, oft unter schwierigsten Bedingungen. Zurzeit leben etwa 1,5 Milliarden Menschen in entwickelten Gesellschaften. Schon in einer Generation werden es aber rund 4 Milliarden Menschen sein. Der Welthandel wird sich in den nächsten 25 Jahren, im Vergleich zu heute, noch einmal verdoppeln. Vorübergehende wirtschaftliche Eintrübungen, wie wir sie derzeit erleben, werden diese Entwicklung höchstens vorübergehend verlangsamen. Wir 12

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kurt beck und frank-walter steinmeier – die arbeitslosigkeit besiegen

Sozialdemokraten wollen, dass unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier, im Land des Exportweltmeisters, an diesem globalen Aufschwung teilhaben. Und dabei geht es nicht nur um ökonomische Chancen. Es wird nicht allein darauf ankommen, all diese Menschen mit Maschinen und Produkten auszustatten. Zugleich müssen wir uns der Verantwortung für die ökologischen Folgen des bevorstehenden, geschichtlich einmaligen Wachstumsprozesses, stellen. Damit wir unseren Planeten Erde nicht überfordern, brauchen wir so rasch wie möglich moderne, umweltfreundliche Produkte zu bezahlbaren Preisen, die wir bei uns ganz wesentlich mitentwickeln und herstellen. Umweltfreundliche Energien; Maschinen, die mit weniger Energie auskommen; Produkte aus neuen Materialien statt aus teuren Rohstoffen – das sind unsere großen Zukunftschancen für sichere und zusätzliche Arbeitsplätze. Politik für die Leistungsträger unserer Gesellschaft Die Produktion von Sonnenkollektoren und Windrädern, wirtschaftliche Erfolgsgeschichten dieses Jahrzehnts in Deutschland, zeigen dies schon heute. Wir setzen auf weitere Fortschritte in der Optik, der Mikro-, Bio- und Nanotechnologie. Wir wollen eine starke Industrie und innovative mittelständische Unternehmen. Aber wir richten den Blick auch auf die Beschäftigungspotenziale in der Kreativwirtschaft, die inzwischen eine ähnliche Wertschöpfung erzielt wie etwa die Chemiebranche. Und wenn immer mehr Menschen bewusst gesund leben und älter werden, werden Gesundheitsdienstleistungen in Zukunft noch stärker gefragt sein. Einen Schlüssel für mehr Beschäftigung, auch für Menschen ohne Hochschulabschluss, sehen wir im Bereich Verkehr und Logistik. Wir müssen dafür sorgen, dass unser Land zu einer Drehscheibe für den weltweiten Güterumschlag wird. So können wir vom wachsenden Welthandel direkt profitieren. Die Eröffnung des DHL-Drehkreuzes am Flughafen Leipzig Ende Mai, das 3.500 Arbeitsplätze schafft, ist dafür ein sichtbares Zeichen. Beträchtliche Entwicklungsmöglichkeiten bietet auch der Schienenverkehr. Mit der Entscheidung für die Bahnreform haben wir dafür die richtigen Weichen gestellt. Sie schafft langfristige Sicherheit für die Bahnkunden, für die Beschäftigten der Bahn und konkrete Perspektiven für zusätzliche Arbeitsplätze. Denn das private Kapital wird verwendet, um Bahnhöfe zu sanieren, Lärmschutzwände aufzustellen und um neue Loks und Waggons anzuschaffen. Jeder Arbeitsplatz, der neu entsteht, ist im Übrigen nicht nur ein Gewinn für die Menschen, die der Arbeitslosigkeit entkommen. Politik für mehr Beschäftigung perspektive21

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nützt auch den Leistungsträgern unserer Gesellschaft, denen wir Sozialdemokraten uns verpflichtet fühlen – von der Krankenschwester über die Facharbeiter und Angestellten bis zu verantwortlich denkenden Unternehmern. Weil die Arbeitslosigkeit gesunken ist, haben sich ihre Beiträge zur Arbeitslosenversicherung schon jetzt deutlich verringert. 250 Euro netto pro Jahr in der Tasche eines Durchschnittsverdieners sind noch nicht genug. Aber das Beispiel zeigt, dass unsere Richtung stimmt. „Gute Arbeit“ ist der Kompass unserer Politik Für Sozialdemokraten steht im Mittelpunkt der Wirtschaft immer der Mensch. Darum ist der Grundsatz „Gute Arbeit“ Kompass unserer Politik. Gute Arbeit bedeutet: Wer eine Vollzeitbeschäftigung hat, muss von dem Lohn dieser Arbeit leben können. Darum kämpfen wir mit den Gewerkschaften für branchenspezifische Mindestlöhne und für einen gesetzlichen Mindestlohn. Gute Arbeit bedeutet auch: Leiharbeit darf nicht für Lohndumping oder Tarifflucht missbraucht werden, sondern muss auf die Bewältigung von Auftragsspitzen beschränkt sein und als Brücke in den regulären Arbeitsmarkt dienen. Gute Arbeit heißt: strukturelle Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern überwinden, mehr reguläre Arbeitsverhältnisse aus prekären Jobs schaffen, Mitbestimmung in den Betrieben erhalten, Weiterbildung und Qualifizierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern fördern. „Gute Arbeit“ liegt im Eigeninteresse langfristig und weitsichtig denkender Unternehmen. Ihr wichtigstes Kapital sind gut qualifizierte, motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Unternehmen in Branchen, in denen es bereits an Fachkräften mangelt – beispielsweise im Maschinenbau – richten ihre Strategien bereits nach dieser Logik aus. Dort steigen die Löhne, werden ältere Arbeitnehmer wieder geschätzt oder sogar neue eingestellt; und dort erhalten Mütter und Väter Möglichkeiten, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. In Branchen und Regionen ohne Bewerbermangel und ohne tarifliche Absicherung – gerade im Bereich der Geringqualifizierten – erfahren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer diese Behandlung häufig nicht. Langjährige prekäre Arbeitsverhältnisse gefährden auch die Absicherung für das Alter. Darum stellen wir Sozialdemokraten uns der Verantwortung, Voraussetzungen für „gute Arbeit“ zu schaffen – mit neuen Modellen für längere Erwerbstätigkeit und gleitende Übergänge vom Erwerbsleben in die Rente. Unser Grundsatz lautet: Wer länger arbeitet, muss davon im Alter auch profitieren. 14

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kurt beck und frank-walter steinmeier – die arbeitslosigkeit besiegen

Die Lohn- und Gehaltsrunden dieses Jahres haben aber gezeigt: Die erfolgreiche Politik für wirtschaftliche Dynamik und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zahlt sich in vielen Teilen der Wirtschaft aus. Sie schafft finanzielle Spielräume zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir arbeiten dafür, dass dieser Trend sich verstärkt. Je weiter die Arbeitslosigkeit sinkt, je knapper gut qualifizierte Fachkräfte werden, desto größer wird auch die Zahl der Unternehmen, die zufriedene Mitarbeiter als zentralen Baustein ihrer Wettbewerbsfähigkeit erkennen. Im Jahre 2008 können wir feststellen: Deutschland geht die Arbeit nicht aus. Aber die Arbeit der Zukunft wird zu einem weit größeren Anteil hohe Anforderungen an gut ausgebildete Menschen stellen. Weil viele gut qualifizierte Ältere in den kommenden Jahren in den verdienten Ruhestand gehen und deutlich weniger Jüngere nachrücken, bedeutet dies: Gut qualifizierte Fachkräfte werden in weiten Teilen der Wirtschaft schon bald zum knappen Gut. Aus dem Mangel an Arbeitsplätzen wird ein Mangel an geeigneten Arbeitskräften. Zu einer strategischen Politik mit dem Ziel der Vollbeschäftigung gehört deshalb eine umfassende Bildungs- und Qualifizierungsoffensive. Wir wollen eine Renaissance der sozialdemokratischen Bildungspolitik der siebziger Jahre, als unzählige Kinder aus Arbeiterfamilien zum ersten Mal aufs Gymnasium gehen und studieren konnten. Jetzt müssen wir ein weiteres Mal dafür sorgen, dass weitaus mehr Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen das Abitur machen und eine Universität besuchen. Dies ist eine Schlüsselaufgabe sozialdemokratischer Politik und der ganzen Gesellschaft – weit über die ökonomischen Aspekte hinaus. Wir organisieren sozialen Aufstieg Denn nur wenn die Chance auf sozialen Aufstieg endlich wieder konkret möglich und erlebbar wird, können wir den sozialen Zusammenhalt unseres Landes dauerhaft sichern. Herkunft und Stadtviertel dürfen keine Sperre in die höheren Etagen der Gesellschaft sein. Das gilt insbesondere auch mit Blick auf den wachsenden Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund. Viele von ihnen haben keinen Schulabschluss, keine Ausbildung – und sind damit verurteilt, ein Leben in prekärer Arbeit als Geringverdiener zu führen. Integration gelingt, wenn talentierte Kinder von türkischen oder bosnischen Eltern in unseren Unternehmen endlich auch Prokurist statt Lagerist werden können, wenn sie auch Präsident einer Behörde werden können und nicht in erster Linie als Hausmeister oder in der Kantine arbeiten. Das erfordert eine Vielzahl zusätzlicher Schritte – zweisprachige Erzieherinnen und Erzieher im Kindergarten, mehr Förderlehrer in der Grundschule, guten perspektive21

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Nachmittagsunterricht in Ganztagsschulen, aber auch die Wiedereinführung des Schüler-Bafög und das Recht auf ein gebührenfreies Erststudium. Der soziale Aufstieg dieser Kinder entscheidet auch über die langfristige Leistungsfähigkeit der Sozialsysteme. Wenn möglichst viele Kinder, die heute aufwachsen, im Jahr 2025 als Ingenieure und IT-Spezialisten zu hohen Löhnen arbeiten, stärkt das auch die Sicherheit staatlicher und beitragsfinanzierter Leistungen. Auch unsere Angebote für mehr Ganztagsbetreuung von Kindern sind Teil einer großen Beschäftigungsstrategie. Denn sie erleichtern konkret die Erwerbsmöglichkeiten von Frauen. Gerade auch alleinerziehende Frauen, die zu der Gruppe mit dem höchsten latenten Armutsrisiko in Deutschland gehören, können auf diese Weise ein Einkommen erarbeiten und ihre Absicherung für das Alter verbessern. Der technische Wandel verlangt aber auch von den aktiven Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Möglichkeiten und Bereitschaft zu Weiterbildung und Qualifikation – eine Aufgabe für die Tarifpartner, aber auch für uns Sozialdemokraten in gestaltender Verantwortung. Deutschland hat eine bessere Zukunft, als viele von uns glauben. Mit einer klaren Politik können wir die Chancen nutzen, die vor uns liegen. Vertrauen wir miteinander wieder auf unsere Kraft! Die Sozialdemokratie steht bereit für eine Politik, die die Massenarbeitslosigkeit besiegt, die Sicherheit für die Menschen und inneren Frieden für unser Land schafft. ■

KURT BECK

ist Bundesvorsitzender der SPD und Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz. FRANK-WALTER STEINMEIER ist stellvertretender Vorsitzender der SPD und Bundesaußenminister.

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It’s the economy, stupid NACH DER UNABHÄNGIGKEITSERKLÄRUNG DES KOSOVO FÄNGT DIE ARBEIT ERST AN VON THOMAS KRALINSKI

1.600 Kilometer sind es von Berlin bis Rom, bis in die Provence oder in die Fjörde Norwegens. 1.600 Kilometer sind es auch bis Pristina, der Hauptstadt des Kosovo. Und doch scheint der Kosovo so unendlich weit weg zu sein. Auch und gerade nach der Unabhängigkeitserklärung vom März diesen Jahres scheint das Land mit seinen Problemen fast in Vergessenheit geraten zu sein. Wer mit dem Flugzeug nach Pristina will, fliegt einen großen Bogen von Ungarn über Rumänien, Bulgarien und Mazedonien bis er den wohl kleinsten Hauptstadtflughafen Europas erreicht. Und das erste, was einem dort ins Auge sticht sind die Truppen der Kosovo-Force (KFOR) der NATO, die – wenn auch zurückhaltend – dennoch präsent sind im Alltag des Landes. Schon das zeigt, dass der Kosovo kein „normales“ Land ist, dass eine Unabhängigkeitserklärung allein noch kein souveränes Land schafft. Der Kosovo hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Das Zentrum des serbischen Königreiches lag im 14. Jahrhundert im heutigen Kosovo. 1389 kam es dort – auf dem Amselfeld, dem „Kosovo Polje“ – zur Schlacht gegen die Osmanen, die im Begriff waren, halb Europa zu erobern. Die Serben verloren die Schlacht, Serbien wurde für vier Jahrhunderte zum Teil des Osmanischen Reiches. Nach dem Rückzug der Serben siedelten die islamisierten Albaner auf dem Kosovo Polje. Die Schlacht auf dem Amselfeld begründete ein historisches Trauma der Serben und steht noch heute für die emotionale Bindung Serbiens an das Kosovo. Die Schlacht wurde zum nationalen Mythos, zum Symbol für die Befreiung Serbiens und dem Willen, das alte Serbische Reich wiederauferstehen zu lassen. Noch heute markiert das Datum der Schlacht auf dem Kosovo Polje den höchsten serbischen Feiertag. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Kosovo in das neu entstandene Jugoslawien eingegliedert. Unter Tito wurden die Autonomierechte des Kosovo 1974 erheblich erweitert. Der 600. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld 1989 wurde jedoch zum Wendepunkt in der jüngeren Geschichte. Der neue serbische Präsident Slobodan Milosevic nutzte die Gelegenheit um seine Macht zu zementieren –

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und zwar nicht mehr mit kommunistischer Ideologie, sondern mit Nationalismus. Zum Jahrestag der Schlacht ließ er eine riesige Kundgebung auf dem Kosovo Polje veranstalten. Mancher Beobachter sah in der martialischen Rede von Milosevic schon die Ankündigung der blutigen und nationalistischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan. „Heute befinden wir uns wieder in Kriegen und werden mit neuen Schlachten konfrontiert. Dies sind keine bewaffneten Schlachten, obwohl diese nicht ausgeschlossen werden können. Aber unabhängig von der Art des Schlacht, können Schlachten nicht gewonnen werden ohne Entscheidungskraft, Tapferkeit und Selbstaufopferung, ohne diese Qualitäten, die im Kosovo so lange vorher schon gegenwärtig waren“, gab Milosevic 1989 die Richtung vor. Die Spannungen zwischen Kosovaren und Serben verschärfen sich Im Gefolge des wieder auflebendem serbischen Nationalismus schränkte das jugoslawische Parlament die Autonomierechte des Kosovo zugunsten Serbiens erheblich ein. Unter anderem wurden die Zuständigkeiten für Polizei und Justiz sowie zur Ernennung hoher Verwaltungsämter wieder beschnitten. Daraufhin kommt es zu den ersten blutigen Unruhen, bei denen 20 Menschen getötet wurden. Ein albanisch-sprachiges Schulwesen gab es nicht mehr, die Kosovo-Albaner wurden enteignet, die meisten der im Staatsdienst Beschäftigten wurden entlassen. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre verschärften sich die Spannungen zwischen Kosovo und Serbien immer stärker. Der anfangs gewaltfreie Widerstand ging in einen Partisanenkrieg über, zwischen den serbischen Streitkräften und den albanisch-kosovarischen Freischärlern der UÇK kam es zu immer schärferen Gefechten. Immer mehr Kosovaren flüchteten aus ihrer Heimat. Der Schriftsteller Ibrahim Rugova wurde zum politischen Führer der Unabhängigkeitsbewegung. Nachdem auf dem Verhandlungsweg keine Einigung über den Status des Kosovo erreicht werden konnte und die Kämpfe zwischen der serbischen Armee und der UÇK immer heftiger wurden, begann die NATO im März 1999 strategisch wichtige Ziele in Serbien zu bombardieren. Vorrangiges Ziel war es, die „ethnischen Säuberungen“ der Serben zu beenden. Hundertausende Kosovaren waren auf der Flucht, viele von ihnen vertrieben von den Serben. Nach Ende des Krieges wurde der Kosovo unter die Verwaltung der UN gestellt, blieb formal aber weiterhin ein Teil Serbiens. Bis Ende 2007 bemühte sich die internationale Gemeinschaft weiterhin um eine Klärung des Status’ des Kosovo – eine Einigung kam jedoch nicht zustande. Serbien und Russland waren strikt gegen eine Unabhängigkeit.

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So erklärte der Kosovo sich einseitig am 17. März 2008 für unabhängig. Die meisten EU-Länder sowie die USA, Kanada, die Türkei und andere Staaten haben diese Unabhängigkeit mittlerweile anerkannt. Auch wenn Serbien die Unabhängigkeit als rechtswidrig betrachtet – de facto hat es keine Kontrolle mehr über den Kosovo, abgesehen von einem kleinen Teil im Norden des Landes, der hauptsächlich von Serben bewohnt wird. In diesem Gebiet haben umgekehrt die Institutionen des Kosovo keinen Einfluss. Mittlerweile hat der jüngste Staat Europas eine eigene Verfassung, eine eigene Hymne und eine eigene Sicherheitstruppe. Die internationalen Missionen werden fortgeführt, teilweise in neuer Konfiguration. So hilft die EU beim Aufbau eines Rechtsstaates und der Wirtschaft, die OSZE beim Aufbau demokratischer Institutionen und Parteien. Die Kosovo-Truppe der NATO (KFOR) steht weiterhin mit gut 15.000 Soldaten im Land und sorgt für Sicherheit und Ordnung. Fast aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden ist, dass immer noch 3.000 deutsche Soldaten im Kosovo stationiert sind, das Mandat wurde vom Bundestag Anfang Juni 2008 um ein weiteres Jahr verlängert. Wie labil der Zustand der neuen Unabhängigkeit des Landes ist, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass auch die neue Verfassung die letztendliche Entscheidungsgewalt bei einem Sonderbeauftragten der EU für das Kosovo belässt. Es fehlt eine gemeinsame Identität Der Prozess der Staatswerdung hat bisher noch nicht zu einer gemeinsamen Identität aller Bewohner des Kosovo beigetragen. Es fehlen schlicht gemeinsame Symbole aller Bevölkerungsgruppen, so dass beispielsweise die Flagge des Kosovo lediglich auf die Umrisse des Landes zurückgreift und die Nationalhymne (vorerst) auf einen Text verzichtet. Das zeigt, wie wichtig das Zusammenleben der albanischen und serbischen Volksgruppen für eine gedeihliche Zukunft des Landes sein wird. Die Minderheitenrechte sind zwar in der neuen Verfassung garantiert, entscheidend wird es aber sein, ob die Frontstellung zwischen Albanern und Serben aufgebrochen werden kann. Der Kosovo ist heute die ärmste Region auf dem Balkan, vermutlich die ärmste Region Europas überhaupt. Das Bruttoinlandsprodukt liegt bei ungefähr 1.000 Euro pro Kopf – das des ärmsten EU-Mitgliedes Bulgarien bei ca. 5.000 Euro pro Kopf. Ohne internationale Hilfe wäre das Land schlicht nicht lebensfähig. Schon innerhalb Jugoslawiens war der Kosovo stets die rückständigste

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Region, doch ist seine Wirtschaftskraft in den letzten Jahren von dem ohnehin niedrigen Niveau noch einmal um ein vielfaches zurückgegangen. Heute dominieren die Landwirtschaft sowie der Bau- und Handelssektor. Wenige Monate nach der Unabhängigkeitserklärung vermittelt der Kosovo einen zwiespältigen Eindruck. Ein beeindruckender Bauboom suggeriert Wachstum, doch es bleibt ein Beigeschmack. Von Aufbruch ist im Land nicht viel zu spüren. Zu unzufrieden sind die Bewohner über die trüben wirtschaftlichen Aussichten, bei einer offiziellen Arbeitslosenquote von 45 Prozent (und mehr) kein Wunder. Der Kosovo hat eine der jüngsten Bevölkerung Europas. Nur 6 Prozent der etwa 2 Millionen Einwohner sind über 65 Jahre alt, über die Hälfte ist jünger als 35 – verteilt auf einer Fläche von gut einem Drittel der Fläche Brandenburgs. Das ist ein enormes Fachkräftepotenzial, momentan jedoch eher ein Reservoir für künftige Auswanderer. Die nunmehr verkündete Unabhängigkeit hat letztlich den Blick auf die ökonomischen und sozialen Probleme des Landes geöffnet. In den vergangenen Jahren waren alle Institutionen – einschließlich der politischen Parteien – des Kosovo hauptsächlich mit der Statusfrage beschäftigt. Diese Frage dominierte lange die Politik und die Politiker des Landes. Die Parteien stehen deshalb nun an einem Wendepunkt. Erstmals kann die bis dato ungeklärte Statusfrage nicht mehr als „Ausrede“ für die schwierige wirtschaftliche Lage herhalten, vielmehr muss es nun um Bildung, Gesundheit und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gehen. Die Energieversorgung ist das Kernproblem Dabei steht das Land vor gleich mehreren Herausforderungen. Zum einen muss die neue Regierung ihre Institutionen aufbauen, beispielsweise durch die Errichtung eines Außenministeriums mit weltweiten Botschaften und einer eigenen Armee. Auch die Demokratie ist noch nicht fest verankert, die Parteien lange noch nicht stabil. Bisweilen ähneln sie eher Familien- und Clanparteien, manche profitieren noch vom Ruf der ehemaligen UÇK -Kommandeure, von denen einige heute in der Politik aktiv sind. Allein neun Parteien sagen derzeit von sich, dass sie sozialdemokratisch orientiert seien. Stabile Mitgliederstrukturen gibt es nicht, Programme sind meistens vage. Erst allmählich beginnen die Parteien, klare Konturen und Profile zu entwickeln – unter tatkräftiger Mithilfe internationaler Organisationen wie EU, OSZE, aber auch deutscher Stiftungen wie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Das Kernproblem des Kosovo ist derzeit seine mangelhafte Energieversorgung – und eine schnelle Lösung ist alles andere als in Sichtweite. Zwei veraltete Kraft20

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thomas kralinski – it’s the economy, stupid

werke versorgen das ganze Land mit Strom. Stromausfall und enorme Spannungsschwankungen sind deshalb an der Tagesordnung – keine gute Voraussetzung für wirtschaftlichen Wiederaufbau. Dabei liegt der Reichtum des Landes unter der Erde: Kosovo verfügt über enorme Braunkohlevorkommen, hinzu kommen etliche weitere Bodenschätze wie Blei, Zink oder Kupfer. Der Kosovo hat also gute Chancen, eines Tages Energielieferant für die gesamte Region zu werden. Deutschland bleibt gefordert Doch bis dahin werden noch einige Jahre vergehen. Internationale Hilfe wird der Kosovo noch sehr lange brauchen, zu prekär ist die wirtschaftliche Situation des Landes, zu schwach seine Institutionen. Ein wichtiger Stabilitätsanker ist dabei der Euro, der derzeit offizielles Zahlungsmittel des Kosovo ist. Kernpunkt wird es sein, dass der neue Staat Zukunftsperspektiven vor allem den jungen Menschen vermitteln kann – von denen derzeit zwei Drittel arbeitslos sind. Es gibt nur wenige Länder in Europa, wo Bill Clintons Satz „It’s the economy, stupid“ so überlebenswichtig wahr ist, wie im Kosovo. Nur zwei Flugstunden von Berlin entfernt, versucht ein Entwicklungsland den Anschluss an Europa. Mit der Anerkennung der Unabhängigkeit hat Deutschland auch Verantwortung für den Aufbau des Kosovo übernommen. Und der wird mehr und mehr davon abhängen, ob die Menschen dort Arbeit und Vertrauen in die Demokratie finden. Noch können wir nicht sicher sein, dass all dies gelingt. Deshalb wird auch Deutschland gefordert bleiben. ■

THOMAS KRALINSKI

ist Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg und Chefredakteur der Perspektive 21. perspektive21

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„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“ REDE ZUR ABLEHNUNG DES ERMÄCHTIGUNGSGESETZES AM 23. MÄRZ 1933 VOR DEM REICHSTAG VON OTTO WELS

er außenpolitischen Forderung deutscher Gleichberechtigung, die der Herr Reichskanzler erhoben hat, stimmen wir Sozialdemokraten umso nachdrücklicher zu, als wir sie bereits von jeher grundsätzlich verfochten haben. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ich darf mir wohl in diesem Zusammenhang die persönliche Bemerkung gestatten, dass ich als erster Deutscher vor einem internationalen Forum, auf der Berner Konferenz am 3. Februar des Jahres 1919, der Unwahrheit von der Schuld Deutschlands am Ausbruch des Weltkrieges entgegengetreten bin. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Nie hat uns irgendein Grundsatz unserer Partei daran hindern können oder gehindert, die gerechten Forderungen der deutschen Nation gegenüber den anderen Völkern der Welt zu vertreten. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Der Herr Reichskanzler hat auch vorgestern in Potsdam einen Satz gesprochen, den wir unterschreiben. Er lautet: »Aus dem Aberwitz der Theorie

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von ewigen Siegern und Besiegten kam der Wahnwitz der Reparationen und in der Folge die Katastrophe der Weltwirtschaft.« Dieser Satz gilt für die Außenpolitik; für die Innenpolitik gilt er nicht minder. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Auch hier ist die Theorie von ewigen Siegern und Besiegten, wie der Herr Reichskanzler sagte, ein Aberwitz. Das Wort des Herrn Reichskanzlers erinnert uns aber auch an ein anderes, das am 23. Juli 1919 in der Nationalversammlung gesprochen wurde. Da wurde gesagt: »Wir sind wehrlos, wehrlos ist aber nicht ehrlos. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Gewiss, die Gegner wollen uns an die Ehre, daran ist kein Zweifel. Aber dass dieser Versuch der Ehrabschneidung einmal auf die Urheber selbst zurückfallen wird, da es nicht unsere Ehre ist, die bei dieser Welttragödie zugrunde geht, das ist unser Glaube bis zum letzten Atemzug.« (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten – Zuruf von den Nationalsozialisten: Wer hat das gesagt?) – Das steht in einer perspektive21

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Erklärung, die eine sozialdemokratisch geführte Regierung damals im Namen des deutschen Volkes vor der ganzen Welt abgegeben hat, vier Stunden bevor der Waffenstillstand abgelaufen war, um den Weitervormarsch der Feinde zu verhindern. – Zu dem Ausspruch des Herrn Reichskanzlers bildet jene Erklärung eine wertvolle Ergänzung. Aus einem Gewaltfrieden kommt kein Segen; (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) im Inneren erst recht nicht. (Erneute Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Eine wirkliche Volksgemeinschaft lässt sich auf ihn nicht gründen. Ihre erste Voraussetzung ist gleiches Recht. Mag sich die Regierung gegen rohe Ausschreitungen der Polemik schützen, mag sie Aufforderungen zu Gewalttaten und Gewalttaten selbst mit Strenge verhindern. Das mag geschehen, wenn es nach allen Seiten gleichmäßig und unparteiisch geschieht, und wenn man es unterlässt, besiegte Gegner zu behandeln, als seien sie vogelfrei. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht. (Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Nach den Verfolgungen, die die Sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird billigerweise niemand von ihr verlangen oder erwarten können, dass sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt. Die Wahlen vom 5. März haben den Regie24

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rungsparteien die Mehrheit gebracht und damit die Möglichkeit gegeben, streng nach Wortlaut und Sinn der Verfassung zu regieren. Wo diese Möglichkeit besteht, besteht auch die Pflicht. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Kritik ist heilsam und notwendig. Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht, (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll. Eine solche Allmacht der Regierung muss sich umso schwerer auswirken, als auch die Presse jeder Bewegungsfreiheit entbehrt. Meine Damen und Herren! Die Zustände, die heute in Deutschland herrschen, werden vielfach in krassen Farben geschildert. Wie immer in solchen Fällen fehlt es auch nicht an Übertreibungen. Was meine Partei betrifft, so erkläre ich hier: wir haben weder in Paris um Intervention gebeten, noch Millionen nach Prag verschoben, noch übertreibende Nachrichten ins Ausland gebracht. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Solchen Übertreibungen entgegenzutreten wäre leichter, wenn im Inlande eine Berichterstattung möglich wäre, die Wahres vom Falschen scheidet. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)


otto wels – „freiheit und leben kann man uns nehmen, die ehre nicht“

Noch besser wäre es, wenn wir mit gutem Gewissen bezeugen könnten, dass die volle Rechtssicherheit für alle wiederhergestellt sei. (Erneute lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Das, meine Herren, liegt bei Ihnen. Die Herren von der Nationalsozialistischen Partei nennen die von ihnen entfesselte Bewegung eine nationale Revolution, nicht eine nationalsozialistische. Das Verhältnis ihrer Revolution zum Sozialismus beschränkt sich bisher auf den Versuch, die sozialdemokratische Bewegung zu vernichten, die seit mehr als zwei Menschenaltern die Trägerin sozialistischen Gedankengutes gewesen ist (Lachen bei den Nationalsozialisten.) und auch bleiben wird. Wollten die Herren von der Nationalsozialistischen Partei sozialistische Taten verrichten, sie brauchten kein Ermächtigungsgesetz. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Eine erdrückende Mehrheit wäre Ihnen in diesem Hause gewiss. Jeder von Ihnen im Interesse der Arbeiter, der Bauern, der Angestellten, der Beamten oder des Mittelstandes gestellte Antrag könnte auf Annahme rechnen, wenn nicht einstimmig, so doch mit gewaltiger Majorität. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten. Lachen bei den Nationalsozialisten.) Aber dennoch wollen Sie vorerst den Reichstag ausschalten, um Ihre Revolution fortzusetzen. Zerstörung von Bestehendem ist aber noch keine

Revolution. Das Volk erwartet positive Leistungen. Es wartet auf durchgreifende Maßnahmen gegen das furchtbare Wirtschaftselend, das nicht nur in Deutschland, sondern in aller Welt herrscht. Wir Sozialdemokraten haben in schwerster Zeit Mitverantwortung getragen und sind dafür mit Steinen beworfen worden. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten. – Lachen bei den Nationalsozialisten.) Unsere Leistungen für den Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft, für die Befreiung der besetzten Gebiete werden vor der Geschichte bestehen. (Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Wir haben gleiches Recht für alle und ein soziales Arbeitsrecht geschaffen. Wir haben geholfen, ein Deutschland zu schaffen, in dem nicht nur Fürsten und Baronen, sondern auch Männern aus der Arbeiterklasse der Weg zur Führung des Staates offensteht. (Erneute Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Davon können Sie nicht zurück, ohne Ihren eignen Führer preiszugeben. (Beifall und Händeklatschen bei den Sozialdemokraten.) Vergeblich wird der Versuch bleiben, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Wir Sozialdemokraten wissen, dass man machtpolitische Tatsachen durch bloße Rechtsverwahrungen nicht beseitigen kann. Wir sehen die machtpolitische Tatsache Ihrer augenblicklichen Herrschaft. Aber auch das Rechtsbeperspektive21

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wusstsein des Volkes ist eine politische Macht, und wir werden nicht aufhören, an dieses Rechtsbewusstsein zu appellieren. Die Verfassung von Weimar ist keine sozialistische Verfassung. Aber wir stehen zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechtes, die in ihr festgelegt sind. Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und

unzerstörbar sind, zu vernichten. Sie selbst haben sich ja zum Sozialismus bekannt. Das Sozialistengesetz hat die Sozialdemokratie nicht vernichtet. Auch aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen. Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht – (Lachen bei den Nationalsozialisten – Bravo! bei den Sozialdemokraten.) verbürgen eine hellere Zukunft. (Wiederholter lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten – Lachen bei den Nationalsozialisten.) ■

In dieser letzten freien Rede vor dem Reichstag verteidigte der Fraktionsvorsitzende der SPD Otto Wels am 23. März 1933 mutig die Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes durch die SPD. Einzig die verbliebenen 94 Sozialdemokraten stimmten im Reichstag gegen das Gesetz, etliche Abgeordnete waren zu diesem Zeitpunkt bereits verhaftet und in Konzentrationslager gebracht worden.

OTTO WELS

geboren 1873 in Berlin, gestorben 1939 in Paris, war 1907-1918 Parteisekretär in Brandenburg, von 1919 bis 1939 Vorsitzender der SPD sowie bis 1933 SPD-Fraktionsvorsitzender im Reichstag. 26

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Wehret den Anfängen ÜBER DIE URSACHEN UND LEHREN DER EREIGNISSE VON 1933 VON HANS-JOCHEN VOGEL

rinnern, so hat Gotthold Ephraim Lessing einmal geschrieben, heißt nicht, das Gedächtnis zu belasten, sondern den Verstand zu erleuchten. Denn wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. In den ersten sechs Monaten des Jahres 1933 wurden Entscheidungen getroffen, ohne die das, was dann folgte und schließlich in der schlimmsten Katastrophe unserer Geschichte endete, kaum möglich geworden wäre. Die Ereignisse dieser Zeit gingen bereits mit einer brutalen Verfolgung der politischen Gegner des Nationalsozialismus einher. Zuerst vor allem von Kommunisten und Sozialdemokraten. Bald auch von Angehörigen anderer Parteien und Verbände. Bis zum Sommer 1933 wurden mehr als 100.000 Männer und Frauen für kürzere oder längere Zeit verhaftet. Fast 27.000 befanden sich Ende Juli 1933 in der so genannten „Schutzhaft“. Viele dieser Verfolgten wurden bereits damals gequält und gefoltert. Und mehrere Hundert schon bis Ende März 1933 in barbarischer Weise ermordet. Vor allem die Konzentrationslager, von denen das erste

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am 21. März 1933 in Dachau eingerichtet wurde, waren von Anfang an rechtsfreie Räume. Die Republik wird zu Grabe getragen getrag.. Wenden wir uns der Reichstagssitzung vom 23. März 1933 zu. An diesem Tage wurden die Demokratie und mit ihr die Republik von Weimar endgültig zu Grabe getragen. Diese Sitzung fand in der im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigten und 1951 abgerissenen Kroll-Oper statt. In dieser Sitzung, von der die kommunistischen Abgeordneten bereits ausgeschlossen waren, wurde in drei Lesungen das sogenannte Ermächtigungsgesetz verabschiedet, das die Gesetzgebung de facto vom Parlament auf die Reichsregierung übertrug und ihr die Befugnis zuerkannte, dabei auch von der Verfassung abzuweichen. Die dafür notwendige Zwei-DrittelMehrheit wurde erreicht, weil nicht nur die Nationalsozialisten und die deutsch-nationalen Abgeordneten, sondern auch die Abgeordneten des Zentrums, der Bayerischen Volkspartei, des Christlichen Volksdienstes und der Staatspartei dem Gesetz zustimmten. perspektive21

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Nur die 94 anwesenden Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion – Julius Leber, der festgenommen wurde, als er die Kroll-Oper betreten wollte, und weitere 25 von den insgesamt 120 sozialdemokratischen Abgeordneten waren bereits in Haft oder hatten untertauchen oder fliehen müssen – votierten in namentlicher Abstimmung dagegen. Sie taten das in einer Atmosphäre, die ein ausländischer Beobachter so beschrieb: „Für eine Sekunde verbreitete sich Todesschweigen im Hause, während von draußen die drohenden Sprechchöre der SA hereindrangen. Weiß bis in die Lippen, den Mund zusammengepresst, mit harten Zügen, in sichtbarem Bewusstsein der Schwere, des Ernstes und der Gefahr des Augenblicks, bestieg Otto Wels langsam die Rednertribüne. Den Kopf leicht gesenkt, aber die stämmige Gestalt gestrafft, die Schultern hochgezogen, als ob er in ein Gewehrfeuer hineinschritte.“ Eine Rede für die Geschichte Die Rede, die Wels dann hielt, ist in die Geschichte eingegangen. In dieser Rede sagte er unter anderem: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Und direkt an Hitler gewandt: „Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein 28

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Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten.“ In der vorausgegangenen Fraktionssitzung waren es übrigens vor allem die Frauen, die einem Vorschlag widersprachen, man solle es bei einer schriftlichen Erklärung bewenden lassen und an der Plenarsitzung überhaupt nicht mehr teilnehmen. „Ich sage Euch, ich gehe, und wenn sie mich drüben in Stücke reißen“, rief Louise Schröder, die 1947 und 1948 anstelle von Ernst Reuter als – so hieß es damals noch – Oberbürgermeisterin von Berlin amtierte, weil die sowjetische Besatzungsmacht ihm die Bestätigung verweigert hatte. Neunzehn von denen, die damals der SPD-Reichstagsfraktion angehörten, haben das NSGewaltregime nicht überlebt. Mindestens elf wurden ermordet. Alle anderen waren kürzere oder längere Zeit in Haft oder mussten emigrieren. Es ist hier nicht der Ort, über die Gründe zu rechten, aus denen nicht nur die Nationalsozialisten und die Deutsch-Nationalen, sondern auch die Abgeordneten der anderen Parteien dem Gesetz zustimmten. Nach dem heutigen Stand der zeitgeschichtlichen Forschung haben dabei Zusagen Hitlers gegenüber der katholischen Kirche und den Repräsentanten der Zentrumspartei, aber auch die Furcht vor einer Welle blutiger Gewalt und die Sorge um die eigene Sicherheit im Falle der Ablehnung eine Rolle gespielt.


hans-jochen vogel – wehret den anfängen

Nicht wenige von denen, die am 23. März 1933 mit Ja stimmten, werden das später so empfunden haben wie Theodor Heuss, der sich damals als Abgeordneter der Staatspartei unter Überwindung schwerer Bedenken dazu entschloss. Der schrieb in seinen Erinnerungen: „Jeder von uns, der als Publizist oder als Politiker zu Entscheidungen gezwungen war, die er später bedauerte, hat Dummheiten gemacht. Und dieser Begriff ist zu schwach für die Zustimmung zu diesem Gesetz. Und auch das Wort ‚später‘ trifft nicht die innere Lage; denn ich wusste schon damals, dass ich dieses Ja ‚nie mehr aus meiner Lebensgeschichte auslöschen könne‘.“ Wie es dazu kam Eines aber steht heute wohl fest: Der Sozialdemokrat Otto Wels hat damals – so umschreibt es der Historiker Heinrich August Winkler – nicht nur die Ehre der Sozialdemokratie, „sondern der deutschen Demokratie überhaupt“ gerettet. Die entscheidenden Sätze seiner Rede gehören deshalb in alle Geschichtsbücher. Insgesamt war mit dem Ermächtigungsgesetz und der Ausschaltung der Parteien der Übergang zur Diktatur vollendet und allem, was dann folgte, der Boden bereitet. Wie war das in nicht ganz sechs Monaten möglich? Wie konnte das gesche-

hen im Lande Goethes und Schillers, eines Kant und eines Lessing? Aber auch eines August Bebel, eines Ludwig Windhorst und eines Friedrich Naumann? In einem Volk, das sich mit Recht seiner großen geistigen, wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen rühmte? Und das 1933 zu 95 Prozent einer christlichen Konfession angehörte? Einigen genügt als Antwort der Hinweis auf den Versailler Vertrag, auf die damalige Weltwirtschaftskrise und die Massenarbeitslosigkeit oder auf die Angst vor dem Kommunismus. Jedes dieser Probleme hat sicherlich für den Aufstieg Hitlers eine Rolle gespielt. Und wir dürfen uns nicht darüber täuschen, dass ihm damals mehr und mehr Deutsche zujubelten, ja ihn sogar für einen Retter hielten. Aber warum schwiegen seinerzeit, als sich die Zerstörung der Demokratie vollzog und alle Organisationen und die meisten Institutionen gleichgeschaltet wurden, so viele, die eigentlich hätten reden müssen? Warum gab es auch in den Kirchen nur einige, die klar widersprachen? Warum unterstützten die konservativen Eliten in Industrie, Reichswehr, Staatsbürokratie und Wissenschaft und die ostelbischen Großgrundbesitzer Hitler so zielstrebig bei der Demontage der Demokratie? Und warum begrüßten und rechtfertigten nicht wenige Staatsrechtslehrer, von denen ich nur Carl Schmitt nenne, das Ermächtigungsgesetz ausdrücklich? perspektive21

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Da genügen die von mir bereits genannten Umstände als Antwort nicht. Da müssen wir weiter zurückgreifen: ■ Etwa auf den jahrhundertealten christlichen Antijudaismus. Ihm folgte im späten 19. Jahrhundert der radikale Rassenantisemitismus, der an die teils latente, teils offene religiös motivierte Judenfeindschaft anknüpfen konnte. Er wurde bereits im Kaiserreich politisch und gesellschaftlich wirksam, als Begriffe wie „Reinheit des Blutes“ pseudowissenschaftlich begründet wurden und man die Verben „ausmerzen“ und „ausrotten“ mit Blick auf die jüdische Minderheit schon ganz selbstverständlich verwendete. ■ Oder auf die vor allem im Lager der deutschen Rechten weit verbreitete Ablehnung der Demokratie und der Republik von Weimar. Eine Ablehnung, die bald in offene Feindseligkeit überging und sich gegenüber der Republik auch in den bezeichnenden Schmähungen als „Republik der Novemberverbrecher“ und als „Judenrepublik“ äußerte. Nicht zu vergessen die sogenannte Dolchstoßlegende; also die von der sogenannten nationalen Rechten und insbesondere auch von Hindenburg und Ludendorff propagierte Unwahrheit, Deutschland sei im Ersten Weltkrieg im Felde unbesiegt geblieben und habe ihn nur verloren, weil aus der Heimat der Front vor allem 30

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von den Demokraten und Republikanern der Dolch in den Rücken gestoßen worden sei. Hierher gehört auch die justizielle Willkür, mit der schon in der Weimarer Republik deren rechtsextremistische Feinde geschont und ermutigt und die Verteidiger der Republik bloßgestellt und gedemütigt wurden. Weiter auf die Spaltung der Arbeiterbewegung und die intransigente und demokratiefeindliche Haltung der Kommunisten, die auf Stalins Geheiß Anfang der dreißiger Jahre nicht den Nationalsozialismus, sondern die Sozialdemokratie als Hauptfeind bekämpften. Eine Haltung, für die die deutschen Kommunisten danach zwischen 1933 und 1945 im Widerstand, aber auch – soweit sie in die Sowjetunion geflüchtet waren – als Opfer der Stalin’schen Säuberungen einen hohen Blutzoll entrichteten. Außerdem ist die obrigkeitsstaatliche Tradition aus der Zeit des Kaiserreichs zu nennen, der der Gehorsam als eine absolute Tugend und Zivilcourage eher als etwas Undeutsches erschien.

Das Bürgertum entpolitisiert sich Ernst Reuter hat wesentliche Teile dieser Aspekte 1947 in einem Brief an seinen Bruder so beschrieben: „Die Entpolitisierung des früher durchaus freiheitlich gesinnten Bürgertums, Bismarcks ver-


hans-jochen vogel – wehret den anfängen

hängnisvolles Erbe, die Absonderung der Universitäten, die Institution des Reserveoffiziers, die Kastenmethode innerhalb der Beamtenschaft, die Hinwendung des Bürgertums zum reinen Geldverdienen und der Intellektuellen zu unpolitischer Loslösung vom wirklichen Leben: Aus tausend Kanälen wurde diese katastrophale Grundhaltung der deutschen Mittelschichten gespeist, die sie unpolitischen, rein emotionellen Erregungen gegenüber so anfällig machte und die den Sieg des Faschismus durch die vollständige Aufsaugung so gut wie aller bürgerlicher Wählermassen ermöglichte.“ An Warnungen fehlte es nicht Das sind harte Worte. Ein anderer, nämlich Konrad Adenauer, hat – jedenfalls kurz nach Kriegsende – noch härter geurteilt. Er schrieb im Februar 1946 an einen katholischen Geistlichen in Bonn unter anderem: „Nach meiner Meinung trägt das deutsche Volk und tragen auch die Bischöfe und der Klerus eine große Schuld an den Vorgängen in den Konzentrationslagern. Richtig ist, dass nachher vielleicht nicht viel mehr zu machen war. Die Schuld liegt früher. Das deutsche Volk, auch Bischöfe und Klerus zum großen Teil, sind auf die nationalsozialistische Agitation eingegangen. Es hat sich fast widerstandslos, ja zum Teil mit Begeisterung ... gleichschalten lassen. Darin liegt seine Schuld.“

So weit Ernst Reuter und Konrad Adenauer. Auch wer ihren Feststellungen nicht in allen Punkten zustimmen will, wird sich mit dem, was diese beiden Zeitzeugen gesagt haben, auseinandersetzen müssen. Denn sie waren Zeugen besonderer Art. Und ihre Urteilsfähigkeit wird wohl schon deshalb niemand ernsthaft in Zweifel ziehen. Manche werden einwenden, die späteren Verbrechen habe man 1933 noch nicht voraussehen können. Dennoch: An Warnungen und Mahnungen hat es wahrlich nicht gefehlt. Viele Sozialdemokraten, aber auch manche Liberale und Sprecher des Zentrums haben schon vor 1933 nachdrücklich gewarnt und darauf hingewiesen, dass Hitler Diktatur, Willkürherrschaft und Krieg bedeute. Zu nennen sind da vor allem die Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner und Kurt Schumacher. Dann die Zentrumsabgeordneten Bernhard Letterhaus und Josef Joos, der Abgeordnete der Bayerischen Volkspartei Johann Leicht und für die Liberalen Theodor Heuss. Sie und andere beschrieben in aller Klarheit die Ziele und Methoden der Nationalsozialisten. Als Beispiel zitiere ich zwei Sätze, die Kurt Schumacher den nationalsozialistischen Abgeordneten im Februar 1932 im Reichstag entgegen schleuderte. Nämlich: „Die ganze nationalsozialistische Agitation ist ein dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen.“ Und: perspektive21

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„Das deutsche Volk wird Jahrzehnte brauchen, um wieder moralisch und intellektuell von den Wunden zu gesunden, die diese Art Agitation geschlagen hat.“ Entscheidend war aber, dass 1933 die Demokratie in der Mehrheit unseres Volkes nicht, jedenfalls nicht mehr ausreichend verwurzelt war. Dass sich diejenigen, die – wie beispielsweise das Reichsbanner und die Eiserne Front – bereit waren, sie zu verteidigen, in der Minderheit befanden. Und dass sie auch von vielen preisgegeben wurde, die glaubten, für die Verwirklichung der Werte, an denen sie durchaus festhalten wollten, bedürfe es keiner demokratischen Strukturen. Was wir lernen können Natürlich lehrt uns die Erinnerung an die seinerzeitige Massenarbeitslosigkeit, wie wichtig es ist, dass das Gemeinwesen den Menschen eine hinreichende wirtschaftliche und soziale Sicherheit gewährleistet. Und dass der Protest gegen verzweifelte Lebensverhältnisse, die als ungerecht, ja als dauerhafte Ausgrenzung wahrgenommen werden, radikalen Positionen Zulauf verschafft. Ebenso ersehen wir, wie wichtig auch der Fortgang der europäischen Verständigung und Einigung ist, deren seinerzeitige erste Ansätze – in einem sozialdemokratischen Programm war von den Vereinigten Staaten von Europa die 32

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Rede und Gustav Stresemann bemühte sich, nicht ohne gewisse Erfolge, um eine deutsch-französische Verständigung – bald von den aufgepeitschten Wellen eines blinden Nationalismus hinweg gespült wurden. Demokratie braucht aktive Bürger Die wichtigste Lehre sehe ich aber in der Erkenntnis, dass eine Demokratie auf Dauer nur Bestand haben kann, wenn sie von den Menschen getragen wird; wenn diese sich als Bürgerinnen und Bürger verstehen, die selber für die Bewahrung der demokratischen Grundregeln mit verantwortlich sind. Diese Notwendigkeit immer auf’s Neue ins Bewusstsein zu rufen und durch das eigene Beispiel zu bezeugen, ist die gemeinsame Aufgabe aller, die in unserer Gesellschaft besondere Verantwortung tragen. Und das nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft und im Bereich der Medien; um nur einige Bereiche zu nennen. Die sinkenden Wahlbeteiligungen, die nicht nur gelegentlich zu verspürende Politikverdrossenheit und die zunehmende Empörung über das bedrückende Fehlverhalten von Managern sollten uns daran gemahnen – nein: Nicht nur gemahnen, sondern aufrütteln. Denn hier droht ein nachhaltiger Vertrauensverlust. Ohne ein bestimmtes Maß an Grundvertrauen kann aber eine Demokratie ihre Aufgaben nicht erfüllen.


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Eine andere Lehre besteht für mich darin, dass die Demokratie des Einvernehmens über ein klares Menschenbild und über die sich daraus ergebende Wertordnung bedarf. Beides findet sich in unserem Grundgesetz, das eben nicht nur eine Ansammlung von Organisations- und Verfahrensregeln darstellt. Schon die ersten Absätze seines ersten Artikels lauten ja ausdrücklich: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ „Nicht noch einmal!“ Das war die Antwort der Mütter und Väter des Grundgesetzes auf die menschenverachtende Ideologie des NSGewaltregimes, das nicht müde wurde, den Menschen einzutrichtern: „Du bist nichts, Dein Volk ist alles!“ Und das uns Junge damals singen ließ: „Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt. Denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.“ Wir alle sind aufgerufen, die Wertordnung des Grundgesetzes zu wahren und sie immer wieder mit Leben zu erfüllen. Denn sie lebt nach dem bekann-

ten Ausspruch von Wolfgang Böckenförde von Voraussetzungen, die der Staat allein nicht schaffen kann. Sie wird vor allem von dem Gedankengut gespeist, aus dem der einzelne für sich die absolute Verbindlichkeit der Menschenwürde und der Menschenrechte herleitet. Also insbesondere aus den Prinzipien des Christentums, der Aufklärung und des Humanismus, deren wir uns stets aufs Neue bewusst werden müssen. Unsere jüngere Geschichte ist durch tiefe gesellschaftliche Umbrüche, durch dramatische politische Zäsuren und durch sehr unterschiedliche Generationserfahrungen geprägt. Es gibt in diesem Land kein ungebrochenes historisches Selbstverständnis. Aber es gab eine Fülle von weitreichenden Erschütterungen, an die man immer wieder erinnern muss. Wenn wir uns an die schrecklichste Phase unserer Geschichte erinnern, tun das nicht, um Schuldkomplexe als eine nationale Last zu konservieren. Schuld ist eine individuelle Kategorie. Wir erinnern uns auch nicht, um an einem Gedenktag Betroffenheitsrituale zu pflegen. Nein! Die Erinnerung soll Nachgeborenen vor Augen führen, wo es endet, wenn die Menschenwürde mit Füßen getreten, Grundprinzipien mitmenschlichen Zusammenlebens missachtet und einem sogenannten Führer in gotteslästerlicher Weise Allwissenheit und Allmacht zugebilligt werden. perspektive21

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Eine weitere Mahnung aus jener Zeit vor 75 Jahren lautet: „Wehret den Anfängen!“ Und dieses Gebot ist durchaus aktuell. Nicht, dass unsere Demokratie heute in ähnlicher Weise in Gefahr wäre wie damals. Davon kann keine Rede sein. Und wir brauchen uns auch trotz mancher Fehler, manchen Versagens und mancher Versäumnisse der bisherigen Geschichte unserer Bundesrepublik nicht zu schämen. Es wäre sogar gut, wenn wir uns gelegentlich über einzelne Glanzpunkte dieser Geschichte auch einmal freuen würden. Etwa über das unblutige Zustandekommen der deutschen Einheit. Oder darüber, dass wir im Gebiet der heutigen Europäischen Union seit über 60 Jahren in Frieden leben. Das würde zugleich die Zuversicht stärken, dass wir auch die neuen Herausforderungen bewältigen können. Aber eine Wiederbelebung nationalsozialistischer Anschauungen und Parolen gibt es durchaus. Und auf dieser Grundlage antisemitische und ausländerfeindliche Kundgebungen und Gewalttaten. Es gibt sogar Parteien, die in einzelnen Landesparlamenten in schwer erträglicher Weise auftreten und an die Frühzeit der NSDAP erinnern. Ihnen gilt es zu begegnen. Nicht nur der Staat,

sondern wiederum jeder einzelne ist hier in der Pflicht. Wer wegsieht oder nur die Achseln zuckt, schwächt die Demokratie. Wer widerspricht und sich einbringt, stärkt sie. Denn: Was vor 75 Jahren versäumt wurde, darf sich nicht wiederholen. „Nie wieder! Nicht noch einmal!“ Das sollte die entscheidende Losung sein. Ich sage das als einer, der selbst noch als Kind und dann als Jugendlicher erlebt hat, was es heißt, unter einem Regime aufzuwachsen, das alles und alle seinem Befehl unterwarf und keine Verantwortung vor Gott und den Menschen kannte. Das sind wir aber auch denen schuldig, die damals im Widerstand ihr Leben einsetzten und den Millionen, die hingemordet wurden. Lassen Sie uns ihrer gerade in dieser Stunde gedenken und damit das Versprechen verbinden, dass wir ihres Vermächtnisses stets eingedenk bleiben und uns an ihm orientieren wollen. Und das nicht nur bei festlichen Gelegenheiten, sondern bis in unsere tägliche Arbeit hinein! ■ Dieser Beitrag basiert auf einer Rede, die Hans-Jochen Vogel auf einer Gedenkveranstaltung des Deutschen Bundestages am 10. April 2008 gehalten hat.

DR. HANS-JOCHEN VOGEL ist ehemaliger Vorsitzender der SPD.

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Die preußische Demokratie 1919-1932 1918 Abdankung Wilhelms II. als deutscher Kaiser und preußischer König im Zuge der Novemberrevolution 1919 Aufgrund des Versailler Vertrages verliert Preußen etliche Gebiete, wie ElsassLothringen, Nordschleswig, Ost-Oberschlesien, Danzig, das Saargebiet. Preußen hat ca. 40 Millionen Einwohner (von insgesamt ca. 60 Millionen im Reich). 1919 Das Drei-Klassen-Wahlrecht wird abgeschafft. Die verfassungsgebende preußische Landesversammlung wird gewählt. Die SPD wird mit 26 % stärkste Kraft und bildet mit der Zentrums-Partei und DDP (Deutsche Demokratische Partei) die Landesregierung. Erster Ministerpräsident wird Paul Hirsch (SPD). 1919 Die Weimarer Reichsverfassung wird verabschiedet und etabliert damit erstmals erfolgreich die Demokratie in Deutschland. Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert wird erster Reichspräsident. Bereits ein Jahr später verliert die so genannte Weimarer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP ihre Mehrheit. Bis 1933 amtieren 14 Reichskanzler. 1920 Nach dem niedergeschlagenen Kapp-Putsch wird Otto Braun (SPD) Ministerpräsident in Preußen. Abgesehen von einigen mehrmonatigen Unterbrechungen 1921 und 1925 bleibt er bis 1932 im Amt. Carl Severing wird preußischer Innenminister. 1921 Verabschiedung der preußischen demokratischen Verfassung. Preußen wird zum Freistaat innerhalb der Weimarer Republik. In der Verfassung sind das konstruktive Misstrauensvotum und eine Richtlinienkompetenz für den Ministerpräsidenten verankert, die die Stabilität der Regierung sichern und zum Vorbild für das Grundgesetz wurden. 1921 Die SPD wird bei den Landtagswahlen mit 26 % stärkste Kraft, die Regierung wird um die DVP (Deutsche Volkspartei) erweitert. 1923 Mit der Einführung der Rentenmark endet die Hyperinflation. Die neue Währung markiert den Beginn der Goldenen Zwanziger Jahre, mit der ein wirtschaftliperspektive21

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cher Aufschwung, Deutschlands Rückkehr in die internationale Staatengemeinschaft und die Stabilisierung der Demokratie einhergeht. 1924 Die SPD gewinnt die Landtagswahlen mit 25 %, die KPD erhält 10 %. Die DVP scheidet aus der Koalition aus. 1925 Nach Eberts Tod wird Paul von Hindenburg neuer Reichspräsident. Er wird 1932 wiedergewählt. 1926 Severing tritt zurück. Albert Grzesinski, bis dahin Berlins Polizeipräsident, wird neuer Innenminister. 1928 Bei den Landtagswahlen wird die SPD stärkste Kraft mit 29 %, die NSDAP erhält 2 %. Die Koalition von SPD, Zentrum und DDP wird fortgesetzt. 1928 Severing wird in der Reichsregierung der Großen Koalition unter Reichskanzler Müller (SPD) Innenminister. 1929 Beginn der Weltwirtschaftskrise, in deren Gefolge die Arbeitslosigkeit rasch zunahm. Die NSDAP wird bei den Reichstagswahlen 1930 mit 18 % zur zweitstärksten Kraft nach der SPD. 1930 Nach dem Bruch der Reichsregierung unter Hermann Müller wird Carl Severing wieder preußischer Innenminister, Grzesinski kehrt ins Amt des Berliner Polizeipräsidenten zurück. 1932 Bei den Landtagswahlen im April verliert die Koalition aus SPD, Zentrum und DDP ihre Mehrheit. Die NSDAP wird stärkste Kraft mit 36 %, die SPD erhält 21 %, die KPD 12 %. Die Regierung Braun bleibt geschäftsführend im Amt. Die Arbeitslosigkeit steigt auf 3,5 Millionen Menschen. 1932 Mit dem „Preußenschlag“ im Juli wird die preußische Landesregierung durch Reichskanzler von Papen abgesetzt. Von Papen wird als Reichskommissar Regierungschef, Hermann Göring Innenminister. Die Regierung verzichtet auf Generalstreik oder den Einsatz der preußischen Schutzpolizei und reicht Klage beim Reichsgericht ein. 1933 Am 30. Januar wird Hitler Reichskanzler. Das Reichsgericht bestätigt die Entmachtung der preußischen Landesregierung, der wichtigsten demokratischen Regierung in der Weimarer Republik. Braun und Grzesinski flüchten ins Exil.

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Sozialdemokraten in Verantwortung INSTITUTIONEN, VERFAHREN UND PRINZIPIENFESTIGKEIT MACHTEN PREUSSEN ZUM BOLLWERK DER DEMOKRATIE VON MATTHIAS PLATZECK

or 75 Jahren durchlebte Deutschland einen besonders niederschmetternden Abschnitt seiner Geschichte: das Scheitern der ersten deutschen Demokratie im Angesicht ihrer erbitterten nationalsozialistischen Feinde, an den Beginn der totalitären Diktatur in Deutschland. Zur Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes hielt Otto Wels am 23. März 1933 eine tapfere Rede, während die sozialdemokratische Reichstagsfraktion mutig mit „Nein“ stimmte, als alle anderen Parteien zustimmten, schwiegen oder bereits zum Schweigen gebracht waren. Die Ereignisse des 23. März 1933 waren einerseits eine späte, abschließende Episode in der Niedergangsgeschichte der Weimarer Republik, die sich bereits seit Monaten im Übergang in die Diktatur befand. Die Annahme des Ermächtigungsgesetzes durch den am 5. März – bereits unter irregulären Bedingungen – neu gewählten Reichstag, bedeutete den

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formalen Schritt zur Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur. Von der „pseudoparlamentarischen Legitimierung der Diktatur“ hat der Historiker Karl-Dietrich Bracher gesprochen. Während Hitlers Schergen in den Straßen der deutschen Städte unkontrolliert und gesetzlos wüteten, war es dem neuen Reichskanzler paradoxerweise dennoch wichtig, den äußeren Anschein der Legalität zu bewahren. Mit herausragendem Mut In diesem historischen Moment bewiesen die sozialdemokratischen Mitglieder des Reichstages herausragenden Mut. 120 Sozialdemokraten waren am 5. März in den Reichstag gewählt worden. Als der Reichstag am 23. März zusammenkam, saßen die ersten von ihnen bereits hinter Gittern. Andere befanden sich auf der Flucht, weil auch ihnen die Verhaftung drohte. Wilhelm Sollmann, perspektive21

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ein früherer Reichsminister der SPD, lag schwer misshandelt im Krankenhaus. Die sozialdemokratischen Abgeordneten Julius Leber und Carl Severing wurden am 23. März auf dem Weg ins Plenum verhaftet. So konnten nur 94 der 120 sozialdemokratischen Abgeordneten an der namentlichen Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz teilnehmen. Sie taten es unter höchstem Druck, physisch und psychisch bedroht von bewaffneter SA und SS. Aber jeder und jede einzelne von ihnen stimmte mit „Nein“. Dieses couragierte „Nein“ der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion zu Diktatur und Unmenschlichkeit war – und bleibt – eine der leuchtenden Sternstunde in der oftmals dunklen Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. Ideen sind ewig Dasselbe gilt für Otto Wels’ furchtloses „Ja“ zur demokratischen Verfassung von Weimar, für sein „Ja“ zu den Grundsätzen des Rechtstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechts; für sein „Ja“ zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des demokratischen Sozialismus. „Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die unzerstörbar sind, zu vernichten“. Diesen Satz hielt Otto Wels den auftrumpfend feixenden Abgeordneten der NSDAP entgegen. Dieser Satz, ausgesprochen voller 52

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Stolz und Klarheit, war richtig und zutreffend. Denn es stimmt: Die Ideen der Freiheit und des Rechts lassen sich – als Ideen – tatsächlich nicht vernichten, nicht zerstören, nicht beseitigen und ein für alle Mal aus der Welt schaffen. Ideen sind ewig. Freiheit braucht Bedingungen Aber: Vernichtet und zerstört werden kann die Möglichkeit, diesen Ideen praktische Geltung zu verschaffen. Vernichtet werden können die Bedingungen, unter denen sich die Ideen der Freiheit und des Rechts in der Wirklichkeit durchsetzen und handfest verteidigen lassen. In genau dieser verzweifelten Lage befanden sich Otto Wels und die sozialdemokratische Reichstagsfraktion am 23. März 1933. „Freiheit und Ehre kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, rief Wels. Auch das klang stolz und kämpferisch. Aber es waren Worte, die in einer politischen Situation gesprochen wurden, die bereits völlig aussichtslos geworden war – aussichtslos nicht nur für die Weimarer Sozialdemokratie, sondern für die Freiheit, für die Demokratie und für das Recht in Deutschland überhaupt. Denn die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes war ein später Bestandteil jenes Strudels von Ereignissen, der die erste Demokratie in Deutschland spätestens ab 1929/1930 erfasst hatte und immer tiefer in den Abgrund riss.


matthias platzeck – sozialdemokraten in verantwortung

Die Krisenfaktoren waren vielfältig, und sie verstärkten sich gegenseitig: ■ die einsetzende Weltwirtschaftskrise und die dramatisch steigende Arbeitslosigkeit; ■ das Scheitern der sozialdemokratisch geführten Reichsregierung Müller 1930; ■ die dramatischen Wahlerfolge der NSDAP seit der Reichstagswahl vom September 1930; ■ die krisenverschärfenden Maßnahmen der Reichsregierung Brüning; ■ die Politik per Notverordnung des Reichspräsidenten Hindenburg; ■ das wechselseitige Aufschaukeln der politischen Extreme auf der Linken und der Rechten, die es gleichermaßen auf die Zerstörung der Republik anlegten; ■ das Zusammenschrumpfen der liberalbürgerlichen Parteien und die um sich greifende „Panik im Mittelstand“; ■ die Zunahme politischer Gewalt und der Verfall des staatlichen Machtmonopols; ■ schließlich die Intrigen der Konservativen um von Papen, Schleicher und Hindenburg, die Hitler über die Hintertreppe zur Reichskanzlerschaft verhalfen. Dies alles hatte dazu beigetragen, dass der „Tag von Potsdam“ am 21. März, das Ermächtigungsgesetz zwei Tage später und die Errichtung der totalitären Diktatur möglich geworden

waren. Man kann noch weiter in die Geschichte zurückgehen bei der Ursachenforschung. Ganze Schulen von Historikern haben sich bemüht, eine mehr oder weniger geradlinige Entwicklung von Bismarck über den wilhelminischen Militarismus und den Ersten Weltkrieg in den Nationalsozialismus zu belegen. Das ist die berühmte These vom „deutschen Sonderweg“, der mehr oder weniger direkt in den Totalitarismus geführt habe. Ein traumatisiertes Land Ich bin da skeptisch. Natürlich hängt in Geschichte und Politik immer vieles mit vielem zusammen. Trotzdem sollte man es, meine ich, mit den Kausalitäten und den vermeintlich zwangsläufigen Entwicklungslinien nicht übertreiben. Sicherlich ist richtig, dass Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg in die Demokratie eingetreten war als eine Gesellschaft, die tief traumatisiert, verstört, gespalten und in sich selbst zerstritten war. Aber auch damit war die zukünftige Entwicklung ja noch keineswegs vorausbestimmt, die schließlich – über Ermächtigungsgesetz und Diktatur, Krieg und Holocaust – nicht nur in Deutschlands totale Niederlage, sondern auch in eine beispiellose zivilisatorische Katastrophe führen sollte. Wenn es also keine Zwangsläufigkeiten gibt, wie lassen sich dann Herausforderungen für die Demokratie – und perspektive21

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seien sie noch so gravierend – bewältigen? Wie hätten sich diese Herausforderungen in den Jahren der Weimarer Republik bewältigen lassen? Wie lassen sich heutige und künftige Herausforderungen für die Demokratie bewältigen? Das sind Fragen, die uns auch heute noch beschäftigen sollten. Und es lohnt sich anhand der Erfahrungen von Weimar immer wieder neu nachzudenken. Besonders aufschlussreich ist dabei der Kontrast zwischen Reichsebene und dem Bundesstaat Preußen. Preußen als Hort der Ordnung Was der Weimarer Republik auf der Ebene der Reichspolitik in besonderem Maße fehlte, das waren funktionstüchtige staatliche Institutionen, taugliche politische Verfahren sowie überzeugende politische Führungsfiguren mit klaren Prinzipien und eindeutig demokratischrepublikanischem Koordinatensystem. Institutionen, Verfahren und demokratische Prinzipienfestigkeit: Wie sehr es auf diese Faktoren ankommt, das wird deutlich, wenn man vergleicht, wie unterschiedlich sich die politischen Verhältnisse nach 1918 in der Weimarer Republik insgesamt und in ihrem größten Teilstaat Preußen entwickelten. In der Reichspolitik herrschte beständige Unordnung. Die Kabinette und Reichskanzler kamen und gingen. Stabile Koalitionsregierungen waren unbekannt. Nicht weniger als 12 Reichskanzler und 54

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21 verschiedene Kabinette erlebte die Republik zwischen 1919 und 1933. Im Bundesstaat Preußen war das völlig anders. Das neue demokratische und republikanische Preußen mit immerhin drei Fünfteln der Reichsbevölkerung erwies sich als Hort der Ordnung, als Bollwerk der Demokratie und wichtigste Bastion der politischen Stabilität in der Weimarer Republik. Warum war das so? Und welche Einsichten lassen sich daraus ziehen? Mein Argument lautet erstens, dass es auch heute noch auf intakte Institutionen und Verfahren sowie auf demokratische Prinzipienfestigkeit ankommt. Und ich meine zweitens, dass das demokratische Preußen der Weimarer Jahre unter diesen Gesichtspunkten nicht das schlechteste Beispiel für unsere Zeit abgibt. Demokratischer als das Reich Blickt man zunächst auf die staatlichen Institutionen, so kam das politische System Preußens in der Weimarer Republik ohne einen Präsidenten aus. Sein Ministerpräsident wurde vom Parlament gewählt. Das machte das preußische System demokratischer und weniger autoritär als das politische System der Reichsebene. Hier nämlich hing der Reichskanzler vom mächtigen Reichspräsidenten ab – bekanntlich mit katastrophalen Folgen in der späten Ära Hindenburg. Ähnliches gilt für die politischen Verfahren. Anders als die Reichspolitik


matthias platzeck – sozialdemokraten in verantwortung

besaß Preußen durchgängig von 1920 bis 1932 ein funktionstüchtiges Parteiensystem, das stabile demokratische Mehrheiten gewährleistete. Die Sozialdemokratie, die linksliberale Deutsche Demokratische Partei und die katholische Zentrumspartei regierten hier über Jahre hinweg gemeinsam und einvernehmlich. Der „rote Zar“ hält Kurs Auf der Reichsebene war die Politik gekennzeichnet durch ständige Konflikte, durch extreme Positionen, durch Regierungswechsel – im demokratischen Preußen dagegen herrschten Stabilität und Kontinuität. Die Regierungen amtierten über die gesamte Legislaturperiode, und sie betrieben Reformpolitik mit Umsicht und Augenmaß. Zu einer vorzeitigen Parlamentsauflösung kam es in Preußen nur ein einziges Mal, nämlich ganz zum Schluss, als die Weimarer Republik insgesamt bereits am Ende war. Das alte Preußen vor 1918 hatte für Obrigkeitsstaatlichkeit gestanden, für Klassenherrschaft und monarchistische Gesinnung. Nun betrieb die neue preußische Regierung auf allen Ebenen der staatlichen Verwaltung eine systematische Republikanisierung und Demokratisierung. Beamtenapparat und Polizei wurden allmählich, aber systematisch mit republiktreuem Personal besetzt – und das alles, ohne dass das

Funktionieren der staatlichen Verwaltung unter diesem Umbruch litt. Hauptverantwortlich für diese energisch republikanische Personalpolitik in Preußen waren der neue sozialdemokratische Innenminister Carl Severing, aber auch der tatkräftige Albert Grzesinski, auch er ein Sozialdemokrat, der sich ebenfalls als Innenminister und als Polizeipräsident von Berlin um den Aufbau der demokratischen Ordnung in Preußen verdient machte. Die wichtigste politische Persönlichkeit der preußischen Politik aber war der sozialdemokratische Ministerpräsident Otto Braun. Der so genannte „Rote Zar von Preußen“, Kind einer Königsberger Arbeiterfamilie, amtierte nahezu ununterbrochen von 1920 bis 1933. 1872 in Königsberg geboren, wuchs der spätere Ministerpräsident in ärmlichen Verhältnissen auf. Er erlernte das Steindruckerhandwerk und schloss sich mit 16 Jahren der SPD an, wurde Agitator der Landarbeitergewerkschaft und 1911 erstmals in den Preußischen Landtag gewählt. Es waren tatsächlich Sozialdemokraten, Männer wie Braun, Severing und Grzesinski, die in den Jahren der Weimarer Republik in Preußen das verkörperten, was man im besten Sinne „preußische Tugenden“ nennt. Ganz besonders Otto Braun charakterisiert der Historiker Christopher Clark – paradoxerweise – als eine „zutiefst preußische Gestalt“: „Als Vorkämpfer des ländlichen Proletariats perspektive21

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war Braun der Antityp zur preußischen Agrarelite, deren politische Vorherrschaft er 1918/19 beenden half. Und doch war er genauso betont und ebenso unverwechselbar preußisch wie sie. Sein unstillbarer Arbeitseifer, sein Blick fürs Detail, seine Abneigung gegen jede Form der Selbstdarstellung und seine hohe Wertschätzung des Staatsdienstes – alles Attribute, die man gemeinhin zum preußischen Tugendkanon zählt.“ Die SPD und Preußen Über Albert Grzesinski schreibt Clark Ähnliches: „Das Leben Grzesinskis war gekennzeichnet vom energischen Einsatz nicht nur für die Demokratie an sich, sondern für die besondere historische Berufung Preußens und seiner Institutionen.“ Und insgesamt kommt Clark zu dem Schluss: „Es bestand ... eine seltsame Affinität zwischen der sozialdemokratischen Parteielite und dem preußischen Staat .... Auffällig ist, dass die führenden Sozialdemokraten mit der Verantwortung und den Risiken der Staatsführung in Preußen besser umgehen konnten als auf Reichsebene.“ Wie wir wissen, haben die demokratischen – und sozial-demokratischen – Preußen den Aufstieg der Nationalsozialisten nicht verhindern können. Der so genannte Preußenschlag, also die widerrechtliche Amtsenthebung der geschäftsführenden Regierung Braun im 56

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Juli 1932 durch Reichskanzler von Papen, beendete die kurze Ära der preußischen Demokratie. Es ist kennzeichnend, dass Otto Braun gegen diesen Putsch allein mit juristischen Mitteln Widerstand leisten wollte. Auch insofern war er eben ein Preuße. Diejenigen dagegen, die am 21. März vor 75 Jahren mit dem symbolisch aufgeladenen „Tag von Potsdam“ in der Potsdamer Garnisonkirche Anspruch auf das Erbe Preußens erhoben, waren gerade keine Preußen im Sinne der besten preußischen Tugenden. „Die Idee, die wir tragen, ist preußisch“, behauptete Goebbels. In Wirklichkeit repräsentierte der Nationalsozialsozialismus in jeglicher Hinsicht das genaue Gegenteil dessen, was gut und bewahrenswert war am preußischen Erbe. Kurze demokratische Ära Leider sind Männer wie Otto Braun und Otto Wels – als Berlin-Brandenburger übrigens ebenfalls ein Preuße – heute aus dem historischen Gedächtnis der Deutschen fast vollständig verschwunden. Leider gilt das sogar für das sozialdemokratische Gedächtnis. Und man muss das noch erweitern: Die gesamte kurze, aber doch hoffnungsvolle Ära des demokratischen und sozial-demokratischen Preußen in der Weimarer Republik ist heute weitgehend unbekannt. Als Brandenburger und ausdrücklich auch als Vorsitzender der Brandenbur-


matthias platzeck – sozialdemokraten in verantwortung

ger Sozialdemokratie sage ich: Wir haben allen Grund, dies wieder zu ändern. Wir haben allen Grund, uns – und Andere! – an Männer wie Otto Braun und Otto Wels, Carl Severing und Albert Grzesinski zu erinnern. Wir haben allen Anlass, an Preußen gerade auch als das starke „Bollwerk der Demokratie“ zu erinnern, das Sozialdemokraten, Linksliberale und Zentrumsleute nach 1918 zu errichten hofften. Preußische Tugenden wie sie Otto Braun und andere Sozialdemokraten verkörperten, funktionstüchtige staatliche Institutionen, vernünftige politische Verfahren und prinzipienfestes de-

mokratisches Personal – auf dies alles ist unsere freiheitliche Demokratie auch heute existenziell angewiesen, wenn sie jeder zukünftigen Herausforderung gewachsen sein soll. Daran zu erinnern ist der 75. Jahrestag des mutigen, aber eben auch vergeblichen sozialdemokratischen Widerstandes gegen das Ermächtigungsgesetz genau der richtige Anlass. Sorgen wir also mit Umsicht und demokratischer Leidenschaft alle dafür, dass so tapfere Reden wie jene von Otto Braun am 23. März 1933 in Deutschland und Europa niemals wieder gehalten werden müssen. ■

MATTHIAS PLATZECK

ist Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Landesvorsitzender der SPD und ehemaliger SPD-Bundesvorsitzender. perspektive21

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Beim Erzählen erfunden DER WANDEL VON PREUSSENS BILD IN DER GESCHICHTE VON ALEXANDER GAULAND

ls Alwin Ziel vor einigen Jahren den etwas absonderlichen Gedanken äußerte, man könne ein vereinigtes Berlin-Brandenburg doch auch Preußen nennen, konnte man erleben, dass der 1947 formal aufgelöste Staat noch immer keine erkaltete Lava war. Im Gegenteil: Die alten Reflexe funktionierten noch und Ulrich Wehler befand apodiktisch: „Preußen vergiftet uns.“ Es ist schon so wie Christopher Clark, der jüngste Preußen-Biograph, schreibt: „Die Geschichte des preußischen Staates ist zugleich die Geschichte der Geschichte des preußischen Staates, denn dieser erfand seine Geschichte sozusagen erst beim Erzählen.“ Preußen war seit Rossbach und Leuthen „fritzische“ Ideologie, vor allem im 19. Jahrhundert, als protestantische preußische Historiker seine deutsche Sendung erfanden, um Bismarcks klassischer Machtpolitik nachträglich eine innere Notwendigkeit zu verleihen. Was als europäische Leerstelle, als Logo für den Aufstieg der brandenburgischen Kurfürsten zu Königen im Jahre 1701 begann und selten mehr als die Willensanstrengung einiger weniger Monarchen, ins Land geholter Auslän-

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der wie des Rheinländers Stein und des Hannoveraners Hardenberg und eines begnadeten Junkers war, endete 1945 wieder auf einer Leerstelle. Fast spurlos verschwand Preußen aus der europäischen Geschichte und hinterließ – anders als das alte Österreich – auch kein Verlustgefühl wie es im „Radetzky Marsch“ von Joseph Roth so unnachahmlich zum Ausdruck kommt. Gift für zwei Jahrhunderte „Der Staat Preußen,“ – so die Begründung für seine Auflösung durch den alliierten Kontrollrat – „der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört.“ Auch wenn die westlichen Alliierten und die Sowjetunion sich sonst in nichts einig waren – in dieser Frage herrschte Einigkeit. Schließlich hatten britische Historiker schon 1914 davon gesprochen, dass der gegenwärtige Konflikt, also der Erste Weltkrieg „von einem Gift ausgelöst wurde, dass seit mehr als zwei Jahrhunderten im europäischen System am Werk ist, und die Hauptquelle diese Giftes ist Preußen.“ perspektive21

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Schon 1939 nahm der britische Außenminister Eden das Urteil vorweg, als er bemerkte: „Hitler ist im Grunde gar nicht so einzigartig. Er ist nur der jüngste Ausdruck des Eroberungsgeistes des preußischen Militärs.“ Das Bild wird differenzierter Und diesem Kurzschluss folgten zu Beginn auch die Historiker in West und Ost. Schließlich hatte Adenauer schon in den zwanziger Jahren die Gardinen zugezogen, wenn der Zug die Elbe Richtung Berlin überquerte, und Franz Mehring allen marxistischen Historikern den ersten Entwurf für eine Gesamtverurteilung dieses Kunststaates geliefert. Und so waren auch die ersten deutschen Stellungnahmen Totalverrisse – im Westen von Ludwig Dehio und Friedrich Meinecke, der von der deutschen Katastrophe sprach, und im Osten von Ernst Niekisch, dessen Schrift „Die deutsche Daseinsverfehlung“ hieß. Doch je mehr Zeit verging, je deutlicher die Folgen der Teilung die Geschichtswissenschaft ergriffen, umso differenzierter wurde das Bild. Die angebliche Traditionslinie von Luther über Friedrich und Bismarck zu Hitler wurde schon bald bezweifelt, wobei sich politische und wissenschaftliche Motive mischten. Im Westen hatte sich früh der Preußenenthusiast Schoeps dem kollektiven Verdammungsurteil entge60

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gengestellt. Aber mehr noch als Schoeps war es der Nestor der deutschen Historikerzunft, Gerhard Ritter, der in seinem Hauptwerk „Staatskunst und Kriegshandwerk“ und in seiner Friedrich-Biographie die angeblichen Kontinuitätslinien zwischen dem preußischen Militarismus und dem Gefreiten aus Braunau durchschnitt. Für Ritter war Preußen der aufgeklärte rationale Machtstaat, einer unter anderen, zwischen den Bourbonen, den hannoverschen Georgen und den Habsburgern, dessen Besonderheit nur in seiner bevölkerungsmäßigen und kulturellen Disparität lag und den nichts mit dem hemmungslosen humanitätsfeindlichen Nationalismus der Nazis verband. Selbst dem Raub Schlesiens, einem schon im 18. Jahrhunderten verurteilten Verbrechen, wollte er eine gewissere innere Notwendigkeit nicht absprechen und schied ihn deshalb scharf von Hitlers verbrecherischen Raubzügen. Über Friedrich den Großen urteilte er: „Von der Primitivität eines Adolf Hitler war er ebenso weit entfernt … wie das Flötenkonzert von Sanssouci vom HorstWessel-Lied.“ Mit der Preußen-Ausstellung von 1981 fand diese Differenzierung einen vorläufigen Abschluss. Auch die DDR entdeckt Preußen Doch auch in der DDR wandelte sich die anfängliche Generalablehnung. Hier war es vor allem der Versuch, dem unvollkommenen Nationalstaat DDR


alexander gauland – beim erzählen erfunden

so etwas wie eine eigene historische Legitimität zu bauen, die ein Umdenken bewirkte. So wurde schon 1966 ein Scharnhorst-Orden für die Nationale Volksarmee kreiert und Ingrid Mittenzwei konnte 1979 Friedrich II. aus dem ideologischen Parteigefängnis befreien, so dass die Reiterstatue des Königs von Christian Daniel Rauch wieder ihren Ehrenplatz Unter den Linden einnehmen durfte. Mit der Bismarck-Biographie des Historikers Ernst Engelberg im Jahre 1985 schloss diese Phase einer sozialistischen Renationalisierung ab. Viel lernen, manches bewundern Dass Preußen anders als Frankreich, England und selbst Österreich heute ein interessantes Diskussionsthema aber keine Realität mehr ist, hat wenig oder

nichts mit seinen angeblichen Verfehlungen zu tun. Sein Anderssein bestand darin, dass es als Begriff und Inhalt ein dynastisch fundierter bürokratisch zusammengehaltener Staat, nicht eine auf kulturell-nationalen Gemeinsamkeiten seiner Bewohner beruhende Macht gewesen ist. Die Kehrseite dieser Schwäche war ein bleibendes Gefühl der Verwundbarkeit, der dauernden Überanstrengung, das die politische Kultur Preußens zutiefst geprägt hat. Russland, Frankreich und Polen erneuerten sich immer wieder aus ihrem Volkstum, Preußen verschwand als Hitler das angesammelte Kapital Friedrichs, Steins und Bismarcks verspielt hatte. Das ist nicht preußische Schuld, sondern preußisches Schicksal. Lernen kann man von diesem Staat viel, bewundern manches, nachahmen oder kopieren nichts. ■

DR. ALEXANDER GAULAND

ist Publizist aus Potsdam und ehemaliger Herausgeber der Märkischen Allgemeinen Zeitung. perspektive21

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Der rote Zar UNTER DEM SOZIALDEMOKRATEN OTTO BRAUN ERLEBTE PREUSSEN SEINE LETZTE GLANZZEIT. VON NORBERT F. PÖTZL

ie beiden Regierungschefs brauchten, wenn sie miteinander reden wollten, bloß über die Straße zu gehen. Der Reichskanzler residierte in der Wilhelmstraße 77, der preußische Ministerpräsident schräg gegenüber, im Staatsministerium mit der Hausnummer 63. Doch zwischen den beiden Adressen in Berlin-Mitte lagen Welten. Im Reich ging es drunter und drüber, der Hausherr im Reichskanzlerpalais wechselte alle paar Monate, die Weimarer Republik erlebte zwischen 1919 und 1933 insgesamt 12 Kanzler und 21 Reichskabinette. Preußen hingegen erwies sich als Hort der Stabilität und Ordnung, der Ministerpräsident hieß, von zwei kurzen Unterbrechungen abgesehen, von März 1920 bis 1933 Otto Braun. Unter der Führung des Sozialdemokraten entwickelte sich Preußen zu einem modernen Freistaat, der durch die Republikanisierung des Beamtenapparats und der Polizei eine der Hauptstützen der ersten deutschen Demokratie bildete. Gegner wie Bewunderer nannten Otto Braun den „roten Zaren von Preußen“, eine Bezeichnung, die er

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selbst für eine gehässige und bösartige Erfindung seiner Feinde hielt. Mit seinen Parteifreunden lag der dickschädlige Ostpreuße oft über Kreuz. Die SPDFührung im Reich hätte den preußischen Staat nach der Revolution am Ende des Ersten Weltkriegs am liebsten von der Landkarte getilgt – schließlich waren schon nach August Bebels fester Überzeugung „preußischer Geist und preußische Regierungsgrundsätze“ der „Todfeind aller Demokratie“. Ein klassischer Aufsteiger Brauns Preußen knüpfte indes an die guten Traditionen an – die von Aufklärung und Toleranz. „Das neue, das demokratische Preußen soll man nicht zerschlagen“, forderte er. Preußen umfasste drei Fünftel der Gesamtbevölkerung des Reichs. Mit einem Stimmenanteil von zwei Fünfteln im Reichsrat konnte Preußen jede Verfassungsänderung verhindern. Als Bewahrerin Preußens wirkte eine Koalition, die ironisch erweise aus den in der Bismarck-Ära geächteten Gruppen bestand: Der Sozialdemokrat Braun perspektive21

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regierte im Bündnis mit dem katholischen Zentrum und der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei. Braun, schrieb der Historiker Hagen Schulze in seiner 1977 erschienenen Biografie, „war eine Figur, die die konservativen Parteien gerne im eigenen Lager gesehen hätten“: „Er besaß viele jener Attribute, vom ‘herrenmäßigen’ Auftreten über den einfachen Lebenszuschnitt bis hin zu seinem autokratischen Regierungsstil, die in der altpreußischen Grundbesitzer- und Beamtenschicht als eigentypisch betrachtet wurden.“ Otto Braun, 1872 in Königsberg geboren, war freilich in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen. Sein Vater, einst selbständiger Schuhmacher, hatte die Familie als Bahnarbeiter über Wasser gehalten. Der Sohn erlernte das Steindruckerhandwerk, schloss sich als 16-Jähriger der noch illegalen sozialdemokratischen Partei an und wurde Funktionär im örtlichen ArbeiterWahlverein, der damaligen Organisationsform der Partei. Ostpreußen war eine Agrarprovinz, mit wenigen Herren und vielen Knechten. Friedrich Engels hatte die ostelbischen Landarbeiter schon 1870 als die „zahlreichsten und natürlichsten Bundesgenossen“ des Industrieproletariats bezeichnet. Die sollten nun für die SPD gewonnen werden, und Braun betätigte sich als Landagitator. Er stieg zum Vorsitzenden der ostpreußischen SPD auf 64

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und gehörte dem Parteivorstand im Reich von 1911 bis 1919 an. Nach der November-Revolution 1918 übernahm Braun das preußische Landwirtschaftsministerium. Dort verfolgte er vor allem den Plan, ehemalige Soldaten auf brachliegenden Ländereien anzusiedeln, was jedoch am Widerstand der Großgrundbesitzer scheiterte. Die eher rechten Koalitionspartner überließen Braun gern den Posten des Ministerpräsidenten, weil sie irrigerweise glaubten, in dieser Funktion sei er, wie in der Presse zu lesen war, „viel weniger in der Lage, ausgesprochene Parteipolitik zu treiben“, das Amt sei „mehr dekorativer Natur“ – seine Gegner hatten offenbar die neue preußische Verfassung nicht richtig gelesen, die den Regierungschef mit einer weitreichenden Richtlinienkompetenz ausstattete. Größere Zustimmung als die SPD Braun konnte sich derart profilieren, dass die SPD ihn trotz ständiger Querelen mit der Parteiführung 1925 nach dem Tod Friedrich Eberts als Kandidat für das Amt des Reichspräsidenten aufstellte. Im ersten Wahlgang erhielt er 29 Prozent der Stimmen – 3 Prozentpunkte mehr, als die SPD bei der vorangegangenen Reichstagswahl errungen hatte. Da das Zentrum keinen sozialdemokratischen Bewerber unterstützen mochte, trat Braun zum zwei-


norbert f. pötzl – der rote zar

ten Wahlgang nicht mehr an; gewählt wurde Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, der Kandidat des rechten „Reichsblocks“. Unabhängig bis zum Schluss Braun erkämpfte die Unabhängigkeit seines Kabinetts und seiner Politik vom Reich – egal, wer auf der anderen Seite der Wilhelmstraße gerade regierte. Als jedoch Adolf Hitlers Nationalsozialisten immer mehr Zulauf bekamen, stützte Braun, um „Schlimmeres“ zu verhüten, den ab 1930 amtierenden ZentrumsKanzler Heinrich Brüning. Dessen Sturz hätte auch die preußische Koalition zerbrechen lassen. Dabei nahm Braun in Kauf, für Brünings rigiden Sparkurs und die verfassungsrechtlich bedenklichen Notverordnungen, mit denen der Kanzler regierte, in Mithaftung genommen zu werden. Bei der preußischen Landtagswahl am 24. April 1932 steigerten sich die Nationalsozialisten von 2,9 auf 36,3 Prozent der Wählerstimmen und ließen die SPD, die nur noch auf 21,2 Prozent kam, weit hinter sich. Den Nazis und den DeutschNationalen fehlten, rechnet man weitere rechte Splitterparteien hinzu, nur neun Sitze zur absoluten Mehrheit. Aber es reichte eben auch nicht für eine Regierungsbildung, weshalb Brauns Koalition geschäftsführend im Amt blieb. Am 30. Mai 1932 entließ Hindenburg den Reichskanzler Brüning und ersetzte

ihn durch Franz von Papen, einen reaktionären westfälischen Landadligen, der zwei Tage nach seiner Ernennung aus der Zentrumspartei austrat. Papens „Kabinett der Barone“ war allein vom Vertrauen Hindenburgs und der Tolerierung durch die NSDAP getragen. Eine preußische Regierung, die die Nazis von der Macht fernhalten wollte, stand ihm da im Wege. „Es hatte wenig Sinn, im Reiche zu einer besseren Ordnung der Dinge zu schreiten, wenn sie nicht gleichzeitig auch in Preußen hergestellt werden konnte“, rechtfertigte Papen noch 1952 in seinen Memoiren seinen von langer Hand vorbereiteten „Preußenschlag“. Nur mit Rechtsmitteln Am Vormittag des 20. Juli 1932 klingelte ein Beamter der Reichskanzlei an Brauns Dreizimmerhäuschen in BerlinZehlendorf. Das Schreiben, das der Bote überreichte, enthielt einen einzigen Satz: Papen teilte mit, als vom Reichspräsidenten eingesetzter Reichskommissar für das Land Preußen enthebe er Braun seines Amtes als preußischer Ministerpräsident. Gegen Papens Staatsstreich wollte Braun allein mit rechtlichen Mitteln Widerstand leisten. Das wirksamste Gegenmittel wäre ein Generalstreik gewesen, den Papens Kabinett am meisten fürchtete, war doch der rechtsradikale „Kapp-Putsch“ im Frühjahr 1920 an einem flächendeckenden Ausstand der perspektive21

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Arbeiter gescheitert. Damals hatte freilich nahezu Vollbeschäftigung geherrscht; nun aber gab es mehr als fünf Millionen Arbeitslose, und die SPD konnte sich ausrechnen, dass ein Aufruf zur Arbeitsniederlegung wenig bewirkt hätte. Auch eine blutige Auseinandersetzung der preußischen Polizei mit der waffentechnisch überlegenen Reichswehr mochte Braun nicht heraufbeschwören. Die preußische Koalition rief den Staatsgerichtshof an und hoffte, die Regierung Papen würde bei der anstehenden Reichstagswahl vom Wähler abgestraft. Doch die NSDAP konnte ihren Stimmenanteil gegenüber der

vorangegangenen Wahl im September 1930 auf 37,4 Prozent mehr als verdoppeln. Und der Staatsgerichtshof fällte am 25. Oktober 1932 ein zwiespältiges Urteil: Einerseits rehabilitierte er die Regierung Braun von dem Vorwurf, Preußen habe seine Pflichten verletzt, andererseits billigte er auch das Vorgehen des Reichspräsidenten. Noch einige Monate kümmerte die rechtmäßige preußische Regierung im Schatten der Reichskommissare dahin, tagte in Restaurants und Kneipen, bis ihr die neuen braunen Machthaber im März 1933 endgültig den Garaus machten. Otto Braun emigrierte in die Schweiz. Er starb 1955 in Locarno. ■

NORBERT F. PÖTZL ist Redakteur beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel.

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Zwei demokratische Preußen ÜBER DIE VERDIENSTE DER PREUSSISCHEN INNENMINISTER SEVERING UND GRZESINSKI VON HEIKO TAMMENA

ass der Freistaat Preußen nach Abdankung der Hohenzollern 1918 in der Weimarer Republik sich als „Bollwerk der Demokratie“ zeigte, gehört in der Wissenschaft zum gesicherten Wissen. Insbesondere die Zuständigkeit für die Schulpolitik und die Polizei verschaffte der preußischen Landesregierung einen erheblichen politischen Spielraum. Die Landespolizei zumal galt als „Festung der wehrhaften Demokratie“ gegen die ständigen Angriffe besonders der Rechtsextremen, aber auch der von Moskau gesteuerten deutschen Kommunisten. Gerade die Anfangsjahre der Republik 1919-1923 und die Jahre der Wirtschaftskrise 1929-1933 waren auch in Preußen Jahre der politischen Gewalt, Armut und sozialen Instabilität. Das Land stand oft näher am Bürgerkrieg als vor den großen Zielen der sozialen Demokratie: Wohlstand, Freiheit und Gerechtigkeit. Zum politischen Erfolg gehörten aber auch damals schon die richtigen

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Personen am richtigen Ort. Und diese sind heute weitgehend unbekannt und keinesfalls im kollektiven Gedächtnis der breiten Öffentlichkeit. Wer leitete nun dieses wichtige Machtzentrum, die stärkste Position im Freistaat Preußen? Wer regierte die preußische Polizei und Verwaltungsaufsicht? Welche Männer waren die Innenminister in der preußischen Sozialdemokratie? Übrigens: Frauen gab es in der damaligen SPD nur in wenigen, vor allem sozialpolitischen Funktionen. Ministerehren erreichten sie weder im Reich noch in Preußen. Sozialdemokratische Lebenswege Keineswegs zufällig haben die beiden am längsten amtierenden Innenminister – der Ostwestfale Carl Severing und der Berliner Albert Grzesinski – ähnliche Lebenswege und Erfahrungen, bevor sie die Weimarer Republik 1919 in die politische Verantwortung brachte. So interessiert hier vor allem der Typus des perspektive21

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auch in der Krisensituation durch Erfahrung, Machtwillen und Geschick erfolgreichen Innenpolitikers. * Wie waren diese zwei Minister Severing und Grzesinski, die sich so deutlich von der Reichsebene und ihren scheiternden vorübergehenden Amtskollegen abhoben, in ihre Ämter gekommen? Welche Voraussetzungen brachten sie mit, um allgemeines Lob und Anerkennung auch über die eigene Partei hinaus zu bekommen? Ihre beiden Lebensläufe sollen im Folgenden typologisch verglichen werden. Carl Severing wurde am 1. Juni 1875 im westfälischen Herford als Sohn eines Zigarrenarbeiters und einer Näherin geboren. Sein Weg zur sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Herford und im benachbarten Bielefeld entsprach den Erfahrungen einer ganzen Generation. In den Jahren des größten Wachstums der SPD im Kaiserreich, dem Jahrzehnt nach dem Ende des Sozialistengesetzes 1890, führte ihn der Weg zunächst in gewerkschaftliche Funktionen, dann in die Partei. Seine Jugend waren für ihn „Jahre der härtesten Entbehrungen“. Da die Eltern das Geld für die Bürgerschule nicht aufbringen konnten, musste er die Armenschule besuchen. In seinen Erinne* Siehe dazu u.a.: Thomas Alexander, Carl Severing Sozialdemokrat aus Westfalen mit preußischen Tugenden, Bielefeld 1992; Thomas Albrecht, Für eine wehrhafte Demokratie. Albert Grzesinski und die preußische Politik in der Weimarer Republik, Bonn 1999; Carl Severing, Mein Lebensweg (2 Bände), Köln 1950; Albert Grzesinski, Im Kampf um die deutsche Republik. Erinnerungen eines Sozialdemokraten, München 2001

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rungen schrieb Severing selbst: „Mein Weg zur Arbeiterbewegung ist mir durch Marxsche Theorien jedenfalls nicht gewiesen worden. ... Die Beweggründe, die mich zum Anschluss an die Gewerkschaft, zum Eintritt in die Sozialdemokratische Partei bestimmt haben, nämlich eine unmittelbare Besserung der Lebenshaltung der Arbeiter durch ihren Zusammenschluss und ihren Kampf gegen jegliche Bedrückung herbeizuführen, waren auch für Millionen anderer deutscher Arbeiter maßgebend. Aber sie waren mehr vom Gefühl, vom Willen zur Freiheit und zum wirtschaftlichen Aufstieg als von wissenschaftlicher Erkenntnis eingegeben.“ Für die Schule fehlte das Geld Auch Albert Grzesinski wurde keineswegs in ein Milieu hineingeboren, das eine Laufbahn als Minister erwarten lassen würde. Er wurde vier Jahre nach Severing am 28. Juli 1879 in Treptow an der Tollensee (heute Altentreptow, Vorpommern) geboren. Der uneheliche Sohn eines Berliner Dienstmädchens wuchs bei den Großeltern auf, bis er mit fünf Jahren 1884 in den Spandauer Haushalt seiner Mutter zurückkehrte, die sich mit einem Stellmacher aus der Königlichen Artilleriewerkstatt in Spandau verheiratete. Für den höheren Schulbesuch des Sohnes, der bei seinen guten Noten möglich war, fehlte auch in diesem Haushalt das Geld.


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Beide späteren Politiker kamen über die Industriearbeit in Metallbetrieben zur Arbeiterbewegung, beide in mittelgroßen Städten, beide in jungen Jahren. In seiner Schlosserlehre kam Severing mit der aufstrebenden Arbeiterbewegung in Berührung. Unmittelbar nach Beendigung der Lehre wurde er 1892 Gewerkschaftsmitglied. Als im Sommer 1893 ein Sozialdemokratischer Verein in Herford gegründet wurde, schloss sich Severing an und wurde als jüngster mit 18 Jahren in den Vereinsvorstand zum Schriftführer gewählt. Für die sozialdemokratische Volkswacht in Bielefeld schrieb er bald eigene Beiträge. Leibhaftige Erfahrungen mit Arbeitskonflikten sammelte Severing in Bielefeld, wo er seit 1895 in einer Nähmaschinenfabrik beschäftigt war. Während eines Streiks im Frühjahr 1896 von den Arbeitern als Wortführer bestimmt, wurde er nach dem Scheitern „gemaßregelt“ und musste die Stadt verlassen. Die anschließende Wanderschaft führte ihn in die Schweiz. Hier bot der deutsche Arbeiterbildungsverein Eintracht in Zürich eine neue Heimat. Auch diese Tätigkeit im Arbeiterbildungswesen war typisch für eine ganze Generation, die den Aufstieg in der Gesellschaft vom rechtlosen Proletarier zum mündigen Staatsbürger nur über Bildung finden konnte. Albert Grzesinski erlernte ebenfalls einen Metallberuf. Er wurde nach Abschluss der Volksschule 1893 Metall-

drücker und begab sich nach kurzfristigen Lohnverhältnissen (auch er stand als Gewerkschafter auf den „schwarzen Listen“ der Unternehmer) auf Wanderschaft, die 1900 in Offenbach mit einem festen Wohnsitz endete. 1897 wurde er Mitglied im Deutschen Metallarbeiterverband, 1900 auch der SPD, die ihn 1905 zum Vorsitzenden des Ortsvereins wählte. Politische und gewerkschaftliche Tätigkeiten waren bei ihm, wie bei vielen dieses Typus des Arbeiterführers, schon früh eng verkoppelt. Aufstieg in den Gewerkschaften Carl Severing kehrte nach drei Schweizer Jahren 1898 nach Bielefeld zurück. Aus seiner Ehe gingen zwei Kinder hervor. Das Verhältnis der Ehepartner zueinander entsprach den damaligen patriarchalischen Verhaltensweisen. Die Frau blieb als Hausfrau ganz auf die Familie verwiesen und trat politisch nicht hervor. Bald wurde Severing in Bielefeld zur lokalen Führungsfigur und einer der ersten hauptamtlichen „Sekretäre“ der jungen Arbeiterbewegung. Seit er 1901 zum besoldeten Geschäftsführer des Bielefelder Metallarbeiterverbandes wurde, lebte er nicht nur für, sondern auch von der Arbeiterbewegung. 1907 wurde er mit 32 Jahren als jüngster SPD-Abgeordneter in den Reichstag gewählt, unterlag aber 1912 in seinem Wahlkreis einem Gegenkandidaten, da die Basis der Linksliberalen entgegen perspektive21

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dem Votum ihrer Parteiführung in der Stichwahl nicht für Severing stimmte. Danach wechselte er vom Gewerkschaftsbüro in die Leitung der Bielefelder SPD-Zeitung Volkswacht. Grzesinski wurde wie Severing schon sehr jung in eine hauptamtliche Funktion als Gewerkschaftssekretär der Metallarbeiter gewählt, mit 26 Jahren 1906 in Offenbach. Nach nur einem Jahr wechselte er als Geschäftsführer zum Metallarbeiterverband nach Kassel und entfaltete hier seine Aktivitäten, weiterhin vorrangig in den Gewerkschaften, zuletzt 1913 als Vorsitzender des etwa 13.000 Mitglieder zählenden Kasseler Gewerkschafts-Kartells. Zwar war er auch in den örtlichen Vorständen der SPD, doch seine Kandidatur 1912 zum Reichstag war noch aussichtslos und er trat – anders als Severing – erst nach dem Ersten Weltkrieg in politische Mandate ein. Pragmatisch durch die Revolution Nach Kriegsausbruch 1914 gehörten Carl Severing und Albert Grzesinski zu jenen Kräften in der SPD, die für eine Zustimmung zu den Kriegskrediten und die Politik des „Burgfriedens“ eintraten. Am 1. August 1914 schrieb Severing in der Volkswacht: „Die vaterlandslosen Gesellen werden ihre Pflicht erfüllen und sich darin von den Patrioten in keiner Weise übertreffen lassen.“ Sowohl bei Severing in Bielefeld wie bei Grzesinski in Kassel hatte es wäh70

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rend des Krieges, als sich die SPD über die Frage der Kriegskredite spaltete, keine relevante Linksabspaltung zur neuen USPD gegeben. Dagegen wurden die pragmatischen Gewerkschaftsführer, beide vom Kriegsdienst aus Altersgründen zurückgestellt, in die städtischen „Kriegskommissionen“ berufen, die in den schwierigen Kriegsjahren in der Kommunalverwaltung zur Versorgungssicherung gegründet wurden. Hier begann bereits die ersehnte Integration der Arbeiterbewegung in die Gesellschaft und Institutionen des Staates – das wichtigste Ziel der selbst bereits aus der Arbeiterschaft in die Büros der Gewerkschaften aufgestiegenen Severing und Grzesinski. Während der November-Revolution 1918 gelang es Severing und Grzesinski, sich in Bielefeld und Kassel an die Spitze des Arbeiter- und Soldatenrats zu stellen und einen gewaltlosen Übergang herbeizuführen. Im Dezember 1918 nahmen beide am ersten Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin teil. Die sozialdemokratische Mehrheit beschloss dort die sofortige Wahl einer Nationalversammlung anstatt eines reinen Rätesystems in Deutschland. Grzesinski wurde sogar in den „Zentralrat“ der deutschen Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin berufen, das als ständiges Räteparlament höchste Gremium auf Reichsebene in dieser Übergangszeit zur demokratischen Republik.


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Am 7. April 1919 wurde Carl Severing die bis dahin bedeutendste Aufgabe in seiner politischen Laufbahn übertragen: Er wurde zum Reichsund Staatskommissar für das Ruhrgebiet ernannt, wo über 300.000 Bergleute unter anderem für die Sechsstundenschicht, Anerkennung des Rätesystems und Auflösung aller Freikorps streikten. In dieser sehr heiklen Lage trug sein Einfühlungsvermögen dazu bei, dass sich die Lage entspannte, ein „Bielefelder Abkommen“ beendete die Streiks. Aufstieg zum Innenminister Nur wenige Tage nachdem die Weimarer Republik durch einen Staatsstreich, den von den Gewerkschaften mit einem Generalstreik abgewehrten „KappPutsch“, in ihrer Existenz bedroht war, wurde am 29. März 1920 der Bielefelder Sozialdemokrat Carl Severing Nachfolger des zurückgetretenen preußischen Innenministers Wolfgang Heine. Der Rechtsanwalt Heine, Sohn eines Breslauer Gymnasiallehrers und immerhin seit 1898 für die SPD im Reichstag, schien seit März 1919 überfordert mit dem Amt. Er scheiterte in dieser wichtigen Funktion beim Übergang vom Kaiserreich zur Republik und endgültig bei der Abwehr von rechten Gewalttaten, die zum Kapp-Putsch im März 1920 führten. Heine schied nach seinem Rücktritt auf Druck der Ge-

werkschaften, für sie eine Bedingung zur Beendigung des Generalstreiks gegen die „Kapp-Regierung“, aus der aktiven Politik aus. Lange stabile Amtszeit Erst Carl Severing brachte Stabilität in das Innenministerium, er blieb für die damaligen Verhältnisse lange sechs Jahre: Nach einer kurzen Zeit der Ablösung vom 21.04. bis 7.11.1921 durch den unglücklichen Alexander Dominicus (DDP, zuvor Bürgermeister von Berlin-Schöneberg) regierte er wieder bis zum 6. Oktober 1926, als er aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat. Sein Nachfolger in Preußen wurde Albert Grzesinski. Der bisherige Polizeipräsident von Berlin hatte ebenfalls eine relativ stabile und lange Amtszeit: Auch er trat nach vier Jahren aus persönlichen Gründen zurück, als er sich als Opfer einer Kampagne gegen sein außereheliches Zusammenleben mit einer Schauspielerin sah und das Scheitern der „Weimarer Koalition“ in Preußen verhindern wollte. Vom 28.02. bis 22.10.1930 amtierte einige Monate Heinrich Waentig, ein Professor für Nationalökonomie in Halle, der der SPD erst nach 1918 beigetreten war und der nach dem Urteil aller Zeitzeugen nicht mit dem schwierigen Innenministerium zurechtkam. Nach dem Bruch der „Großen Koalition“ im Reich und dem Ende der perspektive21

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Regierung Müller kehrte Carl Severing am 27.10.1930 auf Wunsch des preußischen Ministerpräsidenten Braun wieder in das Amt des preußischen Innenministers zurück. Severing wurde 1928 Reichsinnenminister und war nach dem Ende des Kabinetts von Hermann Müller (SPD) im Frühjahr 1930 ohne Amt. Gehasst von den Gegnern Die zwei wesentlichen Felder der Reformpolitik der beiden Innenminister waren die Neuorganisation der preußischen Polizei und die Entfernung von illoyalen Beamten aus dem Verwaltungsapparat. Nicht zu unterschätzen war die Bedeutung der Personalpolitik: Leider zu spät, erst nach dem KappPutsch 1920, wurden unter Severing eine Reihe reaktionärer Beamter der Kaiserzeit, die den Putsch unterstützt hatten, in den Ruhestand versetzt. Stolz zählte die SPD in ihren Jahresberichten jeweils die steigende Zahl der Landräte, Regierungspräsidenten und Oberpräsidenten aus ihren Reihen auf. Mit dem Amtsantritt Grzesinskis 1926 gab es hier noch einmal eine deutliche Verstärkung. Und auch wenn die sozialdemokratischen Spitzenbeamten nie die Mehrheit erreichten, mehr als deutlich wurde, dass hier entschieden demokratische Personalpolitik aus der traditionell zentralistischen preußischen Verwaltung heraus betrieben wurde. 72

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Entschieden gingen sowohl Severing als auch Grzesinski gegen extremistische und gewaltbereite Parteien und Organisationen vor. Die Möglichkeit des Parteiverbots durch das Ministerium wurde mehrfach genutzt. 1922 bis 1924 war die NSDAP in Preußen verboten. 1923 verbot Severing zudem die Deutschvölkische Freiheitspartei. Von 1924 bis 1928 galt ein Redeverbot für Adolf Hitler in Preußen. Angehörige der KPD und NSDAP durften keine Beamten in Preußen werden. Von ihren Gegnern wurden beide Innenminister dafür gehasst: So hingen in Berliner SA-Kasernen Karikaturen von Severing und Grzesinski, die als Zielscheiben beim Schießtraining dienten. Die entschiedene Politik stand im Gegensatz zu einigen anderen Ländern – insbesondere Bayern, das sich als „Ordnungszelle“ im Bündnis von Bayerischer Volkspartei (BVP, der Vorläuferin der CSU) und Nationalisten verstand und den idealen Nährboden der NSDAP und Adolf Hitlers bot. Starke Persönlichkeiten Deutlich wurde häufiger, dass die beiden starken Innenpolitiker der preußischen SPD persönlich ein schwieriges Verhältnis zueinander hatten und nicht selten gegenteilige Ansichten hatten. Severing widersetzte sich zum Beispiel 1929 als Reichsinnenminister dem Ersuchen des preußischen Innenministers Grzesinski,


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nach den blutigen Zusammenstößen am 1. Mai einem Verbot der KPD zuzustimmen, ließ aber ein Verbot des paramilitärischen Rotfrontkämpferbundes zu und erntete auch damit weitere gewaltsame Demonstrationen. Ein neuer Typus Entscheidend ist, welcher Typus des in Regierungsämter aufgestiegenen Arbeiterfunktionärs diese Erfolge im Kampf um die Demokratie möglich machte: der in den alltäglichen Arbeitskämpfen, Sozialversicherungen und gewerkschaftlichen Tarifauseinandersetzungen gestärkte, pragmatische Reformpolitiker aus dem aufstrebenden sozialistischen Facharbeiter-Milieu, der stets eine starke Demokratie als Voraussetzung für soziale Verbesserungen im Interesse der Arbeiterschaft anstrebte. Dieser Typus war auch in den kleineren Industriestädten der Provinz Brandenburg und ihren politischen Institutionen stark verbreitet. Ähnliche Lebensläufe wie Severing und Grzesinski hatten auf lokaler Ebene etwa ihre preußischen Landtagsgenossen Johann Bauer aus Luckenwalde oder Paul Szillat aus Rathenow.* Sie prägten * Siehe dazu u.a.: Heiko Tammena, Unser schönes rotes Luckenwalde. Lager, Milieu und Solidargemeinschaft der sozialistischen Arbeiterbewegung zwischen Ausgrenzung und Verstaatlichung, Münster 2000; Siegfried Mielke (Hg.), Gewerkschafter in den Konzentrationslagern Oranienburg und Sachsenhausen. Biographisches Handbuch, Berlin 2002/ 2003; Heiko Tammena, Geschichte in Geschichten. 130 Jahre Sozialdemokratie in Brandenburg 18681998, Potsdam 1998.

vor allem mit dem sozialen Wohnungsbau oder neuen Schulen die Kommunalpolitik der SPD in der Weimarer Republik. Zu unterscheiden waren sie deutlich von zwei anderen Typen, die erst in der Weimarer Zeit in führende Positionen der Arbeiterbewegung kamen. Da waren jüngere, aktivistische Funktionäre, die zwar aus Arbeiterfamilien stammten, aber nach einschneidenden Fronterlebnissen im Weltkrieg den Berufseinstieg schon in Angestelltenberufe schafften – häufig in den Büros der Krankenkassen, Genossenschaften oder der Gewerkschaft und Partei selbst. Sie wuchsen im idealistischen Geist der sozialistischen Jugendbewegung auf, um „neue Menschen“ zu schaffen. Zum anderen Teil waren es aus bürgerlichen Familien stammende Akademiker, die mit ihren intellektuellen und rhetorischen Fähigkeiten die Arbeiterbewegung belebten und oft die frühe Diskriminierung als Juden erlitten hatten. Aus diesen zwei Gruppen kam 1932 die größte Kritik am ruhmlosen Abgang des „roten Preußen“ und den alten Gewerkschaftsführern. Aus der Intellektuellenschicht, die in der Faschismus-Analyse und lebendigen Weiterentwicklung der sozialistischen Theorie fortgeschritten war, als auch von jüngeren Realpolitikern und Mandatsträgern, die wie Kurt Schumacher, Waldemar von Knoeringen oder Carlo perspektive21

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Mierendorff, die SPD in eine weit aktivere Rolle im Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus bringen wollten. Das Ende des „roten Preußen“ und der Regierung Braun-Severing kam nicht überraschend. Der letzte Schlag gegen die seit der Wahl im April 1932 nur noch geschäftsführend im Amt stehende preußische Regierung wurde nach dem Krieg von Historikern als zentraler Schritt auf dem Weg in die Nazi-Diktatur interpretiert. Die Massen mobilisierte diese weitere Nachricht über das Chaos an der Regierung in der Weltwirtschaftskrise nicht mehr. Nur der Gewalt weichen Am 20. Juli 1932 teilte Reichskanzler Franz von Papen in einer kurzfristig anberaumten Besprechung mit, dass der preußische Ministerpräsident Otto Braun und der Innenminister Severing aufgrund einer Verordnung des Reichspräsidenten nach Artikel 48 ihrer Ämter enthoben seien. Mit der Führung des Innenministeriums wurde der Essener Oberbürgermeister Franz Bracht beauftragt. Auf die Frage von Papens, ob er freiwillig seine Posten räumen würde, erwiderte Severing, er wolle „nur der Gewalt weichen“. Severing verließ seine Diensträume am Abend des 20. Juli, als der neue Berliner Polizeipräsident – der diesen Posten nach gleichzeitiger Absetzung von Albert Grzesinski erhielt – 74

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ihn durch persönliches Eingreifen an der Fortführung seiner Amtsgeschäfte hinderte. Die SPD und Severing setzten in alter Tradition auf den Rechtsstaat und die bevorstehende Reichstagswahl am 31. Juli 1932. Die abgesetzte preußische Staatsregierung beschloss, den Staatsgerichtshof anzurufen. Für einen Aufruf zum Generalstreik und die Mobilisierung der „Eisernen Front“ war Severing in einer Spitzenrunde ebenso wenig zu gewinnen wie der SPD-Parteivorstand und die Gewerkschaften. Doch auch auf die Justiz war nicht mehr Verlass: In seinem Urteil vom 25. Oktober 1932 erklärte der Staatsgerichtshof die Verordnung vom 20. Juli als mit der Verfassung vereinbar. Mit dieser Entwicklung war die Geschichte des „roten Preußen“ zu Ende und die des demokratischen Rechtsstaats der Weimarer Verfassung im Grunde auch. Was zählte noch die Verfassung, wenn sie Reichspräsident und Regierung beliebig anwenden konnten? Die Emigration folgte Nach dem ruhmlosen Abgang mit dem „Preußenschlag“ zogen sich beide Politiker in ihr Privatleben zurück und überlebten noch die Diktatur des Nationalsozialismus, jedoch mit getrennten Wegen. Albert Grzesinski kehrte aus der 1933 erzwungenen Emigration unter Mithilfe des Bayern Wilhelm


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Hoegner bei der Flucht nach Österreich nicht zurück. Stationen seines Exils waren die Schweiz, Paris und New York. Nach dem Krieg wollte Grzesinski unbedingt nach Deutschland zurückkehren. Doch dazu kam es nicht mehr, am 31. Dezember 1947 starb er nach Mitarbeit in einigen deutschen Auslandsorganisationen in New York. Ikonen mit Fehlern Carl Severing saß 1933 kurz in Haft und konnte noch bei der historischen Reichstagssitzung am 23. März 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz stimmen. Er blieb als Pensionär weitgehend verschont von der NS-Verfolgung. Nach 1945 hatte er noch einmal Funktionen bei der SPD, so wurde er 1946 Vorsitzender des Bezirksverbandes östliches Westfalen und 1947 bis 1950 Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen. Bei seiner Beerdigung in Bielefeld im Juli 1952 zeigte sich Tradition in einem Symbol: Es wurde der Sarg Carl Severings nicht mit der Bundesfahne in schwarz-rotgold, sondern mit der schwarz-weißen Fahne Preußens bedeckt. So hatte es sich der langjährige preußische Innenminister gewünscht. Carl Severing und Albert Grzesinski sind besonders in Zeiten der neuen Herausforderungen der Demokratie durch Wahlenthaltung und alten Fein-

de von ganz rechts vor dem endgültigen Vergessen zu bewahren. Sie sind gewiss Vorbilder für eine wehrhafte und aktive Demokratie. Nach langer Verdammnis der öden kommunistischen HeiligenGeschichtsschreibung in der DDR verdienen sie neues Interesse und angemessene Würdigung. Sie sind aber keine Ikonen für neue preußische Denkmalsockel, die ohne Fehler sind. Nicht nur kann bis heute munter an linken Stammtischen gestritten werden, warum denn nun am 20. Juli 1932 nicht die Massen gegen den „Preußenschlag“ der Reichsregierung mobilisiert wurden. Wer die Quellen kennt, weiß, dass dies ein fader Streit ist, der aus der Sicht des Endes der Hitler-Regierung geführt wird und die real geringen Optionen der Handelnden vergisst. Auch fehlte den in der Gewerkschaftsarbeit groß gewordenen Severing und Grzesinski der Sinn für schon damals aufkommende moderne Symbolik, für Mediennutzung und politische Theorien, ohne die es in der Politik auch nicht geht und die von der jüngeren Generation vor 1933 so vermisst wurden. Ohne Chance gegen braune Flut Beide, Severing und Grzesinski, hatten Erfolge, auf die sie stolz sein konnten: die Demokratisierung der Verwaltung und der Polizei. Doch sie hatten auch Schwächen und starke und brutale perspektive21

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Gegner, an denen sie letztlich scheiterten. Denn auch das „Bollwerk Preußen“, das immer ein Bündnis der SPD mit Liberalen und katholischem Zen-

trum war, blieb ohne Chance gegen die braune Flut an Propaganda und Gewalt, die 1933 in der größten Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung endete. ■

DR. HEIKO TAMMENA ist Pädagogischer Leiter der Georg-von-Vollmar-Akademie Kochel am See.

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Demokratie braucht Legitimation WAS DIE SPD HEUTE VOM PREUSSEN DER ZWANZIGER JAHRE LERNEN KANN VON CHRISTIAN MAASS

aul Hirsch, der erste sozialdemokratische Ministerpräsident Preußens, bekannte sich in seiner Regierungserklärung am 25. März 1919 zu „Freiheit und Ordnung“ als Grundpfeilern, „auf denen sich das neue Preußen aufzubauen hat. Aus dem alten Preußen, das für alle Zeiten dahin ist, wollen wir in die Zukunft hinübernehmen das, was gut an ihm war: den schlichten Geist ernster Pflichterfüllung und den Geist nüchterner Sachlichkeit.“ Es kam anders und Deutschland hat sich nach 1933 von allen menschlichen Werten losgesagt. Der herrschende völkische Wahn ließ keinen Raum mehr für Ernst und nüchterne Sachlichkeit. Trotz seines Scheiterns lohnt es sich, den ersten Versuch einer Demokratie in Deutschland und insbesondere in Preußen einer genaueren Würdigung zu unterziehen. Thomas Mann sprach im Doktor Faustus von einem ganz und gar nicht aussichtlosen Versuch einer Normalisierung Deutschlands. An diesem Versuch haben Sozialdemokraten entscheidend mitgewirkt und die So-

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zialdemokraten in Preußen spielten dabei eine besondere Rolle. Das heutige Brandenburg, die Mark, war nur ein kleiner Teil des Preußens der Weimarer Republik. Preußen ist aber aus der Mark geboren und es ist wieder auf die Mark zurückgefallen. Deshalb ist im Guten wie im schlechten Preußen immer Bezugspunkt für das heutige Brandenburg. Bei aller Vorsicht ist es deshalb gestattet, Schlüsse für unsere Zeit aus der Geschichte Preußens zu ziehen. Schuld ist die SPD? Wenn das Feuilleton die Demokratie in der Bundesrepublik in Gefahr sieht, wird mitunter sehr leichtfertig der Vergleich mit den Zuständen während und am Ende der Weimarer Republik gezogen. Zur Weimarer Republik insgesamt und zu ihrem Ende gibt es eine umfangreiche Literatur. Darauf kann und soll hier nicht eingegangen werden. Aus sozialdemokratischer Sicht ist vor allem interessant, dass sich radikale Linke und perspektive21

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Bürgertum in der Bewertung der Vorgänge sowohl am Beginn als auch am Ende der ersten deutschen Demokratie schnell einig werden können: Schuld sind immer die Sozialdemokraten. Sie haben die Revolution 1918/1919 verraten, durch das Bündnis mit den Kräften des alten und monarchistischen Deutschlands das Ende der Republik bereits an ihrem Beginn heraufbeschworen. Schließlich haben die Sozialdemokraten nicht entschlossen genug gegen den Faschismus gekämpft und haben zudem durch die Spaltung der Arbeiterklasse sein Erstarken erst ermöglicht. All das lässt sich wohlfein behaupten. Ohne jeden Zweifel gab es sowohl strategisch als auch operativ zahlreiche Fehler der SPD. Die Betrachtung und kritische Würdigung dieser Fehler darf jedoch nicht den Blick auf die historische Leistung der Sozialdemokratie bei der Schaffung der ersten deutschen Demokratie und den von 1918/1919 bis 1933 geführten Kampf um ihren Erhalt verstellen. Keine Regierungskrisen Dabei nahm Preußen eine besondere Stellung ein. Bis zum Preußenschlag im Juli 1932 stellte Preußen einen Hort der Demokratie in der krisengeschüttelten Weimarer Republik dar. „Tatsächlich war es vor allem die SPD selbst, deren Kurs während der Revolution sowohl Preußen als auch die demokratische 78

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Entwicklung hier und auf Reichsebene gesichert hatte.“* Als Person steht vor allem der langjährige Ministerpräsident Otto Braun für diese demokratische Phase. Er amtierte – mit zwei kurzen Unterbrechungen 1921 und 1925 – von 1920 bis zur Auflösung Preußens. „Ohne mich überheben zu wollen, bin ich doch der Meinung, daß gerade der Umstand, dass ich so lange auf meinem Sessel ‚geklebt‘ habe, zum Besten des preußischen und des deutschen Volkes gewesen ist. Denn hätten wir hier in Preußen, dem größten deutschen Staate, fortgesetzt in kurzen Abständen Regierungskrisen gehabt, wie es im Reich der Fall war, dann sähe es vielleicht um unsere preußische und deutsche Wirtschaft sehr viel schlimmer aus,“ so Otto Braun. Vielleicht ist schon aus der Tatsache, dass ein Proletariersohn und Schriftsetzer zum über zehn Jahre im ehemals feudalen Junkerstaat Preußen regierenden Ministerpräsidenten wurde, zu erkennen, wie groß die Umwälzung war, die sich nach 1918 vollzog. Dass er am Ende nicht mehr die Kraft hatte, sich gegen die Feinde der Republik, Demokratie und Preußens zu erheben, spricht weniger gegen ihn, als gegen seine Feinde. All denen, die aus heutiger Perspektive sehr schnell kritisieren, sei zudem der Hinweis auf die Angriffe mit auf * Horst Möller, Preußen von 1918 bis 1947. Weimarer Republik, Preußen und der Nationalsozialismus, in: Wolfgang Neugebauer (Hg.): Handbuch der Preußischen Geschichte, Berlin u.a. 2001


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den Weg gegeben, denen sich selbst der Reichspräsident Friedrich Ebert ausgesetzt sah. Nicht in der Regierung, sondern im Parlament gehörte Ernst Heilmann – bis zu dessen Tod 1932 in guter und enger Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Joseph Hess vom Zentrum – zu den entscheidenden Stützen der Demokratie in Preußen. Heilmann wurde als Sozialdemokrat, aktiver Antifaschist und Jude bereits im Juni 1933 verhaftet und nach qualvollen Jahren in verschiedenen Konzentrationslagern 1940 von den Nazis ermordet. Zu nennen ist auch Carl Severing als Innenminister, der jedoch nicht gänzlich unumstritten blieb. Nachfolgend soll jedoch eine andere Person in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt werden. Gesetzen Leben einhauchen Zu den herausragenden Persönlichkeiten der SPD im Preußen der Weimarer Republik gehört ohne jeden Zweifel Albert Grzesinski (1879-1947), der u.a. Polizeipräsident in Berlin und noch wichtiger 1926 bis 1930 Minister des Innern in Preußen war. „Grzesinski, der gegen die Mehrheit der SPD-Fraktion aber mit der Unterstützung des Fraktionsvorsitzenden Ernst Heilmann ins Amt gekommen war, zählte zweifellos zu den markantesten politischen Persönlichkeiten des Weimarer Preußen, seine

Amtsführung steht ganz zu Unrecht im Schatten derjenigen Severings, obwohl er diesem an politischem Gestaltungs- und Machwillen, aber auch Zielstrebigkeit und Tatkraft überlegen war.“* Grzesinski steht für einen entschiedenen Kampf für die Demokratie und die Republik. Deutlicher als andere erkannte er die Notwendigkeit einer umfassenden Demokratisierung der Verwaltung und einer Reform der Verwaltungsstrukturen. Vor dem Hintergrund unseres Wissens über die nach Weimar folgenden Ereignisse erscheint sein Ausscheiden aus dem Amt des preußischen Staatsministers ebenso tragisch wie bezeichnend für das Ende der ersten Demokratie in Deutschland. Bereits lange von seiner Frau getrennt lebend, war er eine neue Verbindung eingegangen, die er indessen aufgrund der damaligen rechtlichen Grundlagen (Erfordernis der Einwilligung in die Scheidung) noch nicht durch eine Heirat legitimieren konnte. Dies nahm ein SPD-Mitglied (!) zum Anlass, ihn sowohl bei Ministerpräsident Braun als auch beim Koalitionspartner anzuschwärzen. Aufgrund des bereits schwierigen Zustandes der Koalition und der sich aus seiner konsequenten demokratischen Haltung gegen ihn ergebenen Widerstände war Grzesinski als Minister nicht mehr haltbar. Zweifellos hätten im Februar 1930 * Ebd.

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schwerwiegendere Probleme die Aufmerksamkeit der demokratischen Kräfte in Preußen erfordert. Zu den besonderen Leistungen Grzesinskis gehört sein analytisches und tiefgreifendes Verständnis der öffentlichen Verwaltung. Bei aller Wertschätzung des Parlaments erkannte er die zentrale Bedeutung der Umsetzung und Durchführung politischer Programme durch die Verwaltung. So führte er unter anderem aus: „Nicht die Legislative, sondern die Exekutive regiert.“ und unterstrich dies noch einmal: „Das Parlament beschließt Gesetze, – übrigens auch unter der Führung der Verwaltung – aber die Exekutive, die Verwaltung, führt sie aus.“ Die Folgen dieser Tatsachen beschrieb er unter anderem in zwei Vorträgen in den Jahren 1928 und 1929. So ist die Wirkung eines politischen Programms demnach ganz entscheidend von der Umsetzung durch die Verwaltung abhängig. Es ist die „gegenüber der Gesetzgebung nicht zu unterschätzende Aufgabe der Verwaltung, den Gesetzen ‚Leben einzuhauchen‘.“* Parlamentarische Mehrheiten zu erringen ist nach seiner Meinung nur der erste Schritt. Erst wenn die Administration nicht mehr im alten Geiste verharrend als Bremser und Verhinderer der neuen Politik der parlamentarischen Mehrheit agiert, hat diese neue Politik * Thomas Albrecht, Für eine wehrhafte Demokratie. Albrecht Grzesinski und die preußische Politik in der Weimarer Republik, Bonn 1999

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auch eine Chance, umgesetzt zu werden. Um ein Funktionieren von Staat und Verwaltung nach dem Kriegsende und der Revolution zu gewährleisten, wurde 1918/1919 auf einen radikalen Umbau der Verwaltung verzichtet. Da eine Vielzahl der – ehemals von Adligen dominiert und selbst in der Breite hochgradig konservativ eingestellten – Beamten noch vorhanden war, musste die Verwaltung nun Schritt für Schritt demokratisiert werden. Die Justiz bleibt konservativ Dies gelang jedoch nur in Ansätzen: „Die Bedeutung einer systematischen, zielbewußten Personalpolitik, die eine Durchsetzung der Staatsverwaltung mit überzeugten Anhängern des neuen Staates bezweckt, wird leider häufig gerade in den demokratischen Schichten unseres Volkes noch nicht voll erkannt“, so Grzesinski im Jahr 1928. Diese fehlende Erkenntnis war Ursache für eine schwerwiegende Fehlentwicklung der Weimarer Republik. Wurden auch in einigen Bereichen Veränderungen vorgenommen, so konnte die Administration doch nicht so erneuert werden, als dass sie sich den Entwicklungen im Jahr 1933 entschieden entgegenstellte. Auch dass nachfolgend Demokraten und rassisch Verfolgte aus der Verwaltung ausgestoßen wurden, wurde entweder stillschweigend hingenommen oder sogar noch begrüßt.


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Als besonders problematisch erwies sich die fast ungebrochene Kontinuität im Bereich der Justiz. So genossen die Feinde von Demokratie und Republik – bis hin zu eindeutig überführten Mördern – den wohlwollenden Schutz der in großen Teilen konservativ und reaktionär eingestellten Richterschaft. Zu dem konnte sich die Reichswehr weitestgehend unkontrolliert zum Staat im Staate entwickeln. Mehr Selbstverwaltung Schon aber die wenigen Schritte reichten, um eine hasserfüllte Kritik auszulösen, die außerdem offen antisemitische Züge trug. Otto Eggerstedt – er war Mitglied der SPD-Reichstagsfraktion und wurde bereits 1933 im KZ ermordet – führte dazu aus: „Das deutsche Bürgertum setzt reaktionäre politische Einstellung mit Staatspolitik und Überparteilichkeit gleich; in jeder freiheitlichen Betätigung erblickt es Parteibuchpolitik. Das ist das Erbe der jahrhundertelangen Vergangenheit Deutschlands in politischer Knechtschaft.“ Er bezeichnete es zudem als einen Fehler – teils aufgrund der Mehrheitsverhältnisse, teils aufgrund falschen Vertrauens auf trügerische Worte – zu viele „parteilose“ Beamte an ihren Stellen gelassen zu haben. Die praktischen Auswirkungen dieser Entscheidung führten auch zu großen Enttäuschungen bei den Anhängern der Republik.

„Fast unnötig zu sagen, daß seit der Übernahme der Macht durch die Reaktion bei dem größten Teil dieser Beamten an die Stelle der bisherigen angeblichen Überparteilichkeit eine geradezu widerliche Beflissenheit für den neuen Kurs getreten ist.“* Zu den Leistungen Weimars im Bereich der preußischen Verwaltungsstrukturen gehört ohne jeden Zweifel das Groß-Berlin-Gesetz. Darüber hinaus konnten erst Mitte und Ende der zwangziger Jahre unter der Führung von Grzesinski weitere notwendige Veränderungen zugunsten der Städte in Preußen vorgenommen werden. Auch in der Haltung gegenüber den Städten – und der Schaffung funktionierender Verwaltungsstrukturen als Grundlage ihrer gedeihlichen Entwicklung – wirkten alte und junkerliche Vorstellungen nach. Schließlich sollten die Städte mit ihren sozialdemokratischen Arbeitern nicht gestärkt werden. Während der Ministerzeit von Grzesinski sind Erweiterungen der Stadtkreise Königsberg, Breslau, Frankfurt am Main, Wiesbaden und Görlitz durch Gesetz vollzogen worden. Für die Gemeinden und Kreise in der Provinz Oberschlesien und Unterelbegebiet sowie im rheinisch-westfälischen Industriegebiet (Regierungsbezirke Düsseldorf, Arnsberg und Münster) wurden Kom* Otto Eggerstedt, Bekenntnis zum Parteibuchbeamten; in: Das freie Wort. Sozialdemokratisches Diskussionsorgan, 4 (36), Berlin 1932

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munalverfassung und Verwaltung der Gemeinden und Kreise per Gesetz neu geregelt und damit zukunftsfähige Strukturen geschaffen.* Vielleicht faktisch nicht so wichtig wie die Veränderungen im rheinischwestfälischen Gebiet aber von sehr großer symbolischer Bedeutung war die Aufhebung der Gutsbezirke in Preußen als Beseitigung noch bestehender Reste adliger Herrschaft. „Die Gutsbezirke waren kleine absolute Standesherrschaften, in denen der Gutsherr polizeiliche Gewalt hatte ...“. Im Preußen des Jahres 1928 gab es noch 11.894 dieser Gutsbezirke mit einer Bevölkerung von knapp 1,5 Millionen Einwohnern. Vor allem in einigen ländlichen Gebieten in Ostpreußen und in Schlesien wohnten 40 Prozent der Einwohner in Gutsbezirken und unterstanden damit der Polizeigewalt ihres Gutsherrn. Natürlich gab es umfangreiche Widerstände gegen das Vorhaben, bis hin zu Klagen und Obstruktion. Es war der Tatkraft Grzesinskis zu verdanken, dass es nicht nur zu einem zügigen Beschluss des Gesetzes kam, sondern auch seine konsequente und schnelle Umsetzung erfolgte. Durch die Auflösung der Gutsbezirke konnten ihre Einwohnerinnen und Einwohner die normalen Rechte der kommunalen Selbstverwal* Erhard Kolb (Hg.), Albrecht Grzesinski. Im Kampf um die deutsche Republik. Erinnerungen eines Sozialdemokraten, München 2001

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tung in Anspruch nehmen, sie wurden staatsbürgerlich gleichgestellt. Grzesinskis Haltung zum Ende der Demokratie in Weimar, zum Untergang der Republik fiel deutlich aus: „Die ‚schlappe‘ Republik hat sich alles gefallen lassen, sie und ihre Vertreter sind allein daran schuld, daß heute Hitler in Deutschland regiert. Ich bin sicherlich der letzte ..., der Parteien, Einrichtungen und Menschen, auch mich selbst in Schutz nehmen will, dass sie schwere und schwerste Unterlassungssünden begangen haben. Will man aber zu einer Bewertung der Frage kommen, dann kann man nicht allein von einer Schuld einzelner Personen, einzelner Parteien, sondern nur von einer Kollektivschuld sprechen; von einer Schuld, die ihre Erklärung nur darin findet, dass weiten Schichten des deutschen Volkes, das auf den Gebieten der Wissenschaft, der Kunst, der Technik so Gewaltiges geleistet hat, der politische Sinn, das Verständnis für politische Feinheiten, für politische Rechte, für politische, innen- wie außenpolitische, ebenso wie für wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Zusammenhänge abgeht.“ Tradition und Aufklärung Es fehlte aber nicht nur im politischen Sinn, – so Thomas Mann in der Kritik noch weitergehend – an bürgerlichen Traditionen, Werten der Bildung, Aufklärung, Humanität. Solche Träume


christian maaß – demokratie braucht legitimation

wie die Hebung der Völker durch wissenschaftliche Gesittung wurden insgesamt von großen Teilen des Bürgertums aktiv in Frage gestellt und verworfen. Auch und gerade „Männer der Bildung, des Unterrichts, der Wissenschaft“ vertraten eine grundsätzliche Kritik an diesen Werten – „und zwar mit Heiterkeit, nicht selten unter selbstgefällig-geistesfrohem Gelächter.“ Dass eine solche Geisteshaltung, die „die uns Deutschen durch die Niederlage zuteilgewordene Staatsform, die uns in den Schoß gefallene Freiheit, mit einem Wort: die demokratische Republik auch nicht einen Augenblick als ernstzunehmender Rahmen für das visierte Neue anerkannt, sondern mit einmütiger Selbstverständlichkeit als ephemer und für den Sachverhalt von vornherein bedeutungslos, ja, als ein schlechter Spaß über die Achsel“ wirft, ist dann eine logische Konsequenz. Die Härte fehlt Es ist eine zentrale Erkenntnis aus Weimar, dass zur Freiheit und Demokratie auch immer der Umgang mit ihren Feinden gehört. Die fehlende Härte im Umgang mit ihren Feinden war ein Grund für den Untergang Weimars. Doch war eine solche Barbarei, wie sie folgte, überhaupt vorstellbar? Konnten die Sozialdemokraten ahnen, dass all die Werte, für die sie auch standen, so vollständig negiert wurden und eine Zeit

begann, in der die durchaus vorhandene Verfolgung und Zurückweisung der Kaiserzeit als völlig harmlos erschien? Wir wissen heute, dass eine lebendige Demokratie demokratische Werte vermitteln muss. Die „bloße“ Lösung von Sachfragen allein reicht nicht aus. Demokratie darf ihre Legitimation in der Bevölkerung nicht außer acht lassen. Gegen die große Front, bestehend aus den Anhängern des alten monarchistischen Systems, der durch den Krieg, von den Folgen der Revolution und Inflation beflügelten und radikalisierten neuen Rechten sowie Teilen der radikalen Linken konnte die SPD die Demokratie nicht verteidigen, auch nicht in der Großen Koalition in Preußen. Kuttner beschrieb Otto Braun als im besten Sinne preußisch. Er ist versehen mit einer nüchternen Resolutheit, unbestechlichen Sachlichkeit und von einer herben Energie (Kuttner 1932:5). Für ihn und dieser Auffassung wird hier gefolgt,: (Kuttner 1932:6).“ Ein modernes Preußentum Zwischen sozialdemokratischer Gesinnung und Preußen muss es keinen Widerspruch geben. Otto Braun, Ernst Heilmann, Carl Severing, Albert Grzesinski und viel andere Sozialdemokraten im Preußen der Weimarer Republik standen dafür, dass Preußen nicht mit Monarchie, Absolutismus und Reaktion perspektive21

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thema – das rote preußen

gleichzusetzen ist. Oder wie es Erich Kuttner sagte: „Der Sozialdemokrat weiß, dass starkes Heimatgefühl und internationale Verbundenheit mit der arbeitenden Menschheit einander nicht ausschließen.“ Gestützt auf die Sozialdemokratie in Preußen, ist es die SPD heute, die den

positiven Strang unserer Geschichte wieder aufnehmen kann und im heutigen Brandenburg unter sozialdemokratischer Prägung auch sollte. Denn was bleibend und wertvoll an dem Begriff „Preußentum“ ist, das vermag sich auch unter republikanischer und demokratischer Form viel besser zu entwickeln. ■

CHRISTIAN MAASS

ist Politikwissenschaftler und Geschäftsführer der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik in Brandenburg. 84

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