perspektive21 - Heft 40

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HEFT 40 MÄRZ 2009 www.perspektive21.de

BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK

WELCHE WEGE BRANDENBURG GEHEN KANN

Bildung für alle MARTIN SCHULZ:

Richtungsentscheidung für Europa

GIDEON BOTSCH UND CHRISTOPH KOPKE:

Rechtsextremisten im Landtag am Ende?

HOLGER RUPPRECHT UND KLARA GEYWITZ: JUTTA LIESKE UND MANJA ORLOWSKI: KARIN SALZBERG-LUDWIG: THOMAS MICHAELIS:

Für alle, von Anfang an

Den Kinderschuhen entwachsen

Wie kommt man zur „Schule für alle“?

Sicher ist nur die Veränderung

SABINA BIEBER, CHRISTIAN MÖDEBECK UND ROBERT MEILE: ANDREA WICKLEIN UND KLAUS FABER: CHRISTIAN FÜLLER: MARTIN DULIG:

Studium lohnt!

Der Handlungsbedarf bleibt

Jan in der Sackgasse

Ende der Osterhasen-Pädagogik



vorwort

Bildung für alle m 7. Juni wählt die EU ein neues Parlament. Der Europawahlkampf hatte bisher meist Volkshochschulcharakter. Diesmal könnte das anders sein. Denn die Wirtschaftskrise hat deutlich gemacht, dass wir nicht auf einer Insel leben. Wir brauchen europäische Antworten und Regeln, mit denen die Finanzmärkte reguliert werden. Deshalb ist es nicht unwichtig, ob Europa von links oder rechts regiert wird. Martin Schulz erläutert in seinem Beitrag den Unterschied zwischen dem Europa der Konservativen und dem Europa der Sozialdemokraten.

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Schwerpunkt dieses Heftes ist die Bildungspolitik. Die PISA-Studien haben gezeigt, dass Brandenburgs Bildung in den vergangenen Jahren einen großen Satz nach vorn gemacht hat. Das ist gut, aber noch nicht genug. Nachdem in den vergangenen Jahren die Schulstruktur stark verändert wurde, können wir uns jetzt verstärkt auf die Qualität der Schulen konzentrieren. So erläutern Holger Rupprecht und Klara Geywitz die verschiedenen Schritte, die die Sozialdemokraten in den kommenden Jahren in der Bildungspolitik gehen wollen. Mehrere Beiträge im Heft gehen auf ein Anliegen ein, das uns sehr wichtig ist: Schüler mit Förderbedarf sollen künftig in Regelschulen integriert und dort besonders gefördert werden. Alle Studien zeigen, dass ihnen dies größere Chancen auf einen guten Schulabschluss und später einen Arbeitsplatz bietet. Bildung für alle – von der Kita bis zur Hochschule – ist der Garant für sozialen Aufstieg. Das ist unser Ziel. Und genau darum geht es in diesem Heft. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre. KLAUS NESS

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inhalt

Bildung für alle WELCHE WEGE BRANDENBURG GEHEN KANN MAGAZIN MARTIN SCHULZ: Richtungsentscheidung für Europa

............................................ 7 Wie die Sozialdemokraten bei der EU-Wahl gewinnen können GIDEON BOTSCH UND CHRISTOPH KOPKE: Rechtsextremisten im Landtag am Ende?..13

Das Abschneiden der NPD und DVU bei den Kommunalwahlen 2008 und ihre Aussichten 2009

THEMA HOLGER RUPPRECHT UND KLARA GEYWITZ: Für alle, von Anfang an

.................. 19

Wie wir unser Bildungssystem gerechter und besser machen JUTTA LIESKE UND MANJA ORLOWSKI: Den Kinderschuhen entwachsen

............ 25

Frühkindliche Bildung und Erziehung in Brandenburg KARIN SALZBERG-LUDWIG: Wie kommt man zur „Schule für alle“?

.................... 33

Die Förderung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist eine besondere Herausforderung THOMAS MICHAELIS: Sicher ist nur die Veränderung

.......................................... 45 Zur Zukunft der dualen Ausbildung und der Berufsschule SABINA BIEBER, CHRISTIAN MÖDEBECK UND ROBERT MEILE: Studium lohnt!

.... 53

Wie die Brandenburger Hochschulen Schülern mehr Lust aufs Studium machen ANDREA WICKLEIN UND KLAUS FABER: Der Handlungsbedarf bleibt

.................. 61

Wie Wissenschafts- und Bildungspolitik nach der Föderalismusreform und dem Bildungsgipfel aussehen kann CHRISTIAN FÜLLER: Jan in der Sackgasse

................................................................ 71 Oder: das Drama von Bildung und Gerechtigkeit. Gute Schulen gibt es – aber wie können Sie zum Vorbild werden? MARTIN DULIG: Ende der Osterhasen-Pädagogik

................................................ 81 Über den sächsischen PISA-Erfolg, den Glanz von Gold und was man von Sachsen lernen kann perspektive21

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Richtungsentscheidung für Europa WIE DIE SOZIALDEMOKRATEN BEI DER EU-WAHL GEWINNEN KÖNNEN VON MARTIN SCHULZ

uropa ist eine faszinierende Idee von Frieden, Stabilität und sozialer Gerechtigkeit. Nach Jahrhunderten prekärer Machtgleichgewichte, verheerender Konflikte und der Katastrophe der beiden Weltkriege begann 1951 mit der Gemeinschaft für Kohle und Stahl eine neue Ära in der europäischen Geschichte. Die Idee, durch die Integration der Staaten Frieden zwischen den Völkern zu schaffen, ist Realität geworden. Aus dem Erbe der Kriege, den blutigen Schlachtfeldern, den tiefen Wunden und den Trümmerhaufen, ist das Friedensprojekt Europa gewachsen. Die Überwindung der Kriegsangst und die offenen Grenzen zwischen den Ländern Europas sind die Erfüllung eines Menschheitstraums. Durch den freiwilligen Souveränitätsverzicht von Ländern zugunsten einer supranationalen Institution wurde ein sich immer weiter beschleunigender Integrationsprozess in Gang gesetzt. Von den Anfängen des Einigungsprozesses mit dem Schuman-Plan 1950, über die Grundsteinlegung des gemeinsamen Marktes in den Römischen Verträgen 1958 bis zur gemeinsamen Währung hat die „monetäre Nichtangriffsgemeinschaft“ in hunderten kleiner Schritte einen Integrationsgrad erreicht, der, wenn man einmal innehält, atemberaubend ist.

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Neue Bedingungen für die europäische Einigung Die Zahl der Mitgliedsländer hat sich von den sechs Gründungsstaaten Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, Holland und Luxemburg in mehreren Erweiterungswellen auf heute 27 erhöht. Frieden, Freiheit, Demokratie, Wohlstand und soziale Entwicklung wurden nach dem Ende ihrer Diktaturen nach Spanien, Portugal und Griechenland ausgeweitet, nach dem Ende des Kalten Krieges auch in die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten. Die Osterweiterung beendete die künstliche Trennung Europas durch den eisernen Vorhang endgültig. Ein Krieg zwischen den Mitgliedsstaaten der EU ist heute unvorstellbar. perspektive21

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Jahrzehntelang war Europa ein akzeptiertes und breit unterstütztes Projekt. Die Menschen wollten Europa, weil es Frieden, wirtschaftlichen Wohlstand und sozialen Fortschritt brachte. Die Bürgerinnen und Bürger sind noch immer für die europäische Einigung, aber sie haben zwischenzeitlich begonnen, Bedingungen an das europäische Einigungswerk zu stellen. Diese Bedingungen müssen in den politischen Prozess aufgenommen werden. Das Erfolgsrezept Europas lautete jahrzehntelang, dass Wirtschaft und soziale Sicherheit zwei Seiten der gleichen Medaille sind – bis der marktliberale Geist in den neunziger Jahren in die EU-Kommission und die nationalen Regierungen einzog. Deregulierung lautete seitdem die Devise. Statt sozialer Stabilität als Zielsetzung bestimmten Deregulierungsstrategien und Profitmehrung die Gestaltung des Binnenmarktes. Die Konservativen und Marktliberalen in Europa behaupten, dass Sozial- und Umweltstandards Wachstum hemmen, weniger Lohn, längere Arbeitszeit und keine Mitbestimmung es fördern. Das Gegenteil ist richtig: Arbeits- und Gewerkschaftsrechte sind kein Kostenfaktor sondern eine unverzichtbare Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg, da sie zu höherer Motivation am Arbeitsplatz, besserer Qualität der Beschäftigung, zum sozialen Frieden und der Teilhabe am Unternehmen beitragen. Wirtschaftswachstum ist kein Wert an sich, wenn er nur einigen Wenigen und nicht allen Menschen zu Gute kommt. Die soziale Schieflage der EU gilt es im kommenden Jahrzehnt zu korrigieren. Das soziale Europa blieb unterentwickelt Doch Europa wird rechts regiert und Europa wird schlecht regiert. 19 von 27 Regierungschefs werden von Mitte-Rechts Regierungen gestellt. Sie entsenden konservative und marktliberale Kommissare nach Brüssel. Während die Wirtschaft auf europäischer Ebene harmonisiert wurde, blieb der Sozialstaat national – jetzt ist die alte Waffengleichheit von Kapital und Arbeit gefährdet. In der Folge wächst die soziale Ungleichheit, steigenden Gewinnen stehen sinkende Reallöhne gegenüber. In den Augen vieler Bürger scheint die EU damit zur Handlangerin der globalisierten Wirtschaft zu werden – anstatt ein Instrument zur Bewältigung der Risiken und Herausforderungen der Globalisierung zu sein. Die Bürger erwarten zu Recht, dass die EU sich nicht nur an den Interessen der Wirtschaft orientiert, sondern ihre sozialen Rechte stärkt und aktiv Beschäftigung fördert. Deshalb stellen wir, die europäischen Sozialdemokraten, die Gestaltung des sozialen Europas und die Menschen in den Mittelpunkt unserer Politik. 8

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martin schulz – richtungsentscheidung für europa

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EIN SOZIALES EUROPA. Wir wollen ein europäisches Wirtschaftsmodell schaf-

fen, das den Menschen, nicht den Markt, in den Mittelpunkt stellt. Ein funktionierender Binnenmarkt ist die Vorraussetzung für Wachstum und Beschäftigung. Wirtschaftswachstum kann jedoch nicht Selbstzweck sein, sondern muss zum Wohlstand aller beitragen. Wir wollen, dass die Wirtschafts- und Währungsunion durch eine gleichrangige Sozialunion ergänzt wird, um den europäischen Binnenmarkt in eine politische und soziale Ordnung einzufassen. Das Ziel ist, die unterschiedlichen nationalen Traditionen des europäischen Sozialmodells zu respektieren und zugleich verbindliche Regeln und Mindeststandards festzulegen. Dazu zählt ein europäischer sozialer Stabilitätspakt mit gemeinsamen europäischen Zielen und Vorgaben für Sozial- und Bildungsausgaben, die an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitgliedsstaaten gemessen werden. Auch sollen sämtliche EU-Rechtsakte auf ihre sozialen Folgen für die Menschen in Europa überprüft werden. Mit einem europäischen Pakt gegen Lohndumping wollen wir dafür sorgen, dass in allen Mitgliedsländern, auch in Deutschland, existenzsichernde Mindestlöhne gelten. Wir machen uns stark für eine soziale Fortschrittsklausel und wollen die EU-Entsenderichtlinie verbessern. In Europa muss der Grundsatz gelten: gleiche Lohn- und Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Die Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere die Rechte des Europäischen Betriebsrats müssen gestärkt werden, um die Einbindung von Arbeitnehmern in Unternehmensentscheidungen sicherzustellen. Wir fordern außerdem einen europäischen Pakt gegen Lohndumping, der gemeinsame Standards für Mindestlöhne in Europa – gemessen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der jeweiligen Länder – schafft. Eine neue EU-Kommission wird unsere Unterstützung nur dann erhalten, wenn sie sich verbindlich verpflichtet, für alle politischen Initiativen eine soziale Folgenabschätzung vorzunehmen. Zeigt die Europäische Union endlich wieder ihr soziales Gesicht, wird sie das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen und für das europäische Projekt begeistern. EIN EUROPA DER BESCHÄFTIGUNG UND DES ÖKOLOGISCHEN FORTSCHRITTS. In

2 ganz Europa stehen die Menschen mitten in der Wirtschaftskrise vor beispiellosen Herausforderungen: einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, einem Rückgang der Kaufkraft und einer Zunahme des Armutsrisikos. Gerade jetzt brauchen wir eine starke gemeinsame europäische Politik zur nachhaltigen Förderung von Wachstum und Beschäftigung. perspektive21

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Der europäische Binnenmarkt, die Wirtschafts- und Währungsunion sind die Basis, um unsere Wettbewerbsfähigkeit in der globalisierten Weltwirtschaft zu erhalten. Doch der Druck der Weltmärkte auf die Sozialstandards wächst, neben den weltweiten Handel mit Kapital und Waren ist die globale Konkurrenz von Dienstleistungen und Arbeit getreten. Um einen ruinösen Standortwettbewerb der EU-Staaten untereinander zu verhindern, fordern wir eine bessere Koordinierung der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dazu zählen eine einheitliche Bemessungsgrundlage bei der Unternehmenssteuer, gemeinsame Mindeststeuersätze in der Währungsunion sowie eine Besteuerung von europaweit agierenden Kapitalgesellschaften durch die EU. Wir brauchen Vorfahrt für Beschäftigung in Europa und schlagen deshalb einen Europäischen Zukunftspakt für Arbeit vor, um alle europäischen Programme daraufhin zu untersuchen, ob sie langfristig Arbeitsplätze sichern und neue schaffen. Eine verstärkte wirtschafts- und finanzpolitische Koordinierung auf EUEbene, vor allem in der Euro-Gruppe, hat das Potenzial Millionen neuer Jobs zu schaffen. Insbesondere im Umwelt- und Energiebereich können bis 2020 durch gezielte Investitionen 10 Millionen neuer Jobs geschaffen werden. Europa kann zum weltweiten Innovationsführer aufsteigen. EINE NEUE EUROPÄISCHE UND INTERNATIONALE FINANZMARKTARCHITEKTUR. Blindes Vertrauen in die unsichtbare Hand des Marktes hat uns in die schwerste Wirtschafts- und Finanzkrise seit 1929 geführt. Selbst konservative und marktliberale Politiker, bislang Wegbereiter der Deregulierung, haben erkannt, dass manchmal der Markt das Problem und die Politik die Lösung ist. Die Ideologie des entfesselten Kapitalismus ist in der aktuellen Krise endgültig gescheitert. Jetzt übernehmen Konservative und Marktliberale Ideen und Rezepte, die Sozialdemokraten schon lange vertreten. Die Europäischen Sozialdemokraten fordern seit Jahren mehr Transparenz, eine strengere Aufsicht und bessere Regelungen für die internationalen Finanzmärkte. An diesen Forderungen halten wir fest: Wir wollen eine neue europäische und internationale Finanzarchitektur mit klaren politischen Verkehrsregeln durchsetzen. Diese Regelungen müssen alle Finanzakteure umfassen. Zum einen muss die Banken- und Finanzmarktaufsicht weiter gestärkt werden und der Internationale Währungsfonds zur zentralen Kontroll- und Koordinierungsinstanz ausgebaut werden. Zum anderen brauchen wir strengere Anforderungen und Transparenzvorschriften für das Risikomanagement und die Eigenkapitalversorgung von Banken. Schädliche Leerverkäufe müssen verboten und Steueroasen trockengelegt werden.

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Die Konservativen und Marktradikalen benutzen zwar jetzt in der Krise einen linken Jargon, werden aber strukturelle Veränderungen verhindern. Die europäischen Sozialdemokraten kämpfen dagegen für echte Reformen und eine neue globale Architektur für die Finanzmärkte, damit sich eine solche Krise nicht wiederholt.

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EINE STARKE FRIEDENSMACHT. EUROPA IST ALS GRÖSSTER BINNENMARKT DER

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EINE FAIRE GLOBALISIERUNG. In einem Zeitalter in dem Staaten und Gesellschaften

WELT EIN GLOBAL PLAYER. Tritt die EU geeint auf und spricht mit einer Stimme, kann es mit seiner enormen wirtschaftlichen Macht in der Welt einiges bewegen. Wir wollen die Identität Europas als globale Friedensmacht weiter stärken. Die EU soll Vorreiter bei der Förderung von Frieden und einer nachhaltigen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung weltweit sein. Von Europa kann – unter Einbindung der großen Mächte USA, Russland, China und Indien – eine neue Ära multilateraler Kooperation und Entspannung ausgehen. Eine starke europäische Politik für Abrüstung, Nichtverbreitung und Rüstungskontrolle muss eine unserer Prioritäten sein. Wir wollen die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik weiter ausbauen und insbesondere ihre zivile Komponente stärken. Unser langfristiges Ziel ist eine europäische Armee, deren Einsatz parlamentarisch legitimiert sein muss. Das innereuropäische Friedensprojekt hat sich erfolgreich bewährt, jetzt ist es an der Zeit, dieses durch eine ebenbürtige Außendimension zu ergänzen.

immer näher zusammenrücken und immer stärker vernetzt sind, übersteigen viele Herausforderungen die Handlungskapazitäten einzelner Länder. Gerade die Finanzkrise und der Klimawandel zeigen deutlich, dass wir in einem Zeitalter geteilter Verwundbarkeit und globaler Verantwortung leben. Denn die grundlegende Bedingung der globalisierten Welt ist die Verflechtung und die unausweichliche, wechselseitige Abhängigkeit von Ökonomien und Gesellschaften. Die Staatsgrenzen sind durchlässig geworden für Menschen, für Ideen, für Geld. Das erzeugt unzählige positive Effekte. Es lässt aber auch die Bedrohungen, die durch den internationalen Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und regionale Konflikte entstehen, durch die porös gewordenen Grenzen bis nach Europa vordringen. Nicht ob, sondern wie wir uns den Schattenseiten der Globalisierung stellen, ist die entscheidende Frage der Zukunft. Kein Land kann im Alleingang Probleme globalen Ausmaßes lösen. Richtet man den Blick in die Zukunft, wird deutlich, dass wir die EU bei der Bewältigung der globalen Herausforderungen im 21. Jahrhundert brauchen. Die Europäische Union besteht aus 27 Staaten mit fast 500 Millionen Einwohnern, verfügt über eine Wirtschaftsmacht, die einem Viertel der weltweiten Handels- und Wirtschaftsleistung entperspektive21

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spricht, und ist der größte Binnenmarkt der Welt. Die EU ist ein Schwergewicht auf der internationalen Bühne und dadurch weit besser gewappnet, die gemeinsamen Interessen durchzusetzen, als es die Nationalstaaten im Alleingang je könnten. Wenn es um den Klimawandel geht, die Neuordnung der internationalen Finanzmärkte, dem Kampf gegen die Armut in der Welt oder den internationalen Terrorismus, kann und muss die EU ganz nach der Devise „Gemeinsam sind wir stark“ einiges leisten. Wir wollen, dass Europa sich für eine Reform der zentralen internationalen Institutionen einsetzt, vor allem der Vereinten Nationen, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, um ihre Handlungsfähigkeit und ihre Legitimität zu stärken. Die EU kann die Prozesse der Globalisierung mit gestalten. Damit eröffnet sich eine große Chance und eine ebenso große Verantwortung. Wir wollen ein starkes, wirtschaftlich erfolgreiches und soziales Europa als Antwort auf die Globalisierung. Bei der Europawahl am 7. Juni steht eine Richtungsentscheidung an. Welches Europa wollen wir? Das der freien Kapitalinteressen oder das der Sozialstaatlichkeit? Konservative und Marktliberale wollen ein Europa, das den freien Markt und den Wettbewerb über alles stellt: über die Bürgerinnen und Bürger und über die Umwelt. Die Wirtschafts- und Finanzkrise zeigt uns jeden Tag, dass die marktradikale Ideologie gescheitert und überholt ist. Im neuen Jahrzehnt brauchen wir ein Europa, das soziale Gerechtigkeit, Umwelt und wirtschaftlichern Erfolg zusammenbringt. Wir brauchen ein Europa in dem nicht die kurzfristige Logik der Finanzmärkte herrscht – sondern die langfristige Logik des Sozialen und Demokratischen. Die EU muss ihr soziales Gesicht zeigen, will sie die Menschen wieder für Europa begeistern. Um in der EU die Weichen in eine andere Richtung zu stellen und die EU sozial zu gestalten, brauchen wir parlamentarische Mehrheiten auf der nationalen und auf der europäischen Ebene. Es muss uns gelingen den Wählerinnen und Wählern verständlich zu machen, für welches Europa Sozialdemokraten stehen und für welches Europa die anderen stehen. Wir haben jetzt die Chance für soziale Gerechtigkeit, gute Arbeitsbedingungen, faire Löhne und Verbraucherschutz zu sorgen, und neue Spielregeln für die globalen Finanzmärkte durchzusetzen, die den Kapitalismus zivilisieren. Unser Anspruch als Europa-Partei ist, die Wahl zu einem Signal des Aufbruchs für ein starkes und soziales Europa der Zukunft zu machen – und das bedeutet, Europa ein Stück nach links zu schieben. ■

MARTIN SCHULZ

ist Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament. 12

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Rechtsextremisten im Landtag am Ende? DAS ABSCHNEIDEN DER NPD UND DVU BEI DEN KOMMUNALWAHLEN 2008 UND IHRE AUSSICHTEN 2009 VON GIDEON BOTSCH UND CHRISTOPH KOPKE

eben der Europa- und den Bundestagswahlen stehen in diesem Jahr in einigen Bundesländern Kommunal- und Landtagswahlen bevor. Besonders bei den Landtagswahlen wird unter anderem das Ergebnis der rechtsextremen Parteien mit Spannung erwartet. Wird die NPD in Thüringen in den Landtag einziehen, wovon viele Beobachter derzeit fest ausgehen? Werden die Rechtsextremen im Saarland ihr bei den letzten Wahlen erreichtes Ergebnis von 4 Prozent halten oder gar ausbauen können? Wird in Sachsen die NPD ihr sensationelles Ergebnis von 2004 wiederholen können? Und schließlich: Wird die Deutsche Volksunion oder eine NPD-DVU-Konstellation gleich welcher Art erneut in den Brandenburger Landtag einziehen können?

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Gewinne, aber kein Durchbruch Brandenburg hat unbestreitbar immer noch ein Rechtsextremismusproblem, andererseits haben Staat und Gesellschaft in den vergangenen zehn Jahren, gestützt auf das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ der Landesregierung und darüber hinausgehend, auf die rechtsextreme Bedrohung reagiert. Mit Blick auf frühere Jahre und im Vergleich zu anderen ostdeutschen Bundesländern lassen sich auf vielen Ebenen Erfolge dieses Engagements ausmachen: Ein deutlicher Rückgang rechtsextremer Straftaten und ein messbares Zurückgehen rechtsextremer und antidemokratischer Einstellungen sind nur zwei Signale, die hier Anlass zur Hoffnung geben.1 Das „Brandenburger Modell“ zur Abwehr des Rechtsextremismus scheint zu greifen.2 Aber wird Brandenburg nach den Wahlen weiter 1 Frank Jansen, Deutlich weniger Gewalttaten von Rechtsextremisten, in: Tagespiegel, 23.01.2009; Richard Stöss, Politische Orientierungen der Bevölkerung in der Region Berlin und Brandenburg 2000-2008, Berlin 2008. 2 Gideon Botsch/Christoph Kopke, Toleranz mit Grenzen. Das „Brandenburger Modell“ zur Abwehr des Rechtsextremismus. Unveröffentlichtes Manuskript 2008; Publikation in Vorbereitung.

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eine „nationale Opposition im Landtag“ (DVU-Eigenwerbung) erdulden müssen? Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, zunächst ein kurzer Rückblick auf die Kommunalwahl 2008. Verglichen mit den Ergebnissen der brandenburgischen Kommunalwahlen 2003 haben NPD und DVU deutlich zugelegt. Die Ergebnisse markieren aber noch keinen Durchbruch dieses politischen Lagers. Im Einzelnen ist es NPD und DVU am 28. September 2008 gelungen, in alle 15 Kreistage und Parlamente kreisfreier Städte einzuziehen, zu denen sie auch angetreten sind. Dort verfügen die Rechtsextremen jetzt über insgesamt 29 Abgeordnete (16 von der NPD und 13 von der DVU). Mehrere Abgeordnete der DVU sind NPD-Mitglieder, wobei DVU-Kandidat und NPD-Funktionär Mike Sandow im Barnim offensiv mit NPD-Plakaten im Wahlkampf für sich warb. In Frankfurt (Oder), Brandenburg an der Havel und im Landkreis Ostprignitz-Ruppin traten keine rechtsextremen Parteien an. Im Landkreis Ostprignitz-Ruppin ist der Verzicht auf Wahlantritt wohl Ausdruck der andauernden Strukturschwäche nach dem Verbot der in der rechtsextremen Szene dieser Region lange tonangebenden NPD-Abspaltung „Schutzbund Deutschland“3. Keine Trendwende Dass die Rechtsextremen in den Kreisparlamenten und kreisfreien Städten nirgends Fraktionsstatus erreichen konnten, liegt (auch) an der demokratiepolitisch durchaus problematischen Erhöhung der für Fraktionsbildung notwendigen Mandate von zwei auf drei (Gemeindevertretungen) bzw. vier (kreisfreie Städte, Landkreise). Darüber hinaus gelangten Rechtsextreme in zahlreiche Gemeindevertretungen und Stadtverordnetenversammlungen, so in Bernau, Biesenthal, Fürstenberg/Havel, Guben, Hohen Neuendorf, Königs Wusterhausen, Luckenwalde, Ludwigsfelde, Madlitz-Wilmersdorf, Mühlenbecker Land, Müncheberg, Nauen, Neuenhagen, Oranienburg, PetershagenEggersdorf, Rehfelde, Rüdersdorf, Schorfheide, Strausberg, Wittenberge und Woltersdorf. Insgesamt – von der Gemeinde bis zur Kreisebene – verfügen beide rechtsextremen Parteien nun über 53 Mandate in brandenburgischen Kommunalparlamenten. Daneben entfielen einige wenige Kommunalwahlmandate auf Vertreter 3 Vgl. Nicola Scuteri, Rechtsextreme Strukturen im Nordwesten Brandenburgs am Beispiel des „Schutzbund Deutschland“, in: Wolfram Hülsemann u.a. (Hg), Demos – Brandenburgisches Institut für Gemeinwesenberatung. Einblicke II. Ein Werkstattbuch, Potsdam 2007, S. 79-94.

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gideon botsch und christoph kopke – rechtsextremisten im landtag am ende?

kleinerer Rechtsaußenparteien, wie DSU oder Republikaner. Als Einzelbewerber gelang es in Spremberg dem Besitzer des als Neonazitreffs geltenden „Bunker 38“, Michael Hanko, mit 2,7 Prozent in die Stadtverordnetenversammlung gewählt zu werden. Die NPD ist in Brandenburg trotz ihres „relativen Konsolidierungsprozesses seit 2004“ (Verfassungsschutz Brandenburg) im Vergleich zu anderen neuen Ländern immer noch deutlich schwächer aufgestellt. Das vergleichsweise mäßige Abschneiden bei den brandenburgischen Kommunalwahlen verweist also nicht unbedingt auf eine generelle Trendwende in den ostdeutschen Bundesländern. Wo die NPD erfolgreich ist Bei diesen Wahlen setzte sich ein Trend fort, den man auch bei Kommunalwahlen in anderen ostdeutschen Bundesländern in den letzten Jahren beobachten konnte. Rechtsextreme Parteien kommen in der Regel dort, wo sie es schaffen anzutreten, auch in die Parlamente. Der Wegfall der 5 Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen befördert diesen Trend. Insgesamt konnten bei den brandenburgischen Kommunalwahlen NPD und DVU zusammen etwa 100.000 Stimmen auf sich vereinen. Da jeder Wähler über drei Stimmen verfügte, schätzt der Brandenburgische Verfassungsschutz, dass zwischen 34.000 und 50.000 Wähler NPD und DVU gewählt haben. Dort, wo die Rechtsextremen antraten, erzielten sie in der Regel um 3,5 bis 5 Prozent der Stimmen. Den in ihrem „Deutschlandpakt“ gemeinsam agierenden Rechtsparteien NPD und DVU scheint es in Brandenburg bislang nicht in großem Umfang gelungen zu sein, bürgerliche Wählerschichten zu erreichen. Die NPD zielt in ihren Wahlkämpfen explizit nicht vorrangig auf die Wähler der Mitte. Es kommt der Partei darauf an, bei einer „genügend großen Wählerschicht“ anzukommen – wie die NPD in ihrem Positionspapier „Strategische Leitlinien zur politischen Arbeit“ schreibt. Deswegen – und nicht nur wegen beschränkter personeller und finanzieller Ressourcen – richtet die Partei ihr Hauptaugenmerk auf vernachlässigte Regionen und bestimmte soziale Schichten. Der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen Gansel nahm mit seiner These, die NPD sei die letzte verbliebene „Schutzmacht der kleinen Leute“, explizit auf eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung Bezug, in der die Rede vom „abgehängten Prekariat“ war. Zwar ist die Propagandaabsicht im Aufwerfen der sozialen Frage von rechts klar erkennbar – die sozialdemagogische Agitation perspektive21

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könnte sich für die NPD im Krisenjahr 2009 gleichwohl da und dort in Wählerstimmen auszahlen.4 Auch geht es der Partei ausdrücklich darum, die Wähler, die bereits in der Vergangenheit NPD gewählt haben, zu halten. Dabei verfügt die NPD inzwischen durchaus über eine Stammwählerschaft und in den örtlichen, zum Teil subkulturell geprägten rechtsextremen Szenen, ein rechtsextremes Wählerpotenzial. Das wird zum Beispiel über Aufmärsche und ähnliche Aktivitäten mit Eventcharakter gezielt angesprochen. Einschlägig szenebekannte Kandidaten, wie der örtlich legendäre Alt-Neonazi Frank Hübner in Cottbus, wurden gewählt. Kaum ein Wähler der NPD dürfte abgeschreckt worden sein durch die, auch im Vorfeld der Wahlen in den Medien skandalisierte, Kandidatur Alexander Bodes. Dieser ist der verurteilte Haupttäter der als „Gubener Hetzjagd“ in die Geschichte eingegangenen rassistisch motivierten Tötung des algerischen Asylbewerbers Farid Guendoul vor fast einem Jahrzehnt. Es sind noch zwei weitere Tatbeteiligte für die NPD angetreten. Gleichwohl: Jenseits des rechtsextremen Milieus haben diese Kandidaten aber auch nicht sonderlich mobilisierend gewirkt. Hohe Wahlbeteiligung schadet den Rechtsextremen Die Kommunalwahlergebnisse treffen sich an einem Punkt deutlich mit den Prognosen, die sich aus der im Februar 2009 veröffentlichten Emnid-Umfrage ergeben: Nach diesen Angaben liegen die beiden rechtsextremen Parteien zusammen bei 3 Prozent. Weder die Kommunalwahlergebnisse, noch die Umfragewerte sprechen im Moment also für einen erneuten Einzug der Rechtsextremen in den Potsdamer Landtag. Aber noch ist nicht Wahlkampf und schon gar nicht Wahltag: Das Falscheste wäre es, davon auszugehen, dass sich das Problem von selbst erledigen wird. Völlig unklar ist zur Zeit, welche Polarisierungen die Wahlkämpfe auslösen können und wie sich die ökonomische Krise, sollte diese andauern oder sich gar verstärken, auf das Wahlverhalten auswirken wird. Die Rechtsextremen werden ihre „antikapitalistische“ Agitationskampagne im Rahmen der Wahlkämpfe sicher weiter verstärken. Auch ist noch nicht absehbar, wie sich das rechtsextreme Lager in Brandenburg in diesem Jahr aufstellen wird: Die Auswirkungen des Generationswechsels 4 Vgl. dazu Gideon Botsch/Christoph Kopke, „Raumorientierte Volkswirtschaft“ und „nationale Solidarität“. Zur wirtschaftsund sozialpolitischen Programmatik und Propaganda der NPD und ihres neo-nationalsozialistischen Umfelds, in: Bulletin für Faschismus- und Weltkriegsforschung, 31/32 (2008), S. 50-71.

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gideon botsch und christoph kopke – rechtsextremisten im landtag am ende?

in der Bundes-DVU und der aktuellen Führungskrise der NPD auf die rechtsextremen Strukturen in unserem Bundesland sind gegenwärtig kaum einschätzbar. Die Wahlergebnisse der Rechtsextremen sind auch von der Wahlbeteiligung abhängig. Regelmäßig scheinen ihnen geringe Wahlbeteiligungen zu nützen. Die recht hohe Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen 2008 dürfte sich entsprechend auf das Wahlergebnis ausgewirkt haben. Es wird also auch darum gehen müssen, möglichst viele Wählerinnen und Wähler zur Teilnahme an den Wahlen und zur Stimmabgabe für demokratische Parteien zu bewegen, gerade auch in den Randregionen unseres Bundeslandes. 2009 kann der Wiedereinzug der Rechtsextremen in den Potsdamer Landtag nach zwei Legislaturperioden verhindert werden – egal unter welcher Konstellation sich DVU und NPD auf einen Wahlantritt einigen werden. Hierfür bedarf es aber weiterhin eines spürbaren und nachhaltigen zivilgesellschaftlichen Engagements und einer entsprechenden Wahlkampfstrategie der demokratischen Parteien, die sich der rechtsextremen Herausforderung auch in Zukunft werden stellen müssen. ■

GIDEON BOTSCH UND CHRISTOPH KOPKE

sind Politologen und wissenschaftliche Mitarbeiter am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam. perspektive21

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thema – bildung für alle

Für alle, von Anfang an WIE WIR UNSER BILDUNGSSYSTEM GERECHTER UND BESSER MACHEN VON HOLGER RUPPRECHT UND KLARA GEYWITZ

ute Bildung für alle ist die Antwort auf die Herausforderungen unseres Jahrhunderts. Der individuelle Bildungsstand entscheidet heute noch viel mehr als früher über Lebensperspektiven, berufliche Möglichkeiten und gesellschaftliche Teilhabe unserer Jugendlichen und damit auch über die Zukunft unseres Landes. Deshalb hat Bildungspolitik in Brandenburg hohe Priorität und steht für ein leistungsstarkes, sozial gerechtes und durchlässiges Bildungssystem. Wegen schwieriger Rahmenbedingungen – Rückgang der Schülerzahlen und schwierige Haushaltslage – war es in Brandenburg in den vergangen Jahren nicht immer ganz leicht, eine erfolgreiche Bildungspolitik zu machen. Trotzdem konnten wir unser Bildungssystem erfolgreich weiterentwickeln. Auch in Zukunft gibt es noch viel zu tun, um die Ziele sozialdemokratischer Bildungspolitik wie Chancengleichheit und Teilhabe für alle auf hohem qualitativem Niveau zu sichern.

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1. Was wir erreicht haben Nach der Wende sind in Brandenburg durch Geburtenrückgang und Abwan-

derung die Schülerzahlen um 50 Prozent zurückgegangen. Dieser Rückgang verteilt sich jedoch nicht gleichmäßig über alle Landesteile. Während er im Berliner Umland nicht so stark war, gingen die Schülerzahlen in den äußeren Regionen um bis zu 70 Prozent zurück. Dass diese dramatische Entwicklung nicht ohne Schulschließungen vonstatten gehen konnte, liegt auf der Hand. Gemeinsam mit den Schulträgern haben wir in den vergangen Jahren versucht, die notwendigen Schließungen verantwortungs- und planvoll umzusetzen. Das war nicht immer einfach, denn natürlich ist die Schule für die Identität und Stabilität einer Gemeinde sehr wichtig. Heute ist die Zeit der Schulschließungen weitgehend vorbei. Für die jüngsten Schüler gilt für uns das Prinzip „kurze Wege für kurze Beine“. Obwohl wir nur noch die Hälfte der Schüler haben, gibt es noch mehr als zwei Drittel der Grundschulen. Damit konnte ein gut erreichbares Netz erhalten bleiben. Unser Grundschulsystem umfasst sechs – statt wie in den meisten Bundesländern vier – Jahrgänge. Mit der sechsjährigen Grundperspektive21

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thema – bildung für alle

schule ermöglichen wir für alle Kinder die längste Zeit gemeinsamen Lernens in einem deutschen Flächenland. 2005 haben wir die Gesamt- und Realschulen zur Oberschule verschmolzen. Damit ist unser Schulsystem übersichtlicher und gleichzeitig auch für den demografischen Wandel gewappnet. Die meisten Oberschulen haben sich inzwischen erfolgreich etabliert und leisten mit ihren engagierten Lehrerkollegien sehr gute Arbeit. Um ihre Profilierung zu unterstützen stehen 25 Millionen Euro aus der „Initiative Oberschule“ (IOS) zur Verfügung. Damit werden zum Beispiel Projekte gefördert, um die Schülerinnen und Schüler gezielt auf die berufliche Zukunft vorzubereiten oder ihre sozialen Kompetenzen zu stärken. Dadurch wird der Übergang von der Schule ins Berufsleben erheblich erleichtert. Trotz des Schülerrückgangs haben wir einige größere Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe als wichtige Pfeiler unserer Schullandschaft und sozialdemokratischer Bildungspolitik erhalten können. Die Gesamtschulen bieten das Abitur nach 13 Schuljahren an. Auch Absolventen der Oberschule mit einem guten mittleren Schulabschluss können hier das Abitur erwerben. Mit den Gesamtschulen und den Beruflichen Gymnasien an den Oberstufenzentren, die das Abitur ebenfalls nach 13 Jahren anbieten, stellen wir damit Durchlässigkeit in unserem 20

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Bildungssystem her – eine zentrale Zielsetzung unserer Bildungspolitik. Viele kleine Schulen erhalten An den verbleibenden ca. 75 Gymnasien Brandenburgs wird das Abitur zukünftig wieder nach 12 Jahren abgelegt, nachdem die Schulzeit nach der Wende auf 13 Jahre verlängert worden war. An vielen Schulen gibt es noch Erfahrungen mit dem 12-jährigen System, so dass diese Schulzeitverkürzung an unseren Gymnasien gut gelingen wird. Die Zahl der Lehrkräfte an unseren Schulen ist weniger stark zurückgegangen als die Schülerzahlen. Das war schon deshalb nötig, weil wir uns in Regionen wie der Prignitz, Uckermark oder Lausitz viele kleine Schulen mit kleinen Klassen leisten, denen wir aber eine volle zweizügige Lehrerausstattung gewähren, um gute Unterrichtsqualität zu sichern. In Brandenburg kommen deshalb weniger Schüler auf einen Lehrer als im Bundesdurchschnitt. Trotzdem hat der Schülerzahlenrückgang natürlich auch zu einem erheblichen Rückgang beim Bedarf an Lehrern geführt. 1991 haben wir zusammen mit den Gewerkschaften beschlossen, keine Lehrer zu entlassen. Stattdessen sollten sich die Lehrkräfte die verbleibende Arbeit solidarisch teilen. Diese Grundsatzentscheidung halten wir nach wie vor für richtig, auch wenn sie unangenehme Folgen hat. Da


holger rupprecht und klara geywitz – für alle, von anfang an

sich die Schülerzahlen im Land nicht gleichmäßig reduzierten, mussten viele Lehrkräfte an die Schulen, an denen sie noch gebraucht wurden, versetzt werden. Versetzungen sind für alle Beteiligten unangenehm: Für die Lehrkräfte, da sie weitere Anfahrtswege haben oder sogar umziehem müssen, aber auch für die Schulen, da es für Lehrerkollegien besser ist, wenn sie kontinuierlich zusammenarbeiten können. Ein gewisses Maß an Durchmischung mit neuen jungen Lehrkräften tut aber jedem Schulkollegium gut, deswegen haben wir in den vergangen Jahren trotz Lehrerüberhang jedes Jahr ca. 200 neue Lehrer eingestellt. Kinder gezielt fördern Um gute Bildung von Anfang an zu fördern, haben wir den Bildungsauftrag der Kitas gestärkt. So werden unsere 6-Jährigen gut auf die Schule vorbereitet. An jeder Kita wird durch die Erzieherinnen ein Jahr vor der Schule die Sprachentwicklung getestet; Kinder mit Schwierigkeiten werden anschließend gezielt gefördert. An den Grundschulen haben wir die Flexible Eingangsstufe ausgeweitet. Sie wird inzwischen an 172 Schulen angeboten. FLEX ist das Kernstück unserer Bemühungen um einen kindgerechten Schulanfang. Alle Kinder werden entsprechend ihren Fähigkeiten und Neigungen jahrgangsübergreifend gefördert.

Erheblich ausgebaut haben wir ein weiteres Kernstück sozialdemokratischer Bildungspolitik: Heute sind bereits 38 Prozent aller Grundschulen und fast 60 Prozent der weiterführenden Schulen Ganztagsschulen. Fast 230 Millionen Euro wurden in den vergangenen Jahren in die Ganztagsschulen investiert. Großer Sprung nach vorn Wie alle anderen Bundesländer haben wir auch in Brandenburg einiges unternommen, um herauszufinden, wo die Stärken und Schwächen unserer Schulen liegen. Sie sollen sich vergleichen und aus den Ergebnissen lernen können. Deshalb gibt es heute die Schulvisitation, mit der in den vergangenen Jahren bereits fast 75 Prozent aller Schulen einmal unter die Lupe genommen wurden. Die Ergebnisse der Untersuchungen werden mit den Schulen diskutiert. Sie erhalten Hinweise, wo Verbesserungen nötig und möglich sind. In allen 10. Klassen des Landes finden seit einigen Jahren zentrale Prüfungen statt, so dass sich die Schulen anhand einheitlicher Standards über ihre Leistungsfähigkeit bewusst werden. Gleiches wird mit dem neu eingeführten Zentralabitur erreicht. Im Ergebnis der vielfältigen bildungspolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre hat sich Brandenburg in den internationalen Schulleistungsstudien wie PISA kontinuierlich verbessert. Auf perspektive21

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thema – bildung für alle

diese Leistungssteigerungen kann unser Land stolz sein, Schüler und Eltern gleichermaßen. Vor allem gilt: Ohne das Engagement der Lehrerinnen und Lehrer wären diese Verbesserungen undenkbar gewesen. 2. Was wir noch vorhaben Wir haben viel erreicht, zufrieden sind wir jedoch noch nicht. Noch haben wir nicht alle Ziele, wie mehr Gerechtigkeit und mehr Chancengleichheit im Bildungssystem erreicht. Wir wollen optimale Förderung für alle, vor allem für die Schwachen. Auch in den kommenden Jahren werden wir deshalb unser Bildungssystem Schritt für Schritt weiter entwickeln. Brandenburg hat bereits heute ein hervorragendes Kinderbetreuungssystem. Insbesondere bei den unter 3-Jährigen stehen wir bundesweit an der Spitze. Dennoch, nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden kann. Alle Forschungen zeigen heute: Je früher Kinder gefördert und angeregt werden, um so besser für ihre Entwicklung. Deshalb werden wir die Betreuungsrelationen als erstes bei den Krippenkindern verbessern. Ziel ist es, dass – statt heute sieben – dann nur noch sechs Kinder auf eine Erzieherin kommen. Um die Qualität unserer Kitas zu verbessern, soll es auch zusätzliche Fortbildungen für die Erzieher geben.

MEHR QUALITÄT IN DEN KITAS.

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Auch sollen die Leitungskräfte von Betreuungsaufgaben entlastet werden. Für diese Qualitätsverbesserungen sollen in den kommenden Jahren 20 Millionen Euro mehr pro Jahr ausgegeben werden. Das ist viel Geld, denn der Landeshaushalt wird in den kommenden zehn Jahren um etwa ein Viertel schrumpfen, da die Zuweisungen aus dem Solidarpakt schrittweise sinken. Das bedeutet aber auch, dass wir uns nicht gleichzeitig beitragsfreie Kitas leisten können – die würden weitere zweistellige Millionenbeträge kosten. Und die wollen wir nicht mit neuen Schulden bezahlen. Stattdessen werden wir sicherstellen, dass die Kitagebühren auch in Zukunft sozial gestaffelt und damit für Familien und Alleinerziehende mit geringen Einkommen erschwinglich bleiben. BESSERER ÜBERGANG IN DIE SCHULE.

Wir wollen die flexible Eingangsstufe FLEX weiter ausweiten, um schon in der Grundschule Chancengleichheit zu schaffen. FLEX hat sich bewährt und soll flächendeckend angeboten werden. Allerdings funktioniert das Modell nur dort gut, wo FLEX mit Überzeugung praktiziert wird. Deswegen soll die Ausweitung auf freiwilliger Basis erfolgen. MEHR GANZTAGSSCHULEN. Den Erfolg im Bereich Ganztagsbetreuung wollen wir fortsetzen und in den nächsten


holger rupprecht und klara geywitz – für alle, von anfang an

Jahren noch möglichst viele Schulen zu Ganztagschulen machen. Dafür werden sie mit zusätzlichen Lehrerstunden ausgestattet. Im Rahmen des Konjunkturpakets können die Schulträger weitere Ganztagsschulen ausbauen. In den Ganztagsschulen sollen sowohl leistungsschwache aber auch leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler beispielsweise über besondere Formen der Aufgabenbetreuungen individuell gefördert werden. Weil wir die Aufforderung, kein Kind zurückzulassen, ernst nehmen, wollen wir die hohe Zahl der Schüler, die unsere Schulen ohne Abschluss verlassen, erheblich verringern. Bis 2015 soll sich die Zahl der Schüler ohne Abschluss halbieren. Dazu sollen Ganztagsangebote, aber auch gezielte Fördermaßnahmen an allen anderen Schulen, ausgebaut werden. Zu den Schülerinnen und Schülern ohne anerkannten Schulabschluss und damit ohne befriedigende Berufsperspektive gehören auch die Absolventen von Förderschulen, insbesondere in den Förderbereichen Lernen, Sprache und emotionale Entwicklung. Ihre Zukunftsperspektiven nachhaltig zu verbessern, ist eine weitere wichtige Aufgabe, der wir uns in den nächsten Jahren stellen wollen. Denn wir wissen, viele der Kinder könnten mit individueller Förderung und modernen Unter-

WENIGER SCHULABBRECHER.

richtsmethoden auch in den regulären Schulen einen vollwertigen Schulabschluss erreichen – so machen es uns viele unserer Nachbarländer vor. In der PISA-Studie 2003 war Brandenburg im bundesweiten Vergleich das Land mit dem geringsten Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg. Um es einfacher zu sagen: Unser Bildungssystem war deutschlandweit das gerechteste. Während wir uns bei den schulischen Leistungen in der letzten PISA-Studie 2006 erheblich verbessert haben, sind wir in diesem Bereich zurückgefallen. Dieser Rückschritt ist für uns inakzeptabel, hier wollen wir wieder aufholen. Bessere Leistungen für alle in einem gerechten System müssen in Brandenburg möglich sein. Dabei können verschiedene Maßnahmen helfen. Deshalb soll der erfolgreiche Schulsozialfonds fortgeführt werden, dazu werden jährlich über 2 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Zusätzlich werden wir auch ein sogenanntes Schüler-Bafög einführen, mit dem bedürftige Schülerinnen und Schüler bei der Vorbereitung auf das Abitur materiell unterstützt werden. Auf dem Weg zum Abitur soll der Schulerfolg nicht von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern abhängen.

GRÖSSERE AUFSTIEGSCHANCEN.

UNTERRICHTSAUSFALL REDUZIEREN.

Ein Thema, das uns auch immer wieder perspektive21

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thema – bildung für alle

beschäftigt, ist der Unterrichtsausfall. Rein statistisch gesehen liegt er zwar bei uns in Brandenburg nicht höher als in anderen Bundesländern. Umfassender Unterrichtsausfall tritt weder flächendeckend noch dauerhaft auf. Diese Feststellung tröstet aber an den Schulen wenig, an denen wegen langfristiger Erkrankung von Lehrkräften der Unterricht nicht mehr gut vertreten werden kann. Deswegen werden wir zum Beispiel die sogenannte Vertretungsreserve aufstocken. So können Schulen schneller und besser reagieren. GUTE LEHRER FÜR GUTE SCHULEN.

Derzeit haben wir an unseren Schulen noch ausreichend Lehrkräfte. Diese Situation wird sich schon in wenigen Jahren ändern, denn dann scheiden stark besetzte Lehrerjahrgänge altersbedingt aus dem Schuldienst aus. Deshalb werden wir Jahr für Jahr viele neue Lehrer einstellen, um die Unterrichtsversorgung in ganz Brandenburg sicherstellen zu können. So wollen wir in den nächsten Jahren über 1.200 junge Lehrkräfte einstellen – und zwar so schnell wie möglich.

Doch das wird nicht reichen. Wir müssen schon jetzt Maßnahmen ergreifen, um dann genügend Nachfolger für die ausscheidenden Lehrkräfte zu finden. Dazu müssen an unseren Hochschulen mehr Lehrer ausgebildet werden als heute; in praktisch allen Fächern, vor allem aber bei den Sonderpädagogen und Berufschullehrern, weil wir für diese Lehrämter derzeit gar nicht ausbilden. Lehrerinnen und Lehrer erhalten heute nicht die Anerkennung, die sie verdienen. Die Politik kann Anerkennung nicht verordnen. Sie kann aber beständig dafür werben, dass der Lehrerberuf wieder attraktiver wird. Auch werden wir dafür sorgen, dass die Bedingungen für Lehrkräfte in Brandenburg mindestens genau so gut sind wie in den anderen Ländern, die ebenfalls viele neue Lehrkräfte einstellen wollen. Veränderungen im Bildungssystem brauchen Zeit, ihre Früchte lassen sich erst nach etlichen Jahren ernten. Deshalb braucht man viel Ausdauer und ein klares Ziel vor Augen. Wir wollen dafür sorgen, dass unsere Kitas und Schulen in Zukunft gerechter und besser werden – für alle und von Anfang an. ■

HOLGER RUPPRECHT

ist Minister für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg. KLARA GEYWITZ

ist stellvertretende Landes- und Fraktionsvorsitzende der SPD Brandenburg. 24

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Den Kinderschuhen entwachsen FRÜHKINDLICHE BILDUNG UND ERZIEHUNG IN BRANDENBURG VON JUTTA LIESKE UND MANJA ORLOWSKI

on Martin Luther stammt der schöne Satz: „Wenn es im Staat besser werden soll, muss man bei den Kindern anfangen.“ Jeder politisch Verantwortliche – egal welcher Partei, egal auf welcher Ebene – könnte diesen Satz unterschreiben. Damit wäre noch nichts über den Maßstab politischen Handels erzählt, kein Ziel definiert, keine Institution benannt, die dies am erfolgreichsten garantieren kann. Dass nunmehr aber Einigkeit auch in der konkreten Umsetzung besteht, nämlich den Ausbau der Kindertagesbetreuung über das Kindertagesstättenfördergesetz des Bundes zu forcieren, ist mit dem Wort Novum nicht erschöpfend beschrieben. Vielmehr handelt es sich um eine regelrechte kulturelle Revolution bei den Kollegen Christdemokraten und dem westdeutschen Milieu, die sich nunmehr nicht mehr der progressiven sozialdemokratischen Familien- und Bildungspolitik verschließen. So gewinnt das von uns Bildungspolitikern so gerne im Munde geführte Prinzip des lebenslangen Lernens eine erfreuli-

V

che praktische Aufwertung. Warum diese einleitende Worte? Es ist außerordentlich lohnenswert noch einmal darauf zu verweisen, dass das Bild der Übermutter, die sich für ihre Kinder aufopfert, noch keine über 500-jährige Geschichte wie der Luther-Ausspruch hat. Vielmehr prägte diese Einstellung bis vor wenigen Jahren eben jenes westdeutsche Milieu. Und bei vielen Männern in den hinteren Unionsbänken sind wir uns auch heute noch nicht sicher, ob die ideologische Überhöhung des Wertes privater Erziehung nicht noch dominierend ist. Nur 25 Stunden Vorlesen Inzwischen kann man bei vielen Konservativen erleben, wie sie sich vom liebgewordenen und lang gehegten familienpolitischen Tunnelblick verabschieden. Sie kommen angesichts einer immer älter werdenden Gesellschaft und einer im europäischen Vergleich geringen Geburtenrate mit ihren alten Vorstellungen von Arbeit und Familie ins Straucheln. Und auch sie erkennen, perspektive21

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thema – bildung für alle

dass etwas Grundsätzliches in unserem Land nicht stimmen kann, wenn Kinder ohne ausreichende Sprachkenntnisse in die Grundschule kommen und nahezu jeder zehnte Schüler eines Jahrgangs die Schule ohne Abschluss verlässt. Das sind die denkbar schlechtesten Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes und ökonomisch abgesichertes (Berufs-)Leben und damit schließlich auch für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Die Kopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg ist Deutschland in mehren internationalen Vergleichsstudien nachgewiesen worden. Ein Beispiel gefällig? Während Ärzte, Rechtsanwälte und Lehrer ihren lieben Kleinen, bis sie eingeschult werden, ca. 1.700 Stunden etwas vorgelesen haben, sind es bei Kindern aus den so genannten unteren Schichten gerade einmal 25 Stunden. Das Bekenntnis des Bundes zum Krippenplatzausbau ist völlig richtig. Um einer Bildungsbenachteiligung zu begegnen, ist es zwingend erforderlich, möglichst frühzeitig anzusetzen. Wenn es darum geht, die demografische Entwicklung zu steuern, ist eine flächendeckende Kindertagesbetreuung aus dem Instrumentenkasten für die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ nicht mehr wegzudenken. Und wenn es darum geht, die gesellschaftliche Mehrheit in Deutschland für eine moderne Familienpolitik über den Krippenausbau hinaus in eine 26

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politische Mehrheit zu verwandeln, dann ist das nur möglich, weil Sozialdemokraten genau diesen Ansatz vorausgedacht, vorbereitet und unterstützt haben. In dem seit 19 Jahren sozialdemokratisch regierten Brandenburg sind Kinder und die Qualität von Bildung und Erziehung schon seit 1990 die zentralen politischen Themen. Spitzenplatz in Deutschland Ganz konkret werden 43,3 Prozent der Knirpse unter drei Jahren und fast 94 Prozent der über Dreijährigen in Brandenburg betreut. Das sind Spitzenplätze im bundesweiten Vergleich. Bildungsteilhabe von Anfang an wird in Brandenburg also konsequent umgesetzt. Die brandenburgische öffentliche Hand gibt im Vergleich zu den anderen ostdeutschen Ländern am meisten Geld für die unter 10-Jährigen aus. Gemessen an den gesamten Ausgaben der öffentlichen Haushalte sind es wiederum die Brandenburger, die mit 5,6 Prozent (Ostdurchschnitt 5,3 Prozent) den Spitzenplatz einnehmen. Ganz konkret zahlte das Land 2001 den Kommunen 128,8 Millionen Euro für die Kindertagesbetreuung, 2008 waren es 136,9 Millionen Euro und in 2009 steigen die Ausgaben auf 149 Millionen Euro. Damit wird die politische Prioritätensetzung auch finanziell untersetzt. Unsere Erzieherinnen und Erzieher


jutta lieske und manja orlowski – den kinderschuhen entwachsen

verfügen über ein hohes Qualifikationsniveau. Fast 92 Prozent unseres pädagogischen Personals hat einen Fachschulabschluss. Auch in Kitas wird gelernt Kitas sind aber keine „Verwahranstalten“ – deshalb ist es mit einer bloßen Betreuung auch nicht getan. Vielmehr ist die Kita der Anfang unseres Bildungsverlaufes. Nur weil es keinen Unterrichtsplan gibt, bedeutet dies noch lange nicht, dass in der Kita nichts gelernt wird. Gelernt wird viel, nur eben anders als beispielsweise in der Schule. Die frühkindliche Bildung soll die natürliche Neugier der Kids fördern, sie sollen spielend lernen und sich ausprobieren dürfen. Denn nie mehr wieder lernt der Mensch so viel und so schnell wie in den ersten Lebensjahren. Deshalb hat Brandenburg bereits Mitte der neunziger Jahre einen Prozess zur Qualitätssteigerung der Bildungsarbeit in den Kindertagesstätten angeregt, der vor allem auch die bundesweite Diskussion um Bildungsstandards maßgeblich anfachte. Unter dem etwas umständlichen Titel „Grundsätze der elementaren Bildung“ entwickelte Brandenburg ein Koordinatensystem, das die praktischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse der frühkindlichen Bildung und Erziehung so aufschlüsselte, dass das Kitapersonal viele Beispiele und Anregungen an die Hand bekam, wie Kinder beispielsweise

in ihrem Bewegungsdrang, bei den Naturwissenschaften oder in der Musik unterstützt und gefördert werden können. Diese „Grundsätze“ sind kein verbindlicher Lernplan, sondern eher Hilfe und Anregung und auch der Anlass, die Qualität in der Einrichtung immer wieder aufs Neue zu überprüfen. Auch deshalb werden die Entwicklungs- und Lernfortschritte eines jeden Zöglings dokumentiert und in Gesprächen mit den Eltern kommuniziert. Zu viele Sprachdefizite In Reaktion auf die alarmierenden Sprachstörungen der ABC-Schützen hat Brandenburg 2006 die Sprachstandsfeststellung und Sprachförderung im letzten Jahr vor der Einschulung eingeführt. Ist man zunächst davon ausgegangen, dass 5 bis 10 Prozent der Kinder stottern, undeutlich reden oder die Kommunikation gänzlich verweigern, wird die Zahl nach allen jetzt erfolgten Betrachtungen nach oben korrigiert werden müssen. Experten sprechen davon, dass sich jedes fünfte Kind nicht seinem Alter entsprechend artikulieren kann. Betroffen sind vor allem Kinder aus sozial schwachen Haushalten, für die ein optimaler Schulstart und eine Schullaufbahn ohne Sprachförderung nicht besonders erfolgreich sein dürfte. Darauf hat auch die kürzlich erschienene Länderauswertung von PISA perspektive21

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thema – bildung für alle

2006 hingewiesen. Der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der Lesekompetenz ist gerade in Brandenburg bedeutsam angestiegen, so zeigen es die vergleichenden Zahlen von PISA 2000 zu PISA 2006. So legen vor allem die Jugendlichen an Gymnasien, deren Eltern zur so genannten oberen und unteren Dienstklasse gehören, im Gegensatz zu den Schülern, deren Eltern Facharbeiter oder un- und angelernte Arbeiter sind, kräftig zu. Professor Behrmann von der Universität Potsdam spricht in diesem Kontext von einem neuen PISASchock, denn über 30 Prozent der Gesamtschüler sind auf der ersten der sechs Kompetenzstufen anzusiedeln – das reicht kaum über das Grundschulniveau hinaus. Brandenburg ist also gut beraten, wenn es seine Anstrengungen im Bereich Sprachförderung verstärkt. Dazu gehört eine auskömmliche Finanzierung ebenso wie die kontinuierliche Unterstützung der Erzieher durch Qualifizierung und Beratung. Männer gesucht Selbstredend ist das, was wir soeben für die Sprachförderung angemahnt haben, nicht nur auf diese begrenzt. Die Qualität in der frühkindlichen Bildung und Erziehung steht und fällt mit der Ausbildung und dem Engagement unseres Kita-Personals. Wir haben gut ausgebildete und motivierte Erzieherinnen, aber 28

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mehr als jede Dritte ist älter als 51 Jahre. Bis 2010 gehen viele der Frauen in Rente. Ja, Frauen. Denn unter unseren mehr als 11.000 Erzieherinnen und Erziehern in den Kitas finden sich gerade mal 87 Männer, lediglich 12 Männer leiten eine Kita (gegenüber 1.655 Frauen). Die männlichen Bezugspersonen fehlen den Kindern – nicht nur, aber vor allem den Jungen. Oder können Sie sich vorstellen, dass die 55jährige Erzieherin ihre Jungen mit „Give me five“ abklatscht, wenn sie sie morgens in Empfang nimmt? Schon die erste Bildungsetappe produziert Ungerechtigkeiten für Jungen. Leistungsverweigerung, „Zappel-Philipp-Syndrom“, Schulabbruch, geringere Abiturquote sind nur einige der Folgen im späteren Bildungsverlauf. Das Land kann und muss helfen, Männer in den Bildungsbereich zu integrieren. So sind vor allem Projekte wie das Programm des Berliner Instituts für Frühpädagogik und der Arbeitsagentur Cottbus zu unterstützen, arbeitslose Männer in einer zweijährigen Qualifizierungsmaßnahme zu Erziehern auszubilden. Nach einem ersten erfolgreichen Durchlauf für 18 Männer läuft derzeit das zweite Projekt mit 20 Männern und in weiteren Regionen in Brandenburg wird über Nachahmer-Projekte nachgedacht. Steter Tropfen höhlt den Stein. Dänemark hat es geschafft: Mittlerweile arbeiten dort 20 Prozent (männliche) Erzieher.


jutta lieske und manja orlowski – den kinderschuhen entwachsen

Aber nicht nur Männer fehlen. Häufig leidet die pädagogische Arbeit in den Kitas an der fehlenden Zeit für die individuelle Förderung der Kinder, für die Umsetzung der elementaren Grundsätze. Und die Qualität einer Einrichtung kann bis zu einem Jahr Entwicklungsunterschied bei den Kindern im Vorschulalter ausmachen – so der Autor der ersten bundesweiten Studie zur pädagogischen Qualität in Kindertagesstätten, Professor Wolfgang Tietze von der Freien Universität zu Berlin. Mehr Geld für Kitas In Brandenburg betreut eine Fachkraft sieben Zöglinge in der Gruppe der 0- bis 3-Jährigen, bei den über 3-Jährigen betreut sie 13 Kinder. Gerade bei den unter 3-Jährigen ist das Personal oftmals froh, wenn es das „Waschen, Windeln, Füttern“ ohne große Reibungsverluste realisieren kann. An Frühförderung ist da häufig nicht zu denken. Das Versprechen der brandenburgischen Sozialdemokraten, 25 Millionen Euro vor allem für die Kleinsten der Kleinen zu investieren, kommt also genau zum richtigen Zeitpunkt. Die Mittel sollen vor allem für die Verbesserung des Betreuungsschlüssels eingesetzt werden. Wir erwarten uns davon aber auch eine bessere Ausstattung im Bereich der Sprachförderung und der Leitungsfunktionen. Management und Organisation,

das sind Prozesse, die längst nicht mehr nur in Zusammenhang mit der Wirtschaft im Munde geführt werden, sondern auch Einzug in die Bildungsinstitutionen unseres Landes genommen haben. Denn die Arbeit der Kita-Leitung geht weit über das Erstellen von Dienstplänen hinaus. Evaluationen, Anleitungen, Konsultationen, Berichte und vor allem die Arbeit mit den Eltern gehören heute ganz selbstverständlich zu den Anforderungen an eine Kita. Und genau die Arbeit mit den Eltern wird in der Diskussion häufig vernachlässigt. Dabei zeigen Kita-Qualitätsuntersuchungen wie die von Professor Tietze, dass der familiäre Hintergrund für die Bildungsqualität der Kinder besonders entscheidend ist. Demnach bestimmen strukturelle Qualitätsmerkmale, wie die Ausbildung der Erzieher, der Betreuungsschlüssel oder aber die pädagogische Ausrichtung nur zu 50 Prozent die Qualität der Prozesse, also wie das Kind betreut und gefördert wird. Es muss also auch darum gehen, wie die Eltern im Umgang mit ihren Kindern gestärkt werden – und zwar nachhaltig. Neue Hilfen für Eltern Brandenburg hat darauf schon vor drei Jahren mit den „Eltern-Kind-Zentren“ reagiert. Von 2006 bis 2008 wurde die Gründung der ElKiZe (umständliche Abkürzungen scheinen ein beliebtes Instrument der Bildungspolitiker zu perspektive21

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thema – bildung für alle

sein) mit jährlich 400.000 Euro gefördert. Im Kern geht es darum, Eltern und Alleinerziehende in ihrer alltäglichen Erziehungsarbeit zu unterstützen. Sind Eltern überfordert, wissen sie häufig nicht, wo sie Hilfe bekommen oder wen sie ansprechen können. In diesen Zentren sollen die Eltern die Hilfen oder Beratungsmöglichkeiten gebündelt vorfinden. Angefangen bei der Erziehungsberatung bis zu Ansprechpartnern wie Jugendämter, Gesundheitsdienste, Kinderkliniken, Kinderärzte oder Schuldnerberatung. In zwölf Regionen gibt es mittlerweile Eltern-Kind-Zentren und auch bei dieser Form der Familienunterstützung haben sich viele Nachahmer gefunden. Brandenburg ist mit diesem erfolgreichen Modell der Gemeinwesenarbeit – denn nicht mehr und nicht weniger ist ein gutes Eltern-Kind-Zentrum – nicht stehen geblieben. Sozialer Anker für Eltern Im Nachgang des Projekts hat man sich in Brandenburg darauf konzentriert, ein Verbindungsglied zwischen Elternbildung und Kindertagesbetreuung zu konzipieren. Entstanden ist die Idee der „Eltern-Kind-Gruppen“, die in diesem Jahr durch eine Anschubfinanzierung durch das Land etabliert werden sollen. Die Eltern-Kind-Gruppen sind keine Ausgeburt einer wie auch immer gearteten Mode. Will mei30

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nen: Der Leser befindet sich auf dem Holzweg, wenn er diese Form der Familienbildung auf das sprichwörtliche „Prenzlauer-Berg-PastinakenPEkiP-Bioeis-Gefühl“ reduzieren will. Vielmehr soll mit Hilfe dieser Gruppen auf verschiedene Herausforderungen reagiert werden. Eltern sollen angeleitet werden, Eltern sollen nicht ohne soziale Bezüge auskommen müssen – auch wenn sie sich bewusst dafür entscheiden, mit ihren Kindern in den ersten Lebensjahren zu Hause zu bleiben – oder sie keinen Anspruch auf einen Kitaplatz haben, weil sie nicht im klassischen Sinne berufstätig sind. Entwicklungsdefizite sollen mit Hilfe von pädagogischem Fachpersonal frühzeitig erkannt und die Eltern-KindBindung gestärkt werden. Ins Zentrum der Gesellschaft Die Eltern-Kind-Gruppen sind nicht nur für die Kinder sondern auch für die Erwachsenen ein sozialer Anker. Eltern-Kind-Gruppen haben verlässliche Öffnungszeiten und werden damit zu einem Ort der sozialen Begegnung für Eltern und Kinder. Sie bieten pädagogische Aktivität wie zum Beispiel gemeinsames Spielen, Singen und Bilderbücher-Betrachten. Eine ausgebildete Erzieherin steht ihnen dabei zur Seite. Auch diese Form der frühkindlichen Bildung und Erziehung wird in Brandenburg unterstützt. Das Bil-


jutta lieske und manja orlowski – den kinderschuhen entwachsen

dungsministerium hat ein Förderprogramm aufgelegt, mit dem anfangs 18, später hoffentlich mehr Eltern-KindGruppen mit insgesamt 20.000 Euro pro Jahr gefördert werden. Die Reihe der erfolgreichen Maßnahmen, die wir soeben vorgestellt haben, machen nicht nur Mut, sondern sie sind Anlass, mit Stolz zu sagen, dass Brandenburg den Kinderschuhen auf dem Gebiet der frühkindlichen Bildung und Erziehung entwachsen ist. Brandenburg war vielfach Initiator und Vorreiter – für Betreuungsquote, Bildungsstandards, Qualifizierungen und Modellprojekte. Nun-

mehr muss das Land aufpassen, dass es dieses System auch ausreichend finanziert, sonst wird es im bundesweiten Vergleich ins Hintertreffen geraten. Und damit wäre die Chancengleichheit für unsere Landeskinder gefährdet. Der Beschluss des SPD-Landesvorstandes vom 21. Februar 2009 zeigt deutlich, dass die Kinder-, Bildungs- und Familienpolitik den Sozialdemokraten wichtig ist. Dies untermauern sie in einem ersten Schritt mit zusätzlichen 25 Millionen Euro. Damit ist die frühkindliche Bildung und Erziehung genau da angekommen, wo sie hingehört – im Zentrum der Gesellschaftspolitik. ■

JUTTA LIESKE

ist Landtagsabgeordnete aus Brandenburg und jugendpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. DR. MANJA ORLOWSKI ist Referentin der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg. perspektive21

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Wie kommt man zur „Schule für alle“? DIE FÖRDERUNG VON KINDERN MIT SONDERPÄDAGOGISCHEM FÖRDERBEDARF IST EINE BESONDERE HERAUSFORDERUNG VON KARIN SALZBERG-LUDWIG

ie humanistische Idee einer „Schule für alle“ wird mindestens seit der Durchsetzung der Schulpflicht lebhaft diskutiert und führte in der integrationspädagogischen Debatte in Deutschland in den letzten drei Jahrzehnten häufig zu einem kontroversen Schlagabtausch. Allen Diskussionen ist der Grundgedanke zu eigen, Bildungsund Erziehungsprozesse so zu gestalten, dass sich alle Kinder und Jugendlichen zu eigenständigen, selbstbewussten Persönlichkeiten entwickeln können. Schon Wilhelm von Humboldt hob hervor, dass durch Bildung alle Kräfte des Menschen angeregt werden sollen, damit diese sich über die Aneignung der Welt entfalten können und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen. „Humboldts Bildungstheorie eröffnete eine unendliche Fülle gleichwertiger Möglichkeiten. Keiner Individualität sollte eine andere Form aufgezwungen werden als gerade ihr angemessen war.“1

D

1 Herwig Blankertz, Die Geschichte der Pädagogik, Wetzlar 1982

Bildung ist ein komplexer und besonders individueller Prozess, der natürlich nicht nur auf schulische Bildung zu reduzieren ist. Sehr eindrucksvoll stellt Donata Elschenbroich in ihrem Buch „Weltwissen der Siebenjährigen“ dar, wie viel Wissen Kinder sich bis zum Eintritt in die Schule angeeignet haben. Das verleitet mich zu der Behauptung: Alle Kinder wollen lernen und sich dabei auch anstrengen! Alle Kinder wollen, ihren Möglichkeiten entsprechend, gute Leistungen erbringen und das auch erfahren! Alle Kinder wollen, wenn sie erwachsen sind, erfolgreich und selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Freude am Lernen erhalten Dafür müssen sie Bedingungen vorfinden, die die Freude am Lernen ein Leben lang erhalten und gleichermaßen der Individualität jedes Einzelnen entsprechen. Derzeit durchlaufen jedoch nur 64 Prozent der Schüler das deutsche Schulsystem ohne Verzögerung, perspektive21

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acht bis zehn Prozent erlangen keinen Schulabschluss. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Anforderungen und Bedingungen der Schule mit den Lernvoraussetzungen der Kinder und Jugendlichen nicht immer übereinstimmen. Wer also Veränderungen herbeiführen will, muss zuerst die gegenwärtigen Bedingungen analysieren. An dieser Stelle werde ich die Voraussetzungen für Kinder mit einem besonderen pädagogischen Förderbedarf analysieren – zuerst mit einem Blick über die Ländergrenzen hinaus. Dort wollen wir schauen, welche Prioritäten einzelne Länder in der Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen setzen. Nicht ohne mehr Mittel Unter Bildungsexperten herrscht inzwischen weltweit darin Übereinstimmung, „dass die Schulbildung behinderter Schüler nicht ohne für sie zusätzlich zur Verfügung gestellte Mittel erfolgen kann, wenn sie auf einer auch nur annähernd gleichen Basis wie nicht-behinderte Schüler Zugang zum Unterricht erhalten sollen.“2 Wer also die Chancengleichheit für Schüler mit verschiedenen Arten von Lernproblemen untersuchen will, muss die zur Verfügung stehenden Mittel analysieren, um den Bedürfnissen der 2 Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hg.), Bildungspolitische Analyse der OECD, Berlin 2003, S. 8 ff.

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betreffenden Schüler gerecht zu werden. Dazu wurden die internationalen Daten in die länderübergreifenden Kategorien A, B und C aufgeschlüsselt: ■

KATEGORIE A: BEHINDERUNG. Diese

Kategorie bezieht sich auf den Bildungsbedarf von Schülern, bei denen eine weitgehend normative Übereinstimmung besteht, das heißt, sie sind blind oder schwer sehbehindert, taub oder schwerhörig, schwer geistig behindert bzw. mehrfachbehindert. Behinderungen sind medizinisch definiert als organische Störungen, die auf pathologische Befunde zurückzuführen sind. Es liegen also in der Regel eindeutige körperliche Gründe für die Behinderung vor. KATEGORIE B: LERNSCHWIERIGKEITEN. Diese Kategorie bezieht sich auf den Bildungsbedarf von Schülern mit Lernschwierigkeiten, die anscheinend nicht direkt oder primär auf Faktoren zurückzuführen sind, die zu einer Einstufung in den Kategorien A oder C führen. Es handelt sich um Schüler mit Lern- und Verhaltensschwierigkeiten, die ihrem Erscheinungsbild nach nicht eindeutig auf eine organische Ursache und/oder eine soziale Benachteiligung zurückzuführen sind. KATEGORIE C: BENACHTEILIGUNGEN. Diese Kategorie bezieht sich auf den Bildungsbedarf von Schülern, der hauptsächlich auf sozioökonomi-


karin salzberg-ludwig – wie kommt man zur „schule für alle“?

sche, kulturelle und/oder linguistische Faktoren zurückzuführen ist. Es liegt eine Art benachteiligter oder atypischer Hintergrund vor, den das Bildungswesen zu kompensieren anstrebt. Diese Schüler erhalten zusätzliche Bildungsressourcen aufgrund ihres sozialen und/oder sprachlichen Hintergrunds. Eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung von 2003 verdeutlicht, welche Prioritäten in den einzelnen Ländern die Beschulung beeinträchtigter Kinder hat. Die Grafik zeigt, wie viel Prozent der Schüler wegen ihrer Beeinträchtigung zusätzliche Mittel erhalten.

Es ergibt sich ein sehr differenziertes Bild, wobei deutlich zu erkennen ist, dass der finanzielle Rahmen, der zur Förderung behinderter, beeinträchtigter und benachteiligter Kinder und Jugendlicher zur Verfügung gestellt wird, in den einzelnen Ländern weit auseinander geht. Ausgehend von einem Mittelwert von 9,68 Prozent liegen von den 16 Ländern sieben über und neun Länder unter dem Durchschnitt. Zu letzterem gehört auch Deutschland mit einer Quote von 4,4 Prozent. Die größten Differenzen ergeben sich aus den Aufwendungen für Schüler der Kategorien B und C. Einige Länder stellen für diese Schüler gar keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung.

Geförderte Schüler mit Schwierigkeiten 1999 nur Kat. C

19,1

11,2 5,3

6,6

9,2

9,3 6,3

USA

Tschechien

0,1

0,3 Kanada

Frankreich

Großbritannien

1,7

2,0 2,6 Spanien

2,6 0,5 Luxemburg

2,1 Niederlande

Schweden

Schweiz

Deutschland

0

Italien

0,0

1,8

1,7

0,3

1,0

4,4 2,6

6,5

6,9

10

5

11,8 8,3

11,1

15,7

17,1 14,4

16,5 15

Belgien (fläm.)

23,2 19,7

20

Finnland

in % aller Schüler (1999)

25

nur Kat. B

24,9

Kat. A, B und C

Quelle: OECD 2003

perspektive21

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thema – bildung für alle

Die Beschulung der Kinder und Jugendlichen erfolgt sowohl integrativ als auch segregativ. In Spanien, den Vereinigten Staaten, Italien und Kanada werden behinderte Schüler weitgehend in Regelklassen unterrichtet. Andere Länder dagegen bevorzugen spezielle Schulen, wie zum Beispiel Belgien, die Tschechische Republik, Deutschland und die Niederlande. In Frankreich, Finnland und Japan werden die Schüler vor allem in speziellen Klassen in Regelschulen unterrichtet. Die Deutschen sind selektiv Im internationalen Vergleich ist das deutsche Schulsystem demnach sehr selektiv. Die Maßnahmen der Selektion sind vielfältig und beginnen bereits mit der Schulrückstellung, werden durch Nichtversetzen bei schwachen Schulleistungen weitergeführt und differenzieren mit dem Übergang in die höheren Schulformen noch stärker. Kinder, die in ihren Schulleistungen zu weit von der Norm abweichen, werden aus dem allgemeinen Schulsystem gänzlich ausgegliedert. Parallel dazu werden besondere Maßnahmen zur Integration und Förderung angeboten, die dieser Selektion entgegen wirken sollen. Kontrovers wird der Ort der sonderpädagogischen Förderung diskutiert, grundsätzlich wird die sonderpädagogische Förderung jedoch nicht in Frage gestellt. Sie orientiert sich seit den von 36

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der Kultusministerkonferenz 1994 veröffentlichten Empfehlungen zunehmend an dem individuellen Förderbedarf jedes einzelnen Kindes. Ihm soll auf der Basis einer zu schaffenden Chancengleichheit, in der notwendigen Qualität, im erforderlichen Umfang und flexibel entsprochen werden. Es wird hervorgehoben, dass ein sonderpädagogischer Förderbedarf bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen ist, die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule ohne sonderpädagogische Unterstützung nicht hinreichend gefördert werden können. Auf dieser Grundlage erfolgt die Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs. Auf den Anfang kommt es an Die auf Seite 37 stehende Tabelle gibt darüber Auskunft, wie viel Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Sonderschulen oder im integrativen Unterricht bundesweit beschult werden und wie sich die Entwicklung in den letzten Jahren gestaltete. Deutlich wird, dass die Zahl der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf von 1998 bis 2006 kontinuierlich angestiegen ist. Der größte Zuwachs (126 Prozent) ist im Förderschwerpunkt „emotionale und soziale Entwicklung“ zu verzeichnen. Aber auch in den anderen Förderschwerpunkten Sehen (78 Prozent)


karin salzberg-ludwig – wie kommt man zur „schule für alle“?

Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Bundesrepublik Deutschland 1998 in Mio

2006 in Mio

Schüler insgesamt

4,426

5,755

30

Förderschwerpunkt Lernen

2,373

2,673

12

Sonstige Förderschwerpunkte

Zuwachs 1998-2006 in %

2,053

3,082

50

Sehen

0,046

0,082

78

Hören

0,109

0,172

57

Sprache

0,352

0,592

69

Körperlich und motorische Entwicklung

0,226

0,353

56

Geistige Entwicklung

0,671

0,899

34

Emotionale und soziale Entwicklung

0,254

0,573

126

Übergreifend bzw. ohne Zuordnung

0,306

0,291

-5

Kranke

0,090

0,121

34

Quelle: KMK, eigene Berechnungen

und Sprache (69 Prozent) gibt es überdurchschnittliche Zuwächse. Von allen Schülern besuchten im Schuljahr 2005/06 in Deutschland 4,8 Prozent die Sonderschulen. 0,9 Prozent der Schüler lernten an allgemeinen Schulen, das entsprach einer Quote von 15,7 Prozent aller Förderschüler (siehe dazu auch die Abbildung auf Seite 42). In Brandenburg gab es 2006 insgesamt 16.886 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, das sind 6,74 Prozent aller Schüler. Von ihnen wurden 4.565 (oder 25 Prozent) im gemeinsamen Unterricht an allgemeinen Schulen unterrichtet.

In Brandenburg liegt die Anzahl der Schüler insbesondere in den Förderschwerpunkten Lernen (3,6 Prozent), geistige Entwicklung (1,22 Prozent) und emotionale und soziale Entwicklung (0,77 Prozent) über dem Bundesdurchschnitt. Anhand des Vergleichs mit den Zahlen von 1998 wird deutlich, dass auch in Brandenburg die Zahl der Schüler mit Förderbedarf kontinuierlich gewachsen ist, wenngleich der Zuwachs mit 19 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Der größte Zuwachs ist auch hier bei Kindern mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung zu verzeichnen (157 Properspektive21

37


thema – bildung für alle

zent), gefolgt von Kindern mit dem Förderschwerpunkt Sprache (67 Prozent) und geistige Entwicklung (51 Prozent). Auch wenn die Diagnose sonderpädagogischer Förderbedarf erst mit dem Eintritt in die Schule gestellt wird, ist doch davon auszugehen, dass die Beeinträchtigungen bereits im Vorschulalter existierten. Einen Beleg dafür lieferte der vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie des Landes Brandenburg 2007 herausgegebene Report zur sozialen und gesundheitlichen Lage von kleinen Kindern. So diagnostizierten die Kin-

derärzte zum Schuljahr 2004/05 bei den 13.329 untersuchten Kindern bei 3,1 Prozent Sprach- und Sprechstörungen, bei 1,5 Prozent Teilleistungsschwächen, bei 0,8 Prozent Entwicklungsverzögerungen, bei 1,0 Prozent emotionale und soziale Störungen und bei 1,0 Prozent Hörstörungen.3 Das sind überdurchschnittlich hohe Befunde, vergleicht man diese mit den Förderquoten. 3 Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie des Landes Brandenburg (Hg.), Wir lassen kein Kind zurück. Soziale und gesundheitliche Lage von kleinen Kindern im Land Brandenburg, Potsdam 2007

Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Brandenburg Förderschwerpunkt

1998 insgesamt

Anteil in Prozent

2006 insgesamt

13.529

3,78

9.032

3,60

-0,1

Körperliche und motorische Entwicklung

737

0,21

632

0,25

19

Emotionale und soziale Entwicklung

1070

0,30

1.945

0,77

157

Hören

351

0,11

408

0,16

45

1.396

0,39

1631

0,65

67

218

0,06

170

0,06

0

Geistige Entwicklung

2.882

0,81

3.068

1,22

51

Insgesamt

20.183

5,64

16.886

6,74

19

Lernen

Sprache Sehen

Quelle: LDS, MBJS

38

märz 2009 – heft 40

Anteil Veränderung in Prozent 1998-2006 in %


karin salzberg-ludwig – wie kommt man zur „schule für alle“?

Ein Vergleich der sozialen Lage mit dem Gesundheitszustand zeigt, dass Schulanfänger aus sozial benachteiligten Familien weniger gesund sind und mehr Beeinträchtigungen und Störungen aufweisen. Besonders auffällig sind die Unterschiede bei den Diagnosen Sprachstörungen, Beeinträchtigungen der geistigen Entwicklung, psychomotorische Störungen und andere psychiatrische Erkrankungen. Die Untersuchungen zeigen, dass Kinder aus Familien mit niedrigem sozialen Status dreimal häufiger frühförderrelevante Befunde haben als Kinder aus Familien mit

einem hohen Status. Damit ist absehbar, dass diese Kinder deutlich ungünstigere Startchancen in der Schule haben. Besorgniserregend ist, dass die Befunde mit Relevanz für die Frühförderung zur Einschulungsuntersuchung 2004/05 stark angestiegen sind. 17 Prozent der Einschüler hatten frühförderrelevante Befunde. Bei der Hälfte der Kinder hatten diese Befunde den Charakter einer Erstdiagnose. Damit haben diese Kinder das optimale Förder- und Behandlungsalter weit überschritten. Diese Entwicklung zeigt sich auch anhand der Zahlen zu Schulrückstellungen.

Einschulungen im Land Brandenburg 2000/01

in Prozent

2006/07

Grundschulen

12.642

18.699

fristgemäß

11.412

15.447

vorzeitig

401

verspätet

829

Förderschulen

448

348

fristgemäß

203

157

vorzeitig verspätet

538 6,5

1 244

2.714

188

14.686

20.463

fristgemäß

13.052

16.743

450

582

verspätet

1.184

14,5

3 54

Insgesamt vorzeitig

in Prozent

8

3.138

54

15

Quelle: MBJS, LDS

perspektive21

39


thema – bildung für alle

Bislang gibt es in Brandenburg keine verbindliche Förderung nach der Rückstellung, denn im Schulgesetz wird in § 51 festgehalten: „Bei einer Zurückstellung vom Schulbesuch soll eine anderweitige Förderung, insbesondere durch den Besuch einer Kindertagesstätte oder durch rehabilitative Frühförderung, gewährleistet sein.“ Damit ist Brandenburg das einzige Bundesland, welches keine verbindlichen Einrichtungen der Frühförderung nach Rückstellung (z. B. Vorklassen, Förderklassen oder Schulkindergärten) vorhält und somit unter ungünstigen Umständen wertvolle Zeit für eine individuelle Förderung verstreichen lässt. Besonders betroffen sind Kinder mit einem schwierigen sozialen Umfeld, die wenig Unterstützung bekommen und in der Gesellschaft keine Lobby haben. Eine soziale Frage Soziologischen Untersuchungen zufolge sind Behinderungen im gesellschaftlichen Kontext ungleich verteilt. Mit sinkender sozialer Schichtzugehörigkeit nimmt das Risiko, behindert zu werden, zu. Dieses Phänomen tritt bei Schülern, die den Anforderungen des Regelschulsystems nicht entsprechen können, besonders deutlich hervor. „Mehrere Längsschnittstudien zur kindlichen Entwicklung haben sehr eindrücklich nachgewie40

märz 2009 – heft 40

sen, wie die Kumulation von psychosozialen Risikofaktoren mit erheblichen und dauerhaften Beeinträchtigungen der kindlichen Entwicklung verbunden ist.“4 Zur Erfassung der Lebensbedingungen behinderter Schüler gibt es wenige Untersuchungen. Eine Brandenburger Studie zur Lebenssituation lernbeeinträchtigter Schüler aus dem Jahre 19975 bestätigt die von Gerhard Klein ebenfalls 1997 erfassten Daten aus BadenWürttemberg. Demnach wächst der überwiegende Teil der lernbeeinträchtigten Förderschüler unter Bedingungen mit hohen psychosozialen Risikofaktoren auf. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass 80 bis 90 Prozent der lernbeeinträchtigten Schüler aus sozial schwachen Verhältnissen kommen. Die sich vergrößernde Kinderarmut wird das Problem also in den kommenden Jahren noch verschärfen. In jeder Gesellschaft gab und gibt es Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen. Das Schulsystem muss sich also darauf einstellen, dass es immer Kinder geben wird, die besonderer Hilfe bedürfen. Diese bereitzustellen, muss Grundanliegen einer humanistischen Gesellschaft sein. Um sicherzustellen, 4 Gerhard Klein, Sozialer Hintergrund und Schullaufbahn; in: Zeitschrift für Heilpädagogik, 2 (2001), S. 51-61 5 Gerda Siepmann, Belastungsfaktoren lernbehinderter Schülerinnen und Schüler im Land Brandenburg und Schlussfolgerungen für eine vorschulische Förderung; in: dies. (Hg.), Frühförderung im Vorschulbereich, Frankfurt am Main 2000


karin salzberg-ludwig – wie kommt man zur „schule für alle“?

dass diese Hilfe auf der Grundlage fachlicher Standards auch tatsächlich erfolgt, müssen Handlungskonzepte zur Verfügung gestellt werden, die die realen Gegebenheiten berücksichtigen. Aus sonderpädagogischer Sicht sind in den kommenden Jahren im Bildungssektor Schwerpunkte zu setzen, die sich an dem übergreifenden Ziel aller sonderpädagogischen Bemühungen orientieren: individuell angepasste Hilfe zur Selbsthilfe in größtmöglicher Autonomie und bei größtmöglicher Partizipation für Behinderte bzw. von Behinderung bedrohte Menschen.6 Mehr individuelle Förderung Schwerpunkte der individuellen sonderpädagogischen Förderung sind zum einen die Sicherung des Lernerfolgs im allgemein bildenden Kerncurriculum durch didaktisch und methodisch angepasste Inhalte und begleitender Förderunterricht. Zum anderen geht es um die Ergänzung des Kerncurriculums der Allgemeinen Schulen durch spezifische und individuell angepasste Inhalte. So werden beispielsweise kompensatorisch substituierende Qualifikationen vermittelt, wenn blinde Menschen statt der Schwarzschrift die Punktschrift erlernen. Kompensatorisch ergänzende Qualifikationen werden 6 Siehe dazu die Standards der sonderpädagogischen Förderung, veröffentlicht 2008 in der „Zeitschrift für Heilpädagogik“

vermittelt, wenn blinde oder sehbehinderte Menschen ein Mobilitätstraining erhalten oder bei schwerhörigen die Gebärdensprache unterrichtet wird. Ein zentrales Element der Qualitätssicherung sonderpädagogischer Förderung ist der individuelle Förderplan, der festlegt, welche Fördermaßnahmen für das Kind unabdingbar sind. Auf dieser Grundlage kann man entscheiden, wo die Förderung erfolgen kann. Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen im Lern- und Leistungsverhalten sind in ihrem Alltag oft mit ungünstigen und belastenden Lebenssituationen konfrontiert. Für sie müssen Unterstützungssysteme geschaffen werden, die den Kindern und Jugendlichen auch außerhalb von schulischem Unterricht zur Verfügung stehen. Dazu zählen neben einer systematischen Frühförderung auch therapeutische und beratende Angebote für Kinder und Eltern, die besonderen psychosozialen Belastungen ausgesetzt sind. Der Vergleich mit dem PISA-Sieger Finnland macht deutlich, was dort anders gemacht wird. Zunächst einmal fällt auf, dass in Finnland wesentlich mehr Schüler eine zusätzliche Förderung erhalten. In Finnland erhalten alle Schüler mit Lernschwierigkeiten (Kategorie B), die in Deutschland gar nicht in das Tätigkeitsfeld von Sonderpädagogen fallen, neben dem regulären Unterricht in ihrer Schule den sogeperspektive21

41


thema – bildung für alle

Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Deutschland und Finnland Deutschland

Finnland 5,8%

Anteil an allen Schülern

Schüler in Spezialschulen

Schüler in Spezialklassen oder Gruppen an Regelschulen

ambulanter Sonderunterricht

28,7%

4,8% 1,5%

0,9% 6,2%

0% 21,0%

Quelle: KMK 2008, eigenes Material

nannten „Ambulanten Sonderunterricht“ (21 Prozent der Schüler). Diese Kinder sind nicht offiziell als „behindert“ diagnostiziert. Sie haben Probleme in den Kulturtechniken oder einigen Fächern. Um diese zu kompensieren, bekommen sie für zwei bis vier Stunden wöchentlich eine besondere Förderung, je nach Bedarf durchgehend oder nur für eine gewisse Zeit und individuell auf jedes einzelne Kind zugeschnitten. Kinder mit schwerwiegenden und langandauernden Lern- und/oder Verhaltensproblemen werden vorrangig in 42

märz 2009 – heft 40

speziellen Klassen nach einem individuellen Entwicklungsplan an den Regelschulen unterrichtet. Sie sind trotzdem Mitglied einer Regelschulklasse, um ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben der Schule nicht einzuschränken. In Sonderschulen werden in Finnland die Kinder unterrichtet (1,5 Prozent), die ein Unterstützungssystem benötigen, das die Regelschule nicht zur Verfügung stellen kann. Diese Sonderschulen verstehen sich gleichermaßen als Kompetenzzentren. So gibt es beispielsweise in Finnland nur eine (!) Schule für blinde und sehbehinderte Kinder, die ihre Kompetenzen durch Schulungen oder auch unterstützende Diagnostik weitergibt. Es gibt natürlich auch in Deutschland Schüler, die im Verlauf ihres Schulbesuchs Schwierigkeiten haben. Dazu zählen zehn bis zwanzig Prozent eines Jahrgangs. Bislang stehen für diese Kinder im sonderpädagogischen Fördersystem in Deutschland sehr wenige zusätzliche Mittel zur Verfügung. Die allgemeinen Schulen können aus sich heraus die an sie gestellten Herausforderungen im Hinblick auf eine differenzierte Förderung aller Schüler nicht bewältigen. Deshalb sind flexible und durchlässige Strukturen erforderlich, die eine Förderung in einer kleinen separaten Gruppe ebenso vorsehen wie kooperative und inklusive Angebote. Das erfordert einen Perspektivenwechsel im gesamten Schulsystem.


karin salzberg-ludwig – wie kommt man zur „schule für alle“?

Denn nur durch eine generelle Reform des Schulsystems können auch die Förderbedürfnisse behinderter Kinder zum Grundanliegen der allgemeinen Pädagogik werden. Bislang wird den Sonderschulen häufig „vorgeworfen“, sie seien an der Segregation der Kinder schuld. In aller Regel ist es aber so, dass Sonderpädagogen erst auf Anfrage hin tätig werden. Die Überwindung der Segregation kann nur dann gelingen, wenn in den allgemeinbildenden Schulen Heterogenität als Chance begriffen und Integration als ethische und nicht bloß als schulorganisatorische Kategorie verstanden wird. Das bedeutet nicht, dass es im Ergebnis der integrativen Beschulung keine behinderten Kinder mehr gibt. Es wird auch in einem solchen System immer Kinder und Jugendliche geben, die die Anforderungen des Kerncurriculums nicht erfüllen können und einen Abschluss auf der Grundlage ihres Förderschwerpunktes erhalten (Lernen oder geistige Entwicklung). Das bedeutet auch nicht, dass es kurzfristig keine Förderschulen mehr geben wird. Solange die Bedingungen an den Regelschulen eine angemessene Förderung nicht in jedem Fall zulassen, müssen Alternativen vorhanden sein.

haben. Sie brauchen besondere Unterstützung. Zwei bis vier Prozent der Schüler benötigen langfristig und umfassend sonderpädagogische Fördermaßnahmen. Um die Lust am Lernen zu erhalten,

Schule anders machen

Um dem gerecht zu werden und schrittweise eine inklusive Beschulung aller Kinder zu erreichen, braucht es grundlegende Veränderungen im Schulsystem. Sie müssen von der Gesellschaft

Auch in Zukunft werden 10 bis 20 Prozent der Schüler zeitweilig und partiell Schwierigkeiten im schulischen Lernen

ist sicherzustellen, dass alle Kinder und Jugendlichen, die eine besondere Förderung benötigen, diese auch erhalten, muss die Förderung so früh wie möglich beginnen, systematisch erfolgen und dem speziellen Anspruch jedes Kindes gerecht werden, muss sich die sonderpädagogische Förderung an der Bedürfnislage des Kindes oder des Jugendlichen orientieren. Daraus wird abgeleitet, welcher Ort die besten Voraussetzungen für die Förderung des Kindes oder Jugendlichen bietet (Sonderschulen, Sonderklassen und Regelklassen). müssen die schulischen Angebote flexibel und durchlässig sein, müssen speziell ausgebildete Sonderpädagogen und Regelschullehrer zur Verfügung stehen, müssen Kinder und Jugendliche in schwierigen Lern- und Lebenslagen besondere Unterstützung erhalten.

perspektive21

43


thema – bildung für alle

mitgetragen werden. Denn alle Anstrengungen in der Schule sind vergebens, wenn sich die außerschulischen Bedingungen nicht ändern. Mit diesen Veränderungen geht eine Neugestaltung der Tätigkeit von Sonderpädagogen und Regelschullehrern einher. Sonderpädagogen werden häufiger in Regelschulen tätig sein und Regelschullehrer müssen sich mehr denn je dem Phänomen von Behinderung und Beeinträchtigung stellen. Das erfordert ein Umdenken bei allen Pädagogen und in allen Schulstufen. Dafür müssen Handlungskonzepte entwickelt werden und den Pädagogen zur Verfügung stehen und darauf müssen sich die Universitäten in der Lehrerausbildung einstellen. In Brandenburg ist es deshalb dringend erforderlich,

den Schulen Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie für innovative Konzepte benötigen und eigenverantwortlich einsetzen, sicherzustellen, dass an den Schulen gut ausgebildete Pädagogen und Sonderpädagogen eingesetzt werden (derzeit stehen behinderten Schülern nur annähernd 50 Prozent der benötigten Sonderpädagogen zur Verfügung), im „Potsdamer Modell“ der Lehrerbildung Inhalte zu installieren, die zukünftige Lehrer befähigen, auf Lern-, Leistungs- und Verhaltensprobleme ihrer Schüler angemessen zu reagieren und die Ausbildung von Sonderpädagogen an der Potsdamer Universität aufzubauen und diese dem veränderten Tätigkeitsbild anzupassen. ■

Literatur zum Weiterlesen: Gabriele Bellenberg/Gertrud Hovestadt/Klaus Klemm, Selektivität und Durchlässigkeit im allgemein bildenden Schulsystem. Rechtliche Regelungen und Daten unter besonderer Berücksichtigung der Gleichwertigkeit von Abschlüssen, Essen 2004 Helmut Breuer/Maria Weuffen, Lernschwierigkeiten am Schulanfang. Schuleingangsdiagnostik zur Früherkennung und Frühförderung, Weinheim/Basel 1999 Günther Cloerkes, Soziologie der Behinderten. Heidelberg 1997 Gerhard W. Lauth/Matthias Grünke/ Joachim C. Brunstein (Hg.), Interventionen bei Lernstörungen. Förderung, Training und Therapie in der Praxis, Göttingen et.al. 2004

Karin Salzberg-Ludwig/Birgit Tyziak, Wie flexibel muss die Flexible Eingangsphase sein, um allen Kindern gerecht zu werden?; in: Verband Sonderpädagogik e.V. (Hg.): Fit fürs Lernen! Erziehung und Unterricht für Kinder mit dem Förderschwerpunkt Lernen in der Primarstufe, Würzburg 2005 Ulrich Schröder, Lernbehindertenpädagogik. Grundlagen und Perspektiven sonderpädagogischer Lernhilfe, Stuttgart 2000 Rolf Werning/Birgit Lütje-Klose, Einführung in die Lernbehindertenpädagogik, München/Basel 2003 Hans Weiß, Frühförderung mit Kindern und Familien in Armutslagen, München/Basel 2000

DR. KARIN SALZBERG-LUDWIG vetritt an der Universität Potsdam derzeit die Professur für sonderpädagogische Kompetenz und ist Landesvorsitzende des Verbandes Sonderpädagogik in Brandenburg.

44

märz 2009 – heft 40


Sicher ist nur die Veränderung ZUR ZUKUNFT DER DUALEN AUSBILDUNG UND DER BERUFSSCHULE VON THOMAS MICHAELIS

ie duale Ausbildung in Form der Zusammenarbeit des Ausbildungsbetriebes für den berufspraktischen Teil und der Berufsschule für den theoretischen Teil ist die vorherrschende Form der Berufsausbildung in Deutschland. So sind von den 50.000 Brandenburger Auszubildenden ca. 66 Prozent der Schülerinnen und Schüler im berufsbildenden System. Deutschland ist in Europa mit diesem System eine Ausnahme. In den meisten europäischen Staaten dominiert die staatliche vollzeitschulische Berufsausbildung mit einem anschließenden Wechsel in eine betriebliche Tätigkeit, eine betriebliche oder weiterführende Qualifizierung. Die Empfehlungen und Reformmodelle für die duale Ausbildung reichen von den Tarifpartner DIHK1 und IG Metall2 über Ministerien3 und Stiftungen4 bis hin zu Verbänden5. In diesem Beitrag sollen einige Kernpunkte dieser differenzierten Diskussion skizziert werden. Das System der dualen Ausbildung unterliegt in seiner Entwicklung, nach

D

Branchen und Regionen differenziert, den volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Konjunktur, Rationalisierung und Globalisierung genauso so wie der demografischen Entwicklung. Flexibel wie ein Supertanker Diese Rahmenbedingungen wirken sich auf die Entwicklung der Berufe und deren Anforderungen an die Flexibilität einerseits und fachliche Qualifikation bzw. Spezialisierung andererseits aus. Das Bundesinstitut für Berufliche Bildung und das Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit geben einen Überblick über ca. 360 Ausbildungsberufe in 93 Berufsgruppen und 52 Berufsfeldern. Dieses System gleicht in der Fähigkeit und Ge1 DIHK, Dual mit Wahl. Ein Modell der IHK-Organisation zur Reform der betrieblichen Ausbildung, 2007 2 IG Metall, Unser Projekt europäischer Kernberufe. Leitlinien für die Gestaltung von Berufen, 2007 3 BMBF, Innovationskreis des BMBF. 10 Leitlinien zur Modernisierung der beruflichen Bildung, 2007 4 Bertelsmann Stiftung, Die Berufsausbildung in der Wissensgesellschaft – eine Standortbestimmung, 2007 5 VLW Bundesverband, Wegpunkte zur Weiterentwicklung der Beruflichen Bildung, 2006

perspektive21

45


thema – bildung für alle

schwindigkeit zu notwendigen Richtungsänderungen einem Supertanker. Die Auszubildenden sollen eine hohe berufsfachliche Spezialisierung erfahren, wie zum Beispiel beim Speiseeishersteller oder der Automatenfachkraft, aber gleichzeitig flexibel und breit einsetzbar sein, wie der Beruf des Mechatronikers bereits in der Bezeichnung andeutet. Diese eher widerstreitenden Anforderungen weisen auf einen ersten Entwicklungsprozess hin. Das Berufsprinzip bleibt zentral und wird sogar gestärkt. Es wird eine Entwicklung hin zu Kernberufen oder Berufsgruppen geben, die eine breite Grundlage an Kernkompetenzen und Qualität bieten. Darauf aufbauend werden Module und Erweiterungsmöglichkeiten die notwendige, zum Teil auch sehr betriebsorientierte, Spezialisierung eröffnen und sichern. Diese Entwicklung korrespondiert eng mit dem zweiten Entwicklungsprozess: der Verbesserung der Vergleichbarkeit von Abschlüssen und Qualifikationen im Rahmen der Europäischen Union. Im Studienbereich wurde mit den international bekannten Bachelor- und Masterstudiengängen eine europäische Vergleichbarkeit geschaffen. Nun werden durch einen Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) auf der Grundlage eines Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) die deutschen Abschlüsse anhand von acht Niveaustufen mit den 46

märz 2009 – heft 40

beruflichen Qualifikationen in Europa durch eine entsprechende Zuordnung vergleichbar gemacht. Ein schwieriger politischer Prozess, der in seiner Tragweite noch nicht überall erkannt wurde. Mittels einer Vergabe von Leistungs-/(Credit-)punkten können formale und informelle Lernergebnisse von lizensierten Stellen anerkannt werden, um ggf. eine höhere Niveaustufe zu erreichen. Hier liegt ein hohes Diskussionspotenzial, da die Konsequenzen für das duale System und die Berufsschule noch nicht vollständig absehbar sind. Eine Flexibilisierung und Modularisierung mit dem Ziel der erhöhten Durchlässigkeit ist diesem DQR bzw. EQR immanent. Ohne Abitur studieren Diese Entwicklung leitet zum dritten Entwicklungsprozess über. Aus gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Gründen gewinnen die Verbesserung der Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit von Abschlüssen der Berufsausbildung zum Hochschulstudium sowie ein erfolgreiches Schnittstellenmanagement zunehmend an Bedeutung. Rückläufige Schülerzahlen bei steigendem Fachkräftebedarf und das Ziel eines höheren Akademisierungsgrades fordern die effiziente Nutzung von Ressourcen. Dies wird möglich, indem Leistungen der Berufsausbildung zum Studium anerkannt werden. Dies


thomas michaelis – sicher ist nur die veränderung

würde begabten jungen Menschen mit Berufsausbildung, aber ohne Abitur, den Weg zur Hochschule eröffnen. Es wird eine Schlüsselfunktion für die Berufsschulen, Angebote zu unterbreiten, die studienqualifizierend in die Berufsausbildung integriert werden können. Gleichzeitig benötigt der Arbeitsmarkt weiter qualifizierte bzw. benachteiligte Jugendliche, die über Zusatzangebote an die Anforderungen der Berufsausbildung herangeführt werden müssen. Im Verlauf der Berufsausbildung unterstützt die Berufsschule über die formalen Inhalte hinaus ihre Schüler, um ihnen gemeinsam mit dem Ausbildungsbetrieb einen erfolgreichen Abschluss und Einstieg in das Arbeitsleben zu sichern. Ähnliches war bereits im Brandenburger Ausbildungskonsens zwischen Landesregierung und Wirtschaft verabredet. Selbstständige Berufsschulen Insgesamt ist festzuhalten, dass den komplexen und sehr differenzierten, teilweise widersprüchlichen Erwartungen an das berufliche Ausbildungssystem in Deutschland durch entsprechend differenzierte Veränderungen in den rechtlichen Rahmenbedingungen und entsprechende Ressourcen begegnet werden muss. Dazu gehört die Selbstständigkeit der Berufsschulen, die kontinuierliche Modernisierung

der technischen Ausstattung, die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Kollegien, um die Gleichwertigkeit im dualen System zu gewährleisten. Schülerzahlen gehen zurück Der schulische Teil der Berufsausbildung im dualen System erfolgt in Brandenburg in den 28 Oberstufenzentren des Landes. Rund 50.000 Auszubildende von den insgesamt etwa 65.000 Schülern im System der beruflichen Bildung werden von 2.700 Lehrkräften unterrichtet. Die Oberstufenzentren bieten mit ihrer Konzentration unterschiedlichster Bildungsgänge in teilzeit- und vollzeitschulischer Organisation von der Förderung benachteiligter Schüler über die Berufsschule und Berufsfachschule bis zur Fachschule, Fachoberschule und dem Beruflichen Gymnasium ein Spektrum, das grundsätzlich den bereits skizzierten Entwicklungen der Anschlussfähigkeit und Durchlässigkeit zur Höherqualifizierung entgegenkommt. Das Land und die Schulträger – Landkreise bzw. kreisfreie Städte – sanierten und modernisierten in den letzten 15 Jahren die Oberstufenzentren mit sehr großem Engagement. Damit ist ein im Bundesvergleich hoher Standard in der sächlichen und technischen Ausstattung erreicht. Die Entwicklung der dualen Ausbildung in Brandenburg muss man stärker als in der bundesdeutschen Persperspektive21

47


thema – bildung für alle

pektive vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklungen, regionalen Wirtschaftsstrukturen und konjunkturellen Entwicklung betrachten. Zusätzlich ist eine Differenzierung zwischen dem Berliner Umland und den ländlichen Regionen nötig. Erstmals freie Lehrstellen Der Tiefpunkt der Schülerzahlen wird die Oberstufenzentren im Schuljahr 2012/ 2013 mit jeweils regionalen Unterschieden erreichen. Der Rückgang wird zunächst weniger deutlich ausfallen als in den allgemeinbildenden Schulen, da sich die Verweildauer in den Oberstufenzentren verlängert. Dies kann durch eine Höherqualifizierung geschehen, wenn so genannte Altbewerber nach dem Wehrdienst oder nach einer Elternzeit in eine Ausbildung gehen, Auszubildende einen höherwertigen Schulabschluss anstreben oder Schüler mit besonderem Förderbedarf nach einer Berufsvorbereitungsphase und Praktika in die duale Ausbildung wechseln. Mit Beginn des Ausbildungsjahres 2008/ 2009 konnten erstmals seit Jahren des Bewerberüberhanges Ausbildungsstellen nicht besetzt werden. Zwei Hauptgründe wurden von den Ausbildungsbetrieben angeführt. In einigen Fällen lagen keine ernsten Bewerbungen vor. Das traf teilweise Handwerksberufe, deren Anforde48

märz 2009 – heft 40

rungsprofil oder Belastungen, Image oder Entlohnung vielen Schülern nicht attraktiv genug erscheinen. Häufiger entsprachen die schulischen Leistungen sowie die personale und soziale Kompetenz der vorliegenden Bewerber nicht den Erwartungen und Ansprüchen der Ausbildungsbetriebe. Besser qualifizierte junge Leute beginnen möglicherweise ein Studium, bewerben sich in Branchen oder Berufen mit besserem Image sowie höheren Gehalts- und Aufstiegsmöglichkeiten. In den ländlichen Regionen ist diese Entscheidung noch mit einem Wegzug aus der Region verbunden, da die jungen Leute in der Heimatregion keine persönlichen Entwicklungschancen sehen. Langfristig ist dies ein volkswirtschaftliches Problem, was mittlerweile durch ein besseres Schnittstellenmanagement Schule – Ausbildung – Studium bearbeitet wird. Dazu können die Phasen der Ausbildungsfähigkeit, der Berufsorientierung, der Berufswahl und Ausbildung sowie der Weiterbildung betrachtet werden (wobei das Letztere nicht das lebenslange Lernen im Berufsleben sondern einer direkten Zusatzqualifikation meint). Die Vermittlung von Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen findet zunächst in der Allgemeinbildung statt und soll die Grundlage legen, eine Ausbildung erfolgreich zu absolvieren. Die Bedeutung des Elternhauses, des sozialen Umfeldes und der Peer-Group ist dabei als sehr hoch einzuschätzen. In


thomas michaelis – sicher ist nur die veränderung

dieser Zeit geben Praktika kleine Einblicke in die Berufswelt und den Arbeitsalltag. Häufig wird die Effektivität der Praktika allerdings überschätzt. Bessere Förderung für alle nötig In den Phasen der Berufsorientierung und Berufswahl können die Oberstufenzentren mit vielfältigen Angeboten in enger Kooperation mit Ausbildungsbetrieben eine größere Hilfestellung geben. Die Partner der dualen Ausbildung stellen in vielfältiger Form (Projekttage im OSZ, Betriebsbesichtigungen, Ausbildungsbörsen, Schnupperunterricht) gemeinsam die Vielfalt und Anforderungen der Berufe dar. Mit dem „Netzwerk Schule-Wirtschaft“ sind Grundlagen gelegt und gute Erfahrungen gemacht worden. Die berufliche Bildung beginnt bereits vor dem ersten Ausbildungstag und soll helfen, Abbrecherquoten aufgrund falscher Entscheidungen zu reduzieren. In der Ausbildungsphase sind Formen der Förderung besonderer Begabungen wichtig. Dies gilt für sehr talentierte und motivierte Schüler, denen zusätzliche Angebote gemacht werden. Diese können zertifiziert und als Zusatzmodul später, zum Beispiel in einem Studium oder einer Weiterbildung, angerechnet werden. Gleichermaßen ist die Förderung von benachteiligten oder lernschwächeren Schülern während der Ausbildung

durch die Berufsschulen für den Prüfungserfolg, aber mehr noch für den Erfolg im Berufsleben notwendig. Die Wirtschaft benötigt Fachkräfte und die schwächeren Schüler sind ein Potential, das genutzt werden muss. Die Förderung unterschiedlich ausgeprägter Begabungen kostet Ressourcen, ist aber eine wichtige Zukunftsinvestition. Eine Integration einer Höherqualifizierung oder die Anrechenbarkeit von theoretischen Leistungen in der Berufsausbildung in einer Anschlussqualifizierung eröffnet jungen Leuten eine weitergehende Perspektive und bindet sie möglicherweise auch in der Region. Voraussetzung wäre aber die Gleichwertigkeit von beruflicher und schulischer Ausbildung, die teilweise durch den Qualitätsrahmen und ein Punktesystem erreicht wird. Geförderte Strukturen Der Rückgang der Schülerzahlen erfordert in Brandenburgs Regionen und Oberstufenzentren eine Modifikation der Klassenbildung. Sie ist angesichts knapper Ressourcen mit einer Mindestzahl der angemeldeten Auszubildenden in den jeweiligen Berufen verknüpft. Das führte und führt zunehmend zu einer Konzentration der Berufe und Ausdünnung des Angebotes in den Regionen. Gewachsene Strukturen der Zusammenarbeit, wie sie das duale System erfordert und die durch die perspektive21

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thema – bildung für alle

rechtlichen Rahmenbedingungen festgelegt sind, werden durch einen Konzentrationsprozess gefährdet. Mehr gemeinsamer Unterricht Zukünftig werden ähnliche Berufe oder Berufsgruppen im berufsübergreifenden allgemeinbildenden Unterricht und in gemeinsamen berufsbezogenen Lernfeldern gemeinsam unterrichtet. Mit dieser Flexibilität in der Unterrichtsorganisation eröffnen sich mehrere pädagogische, organisatorische und strukturelle Möglichkeiten. Berufe und Auszubildende, die unter den Bedingungen der berufsscharfen Klassenbildung die Region verlassen müssten, können in der Region den schulischen Teil der Ausbildung absolvieren. Gleichzeitig bleibt die enge, auch persönliche, Kooperation mit dem Ausbildungsbetrieb erhalten. In den Berufsschulen können gemeinsame Klassen gebildet werden, Ressourcen gespart und gleichzeitig ein vielfältiges Angebot der regionalen Wirtschaft angeboten werden. Auszubildende aus affinen, aber unterschiedlichen Berufen, erhalten zunehmend die Möglichkeit des Erfahrungsaustausches und erweitern ihre Perspektiven hin zu ähnlichen Berufen und deren Anforderungen und Erfahrungen. Eine Spezialisierung zur Erhaltung der Qualität erfolgt ab dem letzten Ausbildungsjahr, soweit dies entsprechend den Rahmenplänen und Prüfungen erforderlich ist. 50

märz 2009 – heft 40

Mit dieser Maßnahme kommt das Land der Entwicklung von Kernberufen vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und den vorhandenen Ressourcen nach. Eine Entwicklung, die angesichts der 360 Ausbildungsberufe in Deutschland sinnvoll sein wird. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass der Fachkräftemangel auch die Schulen treffen wird. Der Altersdurchschnitt der Lehrkräfte in berufsbezogenen Fächern erfordert dringend die Gewinnung und Ausbildung des Nachwuchses für das Lehramt an berufsbildenden Schulen. Teilhabe und Chancengleichheit Selbstbewusstsein und Identität des Menschen definieren sich über die Selbstwirksamkeit seines Handelns, die individuelle Unabhängigkeit sowie ein sinnvoll und befriedigend strukturiertes Leben in einem sozialen Kontext mit entsprechender gesellschaftlicher Anerkennung. Dabei spielt die qualifizierte Berufsarbeit eine wesentliche Rolle. Die Befähigung zu einer Berufsausbildung und die erfolgreiche Berufsausbildung mit entsprechender Zukunftsperspektive verringern gesellschaftliche Ausgrenzung und Frustrationspotentiale und motivieren zur Teilhabe. Gesellschaftliche Chancengleichheit erhöht sich mit der dualen Ausbildung verbunden mit entsprechender formaler Anerkennung und


thomas michaelis – sicher ist nur die veränderung

einer großen Durchlässigkeit zu höheren Abschlüssen und Bildungsgängen. Die gesellschaftspolitische Dimension dieser zugegeben sehr verkürzten Darstellung der Zusammenhänge ist offensichtlich. Eine qualifizierte Berufsausbildung reduziert die Gefahr längerfristiger Arbeitslosigkeit um ein Vielfaches. Diese Feststellung wird regelmäßig durch die Erhebungen der Bundesagentur für Arbeit bestätigt. Eine Berufsausbildung erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit von Qualifizierungsmaßnahmen. Damit werden letztlich die Sozialkassen erheblich entlastet.

Die Volkswirtschaft Brandenburgs ist – wie die gesamte Bundesrepublik – auf eine qualifizierte Berufsausbildung und Berufsarbeit angewiesen. Es ist eine Ressource für das Handwerk, den Dienstleistungsbereich, Handel und Industrie. Ebenso stellt der erarbeitete Lebensunterhalt die binnenwirtschaftliche Kaufkraft dar, durch die ebenjene Wirtschaftsbereiche regional finanziert werden. Die Berufsschule und die berufliche Ausbildung werden deshalb auch in Zukunft wichtige Bestandteile des deutschen Bildungssystems sein. Entscheidend dafür ist ihre Fähigkeit zur Veränderung. ■

THOMAS MICHAELIS

ist stellvertretender Schulleiter des Oberstufenzentrums Ostprignitz-Ruppin und Landesvorsitzender des Verbandes der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen. perspektive21

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Studium lohnt! WIE DIE BRANDENBURGER HOCHSCHULEN SCHÜLERN MEHR LUST AUFS STUDIUM MACHEN VON SABINA BIEBER, CHRISTIAN MÖDEBECK UND ROBERT MEILE

u wenige Schulabsolventen in der Mark gehen den Weg einer Studienaufnahme und lassen hierdurch wichtige persönliche Lebenschancen verstreichen. Für diese Entwicklung sind im Wesentlichen zwei Faktoren verantwortlich: die starke Abwanderung Studienberechtigter und die geringe Quote beim Übergang von Schule zu Hochschule. Wir wollen hier die Ursachen und Folgen dieser Entwicklung analysieren und das Projekt „Studium lohnt!“ vorstellen. Dazu kooperieren acht Brandenburger Hochschulen, um die Abwanderung junger Qualifizierter zu vermindern und die Studierneigung in Brandenburg zu erhöhen. Während der dreijährigen Projektlaufzeit werden an allen zur Hochschulreife führenden Schulen im Land Brandenburg Maßnahmen zur Studienorientierung etabliert. Es gehört zur gesellschaftlichen und politischen Realität des letzten Jahrzehnts, dass die neuen Bundesländer massiv Studienberechtigte an die alten Bundesländer verlieren. Besonders stark trifft dieser Abwanderungsprozess

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das größte Flächenland der neuen Bundesländer, Brandenburg. Es weist den mit deutlichem Abstand größten negativen Wanderungssaldo der neuen Länder auf und verlor, allein im Wintersemester 2006/07 etwa 16.600 Hochschulzugangsberechtigte an andere Bundesländer, vor allem an die in seinem Zentrum liegende Bundeshauptstadt Berlin. Zu wenig Abiturienten studieren Zur Untersuchung des zweiten Faktors, der Übergangsquote, ist zunächst die Betrachtung der Studienberechtigtenquote notwendig. Sie gibt Auskunft über die Zahl potenzieller Studierender, das heißt die Anzahl derjenigen Schülerinnen und Schüler eines Altersjahrgangs, die gemessen an der Gesamtstärke eines Jahrgangs, die Hochschulreife erwerben. Die Anzahl der Studienberechtigten in Brandenburg entspricht im langjährigen Trend betrachtet etwa dem Bundesdurchschnitt, liegt seit Mitte der neunziger Jahre durchgängig 2 bis 3 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der ostdeutperspektive21

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schen Länder von 37 Prozent. So lag die Studienberechtigtenquote 2006 in Brandenburg bei 40 Prozent und wurde in den neuen Bundesländern nur knapp von Thüringen übertroffen (40,3 Prozent). Dementsprechend ist das Potenzial künftiger Studienanfängerinnen und -anfänger im Verhältnis zum Durchschnitt der neuen Länder in Brandenburg sogar größer. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Übergangsquote als Indikator, der die Ausschöpfung dieses Studienpotenzials anzeigt, besondere Bedeutung. Nach einer aktuellen Studie des Statistischen Bundesamtes weist Brandenburg bundesweit die geringste Übergangsquote auf. Lediglich 61,7 Prozent der Studienberechtigten eines Jahrgangs entscheiden sich im Zeitraum von sechs Jahren nach Erwerb der Hochschulreife für ein Hochschulstudium. Dies ist nicht nur im Vergleich zum Bundesdurchschnitt (76,1 Prozent) ein niedriger Wert, sondern auch im direkten Vergleich zum nächstplatzierten Bundesland Hamburg (68,7 Prozent).1 Land ohne Hochschultradition Dieser Sachverhalt wird insbesondere angesichts der Studie des Hochschulinformationssystems „Studienbereitschaft in Brandenburg“ interessant. Die Autoren zeigen in ihr auf, dass die Übergangsquote von 81 Prozent zu Beginn der neunziger Jahre auf 59 54

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Prozent am Ende des Jahrzehnts sank.2 Sie belegt damit einen dramatischen Einbruch der Übergangsquote. Brandenburg erzeugt demnach ein im Vergleich zum Durchschnitt der neuen Länder hohes Studienpotenzial, das jedoch von den Studienberechtigten auffallend selten eingelöst wird. Als Erklärungsansatz für die geringe Ausschöpfung kann vor allem der von den Absolventinnen und Absolventen besuchte Schultyp herangezogen werden. Er übt einen erheblichen Einfluss auf die allgemeine Studienbereitschaft aus. 2004 entschieden sich bundesweit 78 Prozent der Studienberechtigten von allgemeinbildenden Schulen für ein Hochschulstudium, hingegen nur 59 Prozent der Absolventen berufsbildender Schulen. In Brandenburg stellt sich die Situation nochmals verschärft dar: Hier lösten lediglich 46 Prozent der Absolventen, die ihre Hochschulzugangsberechtigung an berufsbildenden Schulen erworben haben, die Möglichkeit des Studierens tatsächlich ein. Dieser Sachverhalt kann maßgeblich die Unterschiede in den Übergangsquoten im Vergleich der Bundesländer erklären, nicht jedoch die Frage nach den Ursachen für die niedrige Studienbereitschaft von Schülern berufsbildender Schulen. Hierzu sollen 1 Statistisches Bundesamt, Hochschulen auf einen Blick, Wiesbaden 2008, S. 8. 2 Christoph Heine/Markus Lörz, Studienbereitschaft in Brandenburg, HIS 5/2007, S. 12ff.


sabina bieber, christian mödebeck und robert meile – studium lohnt!

zwei zentrale Punkte herangezogen werden. Zum einen kann Brandenburg auf keine ausgeprägte Hochschultradition verweisen. Es ist anzunehmen, dass große Teile der brandenburgischen Bevölkerung deshalb keine gewachsenen Berührungspunkte zur akademischen Bildung im eigenen Land und/oder zur akademischen Bildung im Allgemeinen haben. Dies hat Folgen für die Gestaltung der Bildungsbiografien der Jugendlichen, die überproportional häufig von traditionellen aus dem Elternhaus und dem sozialen Umfeld bekannten Mustern beeinflusst werden. Diese nun wiederum räumen einem Lehrberuf häufig einen höheren Stellenwert als einem Studium ein. Berufsausbildung verlockender Auf der anderen Seite zeigen sich spezifische motivationale Dispositionen, die einer hohen Studierbereitschaft eher hinderlich entgegenstehen: Brandenburger Studienberechtigte zeigen sich häufig extrinsisch, das heißt durch äußere Anreize wie hohes Einkommen, berufliche Sicherheit oder Aufstiegsmöglichkeiten motiviert und sehen in ihrer Ausbildungswahl eine gute Möglichkeit zur „persönlichen Verwirklichung“. Dadurch, dass eine nicht-akademische Laufbahn als gleichwertige Alternative zu einem Hochschulstudium angesehen wird, wird zugleich

übersehen, dass die angegebenen extrinsischen Motive in hohem Maße mit einer akademischen Ausbildung einhergehen. Alles in allem stellt diese spezifische Konstellation für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung des Bundeslandes eine nicht zu unterschätzende Notlage dar. Zunächst führt die hohe Zahl von Interessenten mit Hochschulreife für betriebliche Ausbildungsberufe zu einer Verdrängung von Bewerbern mit niedrigerer Qualifikation. Dieser vertikale Verdrängungsprozess, an dessen oberen Ende Schüler mit Hochschulzugangsberechtigung Lehrstellen besetzen, führt dazu, dass am unteren Ende Schüler ohne Möglichkeit zum Hochschulzugang durch Maßnahmen der überbetrieblichen Ausbildung aufgefangen werden müssen. Deshalb ist es im Land erforderlich, sowohl Maßnahmen zur Sicherung des Fach- und Führungskräftebedarfs anzustrengen als auch gegen eine hohe Jugendarbeitslosigkeit vorzugehen. Ein Projekt, viele Maßnahmen In Anbetracht des fortschreitenden demografischen Wandels und seiner Konsequenzen, sowie der dramatischen Abwanderungssalden ist davon auszugehen, dass sich diese Situation weiter verschärft. Es ist zu erwarten, dass vor allem die wachsenden Zweige der Industrie wie der Fahrzeug- und Maschiperspektive21

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nenbau vom Rückgang qualifizierter Fachkräfte besonders betroffen sein werden. Als Reaktion auf die zuvor skizzierte Ausgangslage wurde das Projekt „Studium lohnt!“ als Initiative der Brandenburger Hochschulen und des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur 2008 initiiert und mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds finanziert.3 Das oberste Ziel des Projektes ist es, das vergleichsweise hohe Studienpotenzial besser auszunutzen – oder anders ausgedrückt die Bruttostudierquote des Landes zu steigern. Hierzu kooperieren acht Brandenburger Hochschulen (alle außer der HFF in Potsam-Babelsberg) während der dreijährigen Projektlaufzeit. Sie etablieren ein breites Spektrum an Maßnahmen der Studienorientierung an allen zur Hochschulreife führenden Schulen in Brandenburg. So können nicht nur Grenzen einzelner Projektpartner unter Berücksichtigung und Nutzung von Alleinstellungsmerkmalen und spezifischen Möglichkeiten anderer Projektpartner kompensiert werden, sondern besteht zugleich die Chance, ein breit gefächertes und umfangreiches Netzwerk der Studienorientierung an den Hochschulen Brandenburgs zu implementieren. 3 Eine Übersicht über ähnliche Projekte in Brandenburg und anderen Bundesländern hat das Institut für Hochschulforschung in Wittenberg zusammengestellt: www.hochschulkampagne.de/marketing/laenderkampagnen.htm

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Durch geeignete Formen der Informationsvermittlung und Einbezug sämtlicher für den Studienorientierungsprozess relevanter Interessengruppen (insbesondere Schüler, Lehrer und Eltern) sollen Synergien in der Unterstützung der Schüler bei ihrer konkreten Studienentscheidung erreicht werden. Darüber hinaus soll auf diesem Weg einem auf mangelndem Wissen und falschen Erwartungen basierenden Studienabbruch präventiv entgegengewirkt werden. Durch die Gesamtheit der Maßnahmen trägt das Projekt somit auch zu einer Stärkung der Bildungs- und Hochschullandschaft bei und leistet auf diese Weise einen Beitrag zur Verminderung der Abwanderung junger Studierender. Studenten vermitteln Erfahrungen Um diese Ziele erreichen zu können, wurde „Studium lohnt!“ erarbeitet, das sich aus zwei einander ergänzenden Handlungsfeldern zusammensetzt, denen jedoch unterschiedliche Konzeptionen und Ansätze der Studienorientierung zugrundeliegen. Sowohl dem Handlungsfeld „Schüler-Alumni“ als auch dem Handlungsfeld „Intensive Schulbetreuung“ gingen 2007 Pilotprojekte voraus, in denen Maßnahmen und Methoden ausprobiert und elaboriert wurden. Besonderes Merkmal des Handlungsfeldes „Schüler-Alumni“ sind


sabina bieber, christian mödebeck und robert meile – studium lohnt!

seine Hauptakteure, das heißt in einer speziellen Schulung ausgebildete Studentinnen und Studenten, die Grundwissen über Studienorientierung, Präsentationstechniken und WorkshopPlanung besitzen. Grundidee ist es, die Erfahrungen der Studierenden für Schüler durch eine intensive, rechtzeitige und ihren Bedürfnissen und Erwartungen gerecht werdende Informationsveranstaltung erlebbar zu machen und so Schwellen- und Berührungsängste abzubauen. Zwei Typen von Entscheidern Ausgehend von der Überlegung, Schüler möglichst früh zu erreichen, werden alle Jahrgangsstufen der Oberstufe berücksichtigt. Zur optimalen Unterstützung der anstehenden individuellen beruflichen Richtungsentscheidung werden die besonderen jahrgangsspezifischen Bedürfnisse der Schüler in den Veranstaltungen adäquat berücksichtigt. Theoretisch werden der Arbeit die verschiedenen Prozessphasen und ihre Einflussfaktoren nach Tutt zugrunde gelegt.4 Aufbauend auf den Ergebnissen Tutts konnten in einer Studie des Centrums für Hochschulentwicklung zwei Typen von Entscheidungsträ4 Vgl. Lars Tutt, Der Studienentscheidungsprozess: Informationsquellen, Informationswünsche und Auswahlkriterien bei der Hochschule, Duisburg 1997

gerinnen und -trägern identifiziert werden: Ein erster Typ, der durch eine maßgebliche Überschneidung von Entscheidungsphasen mit den einzelnen Jahrgängen charakterisiert ist und ein zweiter Typ mit einer kurzen Abfolge der einzelnen Entscheidungsphasen innerhalb des letzten Schuljahres. Da die langfristige Begleitung der Schüler im Mittelpunkt des Projektes steht, wurde die theoretische Konzeption des Handlungsfeldes den zielgruppenspezifischen Erfordernissen des ersten Typs angepasst. Dementsprechend wurden in der Jahrgangsstufe 11 Module zur Prozessanregung, in Jahrgangsstufe 12 Module zur Unterstützung der Such- und Vorauswahl und in der Jahrgangsstufe 13 Module zur Entscheidungsfindung erarbeitet. Auf diese Weise wird nicht nur dem speziellen Informations- und Beratungsbedarf der Schüler entgegen gekommen, sondern werden zugleich Redundanzen bei mehrfachen Schulbesuchen vermieden und neue Impulse für die Studienentscheidung gesetzt. Für Schüler, Lehrer und Eltern Das zweite Handlungsfeld stellt – im Unterschied zum ersten – die längerfristige und kontinuierliche Begleitung ausgewählter Schulen durch Projektmitarbeiterinnen und Projektmitarbeiter in den Mittelpunkt. Aufgrund der oben beschriebenen Ausgangslage perspektive21

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werden alle Oberstufenzentren des Landes betreut. Darüber hinaus wurden 17 weitere Schulen mit gymnasialer Oberstufe durch ein landesweites Bewerbungsverfahren ausgewählt. Hauptaufgabe dieses Handlungsfeldes stellt die Verdichtung bereits bestehender Ansätze und Kooperationen zur Berufs- und Studienorientierung zu einem schuleigenen und schulprofilprägenden Konzept der Berufs- und Studienwahl dar. Hierzu werden alle Zielgruppen, das heißt Schüler, Lehrer und Eltern durch Veranstaltungen angesprochen. Intensive Vorbereitungen Um eine Entwicklung der Studienorientierung an den Schulen anzustoßen, genügt es nicht, sich ausschließlich an den Bedürfnissen, die von der jeweiligen Schule gesehen werden, zu orientieren. Aus diesem Grund bedurfte es eines eigenständigen, universellen Studienorientierungskonzeptes, das den Maßstab der praktischen Arbeit vorgibt. Hierzu wurden auf Grundlage von Literaturrecherchen und Expertengesprächen inhaltliche Module hergeleitet, die das gesamte Spektrum studienorientierender Maßnahmen inhaltlich abdecken und gleichsam den Expertenstand zur Studienorientierung widerspiegeln. Überdies wurden Arbeitsprinzipien der Intensivbetreuung im Allgemeinen und für jedes Modul im Speziellen defi58

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niert, so dass ein allgemeines Studienorientierungskonzept entstand. Erst in einem zweiten Schritt ging es um die konkrete Planung von Veranstaltungen und Workshops, die den einzelnen Modulen zugeordnet sind. Hierzu wurden Zielgruppenbefragungen und Anamnesegespräche an den Schulen durchgeführt. So wurde es schließlich möglich, das Konzept an die Bedürfnisse der jeweiligen Schule zu adaptieren, bestehende Kooperationen zu integrieren und ferner Module und Prinzipien theoretisch zu vervollständigen (siehe Abb. auf Seite 59). Um eine adäquate Qualität der Veranstaltungen zu gewährleisten und bestehende Module weiter zu entwickeln, finden in regelmäßigen Abständen gemeinsame Arbeitsgruppentreffen aller beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter statt, die dem Erfahrungsaustausch und der gegenseitigen Reflexion dienen. Wertvolle Impulse zur Qualitätssicherung und zum Ausbau der fachlichen Qualifikation der Mitarbeiter sollen ferner von gegenseitigen Hospitationen, Fortbildungen und Tagungsteilnahmen ausgehen. Große Resonanz macht Mut Derzeit kann man noch nichts sagen. ob „Studium lohnt!“ mit seinen Maßnahmen die Projektziele – höhere Studierneigung der Schüler sowie Verringerung


sabina bieber, christian mödebeck und robert meile – studium lohnt!

der Studienabbrüche und der Abwanderung – erfolgreich ist. Es ist davon auszugehen, dass die Effekte der Maßnahmen erst mit deutlicher zeitlicher Verzögerung und damit erst nach Abschluss des Projektes sichtbar werden. Gleichwohl werden die Maßnahmen begleitend evaluiert. Auf diese Weise sind Auswertungen über die Zufriedenheit der Personen, die bisher an Veranstaltungen teilgenommen haben, möglich. Insgesamt wurden an allen zur Hochschulreife führenden staatlichen Schulen in Brandenburg Informationsveranstaltungen für Schülerinnen und Schüler durchgeführt. Zu diesen Einsätzen addieren sich Veranstaltungen für Eltern, Lehrerfortbildungen und Exkursionen an die Hochschulstandorte im Rahmen der intensiven Schulbetreuung. 2008 wurden insgesamt 623 Veranstaltungen durchgeführt und über 12.000 Personen erreicht. Davon nahmen 10.900 Schülerinnen und Schüler an 594 Veranstaltungen teil, was einer durchschnittlichen Teilnehmerstärke von 18 Schülern pro Veranstaltung entspricht. Die verbleibenden Teilnehmer waren Lehrer (300), die an insgesamt sechs Fortbildungen teilnahmen und Eltern (1.000), die an 23 Elterninformationsabenden über Studienperspektiven informiert wurden. Erste Evaluationsergebnisse zur Zufriedenheit der Schüler und ihrer Studienmotivation liegen für das Handlungsfeld „Schüler-Alumni“ seit Kurzem

Inhaltliche Module „Intensive Schulbetreuung“

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Individuelle Studienorientierung Anforderungen an zukünftige Studierende Informationen zum Studium Strukturierte Informationsfindung Wissenschaft LIVE Chancen durch Bildung

Allgemeine Arbeitsprinzipien „Intensive Schulbetreuung“

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Zielgruppen- und Bedürfnisorientierung Orientierung ab Klasse 9 Konzeptbasiertes Arbeiten Verzahnung von Bildungsarbeit mit Studienberatungen Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

vor. Die bislang ausgewerteten knapp 700 Evaluationsbögen zeigen, dass die Veranstaltungen auf eine überwiegend positive Resonanz bei der Zielgruppe gestoßen sind. 87 Prozent aller Schüler bewerten die von ihnen besuchten Veranstaltungen mit gut und sehr gut, 12 Prozent hat die besuchte Veranstaltung durchschnittlich gefallen. Lediglich 1 Prozent der erreichten Schüler bewertete die Veranstaltung schlechter als durchschnittlich. Nach Schulnoten ergibt dies eine Gesamtbewertung von 1,87 für das Handlungsfeld „Schüler-Alumni“. perspektive21

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Ein hoher Stellenwert wird im Rahmen der Projektevaluation der Einschätzung der Studienmotivation, die die Schüler unmittelbar im Anschluss an die Veranstaltungen angeben mussten, zugeschrieben. Die Auswertung ergab, dass nach der Veranstaltung knapp 45 Prozent aller befragten Schüler angaben, dass ihre Motivation zu studieren durch den Besuch der Veranstaltung zugenommen bzw. stark zugenommen habe. Zusätzlich gaben 41 Prozent der Schüler an, dass ihre Studienmotivation – unabhängig vom konkreten Besuch einer „SchülerAlumni“-Veranstaltung – hoch ausgeprägt gewesen sei. Es verbleiben 13 Prozent, deren Motivation zur Aufnahme eines Studiums unverändert gering ausgeprägt ist und ein verschwindend geringer Anteil von 1,5 Prozent, die angaben, dass ihre Studienmotivation durch den Besuch einer Veranstaltung gesunken sei. Inwieweit die Veranstaltungen tatsächlich zur Aufnahme eines Studiums beigetragen haben bzw. beitragen werden, kann an dieser Stelle (noch) nicht beantwortet werden. Hierzu bedarf es weiterführender Forschungsanstrengungen. Die durchgängig positiven Bewertungen und die Erfahrungen der Mit-

arbeiter vor Ort mit den Schülern, Lehrern und nicht zuletzt den Eltern bekunden eindeutig, dass ein großer Bedarf nach Unterstützung bei allen Themen der Studienorientierung vorhanden ist. Aus den bisherigen Ergebnissen kann abgeleitet werden, dass die Teilnahme an den vom Projekt initiierten Veranstaltungen von den Teilnehmern als sinnvolle Möglichkeit bzw. ergänzender Baustein zur Studienorientierung wahrgenommen wird. Dauerhafte Projekte nötig Vor dem Hintergrund des Brandenburger „Gesetzes zur Neuregelung des Hochschulrechts“ von Ende 2008 bekommt das Projekt „Studium lohnt!“ eine neue Dimension. Im Gesetz heißt es, dass die Hochschulen Brandenburgs Studienberechtigte „über die Vorzüge eines Hochschulstudiums“ und „über Inhalte, Aufbau und Anforderungen eines Studiums“ unterrichten sollen. Sowohl aus inhaltlicher als auch aus struktureller Sicht ist dafür eine dauerhafte Verbindung der Hochschul-Studienberatung mit dem Projekt „Studium lohnt!“ notwendig, um auch über 2010 hinaus diese Aufgabe erfüllen zu können. ■

DR. SABINE BIEDER, CHRISTIAN MÖDEBECK UND ROBERT MEILE

arbeiten bei der Zentralen Studienberatung der Universität Potsdam. 60

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Der Handlungsbedarf bleibt WIE WISSENSCHAFTS- UND BILDUNGSPOLITIK NACH DER FÖDERALISMUSREFORM UND DEM BILDUNGSGIPFEL AUSSEHEN KANN VON ANDREA WICKLEIN UND KLAUS FABER

m Wahljahr 2009 ist die Wissenschafts- und Bildungspolitik trotz einiger sozialdemokratischer Bemühungen bislang noch kein großes Thema in der politischen Auseinandersetzung. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einem ist das bundespolitische Parteienprofil zu Beginn des Wahljahres noch nicht in vollem Umfang programmatisch geschärft; es wird im Gesamtkonzept erst zu einem späteren Zeitpunkt präsentiert. Aktuelle Debattenbedürfnisse, wie die Diskussion über die Reaktionen zur Finanzkrise und über antizyklische Konjunkturprogramme, überlagern zudem zurzeit noch die eher strategisch angelegten Profilierungsüberlegungen und beeinflussen möglicherweise auch deren Orientierung. Zum anderen haben in diesem Zusammenhang strukturelle Faktoren Bedeutung, die unser System der bundesstaatlichen Willensbildung prägen. Insbesondere nach der Föderalismusreform von 2006 gibt es für Wissenschaft und Bildung keine ausreichenden

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Bundeszuständigkeiten mehr. Deshalb fehlt auch eine geeignete bundespolitische Plattform für eine kontinuierlich geführte Debatte und das Handeln in diesem Politikbereich, was ihn notwendigerweise entwertet. Auf diesem Gebiet weist Deutschland auch nach der einvernehmlich getroffenen BundLänder-Feststellung auf dem letzten „Bildungsgipfel“ vom Oktober 2008, zudem erhebliche Defizite auf, ebenso beträchtliche regionale Unterschiede. Das damit angelegte Spannungsverhältnis zwischen einem ausgeprägten Handlungsbedarf auf nationaler und regionaler Ebene einerseits und Mängeln im politischen Steuerungspotential andererseits stellt vor allem eine linke Volkspartei wie die SPD vor Herausforderungen.1 Im Wahljahr wird es in erster Linie darum gehen, wie das alte sozialdemokratische Ziel von Emanzipation und Chancengleichheit durch bessere und 1 Siehe dazu Klaus Faber, Legitimations- und Finanzierungsdefizite – Zur Lage der Wissenschafts- und Bildungspolitik im Bundesstaat, in: perspektiven ds, 1 (2008)

perspektive21

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mehr Bildung für alle verwirklicht wird und in glaubwürdige Umsetzungsvorschläge übersetzt wird. Der SPD wird, nicht nur auf Bundesebene, auf diesem Gebiet nach wie vor eine gewisse Kompetenz zugeschrieben. Politische Mitbewerber sind allerdings seit längerer Zeit erkennbar. Die Union hat nicht erst mit den Initiativen von Bundeskanzlerin Angela Merkel („Bildungsrepublik Deutschland“, Bildungsgipfel 2008) das Bildungsthema entdeckt. Kein weiches Thema mehr Ein bestimmtes, mitunter auch in der SPD anzutreffendes, Politikverständnis sah und sieht in „weichen“ politischen Themen wie Familien-, Bildungs- oder Wissenschaftspolitik wohl eher Rankenwerk, das die eigentlich wichtigen innenpolitischen Kernthemen wie etwa die Wirtschafts-, Sozial-, Arbeitsmarktund vielleicht noch Finanzpolitik verziert. Dass es sich hier um eine Fehleinschätzung von entscheidenden gesellschaftspolitischen Veränderungsbewegungen und Ausgangsbedingungen handelt, haben inzwischen nicht nur die Anhänger der These vom „vorsorgenden Sozialstaat“ bemerkt. Schon seit längerer Zeit vollzieht sich in einem größeren Teil der entwickelten Länder ein rasanter Entwicklungsprozess hin zu einer „Wissensgesellschaft“. Es geht dabei nicht nur und in erster Linie um die Ver62

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besserung des Bildungsangebots von der vorschulischen Erziehung bis zum Abschluss der Sekundarstufe. Erkennbar ist darüber hinaus die Entwicklungsperspektive einer Hochschulausbildung für die große Mehrheit der Bevölkerung. Sie ist in einigen Staaten bereits heute erreicht oder wird dort in absehbarer Zeit erreicht werden (Finnland und andere skandinavische Staaten, Australien, aber auch USA, Israel, Südkorea etc.). Auch Schwellenländer wie China holen auf dem Wissenschaftsgebiet mit einem beachtlichen Tempo auf, was etwa die enormen Steigerungsraten der Forschungsausgaben (mit denen sich Deutschland nicht vergleichen kann) oder ebenso die Zahlen der jährlich ausgebildeten Ingenieure zeigen. Die Investitionen und Leistungen Indiens im IT-Bereich sind ebenso beeindruckend. Hochschulen sind Chancen Im Hochschul- und Forschungssektor findet ein globaler Qualifikationswettbewerb statt, der auch über die deutschen Zukunftschancen entscheidet. Ein funktionstüchtiges Schulwesen ist eine notwendige, aber nicht ausreichende Voraussetzung dafür, um am eigentlichen Wettbewerb im Wissenschaftsbereich teilnehmen zu können. Die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten, einschließlich der Berufschancen, werden künftig mehr denn je von


andrea wicklein und klaus faber – der handlungsbedarf bleibt

einer Hochschulausbildung abhängen. Mit dem vor uns stehenden Veränderungsprozess sind weitgehende gesellschaftspolitische Folgewirkungen, deren Ausmaß und Richtung wir nur in Umrissen erkennen können. Kein Konsens zur Schule Dass ein entscheidend verbessertes Qualifikationsniveau auch den Arbeitsmarkt verändern wird, gehört dabei zu den eher banalen Erkenntnissen. Eine andere Struktur der Arbeitskraftnachfrage wird entstehen. Neue Arbeitsplätze werden durch die Änderung der Qualifikationslage geschaffen, die sich aber auch sonst in der Wirtschaft, unter anderem im Sektor der Dienstleistungs- und Produktnachfrage, auswirken wird. In den Wandlungsprozess sind ebenso die Sozialsysteme, Kultur, Medien und die Politik einbezogen. Der deutsche Aufholbedarf auf den Gebieten von Wissenschaft und Bildung wird seit einiger Zeit auch in den programmatischen Aussagen der Parteien der Großen Koalition und ihrer Vertreter thematisiert. Vor allem nach den PISA-Debatten gibt es zwischen den Parteien keinen Konsens darüber, in welche Richtung das dreigliedrige Schulwesen weiterentwickelt oder ob es insgesamt überwunden werden soll. Wohl aber gibt es eine Verständigung darüber, dass im Schulbereich durch-

greifende Änderungen erforderlich sind – insbesondere mit dem Ziel, die Integration von Migrantenkindern deutlich zu verbessern, den Anteil der Hochschulzugangsberechtigten sowie die Zahl der Studienanfänger zu erhöhen. Übereinstimmung besteht auch weitgehend darüber, dass die deutschen Ausgaben im Schulwesen zu niedrig sind, dass die Pro-Kopf-Ausgaben im Hochschulsektor erhöht sowie die Defizite in Forschung und Entwicklung ausgeglichen werden müssen. Der Beitrag der deutschen Wirtschaft vor allem zu den Forschungs- und Entwicklungsausgaben entspricht ebenso wenig den internationalen Standards. Deutscher Nachholbedarf Der deutsche Nachhol- und Modernisierungsbedarf in Wissenschaft und Bildung ist durch viele überprüfbare internationale Vergleichsdaten belegt, also nicht erst auf dem Bildungsgipfel von 2008 festgestellt worden. Ein Blick auf einige Einzeldaten lässt die Ausgangslage deutlicher erkennen. Deutschland hat nach OECD-Studien zum Beispiel bei den Hochschulzugangsberechtigten, den Studierenden oder den Hochschulabsolventen wesentlich kleinere Anteile am jeweiligen Altersjahrgang als andere Länder. Nach OECD-Vergleichsuntersuchungen unter 27 Industrienationen studieren, so der allgemeine Trend, immer mehr perspektive21

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junge Menschen. Im Schnitt des OECD-Vergleichs sind das fast 50 Prozent eines Altersjahrgangs. Nicht nur Finnland (mit über 70 Prozent), Schweden und Norwegen, sondern auch Polen oder Australien haben bei der Zahl der Studienanfänger pro Altersjahrgang bereits die 60-ProzentGrenze überschritten. In Deutschland beträgt dieser Anteil zurzeit 39 Prozent. Die ostdeutschen Durchschnittsanteile liegen noch immer deutlich unter den entsprechenden westdeutschen Anteilen. Nicht erst durch die PISA-Debatten sind die schon angesprochenen deutschen Schuldefizite bei der Verwirklichung von Chancengleichheit für benachteiligte soziale Schichten und für Immigranten bekannt. Defizite auch in den Ländern Auch aus anderen Gegenüberstellungen ergibt sich ein für Deutschland ungünstiges Bild. Die USA geben, mit öffentlichen und privaten Finanzierungsanteilen, pro Kopf der Bevölkerung für das Hochschulwesen fast doppelt so viel aus wie Deutschland. In ungefähr der gleichen Höhe sind die Pro-Kopf-Ausgaben für die Hochschulen in Finnland oder Schweden – wobei diese wie in Deutschland überwiegend öffentlich finanziert sind. Nicht nur im internationalen Vergleich gibt es Defizite. Auch die innerdeutschen Unterschiede weisen eine zu 64

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große, die gesamtstaatliche Entwicklung behindernde Spannbreite auf. In der Hochschulfinanzierung haben ostdeutsche Regionen gegenüber dem deutschen Schnitt einen zum Teil erheblichen Rückstand. Gemessen an den Hochschulausgaben pro Kopf der Bevölkerung belegen einige der fünf ostdeutschen Flächenstaaten einen Platz am Ende der deutschen Leistungsskala. Mehr Studenten Im gesamtdeutschen Überblick ist dabei (wenn man einmal vom Sonderfall der Stadtstaaten absieht) übrigens keine allgemeine Korrelation ersichtlich, nach der etwa längere Zeit von der SPD regierte Länder hohe ProKopf-Ausgaben, andere Länder demgegenüber einen geringeren Ausgabensatz haben. Das weist auf eine föderalismuspolitische und eine wissenschaftsbzw. bildungspolitische Herausforderung hin. Eine der Fragen, die sich dabei stellen, ist, wie sich die Parteienprogrammatik zu den teilweise erheblichen Unterschieden zwischen den Ländern verhält. In ganz Deutschland ist in den kommenden Jahren ein neuer Anstieg der Studierendenzahlen absehbar. In Ostdeutschland ist deshalb eine Beschleunigung des Hochschulausbaus erforderlich, ebenso eine Erweiterung anderer Wissenschaftskapazitäten, eine Ausschöpfung der ostdeutschen Bil-


andrea wicklein und klaus faber – der handlungsbedarf bleibt

dungsreserven und eine wirksame Werbung für ein Studium an ostdeutschen Hochschulen. Auch die Profilbildung spielt im Hochschulbereich eine wichtige Rolle. Die Erhebung von Studiengebühren passt vor diesem Hintergrund weder in die regionale, noch in die überregionale Wissenschaftslandschaft. Auch bei der Nutzung der erworbenen Hochschulzugangsberechtigungen („Studierquote“) bestehen zwischen den Bundesländern erhebliche Unterschiede, die im Einzelnen auch nicht dem Ost-West-Schema folgen. Den letzten Platz belegt zurzeit Brandenburg. Auch die Positionsplätze der einzelnen Länder bei der Studierquote lassen keine Korrelation erkennen, die etwa der Vermutung folgen würde, lange von der SPD regierte Länder müssten eine hohe, andere Länder eine niedrigere Studierquote haben. Mehr Investitionen Diese kurze Bilanz zeigt den Handlungsbedarf auf. Mehr Investitionen in Wissenschaft und Bildung und eine Politik der Öffnung für mehr Bildungschancen sind erforderlich. Der politische Handlungsspielraum, vor allem der Landesebene, ist auf diesem Feld allerdings begrenzt. Viele finanzschwache Bundesländer sind aus eigener Kraft nicht in der Lage, bei den Investitionen in Wissenschaft und

Bildung den Anschluss an die anderen Länder zu erreichen, geschweige denn die nach internationalen Vergleichsmaßstäben notwendigen gesamtstaatlichen Ausgabensteigerungen mitzufinanzieren. Was der Bund nicht darf Wesentliche Mitfinanzierungsmöglichkeiten des Bundes, zum Beispiel im Schulbereich, auf denen unter anderem das Förderprogramm für Ganztagseinrichtungen beruht, sind durch die Föderalismusreform von 2006 weggefallen. Das gilt auch für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau. Das 2006 eingeführte neue Instrument der Bund-Länder-Wissenschaftsfinanzierung nach Art. 91b des Grundgesetzes ist kein ausreichender Ersatz – und zwar mit Blick auf die nötige Einstimmigkeit in der Beschlussfassung und die daraus folgenden Blockadepositionen sowie zum Teil auch wegen der Beschreibung des erfassten Sachgebiets. Zahlreiche wichtige Initiativen in der Wissenschafts- und Bildungspolitik sind in Deutschland von der Bundesebene ausgegangen und mitgefördert worden. Am – inzwischen vielfach vernachlässigten – Hochschulbau hatte sich zum Beispiel der Bund seit den fünfziger Jahren bis 2006 maßgeblich beteiligt. Hier schließt sich der Kreis. Für Wissenschaft und Bildung gibt es keine perspektive21

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ausreichenden Bundeszuständigkeiten mehr, die auch die Finanzierung in ausreichendem Umfang erfassen. Damit fehlt auch ein regelmäßig zur Verfügung stehender und wirksamer bundespolitischer Ansatzpunkt für die Debatte und das Handeln – was auch für die Landespolitik negative Konsequenzen hat. Dies gilt vor allem, wenn man diese an Standards misst, die zum Beispiel von den skandinavischen Staaten und in bestimmten Sektoren ebenso von den USA gesetzt werden. Auch die neuerdings vom Bund-Länder-Bildungsgipfel von 2008 beschriebenen Zielerklärungen können mit den zurzeit zur Verfügung stehenden Instrumenten und Länderfinanzmitteln nicht erreicht werden. Was bringt der Bildungsgipfel? Welchen Sinn macht unter den skizzierten finanz- und föderalismuspolitischen Rahmenbedingungen überhaupt der Bund-Länder-Bildungsgipfel von 2008? Die – problematische – verfassungspolitische Weichenstellung der Großen Koalition durch die Föderalismusreform von 2006 kann selbstverständlich auch ein Bund-Länder-Gipfel nicht umgehen oder rückgängig machen, auch nicht die beschriebenen Kompetenzverluste des Bundes. Der Gipfel kann aber unter den politischen Ausgangsbedingungen, zu denen eine Bundestagswahl zumindest einen 66

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Beitrag leistet, nach Wegen suchen, einige Auswirkungen der Föderalismusreform zu mildern. Unsichere Finanzierung Trotz der Einschränkung seiner Kompetenzen bleiben dem Bund einige Mitfinanzierungsmöglichkeiten, die zum Teil allerdings eine enge BundLänder-Kooperation voraussetzen. Dazu gehört die geschilderte neue Bundesfördermöglichkeit nach Art. 91b des Grundgesetzes für Vorhaben und Einrichtungen in der Wissenschaft, die es auch aufgrund der Initiative ostdeutscher SPD-Bundestagsabgeordneter gibt. Wenn alle Länder zustimmen, kann eine in den BundLänder-Finanzierungsanteilen flexible und umfassende Vereinbarung geschlossen werden, die im Volumen, in der Dauer und in den Anwendungsgebieten (zum Beispiel in der Lehre nach den Vorschlägen des Wissenschaftsrats) weit über den BundLänder-Hochschulpakt 2010/2020 hinausgehen kann, der ebenfalls auf dieser neuen Grundgesetzbestimmung beruht. Die Länder können auf diese Weise ebenso auf dem Gebiet der gemeinsamen Forschungsförderung entlastet werden. Den so gewonnenen Spielraum könnten sie für Investitionen in anderen Sektoren ihrer Zuständigkeiten in Wissenschaft und Bildung nutzen. Derartige Bund-Länder-Ab-


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sprachen setzen, um es zu wiederholen, einen politischen Konsens aller Beteiligten voraus. Auch in weiteren Bundeskompetenzbereichen sind eine Bundesmitfinanzierung und die damit verbundene Entlastung der Länder für Anstrengungen in Wissenschaft und Bildung denkbar. Das gilt unter anderem für Investitionen auf Gebieten, für die der Bund über eine Gesetzgebungskompetenz verfügt. Schwieriger ist demgegenüber eine Neuverteilung des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern mit dem Ziel, damit den Ländern die Möglichkeit zu geben, mehr Geld für Wissenschaft und Forschung aufzubringen. Die Verteilung der BundLänder-Steueranteile sollte möglichst nicht für aktuelle Förderprogramme geändert werden. Nach den Erfahrungen mit vergleichbaren Finanzierungskonstruktionen wäre auch nicht sicher, ob zusätzliche Ländersteueranteile in der gesamtstaatlichen Bilanz tatsächlich der Wissenschaft und der Bildung zugute kämen. Das Ziel: 10 Prozent Auf dem Bildungsgipfel vom Oktober 2008 konnten sich Bund und Länder noch nicht auf ein gesamtstaatliches Finanzierungspaket für Bildung und Wissenschaft einigen. Die entsprechenden Beschlüsse sollen nach der Bundestagswahl gefasst werden. Andererseits

sind sich Bund und Länder schon jetzt darin einig, den gesamtstaatlichen Bildungsausgabenanteil am Bruttoinlandsprodukt bis 2015 in erheblichem Umfang – von derzeit 6 Prozent auf dann 10 Prozent – zu erhöhen. Die geplante Steigerungsrate macht deutlich, dass die Regierungschefs von Bund und Ländern zumindest die Dimension des deutschen Nachholbedarfs erkannt und anerkannt haben. Auch Finanzminister Peer Steinbrück hat sich sehr engagiert für diese Zielsetzung ausgesprochen und damit nicht nur im Kreis der Finanzminister Maßstäbe gesetzt. Auch der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier steht für einen bildungs- und wissenschaftspolitischen Schwerpunktansatz. Helmut Schmidt hat Recht Helmut Schmidt hat in seinem jüngsten Buch noch einmal darauf hingewiesen, dass Deutschland über keine wesentlichen Rohstoffressourcen verfügt und sich im Wettbewerb mit Ländern wie der Volksrepublik China und Indien befindet. Diese Länder sind auf dem Weg, auch in Bereiche wie den Autooder Maschinenbau mit immer besseren und zudem preiswerteren Produktangeboten einzudringen – in Bereiche also, in denen ein Teil des deutschen Exporterfolgs erzielt wird. Plausible Alternativen zur dringend gebotenen Erhöhung des durchschnittlichen Ausbildungsperspektive21

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und Qualifikationsniveaus in Deutschland gibt es – nicht nur nach seiner Auffassung – demnach nicht. Man muss hinzufügen: Das, was der deutsche Gesamtstaat auf diesem Gebiet bislang geleistet hat, reicht nicht aus, um unseren internationalen Wettbewerbsrückstand aufzuholen. Jede sinnvolle politische Anstrengung, dies zu ändern – und dazu gehört trotz aller offenen Fragen und Mängel auch der Bildungsgipfel – sollte daher unsere Unterstützung finden. Mehr noch, die SPD sollte selbst die Initiative ergreifen und Vorschläge für einen gemeinsamen Bund-LänderInvestitions- und Förderpakt im Wissenschafts- und Bildungsbereich vorlegen. Ein neuer Förderpakt Die SPD wird vielleicht mehr als andere Parteien auch an der Glaubwürdigkeit ihrer Programm- und Sachzielaussagen gemessen. Das gilt auf allen Ebenen für die Wissenschafts- und Bildungspolitik, auch in einer Bundestagswahl. Sozialdemokratische Wählerinnen und Wähler werden es nach allen Erfahrungen nicht akzeptieren, wenn man Fragen zu den grundsätzlichen Zielsetzungen für Bildung und Wissenschaft und nach ihrer Realisierung mit dem Hinweis auf föderalismuspolitische Abstimmungsschwierigkeiten und Kompetenzmängel ausweichend beantwortet. 68

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Es gibt eine Reihe von guten Gründen, die dafür sprechen, auf diesem Gebiet in absehbarer Zeit keinen neuen Anlauf zu einer Verfassungsänderung zu planen. Wenn das so ist, müssen wir aber glaubwürdige und konkrete Vorschläge erarbeiten, was wir verbessern und realisieren wollen. Ein Bund-Länder-Förderpakt für Wissenschaft und Bildung hat Sinn, um die deutschen Rückstände und die Strukturverzerrungen innerhalb Deutschlands auszugleichen. Er hat Sinn, weil die Verbesserung der Bildungschancen allen nutzt. Sie bringt für jeden mehr Entfaltungsmöglichkeiten und fördert zugleich unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit. Der Förderpakt sollte von einer gemeinsamen Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorbereitet und auch in der Durchführung begleitet werden. Sozialdemokraten im Bund und in den Ländern sollten eine entsprechende Initiative gemeinsam aufgreifen und zum Wahlthema machen. In die Zukunft investieren Die Förderprogramme, die jetzt als Antwort auf die Wirtschaftskrise auf den Weg gebracht wurden, werden zu Recht vor allem danach ausgewählt, ob und inwieweit sie die Konjunktur stützende Effekte haben. Sie müssen aber ebenso weitere Anforderungen erfüllen. Zumindest ein Teil der


andrea wicklein und klaus faber – der handlungsbedarf bleibt

Maßnahmen muss aus Investitionen in die Zukunft bestehen. Diese Bedingungen erfüllen zum Beispiel Investitionen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich. Das von der Bundesregierung im Januar vorgelegte zweite Konjunktur-

paket von Bund, Ländern und Kommunen enthält solche wichtigen Ansatzpunkte für Bildungs- und Wissenschaftsinvestitionen, die auch auf Initiativen der SPD-Bundestagsfraktion zurückgehen. ■

ANDREA WICKLEIN

ist Bundestagsabgeordnete aus Potsdam und Sprecherin der Arbeitsgruppe Aufbau Ost der SPD-Bundestagsfraktion. KLAUS FABER

ist Staatssekretär a.D. und Geschäftsführender Vorsitzender des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e. V. perspektive21

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Jan in der Sackgasse ODER: DAS DRAMA VON BILDUNG UND GERECHTIGKEIT. GUTE SCHULEN GIBT ES – ABER WIE KÖNNEN SIE ZUM VORBILD WERDEN? VON CHRISTIAN FÜLLER

aria und Joachim Meier* haben eine kleine Odyssee hinter sich. Sie haben sich mit Schulleitern, Landräten und Bürgermeistern unterhalten. Sie haben beantragt, gebettelt und gestritten. Sie waren der Verzweiflung nahe. Denn sie wussten, dass ihr Sohn Jan* etwas kann. Auch wenn sie nicht wussten, welche Talente es genau sind, die ihr Sohn hat, und wie weit sie reichen würden. Nur bei einem waren sie sich sicher: Die Sonderschule ist nicht der richtige Ort für ihr Kind. Dort würde man nicht erkennen, dass und worin Jan richtig stark sein kann. Aber in genau diese so genannte Förderschule wollten die Behörden ihren Sohn stecken – gleich nach dem Kindergarten. Wenn Maria und Joachim Maier heute über diese Geschichte sprechen, dann kann man über ihre Gesichter die Gemütszustände wandern sehen, die sie durchlebt haben. Die Ratlosigkeit und die Unsicherheit darüber, wie weit man gehen darf, um seinem Kind Chancen zu verschaffen, die man noch

M

* Namen geändert.

nicht mal selber kennt. Den Mut und die Kampfbereitschaft, nicht einfach aufzugeben, ihren Sohn nicht allein zu lassen. Und das Glück, die Freude, die aus ihnen herausströmt, wenn sie erzählen: Es hat sich gelohnt, wir hatten Recht, unser Kind kann etwas! „Jan ist beim Lesen und Schreiben nicht der schnellste“, erzählt der Vater. „Aber irgendwann haben sie in der Waldhofschule in Templin gemerkt, wie gut Jan beim Rechnen ist.“ So schnell nämlich, dass der unter gelegentlichen epileptischen Anfällen leidende Junge seine eigenen, vermeintlich fest stehenden Grenzen überschritt. Bald auch die Grenzen anderer Schüler. Jan, der Langsame, war plötzlich so schnell und gut mit den Zahlen, dass seine Mitschüler sagten: „Wahnsinn, was der Jan kann. Damit hätten wir nicht gerechnet.“ Alle Schüler gehören zusammen Jan ist ein behindertes Kind, wie viele sagen würden. Jan ist ein besonderes, ein einzigartiges Kind wie jedes andere, sagt Wilfried W. Steinert, der Leiter der Waldhofschule in Templin, perspektive21

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eine knappe Autostunde nördlich von Berlin im Brandenburgischen gelegen. „Alle Schüler gehören zusammen“, sagt Steinert, „nicht nur, weil sie voneinander profitieren können. Sondern einfach, weil es sie gibt. Weil sie da sind.“ Nachdem Jan eine lange Suchphase hinter sich hatte, landete er glücklich in jener Schule, die etwas macht, das sich kaum jemand vorstellen kann. Sie dreht Integration auf den Kopf, will sagen: Die Waldhofschule Templin integriert nicht so genannte behinderte Kinder in kleinen Portionen in eine Regelschule. Nein, sie nimmt so genannte normale Kinder in eine ehemalige Schule für geistig behinderte Kinder auf. Und erzielt sozial, kognitiv und pädagogisch damit große Erfolge. Die Waldhofschule war 2007 unter dem Dutzend Nominierten für den Deutschen Schulpreis. Um diese gute Schule besuchen zu können, muss Jan nun zweimal am Tag eine Stunde fahren. Talente suchen … Jan und sein Irrweg zur guten Schule sind ein sehr individueller Fall. Seine Krankheit, wenn man sie so nennen will, können auch die Ärzte nicht exakt beschreiben, weil sie so speziell und einzigartig ist. Es gehört eine starke Sehstörung dazu und Epilepsie. Aber Jan ist auch wieder der Normalfall. Der ganz alltägliche Fall, wie Schulen 72

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Kindern den Weg verbauen. Anstatt die Talente und Stärken von Kindern zu suchen und zu entwickeln, legen sie Kinder fest und stecken sie in Schubladen. Viele Brandenburger Bildungspolitiker meinen, bei ihnen sei das anders. Aber die Unterschiede zwischen den Benachteiligungen, wie sie das deutsche Schulsystem und das brandenburgische produzieren, sind nur marginal. … und Stärken entwickeln Die Kennzeichen des Bildungssystems in Deutschland sind bekannt. Es weist krasse Unterschiede zwischen Schulen und Schülern auf. Es ist leistungsmäßig allenfalls Mittelmaß. Und es ist ungerecht, weil die Kompetenzen und die Erfolge der Schüler stark davon abhängen, aus welchem Elternhaus sie kommen. Acht Prozent der Schüler verlassen ohne Abschluss die Schule. 21 Prozent der 15-Jährigen können nicht richtig lesen, man nennt sie daher Risikoschüler. 400.000 Schüler stecken in einem Sonderschulwesen fest, das in acht von zehn Fällen keinen Abschluss vergibt. Und der Nationale Bildungsbericht des Jahres 2008 zeigt: 28 Prozent der 20- bis 25-jährigen Deutschen besitzt weder einen Gesellenbrief noch den Abschluss einer Sekundar-II-Stufe. Ein Drittel ist also ohne Anschluss. „Wir organisieren für diese Klientel eher Abbrüche


christian füller – jan in der sackgasse

als Anschlüsse“, sagt dazu der Göttinger Soziologe und Bildungsforscher Martin Baethge, einer der Autoren des Bildungsberichts. So steht es mit unschöner Regelmäßigkeit auch in den PISA-Studien seit der ersten Studie, die im Dezember 2001 den PISA-Schock auslöste. Nach PISA-Studien wird in Potsdam immer wieder behauptet, Brandenburg habe „das sozial gerechteste Schulsystem Deutschlands“. Tatsächlich sehen Brandenburgs Ergebnisse in Sachen Gerechtigkeit besser aus als die deutschen. Genauer: Sie waren es. Im Jahr 2000 war die Chance für ein Brandenburger Akademikerkind, aufs Gymnasium zu kommen, doppelt so hoch wie die für ein Arbeiterkind. Zum Vergleich: In Bayern war zur gleichen Zeit Gymnasialbesuch für Akademikerkinder sieben Mal so wahrscheinlich wie für Arbeiterkinder! In der jüngsten PISA-Studie 2006 ist Brandenburg aber deutlicher schlechter geworden. Es ist dort heute viermal so wahrscheinlich aufs Gymnasium zu kommen, wenn Papa und Mama studiert haben, als wenn sie Facharbeiter sind. Alle Schüler werden besser Im Bildungsministerium in Potsdam rätselt man noch, warum sich die Situation so stark verschlechtern konnte. Zumal es gelungen ist, die Zahl der Risikoschüler von 30 auf 24 Pro-

zent zu reduzieren. Zugleich stiegen die Leistungen der Brandenburger Schüler insgesamt an, so dass das Land nun die Schlusslichter hinter sich gelassen hat und ans PISA-Mittelfeld Anschluss gefunden hat. Was also ist passiert, dass trotzdem die Ungerechtigkeit steigt? Brandenburgs Entwicklung zeigt das Drama von Schulerfolgen und sozialer Gerechtigkeit. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass alle Schüler besser werden. Die Zuwächse der Leseleistungen seit dem Jahr 2000 sind die zweitstärksten in Deutschland überhaupt. Das ist eine uneingeschränkt gute Botschaft. Dennoch verweisen die PISA-Forscher darauf, dass Besserwerden allein nicht reicht. Die Schere zwischen guten und schlechten Schülern geht nämlich auf – wenn Akademikerkinder ihre Leistungen stärker verbessern als die Arbeiterkinder. Hinzu kommt in Brandenburg, dass die bildungsbürgerlichen Schichten ihren Anteil am Gymnasium ausweiten. Im Jahr 2006 besuchten über 60 Prozent der Akademikerkinder die Penne – ein Zuwachs von über zehn Prozentpunkten gegenüber 2000. Die intellektuelle Oberschicht, so die Interpretation der Forscher, hat ihre Lektion aus PISA gelernt. Das ist gut – aber es bringt das sensible Gleichgewicht der Bildungsgerechtigkeit sofort aus dem Lot, wenn im unteren Leistungssegment nicht ebenso große Erfolge erzielt werden. Und das ist nicht der Fall. perspektive21

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Die Gesamtbilanz des Brandenburger Bildungssystems löst damit weiter gemischte Gefühle aus. Den erfreulichen Leistungszuwächsen steht nach wie vor ein Viertel von 15-Jährigen gegenüber, das nur auf Grundschulniveau lesen kann. Aber nur 11 Prozent der Schüler gelten als exzellente Leser. Brandenburg produziert also weiter mehr Risikoschüler als Spitzenschüler. Die Kombination von Leistungssteigerungen im oberen Segment bei bleibend hohem Anteil von Bildungsverlierern sorgt dafür, dass Brandenburgs Schule heute ungerechter da steht als noch vor sechs Jahren. Das ist insgesamt ein kritischer Befund auch für das Brandenburger Bildungssystem. Was soll man von einer Schule halten, die nur magere Leistungen hervorbringt? Zu was eigentlich soll die Schule nutze sein, wenn nicht für die Förderung und Lebenschancen seiner Teilnehmer? Was soll die Schulpflicht noch, wenn sie die Bürger dazu zwingt, ihre Kinder in Schulen zu schicken, die so wenig Wirkung zeigen und so träge sind? Was in diesen Fragen aufscheint, ist die Anmutung von Farce, Tragödie und Endspiel. Schule ist in einer großen Krise – auch in Brandenburg. Und jeder kann es sehen, PISA braucht man dazu gar nicht. Wenn der zehnjährige Fritz ein Bedürfnis hat, dann geht es ihm wie manchem anderen kleinen Jungen. Er 74

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hat keine Lust, gleich Pipi zu machen. Nur hat das Zögern bei Fritz ganz andere Ursachen, als noch etwas fertig besprechen oder spielen zu wollen. „Ich gehe nicht zu den Toiletten auf unserer Schule, weil die unglaublich schmutzig sind“, sagt der kleine Kerl. Fritz besucht die Babelsberger Bruno-H.-Bürgel-Grundschule. 360 Schüler lernen dort, um sich auf weiterführende Einrichtungen vorzubereiten. Als Toilette steht ihnen eine schmuddelige Baracke auf dem Hof zur Verfügung. Es gibt auch neue Toiletten und Duschen, sie gehören zur Turnhalle. Aber auch dorthin gehen die Kinder nicht. Dazu müssten sie eine einsturzgefährdete Umkleide durchqueren. Stützen sichern die Decke – seit zwei Jahren. Der Glanz der alten Tage Die Bruno-H.-Bürgel-Schule ist so etwas wie eine Miniatur des Bildungssystems. 1907 als Gemeindeschule 1 eröffnet, galt sie als eine der modernsten Bildungsstätten ihrer Zeit. Die Fassade wurde für das 100-jährige Jubiläum herausgeputzt. Von außen merkt man ihr den Glanz der alten Tage an. Drinnen aber ist etwas faul. Die Mensa ist eine Baracke, die man noch zu DDR-Zeiten an ein Fachwerkhaus geklebt hat. In dem modrigen Flachbau haben gerade 60 Kinder Platz. 210 Hortkinder aber wollen hier täglich essen.


christian füller – jan in der sackgasse

„Es wird darum gebeten, menschenwürdige Zustände herzustellen“, lautete das Urteil. Und das war keine polemische Bemerkung eines Besuchers, sondern das amtliche Ergebnis der Begutachtung der Bürgel-Schule durch die Brandenburger Schulinspektion. „Menschenwürdige Zustände herstellen.“ Ursula Fiess, die Gesamtelternsprecherin, will niemanden aufwiegeln. „Aber ich finde diesen Zustand fragwürdig im 21. Jahrhundert. Wir sind schon im vergangenen Jahrhundert auf den Mond geflogen – und bei uns an der Schule schaffen wir es nicht mal, die Toiletten zu reparieren.“ Immer mehr Privatschulen Das ist keine lustige Anekdote aus der Brandenburger Provinz: Eine von Haus aus verunsicherte Elternschaft muss erleben, dass der Staat in Sachen Schulen ein unsicherer Kantonist ist. Ein Hallodri, dem jedes Pflichtgefühl der für ihre Zuverlässigkeit einst so berühmten preußischen Verwaltung abgeht. Die organisierte Verantwortungslosigkeit des Schulwesens ist indes kein Brandenburger Phänomen. Überall aus Deutschland lassen sich Grotesken erzählen, bei denen Unterrichtsausfall quasi unbesiegbar ist, Gymnasiasten wie Akkordlöhner bis zum Nachmittag ohne Mahl pauken müssen und Lehrer, die besonders gut sind, wegen Störung des Schulfriedens versetzt werden. Der

Staat betreibt in Deutschland über 90 Prozent der Schulen selbst. Er zwingt die Kinder qua Schulpflicht in diese Schulen – kann aber nicht einmal lückenlosen Unterricht garantieren. Von Lernerfolgen und Kompetenzzuwächsen für wirklich viele ganz zu schweigen. Die Eltern reagieren darauf verzweifelt. Sie verfallen in Apathie. Sie lassen die Situation über sich ergehen. Manche Schulkonferenz muss inzwischen ganz ohne Elternvertreter auskommen. Auch ein anderer Teil der Eltern zieht sich zurück – er verlässt das öffentliche Schulsystem. Seit Mitte der neunziger Jahre ist die Zahl der Privatschüler in Deutschland um etwa 30 Prozent gestiegen. Über 670.000 Kinder besuchen private allgemeinbildende Schulen, das sind inzwischen acht Prozent der Schüler insgesamt. Um Potsdam tiefrot Wenn die Rate an Privatschülern der Lackmustest für den übersäuerten Zustand eines Schulwesens ist, dann ist das Papierchen in und um Potsdam tiefrot gefärbt. Rund 20 Prozent der Schüler im Raum Potsdam besuchen private Schulen. Sie gehen lieber in freie, kommerzielle oder konfessionelle Bildungseinrichtungen als in die staatlichen Anstalten. Die Bürger fliehen in Scharen das öffentliche Schulsystem. „Ich zahle Steuern, da kann ich erwarten, dass ich dafür ein gutes Bildungsperspektive21

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system bekomme.“ So drohte der Teilnehmer einer Podiumsdiskussion in Potsdam. Und er brauchte dem anwesenden Bildungsstaatssekretär Burkhard Jungkamp (SPD) nicht näher zu erklären, was passiert, wenn das Land nicht gute Schulen schafft. Brandenburg ist ein Beispiel dafür wie deutsche Schule sich ganz allgemein darstellt: Unterdurchschnittlich in seinen Leistungen, bürokratisch gelähmt, unfähig, auf eine sich schnell wandelnde gesellschaftliche Situation zu reagieren. In Brandenburg aber gibt es noch etwas anderes – hochfahrende Ansprüche, die verfehlt werden. Denn in Potsdam hatte man schon die Sonne aufgehen sehen. Das Kapital ist im Kopf Es ist gar nicht so lange her, da brachte einer der besten Brandenburger eine interessante Reportage aus der finnischen Stadt Jyväskylä mit. „Das Kapital ist im Kopf“, schreibt der Autor programmatisch. Er schildert die Details des famosen finnischen Bildungssystems. Er huldigt dem Prinzip „Niemanden zurücklassen!“. Und er geht weiter, zeigt seinen Brandenburgern, wie nur gute Schule die Grundlage einer wissensbasierten Ökonomie sein kann. Er tut das ganz konkret vor Ort, indem er beschreibt, wie das Weltunternehmen Nokia nach Jyväskylä geht, wie Unternehmen und Bildungsinstitutionen zu76

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sammenarbeiten. Die beigefügten Fotos von 2004 zeigen den begeisterten Berichterstatter, einen gewissen Matthias Platzeck beim Besuch einer Grundschule. Daheim in Brandenburg ist Platzeck Landesvater. Jahrelang hat er, Finnlands faire „Kein Kind bleibt zurück“-Schule im Hinterkopf, einen neuen vorsorgenden Sozialstaat propagiert. Grundlage dafür ist, schwärmt Platzeck, dass „das Wohl des Kindes in Finnland im Mittelpunkt steht“. Unvereinbare Systeme Wo ist der Schwung der Brandenburger Bildungspolitik geblieben? Sprießen in der Mark die guten Schulen aus dem Boden? Wer setzt die avancierten Ideen des Landesvaters um? In der Szene gilt Brandenburgs Schulpolitik heute nicht mehr als reformorientiert, sondern als eine, die eine Todsünde begangen hat. Eine der wichtigsten systematischen Umstellungen ist die weg von der Bewertung der Schüler hin zur Analyse des ganzen Bildungssystems. Zu diesem Zweck werden überall in Deutschland so genannte Vergleichsarbeiten eingeführt. Sie dienen dazu, den politisch Verantwortlichen und der zentralen Qualitätsagentur Auskunft über den pädagogischen Zustand der Schulen zu geben. Das ist wichtig, um genau beobachten zu können, welche Schule im Vergleich zu anderen Schulen ihre Ziele nicht erreicht. Ver-


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gleichsarbeiten sind mitnichten dazu da, den einzelnen Schüler zu benoten. Brandenburg aber tut dies. Es nutzt die Vergleichsarbeiten auch für die Notenvergabe. Die Vermischung des Röntgenblicks auf das System mit der Zensierung des Schülers mixt zwei unvereinbare Systeme. Die Vergleichsarbeit misst Kompetenzen, um den Schüler besser fördern zu können. Die Klausur bewertet den Wissensstand des Schülers per Note, um ihn besser sortieren zu können. Lob und Ermunterung Für den Außenstehenden mutet das wie eine Petitesse an. Beim Blick in die besten Brandenburger Schulen wird deutlich, dass dahinter völlig unterschiedliche Philosophien stehen. Platzecks finnisches Credo „Kein Kind bleibt zurück“ bedeutet in den schulischen Alltag übersetzt: Weg von der Auslese – hin zur Förderung des Schülers. Sowohl in der MontessoriOberschule in Potsdam, einem der Schulpreisträger des Jahres 2007, als auch in der Waldhofschule Templin ist die Note nur mehr ein Übel. Es wird möglichst erst am Ende der Schulzeit eingesetzt. Schulintern praktizieren beide Schulen aber ein völlig anderes System von Diagnose – eines, das durch Lob und Ermunterung die Stärken der Schüler sichtbar und erfahrbar machen will.

Die Zensur ist das zentrale Steuerungsinstrument des alten Lernens. Eines Lernens, das sich dadurch auszeichnet, dass sich der Schüler dem vorhandenen Schulsystem anzupassen hat. Das bedeutet unweigerlich, dass er bewertet, zensiert und in Fällen abgeschult wird. Die Note ist an den Übergangsstellen also dazu da, die Schwächen des Schülers bloßzulegen. Ein paar Kinder sollen zurück bleiben. Das ist die alte, immer noch gültig Philosophie der Regelschule. Der Entwicklungsbericht und das Schüler-Lehrer-Elterngespräch sind die Instrumente, um beim neuen Lernen die Stärken des Schülers zu entdecken und auszubauen. Er muss nicht sortiert werden, weil er nicht im Gleichschritt mit einer frontal beladenen Gruppe mithalten muss. Es geht darum, die individuellen Fähigkeiten und Talente des einzelnen Schülers ausfindig zu machen. Daher ist der Frontalunterricht in guten Schulen das am wenigsten benutzte pädagogische Format. Es gibt stattdessen Frei- und Wochenplanarbeiten, bei denen der Schüler relative Freiheiten erhält, seine Kompetenzen einzuüben und zu steuern. Es gibt Werkstätten und Projekte, in denen die Schüler sogar weitgehende, manchmal absolute Freiheiten erhalten, sich eigene Themen und Fragestellungen zu wählen. Wem das zu theoretisch erscheint, der sei an Matthias Platzeck und an perspektive21

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Jan verwiesen. Jans Talente zu entdecken und ihn nicht etwa in einer Sonderschule einer so genannten reduktiven Didaktik auszusetzen, kann nur in selbständigen Lernformen gelingen. Die ständige Note wäre für einen Schüler wie Jan Gift. Sie würde ihm und den Schülern ständig vor Augen führen, wo seine Schwächen liegen. Aber auch für Schüler, die schneller und fordernder sind, ist die individuelle Methode mehr Wert – weil sie keinen mehr zwingt, auf den hinterher trottenden Klassenverband zu warten. Individuelle Projekte und Aufgaben erlauben höhere Geschwindigkeiten, mehr Motivation, größere Tiefenschärfe. Umbau auf Lernen 2.0 Heute fordern vor allem die großen Industrieunternehmen von ihren Mitarbeitern die Fähigkeit, eigenständig und im Team nach Lösungen für neue Probleme zu suchen. Schüler guter Schulen mit individuellen Methoden trainieren das täglich. Schüler gegliederter Systeme üben das eher zufällig. Und sie motivieren nicht, sondern demütigen im Gegenteil bestimmte Schülergruppen so regelmäßig, dass sie für individuelle Arbeiten schwer zu gewinnen sind. Zwischen guten Schulen und einer technologisch hochwertigen Produktion gibt es genauso eine Verbindung wie zwischen Regelschulen und einer wachsenden Dichte prekärer Milieus. 78

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Diese Verbindung ist die Demografie. In Zeiten schrumpfender Gesellschaften darf und kann man kein Kind zurück lassen. Weder aus moralischen noch aus ökonomischen Gründen. Bei Schulreformen ist es wahrscheinlich wie bei Schwangerschaft – es geht nur ganz oder gar nicht. Ein bisschen Schulreform ist unmöglich. Die Gesellschaft, die Wirtschaft, der Staat müssen sich entscheiden, was sie wollen. Chancen für möglichst jeden Schüler – das bedeutet einen radikalen Umbau auf Lernen 2.0. Das Lernen1.0, sprich ein Unterrichtsarrangement à la Feuerzangenbowle, stammt aus dem letzten Jahrhundert. Es hat uns wie die neueren Längsschnittstudien des Wissenschaftszentrums zeigen, sich verfestigende Nachteilsmilieus beschert. Die gute Schule, die nicht mehr frontal Wissen verlädt, sondern individuell Talente entdecken und Potenziale entwickeln hilft, ist die zum vorsorgenden Sozialstaat gehörende Basiseinheit. Matthias Platzeck hat also Recht und unrecht zugleich. Ja, er besitzt das richtige Konzept des Chancensozialstaats, bei dem nicht mehr die Bismarckschen Versicherungen, sondern ein exzellentes Bildungssystem im Vordergrund stehen. Nein, er sollte nicht zulassen, dass gute Schulen nicht mehr mit dem nötigen Enthusiasmus gefördert und entwickelt werden. Die Geschichte von Jan ist übrigens noch nicht zu Ende. Bald kommt er in


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die siebte Klasse. Aber eine siebte Klasse, die integrativen Unterricht macht, gibt es in seiner Nähe bislang nicht. Also müsste er wieder in eine Sonderschule. Man sieht seinen

Eltern an, wie sehr sie diesen Moment hassen, in dem klar wird, dass es keine gute Schule für ihr Kind gibt. Und man sieht, dass sie wieder dafür kämpfen werden. ■

Was zeichnet gute Schulen aus? Der Autor hat die fünf besten deutschen Schulen besucht. Sie stammen aus fünf Bundesländern und fünf verschiedenen Schulformen. Interessant war die Frage: Was haben sie gemeinsam? Tatsächlich lassen sich eine Reihe verallgemeinerbarer Schlüsse ziehen. Gute Schulen lehren uns sieben Lektionen: 1. Schulen müssen Regeln brechen, um wirklich gut zu werden. 2. Sie brauchen einen starken Möglichmacher, das ist meistens ein charismatischer Schulleiter, der die Schule lenkt und in ihr einen reformpädagogischen Geist verbreitet. 3. Gute Schulen sind immer von einem Grundprinzip durchdrungen, das für die deutsche Ausleseund Sitzenbleiberschule ungewöhnlich ist: Sie haben Respekt vor ihren Schülern. 4. Dieser Respekt drückt sich darin aus, dass Schüler anders lernen, individuell und in ihrer eigenen Geschwindigkeit. Dazu haben gute Schulen eine Vielzahl von Lehr- und Lernformen entwickelt (z. B. Projekte, Werkstätten, Freiarbeit, Lernlabore), die nur noch selten Frontalunterricht enthalten. 5. Gute Schulen geben ihren Schützlingen eine Vielzahl von Hilfen. Weil Kinder heute oft nicht didaktische Kniffe brauchen, sondern verlässliche Beziehungen. 6. Die guten Schulen haben beeindruckende Lehrer, die nicht mehr Einzelkämpfer sind, sondern in Teams arbeiten. 7. Und sie werden nicht allein vom Staat betrieben. Sie haben so gute Außenbeziehungen zu ihrer lokalen Umwelt, Unternehmen, Vereinen, Wohnungsbaugesellschaften, Behörden und nicht zuletzt zu den Eltern, dass der Einfluss des Staates dort deutlich relativiert wird.

CHRISTIAN FÜLLER

ist Journalist bei der Berliner tageszeitung „taz“ und Autor des Buches „Schlaue Kinder, schlechte Schulen“. Am 2. April erscheint sein neues Buch „Die Gute Schule: Wo unsere Kinder gerne lernen“, in dem das Prinzip der 100 besten deutschen Schulen beschrieben wird – darunter die Waldhofschule in Templin. perspektive21

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Ende der OsterhasenPädagogik ÜBER DEN SÄCHSISCHEN PISA-ERFOLG, DEN GLANZ VON GOLD UND WAS MAN VON SACHSEN LERNEN KANN SPRACH THOMAS KRALINSKI MIT MARTIN DULIG PERSPEKTIVE 21: Sachsen belegte beim jüngsten PISA-Test in allen drei Disziplinen – Naturwissenschaften, Mathematik und Lesekompetenz – den ersten Platz. Ist das Zufall? MARTIN DULIG: Sicher nicht. Wir konnten zum einen auf ein großes Potential aufbauen – nämlich polytechnisch und gut ausgebildete Lehrer. Und dann hat Sachsen zu Beginn der neunziger Jahre eine richtige Entscheidung getroffen und das westdeutsche dreigliedrige Schulsystem eben nicht übernommen. Stattdessen haben wir mit den Mittelschulen die Haupt- und Realschule unter einem Dach untergebracht. Und diese Struktur ist seit der Wende relativ stabil. Das alles scheint sich auszuzahlen. Allerdings dürfen wir auch nicht vergessen, dass dieser erste Platz nur relativ ist. Ein Grund liegt darin, dass andere schlechter sind. Sachsen und Thüringen punkten auch wegen ihrer homogenen Sozialstruktur.

Nach der ersten PISA-Studie hat Sachsen vor allem Veränderungen im Grund-

schulbereich vorgenommen. Wie sahen die aus? DULIG: Zunächst einmal geht es um die Lernmethoden. Die Grundschulen haben am besten und schnellsten ihre Methoden überprüft – und nehmen jetzt mehr auf individuelle Lernprozesse Rücksicht, machen zum Beispiel Projektunterricht. Es gibt eine flexible Schuleingangsphase, bei der Kinder sich bis zum Ende des zweiten Jahres Zeit nehmen können, das erste Schuljahr zu absolvieren. Die Verzahnung mit den Kitas läuft viel besser. Im letzten halben Jahr vor der Einschulung sind Grundschullehrer für drei Stunden die Woche an der Kita. Ein Bildungsplan für das letzte Kita-Jahr wurde gesetzlich verankert. All das braucht seine Zeit, aber es scheint sich langfristig positiv auszuwirken. Also hat Sachsen alles richtig gemacht? DULIG: Im Rahmen des bestehenden Systems wurde sicher vieles richtig gemacht. Und sicher spielen die Strukturen auch eine Rolle. So ist auffallend, perspektive21

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dass es in Sachsen deutlich weniger Schüler mit schwach ausgebildeten Kompetenzen gibt als in anderen Bundesländern. Auf der anderen Seite haben wir aber eine genauso schwache Spitze wie in Deutschland insgesamt. Die Veränderungen bei PISA von 2000 bis 2006 sind mit Strukturveränderungen aber kaum zu erklären. Die Diskussionen um die PISA-Studien haben vor allem bewirkt, dass Lehrer ihren Blick auf das Lernen und die Schüler geändert haben. Das fiel glücklicherweise damit zusammen, dass eine neue Generation von Lehrplänen eingeführt wurde. Nicht mehr Wissensvermittlung, sondern der Erwerb von Kompetenzen steht im Vordergrund. Da hat eine sanfte Revolution von innen stattgefunden. Und zwar ganz ohne Gesetzesänderungen. Was heißt das? DULIG: Es gibt heute mehr Projektunterricht und mehr fächerübergreifenden Unterricht. Die Lehrer wenden neue Methodik und Didaktik an. Viele haben verstanden, dass der Frontalunterricht die Methode des 19. Jahrhunderts ist. Für die Schule des 21. Jahrhunderts brauchen wir eine andere Schul- und Lernkultur. Und wie soll die aussehen? DULIG: Das Gehirn ist keine Festplatte, wo man was draufspielt, es in Ordner packt und dann wieder abruft. Lernen funktioniert anders. Es hat etwas mit 82

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der Lebenswelt des Lernenden zu tun. Deshalb brauchen wir eine andere Lernkultur, die stärker auf Selbstverantwortung setzt. Lernen bedeutet Kompetenzerwerb. Und dabei müssen die Lehrer jungen Menschen helfen. Was wir bisher hatten, war „Osterhasenpädagogik“: Der Lehrer versteckt das Wissen und freut sich, wenn die Kinder es finden. Dieses Prinzip müssen wir überwinden. Und dabei sind wir schon ein gutes Stück voran gekommen. Schulen brauchen Autonomie Aber offenbar nicht überall. Denn auch in Sachsen sind in den vergangenen Jahren viele freie Schulen entstanden. DULIG: Ja und zwar nicht aus Frust, weil in einem Ort die Schule mangels Kindern geschlossen werden musste. Nein, die Eltern wollen bessere Schulen haben. Die freien Schulen müssen zwar dieselben Lernziele erreichen wie die staatlichen Schulen. Sie haben dabei aber mehr Freiheiten und mehr Möglichkeiten von starren Regeln abzuweichen. Mein Ziel ist, dass die staatlichen Schulen genauso attraktiv sind wie die freien Schulen. Sie brauchen deshalb mehr Autonomie und mehr Verantwortung. In den Schulen selbst stecken die Kompetenzen und die Ressourcen. Wenn eine Schule für sich selbst verantwortlich ist, wird sie auch besser. Wie das funktioniert, kann man gut an den skandinavischen Schulen sehen.


mit martin dulig – ende der osterhasen-pädagogik

Was kann man noch von denen lernen? DULIG: Dass Lernpläne Bildungsziele beschreiben sollten – und nicht jeden einzelnen Schritt, was man wann wie im Unterricht zu behandeln hat. Wichtig ist aus meiner Sicht die Erkenntnis, dass längeres gemeinsames Lernen besser für die Kinder ist. Mehr gemeinsames Lernen Warum? DULIG: Wir wissen, dass die Sortierung der Kinder nach der 4. Klasse keine saubere Trennung nach dem Leistungsniveau ist. In Sachsen könnte die Hälfte der Mittelschüler gemessen an ihren Leistungen das Abitur ablegen. Andererseits senken wir das Niveau an den Mittelschulen, wenn wir ihnen die Leistungsspitzen nehmen würden. Und auch die 7. Klasse ist zu früh, weil das für viele Kinder ein schwieriges Alter ist. Deshalb setzt sich die sächsische SPD für die Gemeinschaftsschule ein? DULIG: Ja, dort soll das gemeinsame Lernen mindestens bis zur 8. Klasse gehen. Verbunden mit viel mehr Verantwortung vor Ort und einer anderen offeneren Lernkultur nimmt so eine Schule des 21. Jahrhunderts Gestalt an. Diese Schulen hat die SPD nach der Regierungsbeteiligung 2004 durchgesetzt. Zwar nur als Schulversuch an bisher acht Standorten, zu denen in diesem Jahr noch vier hinzukommen

können. Das ist ein guter Anfang. Entscheidend ist: Es gibt die Gemeinschaftsschulen und sie sind ein Erfolgsmodell. Ideologische Grabenkämpfe verlieren sich schnell vor Ort. Selbst in CDU-Kommunen gibt es mittlerweile Gemeinschaftsschulen – eben weil das Konzept überzeugt. Und dass solche Schulen gute Leistungen bringen, zeigen nicht nur die internationalen Vorbilder sondern zum Beispiel auch das Chemnitzer Schulmodell. Dort lernen die Kinder sogar bis zur 10. Klasse zusammen – und anschließend machen mehr als 50 Prozent Abitur. Gemeinsames Lernen fördert also auch die Leistung, wenn es pädagogisch verantwortlich gestaltet wird. Keine Patentlösungen Längeres gemeinsames Lernen bedeutet dann aber auch, sich von der Zweigliedrigkeit des Schulsystems zu verabschieden? DULIG: Wenn gesagt wird, Sachsen sei so gut bei PISA weil wir ein zweigliedriges und kein dreigliedriges Schulsystem haben – dann sage ich: Stellt Euch vor, wie gut wir erst sein werden, wenn wir ein eingliedriges System haben. Die Effekte wären riesig. Deshalb wollen wir die Gemeinschaftsschule zum Regelfall machen. Aber wie gesagt: Es geht nicht nur um die Struktur, sondern auch um die Lernkultur. Vor allem die muss sich verändern – und das wird Zeit brauchen. perspektive21

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Trotz aller Erfolge ist auch in Sachsen nicht alles Gold, was glänzt. Die Zahl der Förderschüler ist ähnlich hoch wie in anderen Bundesländern. DULIG: Hinzu kommt, dass 80 Prozent der Förderschüler am Ende keinen Abschluss haben. Sachsen bietet in Sachen Bildung keine Patentlösungen. Wir haben ähnliche Probleme wie andere Bundesländer auch. Fast zehn Prozent der Schüler verlassen bisher die Schule ohne Abschluss. Seit 1991 sind das 100.000 – eine unvorstellbar große Zahl. Es ist ja gut, wenn viele junge

Menschen auch die Förderung bekommen, die sie brauchen. Aber das darf nicht dazu führen, dass Schüler ausgesondert werden. Deshalb ist es unser Ziel, die Förderschulen überflüssig zu machen. Die Förderschüler müssen in die Regelschulen integriert werden, auch um die Kinder weniger zu stigmatisieren. Und dort brauchen sie individuelle Förderung. Dafür müssen wir den Schulen die Ressourcen nicht mehr nur nach der Zahl der Schüler sondern auch nach dem Förderbedarf der Schüler zur Verfügung stellen. ■

MARTIN DULIG

ist Vorsitzender der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. 84

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Die Berliner Republik erscheint alle zwei Monate. Sie ist zum Preis von 5,- EUR zzgl. Versandkosten als Einzelheft erhältlich oder im Abonnement zu beziehen: Jahresabo 30,– EUR; Studentenjahresabo: 25,– EUR Jetzt Probeheft bestellen: Telefon 030/255 94-130 Telefax 030/255 94-199, E-Mail vertrieb@b-republik.de


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Seit 1997 erscheint „perspektive 21 – Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik“. Wenn Sie Interesse an bisher erschienenen Ausgaben haben, können Sie ältere Exemplare auf unserer Homepage www.perspektive21.de als pdf herunterladen. Einzelne Exemplare von bisher erschienenen Ausgaben schicken wir Ihnen gerne auch auf Wunsch kostenlos zu. Senden sie uns bitte eine E-Mail an perspektive-21@spd.de. Zur Zeit sind folgende Titel lieferbar: Heft 17 Ende der Nachwendezeit. PDS am Ende? Heft 18 Der Osten und die Berliner Republik Heft 19 Trampolin oder Hängematte? Die Modernisierung des Sozialstaates. Heft 20 Der Letzte macht das Licht aus? Heft 21/22 Entscheidung im Osten: Innovation oder Niedriglohn? Heft 23 Kinder? Kinder! Heft 24 Von Finnland lernen?! Heft 25 Erneuerung aus eigner Kraft Heft 26 Ohne Moos nix los? Heft 27 Was nun Deutschland? Heft 28 Die neue SPD Heft 29 Zukunft: Wissen. Heft 30 Chancen für Regionen Investitionen in Köpfe Heft 31 Heft 32 Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert Der Vorsorgende Sozialstaat Heft 33 Heft 34 Brandenburg in Bewegung 10 Jahre Perspektive 21 Heft 35 Heft 36 Den Rechten keine Chance Heft 37 Energie und Klima 8838 märzDas 2009rote 40 Heft – heftPreußen Osteuropa und wir Heft 39


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