perspektive21 - Heft 42

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HEFT 42 AUGUST 2009 www.perspektive21.de

BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK

WIE DIE FRIEDLICHE REVOLUTION GELANG

1989 - 2009 GÜNTER BAASKE: KLAUS NESS:

Gut für Deutschland, gut für Brandenburg

Türen und Fenster auf

THOMAS KRALINSKI: MARKUS MECKEL:

700 Tage, die die Welt veränderten

Die Ost-SPD und der Weg zur deutschen Einheit

GÜNTHER JAUCH, PEER STEINBRÜCK, MANFRED STOLPE, HANS-OTTO BRÄUTIGAM, RAINER SPEER, MARTINA MÜNCH, JÖRG SCHÖNBOHM JULI ZEH:

und HEINZ VIETZE: Wendegeschichten – Mein 1989

„Hier jammert niemand“

MATTHIAS PLATZECK: FELIX RINGEL:

1989 – 2009 – 2029

Willkommen in Hoytopia


Eine persรถnliche Bestandsaufnahme

20 Jahre nach der friedlichen Revolution von 1989: Wie viel Einheit haben wir erreicht? Welchen Aufbruch braucht Deutschland jetzt?

224 Seiten, gebunden

| Hoffmann und Campe | Das will ich lesen


vorwort

1989 - 2009 or 20 Jahren vibrierte es in der DDR und in Osteuropa. Heute nimmt auch die Perspektive 21 den Jahrestag der Friedlichen Revolution zum Anlass, ein wenig zurückzublicken. Dazu haben wir den Mitbegründer der SDP, Markus Meckel, um seinen Blick auf den Vereinigungsprozess gebeten. Eine ganze Reihe von Persönlichkeiten schildert ihre ganz privaten „Wende-Erlebnisse“. Aber wir wollen nicht nur in den Rückspiegel schauen. Deshalb wirft Matthias Platzeck einen Blick auf die Aufgaben, die uns in Ostdeutschland in den kommenden 20 Jahren erwarten.

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Mit der vergangenen Ausgabe der Perspektive 21 waren wir der Zeit ein klein wenig voraus – und darauf sind wir sehr stolz. In jenem Heft erläuterte Harald Christ seine Vorstellungen, wie die Wirtschafts- und Finanzkrise bewältigt werden kann. Heute ist er im Regierungsteam von Frank-Walter Steinmeier für Mittelstandsfragen zuständig. Zweifellos ist die Lage der SPD vor der Bundestagswahl nicht einfach – aber „die Lage ist offen“. Ich bin sicher, mit Selbstbewusstsein und Überzeugungskraft können wir am 27. September unsere Wahlziele erreichen – im Bund und in Brandenburg. Der „Deutschland-Plan“ von Frank-Walter Steinmeier ist ein gutes Beispiel, wie man eine Vision mit konkreten Antworten verbinden kann. Günter Baaske erläutert in diesem Heft, warum der Deutschland-Plan gut für Deutschland und gut für Brandenburg ist. Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen IHR KLAUS NESS

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impressum

HERAUSGEBER ¢ ¢

SPD-Landesverband Brandenburg Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V.

REDAKTION

Klaus Ness (V.i.S.d.P.), Thomas Kralinski (Chefredakteur), Ingo Decker, Dr. Tobias Dürr, Klaus Faber, Tina Fischer, Klara Geywitz, Lars Krumrey, Christian Maaß, Till Meyer, Dr. Manja Orlowski, John Siegel ANSCHRIFT

Alleestraße 9 14469 Potsdam Telefon 0331 / 730 980 00 Telefax 0331 / 730 980 60 E-MAIL

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Layout, Satz: statement Werbeagentur Kantstr. 117A, 10627 Berlin Druck: Lewerenz GmbH, Klieken/Buro BEZUG

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inhalt

1989 - 2009 WIE DIE FRIEDLICHE REVOLUTION GELANG MAGAZIN

Gut für Deutschland, gut für Brandenburg .............................. 17 Frank-Walter Steinmeiers Deutschland-Plan ist mutig und vor allem: machbar GÜNTER BAASKE:

Türen und Fenster auf .................................................................. 111 Warum das Wahljahr für die Sozialdemokraten eine große Chance bereit bereithält KLAUS NESS:

THEMA 700 TAGE, DIE DIE WELT VERÄNDERTEN: Was 1989 und 1990 in Europa geschah

.. 17

Zusammengestellt von Thomas Kralinski MARKUS MECKEL: Die Ost-SPD und der Weg zur Deutschen Einheit

.................. 35

Die ostdeutschen Sozialdemokraten wollten Freiheit und eine selbstbestimmte Einheit GÜNTHER JAUCH, PEER STEINBRÜCK, MANFRED STOLPE, HANS OTTO BRÄUTIGAM, RAINER SPEER, MARTINA MÜNCH, JÖRG SCHÖNBOHM UND HEINZ VIETZE:

Wendegeschichten – Mein 1989 ............ 51

JULI ZEH: „Hier jammert niemand“

...................................................................... 69 Über Ost, West, Nord und Süd, Wendeerfahrungen und das Leben in Brandenburg 1989 – 2009 – 2029 .......................................................... 75 10 Thesen über das neue Ostdeutschland MATTHIAS PLATZECK:

Willkommen in Hoytopia ............................................................ 89 Über die Schrumpfung einer einstigen sozialistischen Modellstadt und die neue ostdeutsche Avantgarde FELIX RINGEL:

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dezember 2007 – heft 36


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Gut für Deutschland, gut für Brandenburg FRANK-WALTER STEINMEIERS DEUTSCHLAND-PLAN IST MUTIG UND VOR ALLEM: MACHBAR VON GÜNTER BAASKE

„Am besten sagt man die Zukunft voraus, indem man sie selbst gestaltet.“ Peter Drucker s war die größte Rezession der Nachkriegszeit, Banken brachen zusammen, die Exporte gingen massiv zurück, Unternehmen strauchelten, die Zahl der Arbeitslosen stieg rasant, die Verschuldung der öffentlichen Haushalte explodierte. Das alles ist gut 15 Jahre her. Anfang der neunziger Jahre wurden Finnland und Schweden von einer Wirtschafts- und Strukturkrise getroffen, wie sie diesen Ländern zuvor noch nicht widerfahren war. Mit harter Arbeit und einer Vision von moderner Arbeit, aktivem Sozialstaat und guter Bildung haben sich die beiden Länder aus der Krise herausgearbeitet. Nach zehn Jahren verzeichneten die Staatshaushalte der beiden Länder Überschüsse, die Arbeitslosenquote hatte sich mehr als halbiert, beide Länder gehören zu den wettbewerbsfähigsten auf der Welt.

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Andere Länder machen es vor Finnland und Schweden haben gezeigt, dass man sich aus einer Krise nur mit einer tauglichen strategischen Vision befreien kann. Aber dazu gehört es eben, ein Ziel anzupeilen und dann die Wege zu beschreiben, die man gehen muss, um dieses Ziel zu erreichen. Genau das hat Frank-Walter Steinmeier mit seinem „Deutschland-Plan“ getan. Das Konzept mit dem Namen „Die Arbeit der Zukunft“ ist sehr gründlich, sehr klug und sehr verantwortungsvoll. Genau wie sein Autor. Steinmeier „verspricht“ mit dem Konzept keine vier Millionen Arbeitsplätze. Er formuliert Ziele – und er zeigt auf, wie sie sich realisieren lassen. Er beschreibt, welche Weichen wir stellen müssen, damit in Deutschland in den nächsten zehn, perspektive21

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zwölf Jahren etwa vier Millionen Arbeitsplätze entstehen können. Und zwar durch ■ den intelligenten Umbau unserer Industrie. Dabei geht es um moderne Maschinen mit weniger Energieverbrauch, Autos mit neuen Antrieben, neue Produktionsprozesse und natürlich die dazugehörige Software. ■ eine Allianz für den Mittelstand. Dabei geht es um bessere Finanzierung für kleine und mittlere Unternehmen, um mehr Unterstützung von Forschung und Entwicklung. Denn die meisten Arbeitsplätze entstehen in den flexiblen kleinen Unternehmen. ■ gezielte Investitionen in den Gesundheitssektor. Dabei geht es um neue Jobs in der Kranken- und Altenpflege, in der Medizintechnik und integrierte medizinische Versorgung. ■ mehr Bildung und bessere Integration. Es geht um mehr Bildung für alle von Anfang an, um den Ausbau der Kinderbetreuung, um mehr Studienplätze und viel weniger Schulabbrecher. Wir haben schon viel erreicht Diese Ziele sind ambitioniert, aber wir können sie erreichen. Und dabei wird leicht übersehen, dass wir auch schon in den vergangenen Jahren die Kraft hatten, hochgesteckte Ziele zu erreichen: ■ Mit den Arbeitsmarktreformen hatten wir das Ziel verknüpft, die Arbeitslosigkeit zu halbieren. Anfang 2005, zum Start der Hartz-Reformen, gab es in Brandenburg 280.000 Arbeitslose, heute – im Sommer 2009 – sind es 160.000. Kein Zweifel, die Arbeitslosigkeit ist immer noch zu hoch. Kein Zweifel, der Rückgang vollzog sich langsamer, als wir gehofft hatten. Kein Zweifel, die Arbeitsagenturen können immer noch besser werden. Aber immerhin ist die Zahl der Arbeitslosen in den vergangenen Jahren um 43 Prozent zurückgegangen. Das ist eine gute Basis um weiterzumachen. Denn noch ist unsere Arbeitsvermittlung nicht die beste der Welt. ■ Energie ist eines der zentralen Zukunftsfelder, schon allein weil Energie- und Rohstoffkosten heute für 40 Prozent der Kosten in der Industrie verantwortlich sind. Wir brauchen also Autos und Maschinen, die weniger verbrauchen und effizienter sind. Wir brauchen Energiequellen, die uns unabhängiger von den Weltmärkten machen. Deshalb bauen wir die erneuerbaren Energieträger aus – seit 2000 hat sich die Stromerzeugung aus diesen erneuerbaren Energien verdreifacht. Und das bedeutet nichts anderes als Arbeitsplätze hier bei uns. Bei 8

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günter baaske – gut für deutschland, gut für brandenburg

den erneuerbaren Energien bestehen bereits heute in Brandenburg fast 6.000 Arbeitsplätze – das ist eine Verdoppelung innerhalb von fünf Jahren. Bei gleicher Dynamik – und jeder erwartet, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien eher schneller erfolgt – würden in Brandenburg schon in den kommenden Jahren noch einmal 6.000 Jobs entstehen. Das wären auf Deutschland hochgerechnet etwa 200.000 allein in diesem Sektor. Wenn Menschen älter werden – und das werden wir zum Glück –, wird die Gesundheitswirtschaft ein immer wichtigerer Wirtschaftszweig. 2005 wurde eine vielbeachtete Fachkräftestudie für Brandenburg vorgelegt. Die Autoren der Studie rechneten damit, dass in den fünf Jahren bis 2010 in unserem Land fast 4.000 Arbeitskräfte im Bereich der Pflegedienstleistungen gebraucht würden. Niemand hatte diese Zahlen damals angezweifelt, denn der Bedarf wird weiter steigen. Und zwar schon deshalb, weil sich in Zukunft die Zahl der über 80-Jährigen verdoppeln wird. Deshalb ist es heute wichtig, für diese neuen Berufe und Dienstleistungen zu werben, deshalb ist es heute wichtig, in diesen Bereichen auszubilden.

All das passiert nicht von allein. Sondern nur, wenn man weiß, welche Ziele man verfolgt – und welche Maßnahmen ergriffen werden können. Deshalb ist es auch so unverständlich, warum manche Frank-Walter Steinmeiers Konzept für die „Arbeit von morgen“ schon verdammt haben, bevor sie es überhaupt lesen konnten. Bei FDP und CDU/CSU wussten sie sofort, was alles nicht geht. Nur eins war und ist aus dieser Richtung nicht zu hören: eigene Ideen für neue Arbeitsplätze. Wahrscheinlich hat man bei Schwarz-Gelb auch keine – sondern nur die alte Tagesordnung. Und nach der müssten wir einfach mit unkontrollierten Märkten weitermachen und die Deregulierung vorantreiben. Nach der Lektüre der 66 Seiten des Steinmeier-Papiers könnte ich jede Seite unterschreiben – und ich kann nicht verstehen, was an dem Plan falsch sein soll. Neuer Weg anstatt alter Trott Wahlkampf ist nichts anderes als ein Wettkampf der Ideen und der Konzepte. Mit Frank-Walter Steinmeiers Vorschlag haben wir jetzt ein Konzept, dass sich gerade nicht auf reines Krisenmanagement beschränkt. Es zeigt einen Weg auf, wie wir unsere soziale Marktwirtschaft erneuern und dabei zugleich das „Soziale“ größer schreiben können. „Kinder, sagt mir nich, dass et nich jeht“, hat Regine Hildebrandt immer dann unnachahmlich formuliert, wenn sie vor einem neuen perspektive21

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Problem stand. Genau dies könnte das Motto des Deutschland-Plans sein. Hier werden neue Wege beschrieben, wie wir in der Wirtschafts-, in der Bildungs-, in der Familien-, Umwelt und Energiepolitik so vorankommen, dass unser Land stärker wird. Nichts Geringeres als das brauchen wir in der tiefsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir können nicht zurück zum alten Trott – wir brauchen einen Aufbruch zum Neuen und Besseren. Wer hingegen die Massenarbeitslosigkeit nicht bekämpfen will und sich mit Millionen von Arbeitslosen abgefunden hat, soll es auch sagen und besser zu Hause bleiben. Die Zukunft entscheidet sich jeden Morgen um acht Und für diesen Aufbruch hat Frank-Walter Steinmeier auch Hausaufgaben verteilt. Für Bildung verantwortlich sind wir in den Ländern. Und Bildung ist das wichtigste überhaupt. Ohne Bildung keine Fachkräfte, ohne Bildung kein Job, ohne Bildung keine Chance auf sozialen Aufstieg. Die Zukunft entscheidet sich jeden Morgen um acht – in der Schule, in der Kita oder in der Hochschule. Deshalb haben wir uns in Brandenburg vorgenommen, unser Schulsystem deutlich zu verbessern. Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen – aber immerhin hat unser Land bei der letzten PISA-Bildungsstudie unter allen Bundesländern den größten Sprung nach vorn gemacht. In die Kitas werden wir in den kommenden fünf Jahren 125 zusätzliche Millionen Euro investieren. Und wir werden bei der Bildung für mehr Durchlässigkeit sorgen – mit einem Schüler-Bafög und dem Schulsozialfonds – aber ganz sicher ohne Studiengebühren. Von Bertolt Brecht stammt der schöne Satz: „Wer kämpft, kann verlieren; wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Für uns Sozialdemokraten lohnt es sich zu kämpfen – und zu gewinnen. Denn wir haben gute Ideen und klare Ziele. Die anderen nicht. ¢

GÜNTER BAASKE

ist Fraktionsvorsitzender der SPD im Brandenburger Landtag. 10

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Türen und Fenster auf WARUM DAS WAHLJAHR FÜR DIE SOZIALDEMOKRATEN EINE GROSSE CHANCE BEREIT BEREITHÄLT VON KLAUS NESS

as ist ein außergewöhnliches Wahljahr. Es ist nicht nur die Fülle der Wahlen: von der Bundespräsidentenwahl über acht Kommunal- und sechs Landtagswahlen bis hin zur Bundestagswahl. Zum ersten Mal seit der Vereinigung erlebt Deutschland einen Wahlkampf, bei dem die beiden großen Parteien, SPD und CDU, sich als Partner in der Regierung und Gegner gleichzeitig gegenüberstehen. Weitaus prägender dürfte jedoch sein, dass das Wahljahr mit der größten Rezession seit dem Kriegsende einhergeht. Wenn man alle Jahre mit „Minuswachstum“ seit 1949 zusammenrechnet, kommt man nicht auf das Ausmaß der Wirtschaftskrise des Jahres 2009: -6 Prozent. Das allein macht deutlich, dass es Jahre dauern wird, bis dieser ökonomische Einbruch überwunden sein wird. Noch weiß keiner, wie sich dieses einmalige Ereignis in Wählerstimmen übersetzen wird. Aus den vergangenen beiden Wahlen dieses Jahrzehnts, 2002 und 2005, wissen wir dreierlei: Die Mobilisierung der sozialdemokratischen Wähler setzte erst (sehr) spät ein – und entschied den Ausgang der Bundestagswahlen auf den letzten Metern. Ferner ließ sich der (relative) Erfolg der SPD bei beiden Wahlen auch eher kulturell und personell begründen – und weniger über die wirtschaftspolitische Hoheit. Hinzu kam der Sieg der SPD im Osten, der entscheidend dazu beigetragen hat, dass Gerhard Schröder Kanzler blieb (2002) und die SPD auf Augenhöhe mit der CDU kam (2005). Aber wirken diese „Erfahrungen“ auch 2009?

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Die Krise ist nicht angekommen Zuerst ein Blick auf die politisch-ökonomische Gesamtlage in der Mitte des Jahres 2009. Vollkommen überraschend ist die scharfe ökonomische Krise in den Köpfen der Deutschen (noch) nicht wirklich angekommen. Als sich der Einbruch im vergangenen Herbst abzeichnete, rechnete jeder mit einem schnellen Stimmungsumschwung in Deutschland. Denn schon in den wirtschaftlich guten Jahren 2006 und 2007 hatten die Deutschen eher zurückhaltend reagiert: Der Aufschwung sei bei ihnen nicht angekommen. Letzteres gilt nun offenbar auch für die Krise. Der Zufall wollte es, dass um die Jahreswende etliche Tariflohnsteigeperspektive21

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rungen in Kraft traten, die nunmehr – angesichts einer Inflation von nahe Null – richtig etwas wert waren. Durch geschicktes Krisenmanagement und Ausnutzen aller Stabilisatoren – Kurz- und Zeitarbeit, leichte Einkommenssteuersenkungen, Konsumprämien, Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen – will die Krise die Portemonnaies der Deutschen so gar nicht erreichen. Das führt zu einer verhältnismäßig gelassenen Stimmung und einer Konsumneigung, die sich Politiker und Ökonomen seit Jahren immer gewünscht haben. Auch wenn einzelne Branchen und Regionen sehr unterschiedlich von der Finanz- und Wirtschaftskrise betroffen sind: Die Grundstimmung der Deutschen ist nach wie vor erstaunlich positiv. Das muss nicht so bleiben, hält aber nun auch schon über alle Krisen bei HRE, Commerzbank, Opel, Karstadt, Schaeffler und wie sie alle heißen, hinweg an. Zwischen Realität und Illusion Parallel dazu ist die öffentliche Meinung innerhalb weniger Monate von einem eher neo-liberalen zu einem nachfrageorientiert-interventionistischen Mainstream umgeschlagen – und stützt damit eine ohnehin eher ganz grundsätzlich sozialdemokratische Grundstimmung im Land. Auch wenn die SPD selbst von dieser Grundstimmung (noch) nicht profitiert. Gleichzeitig hatten alle Kommentatoren in der Krise einen Aufschwung der Linkspartei erwartet, die sich in der Vergangenheit doch am ehesten als große Kritikerin der real-existierenden kapitalistischen Verhältnisse generiert hatte. Doch dieser Aufschwung ist schlicht ausgeblieben. Die alte PDS hat in den vergangenen 15 Jahren eine erstaunliche Wende vollzogen: von der gehassten SED-Nachfolgerin zu einer von drei bestimmenden Parteien im Osten, die in vielfacher Weise in Verantwortung steht. Die PDS stellt und stellte zahlreiche Bürgermeister, Landräte, Minister – und begriff sich in einigen Ländern auch zunehmend als Regierungspartei im Wartestand. Das führte zu einer Entradikalisierung mancher Forderungen und zum Versuch, aus dem gesellschaftlichen „Ghetto“ der Wendeverlierer auszubrechen. Besonders deutlich lässt sich dies anhand des Wahlprogramms der Linkspartei in Brandenburg sehen. Ein erster Entwurf sprach noch davon, die durchschnittliche Gruppengröße in den Kitas von derzeit 14 Kindern auf 10 zu senken. Kostenpunkt für das Land: 50 Millionen Euro jährlich. Das würde die Ausgaben für die Kindertagesstätten um ein ganzes Drittel erhöhen – eine schlichte Illusion angesichts der schwieriger werdenden Haushaltslage. Im Laufe der Beratungen innerhalb von Fraktion und Partei wurde der Entwurf dann entschärft – man kann auch ein12

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klaus ness – türen und fenster auf

fach sagen: realitätsnäher. Ziel ist nunmehr eine Gruppengröße von 12 Kindern. Das mag nicht revolutionär sein, aber immerhin erreichbar. Zur gleichen Zeit verschärft die Bundespartei jedoch ihren Kurs – dort gilt das Prinzip: schneller, höher, weiter. Ein Mindestlohn soll nicht bei 8 sondern bei 10 Euro liegen, Hartz IV soll nicht mehr auf „nur“ 435 Euro sondern gleich auf 500 Euro angehoben werden, ein neues Investitionsprogramm des Bundes nunmehr 200 Milliarden Euro umfassen. Dem großen Vorsitzenden Lafontaine hören dabei immer weniger Menschen zu. Er macht dies wett mit immer härterer Rhetorik, in der es nur so von „Verbrechern“ und „Schurken“ wimmelt – gemeint sind damit immer die Politiker der anderen Parteien. Die Umfragewerte der Linkspartei sind seit dem Herbst 2008 um gut ein Drittel gesunken. Doch der Zoff fängt gerade erst an. Es zeigt sich, dass mit der Vereinigung von WASG und PDS doch nicht zusammengewachsen ist, was zusammen gehört. Denn im Westen bekriegen sich die Linken bei den Kandidatenaufstellungen und überziehen sich wechselseitig mit Anzeigen und Beschimpfungen. Moderate Linke aus dem Westen flüchten in den Osten, manche Realos werden gar nicht erst aufgestellt oder auf hintere Listenplätze durchgereicht. Die Linkspartei ringt mit sich selbst Es zeigt sich nunmehr, dass die Lafontainetruppe im Westen eben doch eine Ansammlung von Selbstdarstellern, Sektieren und selbst ernannten Revolutionären ist. Auch die Gewerkschafter, die auszogen, mit der WASG „ordentliche“ linke Politik zu machen, werden zunehmend an den Rand gedrängt. Dabei rächt sich auch, dass die Linkspartei bis heute kein Programm hat und einzig von den Eingebungen ihrer Vorsitzenden oder den wilden Ideen mancher Weltverbesserer lebt. Die Folge: Im Westen haben sich die Umfragezahlen der Linken seit dem Herbst mittlerweile nahezu halbiert. Dabei wird auch den alten PDS-lern im Osten immer unwohler. Manche sprechen bereits davon, den „Kampf um die Partei“ verloren zu haben. Vom Stolz, mit der neuen Partei endlich im Westen angekommen zu sein, ist nicht mehr viel übrig. Man fängt an zu ahnen, dass die Krise der Linkspartei im Westen sich ganz schnell auch im Osten niederschlagen kann. Die Sprache der Verzweiflung spricht deshalb auch aus dem Aufruf „Ringen wir darum IN unserer Partei“ des reformorientierten Forums Demokratischer Sozialismus. Denn manche haben bereits die Konsequenzen gezogen und sind ausgetreten, wie jüngst eine Europaabgeordnete, der Berliner Finanzexperte oder ein ehemaliger perspektive21

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Stadtrat. Anzunehmen ist, dass der Exodus noch nicht zu Ende ist. Zu viel Unzufriedenheit staut sich in den Ost-Landesverbänden auf. Er entlädt sich zum Beispiel in mickrigen Resultaten bei den Wahlen ihres Spitzenpersonals – wie unlängst in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Wer genau hinschaut, stellt außerdem fest, dass der große Zustrom zur Linkspartei – von dem Lafontaine immer spricht – eher ein Rinnsal ist. Im Osten, wo nach wie vor drei Viertel der LinkenParteimitglieder wohnen, gehen die Mitgliedszahlen unverändert zurück. Genau gesagt um 8 Prozent innerhalb der letzten zwei Jahre. Auch die Zahl der Neueintritte in die Linkspartei hat nachgelassen – und liegt entgegen mancher Vermutung um die Hälfte unter der Zahl der sozialdemokratischen Neumitglieder. Die PDS verliert ihre Funktion Es kann aber auch sein, dass mit der Gründung der Linkspartei schlicht etwas zu Ende geht, das auf tiefere Veränderungen im Osten zurückgeht. Zwanzig Jahre nach der Friedlichen Revolution entwickeln sich die ostdeutschen Regionen stärker auseinander. In einigen Gegenden herrschen mit vier oder fünf Prozent Arbeitslosigkeit fast bayrische Verhältnisse, andere kämpfen immer noch mit Abwanderung und hoher Armutsquote. Bisher ist auch die Widerstandskraft der Ost-Länder in der Wirtschaftskrise erstaunlich. Das mag auf der einen Seite mit der geringeren Fallhöhe, andererseits aber auch mit einer größeren „Krisenkompetenz“ zu tun haben. Die Wirtschaftsstruktur der neuen Länder ist in den vergangenen Jahren robuster geworden, der Aufbau Ost hat sich Schritt für Schritt in die Gesellschaft eingearbeitet. Mit der Folge, dass die obere Mitte und die Oberschicht in den vergangenen Jahren gewachsen ist, während die Mitte schrumpft und das untere Drittel stabil bleibt. Angesichts dieser Ausdifferenzierung der ostdeutschen Gesellschaft wird es deshalb in Zukunft schwieriger werden, reine „ostdeutsche“ Positionen zu beschreiben. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es gibt immer noch erhebliche wirtschaftliche und soziale Unterschiede zwischen Ost und West. Aber auch innerhalb des Ostens werden die Unterschiede größer – einschließlich der generationellen. Erstmals wählen 2009 junge Menschen den Landtag oder den Bundestag, die erst nach der Vereinigung zur Welt gekommen sind – und die DDR nur noch aus Erzählungen oder dem Geschichtsbuch kennen. Es ist deshalb gut möglich, dass die PDS/ Linke nunmehr 20 Jahre nach der Wende langsam aber sicher eine ihrer Funktionen verliert – die der „Heimatpartei Ost“. Die PDS hat in den ersten beiden Jahrzehnten des vereinigten Deutschlands eine wichtige Rolle gespielt, indem sie große 14

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klaus ness – türen und fenster auf

Teile der ostdeutschen Gesellschaft in die gesamtdeutsche integriert hat. Diese Aufgabe scheint nun langsam aber sicher beendet zu sein. Die Linkspartei verliert ein Alleinstellungsmerkmal im Osten – eben weil sie keine rein ostdeutsche Partei mehr ist und weil es „den“ Osten auch immer weniger gibt. Neue Perspektiven Das kann zur Chance für die Sozialdemokratie im Wahljahr werden. Die Bevölkerung vertraut der Linkspartei immer dann, wenn es darum geht, Probleme gut zu beschreiben. Als Problemlösungspartei wurde die Linke nie ernst genommen. Jetzt in der tiefsten wirtschaftlichen Krise rächt sich das. Denn die Menschen wollen in schwierigen Zeiten Leuten vertrauen, die nicht nur mit immer schärferen Sprüchen durchs Land laufen, sondern Leuten, die Probleme lösen – gerade in schwierigen Zeiten. Die SPD ist im Osten schon immer die Partei der Mitte gewesen. Das hat den Vorteil, dass sie all jene ansprechen kann, die mit Augenmaß und Vernunft regiert werden wollen, ohne dass soziale Maßstäbe vergessen werden. Die SPD kann sich dabei ein ostdeutsches Wählerklientel erschließen, das sich den Aufstieg in den vergangenen Jahren hart erarbeitet hat, gleichwohl aber die soziale Balance im Land nicht mehr gesehen hat und so in den vergangenen Jahren eher bei der Linkspartei war. In so unsicheren Zeiten wie in diesem Wahljahr bedeutet das, den Menschen zuzuhören, ihre Probleme ernst zu nehmen, Politik zu erklären und Zuversicht zu vermitteln. Denn die Verunsicherung über die Zukunft ist groß, darüber lässt sich nicht hinwegsehen. Gerade im Osten. Dann wäre es auch möglich, dass die Sozialdemokraten wie 1998, 2002 und 2005 auch wieder stärkste Kraft in den neuen Ländern werden. Und es geht zweitens darum, Türen und Fenster aufzumachen. Mancher Sozialdemokrat hat die strikte Weigerung der neugegründeten SDP nach der Wende, ehemalige SED-Mitglieder aufzunehmen, als historischen Fehler bezeichnet. Gut möglich, dass dies jetzt, 20 Jahre später, ein wenig korrigiert werden kann. Die Zeit dafür ist reif. Ganz neue Perspektiven würden sich öffnen. ¢

KLAUS NESS

ist Generalsekretär der SPD Brandenburg. perspektive21

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thema – 1989 – 2009thomas kralinski – 700 tage, die die welt veränderten

700 Tage, die die Welt veränderten WAS 1989 UND 1990 IN EUROPA GESCHAH ZUSAMMENGESTELLT VON THOMAS KRALINSKI

1989

Honecker, die Mauer werde noch in „50 und 100 Jahren bestehen bleiben“.

1. JANUAR +++ WASHINGTON/MOSKAU

Der sowjetische Parteichef Gorbatschow und US-Präsident Ronald Reagan halten erstmals Neujahrsbotschaften im jeweils anderen Land.

20. JANUAR +++ WASHINGTON +++

Der neue US-Präsident George Bush tritt sein Amt an. 29. JANUAR +++ WEST-BERLIN +++

11. JANUAR +++ BUDAPEST +++

Das Parlament beschließt ein Vereinsund Versammlungsgesetz. Es erlaubt die Bildung von Parteien, Gewerkschaften und Vereinigungen sowie deren Recht auf Kundgebungen und Demonstrationen.

Eberhard Diepgen verliert die Abgeordnetenhauswahl. Walter Momper wird neuer Regierender Bürgermeister mit einer Koalition aus SPD und Alternativer Liste. Die Republikaner ziehen mit 7,5 Prozent in das Landesparlament ein. 6. FEBRUAR +++ BERLIN +++

15. JANUAR +++ PRAG +++

Anlässlich des 20. Jahrestages der Selbstverbrennung von Jan Palach kommt es auf dem Wenzelsplatz zu Demonstrationen, die von der Polizei niedergeknüppelt werden. 500 Demonstranten werden verhaftet, unter ihnen Václav Havel, der zu neun Monaten Haft verurteilt wird.

An der Berliner Mauer wird Chris Gueffroy bei einem Fluchtversuch erschossen. Er wird der letzte MauerTote sein. 6. FEBRUAR +++ MADALENKA +++

In Polen beginnen die Gespräche am Runden Tisch zwischen Regierung und Solidarnos´c´.

19. JANUAR +++ OST-BERLIN +++

11. FEBRUAR +++ BUDAPEST +++

Auf einer Konferenz sagt Erich

Das Zentralkomitee der ungarischen perspektive21

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thema – 1989 – 2009

Kommunisten tritt für ein Mehrparteiensystem ein. 15. FEBRUAR +++ AFGHANISTAN +++

Die UdSSR zieht ihre letzten Truppen aus Afghanistan ab. Der sowjetische Außenminister Schewardnadse kündigte zuvor den Abzug von 260.000 Soldaten aus dem Osten und Süden der Sowjetunion an.

erstmals 121 Vertreter von 24 unabhängigen Interessengemeinschaften aus der ganzen DDR zu einem Erfahrungsaustausch über die Themen Umweltschutz und Stadtgestaltung. 17. APRIL +++ WARSCHAU +++

Die Solidarnos´c´ wird wieder zugelassen. 25. APRIL +++ MOSKAU +++

Die Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum der DDR fordert die Freilassung von Václav Havel. Das PEN-Zentrum der BRD fordert dies am 22. März.

Das ZK der KPdSU wird radikal verjüngt. Aus dem Amt scheidet u. a. Andrej Gromyko, der von 1957-1985 Außenminister und anschließend bis 1988 Staatsoberhaupt war. Er stirbt am 2. Juli 1989.

26. MÄRZ +++ SOWJETUNION +++

2. MAI +++ UNGARN +++

Bei der Wahl zum Kongress der Volksdeputierten können die Wähler erstmals seit 70 Jahren zwischen mehreren Kandidaten auswählen. Gewählt wird u. a. der Bürgerrechtler Andrej Sacharow. Er stirbt am 8. Dezember 1989.

Ungarn beginnt mit dem Abbau von Überwachungsanlagen an der Grenze zu Österreich.

1. MÄRZ +++ OST-BERLIN +++

3. APRIL +++ OST-BERLIN +++

Der Schießbefehl an der DDR-Grenze wird ausgesetzt.

7. MAI +++ DDR +++

An der Kommunalwahl nehmen offiziell 98,8 Prozent der Wähler teil. 98,9 Prozent sollen für die Kandidaten der „Nationalen Front“ gestimmt haben. Bürgerrechtler machen nach Kontrollen Wahlfälschungen publik.

5. APRIL +++ WARSCHAU +++

In Polen einigen sich die Regierung und Opposition am „Runden Tisch“ auf den „Gesellschaftsvertrag“, der u. a. halbfreie Wahlen vorsieht.

8. MAI +++ LEIPZIG +++

Erstmals Polizeikessel zum Friedensgebet in Leipzigs Nikolaikirche. 8. MAI +++ BUDAPEST +++

8. APRIL +++ POTSDAM +++

Im Haus des Kulturbundes treffen sich 18

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Der ehemalige ungarische KP-Chef János Kádár verliert mit dem Ehren-


700 tage, die die welt veränderten

präsidenten sein letztes Parteiamt. Er stirbt am 6. Juli 1989. 11. MAI +++ MOSKAU +++

Michael Gorbatschow kündigt den einseitigen Abzug von 500 atomaren Kurzstreckenraketen der UdSSR aus Osteuropa an. 13. MAI +++ PEKING +++

Auf dem Platz des Himmlischen Friedens beginnen mehrere tausend Studenten einen Hungerstreik. Sie fordern mit Demonstrationen seit Mitte April mehr Demokratie und Pressefreiheit. 23. MAI +++ WIEN +++

Die Warschauer Pakt-Staaten schlagen der NATO die gleichzeitige Auflösung beider Militärbündnisse vor. 23. MAI +++ BONN +++

Das Grundgesetz wird 40 Jahre alt. Richard von Weizsäcker wird zu einer zweiten Amtszeit als Bundespräsident wiedergewählt.

Kurzstreckenraketen bis 1992 aufzuschieben. Ob neue Raketen aufgestellt werden, soll vom Erfolg der Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) abhängen. 30. MAI +++ OST-BERLIN +++

Die Berliner Philharmoniker spielen erstmals seit dem Mauer-Fall wieder in Ost-Berlin. 4. JUNI +++ PEKING +++

Mit brutaler Gewalt schlägt die chinesische Armee die Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens nieder. Dabei kommt es schätzungsweise zu 3.600 Toten und 60.000 Verletzten. 4. JUNI +++ POLEN +++

Erstmals können ein Drittel der Sitze des Sejms und alle 100 Sitze des Senats frei gewählt werden. Die kommunistische Partei PVAP erleidet eine vernichtende Niederlage, die Solidarnos´c´ erringt die meisten Stimmen. 12. JUNI +++ BONN +++

25. MAI +++ MOSKAU +++

Michael Gorbatschow wird nach einer heftigen Debatte vom Kongress der Volksdeputierten zum Staatspräsidenten gewählt. 30. MAI +++ BRÜSSEL +++

Die NATO-Staaten einigen sich darauf, die Modernisierung atomarer

Michael Gorbatschow ist zu einem Staatsbesuch in der Bundesrepublik und wird mehrfach begeistert gefeiert. 16. JUNI +++ BUDAPEST +++

300.000 Menschen nehmen an der Trauerfeier zu Ehren von Imre Nagy, dem Führer des Volksaufstandes von 1956, teil. perspektive21

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thema – 1989 – 2009

17. JUNI +++ BONN +++

11.-13. JULI +++ BUDAPEST +++

Erhardt Eppler redet zum Staatsakt am „Tag der deutschen Einheit“: „Ich will, dass sich die DDR-Bürger in die inneren Angelegenheiten der DDR einmischen können.“

US-Präsident George Bush besucht Ungarn. Er kündigt Handelserleichterungen an und sichert Unterstützung bei Wirtschaftsreformen und im Umweltschutz zu.

21. JUNI +++ RUMÄNIEN/UNGARN +++

19. JULI +++ WARSCHAU +++

Rumänien errichtet an der Grenze zu Ungarn einen Grenzzaun, der bereits zu 90 Prozent fertiggestellt ist. Damit soll die weitere Flucht von Angehörigen der ungarischen Minderheit aus Rumänien verhindert werden.

Wojciech Jaruzelski wird mit einer Stimme Mehrheit vom Parlament zum polnischen Präsidenten gewählt. Danach tritt er als Parteichef der Kommunisten zurück. 24. JULI +++ OST-BERLIN +++

27. JUNI +++ MOSKAU/MAGNITOGORSK +++

DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker besucht, zum letzten Mal, die Sowjetunion.

Markus Meckel und Martin Gutzeit rufen zu Gründung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR auf. 30. JULI +++ RIGA +++

7. JULI +++ BUKAREST +++

Auf einer Gipfelkonferenz des Warschauer Paktes gibt es heftige Konflikte zwischen Reformbefürwortern und Reformgegnern. Michael Gorbatschow beendet die „Breshnew-Doktrin“ von der begrenzten Souveränität der Ostblock-Staaten. Es folgt die „SinatraDoktrin“: Jeder sozialistische Staat habe das Recht auf seinen eigenen Weg. 9.-11. JULI +++ WARSCHAU/DANZIG +++

US-Präsident George Bush besucht Polen und sichert wirtschaftliche Unterstützung zu. Er trifft auch Lech Walesa, den Führer der Solidarnos´c´, und redet vor dem neu gewählten Parlament. 20

august 2009 – heft 42

Der Oberste Sowjet von Lettland beschließt eine Deklaration über die Souveränität der baltischen Republik. 1. AUGUST +++ HAMBURG +++

Der Axel-Springer-Verlag verzichtet in seinen Publikationen beim Begriff „DDR“ auf die Anführungszeichen. 8. AUGUST +++ OST-BERLIN +++

Die Ständige Vertretung der BRD wird wegen Überfüllung geschlossen. Dort halten sich 130 Zufluchtsuchende auf. Sie verlassen die Vertretung am 8. September, ihnen wurde Straffreiheit und die baldige Ausreise zugesichert.


700 tage, die die welt veränderten

10. AUGUST +++ LEIPZIG +++

23. AUGUST +++ BALTIKUM +++

Der erste innerdeutsche Linienflug von Frankfurt (Main) nach Leipzig wird eingerichtet. Kurz darauf beginnt die Interflug einen Liniendienst von Leipzig nach Düsseldorf.

Mit einer mehrere hundert Kilometer langen Menschenkette gedenken Litauer, Letten und Esten dem 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Hitler-StalinPaktes und fordern ihre erneute Unabhängigkeit.

11. AUGUST +++ BONN +++

Die SPD-Programmkommission unter Oskar Lafontaine stellt das Regierungsprogramm „Fortschritt 90“ vor. Kernelemente sind eine Öko-Steuer, der Ausstieg aus der Atomkraft, ein Tempolimit auf Autobahnen, die Erhöhung der Kilometerpauschale und die Reduzierung von Rüstungsausgaben.

24. AUGUST +++ WARSCHAU +++

Tadeusz Mazowiecki wird als erster nichtkommunistischer Regierungschef Polens seit über 40 Jahren vom Sejm gewählt. 26. AUGUST +++ OST-BERLIN +++

Markus Meckel und Martin Gutzeit stellen die Initiative zur Gründung einer SDP öffentlich vor.

13. AUGUST +++ BUDAPEST +++

Die BRD-Botschaft in Ungarn wird geschlossen. Dort halten sich über 1.000 Flüchtlinge auf. Ungarn lässt am 24. August 108 Flüchtlinge mit RotKreuz-Papieren ausreisen. 14. AUGUST +++ ERFURT +++

Anlässlich der Übergabe des ersten 1Megabit-Speichers der DDR deklariert Erich Honecker: „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf“.

1. SEPTEMBER +++ BONN +++

Anlässlich des 50. Jahrestages des Beginns des 2. Weltkrieges verzichtet Bundespräsident von Weizsäcker in einer Botschaft an den polnischen Präsidenten auf Gebietsansprüche jenseits der polnischen Westgrenze. Bundeskanzler Helmut Kohl weigert sich, diesem Beispiel zu folgen. 4. SEPTEMBER +++ LEIPZIG +++

Die erste Montagsdemonstration findet in Leipzig statt.

19. AUGUST +++ SOPRON +++

900 DDR-Bürger nutzen ein „Paneuropäisches Picknick“ an der ungarisch-österreichischen Grenze zu einer Massenflucht. Im August fliehen über 10.000 DDR-Bürger nach Österreich.

10. SEPTEMBER +++ BUDAPEST +++

Ungarn kündigt ein Abkommen mit der DDR und lässt alle DDR-Bürger, die in mehreren Lagern auf ihre Ausreise warten, ausreisen. Die DDR properspektive21

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thema – 1989 – 2009

testiert heftig und wirft Ungarn Menschenhandel und Einmischung in innere Angelegenheiten vor. 11. SEPTEMBER +++ GRÜNHEIDE +++

30 DDR-Regimekritiker, unter ihnen Bärbel Bohley und Jens Reich, gründen die Reformbewegung „Neues Forum“. Der Gründungsaufruf wird innerhalb weniger Tage von 1.500 DDR-Bürgern unterzeichnet.

Flüchtlingen aus der Prager Botschaft in die Bundesrepublik kommt es am Hauptbahnhof zu schweren Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Ausreisewilligen. Viele Dresdner haben dort versucht auf die Züge zu springen. 7. OKTOBER +++ SCHWANTE +++

Die Sozialdemokratische Partei der DDR wird wiedergegründet. Es ist die erste Partei, die sich in der DDR neu gründet.

15. SEPTEMBER +++ OST-BERLIN +++

7. OKTOBER +++ OST-BERLIN +++

Die Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ wird gegründet.

Die DDR-Führung feiert den 40. Jahrestag der DDR-Gründung. Die Feiern werden von Protestkundgebungen überschattet.

30. SEPTEMBER +++ PRAG +++

Alle in die BRD-Botschaft geflüchteten DDR-Bürger dürfen ausreisen. In den folgenden Tagen fahren insgesamt 17.000 Menschen mit Sonderzügen über die DDR in die BRD.

8. OKTOBER +++ BUDAPEST +++

Die „Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei“ löst sich selbst auf und gründet sich als „Ungarische Sozialistische Partei“ MSZP neu.

2. OKTOBER +++ LEIPZIG +++

An der Montagsdemonstration nehmen 15.000 Menschen teil. 2. OKTOBER +++ OST-BERLIN +++

Der „Demokratische Aufbruch“ gründet sich.

9. OKTOBER +++ LEIPZIG +++

An der Montagsdemonstration nehmen 70.000 Menschen teil. Die Sicherheitskräfte der DDR greifen –wider Erwarten – nicht ein. 16. OKTOBER +++ LEIPZIG +++

Die DDR-Führung setzt den visafreien Verkehr mit der Tschechoslowakei aus.

Die DDR-Medien berichten erstmals von den Leipziger Montagsdemonstrationen mit über 100.000 Teilnehmern.

4. OKTOBER +++ DRESDEN +++

18. OKTOBER +++ OST-BERLIN +++

Bei der Durchfahrt der Züge mit den

Nach 18-jähriger Amtszeit tritt Erich

3. OKTOBER +++ OST-BERLIN +++

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700 tage, die die welt veränderten

Honecker als SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender zurück. Nachfolger wird Egon Krenz. Bei seiner Wahl zum Staatsrats- und Verteidigungsratsvorsitzenden erhält er in der Volkskammer 26 Gegenstimmen und 26 Enthaltungen.

7. NOVEMBER +++ OST-BERLIN +++

23. OKTOBER +++ BUDAPEST +++

9. NOVEMBER +++ BERLIN +++

Staatspräsident Szüros erklärt die „Volksrepublik“ zur „Republik Ungarn“.

Die Mauer fällt.

28. OKTOBER +++ PRAG +++

Die Polizei löst eine erste Massendemonstration von 10.000 Menschen auf dem Wenzelsplatz gewaltsam auf. 30. OKTOBER +++ OST-BERLIN +++

Zum letzten Mal wird die Propagandasendung „Schwarzer Kanal“ mit Karl Eduard von Schnitzler im DDR-Fernsehen ausgestrahlt.

Die DDR-Regierung unter Willi Stoph tritt zurück. 8. NOVEMBER +++ OST-BERLIN +++

Das gesamte SED-Politbüro tritt zurück.

10. NOVEMBER +++ SOFIA +++

Der bulgarische KP-Chef Todor Schiwkow wird abgelöst. Nachfolger wird Petar Mladenow. 13. NOVEMBER +++ OST-BERLIN +++

In einer ersten geheimen Abstimmung wählt die Volkskammer Günther Maleuda von der Bauernpartei zu ihrem neuen Präsidenten und Hans Modrow zum neuen Ministerpräsidenten. Er wird der letzte SED-Regierungschef sein.

2. NOVEMBER +++ OST-BERLIN +++

Der FDGB-Chef Harry Tisch und die Volksbildungsministerin Margot Honecker treten zurück. Auch die Vorsitzenden der Blockparteien CDU (Gerald Götting) und NDPD (Heinrich Homann) treten zurück. 4. NOVEMBER +++ OST-BERLIN +++

Bei der größten Kundgebung der DDR demonstrieren 500.000 Menschen für Demokratie, Reformen und Reisefreiheit.

13. NOVEMBER +++ OST-BERLIN +++

Während seiner ersten und letzten Rede vor der Volkskammer wird StasiChef Erich Mielke verlacht – u. a. für seinen Satz, dass die Stasi „einen außerordentlich hohen Kontakt mit allen werktätigen Menschen überall“ gehabt habe. 13. NOVEMBER +++ LEIPZIG +++

Höhepunkt der Montagsdemonstrationen mit 200.000 Teilnehmern. perspektive21

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thema – 1989 – 2009

17. NOVEMBER +++ PRAG +++

Die Polizei geht erneut brutal gegen eine Großdemonstration auf dem Wenzelsplatz vor. Mit 50.000 Teilnehmern ist es die größte Demonstration seit 20 Jahren. 18. NOVEMBER +++ SOFIA +++

Erstmals demonstrieren 100.000 Menschen in Bulgarien für Demokratie, das Ende der Zensur, gegen Korruption und polizeilicher Unterdrückung. 18. NOVEMBER +++ OST-BERLIN +++

Die Volkskammer richtet einen Untersuchungsausschuss zur Überprüfung von Amtsmissbrauch und Korruption ein. 20. NOVEMBER +++ BUKAREST +++

Auf dem Parteitag der rumänischen Kommunisten lehnt Parteichef Nicolae Ceausescu jegliche Reformen ab.

tion auf dem Wenzelsplatz vor über 200.000 Menschen. 26. NOVEMBER +++ OST-BERLIN +++

Bürgerrechtler, Künstler und SED-Reformer stellen den Aufruf „Für unser Land“ vor, in dem sie sich für einen reformierten Sozialismus und eine eigenständige DDR einsetzen. 27. NOVEMBER +++ LEIPZIG +++

An der Montagsdemonstration nehmen 150.000 Menschen teil. Es kommt zu ersten Rufen nach „Deutschland einig Vaterland“. 28. NOVEMBER +++ BONN +++

Bundeskanzler Helmut Kohl stellt den „Zehn-Punkte-Plan“ zur Überwindung der deutschen Teilung vor – mit dem Ziel einer Konföderation. Der Plan war weder innenpolitisch noch mit den europäischen Nachbarn abgestimmt. 29. NOVEMBER +++ PRAG +++

21. NOVEMBER +++ PRAG +++

Der CSSR-Regierungschef Ladislav Adamec trifft erstmals den Sprecher des Bürgerforums, Václav Havel, zu Verhandlungen. 24. NOVEMBER +++ PRAG +++

Die gesamte Führung der tschechoslowakischen KP tritt zurück. Parallel sprechen Václav Havel und Alexander Dubcek, die Symbolfigur des „Prager Frühlings“ auf einer Großdemonstra24

august 2009 – heft 42

Das tschechoslowakische Parlament streicht den Führungsanspruch der KP aus der Verfassung. 30. NOVEMBER +++ BAD HOMBURG +++

Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, wird von RAF-Terroristen ermordet. 1. DEZEMBER +++ OST-BERLIN +++

Die Volkskammer streicht den Führungsanspruch der SED aus der Verfassung.


700 tage, die die welt veränderten

2. DEZEMBER +++ MALTA +++

Die Präsidenten der USA und UdSSR, Bush und Gorbatschow, treffen sich zu einem außerordentlichen Gipfel. Bush bietet an, mit wirtschaftlicher Hilfe die Reformen in der Sowjetunion zu unterstützen. 3. DEZEMBER +++ OST-BERLIN +++

Die gesamte SED-Führung unter Egon Krenz tritt zurück. Honecker, Stoph und Mielke werden aus der SED ausgeschlossen. Sie werden ebenso wie ExZK-Wirtschaftssekretär Günter Mittag und dem ehemaligen FDGB-Chef Harry Tisch verhaftet, Erich Honecker unter Hausarrest gestellt.

Tisch“ der DDR zusammen. Er einigt sich auf freie Wahlen am 6. Mai 1990, die Ausarbeitung einer neuen Verfassung und die Abschaffung des Staatssicherheitsdienstes. 8. DEZEMBER +++ OST-BERLIN +++

Der SED-Sonderparteitag wählt Gregor Gysi zum neuen Vorsitzenden. 10. DEZEMBER +++ PRAG +++

Eine neue Regierung unter Marián Calfa, die überwiegend aus NichtKommunisten besteht, wird vereidigt. Außenminister wird Jirˇı´ Dienstbier. Danach tritt Präsident Gustav Husák zurück.

4. DEZEMBER +++ WEST-BERLIN +++

11. DEZEMBER +++ SOFIA +++

Der DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski stellt sich der Polizei.

Die bulgarische KP ist bereit, ihren Führungsanspruch aus der Verfassung zu tilgen und freie Wahlen stattfinden zu lassen.

6. DEZEMBER +++ OST-BERLIN +++

Egon Krenz tritt auch als Staatsratsvorsitzender zurück. Amtierendes Staatsoberhaupt der DDR wird der LDPD-Chef Manfred Gerlach – und damit erstmals ein Nicht-Kommunist.

12. DEZEMBER +++ LEIPZIG +++

Auf den Montagsdemonstrationen mehren sich die Forderungen nach „Deutschland, einig Vaterland“. 15. DEZEMBER +++ TEMESVAR +++

6. DEZEMBER +++ BONN +++

Das Bundeskabinett beschließt, die Bundeswehr um 75.000 auf 420.000 Soldaten zu reduzieren. 7. DEZEMBER +++ OST-BERLIN +++

Erstmals kommt der „Zentrale Runde

Zehntausende hindern die Geheimpolizei an der Festnahme eines regimekritischen Pfarrers. Demonstrationen am nächsten Tag in Temesvar und Arad schießt die Armee zusammen. Dabei kommt es zu tausenden Toten. perspektive21

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thema – 1989 – 2009

17. DEZEMBER +++ POTSDAM +++

25. DEZEMBER +++ RUMÄNIEN +++

Bundespräsident Richard von Weizsäcker ist erstmals offiziell in der DDR.

Der gefangengenommene Nicolae Ceausescu und seine Frau Elena werden hingerichtet.

19. DEZEMBER +++ DRESDEN +++

26. DEZEMBER +++ BUKAREST +++

Bundeskanzler Helmut Kohl wird bei seinem ersten offiziellen Besuch in der DDR stürmisch begrüßt. Mit DDRMinisterpräsident Modrow vereinbart er u. a. die Freilassung aller politischen Gefangenen.

Eine neue rumänische Regierung mit ehemaligen hohen Mitgliedern der KP wird gebildet, die bis zu freien Wahlen 1990 amtieren soll.

20. DEZEMBER +++ WEST-BERLIN +++

Die SPD beschließt ihr neues Grundsatzprogramm. Oskar Lafontaine betont, die Frage der deutschen Einheit sei „zweitrangig“ gegenüber sozialer Gerechtigkeit in beiden deutschen Staaten. 22. DEZEMBER +++ BERLIN +++

Das Brandenburger Tor wird wieder geöffnet.

29. DEZEMBER +++ PRAG +++

Václav Havel wird zum neuen Präsidenten der CSSR gewählt.

1990 11. JANUAR +++ VILNIUS +++

In Litauen demonstrieren Hunderttausende für Freiheit und Unabhängigkeit. 13. JANUAR +++ OST-BERLIN +++

22. DEZEMBER +++ BUKAREST +++

Hunderttausende demonstrieren vor dem Präsidentenpalast. KP-Chef Ceausescu kommt nicht mehr dazu, eine Rede zu halten und flieht anschließend mit dem Hubschrauber. Die Sicherheitspolizei Securitate setzt ihren Kampf gegen Armee und Bevölkerung allerdings fort.

Auf ihrem ersten Parteitag ändert die SDP ihren Namen in SPD und bekennt sich zur deutschen Einheit. 15. JANUAR +++ OST-BERLIN +++

Demonstranten stürmen die StasiZentrale. Zehntausende protestieren gegen die zögerliche Auflösung der Stasi durch die Modrow-Regierung.

24. DEZEMBER +++

20. JANUAR +++ LEIPZIG +++

BRD-Bürger können erstmals ohne Visum in die DDR reisen.

Christlich-konservative Oppositionsgruppen gründen die Deutsche Soziale

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700 tage, die die welt veränderten

Union (DSU). Vorsitzender wird Hans-Wilhelm Ebeling.

Wahlbündnis von Ost-CDU, Demokratischem Aufbruch und DSU zur Volkskammerwahl wird gebildet.

21. JANUAR +++ KIEV-LVOW +++

Hundertausend Ukrainer demonstrieren in einer Menschenkette für die Unabhängigkeit der Ukraine von der Sowjetunion. 28. JANUAR +++ OST-BERLIN +++

DDR-Ministerpräsident Modrow einigt sich mit Vertretern des Runden Tisches auf die Bildung einer „Regierung der nationalen Verantwortung“, Volkskammerwahlen am 18. März und Kommunalwahlen am 6. Mai 1990.

7. FEBRUAR +++ OST-BERLIN +++

Die Bürgerbewegungen „Initiative für Frieden und Menschenrechte“, „Neues Forum“ und „Demokratie Jetzt“ schließen sich für die Volkskammerwahl zum „Bündnis 90“ zusammen. 10. FEBRUAR +++ MOSKAU +++

Michael Gorbatschow sichert Kanzler Kohl bei einem Besuch zu, dass die Frage der deutschen Einheit von den Deutschen selbst bestimmt werden könne.

29. JANUAR +++ WARSCHAU +++

Die polnische Arbeiterpartei PVAP löst sich auf. Neu gegründet wird die „Sozialdemokratie der Polnischen Republik“. 4. FEBRUAR +++ OST-BERLIN +++

Die SED-PDS nennt sich fortan nur noch „Partei des demokratischen Sozialismus“ (PDS). 5. FEBRUAR +++ OST-BERLIN +++

Die Volkskammer wählt acht Minister aus der Opposition in die ModrowRegierung. Gleichzeitig beschließt sie die Gewährleistung von Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit. 5. FEBRUAR +++ WEST-BERLIN +++

Die „Allianz für Deutschland“, ein

13. FEBRUAR +++ BONN +++

Die DDR-Regierung verständigt sich bei einem Besuch in Bonn mit der Bundesregierung auf die Einsetzung einer Kommission, die die Voraussetzungen einer Währungsunion prüfen soll. 22. FEBRUAR +++ LEIPZIG +++

Auf dem SPD-Parteitag wird Ibrahim Böhme zum Vorsitzenden und Spitzenkandidat für die Volkskammerwahl gewählt. Willy Brandt wird Ehrenvorsitzender der DDR-SPD. 26. FEBRUAR +++ MOSKAU +++

UdSSR und CSSR einigen sich auf den Abzug der sowjetischen Truppen aus der Tschechoslowakei bis zum 1. Juli 1991. perspektive21

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thema – 1989 – 2009

5. MÄRZ +++ DDR +++

2. APRIL +++ OST-BERLIN +++

Die Verlage Springer, Burda, Gruner+ Jahr und Bauer beginnen mit der Auslieferung von „Westzeitungen“ in die DDR. Bereits eine Woche zuvor begann die „taz“ mit einer „deutschdeutschen Kooperation“.

Der Vorsitzende der SPD, Ibrahim Böhme, legt nach Überprüfung der Stasi-Akten sein Amt nieder. Sein Nachfolger als Fraktionschef in der Volkskammer wird Richard Schröder. 5. APRIL +++ OST-BERLIN +++

11. MÄRZ +++ VILNIUS +++

Der Oberste Sowjet Litauens proklamiert die Unabhängigkeit von der UdSSR. Mit Vitautas Landsbergis wird erstmals ein Nicht-Kommunist Staatschef. Die Führung in Moskau reagiert mit einem Energieboykott. 13. MÄRZ +++ NEUBRANDENBURG +++

Erstmals wird ein Massengrab des sowjetischen Geheimdienstes NKWD in der DDR entdeckt. Von 1945 bis 1950 wurden in diesen Lagern nicht nur Kriegsverbrecher und Nationalsozialisten sondern auch Intellektuelle und Sozialdemokraten interniert und umgebracht. 18. MÄRZ +++ DDR +++

Die „Allianz für Deutschland“ gewinnt überraschend die ersten freien Wahlen mit 48 Prozent. Die SPD erhält 22 Prozent, die PDS 16 Prozent, das Bündnis 90 erreicht 3 Prozent. Die Wahlbeteiligung beträgt 93 Prozent.

Auf der konstituierenden Sitzung wählt die Volkskammer Sabine BergmannPohl (CDU) zu ihrer Präsidentin. Bis zum Ende der DDR ist sie auch amtierendes Staatsoberhaupt. 8. APRIL +++ UNGARN +++

Das konservative „Demokratische Forum“ (MDF) gewinnt die ersten freien Wahlen seit 47 Jahren mit 43 Prozent der Stimmen. Ministerpräsident wird Jószef Antall. 12. APRIL +++ OST-BERLIN +++

Lothar de Maizière (CDU) wird zum Ministerpräsidenten der ersten frei gewählten DDR-Regierung gewählt. Er steht einer Koalition aus CDU, SPD, Liberalen, DA und DSU vor. 19. APRIL +++ OST-BERLIN +++

Lothar de Maizière bekennt sich in seiner ersten Regierungserklärung zum Ziel der deutschen Einheit.

19. MÄRZ +++ BONN +++

24. APRIL +++ BONN +++

Oskar Lafontaine wird Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl am 2. Dezember 1990.

Die Bundes- und DDR-Regierung einigen sich auf eine Währungs- und Wirtschaftsunion zum 1. Juli 1990.

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700 tage, die die welt veränderten

28. APRIL +++ DUBLIN +++

20. MAI +++ RUMÄNIEN +++

Die Staats- und Regierungschefs der EG befürworten die deutsche Vereinigung und die Integration der DDR in die EG. Ferner einigt sich der Gipfel grundsätzlich, die EG zu einer Wirtschaftsund Währungsunion auszubauen.

Der bisherige Interims-Präsident Ion Illiescu wird im Amt bestätigt. Er ernennt Petre Roman wieder zum Ministerpräsidenten.

28. MAI +++ BERLIN +++

Die Verteidigungsminister Stoltenberg und Eppelmann einigen sich auf offizielle Beziehungen zwischen Bundeswehr und NVA.

29. MAI +++ MOSKAU +++

Boris Jelzin wird, als Widersacher von Michael Gorbatschow, zum Präsidenten der Russischen Unionsrepublik gewählt. Am 12. Juni erklärt sich Russland für souverän. 1. JUNI +++

5. MAI +++ BONN +++

Die ersten Zwei plus Vier-Gespräche mit den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges über die außenpolitischen Modalitäten der Wiedervereinigungen beginnen. 6. MAI +++ DDR +++

Die CDU gewinnt die Kommunalwahlen in der DDR mit 34 Prozent der Stimmen. Die SPD erhält 21 Prozent, die PDS 15 Prozent. 13. MAI +++ DÜSSELDORF/HANNOVER +++

Die SPD unter Ministerpräsident Johannes Rau verteidigt ihre absolute Mehrheit in Nordrhein-Westfalen. In Niedersachsen gewinnt die SPD die Landtagswahlen. Neuer Ministerpräsident einer Koalition aus SPD und Grünen wird Gerhard Schröder. Die SPD erreicht mit dem Regierungswechsel eine Mehrheit im Bundesrat.

DDR-Bürger dürfen erstmals visafrei in die Bundesrepublik, nach Frankreich, Belgien, Luxemburg und in die Niederlande fahren. 3. JUNI +++ WASHINGTON +++

Bei einem Gipfeltreffen verabreden die Präsidenten Bush und Gorbatschow die Verringerung strategischer Waffen. 6. JUNI +++ OST-BERLIN +++

Die RAF-Terroristin Susanne Albrecht wird verhaftet. Albrecht lebte mit Deckung durch die Stasi zehn Jahre lang in der DDR. Später werden noch weitere Terroristen, die in der DDR Unterschlupf fanden, verhaftet. 8. JUNI +++ CSFR +++

Das „Bürgerforum“ gewinnt die ersten freien Wahlen in der Tschechoslowakei seit 1946. Marian Calfa bleibt Minisperspektive21

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thema – 1989 – 2009

terpräsident, Alexander Dubcek bleibt Parlamentspräsident, Václav Havel wird am 5. Juli wiedergewählt.

18. JUNI +++ OST-BERLIN +++

9. JUNI +++ HALLE/SAALE +++

19. JUNI +++ LUXEMBURG +++

Wolfgang Thierse wird auf einem Parteitag zum neuen Vorsitzenden der DDR-SPD gewählt.

In Schengen unterschreiben die BRD, Frankreich und die Benelux-Staaten ein Abkommen, nachdem die Grenzkontrollen zwischen ihren Ländern wegfallen sollen.

12. JUNI +++ BERLIN +++

Auf ihrer ersten gemeinsamen Sitzung seit 1948 sprechen sich der Ost-Berliner Berliner Magistrat und der WestBerliner Senat für Berlin als Bundeshauptstadt aus.

Die Volkskammer streicht den „Sozialismus“ aus der DDR-Verfassung.

21. JUNI +++ BERLIN/BONN +++

Das Oberste Gericht der DDR rehabilitiert Rudolf Bahro.

Die Volkskammer und der Bundestag ratifizieren den Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Gleichzeitig wird die Oder-Neiße-Linie als endgültige Westgrenze Polens anerkannt.

16. JUNI +++ BONN +++

1. JULI +++ DDR +++

10.000 Menschen demonstrieren für eine Streichung des westdeutschen § 216, der Schwangerschaftsabbrüche ohne ärztliche Indikation unter Strafe stellt. Im Einigungsvertrag wird festgelegt, dass die DDR-Fristenlösung noch zwei Jahre weiter gelten darf.

Die DM wird offizielles Zahlungsmittel in der DDR. Löhne, Gehälter, Renten und Mieten werden 1:1 umgetauscht, Bankguten ab 4.000 DDR-Mark im Verhältnis 2:1. Die Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Unfallversicherung wird in der DDR eingeführt, ebenso Privateigentum, freie Preisbildung, Gewerbefreiheit, Kündigungsschutz, Tarifautonomie und Mitbestimmungsrechte.

15. JUNI +++ OST-BERLIN +++

17. JUNI +++ BULGARIEN +++

Die ex-kommunistische „Sozialistische Partei Bulgariens“ gewinnt die ersten freien Wahlen in Bulgarien mit der absoluten Mehrheit. Andrej Lukanow bleibt Ministerpräsident, muss aber am 30. November wegen der Wirtschaftskrise zurücktreten. 30

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3. JULI +++ WEST-BERLIN +++

Der Senat beschließt den Verkauf eines 60.000 qm großen Grundstücks am Potsdamer Platz an den Daimler-BenzKonzern.


700 tage, die die welt veränderten

6. JULI +++ LONDON +++

24. JULI +++ OST-BERLIN +++

Die 16 NATO-Länder bieten auf ihrem Gipfeltreffen dem Warschauer Pakt einen Gewaltverzicht an. Außerdem soll die KSZE zu einer ständigen Einrichtung werden.

Die Liberalen verlassen die DDRRegierungskoalition. 1. AUGUST +++ BONN/BERLIN +++

Deutschland wird Fußball-Weltmeister.

Union, SPD und Liberale einigen sich darauf, dass am 2. Dezember 1990 die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen stattfinden sollen.

10. JULI +++ MOSKAU +++

2. AUGUST +++ KUWAIT +++

Auf dem 28. KPdSU-Parteitag wird Michael Gorbatschow als Generalsekretär wieder gewählt. Boris Jelzin tritt auf dem Parteitag aus der Partei aus.

Irakische Truppen besetzen Kuwait.

8. JULI +++ ROM +++

4. AUGUST +++ OST-BERLIN +++

Der „Demokratische Aufbruch“ beschließt den Beitritt zur Ost-CDU.

13. JULI +++ MOSKAU +++

Erstmals besucht ein NATO-Generalsekretär die Sowjetunion. 16. JULI +++ SCHELESNOWODSK +++

Gorbatschow und Kohl verabreden im Kaukasus, dass Deutschland nach seiner Vereinigung die volle Souveränität erhalten soll und selbst über seine Bündniszugehörigkeit entscheiden kann. Damit ist der Weg zu einer NATO-Mitgliedschaft Deutschlands frei. Die Bundesrepublik sagt zu, ihre Streitkräfte auf 370.000 Soldaten zu reduzieren.

5. AUGUST +++ BONN +++

Das „Bündnis 90“, die „Grüne Partei“ und die westdeutschen „Grünen“ einigen sich auf eine Listenverbindung für die gesamtdeutsche Bundestagswahl. 11. AUGUST +++ HANNOVER +++

Die west- und ostdeutschen Liberalen vereinigen sich. Otto Graf Lambsdorff ist Vorsitzender der FDP. 19. AUGUST +++ OST-BERLIN +++

Die SPD verlässt die Regierung de Maizière.

22. JULI +++ OST-BERLIN +++

Die Volkskammer löst die DDR-Bezirke auf und beschließt die Wiedererrichtung der fünf Bundesländer in der DDR.

21. AUGUST +++ OST-BERLIN +++

Der SPD-Volkskammer-Fraktionschef Richard Schröder tritt zurück. Sein Nachfolger wird Wolfgang Thierse. perspektive21

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thema – 1989 – 2009

22. AUGUST +++ OST-BERLIN +++

27. SEPTEMBER +++ BERLIN +++

Die Stromkonzerne RWE, Preußenelektra und Bayernwerk steigen in das DDR-Stromverbundunternehmen ein und teilen das DDR-Stromnetz unter sich auf.

Nach 43-jähriger Trennung schließen sich ost- und westdeutsche Sozialdemokraten wieder zusammen. HansJochen Vogel ist Vorsitzender der gesamtdeutschen SPD, Oskar Lafontaine Kanzlerkandidat.

23. AUGUST +++ OST-BERLIN +++

Die Volkskammer beschließt den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik zum 3. Oktober 1990.

29. SEPTEMBER +++ KARLSRUHE +++

Der Einigungsvertrag wird unterschrieben.

Das Bundesverfassungsgericht erhebt Einspruch gegen den Wahlvertrag, der die gesamtdeutschen Bundestagswahlen regelt. Die 5-Prozent-Hürde wird in den neuen Ländern separat angewendet.

9. SEPTEMBER +++ HELSINKI +++

30. SEPTEMBER +++ OST-BERLIN +++

Auf einem Gipfeltreffen verurteilen der sowjetische und amerikanische Präsident Gorbatschow und Bush die irakische Invasion in Kuweit.

Der FDGB löst sich auf. Die Einzelgewerkschaften schließen sich mit ihren Partnerorganisationen im Westen zusammen.

12. SEPTEMBER +++ MOSKAU +++

1. OKTOBER +++ NEW YORK +++

Bundeskanzler Helmut Kohl und der sowjetische Präsident Michael Gorbatschow einigen sich über die Modalitäten des Abzuges der 380.000 sowjetischen Soldaten aus der DDR bis 1994.

Die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges verzichten in einer Erklärung auf ihre alliierten Vorbehaltsrechte.

31. AUGUST +++ OST-BERLIN +++

12. SEPTEMBER +++ MOSKAU +++

Die Zwei-plus-Vier-Gespräche werden beendet. Deutschland ist ab dem 3. Oktober ein voll souveräner Staat. 20. SEPTEMBER +++ BERLIN/ BONN +++

Bundestag und Volkskammer verabschieden den Einigungsvertrag. 32

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1. OKTOBER +++ HAMBURG +++

Die gesamtdeutsche CDU wird gebildet. Vorsitzender ist Helmut Kohl. 3. OKTOBER +++ BERLIN +++

Die DDR tritt der Bundesrepublik bei. Nach fast 41 Jahren endet die Existenz der DDR. Das vereinigte Deutschland erhält alle Souveränitätsrechte zurück.


700 tage, die die welt veränderten

4. OKTOBER +++ BERLIN +++

Der gesamtdeutsche Bundestag kommt erstmals mit den zusätzlichen 144 Abgeordneten aus der ehemaligen DDR in Berlin zusammen. Bundesminister ohne Geschäftsbereich werden Lothar de Maizière, Sabine Bergmann-Pohl, Günther Krause (alle CDU) sowie Rainer Ortleb (FDP) und Hansjoachim Walther (DSU).

wahlen in Thüringen. Ministerpräsident einer Koalition mit der FDP wird Josef Duchac. 18. OKTOBER +++ ZWICKAU +++

VW einigt sich mit der Treuhand und der Zwickauer Ifa PKW AG auf den Bau einer VW-Fertigungsstätte in Mosel bei Zwickau mit 8.000 Beschäftigten.

14. OKTOBER +++ POTSDAM +++

Die SPD gewinnt die ersten Landtagswahlen in Brandenburg. Sie bildet eine Koalition mit Bündnis 90 und FDP.

18. OKTOBER +++ BERLIN +++

Die CDU gewinnt bei den ersten Landtagswahlen in Sachsen die absolute Mehrheit. Kurt Biedenkopf wird Ministerpräsident.

Die Staatsanwaltschaft durchsucht das Parteihaus der PDS wegen Unregelmäßigkeiten bei den Parteifinanzen. Unklarheiten bestehen auch hinsichtlich des Vermögens der PDS. Die PDS beschließt am 11. November, 80 Prozent ihres Vermögens an die Treuhand abzugeben.

14. OKTOBER +++ SCHWERIN +++

19. OKTOBER +++ MOSKAU +++

Die CDU gewinnt die ersten Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern. Nach dem Übertritt eines SPDAbgeordneten bildet sie eine Koalition mit der FDP. Alfred Gomolka wird erster Ministerpräsident.

Der Oberste Sowjet stimmt für die Einführung einer Marktwirtschaft. Kern des Programms ist eine Dezentralisierung der wirtschaftlichen Zuständigkeiten.

14. OKTOBER +++ DRESDEN +++

23. OKTOBER +++ MOSKAU +++ 14. OKTOBER +++ MAGDEBURG +++

Die CDU gewinnt die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und bildet eine Koalition mit der FDP. Ministerpräsident wird Gerd Gies. 14. OKTOBER +++ ERFURT +++

Die CDU gewinnt auch die Landtags-

Die Einheitsgewerkschaft der Sowjetunion beschließt ihre Auflösung und die Bildung von Einzelgewerkschaften. 1. NOVEMBER +++ POTSDAM +++

Manfred Stolpe wird zum ersten Ministerpräsidenten des neu gegründeten Landes Brandenburg gewählt. perspektive21

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thema – 1989 – 2009

19. NOVEMBER +++ PARIS +++

9. DEZEMBER +++ POLEN +++

Ein Gipfeltreffen der 34 KSZE-Staaten besiegelt das Ende des Kalten Krieges. Mit der Unterzeichnung eines Vertrages über konventionelle Streitkräfte kommt es zu umfangreicher Abrüstung in Europa. Die KSZE wird zu einer ständigen Einrichtung.

Bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen siegt Lech Walesa mit 74 Prozent.

2. DEZEMBER +++ BONN +++

CDU/ CSU gewinnen die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen mit 44 Prozent. Die SPD erhält 34 Prozent. Helmut Kohl bleibt Kanzler einer Koalition aus Union und FDP (11 Prozent). PDS (2 Prozent) und Bündnis 90 (1 Prozent) ziehen in den Bundestag ein, weil die 5 Prozent-Sperrklausel separat in Ost und West angewendet wird.

15. DEZEMBER +++ ROM +++

Der EG-Gipfel eröffnet zwei Regierungskonferenzen, die die Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie einer politischen Union vorbereiten sollen. Ziel ist eine gemeinsame Währung sowie eine gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik. 17. DEZEMBER +++ BONN +++

Aufgrund von Stasi-Vorwürfen tritt Lothar de Maizière als Bundesminister zurück.

2. DEZEMBER +++ BERLIN +++

20. DEZEMBER +++ MOSKAU +++

Die CDU gewinnt die erste Gesamtberliner Abgeordnetenhauswahl. Sie bildet eine Koalition mit der SPD. Regierender Bürgermeister wird Eberhard Diepgen.

Der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse erklärt seinen Rücktritt und warnt vor dem Einfluss der Militärs und dem Vormarsch der Parteikonservativen. ¢

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Die Ost-SPD und der Weg zur Deutschen Einheit DIE OSTDEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATEN WOLLTEN FREIHEIT UND EINE SELBSTBESTIMMTE EINHEIT VON MARKUS MECKEL

eute an die Gründung der Sozialdemokratischen Partei in der DDR zu erinnern, bedeutet – 20 Jahre später – sich nicht nur die damalige Situation vor Augen zu führen, sondern ebenso auch die Gedenktradition über die Friedliche Revolution und die Deutsche Einheit insgesamt zu thematisieren. War doch die Gründung der SDP selbst bereits von Beginn an politisches Handeln, in dem es um Verantwortung für unser Land, um unser Volk und um Europa ging. Die Rolle der SPD zu beschreiben, heißt, sie im Rahmen des schwierigen Weges auf dem Weg zu Freiheit und Demokratie in der DDR und zur deutschen Einheit darzustellen. Ich werde dies hier insbesondere aus ostdeutscher Perspektive tun. Bis heute werden in der öffentlichen Debatte solche ostdeutschen Perspektiven auf den deutschen Vereinigungsprozess zu wenig wahrgenommen.

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I. Die selbstbestimmte Revolution Nach fast einem halben Jahrhundert der Teilung wurde uns vor 20 Jahren

die deutsche Einheit geschenkt. Ich kann es bis heute nicht anders sehen: Sie war ein Geschenk, so sehr sie auch das Ergebnis vielfachen Handelns war! Um dieses Handeln aber geht es mir. Und hier erlebe ich immer noch, dass wir Deutschen noch weit davon entfernt sind, eine gemeinsame Perspektive auf diese Ereignisse der deutschen Einheit zu finden – oder uns auch nur die legitimen verschiedenen Perspektiven bewusst zu machen. Die offiziellen Veranstaltungen zu den zehnten Jahrestagen 1999/2000 haben das sehr deutlich gezeigt. Für die meisten (West-) Deutschen prägt Helmut Kohl das Bild der deutschen Einheit. So, als wäre sie sein Werk. Genau das aber ist meines Erachtens eine zu enge Sicht, ohne seine wichtige Rolle zu verkennen. Für die Mehrzahl der Deutschen sind die 15 Monate vom Sommer 1989 bis zum 3. Oktober 1990 zu einem Ereignis geworden, das dann zumeist mit dem Begriff „Wende“ bezeichnet wird (so wie früher der Regierungswechsel 1982!). Dabei ist es für perspektive21

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ein angemessenes Verständnis dieser Zeit wichtig, vier Phasen zu unterscheiden: ■ die Zeit der Zuspitzung der Krise im gesamten Ostblock durch den Runden Tisch und die halbfreien Wahlen in Polen, die Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze und die Fluchtwelle zigtausender DDR-Bürger im Sommer und Frühherbst 1989 über Ungarn, Prag und Warschau ■ der Sturz der Diktatur in der Friedlichen Revolution des Herbstes 1989 und der Fall der Mauer. Hier waren zwei Dimensionen gleichermaßen wichtig: das politische Handeln und die Führung der neuen oppositionellen Parteien und Bewegungen sowie der machtvolle Druck durch die Massen auf der Straße ■ der Übergang zur freien Wahl – der Runde Tisch in der DDR, die Regierungszeit Modrows und gleichzeitig das internationale Sich-Einstellen auf die Ermöglichung der deutschen Einheit ■ die konkrete Gestaltung der deutschen Einheit nach der freien Wahl in der DDR, die Verträge zur Währungsunion und der Einigungsvertrag sowie der 2+4-Vertrag. Der Weg in die deutsche Einheit war wesentlich – jedenfalls was den institutionellen Ablauf und den eigentlichen Motor betrifft – durch das 36

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Handeln Ostdeutscher bestimmt. Die Diktatur wurde in der DDR gestürzt, nicht von außen. Hier wurde die freie Wahl erkämpft, die zur Abstimmung für die Einheit wurde. Die frei gewählte Volkskammer beschloss den Beitritt nach Artikel 23 des Grundgesetzes und vollzog damit rechtlich die deutsche Einheit. So wie es gelaufen ist, kann ich sagen: Hier wurden alle Träume wahr. Der Sieg von Freiheit und Demokratie stieß das Tor zur deutschen Einheit auf. Die deutsche Vereinigung war aus dieser Perspektive der selbstbestimmte Weg der Ostdeutschen, die diesen erhobenen Hauptes gegangen sind. Kein Sieg des Westens Deshalb lässt sich beim Ende des Kalten Krieges auch nicht von einem Sieg des Westens über den Osten sprechen. Es war ein Sieg von Freiheit und Demokratie über die kommunistische Diktatur, die den Osten Europas beherrschte. Ihn als Sieg über den Osten zu bezeichnen, ist verfehlt, denn dort leben Menschen, die sich nicht besiegt fühlen und nicht besiegt wurden, sondern ans Ziel ihrer Träume kamen. Nicht nur in der DDR, im ganzen Osten Europas wurde die Diktatur von innen abgelöst. Es war ein Sieg der Menschen, die sich in der Mitte Europas für Freiheit und Demokratie einsetzten.


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Natürlich waren die Rahmenbedingungen, die der Westen geschaffen hatte, eine wichtige Voraussetzung: das Erfolgsmodell der Europäischen Union, die Wohlstand und den friedlichen Austrag verschiedener nationaler Interessen genauso gewährleistete wie sie Freiheit und Demokratie sicherte. Ebenso wichtig war die klare Position der NATO, die gleichzeitig auf Abschreckung und politische Gespräche setzte. Vieles andere wäre noch zu nennen. Der Westen war nicht tatenlos, doch er konnte das Sowjetsystem nicht stürzen, ohne den Frieden zu gefährden! Das stellte ja über Jahrzehnte das Problem dar. Man musste 1953 genauso hilflos zuschauen wie 1956, 1961, 1968 und 1981. Der Durchbruch, die Befreiung von der Diktatur, musste im Osten selbst geschehen. Und das geschah dann eben 1989. Der Schlüssel lag in der DDR In der Bundesrepublik konnte man eigentlich nur reagieren und versuchen, durch Kontakt und Beeinflussung der ostdeutschen Akteure den Ablauf mit zu gestalten. Der Schlüssel lag in der DDR. Vom Westen aus galt es zu helfen, das Schiff möglichst ohne zu große Erschütterungen in den Hafen zu bringen – denn dazu waren die Ostdeutschen allein nicht in der Lage. Hierzu gehörte die internationale Einbettung mit den 2+4-Gesprächen, die Einbet-

tung in die EG und die Absprachen mit den europäischen Nachbarn. Und dann war es natürlich das selbstverständliche Interesse der Bundesregierung, die inhaltliche Gestaltung der deutschen Einheit maßgeblich zu beeinflussen. Das wurde durch die Verhandlungen zur deutschen Einheit dann auch möglich. Dass es wiederum diese Verhandlungen gab, dass die deutsche Einheit eine verhandelte und somit vertraglich vereinbarte sein sollte, war auch das Interesse der Ostdeutschen. Einheit ohne zu fragen? Denn wir lernten auch erst Anfang 1990: Wir Ostdeutschen hätten den Beitritt nach Artikel 23 des Grundgesetzes rechtswirksam beschließen können – ohne den Westen oder irgend jemanden zu fragen. Das wäre dann auch beinahe passiert, am 17. Juni 1990. Damals ist der vertraglich geordnete Weg in die Einheit beinahe aus dem Tritt gekommen. Einige Abgeordnete aus der DSU und von Bündnis 90 hatten in der Volkskammer Anträge gestellt, über den sofortigen Beitritt abzustimmen. Nur mit Mühe gelang es, die Abstimmung zu verhindern, die Anträge wurden in die Ausschüsse überwiesen. Was aber wäre geschehen, wenn der Beitritt an diesem Tag von der Volkskammer beschlossen worden wäre – vor dem Abschluss des 2+4perspektive21

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Vertrages, ohne Einigungsvertrag? Wie hätte die Sowjetunion reagiert, wie Polen? Welche Folgen hätte es für die innere, rechtliche Gestaltung der Einheit gegeben? Das Beispiel zeigt: Der von beiden Regierungen und Parlamenten beschrittene Weg eines verhandelten und vertraglich geordneten Einheitsprozesses hätte auch schief gehen und manches aus dem Gleichgewicht geraten können. Ohne Vertrag geht es nicht Die gewählte Regierung der DDR hatte ein zentrales Interesse an einem vertraglich gestalteten Weg in die deutsche Einheit. Allein schon aus dem Interesse, die politische Stabilität in Europa nicht zu gefährden. Dieses wichtige Interesse teilten wir mit der Bundesrepublik. Darüber hinaus aber war es unser Anliegen, in den Regelungen zur Einheit vieles so zu gestalten, dass es den berechtigten Interessen der Ostdeutschen entspricht. Einiges ist dabei gelungen, wie der Erhalt der Bodenreform. Vieles ist jedoch nicht gelungen. Nicht nur, weil bei den westlichen Partnern die Bereitschaft dazu fehlte, sondern insbesondere auch, weil damals die Unterstützung aus der eigenen Bevölkerung ausblieb. Denn allzu viele in der DDR erkannten die Notwendigkeit solcher Verhandlungen nicht gleich – und wollten nichts mehr als die sofortige Einheit. 38

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Als im Januar 1990 die Vereinigung nach Artikel 23 als rechtlicher Weg in die Diskussion kam, gab es auch im Vorstand der Ost-SPD eine harte Auseinandersetzung über den Weg zur deutschen Einheit. Einige (unter ihnen Ibrahim Böhme und Harald Ringstorff, der spätere Ministerpräsident Mecklenburg Vorpommerns) wollten – wie der Großteil der Bevölkerung – die sofortige und unmittelbare Vereinigung per Beitrittsbeschluss. Ihnen waren sowohl der internationale Zusammenhang als auch die konkreten Bedingungen, die nach unserer Meinung geregelt werden mussten, eher zweitrangig. Ich erinnere mich an eine Sitzung des SPD-Vorstandes (Ost) am 14. Februar 1990, in der wir anhand erster Überlegungen darzustellen versuchten, was alles zu regeln wäre, wenn zwei so unterschiedliche Gesellschaften zusammengeführt werden. Das Fazit: Wenn es eine Einigung ohne Vertrag gibt, wird das alles allein im Westen entschieden und wir sind als politisch Mitgestaltende draußen. Daran konnten wir kein Interesse haben! Deshalb musste es unser Ziel sein, einen vertraglich abgesicherten Prozess der Vereinigung zu erreichen. Im aufrechten Gang Willy Brandt war es damals, der uns wenige Tage später in einer gemeinsamen Sitzung mit dem SPD-Präsidium in Bonn half, diese Linie durchzuset-


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zen. Unser Ziel musste es damals sein, gerade um einer gut organisierten Vereinigung willen, handlungsfähige demokratische Strukturen zu schaffen, also ein frei gewähltes Parlament und eine Regierung mit einem Mandat. Nur so konnten wir im Prozess der deutschen Einheit die ostdeutschen Interessen vertreten. Nur so würde sich die Einheit Deutschlands im aufrechten Gang vollziehen lassen. Und so geschah es dann auch – in einem ständigen Hin und Her zwischen den beiden Seiten in Deutschland, und mit viel Streit innerhalb jeder der beiden Seiten. Dieses vielschichtige Beziehungsgeflecht der Entscheidungsprozesse ist bis heute weder angemessen wissenschaftlich erforscht noch im öffentlichen Bewusstsein. Eine differenzierte Sicht dieser Geschichte aber ist wichtig, weil sie mit unserem Selbstverständnis heute verbunden ist. Die Freiheit war kein Geschenk Dazu eine kleine Episode: Oskar Lafontaine sprach 1993 in seinem verspäteten Bekenntnis zur deutschen Einheit im Bundestag davon, dass er sich freue, dass 16 Millionen Ostdeutsche durch die Einheit die Freiheit erhalten hätten. Ich war verblüfft zu sehen, dass offensichtlich kaum jemand merkte, was da gesagt wurde – denn historisch war es ja genau andersherum: Die Vereini-

gung war möglich, weil wir in der DDR – gemeinsam mit Polen, Ungarn, Tschechen und Slowaken – die Freiheit erkämpft hatten. Wir brachten eine erfolgreiche deutsche Freiheitsrevolution in die gemeinsame deutsche Geschichte ein – Freiheit war für uns kein Geschenk, das wir durch andere erhalten hatten, und sie ermöglichte den Weg zur Einheit. Sollte das für ein demokratisches deutsches Selbstbewusstsein und Erbe nicht wichtig sein? II. Die Gründung der SPD Anfang 1989 entschieden Martin Gutzeit und ich, eine Sozialdemokratische Partei in der DDR zu gründen. Die damit verbundene Konzeption zur Gründung der Ost-SPD ist später mit Recht als das entschiedenste Konzept zur Überwindung des SED-Systems gewürdigt worden. Schon der Aufruf zur Parteigründung – fertig gestellt im Juli 1989 und am 26. August, dem 200. Jahrestag der Erklärung der Menschenund Bürgerrechte der Französischen Revolution öffentlich vorgetragen – antizipierte die notwendige Überwindung des Systems und war zugleich ein Schritt in diese Richtung. Wir definierten uns als Teil der Gesellschaft, der nicht nur zum Umsturz rief, sondern eine neue Perspektive, eine konkrete Alternative anbot. Gleichzeitig forderten wir andere auf, sich uns entweder anzuschließen oder eine andere, eigene perspektive21

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demokratische Perspektive anzubieten, so dass dann gemeinsam für neue Verhältnisse gestritten werden konnte. Wir waren nicht entschiedenere, leidenschaftlichere oder engagiertere Gegner der SED als andere, aber wir hatten im Herbst 1989 die klarste Konzeption zur Überwindung dieser Diktatur und zur Konstituierung von Freiheit, Recht und Demokratie. Im Sommer 1989 waren wir von dem, wenn man so will, unverschämten Selbstbewusstsein getragen, gewissermaßen eine – wie andere es ausdrücken würden – „historische Mission“ zu erfüllen. Wir waren sicher, dass dies der Anfang vom Ende der SED-Herrschaft sein würde, weshalb die Nacht, in der Martin Gutzeit und ich am Morgen des 24. Juli 1989 den Aufruf fertig stellten, voll roten Weins und diebischer Freude war. Axt an die Wurzel der SED Mit der Gründung einer sozialdemokratischen Partei stellten wir uns bewusst programmatisch in den internationalen Zusammenhang der Sozialistischen Internationale. Dabei dachten wir an den „Nord-Süd-Bericht“ Willy Brandts, das Konzept für gemeinsame Sicherheit von Olof Palme und den Bericht zur nachhaltigen Entwicklung der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland. Gleichzeitig stellten wir 40

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uns in die Tradition der ältesten demokratischen deutschen Partei und setzten zugleich – durchaus gezielt – die Axt an die Wurzeln des Selbstverständnisses der SED. Wie die Quellen ausweisen, hat die SED das auch so verstanden! Entgegen mancher Äußerungen halte ich die Gründung der Ost-SPD noch heute für eine erstaunliche Erfolgsstory. Über ihre Bedeutung sind sich auch in der SPD heute viele nicht im Klaren. Man stelle sich doch einmal folgendes Szenario des Herbstes vor: Honecker und Krenz treten ab, die SED benennt sich um. Die CDU einverleibt sich – wie getan – die Blockpartei CDU, die BlockparteiLiberalen. Und die SPD? Sie hätte wohl geglaubt, die sogenannten Reformer in der SED seien die richtigen Partner. Es gab jedenfalls nicht wenige in der SPD, die diesen Weg hätten gehen wollen. Ich behaupte jedoch, ein Zusammengehen mit den SED-Nachfolgern hätte wegen der fehlenden Akzeptanz in der Bevölkerung zur strukturellen Mehrheitsunfähigkeit der SPD im vereinten Deutschland über eine Generation geführt. Davor haben wir die SPD bewahrt… Die Mauer wäre absurd Oft wird heute sehr verallgemeinernd gesagt, dass die neuen Bürgerbewegungen und Parteien des Herbstes 1989


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nur Freiheit und Demokratie in der DDR, nicht aber die deutsche Einheit wollten. Auch hier ist Differenzierung nötig. Ich möchte hier nur auf die Zielstellungen der SDP eingehen. Martin Gutzeit und ich formulierten im Juli 1989 als Eckpunkte für die sozialdemokratische Programmatik neben der Forderung nach Demokratie westlichen Musters zur Deutschlandpolitik folgende Zeilen: ■ „Anerkennung der Zweistaatlichkeit Deutschlands als Folge der schuldhaften Vergangenheit. ■ Besondere Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland aufgrund der gemeinsamen Nation, Geschichte und der sich daraus ergebenden Verantwortung.“ Wir hielten eine operative Einheitspolitik damals nicht für möglich und traten für eine parlamentarische Demokratie in der DDR ein. Klar war uns, dass eine Mauer zwischen zwei demokratischen deutschen Staaten absurd wäre, doch hielten wir das für eine spätere Aufgabe. Dagegen konnte offen davon gesprochen werden, dass es galt, die besonderen Beziehungen zur Bundesrepublik gezielt, aber im europäischen Kontext auch sensibel, auszubauen. Die Zweistaatlichkeit sollte also keinesfalls festgeschrieben werden, etwa als Buße für die deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus. So argumen-

tierten Teile der westdeutschen Linken, nicht wir. Für uns war gerade die sich aus der gemeinsamen (Schuld-) Geschichte ergebende Verantwortung eine Dimension der Gemeinsamkeit mit der Bundesrepublik. Was wir ablehnten, war eine deutsche Einheit mit der Brechstange, welche den europäischen Frieden gefährden konnte. Verantwortung statt Buße Nach der Fluchtbewegung im Laufe des Sommers 1989 sahen wir erste Chancen von Veränderungen und wir ergänzten auf Anregung von Arndt Noack den ersten Anstrich vorsichtig: „Mögliche Veränderungen im Rahmen einer europäischen Friedensordnung sollen damit nicht ausgeschlossen sein.“ So wollten wir Bewegung in der deutschen Frage andeuten und dem Missverständnis einer Festschreibung der Zweistaatlichkeit wehren – was offensichtlich wegen der zurückhaltenden Formulierung nicht gelang. Anerkennung bedeutete für uns nicht ein dauerhaftes Festschreiben der Zweistaatlichkeit. Sie war jedoch als Folge des deutschen Angriffskrieges anzuerkennen und nur so zu überwinden, dass dadurch nicht wieder eine Gefahr für Europa erwächst. Hier ging es uns mitnichten um Buße, sondern um Verantwortung, und in dieser sahen wir uns gemeinsam mit allen Deutschen. Es war zuerst die Verantworperspektive21

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tung für Frieden, Freiheit und Sicherheit in Europa, der wir uns gerade angesichts unserer Geschichte verpflichtet fühlten. Was möglich ist, soll geschehen Erst mit dem Fall der Mauer am 9. November änderte sich diese Perspektive. Nun wurde eine operative Einheitspolitik möglich. Die SDP hat diese Möglichkeit dann auch entschlossen in Angriff genommen, nicht erst getrieben von den Menschen, sondern aus tiefster Überzeugung. Am 3. Dezember 1989 bekannte sich der Vorstand in einer Erklärung zur deutschen Frage zur Einheit der deutschen Nation. Sie sollte von den beiden deutschen Staaten gestaltet werden. Voraussetzung dafür waren baldige Wahlen, damit eine legitimierte Regierung diese Aufgabe wahrnehmen kann. Im Januar 1990 verabschiedete die Delegiertenkonferenz der SDP dann folgenden Beschluss: „ Ziel unserer Politik ist ein geeintes Deutschland. Eine sozialdemokratisch geführte Regierung der DDR wird die notwendigen Schritte auf dem Weg zur deutschen Einheit in Abstimmung mit der Bundesregierung gehen. Was sofort möglich ist, soll sofort geschehen. Eine sozialdemokratische Regierung wird einen Wirtschafts- und Währungsverbund als vorrangige Aufgabe in Angriff 42

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nehmen. Alle Schritte des deutschen Einigungsprozesses müssen in den gesamteuropäischen Einigungsprozess eingeordnet sein. Denn wir wollen die deutsche Einheit nur mit der Zustimmung all unserer Nachbarn. Ihre Grenzen sind für uns unantastbar. Wir erstreben eine europäische Sicherheitsund Friedensordnung. Wir sehen dabei für uns die besondere Verantwortung, den Demokratisierungsprozess und die wirtschaftliche Erneuerung in Ost-Europa zu fördern.“ Willy Brandt reagierte schnell Wir hatten die Gründung der SDP weder mit der SPD abgesprochen noch jemanden gefragt. Nach der Veröffentlichung des Aufrufs Ende August 1989 hörte man von Egon Bahr, Karsten Voigt und Walter Momper öffentlich skeptische bis ablehnende Signale. Das kam uns jedoch erst einmal gar nicht so unwillkommen, da es deutlich machte, dass wir keine Ferngründung aus dem Westen waren. Am Gründungstag der SDP, dem 7. Oktober, beschlossen wir auch, einen Aufnahmeantrag in die Sozialistische Internationale (SI) zu senden und schickten ihn an Willy Brandt, der schnell und positiv reagierte. Er schickte schwedische Sozialdemokraten, die uns besuchten und Ende November 1989 erhielten wir bereits den Beobachterstatus der SI.


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Gut eine Woche nach der Gründung lud der damalige SPD-Chef HansJochen Vogel Steffen Reiche, der zu einem Verwandtenbesuch in den Westen gereist war, in die Präsidiumssitzung der SPD ein. Obwohl es in der SPD noch viel Diskussion über das Verhältnis zur DDR und zur SED gab, bei der sich insbesondere Norbert Gansel für uns einsetzte, war dieser Besuch der Beginn regelmäßiger Kontakte, sowohl an der Spitze der Parteien als auch an der Parteibasis. Wenige Tage nach dem Mauerfall besuchten uns Willy Brandt, Johannes Rau, HansJochen Vogel. Es wurde eine strukturelle Zusammenarbeit verabredet. Beim Sonderparteitag der SPD in (West-) Berlin im Dezember 1989 sprach ich als Vertreter der Partnerpartei in der DDR ein Grußwort, am gleichen Tag hielt Willy Brandt auf dem Magdeburger Domplatz vor Zehntausenden eine bewegende Rede. Ich hatte ihn in die Stadt Ernst Reuters, er war dort von 1931 bis 1933 Oberbürgermeister, eingeladen – einen Tag vor dem Besuch Helmut Kohls in Dresden. Zur Jahreswende half uns die SPD bei der Mobilität der Vorstandsmitglieder und auch später im Wahlkampf zur Volkskammer – und war oft entsetzt über unser Organisationschaos, mussten wir doch alle Strukturen erst entwickeln und waren maßlos überfordert. Dabei bestanden wir auf unserer Eigenständigkeit – und das Beson-

dere war: Es wurde akzeptiert und insbesondere von Hans-Jochen Vogel trotz mancher Kritik in der eigenen Partei voll anerkannt! Das war völlig anders, als wir es bei der CDU beobachten konnten, wo die sogenannte „Allianz für Deutschland“ von der West-CDU mit großem Druck und goldenen Nägeln zusammengeschmiedet wurde. Entschieden wurde hier In vielfältiger und ständig zunehmender Weise wurde die Kooperation ausgebaut. Eine gemeinsame Kommission sollte die Positionen koordinieren. Berater halfen beim Organisationsaufbau – und auch bei der Formulierung von inhaltlichen Positionen. Da wurde es dann nicht selten spannend. Doch die Entscheidungen blieben letztendlich bei uns. Als wir beispielsweise nach der Volkskammerwahl im März 1990 die Koalitionsverhandlungen führten, hielten Richard Schröder und ich es für gut, dass ein sozialdemokratischer Finanzminister aus dem Westen im DDR-Kabinett säße – und arrangierten durch die Vermittlung HansJochen Vogels ein Gespräch mit Manfred Schüler. Wir hielten diese Variante für durchsetzbar, wenn Lothar de Maizière ebenfalls einen westlichen Wirtschaftsminister nominierte, was dann jedoch nicht geschah. perspektive21

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III. In der Regierung Das wichtigste Ziel der neu gewählten Volkskammer und der frei gewählten Regierung war es, die deutsche Einheit vorzubereiten, sie außenpolitisch abzusichern und so zu organisieren, dass die konkreten Bedingungen im Einheitsprozess die Interessen der DDR-Bevölkerung angemessen berücksichtigen – und sich mit Erreichen dieser Ziele, mit der deutschen Einheit selbst abzuschaffen. Darüber herrschte Einigkeit in der großen Koalition, doch in vielen Fragen gab es unterschiedliche Positionen. Für uns als Ost-SPD gab es dann noch eine weitere, sehr grundsätzliche Schwierigkeit. Als Koalitionspartner der CDU in der DDR waren wir an den Verhandlungen direkt beteiligt, hatten unsere eigenen, spezifisch ostdeutschen Interessen, welche uns mit den Koalitionspartnern verbanden und so fühlten wir uns dann natürlich auch an die Ergebnisse der Verhandlungen gebunden. Gleichzeitig waren wir Schwesterpartei der SPD, die sich im Westen in der Opposition befand und sich auf die Bundestagswahl vorbereitete. Es war völlig klar, dass wir uns mit ihr mit Erreichen der staatlichen Einheit vereinigen würden. Das war an sich schon eine schwierige Lage. Dazu kam jedoch der programmatische und strategische Streit innerhalb der WestSPD. Sie war in der Frage der deut44

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schen Einheit innerlich tief gespalten. Die Hauptantipoden waren Willy Brandt und der Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine. Die Differenzen waren schon Ende 1989 deutlich geworden und wurden im ostdeutschen Wahlkampf schon fast unüberbrückbar. Hans-Jochen Vogel versuchte, die Partei zusammenzuhalten und gleichzeitig so weit wie möglich die Absprachen mit uns in fairer Weise zu gestalten. Weil er selbst in seinen Positionen nahe bei Willy Brandt war, nötigte ihm der Versuch, Brücken zu Oskar Lafontaine zu bauen, ein hohes Maß an Selbstbeherrschung ab. Spannungen in der SPD Obwohl es mit Ingrid Matthäus-Meier eine Sozialdemokratin war, die um die Jahreswende 1989/90 als erste die Währungs- und Wirtschaftsunion vorschlug und die CDU erst davon überzeugt werden musste, hat sich Oskar Lafontaine monatelang gegen die Zustimmung gewehrt – mit schlimmen Folgen für den Ruf der SPD in der DDR. Dabei hatten wir die Wirtschafts- und Währungsunion – ergänzt um die Sozialunion! – schon in unser Wahlprogramm geschrieben und auf dem Leipziger Parteitag als Ziel der OstSPD herausgestellt. Während Willy Brandt und Hans-Jochen Vogel uns in der Bildung einer Großen Koalition unterstützten, weil wir gemeinsam der


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Meinung waren, dass die SPD in dieser historischen Situation eine Gestaltungsaufgabe übernehmen müsste, schrieben uns 40 SPD-Bundestagsabgeordnete einen Brief, die vor einer solchen Koalition warnten. Oskar Lafontaine wollte sie ebenfalls verhindern. Er hatte den Wahlkampf im Blick und wollte einen Frontalangriff auf Helmut Kohl – was so nicht möglich war, wenn wir im Osten notwendigerweise mit der Bundesregierung, also mit Helmut Kohl, die Einheit verhandelten und dann zu den Ergebnissen standen. Ende im August Ähnlich war es dann in der Frage des Einigungsvertrages. Obwohl auch wir vieles im Einigungsvertrag kritisierten und deshalb ja auch im August 1990 die Regierung de Maizière verlassen hatten, war doch die breite Mehrheit in der Ost-SPD für eine Zustimmung zum Einigungsvertrag. Die Alternative, ein Überleitungsgesetz des Bundestages, hätte mit Sicherheit nicht besser ausgesehen (sondern viel schlechter, weil wohl manches, das wir hineinverhandelt hatten, nicht mehr enthalten gewesen wäre). Wieder unterstützten uns Willy Brandt und Hans-Jochen Vogel. Doch Oskar Lafontaine wollte, dass wir den Einigungsvertrag ablehnen. Angesichts dieser inneren Zerrissenheit und bei diesem Kanzlerkandidaten war es nicht verwunderlich,

dass die SPD nach der Volkskammerwahl im März dann nach der deutschen Vereinigung auch die Bundestagswahl im Dezember 1990 verlor. IV. Der Weg zur Deutschen Einheit Die Wahl am 18. März hatte den Willen der Bevölkerung zur schnellen Vereinigung nach Artikel 23 offensichtlich gemacht. Wir Sozialdemokraten hatten vorher eine Vereinigung nach Artikel 146 vorgezogen, hätte dies doch deutlicher gemacht, dass das vereinte Deutschland nicht nur einfach eine durch Anschluss vergrößerte Bundesrepublik ist. Doch waren wir uns dann in den anschließenden Koalitionsverhandlungen mit Lothar de Maizière schnell einig, dass der Beitrittsbeschluss nach Artikel 23 des Grundgesetzes erst mit einem ausgehandelten Vertrag vollzogen werden könne. Das wiederum war in der damaligen Geisteslage keineswegs selbstverständlich, und auch im Verlauf der folgenden Monate tauchte aus den verschiedensten politischen Richtungen und Motivationen immer wieder der Gedanke auf, ein unmittelbarer Beitritt mit einem dann notwendig werdenden Überleitungsgesetz wäre besser. Die Fülle von Problemen, die durch Regierung und Parlament in kürzester Zeit angegangen und zu denen Entscheidungen getroffen werden mussten, ist heute schwer nachvollziehbar. Dabei perspektive21

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ist es nicht verwunderlich, dass viele wichtige Einzelentscheidungen ohne die eigentlich notwendigen Diskussionsprozesse und Abstimmungen gefällt wurden. Der Raum für eigenmächtige Entscheidungen der Verhandlungsführer, deren Folgen vielfach nicht voll überblickt wurden, die sich andererseits aber auch in der Fülle der Problemfelder gut verstecken ließen, war jedenfalls auf DDR-Seite auf ungute Weise groß. Der Zeitdruck war enorm Ein großes Problem für die deutschdeutschen Verhandlungen war der Zeitdruck. Anders als oft dargestellt wird, entstand dieser Zeitdruck nicht durch die internationale Konstellation. Natürlich musste man den 2+4-Vertrag so schnell als möglich abschließen und keine Zeit verstreichen lassen. Doch wer sagt denn, dass kurz nach Abschluss des 2+4-Vertrages der Beitritt erfolgen musste? Meine Position war damals, dass einige Wochen längere Verhandlungen zum Erreichen besserer Ergebnisse geführt hätten. Doch war das natürlich zuallererst eine Frage des politischen Willens. Wer damals die nötige Zeit für die Verhandlungen zum Einigungsvertrag forderte, wurde schnell diffamiert, er wolle die deutsche Einheit nicht oder hänge an seinem Ministersessel – was bis in die historische Forschung hinein später nachgeplappert wurde. 46

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Ein anderes Problem des Einigungsprozesses war, dass die Bundestagswahl bevorstand. Helmut Kohl, der nach den Umfragen im Herbst 1989 keine Chance hatte, wieder gewählt zu werden, sah – und wie sich zeigte mit Recht – in der Einheitsperspektive seine große Wahlchance. Und so wurde der Einigungsprozess für ihn auch zu einer großen wahlstrategischen Veranstaltung. Wäre das Jahr 1990 nicht auch das Jahr der Bundestagswahl gewesen, hätte Helmut Kohl vermutlich das Angebot HansJochen Vogels angenommen, den Einigungsprozess jenseits parteipolitischer Erwägungen als gemeinsame nationale Aufgabe anzugehen. Vieles wäre dann anders – und wie ich denke, besser – gelaufen. Die Musik spielte in Bonn Der Wahlkampf im Einigungsprozess wirkte deshalb auch auf die Koalitionsregierung in der DDR und bestimmte den Verhandlungsprozess wesentlich. So habe ich beispielsweise erste Entwürfe für den Einigungsvertrag nicht vom DDR-Unterhändler Günther Krause oder dem Ministerpräsidenten erhalten, sondern durch Indiskretion aus dem Bundeskanzleramt in Bonn. So sah die Verhandlungspraxis aus. Auf diese Weise wurde wichtiges Vertrauen zerstört, das Grundlage für die Handlungsfähigkeit der DDR-Koalition entsprechend den gemeinsam vereinbarten


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Zielstellungen war. Die Konstellation des Wahljahres führte letztlich dazu, dass wichtige Entscheidungen im Einigungsvertrag mehr zwischen der Koalition und dem Bundesrat in Bonn ausgehandelt wurden als zwischen der Regierung der DDR und der Bundesregierung. Viele Entscheidungen blieben (im Osten) umstritten, seien es die Finanzierungsfragen oder die Stimmverhältnisse im Bundesrat. Ein gelungenes Beispiel war die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch (§ 218). Sie ist eines der ganz wenigen Beispiele, wo im Gefolge der Vereinigung für ganz Deutschland eine auch von vielen Menschen im Westen gewünschte Reform möglich wurde, die vorher nicht durchsetzbar war. Dass die Volkskammer dann am 23. August 1990 einen Beitrittstermin festlegte, bevor der Einigungsvertrag fertig ausgehandelt war – was natürlich für jeden Verhandlungsführer, der noch etwas durchsetzen will, eine völlig unmögliche Situation ist –, machte nur noch die Unfähigkeit der DDR-Regierung offenkundig, eigenständige Positionen auch umzusetzen. Die Musik spielte schon in Bonn. In Berlin hatte man das Zepter im Grunde schon aus der Hand gelegt. Mit welchem Ansatz sind wir damals in die Verhandlungen gegangen? Wir wollten ein geeintes Deutschland, das in der Kontinuität der Bundesrepublik Deutschland und doch nicht einfach

eine vergrößerte Bundesrepublik ist, sondern ein neues Gemeinwesen, ohne in Ostdeutschland einfach alles übernehmen zu müssen, was in Westdeutschland gewachsen ist. Wir glaubten, dass die Vereinigung Deutschlands und gesamtdeutsche Reformen verbunden werden könnten. Das erwies sich als großer Trugschluss, was bei vielen erst einmal zu großen Enttäuschungen führte. Manche in der SPD im Westen hatten diese Hoffnung geteilt. Sie überschütteten uns mit Reformvorschlägen, die wir in die Verhandlungen einbringen sollten, obwohl sie im Westen immer wieder gescheitert waren. Wir waren in diesen Wochen gar nicht in der Lage, alles zu lesen, was uns da auf den Tisch kam! Möglichst ohne Schmerzen Wolfgang Schäuble hat sich später zu dem Grundsatz bekannt, „es gehe jetzt um die Einheit und nicht darum, bei dieser Gelegenheit etwas für die Bundesrepublik zu ändern.“1 Er bezog das auf entsprechende Diskussionen innerhalb der westdeutschen Delegation. Es galt aber auch für die Positionen gegenüber der DDR-Regierung. So wurde der Einigungsvertrag zu einer Meisterleistung der Administration der Bundesrepublik. Er war der großangelegte Versuch, die völlig anderen gesellschaft1 Der Vertrag. Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte, Stuttgart 1991, S. 156

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lichen Verhältnisse der DDR in das bundesdeutsche Rechtsgefüge einzupassen. Und zwar so, dass es möglichst wenig Schmerzen im Osten verursacht – aber auch eigene Veränderungen möglichst nicht notwendig macht. Anschluss war angesagt! Dieses Gefühl, nicht wirklich ernst genommen zu werden, hat später bei großen Teilen der DDR-Bevölkerung zu negativen Bewertungen des Einheitsprozesses geführt, woraus dann PDS bzw. LINKE maßgeblich profitierten. Im Nachhinein kann man zwar immer noch über jeweils konkrete Regelungen streiten. Dass damals Fehler gemacht wurden, wird heute von niemandem bestritten. Wieweit damals diskutierte Alternativen die Probleme aber wirklich besser gelöst hätten, wird auch heute noch vermutlich unterschiedlich bewertet. Keine neue Verfassung Ein wichtiges Beispiel dabei ist die Verfassungsfrage. Schon in der Verfassungskommission des Runden Tisches als auch in der Volkskammer gab es viel Streit. Umstritten war schon der Status des Verfassungsentwurfs des Runden Tisches, der von ihm nie beschlossen, sondern in der letzten Sitzung nur diskutiert wurde. Entgegen unseren Vorstellungen im Spätherbst 1989 war die Gestaltungsaufgabe der deutschen Einheit nach der Wahl im März 1990 so weit fortgeschritten, dass 48

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es der Mehrheit in der Volkskammer nicht mehr sinnvoll erschien, eine eigene DDR-Verfassung zu erarbeiten und zu verabschieden. Lothar de Maizière hat dann zwar noch den Versuch unternommen, die DDR-Verfassung von 1949 mit Änderungen einzubringen, das aber dann wieder fallen gelassen. So wurden wir uns dann schnell einig, dass es nur ein Verfassungsgrundsätzegesetz geben soll, um die Rechtslage der sich dynamisch entwickelnden politischen Entwicklung anzupassen. Aufbau ohne Beispiel Gemeinsames Ziel war jedoch, dass das geeinte Deutschland auf der Grundlage des Grundgesetzes sich eine neue Verfassung gibt. Die West-SPD unterstützte dies ausdrücklich. Im März 1990 habe ich in einem Spiegel-Gespräch mit Wolfgang Schäuble darauf hingewiesen, dass es uns nicht darum geht, viel am Grundgesetz zu ändern, sondern darum, dass alle Deutschen sich selbst eine Verfassung geben. Ich glaube noch heute, dass dies die Identifikation auch der Ostdeutschen mit dem geeinten Deutschland als ihrem Staat und Gemeinwesen verstärkt hätte. Aber auch das wurde abgelehnt. Übrig blieb dann die gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat von 1991 bis 1994 – mit dürrem Ergebnis, weil die CDU kaum zu Änderungen bereit war.


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Inzwischen sind 20 Jahre vergangen. Im Osten Deutschlands ist ein Aufbau geleistet worden, der seinesgleichen sucht. Bei allen noch vorhandenen Unterschieden in Ost und West stehen wir angesichts der globalen Entwicklungen vor gemeinsamen Herausforderungen, die wir auch nur gemeinsam bewältigen können. Das gilt für uns in

Deutschland wie auch in dem inzwischen vereinten Europa, das noch handlungsfähiger werden muss. Der Rückblick auf die damalige Zeit macht uns deutlich, dass es auch heute wichtig ist, Verantwortung für die eigene Wirklichkeit zu übernehmen und dass es manchmal möglich ist, etwas zu erreichen, was vorher jenseits des Denkbaren schien. ¢

MARKUS MECKEL

war 1989 Mitbegründer der SDP sowie 1990 letzter Außenminister der DDR und ist heute Bundestagsabgeordneter der SPD. perspektive21

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Mein 1989 NOTIZEN VON GÜNTHER JAUCH, PEER STEINBRÜCK, MANFRED STOLPE, HANS-OTTO BRÄUTIGAM, RAINER SPEER, MARTINA MÜNCH, JÖRG SCHÖNBOHM UND HEINZ VIETZE

GÜNTHER JAUCH

Berlin statt Wien m 9. November saß ich mit meiner Frau und meiner erst wenige Monate alten Tochter in München vor dem Fernseher. Ich hatte für das anstehende Wochenende eine Reise nach Wien gewonnen und begann gerade den Koffer zu packen. Nie war Wien weiter entfernt als an diesem Abend. Ich wollte mich sofort ins Auto setzen, um nach Berlin zu fahren, aber Frau und Kind war das dann auf die Schnelle doch zu beschwerlich. Wegen des Nachtflugverbots ging kein Flugzeug mehr raus. So schaute ich bis weit nach Mitternacht fern und fuhr danach durch München. Ich wähnte die Menschen tanzend auf den Straßen – mindestens wie beim Gewinn einer Fußball-WM. Aber es war gar nichts. Und auch die Lichter hinter den Fenstern waren gelöscht. München schlief wie jeden anderen Abend auch.

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Ich machte kein Auge zu und stand am Morgen des 10. November um 4

Uhr früh als erster am Flughafen und hatte Sorge, kein Ticket der Pan American mehr nach Berlin zu bekommen. Auch da schauten mich verwunderte Gesichter an. Die Flüge bis 10 Uhr morgens waren keineswegs ausgebucht. Die meisten hatten das Wunder gar nicht begriffen. Um 8 Uhr morgens landete ich in Berlin und pendelte mit S- und U-Bahn ständig zwischen Ost und West. Ich habe eine Frau in Ost-Berlin angesprochen, doch mit mir – zum ersten Mal in ihrem Leben – in den Westen zu fahren und sie stieg im letzten Moment zu mir in die S-Bahn zum Bahnhof Zoo. Dort bestellte sie in der nächsten Kneipe erst mal einen „Kleinen Braunen“ und die Bedienung lachte nur. Die hatte acht Wochen vorher über Ungarn „rüber gemacht“ und wusste, was sie bringen musste. Ich bin in Berlin in der Nähe der Mauer aufgewachsen und erlebte jetzt mit die glücklichsten Tage meines Lebens. Mir war sofort klar, dass ich die längste Zeit in München gewohnt hatte. In der Nacht des 9. November perspektive21

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hatte ich mich praktisch von Bayern verabschiedet und wollte so schnell wie möglich in den Osten. Jetzt lebe ich schon lange fast in Sichtweite der Glienicker Brücke. Ach so: Die schöne Wien-Reise haben wir verfallen lassen. Nie war ein Verlust schmerzloser. ¢ GÜNTHER JAUCH ist Fernsehmoderator und lebt in Potsdam.

PEER STEINBRÜCK

Mit Rau in Leipzig m 9. November 1989 war ich gemeinsam mit Johannes Rau, Ministerpräsident von NordrheinWestfalen, unterwegs in der DDR. Ich war damals sein Büroleiter und begleitete ihn. Diese Reise war lange verabredet und doch ein unglaublicher Zufall. Nach einem Termin in Ost-Berlin fuhren wir weiter nach Leipzig, wo wir am frühen Abend eintrafen. Natürlich standen wir alle unter einer gewissen Anspannung angesichts der zurückliegenden Monate und der Montagsdemonstrationen, die von dieser Stadt ausgegangen waren und immer stärkeren Zulauf hatten.

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Kaum in Leipzig angekommen, nahm Johannes Rau wie selbstverständlich am Friedensgebet in der Nikolaikirche teil, nicht „nur“ als Christ, sondern als westdeutscher Spitzenpolitiker und prominenter Sozialdemokrat. Ihm war das ein Herzensanliegen. Die politische Wirkung dieser Solidaritätsdemonstration war ihm natürlich sehr bewusst. Am Abend hielt er dann eine Rede über den Kunstaustausch zwischen Nordrhein-Westfalen und der DDR. Während er sprach, wurde ihm ein Zettel gereicht. Darauf standen jene 52

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vier elektrisierenden Worte, die bald um die Welt gingen: „Die Mauer ist auf.“ Die folgenden Stunden schilderte Rau sehr viel später – als Bundespräsident – ziemlich nüchtern und bescheiden. Er habe seine Rede schnellstmöglich zu Ende gebracht, um am Fernseher die Ereignisse in Berlin zu verfolgen. In Wirklichkeit, jedenfalls nach meiner Wahrnehmung, hielt er in Leipzig spontan eine der besten Reden seines politischen Lebens. Er teilte seinem Publikum das Unglaubliche mit und verfiel dabei weder in falsches Pathos noch erzeugte er falsche Hoffnungen. Dennoch schaffte er das Kunststück, jedem die historische Dimension der Maueröffnung deutlich zu machen. Natürlich konnte auch er nicht ahnen, was sich in den Tagen, Wochen und Monaten danach abspielen würde. Aber uns war bewusst, welche soziale und politische Dynamik sich nun endlich würde entfalten können. Es wurde ein langer und bewegender Abend. Johannes Rau hatte damals schon lange engen Kontakt zu Manfred Stolpe und war – abseits der offiziellen Berichterstattung in der DDR und der Berichte unserer Medien – bestens im Bilde darüber, was in der DDR und in der Kirche vor sich ging. Und es war Johannes Rau, der bei seinen Besuchen in der DDR regelmäßig und meist vor laufenden Kameras die

Stasi-Spitzel zur Seite drängte, wenn ihm eine Bürgerin oder ein Bürger der DDR seine Lage schildern oder ihm einfach „nur“ einen Zettel zustecken wollte. Davon erzählte er am Abend des 9. November. Manches kam mir bekannt vor – nicht nur, weil ich manche dieser Geschichten bereits kannte, sondern weil ich zwischen 1980 und 1981 Mitarbeiter in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in OstBerlin gewesen bin und mir oft die Frage gestellt hatte, wie ich denn mit den Verhältnissen in der DDR klarkommen würde, wenn ich eben nicht nur so etwas wie ein „DDR-Bürger auf Zeit“ wäre. Hätte ich mich angepasst? Wäre ich in die „innere Opposition“ gegangen? Oder hätte ich denselben Mut gehabt wie die Bürgerrechtler, die kirchlichen und politischen Oppositionellen, die Nichtangepassten? Eine ehrliche Antwort fällt da schwer. Die Helden aus Leipzig haben sie für sich gefunden. Am 9. November 1989 habe ich viele von ihnen kennen lernen dürfen. ¢ war 1989 Büroleiter des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau und ist heute Bundesfinanzminister sowie stellvertretender SPD-Vorsitzender.

PEER STEINBRÜCK

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MANFRED STOLPE

Der Anfang vom Ende ür mich war die „Friedliche Revolution“ ein Prozess, der sich langsam anbahnte – und zwar spätestens mit Gorbatschows Machtantritt. Aus dem spöttischen „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“ wurde ein Satz, den immer mehr Menschen mit heißen Herzen wiederholten. Damit stieg der Druck auf die DDR-Führung – und zwar sowohl von außen, von Gorbatschow aus, als auch von innen durch die wachsende Reformerwartung im eigenen Land. Diese Hoffnungen wurden zunehmend lauter artikuliert und 1987 gab es auch ein paar Anzeichen der Veränderungen. Damals reiste Honecker nach Bonn, die SEDFührung fraß Kreide, genehmigte zum Beispiel den nicht-staatlich organisierten Olof-Palme-Friedensmarsch. In jener Zeit wurden dann auch die Kernforderungen der Opposition immer klarer formuliert: Es ging um Reisefreiheit. Um Meinungsfreiheit. Und die Freiheit, sich in die eigenen Angelegenheiten einmischen zu können. Begriffe wie Demokratie tauchten nicht auf, es ging eher um weniger Bevormundung, zunehmend auch um eine effektivere Wirtschaft. Doch 1988 tauchte die DDR-Führung fast komplett ab und wurde im Ostblock immer stärker isoliert. Nichts wurde

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mehr entschieden und so entstand immer mehr eine Ruhe vor dem Sturm, fast eine Friedhofsruhe. Mein persönliches „Wende-Erlebnis“ hatte ich dann schon im Januar des Jahres 1989. Zwischen Weihnachten und Neujahr gab ich in der Springer-Zeitung Die Welt ein Interview über die Reiseregelungen der DDR. Dabei habe ich das Regime mit einer kleinen Nebenbemerkung kritisiert, dass die Regelungen nicht ausreichen würden. Das Interview hat Honecker wohl sehr verbittert. Und zwar so sehr, dass ich von nun an als „Klassenfeind“ abgestempelt wurde. Honecker hat dies dann über den ZK-Sekretär für Propaganda in allen Zeitungen, über Fernsehen und Rundfunk verbreiten lassen. Solche Kampagnen hatte es in den Jahren zuvor schon öfter gegeben. Ziel war meist, jemanden mundtot zu machen oder ihn gar zur Ausreise zu drängen. Wenn eine solche Kampagne einsetzte, war man in der DDR eigentlich ein „toter Mann“, als Unterhändler wäre man jedenfalls erledigt gewesen. Doch dann, im Januar 1989, passierte etwas Ungewöhnliches. Noch am selben Tag, als ich die Meldungen über mich in der Zeitung las – und durchaus etwas geschockt war, meldete sich der Magistrat von Berlin bei mir. Auch das Außenwirtschaftsministerium und


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der Rat des Bezirkes Potsdam riefen an. Es ging dabei um verschiedene kirchliche und humanitäre Anliegen, die von mir dort lagen. Keiner der Anrufer nahm Bezug auf die Zeitung. Man teilte mir jedoch mit, dass meine Anträge alle in Ordnung gingen. Normalerweise hätten die das nicht machen können, die hätten einfach den Kopf einziehen müssen. Doch jetzt genehmigten sie verschiedene Sachen und teilten es mir offenbar nach Lektüre der Angriffe gegen mich mit. Insgesamt ein sehr außergewöhnlicher Vorgang. Damals dachte ich zum ersten Mal: Das ist der Anfang vom Ende – wenn jetzt schon die Unterführer gegen den offiziellen Strom schwammen. Dann ging alles Schlag auf Schlag. Es kam zu den Wahlbeobachtungen im Mai 1989 durch Oppositionsgruppen, es gab die Proteste gegen die offensichtlichen Wahlfälschungen. Es kam die Angst vom Platz des Himmlischen Friedens in Peking, im Sommer dann die immer größer werdende Zahl der Ausreisenden. Es folgte der 40. Jahrestag der DDR, die Montagsdemonstrationen, die Absetzung Honeckers. Am Tag nach Honeckers Sturz traf sich der neugewählte SED-Chef Egon Krenz mit der Evangelischen Kirche. Er wollte uns mitteilen, was er vorhatte. Er sprach davon, das Wahlrecht zu

ändern. Er wollte Oppositionsgruppen zulassen und andere Meinungen dulden. Er wollte die Wirtschaft effektiver machen. Und er kündigte uns an, dass bis Weihnachten alle Leute reisen dürften. Am Abend des 9. Novembers gab es dann ein Treffen von Vertretern der Evangelischen Kirche, der SED, der CDU, der LDPD und Oppositionsgruppen, einschließlich der neu gegründeten SDP. Es ging um die Vorbereitung des Runden Tisches. Ich saß im Podium, als mir ein Zettel hereingereicht wurde, dass Schabowski die Reisefreiheit verkündet habe. Ich habe das nicht dramatisch genommen, ich kannte ja die Ankündigung, dass das passieren solle. Ein paar Tage zuvor hatte uns der Ost-Berliner OB das nochmal zugesichert, wenn auch ohne Datum. So war dies für mich eher ein „normaler Vorgang“. Bis ich dann erfuhr, dass in der Zwischenzeit die Menschen im Osten der Stadt den Schabowski Ernst nahmen und auf die Grenze zuliefen. Ich bekam Angst, dass die Situation eskalieren könnte – immerhin waren die Grenztruppen so eine Art Eliteeinheit. Und mir war klar, dass die an diesem Abend keine Befehle hatten, die Grenze zu öffnen. Und so war es ja auch. Das Politbüro hatte beschlossen, fuhr nach Wandlitz und war nicht mehr erreichbar. Und die Kommandeure an der Grenze wussperspektive21

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ten nicht, was los war. In jenen Stunden befürchtete ich, dass geschossen würde und die Friedliche Revolution möglicherweise auf einen Schlag verloren wäre. Später am Abend kriegte ich dann mit, dass der Kommandeur an der Bornholmer Straße den Schlagbaum geöffnet hatte und auch die anderen Grenzübergänge offen waren. Tief in der Nacht war ich dann in meiner Ost-Berliner Wohnung, im 21. Stock: Unter mir war alles fröhlich und erleuchtet. Und ich habe tief und glücklich geschlafen. Denn die Unterdrückungsmacht hatte kapituliert und das Volk sich selbst befreit. Das war der offenkundige Sieg der Kerzenrevolution. ¢ war Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche in der DDR und Ministerpräsident des Landes Brandenburg. MANFRED STOLPE

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HANS OTTO BRÄUTIGAM

Einfach durchgehen ach knapp sieben Jahren als Ständiger Vertreter der BRD in Ost-Berlin trat ich im Januar 1989 mein neues Amt als Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York an. Schon wenige Monate später überstürzten sich in der DDR die Ereignisse. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte ich von Amerika aus das Geschehen. Jeden Abend saß ich um Mitternacht gespannt vor dem Radio und verfolgte die Berichte der Deutschen Welle.

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Am 9. November hörte ich abends in den amerikanischen Nachrichten, Günter Schabowski habe nach einer Sitzung des Zentralkomitees völlig überraschend ein neues Gesetz für Westreisen angekündigt und darauf hingewiesen, dass die Grenzübergänge in die Bundesrepublik und nach WestBerlin für den Reiseverkehr geöffnet würden. Auf eine Frage nach dem Inkrafttreten habe er geantwortet: „Sofort, unverzüglich.“ In Berlin verbreitete sich die Meldung wie ein Lauffeuer. Noch in der Nacht strömten Tausende DDR-Bürger über die offenen Sektorenübergänge nach WestBerlin. Das war der Fall der Mauer. Ich konnte es erst gar nicht glauben. Mein erster Gedanke war, wie lange


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wird das dauern? Wann kommt der Rückschlag? Doch wie sich bald zeigte, unternahmen die DDR und die Sowjetunion keinen Versuch mehr, die Mauer wieder zu schließen. Sie fürchteten wohl den Volkszorn, der dann ausbrechen würde. Anfang Januar 1990 fuhren meine Frau und ich von Bayern aus, wo wir Urlaub machten, nach Berlin. Wir hatten ein unwiderstehliches Bedürfnis, die Stadt nach dem Fall der Mauer schnell wiederzusehen. Es war spät am Abend, als wir in Ost-Berlin ankamen, und wir gingen gleich noch um Mitternacht zum Brandenburger Tor. Es gab keine Absperrung mehr und auch keine Kontrollen. Wir gingen einfach durch das Tor. Ein unbeschreibliches Gefühl der Freude überkam uns. Wir fühlten uns von einer drückenden Last befreit, unter der so viele Menschen in Ost und West gelitten haben. Dann erreichten wir die Mauer, wir berührten sie mit den Händen, als wollten wir sie wegräumen, und überall sahen wir kleine Öffnungen, wo die „Mauerspechte“ schon tätig gewesen waren. ¢ war von 1982 bis 1989 Ständiger Vertreter der BRD in der DDR und von 1990 bis 1999 Justiz- und Europaminister des Landes Brandenburg.

HANS OTTO BRÄUTIGAM

RAINER SPEER

Machtfragen ur Sozialdemokratie kam ich Ende Oktober 1989. Ich hatte davon gehört, dass es bei der evangelischen Kirchengemeinde in Babelsberg ein Kontaktbüro der Bürgerbewegungen geben sollte. Dort traf ich tatsächlich auch auf jemanden von der SDP: Jes Möller, heute Verfassungsrichter in Brandenburg. Vorher kannten wir uns nicht. Er sagte mir: „Das ist ja wirklich gut, dass Du da bist! Ich kann nämlich morgen nicht hier sein. Dann kannst Du ja hier sitzen.“ So wurde ich für die SDP kurzerhand „rekrutiert“ – und hatte auch gleich eine Aufgabe. Seitdem bin ich dabei.

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Dass der SDP überhaupt Erfolg beschieden sein würde, ist für mich noch einige Wochen zuvor keine ausgemachte Sache gewesen. Von der Gründung der neuen Partei erfuhr ich noch am 7. Oktober, dem 40. Jahrestag der DDR. Ich saß in Falkensee bei meiner Mutter im Garten, als der SFB die Meldung brachte, in Schwante hätte sich eine Sozialdemokratische Partei gegründet. Ich habe spontan laut losgelacht. Ich hielt das damals eher für ein gelungenes Polithappening, eine ziemlich coole Idee, die einigen Charme hatte. Juristisch müsste das in Ordnung gehen, dachte ich mir. Denn perspektive21

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selbst die Verfassung der DDR billigte den Bürgern ja das „Recht auf Vereinigung“ zu – auch in Parteien. Allerdings zweifelte ich daran, dass die Neugründung Bestand haben würde. Mir war im Sommer und Herbst 1989 klar, dass man etwas tun müsste. Die Situation in der DDR wurde immer unhaltbarer. Natürlich habe ich die Dynamik, die die Ereignisse dann im Herbst bekommen sollten und die letztlich zum Ende der DDR führen sollten, nicht vorhergesehen. Ich war schon immer politisch interessiert und hatte mich auch vor 1989 hier und da engagiert. Das war aber eher sporadisch und unorganisiert – mal ging es um Friedensfeste und Kulturveranstaltungen, mal um den Denkmalschutz, als die Potsdamer Stadtoberen Ende der achtziger Jahre beschlossen hatten, die zweite barocke Stadterweiterung platt zu machen. Noch heute ist das eine ziemlich gruselige Vorstellung. Im Grunde hatte ich wie viele andere auch immer das Ziel, aus der DDR etwas Besseres zu machen, als sie war. Das war nun allerdings ein Anliegen, dass die damals Verantwortlichen in Staat und Partei überhaupt nicht verstanden. Ihr dauerndes Misstrauen war uns gewiss; meist liefen wir gegen die Wand. Aber 1989 war anders. Da war zunächst die Fluchtwelle in den Westen. Es gingen so viele vernünftige Leute, 58

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auch gute Freunde. Im August ging auch mein Kompagnon, mit dem ich zusammen eine Werkstatt in Potsdam betrieb, über die grüne Grenze in Ungarn. Die Ausreisewelle bestärkte mich in der Überzeugung, dass man jetzt wirklich etwas tun muss, damit die DDR sich ändert. Sonst bleibt hier wirklich nur noch „der dumme Rest“, wie manche damals spotteten. Die DDR blutete aus und der SED-Führung fiel dazu nur ein, man solle den Flüchtlingen „keine Träne nachweinen“. Mir war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Das war für mich eine wesentliche Motivation, mich einzumischen. Das Neue Forum hatte sich damals schon gegründet. Auch andere Gruppierungen waren aktiv. Also habe ich mich ein bisschen umgeschaut. Was mich am Neuen Forum störte, war ein aus meiner Sicht eigenartiges Verständnis von Macht. Macht erschien dort als etwas irgendwie „Unanständiges“, man wollte sie eigentlich gar nicht. Dieses Verständnis war damals nicht untypisch für viele Bürgerbewegte. Bei der SDP war das anders: Sie wollte Partei sein, sie hatte ziemlich klare programmatische Ziele und sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie die Macht tatsächlich wollte, um die Dinge zu verändern. Das entsprach ganz meinem Politikverständnis. So war der Weg in das Babelsberger Kontaktbüro vorgezeichnet.


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Ich habe mich gleich, nachdem ich zur SDP gefunden hatte, um organisatorische Fragen gekümmert. Das lag mir. Vor allem ging es darum, die junge Partei zu verbreitern, ihr auch eine Basis vor Ort zu geben. So fuhr ich zu Demonstrationen und hielt dort Reden. Hinterher meldeten sich immer Leute, die mitmachen wollten. Ich habe dann irgendjemandem den Hut aufgesetzt und ihm gesagt: „So, Du bist jetzt hier der Vorsitzende.“ Und die anderen waren dann die Mitglieder. So wuchs die Partei. Es ging Schlag auf Schlag. Ähnlich lief es bei der Gründung des SDP-Bezirksverbands und der SDP Potsdam. Diese Gründung fand in einem Raum statt. Die einen stellten sich auf die eine Seite – die waren dann „der Bezirk“. Und die anderen waren auf der anderen Seite – das war dann die Potsdamer SDP. So lief das damals. Aber es ging voran. Mittlerweile war die Mauer geöffnet worden. Ich bin mit meiner Frau noch spät am 9. November nach West-Berlin gefahren. Mit unserem Trabi fuhren wir über die Grenzübergangsstelle Staaken zum Ku‘damm. Irgendwann morgens gab es eine Sonderausgabe einer Berliner Zeitung mit der Schlagzeile „Die Mauer ist weg!“. Ich dachte mir gleich: Wieso das? Die Mauer ist doch noch da! Und im Zweifelsfall wird sie wieder zugemacht. Mir war das damals noch nicht so klar wie anderen,

dass die Entwicklung wirklich unumkehrbar war. Das war für mich ein zusätzliches Motiv, mich politisch zu engagieren. Es ging ganz grundsätzlich darum, die demokratische Entwicklung in der DDR wirklich irreversibel zu machen. Am nächsten Tag waren wir wieder in West-Berlin. Nachmittags hörten wir, dass die Glienicker Brücke geöffnet werden sollte. So kam es, dass wir als DDR-Bürger die Glienicker Brücke eigenartigerweise zuerst von West-Berlin aus in Richtung Potsdam überfuhren. Das war ein ganz besonderes Erlebnis. Offiziell hieß sie ja „Brücke der Einheit“ – aber für mich war sie immer ein Symbol der Teilung. Ich freue mich heute noch immer jedes Mal, wenn ich über diese Brücke fahre. Das wird wohl immer so bleiben. Das vergisst man nicht. Der Aufbau der SDP ging unterdessen voran. Wir bekamen sogar Unterstützung vom Rat des Bezirkes. Er sorgte dafür, dass ich zum Beispiel ein Telefon erhielt. In den Westen konnte man damit aber nicht telefonieren. Um das zu ändern, bekam ich irgendwann einen Riesenkasten, ein C-Netz-Mobiltelefon. Das war damals der neueste Schrei und uns in der DDR natürlich ganz unbekannt. Das Koaxialkabel führten wir durch den Schornstein aufs Dach. Wenn der Wind falsch stand, funktionierte es aber immer noch nicht. Deshalb fuhr ich jeden Tag mit perspektive21

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dem Fahrrad über die Glienicker Brücke nach West-Berlin. Dort hatte die Bundespost ein paar Telefonzellen aufgestellt. Was für die SDP telefonisch zu organisieren und zu verabreden war, erledigte ich dann dort. Auch den Tagesspiegel holte ich mir täglich von einer Polizeidienststelle ab. Weil man noch bei jeder Ein- und Ausreise einen Stempel bekam, hatte ich bald eine Art Leporello in meinem Ausweis. Der Umgang mit der „Machtfrage“ sollte den weiteren Aufbau der SDP, die sich im Januar in SPD umbenannte, weiter begleiten. Die Frage stellte sich nach der für die SPD enttäuschend verlaufenen Volkskammerwahl im März 1990. Sollte man in eine Koalition eintreten? Auch regional war zu entscheiden, ob man sich in die Bezirksverwaltungen einklinkte oder nicht. Das war damals sehr umstritten. Ich war immer dafür, mitzumachen. Ich meinte, die machen da ja immer noch was. Und wenn es nicht das ist, was wir wollen, müssen wir Einfluss nehmen. Wir können nicht abseits stehen. Diese Linie setzte sich letztlich durch. Dass der Zug unaufhaltsam in Richtung schnelle Einheit rollte, habe ich erst spät wahrgenommen. Die SPD war bei dieser Frage zögerlich. Wir waren zwar nicht gegen die Einheit, aber wir stellten uns damals eher angepasste Schritte vor, eine Konföderation, die 60

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Anpassung von Eigentums- und Rechtsverhältnissen, einen geordneten Einigungsprozess ohne abrupten Bruch. Da haben wir uns gründlich verschätzt. Die Leute wollten klare Verhältnisse. Die Volkskammerwahl wurde praktisch zum Plebiszit über die schnelle Einheit. Noch eine Woche zuvor lag die SPD nach einer Infratest-Umfrage bei 44 Prozent, am Wahltag erreichte die Partei gerade mal die Hälfte davon. Das war deutlich. Die Leute wollten nicht mehr warten. Je stärker die Regionen in der DDR industriell geprägt waren, umso schlechter war das Ergebnis für die SPD. Zu dieser Zeit war ich schon voll in den Aufbau und die Arbeit für die SPD einbezogen. Ich hatte mich entschieden. Im Herbst 1989 hatte ich mir noch vorgenommen, meine Werkstatt für vier Monate zuzumachen und dann wieder mit der Arbeit dort anzufangen. Daraus wurde nichts. Die Wende in der DDR sollte auch mein persönliches Leben in einem Ausmaß auf den Kopf stellen, das ich mir damals nicht habe vorstellen können. Aber es ist gut, dass es so gekommen ist. ¢ RAINER SPEER war Mitbegründer der SDP in Potsdam und ist heute Finanzminister des Landes Brandenburg.


wendegeschichten – mein 1989

MARTINA MÜNCH

Wahnsinn! ch bin im Südwesten der Republik aufgewachsen, in Mannheim. Wir hatten keine Verwandte in der DDR, und ich erinnere mich nur in meiner frühen Kindheit daran, dass wir zu Weihnachten Zutaten für Dresdner Stollen mit Kaffee und Nylonstrümpfen nach Dresden schickten und einige Zeit später von einer mir völlig unbekannten Frau Dresdner Stollen und auch eine Puppe oder einen Teddybären geschickt bekamen. Später gab es die Klassenfahrten nach West-Berlin, die staatlich unterstützt wurden, und die legendär unter Schülern waren, weil man viel Aufregendes erleben und die Nächte in dieser ungewöhnlichen Stadt durchmachen konnte. Meine ersten bewussten Bilder von der DDR sind wohl bei diesen Zugfahrten von und nach West-Berlin entstanden. Ich erinnere mich an endlos graue, irgendwie leblose Städte und an jenen eigentümlichen Geruch in den Zügen und auf Bahnhöfen, der allgegenwärtig war und den man heute kaum noch original wahrnehmen kann. Das letzte Mal habe ich ihn in der Stasi-GefängnisGedenkstätte in Hohenschönhausen gerochen.

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Politisch haben wir linken Jusos die DDR durchaus mit Wohlwollen be-

trachtet: Wenigstens den Versuch des Sozialismus auf deutschem Boden gab es, wenn auch unvollkommen. Die Konservativen, die immer auf Wiedervereinigung pochten, taten wir leichtfertig als Revanchisten ab, die zentrale Stelle zur Dokumentation des DDRUnrechts in Salzgitter hielten wir für überflüssig. Als ich später politische Häftlinge und ihr Schicksal kennengelernt habe, habe ich mich für diese leichtfertige und ignorante Haltung geschämt. Mein späterer Mann kam aus WestBerlin, und da lebten wir ab 1985 mit Unterbrechungen – auf Tuchfühlung mit Berlin, Hauptstadt der DDR. Dennoch betraf der Osten uns nicht wirklich. Wohl sahen und rochen wir an kalten Tagen die Smogglocke, die sich infolge der Braunkohlefeuerung über die ganze Stadt verbreitete, aber mit der Teilung und der Mauer hatten wir uns abgefunden, die Wiedervereinigung hatte mit unseren Lebensperspektiven wenig zu tun. Matthias Platzeck schreibt, dass es ihm um sein Land, die DDR ging, dass ihm die BRD fremd war, ein unbekanntes Land. Gerade so erging es uns, die wir nach dem Mauerbau geboren waren, mit der DDR. Wohl nahmen wir schon vor dem Sommer 1989 die Unruhe im Ostblock wahr, Gorbatschow war für uns fast so etwas wie perspektive21

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ein Popstar, Lech Walesa ein Held. Die Vorgänge in Ungarn faszinierten uns sehr, täglich verfolgten wir die Meldungen im Fernsehen, sahen die wachsenden Menschenmassen in der deutschen Botschaft, Genschers Vermittlungsbemühungen und schließlich den Jubel über die Ausreise. Aber OstBerlin? Die DDR? Prägend für die Altmännerriege um Honecker waren für uns die endlosen Aufmärsche mit organisiertem Jubel und das Bild vom Bruderkuss Honeckers mit Breschnew. Wir konnten uns mit diesen Führungspersönlichkeiten keine Revolution vorstellen. Wer zu spät kommt,... Spannend und faszinierend waren dagegen die Berichte von den Montagsdemonstrationen in Leipzig, den Umweltgruppen, dem zunehmenden Protest. Wir ahnten, dass da einiges geschehen würde, aber mit dem baldigen Fall der Mauer hatte niemand gerechnet. Am 9. November 1989 hatte ich Nachtdienst im Krankenhaus. Wir staunten ungläubig über die Meldungen, sahen die Bilder im Fernsehen und konnten nicht glauben, was wir da sahen. Einige Menschen aus Ost-Berlin landeten bei uns in der Notaufnahme, weil sie völlig überwältigt waren von den Erlebnissen. Wir waren alle begeistert und hatten das Gefühl, mitten in der Geschichte zu stehen und für eine kurze Zeit das Drehen des Rades der 62

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Zeit mitzuerleben. Das Wort, das damals in allen Gesichtern zu lesen war, war „Wahnsinn!“ Und ungläubiges Staunen und Freude und Tränen des Glücks. Es war, als hätten wir einen verloren geglaubten Teil unseres Selbst zurückbekommen, den wir schon fast vergessen hatten. Am Tag danach waren wir auf dem Ku’damm. Die unzähligen Trabis und Wartburgs auf der westberliner Flaniermeile, die vielen Menschen, die so anders gekleidet waren, schienen Szenen aus einem surrealen Film zu sein. Wenige Tage nach der Maueröffnung fuhr ich mit meinem Mann zur Glienicker Brücke. Wir hatten sie oft von der Westseite aus gesehen, manchmal düster im Novembernebel, manchmal im Sonnenlicht, aber immer unerreichbar, Symbol des Aufeinandertreffens zweier unvereinbarer Systeme. An diesem Novembernachmittag wollten wir einen ersten Ausflug in das wieder gewonnene „Bruderland“ über die Glienicker Brücke nach Potsdam machen. Gemeinsam mit uns hatten Hunderte das Gleiche vor. Wir passierten im Menschenstrom die Grenzanlagen, zeigten unsere Pässe, erhielten irgend einen sinnlosen Passierschein, der nur verteilt wurde, damit die „VoPos“ noch eine Existenzberechtigung hatten – und dann waren wir „drüben“. Dieser erste Ausflug sollte der Anfang sein einer langen Reihe von Besuchen, Erleb-


wendegeschichten – mein 1989

nissen, Begegnungen, neuen Freundschaften, die schließlich auch unser Leben einschneidend veränderten. Ein paar Wochen später verbrachten wir das erste Silvesterfest gemeinsam mit alten und neuen Freunden in Ost-Berlin im Prenzlauer Berg. Als die Raketen krachten und wir auf die Zukunft anstießen, fühlten wir, mittendrin zu sein in einem wirklich historischen Moment, und wir wussten auch, dass diese Momente unwiederbringlich sein würden. Wir waren noch immer sprachlos vor Staunen und Freude und spürten unendliche Kraft in uns, diese neue Zeit, gemeinsam zu gestalten. Und genau deshalb ist es gut, sich an jene aufregende Zeit zu erinnern: Die Freude, die Dankbarkeit und den Willen und die Kraft, etwas Gutes werden zu lassen aus diesem Geschenk der Wiedervereinigung. ¢ DR . MARTINA MÜNCH ist Ärztin, stellvertretende Landesvorsitzende der SPD sowie Landtagsabgeordnete aus Cottbus.

JÖRG SCHÖNBOHM

Ein Lebenstraum erfüllt sich n die denkwürdigen Stunden am Abend des 9. Novembers 1989 erinnere ich mich noch sehr gut: Gemeinsam mit meiner Frau verfolgte ich die Ereignisse vor dem Fernseher in unserem Haus in Bonn. Als sich die Nachricht verbreitete, dass die DDRFührung ab sofort eine „ständige Ausreise“ erlaubt, konnten wir zuerst gar nicht glauben, was wir hörten – und dann auch sahen. Unser jüngster Sohn setzte sich sofort in sein Auto und fuhr nach Berlin, um dort an den spontanen Feiern teilzunehmen.

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Es breitete sich ein Freudentaumel aus – erst in Berlin, dann im ganzen Land. Die Menschen tanzten ausgelassen auf der Mauer. Fremde fielen sich in die Arme, weil sie wussten, dass sie endlich wieder Landsleute waren. Atemlos und staunend sahen wir am Fernseher zu, wie die Bürger der DDR eine der am stärksten befestigten Grenzanlagen der Welt friedlich zu Fall brachten. Die Menschen in der DDR hatten die Fesseln der SED-Zwangsherrschaft gesprengt. Sie gaben dem Honecker/Krenz-Regime den Todesstoß, das längst wirtschaftlich bankrott war – und dieses auch wusste. perspektive21

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Für mich selber ging damals ein Lebenstraum in Erfüllung. Auf diesen Tag hatte ich gewartet, seit ich als Siebenjähriger mit meiner Mutter und meinen Geschwistern aus der brandenburgischen Heimat flüchten musste. An diesem Abend wurde mir klar: Meine Frau und ich würden wieder in unsere Heimat zurück können. Ich ahnte damals nicht, dass ich schon bald vor die wohl größte Herausforderung meines Lebens gestellt wurde: die Integration der damaligen Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr. Dass unser Vaterland knapp ein Jahr später – am 3. Oktober 1990 – wieder vereint sein würde, war an jenem 9. November vor 20 Jahren allerdings nur eine vage Hoffnung. Sicher war das nicht. Auch in der westdeutschen Bundesrepublik gab es Kräfte in der Opposition, die dagegen arbeiteten. Das Bekenntnis zur deutschen Einheit und der Satz Willy Brandts, dass jetzt „zusammenwächst, was zusammengehört“, waren durchaus nicht Allgemeingut. Das zeigte sich im Jahr 1990 bei der Abstimmung über den Einigungsvertrag, den die beiden damaligen Ministerpräsidenten Lafontaine und Schröder ablehnten. Auch bei unseren Partnern Frankreich und Großbritannien sorgte der Gedanke an ein vereintes Deutschland anfangs für Unbehagen. 64

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Dass schließlich der Ruf der Demonstranten „Deutschland einig Vaterland“ mit Zustimmung aller unserer Nachbarn Wirklichkeit wurde, ist vor allem drei Männern zu verdanken: Es war die beherzte Initiative von Bundeskanzler Helmut Kohl, der im Gegensatz zu anderen die Vision der deutschen Wiedervereinigung nie aufgegeben hatte, die starke Unterstützung von USPräsident George Bush sen. für eine deutsche Einheit in Freiheit – und die Einsicht des sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow, dass man ein Volk nicht dauerhaft gegen seinen Willen teilen kann. Zum 1. April 1996 zogen wir von Bonn nach Kleinmachnow um. Am Ende unseres Gartens, wo heute der Gartenzaun verläuft, stand die Mauer. Heute gibt es dort nur noch den Buschgrabenrundweg und eine Benjeshecke, die an die Mauer erinnern. Wenn ich unseren Besuchern Fotos aus der „Mauerzeit“ zeige, können sie sich nicht vorstellen, dass unsere Vorbewohner hier im Schatten der Mauer wohnten und die Kinder hier auch spielten – so schnell vergeht die Zeit. Darum ist es gut, wenn man die Erinnerung an diese Zeit wach hält. Ich wünschte mir manchmal, die Deutschen würden sich heute – 20 Jahre nach dem Fall der Mauer – häufiger daran erinnern, was für ein großes


wendegeschichten – mein 1989

und einmaliges Glück der 9. November 1989 für unsere Nation bedeutet. Auch wenn noch viel zu tun bleibt; auf das, was wir bisher erreicht haben, kann unser wiedervereintes Volk stolz sein. Leider aber erlebe ich immer wieder Leute, die diese Erfolge mies machen und vor allem den Nachgeborenen weismachen wollen, der SED-Staat habe doch auch viele gute Seiten gehabt. Sie verschleiern, dass die DDR ein Unrechtssystem von Anfang an war, das sein Trachten und Tun darauf ausgerichtet war, die Menschen in Unterdrückung und Unfreiheit zu halten – natürlich weiß ich, dass sich viele Menschen im ganz persönlichen Bereich an ein glückliches Leben erinnern. Ich bin heute unendlich dankbar dafür, dass ich meinen Beitrag zur Vereinigung unseres Vaterlandes leisten durfte – mit der Eingliederung der damaligen Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr, später als Innensenator des vereinten Berlins und danach als Innenminister meiner Heimat Brandenburg. ¢ war von 1999 bis 2009 Innenminister des Landes Brandenburg.

HEINZ VIETZE

Herbststurm ie Zeit der Herbststürme beginnt. Sie erinnern mich in jedem Jahr an die stürmischen Wochen im Herbst 1989. 20 Jahre ist es jetzt her – als aus dem anfänglich leichten Ostwind ein Orkan wurde, der zuerst das Politbüro, dann die alte SED und letztendlich das sozialistische Experiment auf deutschem Boden hinweg fegte. Als in Leipzig und Berlin bereits im Oktober hunderttausend Menschen demonstrierten, blieb es in Potsdam zunächst ruhig. Am 19. Oktober meldete ein West-Berliner Radiosender, dass die SED-Kreisleitung in Potsdam Mitglieder des damals noch verbotenen „Neuen Forums“ zum Gespräch empfangen und eine Mitarbeit in der „Nationalen Front“ angeboten hatte. Wenig später gab es die ersten „Potsdamer Gespräche“. Die Säle waren ständig überfüllt. Das Interesse an Politik und Diskussion war riesengroß, Tabus gab es nicht. Es ging um Demonstrationsrecht, Wahlbetrug, die führende Rolle der Partei, das Wirken der Staatssicherheit, Privilegien, Rechtsstaatlichkeit, Bildung und Erziehung.

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JÖRG SCHÖNBOHM

Am 4. November kam es zur ersten großen Demonstration in Potsdam. Am 9. November, dem Tag des Mauerfalls, gedachten wir der jüdiperspektive21

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schen Opfer der Pogromnacht mit einem Schweigemarsch. Anschließend stritt ich mit dem Bürgerrechtler Konrad Weiß über Möglichkeiten der Erneuerung. Mitten im Disput platzte die Nachricht von der Grenzöffnung. Die Menschen stürmten zur Glienicker Brücke. Der Wind hat Sturmstärke erreicht. Jeden Tag gab es neue Aufrufe, Demonstrationen, Streitgespräche, Sitzungen zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens und zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit. Der Ansturm zu einer Parteiaktivtagung am 11. November war so groß, dass dieser kurzerhand ins Freie verlegt wurde. Vier Tage später – als bereits viele die Partei verließen, wurde ich neuer SED-Bezirkschef. Ich wollte eine Erneuerung der SED. Ich wollte einen demokratischen Sozialismus. Keine Partei sollte Wahrheit, Recht und Fortschritt gepachtet haben. Verspieltes Vertrauen wollte ich zurückgewinnen. Doch der Sturm fegte nicht nur über uns hinweg, wir wollten nicht länger zusehen, wie die Parteiführung unter Krenz durch Fehlentscheidungen, Halbherzigkeiten und offensichtliche Lügen über das wahre Ausmaß von Amts- und Machtmissbrauch einen Neubeginn verhinderte. Und so ging am 30. November, um 23:30 Uhr, aus Potsdam ein Fernschreiben mit der Rücktrittsforderung an Krenz und das 66

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Politbüro auf den Weg. Am 3. Dezember trat das Politbüro und das ZK zurück. Ein Arbeitsausschuss konstituierte sich, der den Sonderparteitag vorbereitete. Ich war Leiter der Arbeitsgruppe zur Erarbeitung des Referats zu den Ursachen der Krise in der Deutschen Demokratischen Republik. Mein Freund Prof. Dr. Michael Schumann hielt auf diesem Parteitag dieses Referat, mit dem wir unwiderruflich mit dem Stalinismus gebrochen und uns bei den Bürgerinnen und Bürgern der DDR für geschehenes Unrecht entschuldigt haben. Zwanzig Jahre sind eine lange, historisch gesehen, aber eine kurze Zeit. Seit dieser Zeit verbindet sich der Herbst mit Hoffnung und Aufbruch. Auch wenn sich in diesem Herbst infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise zunehmend Angst und Resignation breitmachen, Politik kaum jemanden hinterm Ofen hervorholt. Zuviel – nicht nur die blühenden Landschaften – war versprochen und nicht gehalten worden. Der Wind hat sich gedreht – einstige Bürgerrechtler haben in etablierten Parteien eine neue Heimstatt gefunden. Arroganz und mangelnder Realitätssinn sind erneut ein Hauptproblem der Regierenden. Niemand soll die gewonnenen Freiheiten und Chancen gering schätzen, aber zu viele Fehler wurden im Prozess der deutschen Einheit gemacht. Zehntausende


wendegeschichten – mein 1989

haben Brandenburg verlassen, über 160.000 Menschen haben keine Arbeit, Hartz IV schafft neue Armut, Protest formiert sich. Menschen fordern auf der Straße die Angleichung der Lebensverhältnisse, Arbeit und einen Mindestlohn ein, von dem man leben kann. Regierende geraten unter Druck, gewinnen Wahlen nur noch knapp. Ich bin voller Hoffnung, dass es uns gemeinsam gelingt, nicht nur ein friedliches, sondern auch ein sozial gerechtes Deutschland zu schaffen. ¢ HEINZ VIETZE war 1989 Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Potsdam und von 1990-2009 Landtagsabgeordneter der PDS bzw. Linkspartei.

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„Hier jammert niemand“ ÜBER OST, WEST, NORD UND SÜD, WENDEERFAHRUNGEN UND DAS LEBEN IN BRANDENBURG SPRACH THOMAS KRALINSKI MIT JULI ZEH

PERSPEKTIVE 21: Sie sind tief im Westen

der alten Bundesrepublik aufgewachsen. Ziemlich weit weg vom Osten, oder? JULI ZEH: Oh ja, absolut. Bonn war wahrscheinlich einer der Kondensationspunkte Westdeutschlands, immerhin mal die Hauptstadt. Waren Sie denn vor der Wende mal in der DDR? ZEH: Nein. Ich war zur Wende erst 15, meine Familie hatte keine Verwandtschaft in der DDR. Und die DDR stand nicht auf meinem Reiseplan. Auch als Schüler hat uns das Phänomen DDR weder politisch noch historisch interessiert. Uns war klar: Da hing der Eiserne Vorhang. Aber die DDR gab es für uns nicht richtig. Wie haben Sie dann den Mauerfall und die Friedliche Revolution erlebt? ZEH: Erstaunlich unspektakulär. Bei uns und in meinem Freundeskreis wurde das zur Kenntnis genommen. Es war wichtig, aber ohne jede Emotion. Wir dachten alle: Naja, das mit der Wiedervereinigung müssen wir ja in der Euphorie nicht gleich übers Knie bre-

chen. Irgendwie hat uns das alles nicht wirklich interessiert. Der Mauerfall gehört also nicht zu den Ereignissen, wo man heute noch weiß, was man damals gemacht hat? ZEH: Überhaupt nicht. Viel wichtiger für uns war der Golf-Krieg. Der hat zur politischen Identitätsbildung beigetragen. Da sind wir zu Demos gegangen, haben diskutiert und protestiert. Im Rückblick glaube ich, dass man uns im Westen beigebracht hat, sich möglichst wenig für deutsche Geschichte zu interessieren – weil sie so negativ belastet war. Man hat uns beigebracht, dass Deutschland nicht zu groß und nicht zu stark werden dürfe, sondern besser schön ruhig und bescheiden. Wo tauchte schon mal eine deutsche Fahne auf? Da war es nicht einfach zum Wiedervereinigungspatrioten zu werden. Mitte der neunziger Jahre sind Sie dann nach Leipzig gegangen. Liebe auf den ersten Blick? ZEH: Nein, das wäre gelogen. Ich bin dorthin wegen des Literaturinstituts, um dort studieren zu können. Die Liebe setzte dann ein, als ich dort war. perspektive21

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Und die war dann auch infektiös. Ich habe viele Freunde und Bekannte mitgezogen. In meinem Umfeld setzte eine richtige Bewegung von West nach Ost ein. Und was hat Ihnen so gefallen? ZEH: Auch wenn es nach Klischee klingt: Diese Aufbruchstimmung war für uns übersättigte Westler faszinierend. Es herrschte eine fast anarchische „anything goes“-Stimmung. Die Stadt war halbleer, überall gab es leere Häuser, leeren Raum, in die dann Kunst und Party einzogen. Das war nicht organisiert von Institutionen, sondern wurde von den Leuten selber auf die Beine gestellt. So etwas kannten wir aus dem Westen nicht. Ich bin in Leipzig auf Leute gestoßen, die ein völlig anderes Verständnis vom Politisch-sein hatten. Inwiefern? ZEH: Uns wurde vorgeworfen, dass wir verantwortungslos seien, dass wir unpolitische Kunst machten. Uns „WestSchriftstellern“ fehlte einfach die Widerstandserfahrung oder die romantische Identifizierung von Widerstand und Kunst. Nun machten sich in den neunziger Jahren auch diese ganzen PopStrömungen breit – und die prallten in Leipziger auf dieses völlig andere Literaturverständnis. Das war eine interessante Erfahrung: Ich habe mich bis dato immer für einen politisch denken70

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den Menschen gehalten – und wurde hier nun der totalen politischen Abstinenz bezichtigt. Ist das heute immer noch so? ZEH: Nein, das hat sich abgeschliffen. Wie überhaupt der Ost-West-Konflikt eher ein virtuelles Phänomen ist, der sich im Alltag überhaupt nicht widerspiegelt. Die Wessis würden jammern Gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Ossis und Wessis? ZEH: Nein, ich habe den schon in den neunziger Jahren kaum gespürt. Sehr viel offensichtlicher finde ich in Deutschland den Unterschied zwischen „Nordis“ und „Südis“. Die Norddeutschen – einschließlich der Nordostdeutschen – sind eher zurückhaltend, etwas distanziert, haben einen sehr kühlen Humor, den man oft gar nicht als Humor erkennt. Und im Süden sind sie lauter, extrovertierter. Diese Unterschiede finde ich viel virulenter. Also keine „Jammer-Ossis“? ZEH: Eher umgekehrt. In Ostdeutschland habe ich festgestellt, dass hier niemand jammert. Ich fand die Stimmung schon in den ersten Jahren eher gut. Medial wird zwar bis heute das Bild vom unzufriedenen, larmoyanten Ossi geprägt. Aber das ist ein Klischee.


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Wenn Westdeutsche unter den Bedingungen leben müssten, unter denen die Leute im Osten zum Teil leben und lebten, die würden aber jammern! Vor fünf Jahren sind Sie mit Ihrem Freund in ein kleines Dorf im westlichen Havelland gezogen. Wie sind Sie dort aufgenommen worden? ZEH: Mit weit geöffneten Armen. Ein paar Sorgen hatten wir uns schon gemacht. Denn im Grunde entsprachen wir hier allen Klischees, die es über Wessis gibt: Die kommen da hin, kaufen irgendwas auf, nisten sich ein und sanieren sich ein hübsches Haus. Aber innerhalb weniger Wochen lösten sich alle Ängste in absolutes Wohlgefallen auf, sämtliche Bedenken waren wie weggewischt. Wir zogen ja aus Leipzig nach Brandenburg, hatten also noch das „L“ im Auto-Kennzeichen. Und wir hofften, dass das vielleicht hilft – und die Leute nicht gleich merken, dass wir Wessis sind. Doch innerhalb weniger Wochen war klar, dass wir Rheinländer sind. Eine Nachbarin offenbarte mir später ihren ersten Gedanken, als sie unser Auto sah: „Schickt mir die Russen, aber bloß keine Sachsen.“ Die war richtig froh, als sie mitkriegte, dass wir aus Bonn kamen. Gibt es noch mehr Zugereiste dort? ZEH: Vier oder fünf Haushalte vielleicht. Das ist ja ein sehr kleines Dorf,

vielleicht 300 Einwohner, sehr rudimentär. Und gibt es eine Gemeinschaft zwischen denen? ZEH: Das ist ein richtig interessantes Phänomen, das mir erst mit der Zeit klar geworden ist. Es gibt hier Gemeinschaften – die sind aber rein minimal geografischer Natur. Die eine Straße feiert zusammen, das ist der Clan, der sich gegenseitig besucht, wo man sich hilft. Die Leute in der nächsten Straße, 100 Meter weiter, grüßt man zwar, kennt man aber schon kaum. Unkompliziert auf dem Land Und wie ist das Leben auf dem Land? ZEH: Sehr unkompliziert. Wenn ich irgendetwas von einem Amt brauche, rufe ich an und muss mich nicht ausweisen. Die Leute wissen, wer ich bin und wo ich wohne. Niemand ist daran interessiert, einem Schwierigkeiten zu machen. Ich mag normalerweise keine Behördengänge, habe mich immer davor gedrückt. Aber hier ist das ganz anders. In der Verwaltung herrscht eine andere Atmosphäre. Man hält zusammen und regelt die Sachen einfach irgendwie. Wie ist denn Ihr Beruf als Schriftstellerin angekommen? ZEH: Es hat recht lange gedauert, bis die Leute verstanden haben, was ich perspektive21

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mache. Bücher schreiben wird nicht als Beruf betrachtet, mit dem man Geld verdienen kann. Um Irritationen zu vermeiden, habe ich am Anfang immer gesagt, dass ich auch für Zeitungen schreibe. Journalist ließ sich einfacher vermitteln. Es ist ja so: Hier wird ganz wenig Fernsehen geschaut und Zeitung gelesen. Viele öffentliche und kulturelle Ereignisse kriegen die Leute gar nicht mit. Die sogenannte Kulturprominenz kennt hier keiner. Das ist für mich ganz schön, weil es einfach keine Rolle spielt. Das Gefühl zu schenken Und jetzt guckt auch keiner mehr schräg? ZEH: Hier guckt sowieso nie irgendeiner schräg. Ich habe selten so vorurteilsfreie Menschen erlebt. Es geht nicht darum, wie man lebt, welchen Beruf man hat oder wie man sein Privatleben gestaltet. Man braucht hier Humor, man denunziert andere nicht, man gängelt andere nicht und unterstützt sich gegenseitig. Das passt sehr gut zu meinen Vorstellungen an eine Gemeinschaft. Wie sieht denn die Gemeinschaft aus? ZEH: Hier gibt es gefühlt keine Obrigkeit. Es gibt zwar den Bürgermeister, aber der ist auch einer von uns. Es gibt kein Autoritätsgefühl. Man guckt nicht nach oben, wenn man ein Problem hat. Sondern man 72

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versucht das, untereinander zu regeln. Obrigkeit braucht man eigentlich nur, wenn wirklich was schief läuft. Und so lange das nicht der Fall ist, ist es doch wunderbar, wenn die Leute mit sich selbst klar kommen. Das ganze Gerede von den aggressiven Halbstarken, die an Bushaltestellen rumhängen, oder den Nazis überall – das ist totaler Quatsch. Das habe ich bisher noch nicht erlebt. Das heißt, es gibt auch keine Hoffnung bezogen auf Politik oder Staat. ZEH: Politik ist überhaupt kein Gesprächsthema. Höchstens, wenn es mal um Agrarthemen geht und irgendwelche EU-Subventionen gestrichen werden. Man hat keine Erwartung an die Politik. Das ist anders, als ich es aus dem Westen kenne. Hier sitzt man nicht zu Hause und jammert, weil irgendeine Pendlerpauschale nicht mehr stimmt oder der Staat irgendetwas für einen nicht getan hat. Hier fühlt man sich nicht permanent ungerecht behandelt aufgrund irgendwelcher politischen Entscheidungen. Man sieht zu, wie man selber durchkommt, hilft sich gegenseitig. Es gibt ein sehr komplexes System von Austauschbeziehungen. Und das wird nicht auf dem Papier aufgerechnet, sondern hält sich einfach in der Balance. Die Leute sind eher politische Atheisten. Man beschäftigt sich nicht mit Fragen, die kaum eine Relevanz fürs eigene Leben haben.


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Aber ein paar Sachen sind schon relevant. ZEH: Ja, aber man kann sich auch nicht hinstellen und den Leuten vorrechnen, was sie im Monat verdienen und dass es ihnen eigentlich so schlecht wie in Rumänien geht. Ich glaube, hier würde sich kein Mensch als arm bezeichnen. Und zwar, obwohl es manche wirklich sind. Ich habe hier gelernt, dass Durchwursteln und Zufriedensein etwas miteinander zu tun haben. Und zwar, weil Durchwursteln Zusammenhalt bedeutet, denn durchwursteln kann man sich nicht allein. Das geht nur in der Gruppe. Wenn jemand einen Überschuss hat – und sei es Zeit – kann er etwas davon abgeben und kriegt auch wieder etwas dafür. Das sorgt für das Gefühl, permanent beschenkt zu werden – ein sehr schönes Gefühl. Und es führt dazu, selber permanent zu schenken. Und das ist ja bekanntlich ein noch viel schöneres Gefühl. Insgesamt gibt es kaum Zukunftsangst oder Verzweiflung. Man

hat das Gefühl, wir schaffen das hier schon irgendwie. Sie fühlen sich also wohl auf dem Brandenburger Land? ZEH: Total. Und ich finde, wir könnten in Deutschland endlich mal aufhören so zu tun, als wäre Ostdeutschland ein gescheitertes Projekt. Ist denn Brandenburg Ihre Heimat? ZEH: Jeden Monat ein bisschen mehr. Man denkt ohnehin ein bisschen anders, wenn man ein Haus nicht nur bewohnt, sondern auch kauft. Man denkt in anderen Zeiträumen und fängt an, seine Wurzeln tief in den Boden einzuschlagen. Planen Sie denn schon ein Werk über Ihre neue Heimat? ZEH: Nein. Das wird sich vielleicht ergeben, aber im Moment habe ich das nicht im Kopf. ¢

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ist mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin und lebt heute im westlichen Havelland. perspektive21

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1989 – 2009 – 2029 10 THESEN ÜBER DAS NEUE OSTDEUTSCHLAND VON MATTHIAS PLATZECK

ur Zeit der Revolution von 1989 unterschied sich Ostdeutschland auf grundlegende Weise von der westdeutschen Bundesrepublik – die DDR ist nun einmal vierzig Jahre lang ein eigener, grundlegend anderer Staat gewesen. Seither hat sich in Ostdeutschland unendlich viel verändert – aber vom Westen der Republik unterscheidet sich der Osten noch immer. Das Land, das einmal die DDR war, hat sich nicht so entwickelt, wie es in den Monaten der Revolution und Vereinigung vor zwei Jahrzehnten erwartet wurde. Die Bürgerbewegungen vom Herbst 1989, zu denen ich mich damals zählte, hofften auf eine runderneuerte, wahrhaft demokratische und freiheitliche DDR, die sich aber zugleich von der westdeutschen Bundesrepublik unterscheiden sollte. Dazu kam es nicht. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik im Herbst 1990 wurde dann umgekehrt das offizielle Ziel ausgerufen, die ostdeutschen Lebensverhältnisse so schnell wie möglich an diejenigen der alten Bundesrepublik anzugleichen. Auch das ist so nicht eingetreten. Stattdessen hat sich in Ostdeutschland während der ver-

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gangenen zwei Jahrzehnte eine gesellschaftliche Ordnung herausgebildet, die sich deutlich von jener der westdeutschen Bundesländer unterscheidet: politisch und wirtschaftlich, sozial und mental. An dieser „Eigen-Artigkeit“ Ostdeutschlands wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern. Manches spricht dafür, dass die Unübersichtlichkeit der ost-westdeutschen Verhältnisse sogar noch weiter zunehmen wird. Das eine einheitliche Ostdeutschland gab es schon früher nicht – heute existiert es weniger denn je. DDR war nicht reformierbar Es hat nichts mit Jammern und „Ostalgie“ zu tun, wenn man heute feststellt, dass etwas von dem zivilgesellschaftlichen Geist, der die ostdeutsche Gesellschaft in den Monaten ihres Aufbruchs erfasste, unserem Land heute nicht schlecht zu Gesicht stehen würde. Wirkliche Veränderung beginnt immer damit, dass sich ganz normale Menschen zusammentun, über gemeinsame Ziele verständigen und anfangen, sie in die Praxis umzusetzen. Dass in der DDR eine Revolution perspektive21

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dabei herauskam, lag allein daran, dass das erstarrte System der SED nicht reformierbar war. Aus Untertanen wurden Bürger. Heute wird niemand daran gehindert, als selbstbewusster Bürger gemeinsam mit Gleichgesinnten die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen – wir sollten es einfach tun. Gerade weil wir heute in Deutschland vor erheblichen Problemen stehen, werden wir ohne die Bereitschaft zum aktiven Miteinander für unser Gemeinwesen schlicht nicht über die Runden kommen. Dabei können wir an die Tradition des Herbstes vor zwanzig Jahren anknüpfen. Manche Aspekte der DDR finden nach und nach auch im Westen unseres Landes Zustimmung. Das gilt zum Beispiel für die Themen Polikliniken, Kinderbetreuung und Ganztagsschule. Insofern hat der Satz „Es war nicht alles schlecht“ seine Berechtigung. Bei diesen Fragen hat sich in Westdeutschland in den vergangenen Jahren ein bemerkenswerter Paradigmenwechsel vollzogen. Was in der DDR – aus anderen politischen Motiven – als völlig selbstverständlich galt, führen nun auch westdeutsche Bundesländer ein. Angesichts veränderter Herausforderungen herrscht im Westen auch auf anderen Gebieten eine größere Aufgeschlossenheit bei der Suche nach neuen Lösungen. Das ist ein Fortschritt. Nach dem Ende des

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Kalten Krieges waren die „Sieger“ zunächst meist nicht sehr empfänglich für vorlaute Vorschläge aus dem Mund der „Verlierer“. Heute wird eine Idee nicht mehr schon deshalb abgelehnt, weil sie aus dem Osten stammt. Auch das ist ein Fortschritt. Und häufig genug sind es tatsächlich Ostdeutsche, die vor dem Hintergrund ihrer besonderen Umbrucherfahrung der vergangenen zwei Jahrzehnte den Mut zum Experiment und zu ungewohnten Lösungen aufbringen. „Lasst es uns einfach ausprobieren“ – so lautet das inoffizielle Leitmotiv derjenigen, die in Ostdeutschland in den letzten zwanzig Jahren den Aufbau angepackt haben. Ein solches Herangehen wird in den kommenden schwierigen Jahren lebenswichtig sein – und zwar in ganz Deutschland. Es kann auch anders kommen Ostdeutsche Veränderungsbereitschaft und gewachsene westdeutsche Neugier: Vielleicht kann in Deutschland mit der Zeit gerade aus der Mischung dieser beiden Haltungen ein neues, besseres Miteinander entstehen, das durch weniger Angst vor Wandel und Experimenten geprägt ist. Die Ostdeutschen jedenfalls haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten Beispiel um Beispiel dafür geliefert, dass es möglich ist, sogar tiefgreifende Umbrüche zu gestalten – und letztlich zu überleben. Zu


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häufig reduziert man diese ostdeutsche „Umbruchkompetenz“ auf bloße Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt: die Bereitschaft sehr vieler Menschen, weite Wege zurückzulegen, früher mit der Arbeit anzufangen, später Feierabend zu machen, nachts und am Wochenende zu arbeiten oder mehrere Jobs miteinander zu kombinieren. Auch dies hat – notgedrungen – die ostdeutsche Wirklichkeit der vergangenen zwei Jahrzehnte gekennzeichnet. Aber darum allein geht es nicht. Mit dem Wort „Umbruchkompetenz“ meine ich vielmehr die ganz grundlegende Fähigkeit zum Leben und Arbeiten unter Bedingungen der Ungewissheit und der Instabilität, die Fähigkeit zur Improvisation, zur Netzwerkbildung und, wenn nötig, zum abermaligen Neuanfang. Denn aufgrund ihrer Erfahrungen haben Ostdeutsche eines verinnerlicht: Es kann auch ganz anders kommen. Erst ein knappes Jahrzehnt nach dem Ende der DDR wuchs nach und nach die Einsicht, dass das deutsche Modell insgesamt einer Generalüberholung bedurfte. Das Wort „Reformstau“ war plötzlich in aller Munde, Bundespräsident Roman Herzog forderte, dass ein „Ruck“ durch Deutschland gehen müsse. Aus der Perspektive vieler Ostdeutscher wirkten diese Debatten merkwürdig – sie erlebten ihr ganzes Leben seit 1989 als einen einzi-

II.

gen ständigen Ruck. Heute endlich beginnen sich bei Gesundheitsreformen und Schulgesetzen Einsichten durchzusetzen, mit denen der Osten auch schon früher hätte aufwarten können. Manchmal ist es ernüchternd zu erleben, wie spät der eine oder andere Groschen fällt. Mit der Erneuerung unserer Gesellschaft könnten wir deutlich weiter sein, wäre von Beginn an eine gleichberechtigte Beziehung zwischen Ost und West möglich gewesen. Neues Selbstbewusstsein Dennoch dürfte sich langfristig erweisen, dass die Ostdeutschen in den vergangenen zwei Jahrzehnten als Stoßtrupp in eine neue Zeit fungiert haben – zum Nutzen unseres ganzen Landes. Schon heute ist Ostdeutschland insgesamt in mancher Hinsicht eine Pionierregion – nicht unbedingt deshalb, weil sich hier nur Vorbildliches ereignet hätte, sondern weil bestimmte Prozesse hier ganz einfach früher stattgefunden haben. Auf die schweren Umbrüche, mit denen die neuen Bundesländer nach 1989 konfrontiert wurden, hätten wir Ostdeutschen vielfach gern verzichtet. Aber diese Umbrüche waren teilweise unvermeidlich, und sie können jedenfalls nicht mehr rückgängig gemacht werden. Viele dieser Veränderungen betreffen zunehmend auch Westdeutschland. Manches, was die alte Bundesrepublik prägte, wird sich perspektive21

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im 21. Jahrhundert wandeln. Etliche Annahmen werden so nicht mehr stimmen, weil nach und nach die Voraussetzungen für das Bestehende zerbröseln, in ökonomischer wie in demographischer, in sozialer wie in kultureller Hinsicht. Im Laufe von zwei Jahrzehnten sind in Ostdeutschland Erfahrungsgemeinschaften entstanden, die den Charakter einer gesellschaftlichen Avantgarde aufweisen – eine „Avantgarde wider Willen“, die sich selbst keineswegs als solche begreift und ihre eigenen Fähigkeiten und Vorteile meist noch gar nicht wahrnimmt. Dennoch ist in den vergangenen Jahren vielerorts ein neues ostdeutsches Selbstbewusstsein herangewachsen, dessen Ursachen in exakt dieser Konstellation liegen. Wie sehr sich der Osten vom Westen unterscheidet und wie unterschiedlich zugleich Ostdeutschland in sich geworden ist, lässt sich anhand verschiedener Aspekte demonstrieren. Politik und Parteiensystem entwickeln sich im Osten anders – aber mit Bedeutung auch für den Westen. Die politische Stimmung in Ostdeutschland ist „stabil instabil“. Seit vielen Jahren liegen die drei großen Parteien CDU, SPD und PDS/Linkspartei innerhalb eines Korridors von 20 bis 30 Prozent beieinander. Die Lage für uns ostdeutsche Sozialdemokraten bleibt eine Herausforderung. Im Ge-

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gensatz zu den alten Ländern, wo die SPD innerhalb des politischen Spektrums gewöhnlich links der Mitte verortet wird, ist die Sozialdemokratie in Ostdeutschland zwischen CDU und Linkspartei die „Partei der Mitte“ schlechthin. Damit eröffnen sich für sie zwar größere Koalitionsmöglichkeiten, aber zugleich fällt Profilierung bisweilen etwas schwerer. Die Schere geht auseinander Auch in sozialer und ökonomischer Hinsicht wird es zunehmend schwierig, von einem einheitlichen Ostdeutschland zu sprechen. Städte, Regionen, gesellschaftliche Gruppen entwickeln sich unterschiedlich – und damit auch auseinander. Das zeigt sich beispielsweise in der Frage der Arbeitslosigkeit. Heute weisen Thüringen und Brandenburg als erste Bundesländer im Osten eine niedrigere Erwerbslosenquote auf als das westdeutsche Schlusslicht Bremen. Zugleich aber klafft die Schere innerhalb der einzelnen ostdeutschen Bundesländer immer weiter auseinander. Auf dem Höhepunkt des jüngsten Aufschwungs im Jahr 2008 herrschte in einigen wenigen Regionen wie etwa dem westlichen Umland von Berlin nahezu Vollbeschäftigung – die Arbeitslosenquoten lagen hier bei 4 bis 5 Prozent. Zugleich gibt es Regionen, in denen die Erwerbslosigkeit seit Jahren kontinuierlich bei 20 Prozent


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liegt, etwa im sachsen-anhaltischen Sangerhausen oder in der brandenburgischen Uckermark. Mit der Ausdifferenzierung der Arbeitslosigkeit korrespondiert die wirtschaftliche Entwicklung. Auch sie vollzieht sich in den Regionen immer unterschiedlicher. Im Brandenburger Kreis Teltow-Fläming südlich von Berlin hat sich die Wirtschaftsleistung zwischen 1995 und 2005 fast verdoppelt; im nur wenige Kilometer entfernten Kreis Oberspreewald-Lausitz ist sie im selben Zeitraum um ganze 6 Prozent gewachsen. Ähnlich gegenläufige Entwicklungen sind innerhalb aller ostdeutschen Länder zu verzeichnen. So klafft etwa das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner zwischen Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern (31.000 Euro) und dem sächsischen Zwickauer Land (13.000 Euro) erheblich auseinander. Der Abstand zum Westen bleibt Das Gleiche gilt für die Einkommen der Beschäftigten in den neuen Bundesländern. Geblieben ist dagegen der niedrige Organisationsgrad der Gewerkschaften und die geringe Tarifbindung. Auch deshalb gibt es in der Frage der Angleichung der ostdeutschen Löhne an das westdeutsche Niveau kaum Fortschritte. Zwar werden in einigen tarifgebundenen Bereichen – im öffentlichen Dienst und in der

Chemieindustrie – mittlerweile dieselben Gehälter gezahlt wie im Westen. In anderen Bereichen, vor allem in den kleinen und mittleren Betrieben, ist der Abstand zum Westen aber weiterhin beträchtlich. Für viele Unternehmen bedeutet dies einen wichtigen Wettbewerbsvorteil, auf den sie deshalb auch nur schwer verzichten können. Zugleich aber werden auf diese Weise die notwendige Vermögensbildung und private Altersvorsorge verhindert, die regionale Kaufkraft geschwächt und die Abwanderung von Fachkräften beschleunigt. Die obere Mitte wächst Parallel zu den ökonomischen Veränderungen differenziert sich die ostdeutsche Gesellschaft aus. Dies belegen beispielhaft langfristig angelegte Umfragen aus Brandenburg. Die Befragten wurden gebeten, ihren jeweiligen Ort in der gesellschaftlichen Hierarchie anzugeben. Die Ergebnisse zeigen, dass in den vergangenen fünfzehn Jahren die Oberschicht und die obere Mitte der Gesellschaft gewachsen sind (von 13 Prozent 1993 auf 25 Prozent 2009). Zugleich aber ist der Anteil der Menschen, die sich selbst in der unteren Mitte und Unterschicht verorten, stabil geblieben (24 Prozent 1993 und 22 Prozent 2009). Das bedeutet, dass die gesellschaftliche Mitte geschrumpft ist (von 64 Prozent 1993 auf 53 Prozent 2008). perspektive21

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Die Schockwellen der weltweiten Finanzkrise trafen in Deutschland zuerst im Osten ein. Bereits 2007 geriet die Sächsische Landesbank wegen ihres Engagements auf überhitzten ausländischen Immobilienmärkten in eine gefährliche Schieflage, die am Ende nur durch den Verkauf der Bank behoben werden konnte. Noch sind die Auswirkungen der massiven Wirtschafts- und Finanzkrise auf die neuen Bundesländer allerdings schwer abzuschätzen. Klar ist leider, dass der wirtschaftliche Aufholprozess der ostdeutschen Länder gegenüber den westdeutschen nahezu zum Stillstand gekommen ist. Nach wie vor sind die ökonomischen Rahmenbedingungen in Ost und West sehr verschieden, aber unterschiedlich entwickelt haben sich auch die verschiedenen Regionen innerhalb der ostdeutschen Länder. Von der schweren Automobilkrise betroffen sind vor allem Sachsen und Thüringen, wo in den vergangenen Jahren eine umfangreiche Automobilindustrie einschließlich vieler Zulieferer entstanden ist. Auch die Chipindustrie steckt in einer weltweiten Strukturkrise, die durch Überkapazitäten gekennzeichnet ist. Von dieser Krise ist vor allem die Region Dresden schwer getroffen. Der dortige Innovationsvorsprung wurde durch staatliche Zuschüsse in dreistelliger Millionenhöhe gestützt; offen ist, wie nachhaltig solch eine Subventionierung wirkt.

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Den ostdeutschen Unternehmen ist es in den vergangenen Jahren gelungen, auf ausländischen Märkten Fuß zu fassen. Gleichwohl liegt die Exportquote im verarbeitenden Gewerbe der neuen Länder noch deutlich niedriger als in Westdeutschland. Sie beträgt zwischen 25 Prozent in Brandenburg und 40 Prozent in Sachsen und Thüringen, während sie sich im Westen auf 45 Prozent beläuft. Angesichts des gegenwärtigen Einbruchs der Weltwirtschaft ist die geringe Einbindung Ostdeutschlands in den Welthandel derzeit sogar eher von Vorteil. Insgesamt ist die Struktur der Wirtschaft im Osten mittlerweile stabiler und ausgewogener als noch vor fünf oder zehn Jahren. Die vorwiegend kleinen und mittleren Unternehmen haben an Substanz zugelegt, die Bedeutung der Bauwirtschaft ist erheblich gesunken. Damit ist die ostdeutsche Wirtschaft im Vergleich zum letzten konjunkturellen Abschwung am Anfang des Jahrzehnts deutlich widerstandsfähiger geworden. Keine zentrale Lösung Zugleich aber ist Ostdeutschland intensiv mit der westdeutschen Wirtschaft verwoben und damit von deren Kraft abhängig. Einem scharfen Abschwung in den alten Bundesländern kann sich die ostdeutsche Ökonomie nicht entziehen. Der Nachfragerück-


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gang aus dem Ausland, der die westdeutsche Exportwirtschaft am härtesten trifft, wird sozusagen in den Osten „durchgeleitet“. Dagegen könnte es die Krise entschärfen, dass die derzeit besonders stark gebeutelten großen Privatbanken in Ostdeutschland nur unterdurchschnittlich aktiv sind. Eine wesentlich größere Rolle spielen hier erfreulicherweise die Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die sich auch in der Krise bislang als besonders robust erwiesen haben. Insgesamt ist das Bild der ostdeutschen Wirtschaft also zwiespältig. Solange wir die Dimension der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise noch nicht kennen, lässt sich kaum seriös voraussagen, wie gut oder schlecht die neuen Bundesländer davonkommen werden. Nur eines wissen wir: Im Jahr 2009 wird Ostdeutschland zum ersten Mal nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts erleben. Auch dass dieser Rückgang ein erhebliches Ausmaß von minus zwei Prozent oder mehr haben wird, ist bereits klar. Dies ist von besonderer psychologischer Bedeutung. In den vergangenen Jahren haben die Menschen in Ostdeutschland die wirtschaftliche Lage in ihrem Landesteil zwar mehrheitlich als „schwierig“ wahrgenommen, dennoch hat es immer eine – wenn auch geringe – Aufwärtsbewegung gegeben.

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In dieser schwierigen Situation muss Politik für Ostdeutschland also ganz unterschiedliche Rahmenbedingungen zugleich bewältigen. Irgendeinen grandiosen „Masterplan“ mit der einen zentralen Lösung für das eine Ostdeutschland, wie er in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder gefordert wurde, kann es unter diesen Umständen vernünftigerweise nicht geben. Wir müssen, sehr geduldig und sehr nüchtern, mehrere strategische Ansätze zugleich verfolgen und dabei vor allem auf zwei Dinge achten: auf die entscheidenden Engpässe und die wichtigsten Stärken Ostdeutschlands. Viel zu häufig hat sich die Politik in den vergangenen Jahren bei dem Versuch aufgerieben, bestehende Schwächen wettzumachen. Auch das ist wichtig. Erfolg versprechender ist es jedoch, die spezifischen Stärken Ostdeutschlands zu identifizieren und zu Vorbildern zu entwickeln, um auf diese Weise Positivkreisläufe in Gang zu setzen: Was funktioniert, macht Mut und schafft Selbstbewusstsein – und wo Mut und Selbstbewusstsein wachsen, da funktionieren manche Dinge bald besser. Ein bisschen ostdeutsches „Yes, we can“ brauchen wir also durchaus, naive Selbsthypnose dürfen wir jedoch auf keinen Fall betreiben. Fest im Auge behalten müssen wir in Ostdeutschland jederzeit die zentralen Engpässe, mit denen wir es zu tun haben, denn sie vor allem könnten letztlich verhinperspektive21

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dern, dass sich positive Leitbilder verwirklichen lassen. Der erste Engpass betrifft die Bevölkerungsentwicklung und, damit verbunden, die Frage der Fachkräfte. Allein zwischen 1990 und 2004 schrumpfte die Bevölkerung in Ostdeutschland um 7 Prozent. Hinter dieser Zahl verbergen sich allerdings starke regionale Unterschiede: SachsenAnhalt verlor in dieser Zeit 14 Prozent, Thüringen 10 Prozent, MecklenburgVorpommern und Sachsen büßten je 11 Prozent ihrer Einwohner ein. In Berlin und Brandenburg blieb die Einwohnerzahl in der Summe gleich, jedoch bei starken internen Verschiebungen im Falle Brandenburgs. Bis 2020 wird die Bevölkerung in allen ostdeutschen Ländern noch einmal zwischen 10 und 15 Prozent abnehmen. Sachsen-Anhalt wird dann ein volles Drittel seiner Einwohnerzahl von 1990 verloren haben. Eine Ursache dieser Entwicklung ist die enorme Abwanderung, die alle ostdeutschen Länder betrifft. Seit 2001 ist sie zwar zurückgegangen, aber nicht ganz zum Stillstand gekommen. Ein weiterer – zunehmend wichtigerer – Grund der Bevölkerungsabnahme ist der scharfe Geburtenrückgang nach der Wende. Die Abwanderung, die nicht geborenen Kinder und die längere Lebenserwartung führen zu einer beschleunigten Alterung der ostdeutschen

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Bevölkerung. Dies wird in den kommenden Jahren derjenige Engpass sein, der die Entwicklung in Ostdeutschland am meisten beschränkt. Aus ihm ergeben sich erhebliche Konsequenzen für die soziale Infrastruktur, die Wirtschaftsentwicklung und den Arbeitsmarkt unseres Landesteils. Vor allem führt die Alterung des Ostens zu einer erheblichen Abnahme der erwerbsfähigen Bevölkerung, in Brandenburg etwa um fast ein Drittel bis 2030. Auch hier gibt es erhebliche regionale Unterschiede. In einigen Regionen Brandenburgs wird sich die Zahl der Erwerbspersonen sogar halbieren! Unter diesen Umständen könnte Ostdeutschland in die Lage geraten, zugleich unter hoher Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel zu leiden. Weil sich die Wirtschaft immer weiter ausdifferenziert und wissensintensiver wird, droht ein Missverhältnis zwischen den vorhandenen Arbeitssuchenden, die häufig über die „falschen“ Qualifikationen verfügen, und dem Anforderungsprofil der benötigten Fachkräfte. Vorsorgender Sozialstaat nötig Eine weitere Besonderheit hat erheblichen Einfluss auf die demografische Zukunft der neuen Länder: Abgewandert sind vor allem junge und gut ausgebildete Menschen. Gleichzeitig entwickelte sich bis 2005 eine hohe strukturelle Arbeitslosigkeit. Das führte


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dazu, dass heute jedes vierte ostdeutsche Kind in einer Familie lebt, die auf staatliche Unterstützung angewiesen ist. In manchen Regionen stammt sogar fast die Hälfte der Kinder aus „Hartz-IV-Familien“. Das hat beträchtliche Konsequenzen auf die Entwicklung der Kinder – wenn man an ihr Lebensumfeld, ihre Bildungschancen sowie das Fehlen positiver Vorbilder und Rollenmodelle denkt. Hier ganz besonders ist auf den Gebieten der Familien-, Sozial- und Bildungspolitik sowie bei der Gesundheitsprävention ein wirklich vorsorgender Sozialstaat gefragt. Jeder wird gebraucht Ostdeutschland muss deshalb familienfreundlicher werden. Vor allem junge Frauen haben in den vergangenen Jahren den Osten verlassen – und damit exakt diejenige Bevölkerungsgruppe, die in den neuen Ländern am stärksten gebraucht wird. Alle Bereiche des öffentlichen Lebens müssen deshalb auf ihre Familienfreundlichkeit überprüft werden. In den ostdeutschen Ländern wird jede und jeder Einzelne gebraucht – schlicht weil immer weniger Menschen vorhanden sind. Mehr als je zuvor muss deshalb Bildung im Mittelpunkt aller Politik stehen. Das traditionell quantitativ gute System der Kinderbetreuung muss systematisch qualitativ zu einem System der Kin-

derbildung ausgebaut werden. Aufgrund der schwierigen sozialkulturellen Lage vieler Familien muss die aktivierende und aufsuchende Familienberatung und -unterstützung ausgebaut werden. Ein herausragendes Beispiel dafür sind die „Netzwerke Gesunde Kinder“ in Brandenburg. Schulen in sozialen Brennpunkten brauchen besondere Unterstützung beispielsweise durch hochwertige Ganztagsprogramme oder Schulpsychologen. Als biografische Klippen erweisen sich – nicht nur in Ostdeutschland – immer häufiger die Übergänge zwischen den einzelnen Lebensphasen der Menschen. Das betrifft vor allem die Schwelle zwischen der Schule beziehungsweise der Hochschule und dem Arbeitsplatz. Wir müssen Barrieren beim Zugang zum Hochschulstudium abbauen und Vorbilder sichtbar machen: Schüler, Lehrer und Eltern wissen oft ganz einfach zu wenig über die tatsächlich vorhandenen, aber oft nicht vermuteten ökonomischen Erfolgsgeschichten in ihrer Nachbarschaft und die neuen Berufsbilder, die damit zusammenhängen. Mehr Gewerkschaften Seit Jahr und Tag wiederhole ich aus Überzeugung den Satz: Ich kann und ich will mir unsere Gesellschaft ohne starke Gewerkschaften nicht vorstellen. Manchmal ist mir diese Aussage als perspektive21

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bloße Verbeugung vor einer Tradition ausgelegt worden. Zwar kann ich mit diesem Vorwurf gut leben, tatsächlich aber geht es mir um etwas anderes. Verhandlungsstarke, fest verankerte und erneuerungsfreudige Gewerkschaften sind – wiederum: nicht nur – in Ostdeutschland eine entscheidende Bedingung positiver Gesellschaftsentwicklung. Nur so wird es in den neuen Ländern langfristig möglich sein, die Interessen von Arbeitnehmern – unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten – wirkungsvoll zu vertreten, angemessene Lohnabschlüsse zu erreichen und damit langfristig attraktiv für Fachkräfte zu bleiben. Davon abgesehen sind Lohnangleichung und höhere Löhne der sicherste Weg, um Altersarmut zu verhindern. Ein zweiter Engpass ist die niedrige Eigenkapitalquote der ostdeutschen Unternehmen. Das macht sie in der Wirtschaftskrise anfälliger, weil es ihnen schwerer fällt, Durststrecken zu überstehen. Die geringe Kapitaldecke führt auch dazu, dass die ostdeutschen Betriebe noch immer strukturelle Defizite bei der Innovationsfähigkeit aufweisen. So entfallen beispielsweise nur fünf Prozent der industriellen Forschung in Deutschland auf die neuen Länder. Das führt zu einer geringeren Fertigungstiefe der Industrie in diesem Teil Deutschlands. Es fehlt an industrienaher Forschung

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und Entwicklung sowie an industrienahen Dienstleistungen. Auch für diesen Engpass gibt es keine einfachen Lösungen. Schon heute listet der Bericht zum Stand der Deutschen Einheit sieben Programme auf, die allesamt die Innovationskraft von Unternehmen stärken sollen. Sieben weitere Bundesprogramme sind darauf ausgerichtet, die dünne Eigenkapitaldecke von Unternehmen auszugleichen, indem sie zum Beispiel Vermarktungshilfen oder günstige Kredite bereitstellen. Flankiert werden diese Programme durch zusätzliche Anstrengungen der Länder. Man wird auf solche Maßnahmen in den kommenden Jahren nicht verzichten können. Ihre Vielzahl mag erstaunen, sie erklärt sich aber aus den spezifischen Bedürfnissen unterschiedlicher Unternehmen und Branchen. Insgesamt eignet sich dieses Thema kaum für parteipolitische Auseinandersetzungen, da die Positionen hier nahe beieinanderliegen. Ein Handlungsfeld von zentraler strategischer Bedeutung bleibt es dennoch. Das Problem abzumildern wird ganz entscheidend für den Erfolg der ostdeutschen Wirtschaft in den kommenden Jahrzehnten sein. Neue Potenziale Damit Ostdeutschland die genannten Engpässe hinter sich lassen kann, ist es umso wichtiger, dass wir uns unserer Stärken und Potenziale bewusst wer-


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den, um diese energisch auszubauen. Entscheidende, bislang aber unterbewertete Vorteile bestehen vor allem in der ostdeutschen Energiekompetenz sowie in der geografischen Lage Ostdeutschlands in der Mitte des neuen Europas. Öffentlich viel zu wenig beachtet, haben sich die ostdeutschen Länder in den vergangenen Jahren zu einem einzigen großen Kompetenzzentrum auf dem Gebiet der Energie entwickelt. Lange schienen die großen Ansiedlungsanstrengungen der Automobil- und Mikroelektronikindustrie für den Osten bedeutsamer. Ob das so bleiben wird, ist mindestens fraglich. Jedenfalls stehen in Ostdeutschland heute nicht nur die effizientesten Braunkohlekraftwerke. Hier wird auch an Technologien gearbeitet, die einen Durchbruch bei der klimafreundlichen Verbrennung fossiler Energieträger bedeuten könnten. Sollte es großtechnisch gelingen, Kohlendioxid bei der Verbrennung von Braunkohle abzuspalten und zu speichern, könnte Ostdeutschland zu einem international führenden „Innovationslabor“ in Sachen Energie werden. Auch bei den erneuerbaren Energien hat sich Ostdeutschland an die Spitze gesetzt. Jede sechste Solarzelle der Welt kommt aus Ostdeutschland, das damit ein international herausragender Standort für Solarindustrie und Fotovoltaik

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geworden ist. In Sachsen und SachsenAnhalt, Thüringen und Brandenburg sind wichtige Forschungs- und Produktionsstätten der Solarindustrie entstanden. Bei der Produktion und Installation von Windkraftanlagen liegen Brandenburg und Sachsen-Anhalt deutschlandweit an der Spitze. 40 Prozent der in Deutschland installierten Windkraftleistung entfallen auf die ostdeutschen Länder. Zudem sind zwei Drittel der Biokraftstoffproduktion in Ostdeutschland angesiedelt. Energieland Ost Angesichts der globalen Klimakrise werden diese „Standortvorteile“ Ostdeutschlands bisher vollkommen unterschätzt. Ihre langfristige strategische Bedeutung für Wirtschaftskraft, Innovationsfähigkeit und Beschäftigung werden noch nicht in ausreichendem Maße erkannt und kommuniziert. Die Energieversorgung, einschließlich der Produktion von Anlagen, ist ein wichtiger Wirtschaftszweig der Zukunft, der sich langfristig selbst tragen wird. In Ostdeutschland knüpft diese Branche außerdem an langjährige industrielle Traditionen an. Elemente strategischer Energiepolitik für Ostdeutschland umfassen also die Unterstützung sowie den Ausbau von Forschung und Entwicklung auf den Feldern Energieversorgung und Klimaschutz, die Vernetzung von Wissenperspektive21

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schaft und Energiewirtschaft. Fortschritte, Potenziale und vorhandene Kapazitäten müssen in ihrer Zukunftsträchtigkeit begriffen und positiv in die Öffentlichkeit vermittelt werden. Ostdeutschland liegt nicht nur geografisch, sondern auch mit Blick auf seine historischen Erfahrungen im Zentrum Europas. Mit der Osterweiterung der EU in den Jahren 2004 und 2007 ist Ostdeutschland aus seiner Randlage innerhalb der EU ins Zentrum des Binnenmarktes gerückt. In der ostdeutschen Selbstwahrnehmung gibt es allerdings zuweilen noch eine gewisse „Randlagenmentalität“. Das muss sich ändern, denn wie sehr Ostdeutschland von seiner Lage profitiert, zeigen bereits heute die außerordentlich hohen Wachstumsraten beim Export nach Osteuropa. Auch wenn der absolute Umfang noch vergleichsweise gering ist, sind die Potenziale angesichts der wirtschaftlichen Dynamik in Ostmitteleuropa groß – jedenfalls unter der Voraussetzung, dass die derzeitige Wirtschaftskrise dort keine dauerhaften Schäden anrichtet.

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Mitten in Europa Ostdeutschland kann in den kommenden Jahren eine echte Brücke nach Osteuropa werden – und zwar in politischer, geografischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Deutschland insgesamt, aber die ostdeutschen Länder im Beson86

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deren, können ein guter Anwalt und „Übersetzer“ ost- und ostmitteleuropäischer Interessen in der EU sein. Ihre Transformationserfahrungen machen die neuen Länder in Ost und West auf diesem Gebiet außerordentlich glaubwürdig. Die strategische Position Ostdeutschlands innerhalb Europas ist der breiten Öffentlichkeit, aber auch vielen Entscheidungsträgern noch gar nicht richtig bewusst. Ostdeutschland kann ein regelrechtes Sprungbrett für die Erschließung der Märkte in Osteuropa sein. Um die Chancen zu nutzen, die sich durch engere Kooperation bieten, müssen wichtige Infrastrukturvorhaben Richtung Osteuropa weiter ausgebaut werden. Auf die „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“ sollten dringend „Verkehrsprojekte Europäische Einheit“ folgen. Weil die außenwirtschaftlichen Kontakte intensiviert werden müssen, brauchen die ostdeutschen Unternehmen verstärkte Unterstützung bei der Markterschließung in Osteuropa. Zwanzig Jahre nach der Revolution von 1989 steht Ostdeutschland also vor schwierigen Herausforderungen. Der demografische Umbruch geht weiter, die finanziellen Zuweisungen aus dem Solidarpakt werden planmäßig zurückgefahren, die langfristigen sozialen und kulturellen Auswirkungen der hohen Arbeitslosigkeit lassen sich noch gar nicht ermessen. Und alle diese Strukturpro-

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bleme werden nun auch noch überlagert und verschärft durch eine beispiellose Weltwirtschaftskrise, deren weitere Entwicklung und langfristige Folgen im Sommer 2009 niemand voraussagen kann. Kurz, es bleibt in Ostdeutschland in den kommenden Jahren nicht nur schwierig – es wird sogar wieder schwieriger werden. Und trotzdem: Die Zukunft ist offen für politischen Gestaltungswillen, gerade in Ostdeutschland, gerade in der Mitte unseres neuen Europas. Weder die Verbreiter des Geredes von der permanenten Benachteiligung aller Ostdeutschen haben die Wirklichkeit auf ihrer Seite, noch die Gesundbeter, die noch immer an irgendwie vom Himmel fallende „blühende Landschaften“ glauben. Tatsächlich ist Ostdeutschland nicht zu ewiger Benachteiligung verurteilt, aber wir sollten auch nicht darauf hoffen, dass sich Retter von außen finden werden, die für uns die ostdeutschen Kohlen aus dem Feuer holen. Was uns in Ostdeutschland gelingen soll, das müssen wir schon selbst vollbringen. Insofern gleicht unsere Lage derjenigen im Herbst 1989: Wieder kommt es auf uns selbst an, wieder müssen wir die Dinge selbst in die Hand nehmen. Vor allem müssen wir uns zwei Jahrzehnte nach der Revolution von 1989 endgültig davon verabschieden, die ostdeutsche Gegenwart und Zukunft immer nur an den Verhältnissen

in der DDR zu messen. „Man sollte aufhören, Ostdeutschland weiter als in einer historischen Ausnahmesituation befindlich zu beschreiben, in der die Brucherfahrung von 1989 im Zentrum steht“, schrieb vor einiger Zeit die junge ostdeutsche Autorin Jana Hensel. „Man muss beginnen, über diesen Bruch hinweg zu erzählen und endlich die Kontinuitäten aufzuzeigen.“ Jana Hensel hat recht. Ostdeutschland ist kein Traditionskabinett der DDR. Wir begehen heute nicht den 60. Jahrestag der DDR sondern den 20. Jahrestag unserer Friedlichen Revolution. Die Zukunft ist offen „Zukunft braucht Herkunft“ – dieser Zusammenhang bleibt mir wichtig. Wir sollten wissen, wo wir herkommen. Wo allerdings die Orientierung am Gewesenen zum Selbstzweck wird statt zur Ressource der Erneuerung, da verbauen wir uns die Zukunft. So gesehen gibt es Bestandteile ostdeutscher Geschichte, über die im Grunde viel mehr geredet werden müsste, als wir dies üblicherweise tun. Ostdeutschland war in den vergangenen zwei Jahrzehnten unendlich viel mehr als eine „Nichtmehr-DDR“! Wenn wir uns im Jahr 2009 an die Revolution von 1989 und ihre Folgen erinnern, dann vor allem deshalb, weil hier seitdem etwas wirklich Neues entstanden ist, geschaffen durch die Arbeit und das Engagement perspektive21

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der Menschen in Ostdeutschland. Deshalb sollten wir uns vielmehr mit eben diesen zwanzig Jahren selbst beschäftigen, die zwischen dem Aufbruch von 1989 und heute vergangen sind. Zwanzig ereignisreiche, teilweise dramatische und ganz sicher auch schwierige Jahre waren das. Und vor allem: unsere zwanzig Jahre. Zwei Jahrzehnte, in denen wir Ostdeutschen unseren Weg ganz neu suchen mussten – und millionenfach gefunden haben. Zwei Jahrzehnte, in denen wir Rückschläge erlitten haben, manchmal zu Boden gegangen und in den meisten Fällen wieder aufgestanden sind. Solche Erfahrungen machen nicht immer Freude, aber eines machen sie auf jeden Fall: lebenstüchtig und unerschrocken. Wir sind vorbereitet In der DDR war immer viel von „Aufbau“ die Rede – viel zu viel sogar. Der Aufbau hingegen, der uns seit 1989 in Ostdeutschland unter enorm schwierigen Bedingungen gelungen ist, wird gemessen daran deutlich weniger thematisiert – zu wenig. Ich finde, dass sich

das ändern sollte, und zwar schon deshalb, weil wir in ganz Deutschland in den kommenden Jahren noch eine ganze Menge von der unverzagten und unerschrockenen Grundhaltung brauchen werden, die Millionen von Ostdeutschen seit dem Herbst 1989 an den Tag gelegt haben. Rückschläge erleiden, wieder aufstehen, sich neu orientieren und unbeeindruckt weitermachen – genau das haben die Ostdeutschen in den vergangenen zwei Jahrzehnten sehr gründlich erlernt. Das sind nicht die schlechtesten Fertigkeiten, um im 21. Jahrhundert zurechtzukommen. Ob uns diese im Umbruch erworbenen Kompetenzen bereits zu einer „Avantgarde“ machen, an der sich in Zeiten andauernder Veränderung andere orientieren können, weiß ich nicht. Was ich dagegen weiß, ist dies: Die Welt im Jahr 2029 wird grundlegend anders aussehen und funktionieren als die Welt im Jahr 2009. Wir in Ostdeutschland werden vorbereitet sein. ¢ Der Beitrag beruht auf einem Kapitel seines Buches „Zukunft braucht Herkunft. Deutsche Fragen. Ostdeutsche Antworten“.

MATTHIAS PLATZECK

ist Ministerpräsident des Landes Brandenburg und Landesvorsitzender der SPD. 88

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felix ringel – willkommen in hoytopia

Willkommen in Hoytopia ÜBER DIE SCHRUMPFUNG EINER EINSTIGEN SOZIALISTISCHEN MODELLSTADT UND DIE NEUE OSTDEUTSCHE AVANTGARDE VON FELIX RINGEL

as kommt eigentlich nach der Übergangszeit des Post-Sozialismus, möchte man als neugieriger Mensch und Wissenschaftler fragen. Kapitalismus? Neuer Sozialismus? Der viel beschworene „Dritte Weg“? Sind das überhaupt noch die richtigen Kategorien, an denen wir uns zeitlich ausrichten, uns zukünftig verorten? Die Erfahrungen der Nach-Wendezeit deuten in keine klare Richtung. Echten Kapitalismus spürt man zwar an allen Ecken in seinen harschen sozio-ökonomischen Auswirkungen. Doch bei so wenig Eigenkapital einer vormals nach westlichen Standards egalitären Gesellschaft ist es auch kein Wunder, dass die Marktspielregeln nur wenig und meist zugunsten ortsfremder Kapitalgeber funktionieren. Abseits vom Markt werden wirtschaftliche und soziale Strukturen im Osten Deutschlands nur mühsam durch staatliche Zuschüsse am Leben erhalten. So mancher Akteur wähnt sich vor Ort schon in einer neuen Planwirtschaft: Anstatt staatlicher Planvorstellungen diktieren weitgehend öffentliche Förderprogramme Form und Inhalt ostdeutscher

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Wirtschafts- und Sozialentscheidungen, besonders im Alltag. Dazu verschärft der beispiellose Verlust an Fachkräften das gesellschaftliche Gefüge. Fast möchte man zynisch behaupten, dass für das bisschen Solidarzuschlag die fast 2 Millionen Menschen, die nun fernab der ostdeutschen Heimat die Ballungszentren West mit Arbeitskraft, neuen Ideen und hierzulande ausbleibendem Nachwuchs stärken, recht billig erkauft sind. Neue Probleme Die Folge ist ein demografischer und sozialer Wandel ungekannter Art. Fortschritt und Prosperität sind das nicht. Nichtsdestotrotz erscheint das Vorbild West in vielen Ebenen grundsätzlich ideologisch unkritisch, nur eben praktisch fehlbar. So richtig passen will es nicht, kann es vielleicht auch gar nicht. Es stellt sich also folgende Frage: Sind die neuen Probleme, welche die gesamte Welt nach dem Kalten Kriege erfassten, denn überhaupt noch mit alten Ideen, Formen und Ansätzen – egal ob Alt-West oder Alt-Ost – zu lösen? Müssten nicht ganz neue Konzepte perspektive21

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her? Vielleicht gerade für den Osten, vielleicht aber auch für die gesamte Bundesrepublik, die sich den neuen Entwicklungen auch nicht verschließen kann. Für neue Herausforderungen ist die alte Zukunft des historischen Siegers nicht zwangsläufig die einzig richtige Antwort. Die Übergangsphase ist langsam vorbei. Ein neuer Wandel hat längst begonnen. Zeit, ein Resümee zu ziehen. Zeit, voran zu gehen. Zurück in die Zukunft Der Weg zur neu erkämpften Freiheit blieb für viele Ostdeutsche steinig. Einige Male ging er auf immer neuen Umwegen geradewegs an blühenden Landschaften vorbei. Man mag der historischen Chance der Wendejahre 1989/90 nachtrauern, vor allem ob der unausgeschöpften Möglichkeiten. Doch bleibt auch in der Gegenwart nur eine Frage: Was können, was müssen wir jetzt tun, um die anstehenden Probleme zu lösen? Die Vergangenheit kann dafür eine gewinnbringende Ressource sein. Zurzeit wird sie jedoch meist zum Verhindern neuer Ideen ins noch immer heiß umkämpfte moralisch-politische Feld der alten kalten Krieger geführt. Im Ringen um die Zukunft wird die Vergangenheit zur schwerwiegenden Waffe. Sich seiner historischen Verantwortung zu stellen, sieht anders aus. Was hilft eine Diskussion um Zwangsproletarisierung, wenn 90

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für viele kluge Köpfe in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten keine entsprechend attraktiven Arbeits- und Lebensbedingungen geschaffen wurden, so dass sie wirtschaftlich gezwungen sind, ihrer Heimat den Rücken zuzukehren? Müsste man da nicht eher von einer gegenwärtigen Zwangsprekarisierung der ostdeutschen Gesellschaft sprechen? Und andererseits von einer Zwangsbourgoisierung im Zuge einer Zwangsglobalisierung und -mobilisierung? Wie man sieht: Derartige Debatten führen zu nichts. In jedwede Richtung ist eine übertriebene Vergangenheitsfixierung, wie sie an vielen Orten noch inbrünstig betrieben wird, kontraproduktiv. Auch im Westen Der Osten hat den Wandel schon seit 20 Jahren gelebt, sich in ihm mal besser, mal schlechter eingerichtet. Im Vergleich kommen dazu ganz klare ökonomische Unterschiede, die sich in Arbeitsplatzverlusten und Strukturschwäche ausdrücken und zu einer Beschleunigung weiterer Prozesse führen, vor allem des Wegzugs und des demografischen Wandels. Natürlich findet man das in Ansätzen auch im Westen der Republik, aber eben nicht in diesen typisch ostdeutschen und vor allem im ländlichen und kleinstädtischen Bereich beispiellosen Dimensionen. Warum muss man sich denn da auf ver-


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gangenheitsbezogene Mentalitäten stürzen, liegen doch die Probleme in der Gegenwart?! Willkommen im Wandel Was man für den Osten im Großen durchspielen kann, wird umso klarer, richtet man seinen Blick auf eine mittlere Kleinstadt wie Hoyerswerda. Die einstige sozialistische Modellstadt ist mittlerweile zum Osten des Ostens geworden. Nehmen Sie irgendein Problem, das typisch für die neuen Bundesländer scheint und Sie können sich sicher sein, es auch in Hoyerswerda zu finden – glaubt man dem medialen Diskurs. Von Schrumpfung und De-Industrialisierung, von Überalterung und demografischen Wandel, von sozialer Verwerfung und hoher Arbeitslosigkeit, auch von Problemen mit rechtsextremen Jugendlichen können bedauernswerterweise viele ostdeutsche Städte und Kommunen ein trauriges Lied singen. Trotzdem lohnt es, einen genaueren Blick auf das Leben in dieser schrumpfenden Stadt zu werfen. Die Dimension der Veränderungen in Hoyerswerda ist enorm. Von ehemals über 70.000 Bewohnern sind 20 Jahre nach der Wende gerade mal 35.000, also die Hälfte, übrig. Statistisch gesehen sind ca. 48.000 Menschen aus der Stadt weggezogen, um vor allem in den alten Bundesländern nach Arbeit zu

suchen. Die heute durchautomatisierte Schwarze Pumpe, ein ehemaliges Gaskombinat und Hauptstromerzeuger der DDR, pumpt nicht mehr genügend Jobs für ihre ehemalige Wohnstadt – und ohne wirtschaftliche Grundlage findet sich die seit Mitte der fünfziger Jahre aufgebaute Neustadt ohne Funktion. Wer soll denn ohne Arbeit hier wohnen? Besonders die jungen, klugen Köpfe gehen weg. Sind erst einmal die besten Freunde verzogen, lohnt das Bleiben noch viel weniger. Wer lebt heutzutage denn noch in einer Kleinstadt, gar im Plattenbau? Die Schrumpfung ist überall Die Schrumpfung ist allgegenwärtig und ragt in jedes Leben hinein. Sei es, wenn der Nachbar, die Tochter oder der beste Freund wegziehen, der Supermarkt um die Ecke oder die vertraute Arztpraxis schließen, der eigene Verein, das eigene Unternehmen mit Nachwuchssorgen kämpfen. All das ist Schrumpfung. Mit dem Wegriss der Häuser, also dem euphemistisch gepriesenem „Rückbau“ der einstigen Vorzeige-Wohnstadt, haben sich die Menschen nach anfänglichen Schwierigkeiten arrangiert. Doch die Lücken im sozialen Netzwerk kann so schnell keiner schließen. Umso wichtiger ist jeder, der bleibt bzw. hinzukommt. Was das für politische, ökonomische, soziale und kulturelle Entscheiperspektive21

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dungsträger heißt, ist klar: Die Instrumente und Denkmuster, mit denen uns die Moderne seit einigen Jahrzehnten fit gemacht hat für stetes Wachstum und die Planung von Fortschritt, greifen hier nicht mehr. Neue Konzepte müssen her. Ansonsten wird man mit den falschen Vorstellungen im Kopf schnell untergehen in den sich zuspitzenden Verteilungskämpfen um die garantiert weniger werdenden Mittel. Doch wohin geht die Moderne, wenn es nicht mehr fröhlich ums „Bau auf, bau auf!“ geht? Wie plant man für eine Zukunft, die ungewisser scheint als je zuvor? Welchen Bezugspunkt stellt man in den Mittelpunkt der Planungsaktivitäten einer anteilig de-ökonomisierten Gesellschaft? Standortfaktor Mensch Die Planer von Hoyerswerda hatten ganz im modernen Sinne, Einflüssen des Bauhaus folgend, nicht nur Wohnen und Arbeiten räumlich getrennt, sondern auch versucht, das Wohnumfeld so anspruchsvoll wie möglich zu gestalten. Besonders die Wohnkomplexe der ersten Planungsphase – also die ersten 7 der fertig gestellten 10 Wohnkomplexe (WK) der Hoyerswerdaer Neustadt – zeugen von fachlicher Exzellenz und planerischer Weitsicht. Mit viel Kunst geschmückte Grünachsen durchziehen die verkehrsberuhigten Wohngebiete, verbinden 92

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den jeweiligen Nahversorger mit der unabdingbaren WK-Kneipe oder der die Größe des WKs bestimmenden Bildungseinrichtung. Die sozialistische Frau sollte problemlos Arbeit und Familie verbinden können. Wie die Zukunft schmeckte Dazu sollte noch viel mehr kommen – eben alles, was städtisches Leben ausmacht. Tatsächlich kam auch das Klinikum, der erste Kaufhausneubau der noch jungen DDR, Sportanlagen, in eigener Aufbauleistung ein nagelneuer Zoo, später auch eine Schwimmhalle und das städtische Kulturhaus, das Haus der Berg- und Energiearbeiter. Wie von der Schriftstellerin Brigitte Reimann gefordert, sollte Hoyerswerda eine im wahren Sinne lebenswerte Stadt werden, in der man, wie sie provokativ Mitte der sechziger Jahre formulierte, küssen können sollte. Ironischerweise wurde das Zentrum der zweiten sozialistischen Planstadt der DDR nach Eisenhüttenstadt aufgrund von ökonomischen Zwängen, politischen Streitereien und materiellen Missständen nie fertig gestellt. Entgegen der allgemeinen Behauptung, Hoyerswerda sei zur Schlafstadt geworden und sperre seine Einwohner in sogenannte ‚Arbeiterschließfächer‘, pulsierte das Leben in der ehemals jüngsten und kinderreichsten Stadt der DDR. Alles schmeckte nach Zukunft.


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Gerade wegen der schönen neuen Wohnungen waren fast 70.000 Menschen hierher gezogen, hatten die alte, beschauliche, typisch mitteleuropäische Kleinstadt Hoyerswerda, die heutige Altstadt mit Schloss, Marktplatz und Kirche, um ein zehnfaches vergrößert. Noch heute betonen viele, sie leben gerne in der Neustadt, im Plattenbau. Leben ist hier sehr funktional – kurze Wege, angenehmes Wohnen, alle Stadtfunktionen arbeiten. Noch. Kann man noch küssen? Doch was ist, wenn Hoyerswerda seine Stärke als Sport-, Bildungs- und Einkaufsstadt, als medizinisches und touristisches Zentrum mit hohem Wohnkomfort und guter Lebensqualität verliert, weil die Stadt sich nicht mehr selbst tragen kann? Wie plant man den Prozess der Schrumpfung, der die Moderne in ihr Gegenteil verkehrt und uns zwingt, die alten Instrumente und Ideen über Bord zu werfen? Wie agiert man richtig als Oberbürgermeister oder Stadtrat, als Unternehmer oder Schulleiter, als behandelnder Arzt oder auch nur als ganz normaler Einwohner Hoyerswerdas? Kurzum, wie gestaltet man Leben in einer Stadt im Wandel? Und: Wird man in Hoyerswerda in Zukunft noch küssen können? Die Probleme der Stadt sind allen bewusst. Doch wer jetzt Geschichten der Ostalgie, des typischen Jammer-

ossis, des Kopf-in-den-Sand-Steckens erwartet, den muss ich leider enttäuschen. „Ostdeutschsein“ heißt das schon lang nicht mehr – wenn engagierte und leidenschaftliche Kritik an der Gegenwart mit beliebigen Bezug zur Vergangenheit überhaupt einmal so interpretiert hätte werden können. In 16 Monaten Feldforschung habe ich niemanden getroffen, der sich die DDR zurückwünschte – aber viele Menschen, die aufgrund der Erfahrungen zweier Systeme kritisch und unbefangen an die Probleme der Gegenwart herangehen. Meist waren diese auch schon zu DDR-Zeiten kritisch, müssen sich aber heutzutage Vorwürfe ob ihrer Kritik anhören – sie seien noch immer die Ewiggestrigen, die noch nicht in der Gegenwart angekommen sind. Dabei weiß doch keiner mehr, wohin genau es gehen soll. Im Gegenteil, nur eins lässt sich unumwunden behaupten: Das, was der Osten Deutschlands gerade durchmacht, wird bald Alltag des gesamten europäischen Kontinents werden. Der Osten geht also voran, nicht hinterher. Unsere Entwicklungsschemata und Definition von Normalität müssen vielleicht noch einmal auf den Prüfstein gestellt werden. Auch wenn das Eingeständnis, dass die Stadt schrumpft und das man sie großflächig zurückbauen muss, erst hart abgerungen werden musste, so ziehen gegenwärtig alle wenigstens am perspektive21

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gleichen Strang, wenn auch oft noch in unterschiedliche Richtungen. Noch immer schmerzt jedes abgerissene Haus, erzählt jede der über 7.000 schon verschwundenen Wohneinheiten eine meist traurige Geschichte des unfreiwilligen Gehens und der verlorenen Heimat. Doch man gewöhnt sich schnell an die neuen Freiräume, in denen wieder Bäume und Wiesen der Natur ein neues, altes Zuhause geben. Die Menschen in Hoyerswerda wie auch im ganzen Osten haben mehr zu tun, als nur den lieben langen Tag der einst frohgemuteren Vergangenheit nachzutrauern. Das Leben will gelebt, das Miteinander genossen und die Zukunft gestaltet werden. Selbst in die Hand genommen So bestimmt also ein stetes Ringen mit der eigenen Stadt, die wie ihre Zukunft zum Problem geworden ist, das Handeln und die Gedanken derer, die hier geblieben sind. Mehr als anderswo wird man in solch einem Kontext gezwungen, stets neue Wege zu gehen. Alte Muster greifen nicht mehr. Was gestern noch ging, kann heute längst passé sein. Wer Kontinuität braucht, ist in Hoyerswerda an der falschen Adresse. Doch das heißt nicht, dass die Stadt ihre alten Potentiale nicht mehr nutzen sollte. In fast 40 Jahren DDR und in 20 Jahren Wendewirren hat sich viel Unerwartetes in der durch und durch 94

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geplanten Stadt ergeben. Ob in Parteioder Marktzwängen, die Menschen in Hoyerswerda haben es in bemerkenswertem bürgerlichen Engagement verstanden, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen – und trotz politisch-ideologischer oder ideologisch-ökonomischer Zwänge ihre Freiräume zu ertrotzen. Das sieht man in den vielen Kleingartenanlagen genauso wie in den überdurchschnittlich frequentierten Sportvereinen, im musikalischen Talent der Stadt und vor allem in der Soziokultur. Dieses einzigartige bürgerschaftliche Engagement entbindet jedoch in keiner Weise Verantwortliche auf Bundes- oder Landesebene und der lokalen Wirtschaft von ihrer Pflicht, den Prozess der Schrumpfung mehr als wohlwollend zu begleiten. Genau auf diesen Ebenen wurden entsprechend schicksalsträchtige Entscheidungen für die Zukunft der Lausitz getroffen. Vom Osten lernen Wolfgang Kil, renommierter Architekturkritiker, sagte einmal, es sei doch erstaunlich, dass Hoyerswerda als Planstadt bisher zweimal in seiner Geschichte eine unheimlich aktive, selbstorganisierte Kulturszene abseits des staatlich Verordneten hervorgebracht hatte. Zum einem den Freundeskreis für Kunst und Literatur derer, die in den fünfziger und sechziger Jahren


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nach Hoyerswerda gezogen sind. Brigitte Reimann, die mit ihrem Roman „Franziska Linkerhand“ eindrucksvoll den Aufbau der Neustadt dokumentierte, ist wohl prominenteste, wenn auch nur zeitweilige Vertreterin dieses Zirkels. Busladungsweise wurden die Kumpel ins Theater nach Berlin oder Senftenberg gekarrt, kamen geistige Größen wie Maxie Wander, Dieter Mann oder Christa und Gerhard Wolf in die Lausitz zu Gesprächen, Lesungen, geistigem Austausch. Wenig später dann die Singe- und Jugendclubbewegung mit der Brigade Feuerstein, aus der dann der leider wie Brigitte Reimann viel zu früh verstorbene Liedermacher Gerhard Gundermann hervorging. Noch heute wird dieses Erbe mit Anspruch, Kreativität und dem Mut zu Neuem in der KuFa, dem soziokulturellem Zentrum der Stadt unter Leitung des Vereins Kulturfabrik, gepflegt. Generationenübergreifende soziokulturelle Arbeit setzt da täglich neue Anreize in einer schrumpfenden und älter werdenden Stadt. Doch auch die nächstfolgende Generation, also die Kindergeneration der in Hoywoy Aufgewachsenen und die Enkel der Aufbauer, überzeugt durch Tatendrang, Talent und kritischen Geist. Alle zusammen reiben sich an ihrer Stadt und versuchen trotz geringer Mittel, fehlender staatlicher oder betrieblicher Protektion (Schwarze Pumpe liegt jetzt für Hoyerswerda tragischer-

weise auf der anderen Seite der Landesgrenze zwischen Brandenburg und Sachsen – verschenkte Potentiale, will man doch beiderseits für den wachsenden Industriepark durch überzeugende Angebote im Bereich Lebensqualität, Wohnen, Freizeit Fachkräfte gewinnen!) und einer allgemein sehr ernsten Lage, Leben in der Stadt aufrecht zu halten – und das nicht nur auf mäßigem Niveau. Von Reimann und Gundermann inspiriert, vielleicht auch von Computer-Vater Konrad Zuse, dessen Namen die Stadt ganz offiziell trägt, wird Leben hier komplex und ganzheitlich definiert, im Spannungsfeld mit Architektur, Industrie, Urbanität und menschlichem Zusammenleben, Kultur und Lebenslust. Besonders die Zukunft der Stadt als Stadt selbst und somit als Lebensraum für die jetzigen, aber auch die künftigen Generationen steht immer wieder im Blickfeld der zahlreichen Aktivitäten. Neue Vorzüge So veranstaltete die Kulturfabrik z. B. vor kurzem das Großprojekt „Die 3. Stadt“. In sieben verschiedenen Bausteinen wurde sich inhaltlich mit den einzelnen Dekaden der Neustadt-Jahre auseinandergesetzt, vor und nach der Wende. Alles mündete in einer mittlerweile mehrfach ausgezeichneten Zukunftswerkstatt unter der Leitung der lokalen Architektin Dorit Baumeister, perspektive21

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die mit 26 Jugendlichen ein schlüssiges und fundiertes Leitbild für Hoyerswerda kreierte – wieder als die Wohn-, nein Lebensstadt der Region mit allen infrastrukturellen Vorzügen als Schul-, Gesundheits- und Einkaufsstadt, als Sport-, Erholungs- und Kulturstadt, in der man sich dazu noch traut in den Bereichen Wohnen, Leben, Kultur und Bildung mit allen zusammen und kreativ, mitunter schräg und ausgefallen neue Wege zu gehen. Man sieht auch hier: Der Umgang mit der eigenen, spezifischen Vergangenheit und Gegenwart muss weder unkritisch noch lähmend sein. Ferner hilft gerade der selbstvergewissernde Blick zurück über die eigene (!) Schulter, Probleme der Gegenwart verstehen und lösen zu können. Ohne jegliche Rückwärtsgewandheit, ohne das so oft beschrieene Ewig-Gestrige wird hier wider Erwarten leidenschaftlich an gegenwärtigen Problemen gearbeitet und um eine neue Zukunft gerungen. Neue ostdeutsche Avantgarde? In solch einem Milieu und unter solch eigentlich widrigen Umständen findet man eine wenn auch sehr spezifische, doch typisch ostdeutsche Situation, die den gegenwärtigen Meinungen klar widerspricht. Die Menschen in Hoyerswerda gehen wieder voran, sind Avantgarde im eigentlichen Sinne des Wortes. Der Vorreiter 96

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im Prozess der Schrumpfung zu sein, ist wahrlich keine schöne Aufgabe. Doch hilft jene Entwicklung, den Menschen wieder ins Blickfeld zu rücken, dem einzigen Standortfaktor nebst der für diesen gebauten Infrastruktur, den Hoyerswerda vorzuweisen hat: Eine Stadt reduziert auf die Menschen, die in ihr leben. Es ist in dem Sinne auch nicht verwunderlich, dass gerade in so einem Kontext ganz ernsthafte visionäre Ansätze aufgegriffen werden. Zwangsläufig kommt man in solch einer schwierigen Situation schnell zu ganz elementaren Fragen des Lebens – was die Güte dieses Lebens, des Menschen ausmacht. Rein anthropologische Fragestellungen. Ein guter Freund, den ich während meiner Forschungen in Hoyerswerda kennenlernte, hat eine ziemlich zukunftsweisende Idee. Er greift das Konzept des Bürgergeldes auf und versucht es konsequent als neues Modell einer zukünftigen Gesellschaft in der Praxis zu erproben. Wovon die Rede ist? Von Hoytopia! Um etwas genauer zu werden – und mein Hoyerswerdaer Freund hat das schon alles bis ins Detail durchgerechnet – reden wir hier von einem ziemlich großen, auf EUEbene angelegten, potentiellen Projekt. Die Fragestellung lautet: Wie gestalten Menschen Leben und Gemeinwesen, wenn sie nicht mehr Teil des Systems der Lohnarbeit sind? Wie Wolfgang Engler, Rektor der Schauspielschule


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Ernst Busch, schon in seinem Buch „Bürger, ohne Arbeit“ andachte, besteht vor allem im Osten Deutschlands das Potential (zugegebenermaßen unfreiwillig), eine Gesellschaftsordnung auszuprobieren, die nicht auf der Idee der Lohnarbeit basiert, also auf der Vorstellung, dass meine Arbeit gegen Lohn verkauft werden muss – sonst aber keinen Wert hat. Am Ende der Lohnarbeit Was Engler und meinem Ideengeber aus Hoyerswerda vorschwebt, ist, dass Arbeit herausgelöst wird vom Vergütungsprozedere und so den Menschen anders definiert – nicht mehr über die Höhe seines Lohnes, sondern über andere, ganz bürgerliche Werte. Arbeit heißt dann auch ehrenamtliche Arbeit, das Engagement für gemeinnützige Projekte, eben aktiver und integraler Bestandteil der so oft geforderten Zivilgesellschaft zu sein. Bürger sein, im wahrsten Sinne des Wortes. Das alles, und nun sind wir bei der Krux angelangt, basiert darauf, dass der Bürger einer solchen Gesellschaft nicht mehr von der Lohnarbeit abhängt. Stattdessen bekommt man als vollwertiger Bürger monatlich sein Bürgergeld ausgezahlt. Dieses sichert alle Grundbedürfnisse. Hinzuverdienste sind gestattet, aber nicht nötig. Dies alles muss jedoch erstmal erprobt werden. Warum denn nicht in Hoyerswerda?

2.000 bis 3.000 EU-weit gefundene Teilnehmer sollen in einem der funktional hervorragend ausgestatteten Wohnkomplexe genau das versuchen: Leben mit dem Bürgergeld. Über zwei, drei Jahre müsste die EU ungefähr 15 Millionen. Euro investieren. Das ganze würde wissenschaftlich begleitet (Anthropologen bieten sich hier geradezu ideal an!) und das erarbeitete Wissen dann in die politischen und meinungsbildnerischen Prozesse wieder eingespeist. Wie organisieren diese Experimentalgesellschafter ihr Zusammenleben? Was probieren sie in den Bereich Architektur und Städtebau, Soziales und Kultur, Bildung und Wissenschaft, Infrastruktur und gesundheitliche Versorgung, Pflege und Gemeinsinn, Wirtschaft und Politik aus? Wie ändert sich ihr eigenes Selbstverständnis? Welche neue Spezies Bürger reift in einem solchen Umfeld heran? ...und der Zukunft zugewandt Alles Spinnerei? Gerade strukturschwache Regionen müssen sich jedoch fragen, wie sie aus dieser primär wirtschaftlichen Problemlage wieder herauskommen. Ist es, so wird clever gefragt, nicht eine herausragende zivilisatorische Leistung, ähnlich der altgriechischen, jedoch sklavengestützten Demokratie, Menschen aus dem Lohnarbeitsprozess herauszulösen, sie aus diesem frei zu setzen?! Die Zeit der arbeitsintensiven perspektive21

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thema – 1989 – 2009

Industrien ist für unsere Regionen vorbei. Der Traum der Vollbeschäftigung ausgeträumt. Auch Tourismus und andere Dienstleistungen werden nur begrenzt für kleine Aufschwünge sorgen. Eine ganzheitliche Lösung ist noch lange nicht in Sicht. Was tun, lieber Bürger? Und warum sollte Ostdeutschland mit seinen veränderungserprobten Bürgern erster Güte nicht der Ort sein, an dem Lösungen für Probleme wie hohe Arbeitslosigkeit und sozialen Verfall entwickelt und ausprobiert werden? Doch das hängt auch davon ab, wie wir weiterhin mit den gegenwärtigen Problemen der gesamten Republik

umgehen, Kritik an dem bestehenden System formulieren, anerkennen und bewerten und wie viel Mut wir aufbringen, ganz neue Wege zu gehen. Anstatt sich stets mit der Vergangenheit in moralisch überbewerteten Schlammschlachten auseinanderzusetzen, müssen wir zurück in die Zukunft, zurück zum Menschen. Die Menschen mit ihren gegenwärtigen Problemen müssen wieder ins Zentrum unserer Bemühungen – jenseits von undifferenzierten, düsteren Statistiken, jenseits von trennenden, moralisch aufgeladenen Kategorien. Der 20. Jahrestag der Friedlichen Revolution von 1989 ist dafür ein idealer Moment. ¢

FELIX RINGEL

ist Anthropologe und schreibt seine Doktorarbeit an der Universität Cambridge. Für Feldstudien lebte er 16 Monate in Hoyerswerda. 98

august 2009 – heft 42


Das Debattenmagazin Wie werden wir im 21. Jahrhundert leben? Die alten Lösungen taugen nicht mehr, die neuen kommen nicht von selbst. Die Berliner Republik ist der Ort für die wichtigen Debatten unserer Zeit: progressiv, neugierig, undogmatisch. Weil jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht.

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Seit 1997 erscheint „perspektive 21 – Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik“. Wenn Sie Interesse an bisher erschienenen Ausgaben haben, können Sie ältere Exemplare auf unserer Homepage www.perspektive21.de als pdf herunterladen. Einzelne Exemplare von bisher erschienenen Ausgaben schicken wir Ihnen gerne auch auf Wunsch kostenlos zu. Senden sie uns bitte eine E-Mail an perspektive-21@spd.de. Zur Zeit sind folgende Titel lieferbar: Heft 17 Ende der Nachwendezeit. PDS am Ende? Heft 18 Der Osten und die Berliner Republik Heft 19 Trampolin oder Hängematte? Die Modernisierung des Sozialstaates. Heft 20 Der Letzte macht das Licht aus? Heft 21/22 Entscheidung im Osten: Innovation oder Niedriglohn? Heft 23 Kinder? Kinder! Heft 24 Von Finnland lernen?! Heft 25 Erneuerung aus eigner Kraft Heft 26 Ohne Moos nix los? Heft 27 Was nun Deutschland? Heft 28 Die neue SPD Heft 29 Zukunft: Wissen. Heft 30 Chancen für Regionen Heft 31 Investitionen in Köpfe Heft 32 Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert Der Vorsorgende Sozialstaat Heft 33 Heft 34 Brandenburg in Bewegung 10 Jahre Perspektive 21 Heft 35 Heft 36 Den Rechten keine Chance Energie und Klima Heft 37 Heft 38 Das rote Preußen Osteuropa und wir Heft 39 Bildung für alle Heft 40 Heft 41 Eine neue Wirtschaftsordnung?


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