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Mensch Marx! S

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Kulturfonds S

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Karl, der Rauschebart

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Als die Stadt Trier 2018 den 200. Geburtstag ihres berühmten Sohnes Karl Marx mit vier Ausstellungen und mehr als 600 Einzelveranstaltungen feierte, stach unter den zahlreichen Veröffentlichungen eine Publikation besonders heraus: „Wie der Wein Karl Marx zum Kommunisten machte“.

Das im Eigenverlag herausgebrachte Werk, das bereits 2017 zum 199. Geburtstag erschien, zeigt auf, dass Marx nicht nur Weintrinker und zeitweilig Mitbesitzer eines Weinbergs war, sondern auch in seiner Eigenschaft als Chefredakteur der Rheinischen Zeitung aktiver Streiter für die oftmals verarmten Moselwinzer – zugleich Marxens erste Berührung mit seinem späteren Lebensthema Nationalökonomie.

Aus dieser Konstellation machte der in Trier lebende Jens Baumeister ein spannendes und unterhaltsames Buch – Anlass für das Magazin WIESBADENER*IN, den Autoren, der zugleich Kunsthistoriker, Weindozent, daneben VHS-Dozent, Gästeführer und Ausbilder von zukünftigen Stadtführer*innen ist, zu einem Gespräch in der Domstadt an der Mosel zu treffen.

Das mittlerweile preisgekrönte Buch – siehe weiter unten – war ursprünglich für den regionalen Markt vorgesehen, doch das Jubiläumsjahr 2018 sorgte für beachtliche Verkaufszahlen, machte den Titel weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und brachte die Autoren zahlreiche Anfragen zu Lesungen aus ganz Europa und sogar China.

Und auch wenn es anfangs nicht so geplant war, veröffentlichte er, zusammen mit seiner Frau als CoAutorin, im Laufe der Jahre weitere Marx-Bücher: „Karl Marx zwischen Pfandhaus und Champagner“, „Weinfreunde Marx und Engels“ und derzeit in Vorbereitung: „Wir haben ja immer noch Paris. Marx & Engels in der Ville Lumière“.

1989 kam Jens Baumeister nach Trier, um zuerst Wirtschaftswissenschaften und Geografie, später klassische Archäologie und Kunstgeschichte zu studieren. Karl Marx war ihm allerdings schon während der Schulzeit am Wirtschaftsgymnasium über den Weg gelaufen, dank eines streng neoliberal eingestellten Lehrers, der einige MarxTexte zur Pflichtlektüre erhob, mit dem Argument, dass man wissen müsse, wie der Klassenfeind denkt.

Als er dann in Trier als Gästeführer sein Studium finanzierte und als erster eine Weinführung kreierte, kam er auf die Idee, nach einer Verbindung zwischen dem Rebensaft und dem am Ort stets präsenten Philosophen zu suchen.

Mensch Marx!

Oder: Wie eines der ältesten Kulturgetränke der Menschheit eine nachhaltige politische Wirkung erzielte

Dabei stieß er auf Lücken in den bestehenden Marx-Biografien. Über die Frühzeit in Trier, das Marx im Alter von 17 Jahren verließ, war kaum etwas bekannt. Und so entstand der Plan, über den Menschen Marx zu recherchieren, was sich mit der Beobachtung des Autors deckte, dass die Besucher in Trier sich nicht so sehr fürs Manifest interessierten, sondern lieber der Person Marx näherkommen wollten – sowie ein Tourist aus Texas, der in den 70er Jahren Trier besuchte und viel Geld bot, um eine Nacht in Marx‘ Bett schlafen zu dürfen. Baumeisters Anspruch ist es dann auch, für ein breites Publikum zu schreiben, Themen anzusprechen, die nicht so geläufig sind, wissenschaftliche Unterhaltungsliteratur zu bieten, die präzise recherchiert ist, aber ohne Fußnoten, Anhänge und Literaturliste auskommt. Und dem Buch einen Titel zu geben, der neugierig macht.

Und wie reagierte der Klassenfeind auf das Werk?

Mehrmals hielt Baumeister im Ostberliner Karl-Liebknecht-Haus vor gestandenen Altkommunisten Vorträge und erinnert sich, dass manche Zuhörer sehr gerührt waren, wie ein junger Mensch aus dem Westen so fundiert über „ihren“ Marx erzählen konnte. Zum Geburtstag bekommt man in der Regel Geschenke, und so geschah es auch am 5. Mai 2018. An diesem Tag, dem 200. Marx-Geburtstag, wurde in Trier eine 5,50m hohe Bronzeskulptur feierlich enthüllt – ein Geschenk Chinas an dessen Geburtsstadt.

Der chinesische Botschafter in Berlin, Shi Mingde, bezeichnete die Statue als „Zeugnis unseres freundlichen Austausches“. Damit wolle die Volksrepublik „dem großen Karl Marx unseren Respekt und das Gedenken Chinas und der chinesischen Bevölkerung vermitteln“. Unter den zahlreichen Ehrengästen aus China war auch die Spitzenwinzerin Wang Fang, liebevoll „Crazy Fang“ genannt, die in der

Autor Jens Baumeister

Region Ningxia für den Weinanbau zuständig ist. Die Weingutsbesitzerin, die auch deutsch spricht, entdeckte das Buch von Baumeister, war sofort begeistert und setzte sich in den Kopf, es auf Chinesisch zu publizieren. Der Kontakt brachte dem Autor noch im gleichen Jahr eine Einladung ins „Reich der Mitte“, wo er u. a. Bekanntschaft mit chinesischem Wein machte.

Drei lange Jahre dauerte es, bis die chinesische Ausgabe auf den Markt kam – die staatliche Zensur passte den Text chinesischen Vorstellungen an. Vor allem Marx‘ Ideen über die Bekämpfung der Zensur kamen hier erwartungsgemäß nicht gut an. Die Nachricht der chinesischen Übersetzung sprach sich herum bis zu Edouard Cointreau, dessen Familie den gleichnamigen, berühmten Likör erfand, und der 1995 den Gourmand World Cookbook Award ins Leben rief – ein internationaler, jährlich ausgeschriebener Preis, der die besten Koch- und Getränkebücher der Welt in unterschiedlichen Kategorien auszeichnet. Bei einem seiner Besuche in China wurde er auf das Buch aufmerksam, nominierte es für den Award 2022 und lud Baumeister nach Schweden zur Verleihung ein. Mit einiger Verspätung kam der Autor dort an – um 0.45 Uhr Ortszeit bei strahlendem Sonnenschein. Untergebracht wurde er im „Gamla Fängelset“, einem ehemaligen Gefängnis aus dem 19. Jahrhundert.

Es heißt ja immer, zur Biographie eines echten Intellektuellen gehöre auch ein Gefängnisaufenthalt. Marx selbst hat übrigens nur eine einzige Nacht im Knast verbracht – in Brüssel –, Baumeister bereits drei Tage und vier Nächte. Die Veranstaltung rund um die Verleihung der Gourmand Awards dauerte insgesamt vier Tage und fühlte sich für Baumeister ein wenig an wie ein großes internationales Familientreffen. Es waren Teilnehmer aus mehr als 60 Nationen und allen fünf Kontinenten in Umeå. Zu seiner Überraschung gewann sein Buch den Gourmand Award als weltbestes Buch in der Kategorie „Drinks History“.

Tatsächlich hatte er sich keine großen Chancen ausgerechnet den Preis zu gewinnen, da die anderen acht in seiner Kategorie nominierten Bücher allesamt in renommierten Verlagen publiziert

wurden: Oxford University Press, CNRS Paris (Centre national de la recherche scientifique), De Gruyter und Harvard University Press. Umso größer war die Freude, den 1. Platz erreicht zu haben. Und eine Veröffentlichung in Englisch ist nun in greifbare Nähe gerückt. Zurzeit arbeitet Baumeister an zwei Büchern, eines davon trägt den Titel „Wir haben ja immer noch Paris. Marx & Engels in der Ville Lumière“.

In Paris, das der Autor aus einer Zeit als Reiseleiter sehr gut kennt, hatte Karl Marx nicht einmal zwei Jahre gelebt, doch diese Zeit war für den Philosophen sehr prägend, professionell wie privat. Hier beschäftigte er sich intensiv mit der Wirtschaftslehre, wandelte sich vom Radikaldemokraten zum Kommunisten, lernte er seinen kongenialen Freund Friedrich Engels kennen und wurde Vater. Ohne Zweifel war die französische Metropole der genius loci des Karl Marx.

Das andere Projekt beschäftigt sich mit einem fiktiven Helden. „Weder geschüttelt noch gerührt. Wein trinken wie James Bond“ heißt der Titel des Buches, in dem es unter anderem darum geht, dass der Agent in den Filmen nicht nur Wodka-Martini, sondern auch erlesene Weine trank.

Dabei ist nach Baumeisters Einschätzung James Bond gar nicht so weit weg von Karl Marx, der einst sehr eingängig den Fetischcharakter der Waren beschrieb. Es geht ums Habenwollen, und da ist James Bond der Protagonist, der diese Haltung wie kein zweiter verkörpert. Nirgendwo wird der Fetischcharakter der Waren so hemmungslos zur Schau getragen wie in den James Bond Filmen.

„Weder geschüttelt noch gerührt…“ verspricht ein spannendes und unterhaltsames Werk zu werden; erscheinen soll es nächstes Jahr.

Mit einem Zitat aus dem Marxwerk „Die deutsche Ideologie“ verabschiedete Jens Baumeister uns: „In der Kommunistischen Gesellschaft ist es möglich, heute dies und morgen jenes zu tun – morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirte oder Kritiker zu werden“. Es ist diese Idee, dass jeder seinen Interessen nachgehen kann, statt sich nur mit einer einzigen Sache zu beschäftigen. Warum also nicht erst Marx, dann Bond?

Weitere Infos zum Autor findet man unter:

www.baumeisterundbaumeister.com

„Hoch sollen wir leben, hoch wollen wir leben, 175 mal hoch!“ Wenn ein Doppel-Jubiläum kein Grund für zünftiges Feiern ist: Der Nassauische Kunstverein Wiesbaden – am 16. Juli 1847 im Herzogtum Nassau von Wiesbadener Bürgern als „Gesellschaft der Freunde bildender Kunst“ gegründet – zelebriert „175 JA!re“. Und der 60 Geburtstag der FLUXUSInternationale Festspiele Neuester Musik, die 1962 mit der spektakulären Pianodestruktion für Furore sorgten und zum respektlosen Bürgerschreck taugten, wird erst recht bejubelt.

Denkmalschutzgerechter Innenausbau und Aufzug kosteten 80.000 Euro, die Kommune gab 278.000 Euro, der „Rest“ sind Spenden. Der Erbbaurechtsvertrag für die ansehnliche Altbauvilla wurde schon 2007 bis ins Jahr 207 geregelt. Ein Prosit auf die kommenden 25 Jahre, beim 200. Geburtstag sehen wir weiter. Draußen vor der Tür erinnert die Openair-Möblierung „uns Eingeweihte“ an das Goldjubiläum 2012 und den legendären „Identical Lunch“ nach Alison Knowles uff de Gass - damals die ganze Strecke zwischen Museum und NKV. Die fluxiv-virtuosen Weibs-Bilder waren beim 50. Wiegenfest zu kurz gekommen. Trotzdem ist die OpenairPerformance von Alison Knowles am Museum unvergesslich. „Occupy Fluxus“ - Fluxus geschieht nicht auf glatten, gewöhnlichen Wegen“ verkündete der sitzende Goethe vor zehn Jahren. Am 14. Juli 2022 – ja, am französische National-Feiertag - wurde jetzt der runderneuerte NKV mit gebührendem Tamtam wiedereröffnet. Die dreiteilige Ausstellung „FLUXUS SEX TIES – Hier spielt die Musik“. Okkupiert das ganze Haus. Respekt. Es ist vollbracht - der NKV hat endlich (s)einen Aufzug und ist barrierefrei. Eine illustre Schar war zum Gratulieren da. FLUXUS-Veteran Eric Andersen kam aus Dänemark und aus Holland kam Harry Ruhé, Insider und „lebende Infosäule“ von 2012. In der Schau prominent vertreten, brachte Fluxuskünstlerin Ann Noél einen fluxistischen Toast aus. OB Gert-Uwe Mende überreichte die Goldene Stadtplakette mit symbolischen „Brillanten“, sprich Zirkonia-Steinen. Und noch ein Jubiläum: Seit 20 Jahren prägt Elke Gruhn, international vernetzte Kunsthistorikerin vom Niederrhein mit einem Händchen für Talente und Kooperationen, höchst erfolgreich die Geschicke des NKV. Der NKV-Vorstand sagte Danke „durch die Blume“. Das benachbarte Museum war mit Chef Dr. Andreas Henning und den Kuratoren Dr. Jörg Daur & Dr. Peter Forster sowie der „Guten Seele des Hauses“ Walter Büttner gut vertreten. Exground-Chefin Andrea Wink und Fluxusfreunde wie Gerrit van Velsen und Jockel Kroecker feierten mit. Young Fluxus from Frankfurt – Studierende der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Ffm. präsentierten „klassische“ Fluxus-Partituren. Fluxus-Mutter Gaia saß locker auf der Treppe, plauderte aus dem Nähkästchen und über ihren „Tristan-Akkord“. Mary Bauermeisters Komposition wurde vom „Broken Frame Syndicate“ intoniert, das als Marchingband durchs Treppenhaus mäanderte. Das weckte Erinnerungen an den Super-Tuesday Anno 2012 von Fluxus-Mitgründer Ben Patterson, der damals den kompletten NKV bespielte und höchstpersönlich den „Akt eine knarrende Holztreppe im NKV herabsteigend“ gab. Alt-OB Achim Exner war „mit`m Radl da“ und plauderte mit Kunstmäzen Frank Brabant. Mit Margarethe Goldman und Rita Thies schauten zwei frühere Kulturdezernentinnen rein. Fluxus-Künstlerin Takako Saito zeigte sich strahlend als Bad Girl. Groß und Klein machte mit bei ihrer köstlichen Performance „Pi Pa Po!“ Lauthals freute sich ein Gast:„Das ist ja wie Kindergeburtstag!“ Alles Fluxus eben.

„Hier spielt die Musik!“ Und ob! Fluxus-künstlerin Ann Noél zeigt neben kreativ gestalteten Nachtschränkchen als Hommage an Kolleginnen wie Yoko Ono & Co. ein hinreißend gestaltetes Piano im Nassauischen Kunstverein

Ein Jubiläum mit Aufzug und „Pi, Pa, Po“

Nassauischer Kunstverein zelebriert 175. Geburtstag und 60 Jahre Fluxus Wiesbaden im Doppel-Pack

„Bis bald, liebes Spielhaus!“ Mit persönlichen Anekdoten, Zeichnungen und Grüßen verabschiedete sich das Publikum vom angejahrten Theaterbau vor der Generalsanierung.

Schwanengesang mit Speed und ein Abschied mit Aussicht

Nationaltheater Mannheim macht sich mit einem neuen „Ring“ im Herbst „Auf zu neuen Ufern“

Tosender Applaus im Opernhaus am Mannheimer Goetheplatz. Das gesamte Ensemble wurde bejubelt. Opernintendant Albrecht Puhlmann sagte GMD Alexander Soddy, der „unfassbar Tolles geleistet“ habe und als Konzertdirigent noch eine Spielzeit wirkt, zum Abschied Danke durch die Blumen.

Durch die musiktheatrale „Götterdämmerung“ in der performativ-installationsfreudigen Sicht von Yona Kim und den Kampf um den Ring des Nibelungen endete vorerst die Geschichte von Göttern und Menschen. Mit der letzten Opernpremiere hat auch der marode Bau fertig: „Bis bald, liebes Spielhaus!“ Das NTM wird in voraussichtlich fünf Jahren runderneuert und machte mit gebührendem Tamtam die Schotten dicht. Gäste aus Wiesbaden hielt auch das Chaos der Bahn von der Dernière nicht ab. Die Abschiedstafel animierte zu persönlicher Botschaft: „Die Musik und der Tanz waren immer schön. Das Schauspiel seltsam und lustig!“ Im Foyer lud die großformatige Fotoschau von Hans Jörg Michel zur facettenreichen Seh-Reise durch „7 Jahre Theaterfotografie“ mit eindrucksvollen Augen-Blicken. Das Festwochenende frönte mit Blick auf die Interimszeit der Devise: „Auf zu neuen Ufern“. Im Jungen NTM Alte Feuerwache und im Studio Werkhaus geht es weiter wie gehabt. „Wir ziehen mit Euch um die Häuser!“ Als Spielstätten empfehlen sich für Oper, Tanz & Schauspiel die OPAL-Halle am Luisenpark, das Alte Kino Franklin, das NTM-Tanzhaus Käfertal, der Pfalzbau Ludwigshafen und das Schlosstheater Schwetzingen. Mit Karacho nahm die brillante Ballettkompanie Abschied und zauberte den furiosen Doppelabend „Speed“ aus dem Hut. Ein Faszinosum mit Langzeitwirkung: Alles dreht sich um Zeit. Tanzintendant Stephan Thoss reizt mit seinem „Short Play“ vor XXL-Ventilatoren unter kühl weißem Lichtobjekt musikalisch-dynamische Optionen aus, mixt Zeitebenen und Genderrollen auch in den Kostümen, gibt Hektik

Zum Schwanengesang hatte die Opernsparte geladen, Wagners „Ring“ geschmiedet und die Premiere von Wagners „Götterdämmerung“ am letzten Abend auf die Bühne gebracht. Das Publikum stärkt sich Open air in der Pause.

Im unteren Foyer mit seinen architektonischen Besonderheiten und den Designersesseln zum Hineinsinken verabschiedete sich Theaterfotograf Hans Jörg Michel mit der großen Bilderschau „7 - Siebenunddreißig Jahre Theaterfotografie“ in den Ruhestand.

und Ruhe, Ironie, Groteske, Sein und Schein gebührend tänzerischen Raum. Szenischer Witz ist Trumpf. Faust-Preisträger Thoss hatte vorab in der „Begegnung“ mit den Freunden und Förderern des NTM sympathisch locker ins Nähkästchen geblickt. Eine Klasse für sich: 2014 uraufgeführt, machte das neu einstudierte Tanzstück „Kosmos“ des vielfach ausgezeichneten griechischen Choreografen Andonis Foniadakis schon beim Zusehen atemlos. Bodypercussion und vulkanisch explosive Rasanz, kräftezehrender DerwischTanz und waghalsige Pirouette. Der hinreißende Doppelabend wurde ausdauernd bejubelt und sollte unbedingt weiter gezeigt werden. „Zu End ewiges Wissen“.16 Stunden Musik, inzestuöse Familiendramen zwischen Nibelheim und Walhall. Macht, Liebe und Gewalt. Die Götterdämmerung beginnt ja schon im Rheingold. Der Rhein fließt, die Götter gehen unter. Brünnhilde allein zu Haus – ein starkes Bild. Yona Kim zeigt Wagners Menschendrama nicht naturalistisch als frisches Musiktheater-Erlebnis auf der Bühne, im Graben und im Saal, mit Livekamera (Benjamin Lüdtke) unterstützt. Auch Instrumente „performen“, das NTM-Orchester entfaltet dynamisch Wagnersche Klangpracht. Für vokalen Glanz und ausgezeichnete Verkörperung stehen Lise „Brünnhilde“ Lindström, Jonathan „Siegfried“ Stoughton, Joachim „Alberich“ Goltz, Patrick „Hagen“ Zielke, Astrid „Gutrune“ Kessler, Thomas „Gunter“ Berau und die Rheintöchter Mirella Hagen, Rebecca Blanz & Maria Polanska. Der „neue Mannheimer Ring“ gastiert im Oktober in Daegu/Südkorea.

Text und Fotos: Gesine Werner

Die historische Villa im Nerotal war die längste Zeit das noble Domizil der Arbeiterwohlfahrt Wiesbaden. Wohl im Herbst steht ein Umzug in angemessen kleinere Räumlichkeiten an.

Ein Möchtegern-„Doktor“ und ein Problembär ohne Scham oder Schuldbewusstsein

Arbeiterwohlfahrt kommt nicht aus den Schlagzeilen heraus

Die unendliche Geschichte der Skrupellosen vom Stamme Nimm zieht sich in Wiesbaden und Frankfurt weiter hin und sorgt zuverlässig für Schlagzeilen. Ein „Problembär“ ohne Scham und Schuldbewusstsein ist Frankfurts OB Peter Feldmann. Der „Sonnenkönig im Sumpf“ (Spiegel 21/2022) ist wegen Vorteilsannahme im Amt angeklagt, klammert aber und muss sich der Abwahl stellen. Kostenpunkt 1,6 Millionen. Immerhin wurden alle Prozesse der AWO Wiesbaden in punkto Rückzahlungen ungerechtfertigter Gehälter und Honorare gewonnen, vermeldete KreisverbandsChef Wolfgang Hessenauer. Das Arbeitsgericht Wiesbaden verurteilte Hannelore Richter zur Rückzahlung von 750.000 Euro. Scheinarbeitsverhältnisse der AWO Wiesbaden fliegen auf, die Rückforderungen sind rechtens: Das Arbeitsgericht Freiburg verurteilte die Tochter des Ex-Stadtverordneten Wolfgang Gores zur Rückzahlung von 70.000 Euro nebst Zinsen. Das Arbeitsgericht Wiesbaden gibt der Frankfurter Immobilienmaklerin Melanie Roth die Rückzahlung von 116.000 Euro auf. Gegen die Ehefrau des früheren AWO Frankfurt-Kitaleiters Klaus Roth erhob die Staatsanwaltschaft Ffm. Anklage vor dem Schöffengericht wegen Beihilfe zur Untreue: 28.600 Euro Honorare ohne Gegenleistung. Die AWO Ffm. erweiterte die Schadensersatzklage gegen Jürgen Richter, dessen Frau Hannelore und Andere. Hier stehen 6, Millionen Euro Schadensumme im Raum. Von wegen „Doktor“: Das Amtsgericht Ffm verurteilte Ex-AWO-Boss Richter als angeblichen „Doktor“ wegen Titelmissbrauchs zu 80000 Euro Strafe. Das „Minijob-System“ der früheren AWO-Spitze und Verdachtsmomente gegen Stadtrat Christoph Manjura sind ungeklärt. Der Revisionsausschuss sollte auf Auskunftspflicht des Magistrats bestehen. Neu bei der AWO Wiesbaden ist Geschäftsführer Bastian Hans. Der Diplom-Kaufmann aus Goslar mit breiter Erfahrung (Wohlfahrtsverband und Privatwirtschaft) steht für „Transparenz“ und will die Bedeutung von Ortsvereinen und Ehrenamt wertschätzen.

Text und Foto: Gesine Werner

„Die Welt zu Gast in Wiesbaden“

Callas, Nurejew, Caruso und das „Fenster zum Osten“

Sonderschau „Vorhang auf!“ des Stadtmuseums am Markt flankierte in der Kurhaus-Kolonnade die Internationalen Maifestspiele 2022

Die Callas als „Begrüßungskomitee“ draußen vor der Tür der Kurhaus-Kolonnaden.„Vorhang auf!“ war die vom IMF-Förderkreis angeregte Sonderschau des sam - Stadtmuseums am Markt betitelt. Eine gut recherchierte „Seh-Reise“ in die 125- jährige Geschichte der Internationalen Maifestspiele - auf kaiserlichen Wunsch von Willem Zwo 1896 ins Leben gerufen - flankierte die Vorstellungen im Musentempel. Auch hier wurden pandemiebedingt „125 Jahre plus Eins“ der Festspiele zelebriert. Schirmherr der Sonderschau war Ministerpräsident Volker Bouffier, der Kulturfonds Frankfurt RheinMain förderte.

Vorhang auf! Nein, Box-Ikone Max Schmeling sang nicht in den IMF und Big Caruso war erst im Oktober 1908 als Rigoletto in Wiesbaden. Und Benito Mussolini? Der diente als Vorbild der Kurz-Oper „Der Diktator“. Doch Rudolf Nurejew zeigte mit dem Royal Ballet London den „Korsaren-Sprung“, zwei Jahre nach der Flucht.

Kuratorin Dr. Vera Klewitz scheute den assoziativen Bogen nicht, präsentierte auf dem Roten Teppich auch fiktive Tagebücher. Ein Zeitstrahl führte von „Des Kaisers neue Festspiele“ und „Neuerfindung und Gleichschaltung“ sowie „Völkerverständigung und Kalter Krieg“ bis zu „Visionen und neue Wege“. Als „Fenster zum Osten“ waren die IMF bis 1989 wichtig. Eingeweihte schwelgten in Erinnerungen - Alternative Maifestspiele! - und entdeckten Bekannte auf Fotos. Figurinen, Requisiten technisches Gerät und Hör- und Videostationen informierten. „Bühnen-Bilder“ konnten betreten werden, „Fidelio“-Kostüme luden zum Anprobieren. „Historische Personen“ plauderten aus dem Nähkästchen. Ein Wieder-Sehen mit der Installation des „lupenreinen Demokraten“ und Gazprom-Aufsichtsrat Gerhard Schröder, der beim Gastspiel des GogolCenters Moskau im Mai 2018 als „Geisel“ für Kirill Serebrennikow dienen sollte, bot die Schau auch.

Text und Foto: Gesine Werner

Zur Eröffnung der großen Landeschau „Der Untergang des römischen Reiches“ befasste sich Prof. Dr. Marcus Trier, Direktor des RömischGermanischen Museums Köln in seinem anschaulichen Vortrag mit der Römischen Nachbarprovinz Colonia im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. und wird auf dem Bild von Kuratorin Dr. Ellen Riemer und Landesmuseumsdirektorin Dr. Birgit Heide flankiert.

Einblicke in versunkene Welten

Spannende Ausstellungen und Vorträge im Landesmuseum Mainz

Publikumsliebling „Kelti“, der winzige Glashund aus Wallertheim, hat sich mit anderen „Schätzen“ der Sonderschau zum 75. Geburtstag des Landes RheinlandPfalz aus der Großen Bleiche verabschiedet. Jetzt laden hier „High Tech Römer“ zur Bekanntschaft mit dem „Phänomen römischer Erfindungen“ ein. Das Landesmuseum Mainz steht für Kunstschätze aus frühester Siedlungszeit bis in die Moderne und offeriert die Sonderausstellung „Niedergang oder Neuanfang? – Mainz und Köln zwischen Antike und Mittelalter“. Die von Dr. Ellen Riemer kenntnisreich kuratierte Schau in Kooperation mit dem Römisch-germanischen Museum Köln zeigt erlesene Exponate des spätantiken Mainz. Die Schau flankiert als Begleitprogramm die große Landesausstellung „Der Untergang des Römischen Reiches“ im Rheinischen Landesmuseum Trier. Eine breit gefächerte Vortragsreihe bietet Einblicke in längst vergangene Zeiten. Es ging um das römische Militär, spätantike Grenzsicherung am Mittel- und Oberrhein, Entstehung und Entwicklung des Christentums in Mainz und das spätantike Theater von Mainz. Über „das spätantike Köln im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr.“ informierte erfrischend anschaulich Prof. Dr. Marcus Trier aus Köln. Der Direktor des Römisch-Germanischen Museums Köln bekannte sich schmunzelnd zu „missionarischer Archäologie“. Bislang wurden In archäologischen Grabungen 1,8 Millionen Objekte geborgen. Die rund 87.000 Amphorenteile fanden als „Plastiktüten der Antike“ Verwendung. Colonia am Rhein war Hauptstadt der Rheinfranken und Bischofssitz sowie Zentralort zu Beginn des 6. Jahrhunderts im Großreich des Salfranken Chlodwig aufgegangen, blieb administratives, wirtschaftliches, religiöses und kulturelles Zentrum im Nordwesten des Imperiums Romanum Am 0. August informiert Dr. Marion Witteyer über „Orte der Toten“, am 27. September geht es um das „Kastell Alzey und die Spätantike in Rheinhessen“. Am 25. Oktober stellt Dr. Guido Faccani aus Basel die rhetorische Frage: „Spätantike unter St. Johannis? Das auch noch…“ Die Vorträge im Landesmuseum finden nach Möglichkeit hybrid statt.

anmeldung@gdke.rlp.de www.landesmuseum-mainz

Ein Fingerschnipsen als Anfang: Der humorvolle irische StarChoreograph Michael Keegan-Dolan inszeniert mit seiner Companie Teac Dansa – Haus des Tanzes die gefeierten Produktionen wie MAM in intensiven Gemeinschafts-Improvisationen.

Ein berührendes Gesamtkunstwerk

Die irische Companie Teac Damsa fasziniert mit der Inszenierung MAM

So geht Irish Dance heute: Solo, getanztes Duett, Ensembleszenen, folkloristische Elemente und zwölf tänzerische kraftvolle Individuen. Mitreißend, Mythen erzählend, zutiefst berührend und exzellent getanzt ist „MAM“. Augenschmaus und Ohrenfreude. Großen Anteil am Erfolg hat der Konzertina-Virtuose Cormac Begley mit dem Musikkollektiv stargaze. Die erkennbare Gemeinschafts- Inszenierung der irischen Companie Teac Dansa („Haus des Tanzes“) und ihres feinfühlig humorvollen Star-Choreografen Michael Keegan-Dolan war 2020 für den Laurence Olivier-Award als beste Tanzproduktion nominiert. 2021 nominierte der Critic`s Circle das Stück gleich doppelt für den National Dance-Award. Mit dem exzellenten Werk „MAM“, das viele Stühle, einen Widderkopf und spannende Performance-Elemente aufweist, auch das zehnjährige Töchterchen Ellie Poirier-Dolan als naives Kind oder kecke Göre mitwirken lässt, sorgt Teac Damsa nach der Premiere beim Dublin Festival 2019 für Furore. Prima Idee, das Publikum durch die prägnante Filmdoku „The Dance“ von Pat Collins in der Caligari FilmBühne vorab mit dem bodenständigen Starchoreografen und seinem internationalen Ensemble bekannt zu machen. Mit der Produktion „Rian“ war der Choreograf, der Pina Bausch als „Inspiration“ schätzt, 2012 erstmals in Wiesbaden. MAM entsteht in acht intensiven Arbeitswochen. Improvisationen. Gemeinsames Leben und Proben in ländlicher Abgeschiedenheit, das Stück entwickelt sich geradezu organisch und gibt individuellen Impulsen viel Raum. „A bunch of people enjoy!“ Ein Fingerschnipsen zum Anfang. Behutsamkeit und Respekt, spontane Einfälle, meditative Elemente und spielerische „Kämpfe“ ziehen das Publikum in Bann. Der Beifall hat Sturmstärke.

Text und Foto: Gesine Werner

Bei Händels „Il Trionfo del tempo del Disinganno“/ „Triumph der Zeit und der Enttäuschung“ im Leibniz-Zentrum für Archäologie“ ist der chinesische Regisseur Chang Tang der feinfühlige Spielleiter.

Spiel-Raum für Rob und Händel

Neues Leibniz-Zentrum für Archäologie als Filiale des Staatstheaters Mainz

Das Römisch-Germanische Zentralmuseum - LeibnizZentrum Forschungszentrum für Archäologie hat „fast fertig“ und wird vor seiner offiziellen Eröffnung im Frühjahr 202 einem Stresstest unterzogen: Das Staatstheater Mainz bespielt eine neue „Filiale“. Während der zweiten Theatertage Rheinland-Pfalz hatte Regisseur Wolfgang Menardi die anspruchsvolle Architektur die Kulisse für seine Inszenierung von Efthymis Philippous „Rob“, angelehnt an „Roberto Zuco“ von Bernard Koltés aus den Neunzigern, geboten. Die Zeit ist nicht nur „ein sonderbar Ding“, wie die Rosenkavalier-Marschallin weiß. Sie kann auch als winziges Korn aus einer XXL-Sand-Uhr rieseln, an eine Wüste denken lassen und vor partiell spiegelnder Wand und „Vorhang“ aus Blüten sichtbar werden. Georg Friedrich Händels Oratorium „Il Trionfo del tempo del Disinganno“/ „Triumph der Zeit und der Enttäuschung“ passt bestens in ein Archäologie-Zentrum. Klug nutzt Christophe Oouvrad auch die Freitreppe als Bühnen-Bild. Carlos Wagners Inszenierung mit asiatisch anmutender und tänzerischer Personenführung (Butoh-Coach Tadashi Endo) geht unter die Haut. Mit vokaler Brillanz und anrührender Gestaltung begeistern „Schönheit“ Alexandra Samouilidou, „Enttäuschung“ Sonja Runje, „Piacere“ Karina Repova und „Tempo“ Bryan Lopez Gonzalez in den „sprechenden“ Kostümen von Angelo Alberto. Das Philharmonische Staatsorchester unter GMD Hermann Bäumer spielt in Höchstform. Als einfühlsamer Spielleiter sorgte der chinesische Regisseur Chang Tang, auch an der August EverdingTheaterakademie München engagiert, mit viel Fingerspitzengefühl hinter den Kulissen für den perfekten Ablauf. Das Publikum applaudiert allen Mitwirkenden begeistert. Derweil ist „Abschied und Aufbruch“ das Motto im geschlossenen Museum für antike Scbifffahrt. Nach fast 0jähriger Geschichte wird die Dauerausstellung umgebaut. 202 soll Eröffnung der Ausstellung sein.

Text und Foto: Gesine Werner

Das Wolferl ist quicklebendig und kann sogar noch Dirigent! Mit einer pfiffigen „Welturaufführung“ überraschte das Allroundtalent Chris Pichler im ausverkauften Prunkfoyer des Musentempels. Bestens disponiert, legten sich Haydn-Ensemble und Goldkehlchen Gloria Rehm bei der „Zugabe“ nochmal tüchtig ins Zeug.

Mozärtliches Vergnügen mit Welt-Uraufführung

Chris Pichler & Haydn-Ensemble Wiesbaden bezaubern im Theaterfoyer

„ich bin a Narr. Des is bekannt.“ Genau so kann ein mozärtliches Sternstündlein anfangen, das als Finale mit einer „Welturaufführung“ überrascht. Mozart kann Dirigent! Der Funke springt sofort über die Rampe und macht brieflich „textil“ oder nach Noten mit dem genialischen Wolfgang Amadee Mozart und dessen Mädels auf köstlich unterhaltsame Art bekannt. „Mozarts Frauen“: Das Vergnügen ist eine szenische Steilvorlage, als „Lesung mit Musik“ unzureichend betitelt. Nannerl, Bäsle, Stanzerl. Das Weaner Allroundtalent Chris Pichler zelebriert nach eigenem Konzept in Rokoko-Kostüm und Strubbelmähne - life gepudert - genüsslich den charmant frechen Kobold Wolferl, trauernden Sohn, verliebten Ehemann und Sottisen verteilenden Komponisten. Ein wunderbares Wiedersehen (und -Hören) mit perlenden Sopran-Koloraturen aus der „Entführung“ bescherte Faust-Preisträgerin Gloria Rehm (Die Soldaten). Goldkehlchen Rehm & Chris Pichler präsentierten sich schon mehrfach als perfektes Gespann. Das Haydn-Ensemble Wiesbaden mit Ausnahme-Pianistin Erika LeRoux am höchst wohltemperierten Klavier, Thomas Richter an der Querflöte, Violine Uta Lorenz & Judith Hiller-Schumann, Viola Pamela Kremer, Violoncello Tobias Galler & Jochen Steinmetz am Kontrabass spielt hinreißend. Bei den IMF 2019 wurde Chris Pichler mit der Kammermusikvereinigung im 24Stunden-Mozart-Marathon mit „Amadeus! - Wolfgang in Deutschland, Amadeo in Italien de Mozartini“ gefeiert. In der Matinee der Jubiläums-IMF amüsierte sich das aufgekratzte Publikum wie Bolle. Standing ovations und Bravorufe. Die Neun von der Klangstelle kamen nicht ohne Zugabe davon: Wolferl leiht sich die Krücke eines Herrn aus, Mozart hat einen „Taktstock“ und gibt den Dirigenten. Da capo!

Text und Foto: Gesine Werner

Otto Katzameier, als stimmgewaltiger Bassbariton und vielschichtig agierender „Tod“ im schwarzgefiederten Kostüm umjubelt, feiert die gelungene „Babylon“-Premiere mit Tänzerin Carla Peters in der Theaterkolonnade.

Babylon als Turmbau von Wiesbaden!

Spektakuläres Großprojekt von Jörg Widmann & Peter Sloeterdijk startet das Jubiläum der IMF 2022

Respekt. Als Eröffnungs-Schmankerl zum Jubiläum „125 plus 1“ gönnten sich die Internationalen Maifestspiele als drittes Haus nach der Münchner Uraufführung 2012 ein veritables Großprojekt. Hochkarätige Besetzung, zwei Chöre und mit Gongs, Schofaroth, Glasharfe und Akkordeon erweitertes Orchester in Hochform.

Auch hinter den Kulissen gingen sämtliche Gewerke mit Leidenschaft an ihre Grenzen und sorgten für ein erstklassiges Gesamtkunstwerk in sieben packenden Bildern. Der Schlussapplaus für alle Beteiligten, darunter Komponist-Klarinettist Jörg Widmann sowie Librettist Peter Sloeterdijk, hatte Sturmstärke. Die Ovationen wollten nicht enden.

Die biblische Turmbau-Geschichte ist mit der Lovestory von Priesterin Inanna (Sarah Traubel) und Exilant Tammu (Leonardo Ferrando) verschränkt. Mit der bildgewaltigen „Babylon“-Inszenierung und ausgefeilter Personenführung debütierte Regisseurin-Bühnenbildnerin Daniela Kerck, die zuvor mit den Schauspielen „Admissions“ und „The Minutes“ überzeugte, als Opernregisseurin von Format.

Abflughalle, unglückliche Liebe, Apokalypse, Tsunamiwellen des Euphrat, „Du wolltest, Himmel, selbst die Hölle werden…“ Unter der exzellenten musikalischen Leitung von Chordirektor Albert Horne überwältigte das brillant aufspielende Staatsorchester mit monumentaler Klangpracht, der Chor trumpft klangmächtig auf. Mit prachtvollem Gesang und darstellerischer Bravour betören auch die virtuose Andrea Baker (Euphrat), Countertenor Philipp Mathmann, Michelle „Seele“ Ryan, „Priesterkönig“ Claudio Otelli, „Priester“ Ralf Hachbauer, Publikumsliebling Stella An (Bote/Kind) und als clownesk agierender „Tod“ der Bassbariton Otto Katzameier. „Babylon“ – ein Opernhighlight mit Nachhall.

Text und Foto: Gesine Werner

Die City-Passage hat die längste Zeit den Charme von „Bonjour Tristesse“ ausgestrahlt. Läuft alles glatt, sind ab 2027 hier die „Mauritius-Höfe“ als attraktiver Innenstadt-Kiez am Start.

Langer Atem für das Herz der Stadt

Stadtentwicklungsgesellschaft SEG ist einen Schritt weiter mit den „Mauritius-Höfen“

„Wir entwickeln Wiesbaden!“ Die im Namen symbolisierte Devise setzt den sprichwörtlich „langen Atem“ gerade bei ambitionierten Großvorhaben voraus, welche die Stadtentwicklungsgesellschaft in Taten umsetzt.

Im Juli hatte sich (endlich) das Viererbündnis aus Grünen, SPD, Linke und Volt auf eine Kooperation geeinigt hat inklusive neuer Ressortzuschnitte. In dem fast 140 Seiten starken Kooperationsvertrag bekommen auch kostenintensive Großprojekte wie Walhalla, City-Passage/Mauritius-Höfe und Sportpark Rheinhöhe grünes Licht. Und trotz Haushaltssperre will die Landeshauptstadt Großprojekte wie Walhalla, Sportpark Rheinhöhe, Ostfeld-Erschließung rund Rathaus-Sanierung schultern.

Einen Schritt weiter ist die SEG in Sachen City-Passage, die nach rund sechs Jahren Leerstand abgerissen wird zugunsten der „Mauritius-Höfe“. Das Areal wird ein von Gassen aufgeteiltes Quartier mit Läden, Büros, Gastronomie, Wohnungen und einem Hotel. Der Kaufvertrag mit der Art-Invest Real Estate Management GmbH & Co. KG in Frankfurt (Kostenpunkt 27 Millionen Euro) wurde notariell beurkundet, gaben SEG und städtische Holding WVV gemeinsam mit der Käuferin bekannt.

Um ihre Interessen zu wahren, sicherte sich die Stadt mit umfangreichen Regelungen im Vertrag ab. Jetzt geht es in die Detailplanung und die Abstimmung mit Ämtern und Behörden. Laut Vertrag muss ein genehmigungsfähiger Bauantrag spätestens ein Jahr nach Beurkundung bei der Bauaufsicht eingereicht sein vom Projektentwickler. Läuft alles gut, machen die Mauritius-Höfe ab 2027 aus dem „Sorgenkind“ einen Anziehungspunkt in der „Herzkammer der Stadt“.

Text und Foto: Gesine Werner

Beim „Stadtarchiv-Fest zweiundzwanzig“ freuten sich Kulturdezernent Axel Imholz, Stadtarchivleiter Dr. Peter Quadflieg und FördervereinsChef Ulrich Kirchen über das Doppelte Jubiläum: Das Stadtarchiv ist seit 10 Jahren das „Gedächtnis der Stadt“ und die KunstArche feierte 10. Geburtstag.

Doppeljubiläum für Stadtgeschichte & Kunstnachlässe

Das Stadtarchiv Wiesbaden zelebriert 130. Geburtstag und die Kunstarche 10. Wiegenfest

Bei tropischen Temperaturen wurde im Stadtarchiv – dem Gedächtnis der Stadt - doppelt runder Geburtstag zweier Institutionen mit historischer Dimension gefeiert: Neben einer Fotoschau historischer Bilder aus 10 Jahren Archivgeschichte und einem Archivquiz mit Gewinnspiel wurde eine Performance von Bernd Brach und das Brettspiel „Unter den Eichen“ durch Studierende der Hochschule RheinMain präsentiert. Zwar war schon im 16. Jahrhundert der Uhrturm in der Marktstraße Lagerort für Urkunden. Erst im Jahr 1892 stellte die Stadt mit Christian Spielmann einen „Profi“ als Stadtarchivar ein, wie Kulturdezernent Axel Imholz ausführte. Der Stadtrat dankte in seinem launigen Grußwort dem Gründertrio und Felicitas Reusch für ihre ehrenamtliche Arbeit für die KunstArche, die vor zehn Jahren von den Künstlern Professor Wolf Spemann, Johannes Ludwig und Arnold Gorski gegründet wurde. Das Sammeln, Konservieren und Zugänglichmachen von Nachlässen verbindet die beiden Einrichtungen. Seit 2012 stellt die Stadt der KunstArche im Stadtarchivgebäude ein Domizil zur Verfügung. Das Sammeln von Nachlässen Wiesbadener Persönlichkeiten und das Sammeln von Kunstwerken als Nachlass - historische Perspektive und kunsthistorischer Blickwinkel am selben Ort habe sich „immer wieder als Glücksfall erwiesen“, führte der Dezernent aus. Auch dem rührigen Verein zur Förderung des Stadtarchivs, der unter dem Vorsitzenden Ulrich Kirchen wichtigen finanziellen und ideellen „Input“ leistet und demnächst ein Buch mit „Wiesbadener Geschichte/n“ von Zeitzeuginnen & Zeitzeugen herausbringt, erwies Axel Imholz Reverenz. Passend zum Jubiläum hatte das Team des Stadtarchivs doppelte Freude. Fachgerecht gesäubert und professionell verpackt, kamen knapp 100 historische Urkunden inklusive der Sonnenberger Stadtrechte von 151 ins Stadtarchiv retour. Die sogenannte Umbettung in säurefreie SpezialKartons sichert schonend die sicherste Aufbewahrung „für dieses unersetzliche Kulturgut“ freute sich Archivleiter Dr. Peter Quadflieg.

www.kunstverein-bellevue-saal.de

Text und Foto: Gesine Werner

Ein Abschiedskonzert mit langem Atem. Flötist Thomas Richter und die Kammermusikvereinigung Wiesbaden mit Dirigent Gregor A. Mayrhofer betören das Publikum im Prunkfoyer.

Klangvolles Schmankerl der Extraklasse

Abschiedskonzert von Flötist Thomas Richter mit Komponist Gregor A. Mayrhofer

„Composer in Residence – Gregor A. Mayrhofer” war der Titel. Und ein Sternstündlein bekam das begeisterte Publikum von Orchesterflötist Thomas Richter mit der Kammermusikvereinigung Wiesbaden und Pianist Levi Hammer an Klavier und Cembalo im ausverkauften Foyer geboten. Schostakowitsch trifft Gregor A. Mayrhofer, Thomas Larcher mit Deep Purple-Motiven trifft Franz Schubert. Naspa-Stiftung, Staatsorchester-Förderverein sowie Theaterfreunde Wiesbaden unterstützten und Vorsitzender Helmut Nehrbaß sagte Dank „durch die Blume“. Ausnahmemusiker Richter zelebrierte seinen „Schwanengesang“ als Porträtkonzert mit einem veritablen Absolventen der New Yorker Juliard School, Jahrgang 1987. Er stellte den vielfach ausgezeichneten Münchner Komponisten Gregor A. Mayrhofer auch als feinfühligen Dirigenten und exzellenten Pianisten mit Jazzfaible vor. Hochkarätern wie Kiril Petrenko, Andris Nelson und Paavo Pärt hat er assistiert. Und sein Klaviersolo „Finding Light“ ist nicht zufällig Sir Simon Rattle gewidmet. Sein „Held“ brachte ihn mit dem Film „Rhythm´ is it!“ zur Musik, holte ihn später als Assistent zu den Berliner Philharmonikern. Als Flötist spielte Thomas Richter seit 1984, also fast vier Jahrzehnte, im Hessischen Staatsorchester, schätzt „die wunderbar kollegiale Atmosphäre“ dort und viele „tolle Aufführungen in Oper und Konzert“. An der Musikhochschule München ausgebildet, gilt seine schon im Familienensemble geweckte Liebe der Kammermusik. Für das Orchesterspiel bei den Münchner Philharmonikern begeisterte ihn Sergiu Celibidache. Unvergesslich sind ihm Orchester-Mitwirkung in den Bayreuther Festspielen und Aushilfen in der Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim. Seit 1997 ist Thomas Richter in der Organisation der Kammermusikvereinigung aktiv (rund 400 Konzerte), spielte rund 80 Konzerte. Aktuell in diversen Formationen engagiert, hatte er sich mit dem Haydn-Ensemble Wiesbaden und Schauspielerin Chris Pichler in den IMF „Mozarts Frauen“ gewidmet. Jetzt ist Thomas Richter pensioniert, doch nicht im Ruhestand. Für 202 kündigte der Mann mit dem langen Atem und der brillanten Spieltechnik „ein Klimakonzert“ an mit der Kammermusikvereinigung.

Text und Foto: Gesine Werner

Er kam aus Hamburg angereist und fuhr mit zwei Preisen an die Waterkant retour: Oscarpreisträger Christoph Lauenstein bekam den Kulturamtspreis der Landeshauptstadt Wiesbaden und den Publikumspreis für seinen neuen Puppen-Trickfilm „People in Motion“.

Ein Oscar-Preisträger als Doppelgewinner

Das 23.Internationale Trickfilm-Festival Wiesbaden als „Sommer-Event“

Ein Hoch auf die Kunst der Animation - erstmals im Juni. Das Publikum des 2. Internationalen Trickfilm-Festivals Wiesbaden vergab die Preise an „Affairs of the Art“ von Joanna Quinn, an „La Bestia“ von Marlijn van Nuenen, Ram Tamez & Alfredo Gerard Kutikatt und an „People in Motion“ der Produktion Lauenstein & Lauenstein, wie Detelina Grigorova-Kreck verkündete. Die Filmexpertin ist zusammen mit Filmkoryphäe Joachim Kreck eingebunden in das Oral History-Projekt „Erlebte Geschichte & Geschichten“ des Fördervereins Stadtarchiv Wiesbaden. Das traditionsreiche Festival basiert auf Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Landeshauptstadt Wiesbaden, FBW, Omnimago GmbH und der Caligari FilmBühne.

Den Kulturamtspreis der LH Wiesbaden hatte Amtsleiter Jörg Uwe Funk persönlich überreicht an Christoph Lauenstein, Studio Lauenstein & Lauenstein Hamburg. Mit seinem Bruder Wolfgang 1989 Oscarpreisträger geworden, zeigte der sympathisch Bodenständige seinen Oscar-Film „Balance“ außer Konkurrenz – und heimste für seinen neuen Puppen-Trickfilm „People in Motion“ hoch verdient noch den Publikumspreis ein.

Als kulturpreisgekrönte „Freunde der Filme im Schloss“ zeigen die Krecks im Trio mit dem unverzichtbaren „Dritten Mann“ Michael O. Fechner am 2. September (19.0 Uhr) in frisch restaurierter 4K-Originalversion das legendäre Countrymusic-Epos NASHVILLE von Robert Altman.

Am 2. September (20 Uhr) kommt das amüsante RED ROCKET als erste Comedy von Sean Baker im englischen Original mit Untertiteln ins Filmschloss am Rhein.

www.filme-im-schloss.de

Text und Foto: Gesine Werner

Musik für Stielaugen und Spitzohren: „Wildes Holz“ ist einfach köstlich, grandios, phantastisch und höchst überraschend. Tobias Reisige bringt uns die Flöten-Töne bei, pfeift auch auf dem letzten Loch. Markus Conrads ist bass und bässer und Johannes Behr ist der viel-saitige Guitarrero.

Wildgeschnitztes grobes Holz

Furioses Klangfeuerwerk der Combo „Wildes Holz“ frenetisch gefeiert bei den IMF 2022

So ein Applausgewitter vom tüchtig aufgekratzten Publikum hat es im ausverkauften Prunkfoyer lange nich gegeben - und das bei den kaiserlichen Maifestspielen. Schuld war das „Wilde Holz“, das „grobe Schnitzer“ angekündigt hatte und sich als grandioses InstrumentalTrio erwies. Da capo! Stillsitzen is nich. Die Füße wippen und der Funke springt mit der ersten Note des rasanten Abends über die Rampe. Ein furioses Klangfeuerwerk gab es auf die gespitzten Ohren, die Augen wurden groß. Blockflöte von Sopranino bis „Ofenrohr“-Subbass hat Flötist Reisige dabei, spielt zwei Hölzer zugleich und kann mit „Einhand-Trommel“ und Flöte – gleichzeitig! – dem Filmhelden „Rocky“ huldigen. Die Boygroup mit dem selbstironisch unterfütterten Humor ist als Gesamtkunstwerk auf dem Holzweg weit neben der Spur eines handelsüblichen Konzertes. Sie „duellieren“ sich und springen umher wie die Blues Brothers. Eine Heavy Metal-Gabel wird gesichtet und schon sind wir in Wacken – mit Falco! Eine Polska aus Schweden reißt mit ausgeklügelter Choreografie hin. „Apache“ klingt nach Westernsong und „drei Tanzbären“ beglücken in filmreifer Szene. Kein „neumodisches Zeug“, alles handgemacht und mundgeblasen. Gar zierliche Tanzschritte werden kredenzt, die winzige Mandoline erklingt vom Balkon. Im Breitwand-Filmsound mit Modern-Jazz auf den „Highway to hell“? No problem. „Sie fallen vom Glauben ab!“ Eine Loopstation machts möglich, den „Kanon mit sich selbst“. Headbangen im Trio, dann zielen Bass, Gitarre und Flöte „Gewehrhalber“ in den Saal. Südliches Flair fehlt nicht. Und Jethro Tull kann einpacken, den Ian Anderson mit gelupftem Bein kann Tobias Reisige auch. Der Kölsche Jung Johannes Behr ist als virtuoser Guitarrero der Neue im Trio, Markus Conrads greift Kontrabass und Mandoline beherzt in die Saiten, ist auch ein „bässerer“ drummer. Klassisch können die Jungs von der Klangstelle aus dem Effeff, an Klezmer-Können und Filmmusik hapert es nicht und auch der „Mensch vom Hebbed“ ist in der Holzversion ein atemberaubender Genuss.

Text und Foto: Gesine Werner

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