E RSOND E AB AUSG
Magazin
PLATON 1 4 4 198673 809900
Deutschland 9,90 €; Österreich 9,90 €; Schweiz: 16,50 CHF; Benelux: 10,40 €; Italien & Spanien: auf Nachfrage
Raus aus der Höhle! Im Gespräch mit Alain Badiou • Dorothea Frede • Christoph Horn Dimitri El Murr • Monique Canto-Sperber …
Extra: Platons „Der Staat“ als Graphic Novel
Platon
Raus aus der Höhle!
In welchen Jahren die einzelnen Dialoge Platons entstanden sind, lässt sich nicht genau sagen, aber die Forschung geht im Allgemeinen von drei Schaffensphasen aus. Einige Schlaglichter auf Platons frühes, mittleres und spätes Werk ILLUSTRATIONEN VON MATHIEU POUPON
Frühe Dialoge PROTAGORAS DIE SOPHISTEN ZENTRALE FRAGE
Was ist Tugend?
Philosophie Magazin Sonderausgabe 14
Dialoge
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P
rotagoras ist bekannt als Sophist, der seine Schüler jeden Tag tüchtiger macht. Tüchtiger worin?, fragt Sokrates. – Der Sophist, so antwortet Protagoras, ist derjenige, der gute Ratschläge in öffentlichen und privaten Dingen gibt: Er lehrt politische Tugend. – Darauf Sokrates: Ist es nicht notwendig zu kennen, was man zu lehren vorgibt? Wenn Protagoras politische Tugend lehrt, muss er diese auch definieren können. Und gibt es einen Unterschied zwischen der Tugend der Tapferkeit und der Tugend der Weisheit oder stellen sie eine Einheit dar? – Tugenden, antwortet Protagoras, sind wie Teile des Gesichts: Sie gehören zusammen, sind aber verschieden. Diese Antwort stellt Sokrates nicht zufrieden, die Unterhaltung kommt zu keiner klaren Definition von Tugend. Gesprächspartner von Sokrates: Protagoras • Hippokrates • Hippias • Kallias • Alkibiades • Prodikos
MYTHOS: PROMETHEUS
ZENTRALE FRAGE
Was ist die Rhetorik?
Philosophie Magazin Sonderausgabe 14
GORGIAS ÜBER DIE RHETORIK
Gesprächspartner von Sokrates: Gorgias • Kallikles • Polos • Chairephon
MYTHOS: SEELENGERICHT IM JENSEITS
Dialoge
G
orgias definiert Rhetorik: Es ist die Überredung durch Erzeugung von Glauben. Man muss sich aber hüten, sie zu missbrauchen. Sokrates hingegen weigert sich, die Rhetorik als eine Kunst zu sehen, denn diese Art Reden zu halten benötigt keine Kenntnis von Wissen oder Gerechtigkeit, sondern ist lediglich Schmeichelei. Daraufhin zeigt Sokrates, dass man, um glücklich zu sein, in einem Gespräch nicht überlegen sein muss, sondern einsichtig.
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MENON ÜBER DIE TUGEND ZENTRALE FRAGE
Kann Tugend gelehrt werden?
A
MYTHOS: WIEDERERINNERUNG DER SEELE (ANAMNESIS-LEHRE)
Platon
Gesprächspartner von Sokrates: Menon • ein Sklave Menons • Anytos
Raus aus der Höhle!
ls Sokrates dies gefragt wird, gibt er sich unwissend und meint: Um Tugend zu lehren, müsse man wissen, was sie ist. Menon, dem es peinlich ist, keine zufriedenstellende Definition zu finden, unterstreicht das Paradoxon, das jeder Suche nach der Wahrheit innewohnt: Wie kann ich nach etwas suchen, das ich nicht kenne? Sokrates bringt darauf die angeblich alte Überlieferung ins Spiel, wonach Lernen Wiedererinnern ist – die Seele erinnert sich an das, was sie schon vor diesem Leben wusste. Demnach könnte Tugend gelehrt werden, sofern es eine Form des Wissens ist. Aber gibt es Lehrer, die fähig sind, Tugend zu lehren?
Platon
Raus aus der Höhle!
Mit 20 Jahren ist Platon ein athletischer junger Mann, der Gedichte und Theaterstücke schreibt, als er Sokrates begegnet. Von da an widmet er sich ganz der Philosophie seines Lehrers. Nach dem Tod des Sokrates unternimmt er mehrere Reisen, trifft andere Philosophen und versucht, Tyrannen in vernünftiger Regierungsführung zu unterweisen, scheitert aber jedes Mal. Zurück in Athen, gründet er die Akademie, die er 40 Jahre lang leiten wird
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Leben
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Ein Sohn aus gutem Hause VON OCTAVE LARMAGNAC-MATHERON
Entscheidend für Platons Leben und Denken wird die Begegnung mit Sokrates im Jahr 408 v. Chr. Claudius Aelianus erzählt, sie habe mitten im Peloponnesischen Krieg stattgefunden, an jenem Tag, an dem Platon Waffen erwarb, um sich den Truppen Athens anzuschließen. Sokrates habe ihn zur Rede gestellt und ihn davon überzeugt, sich voll und ganz der Philosophie zu widmen. Die beiden Männer bildeten zumindest äußerlich einen starken Kontrast – Platon war groß gewachsen, jung und schön, Sokrates hingegen galt weithin als hässlich –, doch beide trieb die Liebe zur Wahrheit an. Platon kannte wahrscheinlich bereits die ionischen Philosophen: die Naturphilosophen, wie Aristoteles sie nennen wird. Seine Dialoge erwähnen vor allem Heraklit, den er durch Kratylos entdeckte,
HERAKLIT
PARMENIDES
ANAXAGORAS
UM 540–UM 480
UM 520–UM 460
UM 500–428
VORSOKRATIKER
VORSOKRATIKER
VORSOKRATIKER
Philosoph, beeinflusste Kratylos, Autor der Schrift „Über die Natur“
Philosoph, Hauptvertreter der eleatischen Schule, Autor des Lehrgedichts „Über die Natur“
Philosoph, Astronom, Autor von „Über die Natur“
„Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen“ „Nichts ist so beständig wie der Wandel“
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DIE BEGEGNUNG MIT SOKRATES
„Denn [das Seiende] denken und sein ist dasselbe“
„Kein Ding entsteht oder vergeht, sondern aus vorhandenen Dingen findet eine Mischung wie andererseits eine Trennung statt“
Leben
Die meisten Biografen gehen darin einig, dass Platon im Athener Stadtbezirk Kollytos geboren wurde um 428 oder 427 v. Chr. – kurz nach dem Tod des Perikles, einem der Begründer des damals in der Polis waltenden demokratischen Systems. Es ist eine Zeit des Krieges, in der das belagerte Athen von einer heftigen Epidemie (evtl. Pocken oder Typhus) heimgesucht wird. Platons Familie gehörte zur höchsten Aristokratie des Stadtstaates: Sein Vater Ariston soll ein Nachfahre des Kodros gewesen sein, dem 17. und letzten König von Athen. Seine Mutter, Periktione stammte aus der Familie des Solon, einem der berühmtesten Gesetzgeber der Polis. Sie ist die Schwester des Charmides und die Cousine des Kritias, die zwei platonischen Dialogen ihren Namen verleihen werden. Beide gehören der oligarchischen Herrschaft der „Dreißig Tyrannen“ an, die einige Monate lang um 404 v. Chr. an die Stelle der Demokratie treten wird, nach der Niederlage im Peloponnesischen Krieg gegen Sparta (431–404).
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Raus aus der Höhle!
EINE ARISTOKRATISCHE FAMILIE
Platons Brüder Adeimantos und Glaukon kommen regelmäßig in seinen Dialogen vor, Platons Schwester Potone ist die Mutter des Philosophen Speusippos, der schließlich Aristoteles vorgezogen wird, bei der Auswahl, wer die Akademie nach dem Tod des Meisters weiter leiten soll. Schon früh genießt Platon eine umfassende standesgemäße Ausbildung: Er erhält Unterricht durch den Grammatiker Dionysios und verfasst Theaterstücke und Gedichte. Seine musikalische Ausbildung erfolgt durch Drakon; der Ringer Ariston aus Argos unterrichtet ihn in Gymnastik. Platon ist ein sehr guter Ringkämpfer, sodass er – Olympiodoros zufolge – zwei Siege bei den Olympischen Spielen und den Isthmischen Spielen davonträgt. Außerdem erhält er Unterricht in Geometrie vom Mathematiker Theodoros von Kyrene – wann genau, ist nicht bekannt –, welcher wiederum selbst zuerst Schüler des berühmten Sophisten Protagoras (Hauptfigur des gleichnamigen Dialogs) war und später Lehrer von Theaitetos und Sokrates persönlich.
Platon
Fotos: akg-images/De Agostini Picture Lib./G. Dagli Orti; akg-images; De Agostini Picture Library/Bridgeman Images; Public domain
ährend Platons Werk und seine Philosophie gut dokumentiert sind, liegen zahlreiche Bereiche seines Lebens im Dunkeln. Sogar sein Name sei lediglich ein Spitzname, abgeleitet von platýs „breit und flach“, den ihm sein Ringkampflehrer wegen seiner breiten Statur verliehen haben soll, so die Legende. Die erste Biografie zu Platon „De Platone et eius dogmate“ (Über Platon und seine Lehre) vom lateinischen Autor Apuleius entstand freilich erst im 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, also über 400 Jahre nach Platons Tod. Die darin enthaltenen Informationen sind also – ebenso wie die der späteren Biografien von Diogenes Laertios, von Olympiodoros dem Jüngeren oder von Philodemos – mit allergrößter Vorsicht zu genießen.
Platon
Raus aus der Höhle!
Das Höhlengleichnis Hinauf ans Licht, zu den Ideen! Platons Höhlengleichnis: Ein Gefangener befreit sich von seinen Ketten, verlässt die Höhle und sieht zum ersten Mal die wirkliche Welt, nicht bloß ihre Schatten. Wirklich sind hier die Ideen, allen voran die Idee des Guten. Bei seiner Rückkehr in die Welt der Meinungen und Scheinbilder stößt der nunmehr Erleuchtete freilich auf Unverständnis ILLUSTRATIONEN VON JEAN HARAMBAT
Höhlengleichnis
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Stelle dir Menschen vor in einer unterirdischen, höhlenartigen Wohnstätte mit lang nach aufwärts gestrecktem Eingang, entsprechend der Ausdehnung der Höhle. Von Kind auf sind sie in dieser Höhle festgebannt mit Fesseln an Schenkeln und Hals; sie bleiben also immer an der nämlichen Stelle und sehen nur geradeaus vor sich hin, denn durch die Fesseln werden sie gehindert, ihren Kopf herumzubewegen.
Philosophie Magazin Sonderausgabe 14
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Von oben her aber aus der Ferne leuchtet hinter ihnen das Licht eines Feuers. Zwischen dem Feuer aber und den Gefesselten läuft oben ein Weg hin, dem entlang eine niedrige Mauer errichtet ist ähnlich der Schranke, die die Puppenspieler vor den Zuschauern errichten, um über sie weg ihre Kunststücke zu zeigen.
Längs dieser Mauer – so musst du es dir nun weiter vorstellen – tragen Menschen allerlei Geräte vorbei, die über die Mauer hinausragen, Statuen verschiedenster Art aus Stein und Holz von Menschen und anderen Lebewesen, wobei, wie begreiflich, die Vorübertragenden teils reden, teils schweigen.
Höhlengleichnis
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Raus aus der Höhle!
Können denn zunächst solche Gefesselte von sich selbst und voneinander etwas anderes gesehen haben als die Schatten, die von dem Feuer auf die ihnen gegenüberliegende Wand der Höhle geworfen werden? (…) Durchweg also würden diese Gefangenen nichts anderes für wahr halten als die Schatten der künstlichen Gegenstände.
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Platon
Raus aus der Höhle!
GESPRÄCH MIT
DOROTHEA FREDE von Catherine Newmark
Ein verführerischer Denker Der Denker
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Wieso müssen wir eigentlich aus der Höhle raus? Platon hat mit seiner Ideenlehre nicht nur die Erkenntnis als Suche nach ewigen Wahrheiten definiert, sondern das Philosophieren als durchaus auch moralisch anspruchsvolle und anstrengende Aufgabe charakterisiert. Über Platons Leben, Werk und Wirken und seine tief greifende Auswirkungen auf das Denken der letzten zweieinhalb Jahrtausende gibt Dorothea Frede, eine der international renommiertesten Spezialistinnen für antike Philosophie, Auskunft
Philosophie Magazin Sonderausgabe 14
Frau Professor Frede, Sie haben sich in Ihrer Forschung über Jahrzehnte hinweg immer wieder intensiv mit Platon beschäftigt – was ist für Sie der Reiz an diesem Denker?
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Anschaulich ist ja auch sein berühmtes Höhlengleichnis im siebten Buch von „Der Staat“. Damit erklärt Platon seine zentrale philosophische Überzeugung, die Ideenlehre, die ja auch sehr kompliziert ist – aber doch in sehr bildDorothea Frede: Jenseits der Tatsache, dass Platon hafter Weise.
natürlich am Anfang der europäischen Philosophie steht, ist er auch ein Autor, der sehr viel Tiefe hat. Man kann die Texte fast beliebig oft lesen und findet immer Neues. Und dann ist es auch stilistisch lebhaft, in dieser Dialogform, das zieht einen rein. Ganz anders als sein Schüler Aristoteles, der trockene Traktate schreibt, die muss man immer mit dem Notizblock und Bleistift lesen und sich furchtbar genau konzentrieren … Im Vergleich dazu ist Platon sehr anschaulich und verführerisch, geradezu lustvoll zu lesen!
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Ja, das Höhlengleichnis macht genau das, was ein Gleichnis soll, nämlich etwas Schwieriges mithilfe von Bildern anschaulich machen, die unsere Fantasie fordern und im Alltag Vertrautes in einem neuen Licht darstellen. Platon vergleicht unser normales Alltagsverständnis mit dem von Menschen, die in einer Höhle leben und selbst gar nicht wissen, dass sie an der Wand festgekettet sind und nicht die wirkliche Welt sehen, sondern nur ihre Schatten. Es gibt aber etwas jenseits der Schatten – man
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Das ist eine Art von Verschwörungstheorie, rein strukturell. Oder umgekehrt: Verschwörungstheorien sind in dem Sinne philosophisch, dass sie eine
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Die Demokratie schien Platon unzuverlässig. Die Leute ändern ihre Meinung ständig, dann gibt es Demagogen; das alles führt für ihn nicht zu einem guten Staatswesen
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Ja, das ist ein Verdacht, den schon einige vor ihm geäußert haben, aber bei Platon nimmt das in ganz einflussreicher Weise metaphysische Gestalt an. Eîdos, das griechische Wort, das er benutzt, heißt „Gestalt“ oder „Form“. Platon hat gemeint, man kann nur mit Gedanken die wahre Wirklichkeit erfassen. Und diese Wirklichkeit, das sind nicht nur Gedanken, die ist echt, sie besteht in unveränderlichen Wesenheiten. Das ist die sogenannte ousía, das Wesen, ein Wort, das Platon als Synonym für Idee oder eben eîdos verwendet. Später, im christlichen Denken, hat man gemeint, das Wesen der Dinge sei in den Gedanken Gottes. Und noch viel später, in der Neuzeit, hat Locke „Ideen“ einfach als Gedanken aufgefasst. Aber man muss es immer wieder sagen: Was Platon als Ideen bezeichnet, das sind nicht nur Gedanken in unserem Geist, das sind die mit unserem Geist erfassten wirklichen Wesenheiten. Oder wenn man so will: das innere Aussehen der Dinge.
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Der Denker
Platon hat im Höhlengleichnis auch das Misstrauen gegenüber der Sinneswahrnehmung ins Spiel gebracht, das die Philosophiegeschichte prägen wird. Nicht was wir sehen, hören, riechen können, ist wesentlich, sondern was wir denken können. Die Sinneswahrnehmung, sie täuscht …
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Und was sind das für Wesenheiten?
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Der Bereich ist umfassend: Dazu gehören sehr allgemeine Begriffe wie das Sein, aber auch Identität, Verschiedenheit, das Schöne, das Gute, das Gerechte, das Wahre … Platons Vorstellung ist, dass solche Kategorien oder Begriffe nicht bloß menschliche Erfindungen oder Konventionen sind, sondern es gibt sie wirklich – und man kann sie eben nur mit dem Geist erkennen. Die Sinne zeigen davon nur Abbilder, die davon abgeleitet sind. Wenn man sich beispielsweise die Verhältnisse im Staat anschaut, dann kann man einzelne Dinge gerecht oder ungerecht finden, aber man kann nicht sehen, was Gerechtigkeit selbst ist.
Raus aus der Höhle!
Was wir mit dem Alltagsverstand sehen, das ist also nicht die Wirklichkeit. Das klingt ein bisschen wie eine Verschwörungstheorie.
höhere Wahrheit oder immerhin eine verborgene Wirklichkeit annehmen – und davon ausgehen, dass ihre Erkenntnis wichtig, aber schwierig ist.
Platon
kann die Gefangenen befreien, und wenn jemand aus der Höhle herausgezerrt wird, dann blendet ihn das Sonnenlicht der Wirklichkeit. Platon beschreibt das nun durchaus nicht nur als eine erfreuliche Befreiung, sondern als einen mühseligen Aufstieg, dem sich auch die meisten Menschen widersetzen würden. Viele wollen einfach lieber in der vertrauten Höhle bleiben … Und damit hat Platon nicht nur diese Lehre von den Ideen sehr anschaulich gemacht, dass es also nicht nur die Welt unserer Sinneswahrnehmung gibt, sondern dahinter oder darüber eine Welt von Ideen, die dieser vorausgeht, eine Wahrheit jenseits unseres alltäglichen Verständnisses – sondern er hat auch dem Prozess der Erkenntnis eine moralische Dimension gegeben: Es ist anstrengend und anspruchsvoll, sich als Philosoph auf die Suche nach Wahrheit zu begeben. Und es gibt durchaus viele Menschen, die sich weigern, das zu unternehmen, die ihr alltägliches Verständnis der Welt nicht hinterfragen möchten, die lieber nicht wissen wollen.
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Raus aus der Höhle!
Soll man seinem Begehren folgen? Besteht ein glückliches Leben darin, die eigenen Bedürfnisse in den Griff zu kriegen oder die eigenen Wünsche ohne Einschränkung ausleben zu können? AUSZÜGE
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Glücklich werden
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K a l l i k l e s : Wie kann wohl ein Mensch glücklich sein, der jemandem als Sklave dient? Aber eben dies ist das naturgemäß Schöne und Gerechte, was ich dir jetzt geradeheraus sage: Derjenige, der richtig leben will, muss die eigenen Begierden möglichst groß sein lassen und darf sie nicht zügeln; er muss fähig sein, diesen möglichst großen Begierden mit Tapferkeit und Vernunft zu dienen und zu erfüllen, worauf immer sich sein Begehren richtet. [Aber dies, glaube ich, ist der Menge nicht möglich. Deshalb tadeln sie solche Leute aus Scham, verbergen damit ihre eigene Schwäche und behaupten, Zügellosigkeit sei schändlich, wie ich vorher sagte, und unterjochen die von Natur aus besseren Menschen. Selbst sind sie nicht in der Lage, ihren Gelüsten Erfüllung zu verschaffen, und loben die Besonnenheit und Gerechtigkeit wegen ihrer eigenen Feigheit. (…)] S o k r a t e s : Wirklich nicht schlecht, Kallikles, gehst du freimütig mit der Rede um. Klar drückst du nämlich jetzt aus, was die anderen denken, aber nicht aussprechen wollen. Ich bitte dich also, auf keine Weise nachzulassen, damit wirklich klar wird, wie man leben muss. Und sage mir: Die Begierden, sagst du, darf man nicht zügeln, wenn man sein will, wie man sein soll; man muss sie vielmehr so groß wie möglich werden lassen und ihnen, von wo es geht, Erfüllung bereiten, und dies ist die Tugend? K a l l i k l e s : Das behaupte ich. S o k r a t e s : Werden also nicht zu Recht die glücklich genannt, die nichts brauchen?
Kallikles: Die Steine wären dann auf diese Weise am glücklichsten und die Toten. S o k r a t e s : Aber auch so bei dem, was du sagst, ist das Leben sonderbar. Denn ich würde mich nicht wundern, wenn Euripides damit recht hätte, wenn er sagt: „Wer weiß denn, ob das Leben ein Sterben ist, das Sterben aber Leben“?, und wir sind vielleicht in Wirklichkeit tot. Denn ich habe das von Weisen gehört, dass wir jetzt tot sind und dass der Körper für uns ein Grab ist und dass dieser Teil der Seele, in dem die Begierden sind, so beschaffen ist, dass er überredet werden und mal nach oben, mal nach unten umfallen kann. Von diesem Seelenteil hat ein geistreicher Mann, vielleicht aus Sizilien oder Italien, eine Geschichte erzählt und ihn mit Hilfe einer Wortableitung ›Fass‹ [pithos] genannt, weil er ‚fasslich‘ [pithanon] und ‚überredbar‘ [peistikon] sei. Die Törichten aber hielt er für uneingeweiht, und bei den Törichten hielt er den Teil, in dem die Begierden sind, für das Zügellose daran und das Undichte, als ob das Fass durchlöchert sei. Diesen Vergleich wählte er wegen der Unersättlichkeit. Im Gegensatz zu dir, Kallikles, zeigt er, dass von denen im Hades – damit meint er ‚das Unsichtbare‘ – diese am unglücklichsten sind, die Uneingeweihten, und dass sie in das durchlöcherte Fass Wasser tragen mit einem anderen Gegenstand dieser Art, einem Sieb. Von dem Sieb aber sagt er – wie der sagte, der es mir erzählte –, dass es die Seele sei. Die Seele der Törichten verglich er mit einem Sieb, weil sie infolge von Unglauben und Vergesslichkeit nicht
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sondern soll diesbezüglich ruhig sein. Für den anderen aber sollen sich Flüssigkeiten, wie für Ersteren, zwar beschaffen lassen, dies aber nur mit Schwierigkeiten, die Gefäße sollen durchlöchert und morsch sein, und er soll gezwungen sein, sie immer, tags und nachts, aufzufüllen, oder er müsste größte Unlust empfinden. Wenn das Leben der beiden so ist, meinst du, dass das Leben des Zügellosen glücklicher ist als das des Ordentlichen? Überzeuge ich dich damit irgendwie zuzugeben, dass das ordentliche Leben besser ist als das zügellose, oder überzeuge ich dich nicht? Kallikles: Du überzeugst mich nicht, Sokrates. Denn derjenige, der sein Fass angefüllt hat, hat keinen Genuss mehr, sondern das tritt ein, wovon ich eben sprach, das ‚wie ein Stein leben‘: Einmal angefüllt, hat man keine Freude mehr und keinen Schmerz. Aber darin liegt das genussvolle Leben, dass möglichst viel dazufließt. S o k r a t e s : Also muss es doch, wenn viel dazufließt, auch viel ‚Weggehen‘ und große Löcher geben für das Abfließen? K a l l i k l e s : Gewiss. S o k r a t e s : Du sprichst vom Leben eines Regenpfeifers, aber nicht von dem eines Toten oder eines Steines.
Glücklich werden
dicht sein kann. Das klingt einigermaßen merkwürdig, macht aber klar, was ich dir zeigen und wovon ich dich, wenn ich es kann, überzeugen will, nämlich anstatt des unersättlichen und ungezügelten Lebens ein Leben zu wählen, das ordentlich ist, sich mit dem jeweils Vorhandenen begnügt und damit zufrieden ist. Also, kann ich dich überzeugen und änderst du deine Ansicht dahingehend, dass die ordentlichen Menschen glücklicher sind als die zügellosen, oder kann ich noch viele andere Dinge erzählen und du wirst dennoch deine Meinung nicht ändern? K a l l i k l e s : Mit diesem kommst du der Wahrheit sehr nahe, Sokrates. S o k r a t e s : Wohlan, einen anderen Vergleich will ich dir erzählen, aus derselben Schule wie eben. Sieh zu, ob du solches meinst über das Leben der beiden, des Maßvollen und des Zügellosen: Wie wenn von zwei Männern jeder viele Fässer hätte; die des einen wären intakt und eines voll Wein, voll Honig, voll Milch und viele andere voll von vielen Dingen. Die Flüssigkeiten aber bei jedem seien rar und schwer erreichbar und mit viel Mühe zu beschaffen. Dieser eine von den beiden soll, nachdem er die Fässer gefüllt hat, nichts hineingießen und sich nicht weiter darum kümmern,
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Platon: „Nomoi“, Erstes Buch, 626e
Platon
Auch hier, Fremder, ist sich selbst zu besiegen von allen Siegen der erste und der beste
Raus aus der Höhle!
Platon: „Gorgias“, 491e–494b
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Streiten Die Sophisten, denen es nur um das schlagende Argument, aber nicht um die
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Wahrheit geht, sind Platons großes Feindbild. Gegen ihren instrumentellen Gebrauch der Vernunft setzt er das Ideal einer gemeinsamen freundschaftlichen Suche nach Erkenntnis und Wahrheit. Ein philosophischer Gegensatz, der sich in Zeiten politischer Polarisierung, aktueller denn
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je erscheint
Platon
Foto: Astrid Verhoef – Inscapes – Look
durch die Jahrhunderte zieht und der gerade heute,
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Denn dein Zustand, die Verwunderung, ist recht typisch für einen Philosophen. Es gibt nämlich keinen anderen Anfang der Philosophie als die Verwunderung.
Streiten
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Foto: Christopher Anderson/Magnum Photos/Agentur Focus
Platon: „Theaitetos“, 155d
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GESPRÄCH MIT
ALAIN BADIOU
von Octave Larmagnac-Matheron
Leben unter dem Leitstern der Ideen Gegen den ringsum herrschenden Relativismus und die neuen Sophisten ist Platon mehr denn je der Philosoph, den wir brauchen – das ist die Überzeugung von Alain Badiou, einem der wenigen zeitgenössischen Denker, der von Universalität spricht. Für ihn ist wie schon für Platon das einzige Leben, das es wert ist, gelebt zu werden, das Leben im Zeichen der Wahrheit
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Wahrheit suchen
78 Herr Badiou Was macht Platon in Ihren Augen heute, 2500 Jahre nach seinem Tod, so aktuell?
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Alain Badiou: Es gibt einen recht klaren negativen Grund: Was die intellektuelle Szene dominiert, ist heute wie in Athen zu Zeiten Platons eine „weiche“, deskriptive, in den Tag hinein entwickelte Auffassung von den Verantwortlichkeiten des Denkens, ganz zu schweigen von jenen der Philosophie. Man hat Leute „neue Philosophen“ genannt, deren Identität tatsächlich rein ideologisch ist: erbitterte Feindseligkeit gegenüber dem Kommunismus, bedingungslose Ergebenheit gegenüber dem kapitalistischen und imperialistischen Westen, Setzung der „Meinungsfreiheit“ als absolutem Wert. Eine – verzeihen Sie mir den Vergleich – journalistische Auffassung der Philosophie. Nun, all das ruft unweigerlich jene in Erinnerung, die man in Athen die „Sophisten“ nannte und die die bevorzugten Feinde der Philosophie im Sinne Platons sind. Als Ansatz, um gegen den liberalen Opportunismus zu kämpfen, scheint mir ein Zurückkommen auf Platon deshalb naheliegend.
Auch um gegen den herrschenden Relativismus zu kämpfen? Platon lädt uns also dazu ein, zum Universellen zurückzufinden?
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Ganz genau. Außerdem glaube ich, dass es die Mühe nicht lohnt, von Philosophie zu reden, wenn keine universelle Wahrheit existiert; dann reicht das Wort „Ideologie“. Nebenbei ist es beinahe amüsant zu beobachten, wie die neuen Philosophen, die im Übrigen weder Philosophen noch neu sind, im Glauben, ihren Antikommunismus zu rechtfertigen, das Thema vom „Ende der Ideologien“ lanciert haben. Doch wenn es in unseren Ländern, sagen wir im gesamten „demokratischen“ Westen, eine Ideologie, und noch dazu eine vorherrschende, gibt, dann ist es gewiss der liberale Relativismus, um den sie sich mit Enthusiasmus geschart haben! Eine der konstitutiven Gesten des Platonismus ist ja genau, darüber nachzudenken, was eine Ideologie ist, insofern sie die herrschenden Meinungen im antiken Staat organisiert. Aus ebendiesem Grund muss sich auch jeder Platoniker eine philosophische Kritik der elektoralen Demokratie, so wie sie in Athen existierte und wie sie auch bei uns existiert, zur Aufgabe machen.
Wie Platon räumen Sie der Mathematik einen großen Stellenwert ein. Warum?
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Die Philosophie beginnt zu existieren, falls dann, wenn jemand etwas als Teil der Wahrheit ausgibt, oder allgemeiner gesprochen als etwas, das einen norma-
Es lohnt die Mühe nicht, von Philosophie zu reden, wenn keine universelle Wahrheit existiert; dann reicht das Wort ‚Ideologie‘
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Platon
Foto: ALBERTO CRISTOFARI/CONTRAST/laif
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Platon
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Was ist eine Idee? Ist die Schönheit selbst schön? In „Hippias“ zeigt sich, wie schwierig es ist, von konkreten Gegenständen zu ihrem Wesen zu gelangen AUSZÜGE
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S o k r a t e s : Ist also nicht auch alles Schöne durch das Schöne schön? H i p p i a s : Ja durch das Schöne. S o k r a t e s : Welches also doch auch etwas ist? H i p p i a s : Allerdings etwas. Aber was will er nur? S o k r a t e s : So sage mir denn, du Gast, wird er sprechen, was ist denn dieses, das Schöne? H i p p i a s : Will der nun nicht wissen, wer dieses fragt, was schön ist, Sokrates? S o k r a t e s : Nein dünkt mich, sondern was das Schöne ist, Hippias. H i p p i a s : Und wie ist denn dies verschieden von jenem? S o k r a t e s : Dünkt es dich etwa gar nicht verschieden? H i p p i a s : Nein gar nicht. S o k r a t e s : Du weißt es freilich besser. Indes sieh nur, Guter, er fragt dich ja nicht was schön ist, sondern was das Schöne ist. H i p p i a s : Ich verstehe, Guter, und ich will ihm
beantworten, was das Schöne ist, und er soll gewiss nichts dagegen haben. Nämlich wisse nur, Sokrates, wenn ich es dir recht sagen soll, ein schönes Mädchen ist schön. S o k r a t e s : Herrlich, o Hippias, beim Hunde, und sehr annehmlich hast du geantwortet. Also nicht wahr, wenn ich dies antworte, werde ich die Frage beantwortet haben, und zwar richtig, und werde nicht widerlegt werden? H i p p i a s : Wie sollte dir wohl widerlegt werden, o Sokrates, was alle ebenso meinen, und wovon dir alle, die es hören, bezeugen werden, dass es richtig ist? S o k r a t e s : Wohl! Freilich auch! Aber lasse mich doch noch einmal für mich selbst überdenken, was du sagst, Hippias. Jener wird mich so ungefähr fragen: Komm Sokrates, und antworte mir. Alles das, was du schön nennst, wird, wenn das Schöne selbst was doch ist, schön sein? Und darauf werde ich antworten, wenn eine schöne Jungfrau schön ist, ist alles jenes schön.
Platon: „Hippias maior“, 287c–288a
S o k r a t e s : Das also, was dem Erkannten Wahrheit verleiht und dem Erkennenden die Kraft zum Erkennen gibt, ist – das kannst du jetzt behaupten – die Idee des Guten. Betrachte sie als die Ursache der Erkenntnis und Wahrheit, soweit die Letztere erkannt wird. Aber so schön sie auch beide sein mögen, Erkenntnis und Wahrheit, so wirst du doch das Richtige treffen mit der Annahme, dass sie selbst etwas noch Schöneres ist als diese. Wie es aber im Vorigen in Bezug auf Licht und Gesichtssinn richtig war, sie wohl für sonnenhaft zu erklären, falsch dagegen, sie für die Sonne selbst zu halten, so steht es auch hier mit Erkenntnis und Wahrheit: Sie beide für guthaft halten ist recht, sie aber, sei es nun die eine oder die andere, für das Gute selbst zu halten, ist nicht recht, vielmehr steht das Gute selbst seiner ganzen Beschaffenheit nach auf einer noch höheren Stufe. Platon: „Der Staat“, Sechstes Buch, 508e–509a
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Wahrheit suchen
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Raus aus der Höhle!
Platon: „Das Gastmahl“, 219a
Platon
Aber, mein Guter, schau genauer hin, damit du dich nicht täuschst, und es ist gar nichts an mir. Das Auge des Geistes fängt erst an, scharf zu sehen, wenn das des Leibes seine Schärfe zu verlieren beginnt.
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Raus aus der Höhle!
ARISTOTELES UND PLATON
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Wahrheit suchen
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Sie waren Lehrer und Schüler – und zugleich zwei ganz gegensätzliche Denker, deren unterschiedliche Zugänge zur Philosophie diese bis heute prägen: auf der einen Seite Platons Idealismus der Vernunft, auf der anderen Aristoteles‘ realitätsorientierter Empirismus VON SVEN ORTOLI
ie Szene schmückt eine der Wände der Stanza della Segnatura. In diesen Gemächern unterzeichnete Papst Julius II. wichtige Rechtsakte. Das berühmte Fresko, auf dem Raffael 21 zentrale Figuren des antiken Denkens (die einigen seiner Zeitgenossen nachempfunden sind) darstellt, ist unter dem Namen „Die Schule von Athen“ (1510/1511) bekannt. Im Mittel- und Fluchtpunkt des Geschehens stehen Platon und Aristoteles. Platon hält seinen Dialog „Timaios“ in der linken Hand und deutet mit dem Zeigefinger seiner rechten nach oben. Aristoteles wiederum trägt seine „Ethik“ bei sich und weist mit der offenen Hand auf den Boden. Links befindet sich der Übervater der Philosophie, der für den Himmel, den Idealismus, die Mathematik und die Vernunft gegen
die bloße Meinung Partei ergreift. Rechts der Vorkämpfer alles Irdischen, des Realismus, der Zoologie und Botanik. Der Theoretiker trifft auf den Empiriker, der Meister auf seinen abtrünnigen Schüler. Lange ging man davon aus, dass Platon die Züge von Leonardo da Vinci trägt, aber der Kunsthistoriker Daniel Arasse hält dagegen, dass Raffael Platon vor allem als Inbegriff des Philosophen abbilden wollte. Im Mittelalter gab es den Philosophen, den Dante den „Meister derer, die wissen“ nannte – und das war nicht Platon, sondern Aristoteles. Folgt man dieser Lesart, kommt in dem Fresko der synkretistische Überschwang zum Ausdruck, der den Neoplatonismus in der Renaissance auszeichnet. Unabhängig davon, ob man der These eines alle Gegensätze vereinenden Synkretismus zustimmt: Sie bestätigt zumindest indirekt, dass es diese Polarisierung gab. „Jeder Mensch ist entweder ein geborener Aristoteliker oder ein geborener Platoniker“, dekretierte der romantische Dichter Samuel Coleridge. PERSÖNLICHKEIT … Waren sie in jeder Hinsicht Antipoden? Ja und nein. Sofern beide geniale Metaphysiker waren, sich der eine wie der andere einem Denken der Totalität verschrieben und der Schüler gewisse Ideen seines Lehrers weiterführte, muss man die Frage verneinen. Physiognomisch jedoch fallen die Unterschiede ins Auge. Platon war athletisch, hatte – so die
Fotos: picture-alliance/dpa/epa ANA Horemi HO; akg-images/De Agostini Picture Lib./G. Dagli Orti
Gipfeltreffen
undifferenziert auf so unterschiedliche Gebiete wie die Ethik und die Physik anzuwenden. Der rein formalen Logik stellt er eine Methode gegenüber, die von der Natur der Dinge – der phýsis – ausgeht. Es ist vor allem die Frage, ob es eine gültige Wissenschaft für alle Erkenntnisbereiche gibt, an der sich die platonischen und aristotelischen Geister scheiden, weit mehr als am ontologischen Status der Ideen oder an der Rolle der Sinneswahrnehmung. Aristoteles will alles erfassen, einteilen, kategorisieren und ordnen. Kein Wissensbereich ist ihm fremd. Er schreibt über Ethik, Politik, Wirtschaft, Logik, Rhetorik, Dichtkunst, Kosmologie und Naturgeschichte. Er hat ein ausgeprägtes Interesse an allem Lebendigen: Niemand äußert sich in solch begeisterndem Detail über die Fortbewegung von Schlangen oder die Form von Kuhhörnern.
… UND STIL
Daher überrascht es nicht, dass er Platons Metaphysik ablehnt. Platon ist Dualist, wohingegen Aristoteles sich weigert, Seele und Körper radikal voneinander zu trennen. An Platons „Reich der Ideen“ als eigentliche Wirklichkeit, die alles vereint, die Vielgestaltigkeit der Welt unter einen Hut bringt und die sinnliche Wahrnehmung übersteigt, glaubt Aristoteles nicht – es sei denn als geistige Abstraktionen. Er unterscheidet zwischen der theoretischen Weisheit des Philosophen und der praktischen Klugheit des Politikers. Das Leben in Gesellschaft ist für Aristoteles eine der Grundvoraussetzungen des guten Lebens. Nur umgeben von anderen kann das „politische Tier“ namens Mensch sein inneres Wesen verwirklichen. Doch er verzichtet bewusst darauf, sich eine ideale Gesellschaft auszumalen – und kritisiert diese Neigung bei Platon: „Ganz hübsch aussehen mag freilich eine solche Art von gesetzlicher Einrichtung und den Schein großer Menschenfreundlichkeit an sich tragen, und wer sie so anhört, mag leicht geneigt sein, sie zu billigen und zu glauben, dass eine wunder wie große Freundschaft aller zueinander aus ihr entstehen würde (…). Allein alle diese Dinge entstehen nicht durch die fehlende Gütergemeinschaft, sondern sind nur eine Folge der Schlechtigkeit der Menschen. Denn wir sehen ja, dass gerade Leute, die etwas gemeinschaftlich besitzen und benutzen, weit leichter über dasselbe miteinander in Streit geraten als andere über ihr Privateigentum.“ In dieser Hinsicht sollten die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts Aristoteles recht geben.
‚Jeder Mensch ist entweder ein geborener Aristoteliker oder ein geborener Platoniker‘, dekretierte der romantische Dichter Samuel Coleridge
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Übersetzung: Danilo Scholz
Wahrheit suchen
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IDEE UND WIRKLICHKEIT
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Auch im philosophischen Stil könnten die beiden Männer unterschiedlicher nicht sein. Platons Dialoge sind sprach- und bildgewaltige Meisterwerke voller komplexer Wendungen und Nuancen. Aristoteles geht ganz anders an die Sache heran. Der Text ist für ihn ein Arbeitswerkzeug, ein didaktisches Instrument, um die Debatte mit den Schülern anzukurbeln. Was Rhetorik angeht, zieht er die Präzision der Schrift der Effekthascherei des gesprochenen Wortes vor und bezieht damit Stellung gegen Platons „Phaidros“. Statt dem absolut Wahren nachzuspüren, diskutiert er lieber über das Wahrscheinliche. Wo Platon Dialektiker ist, bricht Aristoteles für den Syllogismus eine Lanze: Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Also ist Sokrates sterblich. Zudem hält Aristoteles Platon vor, seine dialektische Vorgehensweise
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Bedeutung seines Namens – breite Schultern. Es heißt, er habe im Ringen Siege bei den olympischen und isthmischen Spielen davongetragen. Ganz anders sein Schüler: Diogenes Laertios berichtet in seinem Standardwerk für Klatsch und Tratsch der Antike später, dass Aristoteles „stotterte“. Er war „dünnbeinig, kleinäugig, stets sorgfältig gekleidet und frisiert“. Als Aristoteles mit 17 Jahren nach Athen kommt, blickt Platon auf ihn herab. Claudius Aelianus, gesegnet mit einer rhetorischen Gewandtheit, die ihm unter Zeitgenossen den Beinamen „Honigzunge“ einbrachte, schrieb 500 Jahre später, dass Aristoteles sich – für Platon etwas „Ungewohntes“ – „das Haar scheren“ ließ. Überdies fiel der junge Aristoteles „mit den vielen Ringen“ auf, „die er an den Fingern trug“. In seinem „Gesicht lag ein gewisser Hohn, und wenn er sprach, so verriet auch eine unzeitige Geschwätzigkeit seinen Charakter“.
Platon
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GESPRÄCH MIT
CHRISTOPH HORN von Catherine Newmark
Diktatur der Experten? Platons Kritik an der radikalen attischen Demokratie scheint gerade heute, mit Blick auf die Gefahren des Populismus, wieder aktuell zu werden. Sein Gegenmodell, die Herrschaft der Philosophenkönige, ist aber auch nicht ohne Tücken und wurde verschiedentlich, etwa von Karl Popper, als totalitär kritisiert
Herrschen
112 Herr Horn, Platon lebt im Athen des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. in einer der ersten und radikalsten Demokratien der Geschichte. Die er allerdings nicht gut findet. Warum?
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Christoph Horn: Platon kritisiert die Demokratie besonders dafür, dass in ihr der Respekt vor Autoritäten verloren geht und die Freiheit willkürlich wird; Bürger der demokratischen Polis seien nicht wirklich gewillt, sich ein- oder unterzuordnen, was dem Gemeinwohl schade. Der Kern seiner Demokratiekritik ist aber, und das kann man im sechsten und im achten Buch von „Der Staat“ nachlesen, dass sie expertenfeindlich und populistisch ist: Jeder maßt sich Kompetenz an, jeder glaubt, dass er politisch urteilen kann. Das ist eine Doktrin, die Platon zudem dem Sophisten Protagoras im Dialog „Protagoras“ in den Mund legt (und auch im späten „Politikos“ wiederholt): Jeder glaubt fälschlich, in der Volksversammlung gleichermaßen kompetent über Politik reden zu können.
Warum ist das ein Problem?
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Für Platon ist das ein Problem, weil er eben Regieren als etwas auffasst, wofür man Kompetenz braucht, sogar ein umfassendes Wissen, das er in „Politi-
kos“ als eine „königliche Webkunst“ beschreibt. Im Dialog „Protagoras“ erscheint die Frage, ob man sich ein Wissen oder Können selbst zuschreiben dürfe, beispielsweise die Flötenkunst. Die Frage wird verneint; aber umgekehrt soll es nach allgemeiner Auffassung bei der politikê technê, also der politischen Kunst, so sein: Jeder könne darüber urteilen und sich selbst als Experten bezeichnen. Platon lässt dies seinen Protagoras vertreten, sozusagen als weitverbreitete Auffassung, aber er selbst hält dies für vollkommen verkehrt. Für ihn ist die Staatskunst etwas, das genauso der Expertise bedarf wie jede andere Kunst. Im sechsten Buch von „Der Staat“ vergleicht er sie etwa mit der Nautik: Wenn der einzig kompetente Seemann auf einem Schiff von schlecht ausgebildeten oder gar betrunkenen Seeleuten über Bord geworfen wird, dann kann das für das Schiff nicht gut ausgehen. Das Gleichnis vom Staatsschiff ist ganz zentral, und man muss sehen, dass sich Platons Kritik hier gegen die direkte Demokratie richtet – in ihr lassen sich allzu leicht populistische Emotionen gegen Kompetente richten.
Platons Gegenmodell ist eine Expertokratie – wie stellt er sich die vor?
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Er stellt sie sich im optimalen Fall so vor, dass die Philosophen Könige werden oder die Könige phi-
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losophieren, wie es in der berühmten Doktrin von den Philosophenkönigen im fünften Buch von „Der Staat“ heißt. Zudem soll eine Gesellschaft geschaffen werden, die nach funktionaler Differenzierung hierarchisch gegliedert ist: Platon folgt dem Grundsatz, dass nicht alle Leute alles machen können, sondern dass man jedem und jeder einen gesellschaftlichen Platz nach seinen und ihren Fähigkeiten übertragen muss.
Haben Platons Kritik der Demokratie und dieser Entwurf einer Idealgesellschaft eigentlich irgendeinen konkreten politischen Einfluss ausgeübt in Athen?
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Nein. Diese radikale Form der Demokratie war ja auch in Athen eher kurzlebig, es gab sie insgesamt nur etwa 100 Jahre lang.
Und danach gab es Demokratie in Europa erst wieder in der Neuzeit.
Foto: Josef Wabinski CC BY-SA 4.0, Wikipedia
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Sicher, aber in der politischen Theorietradition wurde vieles auch in den Jahrhunderten dazwischen weiterentwickelt. Am wichtigsten ist hier die römisch-republikanische Konzeption der Res publica, die Polybios mittels seiner Mischverfassungstheorie charakterisiert. Im Grunde ist es dieses Modell, das durch die Denkgeschichte läuft und in der Neuzeit aufgegriffen wird als Vorbild für die moderne repräsentative Demokratie, nicht die radikaldemokratische attische Variante. Die Präferenz für die Republik finden Sie von Machiavelli über Rousseau bis zu Kant. Letzterer etwa betont in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“, dass die Demokratie frag-
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Platon folgt dem Grundsatz, dass nicht alle Leute alles machen können, sondern dass man jedem und jeder einen gesellschaftlichen Platz nach seinen und ihren Fähigkeiten übertragen muss
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Ja, völlig inakzeptabel. Aber sie ist in Platons Vorstellung immerhin sozial durchlässig – den Platz in der Hierarchie erlangt man nicht nach aristokratischem Muster durch eine Art Geburtsadel, sondern aufgrund von individueller Eignung.
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Also eine streng hierarchische Gesellschaft …
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Die Geschichte von Atlantis übt eine ungebrochene Faszination aus, die aberwitzige Thesen und wilde Spekulationen ins Kraut schießen lässt. Aber hat dieser Ort jemals existiert? Und wo könnte er sich befunden haben? Man vergisst leicht, dass es Platon war, der Atlantis als Erster in seinen Schriften erwähnt hat. Die Insel war ursprünglich ein zu politischen Zwecken erdachter Mythos und wurde erst später zum Nährboden unserer Fantasie
VON OCTAVE LARMAGNAC-MATHERON
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Athanasius Kircher, Karte von Atlantis (1664): „Lage der versunkenen Insel Atlantis nach Auffassung der Ägypter und der Beschreibung Platons“
ie Bewohner von Atlantis hatten sich einen Reichtum „von solcher Fülle“ bewahrt, „wie er wohl weder zuvor in irgendeinem Königreiche bestanden hat, noch so leicht künftig wieder bestehen wird“. So beschreibt Platon in „Kritias“ den mythischen Wohlstand von Atlantis, der auf dem Abbau des sagenumwobenen Metalls Oreichalkos beruhte. Das Geschlecht der Atlantiden ist aus der Liaison zwischen dem Meeresgott Poseidon und der sterblichen Kleito hervorgegangen. Zunächst überwog der göttliche Teil ihres Naturells, bevor nach und nach die menschlichen Instinkte die Oberhand gewannen. Getrieben von der eigenen Hybris, stürzten sich die Atlantiden in Eroberungsfeldzüge, um Europa und Asien zu unterjochen. Der feindlichen Flotte die Stirn bot nur Athen, damals noch in seinen Anfängen und von Platon mit frappierenden Ähnlichkeiten zu dem politischen Ideal, das er in „Der Staat“ entwickelt, geschildert.
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Tatsächlich verbirgt sich hinter der Gegenüberstellung von Atlantis und dem frühen Athen der Gegensatz zwischen dem späteren Athen, wie es sich Platon zu seinen Lebzeiten darstellt, und dem Idealstaat, der dem Philosophen vorschwebt. Wenn das Athen seiner Zeit so weitermache, so Platons warnende Botschaft, wird der Stadtstaat genauso dem Untergang geweiht sein wie einst Atlantis. Als „ungeheure Erdbeben und Überflutungen“ die Insel heimsuchten, versank Atlantis im Meer, ist in „Timaios“ zu lesen. Atlantis war also keineswegs als utopische Vorlage gedacht, auch wenn spätere Philosophen den Mythos so deuteten. Francis Bacon ließ sich von Platon zu „Nova Atlantis“ (1627) inspirieren – Nachklänge finden sich auch in Thomas Morus’ „Utopia“ (1516), Pierre de Marivaux’ „Die Sklaveninsel“ (1725) und Étienne Cabets „Reise nach Ikarien“ (1840). •
Foto: akg-images
EIN ZWEITES ATHEN
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INSELTRÄUME Vielleicht war Atlantis vor allem ein Hirngespinst. Platon hat nicht nur den Atlantis-Mythos begründet, sondern auch die Möglichkeit, eine Fiktion zu spinnen und sie durch Erzählstrategien als Wirklichkeit auszugeben. Bis heute stachelt die Sage das Vorstellungsvermögen von Künstlern und Schriftstellern an. Der Comiczeichner Edgar P. Jacobs hat die Helden seiner Serie „Blake und Mortimer“ auf die Azoren verfrachtet, wo die Zivilisation von Atlantis die Zeit überdauert hat. Jules Vernes ließ Kapitän Nemo
in seinem U-Boot Nautilus auf Tauchfahrt gehen, um die Überreste von Atlantis zu begutachten. Tolkien hat diese Tradition zur Legende von Númenor verarbeitet. Die Insel der Menschen des Westens versank in den Fluten, nachdem ihre Bewohner gegen die „Valar“ aufbegehrt hatten. Wie ein Gerücht, das zu uns vom Meeresboden aufsteigt, beflügelt Atlantis unsere Fantasie. Oder mit dem Philosophen Gaston Bachelard gesprochen: Das Wasser ist der Stoff, aus dem unsere Träume sind. •
Herrschen
„ Atlantis hat es nie gegeben. Die Insel ist eine Allegorie,
die Platon sich ausdachte, um seinen athenischen Mitbürgern eine Lektion in staatsbürgerlichem Verhalten zu erteilen und ihre Habgier, mangelnde Disziplin, ihren Hang zu innerstaatlichen Querelen und die demagogischen Anwandlungen ihrer politischen Gepflogenheiten zu verurteilen. “
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Guy Kieffer: „Auf der Suche nach den Ursprüngen von Atlantis“
behaupten, die „Arier“ seien die wahren Erben der untergegangenen Kultur. 150 Jahre zuvor hatte der Philologe Antoine Fabre d’Olivet noch versucht nachzuweisen, dass die Bewohner von Atlantis Juden waren. Immer wieder ließ man sich von dem Inselreich zu den widersprüchlichsten Spekulationen hinreißen. • Übersetzung: Danilo Scholz
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gelte es nicht: im nordafrikanischen Atlasgebirge, im algerischen Ahaggar-Gebirge, auf dem Kreta der minoischen Zeit, aber auch in Palästina und im Norden Mexikos. Eine regelrechte „Atlantomanie“ erfasst Europa und erreicht ihren traurigen Höhepunkt mit der nationalsozialistischen Esoterik eines Karl Georg Zschaetzsch oder den Schriften des Geografen Albert Herrmann. Beide Autoren
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In „Atlantis. Geschichte eines Traums“ (2006) zeigt der französische Althistoriker Pierre VidalNaquet, wie christliche Denker eine Parallele zwischen dem Inselreich in Platons Schriften und der biblischen Sintflut konstruierten. Doch erst in der Renaissance verhilft die Neuentdeckung Platons auch Atlantis zu größerer Bekanntheit. An Versuchen, Atlantis geografisch dingfest zu machen, man-
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ÜBERALL UND NIRGENDS
Der Staat
Der Staat
ERSTES BUCH
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VON JEAN HARAMBAT
zung scheiterte kläglich, nicht zuletzt, weil wahre Philosophenkönige schwer zu finden sind. Sein Staat als Idee hingegen lebt fort und regt auch heute noch Menschen zum Nachdenken an. Jean Harambat wurde dadurch zu nachfolgenden Szenen inspiriert. Übersetzt wurden sie von Till Bardoux. Die Geschichte beginnt nicht zufällig am Hafen von Piräus bei Athen. Sokrates trifft dort Metöken, jene Leute ohne Bürgerrecht, die vom Handel leben. Sie sind es, die Sokrates fragt, ob Profit den eigentlichen Zweck der Städte darstellt. Das Szenenbild wechselt aber, als die Suche nach Gerechtigkeit intensiver wird.
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as ist Gerechtigkeit? Um die zentrale Frage in „Der Staat“ zu beantworten, lädt Platon seine Leserschaft ein, über die Bedingungen für einen Stadtstaat nachzudenken, in dem soziale Gerechtigkeit ausgeübt wird. Dieser Staat dient ihm auch als Spiegelbild für Gerechtigkeit in der Seele. Platon sieht die Rettung der Menschen und ihrer durch den Egoismus beschädigten Städte in der Kollektivierung von Gütern und der Abschaffung des Privateigentums. In seinen späteren Jahren versuchte er vergeblich, mit zwei aufeinanderfolgenden Tyrannen seinen idealen Staat zu verwirklichen, in dem die Philosophie als Souverän herrschen würde. Die Umset-
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