Philosophie Magazin Nr. 05 / 2013

Page 1

sommerausgabe Nr. 05 / 2013

Entscheidet der

Zufall mein Leben ? Liebe, Gesundheit, Karriere: Immer weniger wollen wir dem Zufall überlassen. Doch wie weit reicht unsere Kontrolle?

Vermesse dich selbst!

Mein Leben als Quantified Self

Gespräch mit Imre Kertész:

„Schreiben ist ein Spiel mit dem Tod“

Von den Amazonen zu den Femen Welche Wahrheit birgt der Busen?

iges 16-seit t l Book e Nr. 11

eilage von

Sammelb

CAM U S

ns ch en New York s MeMärz 1946 in ise de am 28. Die Kr geha lten r Rede ,

Origi nalte

xt eine

Albert camus

Das Glück der Rebellion

Deutschland 6,90 € Österreich: 7 €; Schweiz: 12,50 SF; Luxemburg: 7,40 €. Italien & Spanien: Auf Nachfrage.

0 5 0 5

4 192451 806907 4 192451 806907

0 5


Denker in diesem Heft

Redaktion: Brunnenstraße 143, 10115 Berlin, Deutschland Tel.: +49 (0)30 / 60 98 58 215 E-Mail: redaktion@philomag.de Chefredakteur: Dr. Wolfram Eilenberger (V.i.S.d.P.) Stv. Chefredakteurin: Dr. Svenja Flaßpöhler Berater: Alexandre Lacroix Art-Direktion: Ralf Schwanen Layout: Christina Taphorn Bildredaktion: Michael Biedowicz Verantwortliche Redakteure: Dr. Jutta Person (Büchersektion), Marianna Lieder Schlussredaktion: Sandra Schnädelbach Lektorat: Christiane Braun Internet: Cyril Druesne Redaktionsassistenz: Katharina Schenk Praktikanten: Johannes Winter Autoren in diesem Heft: Blaise Bachofen, Adrien Barton, Dr. Barbara Bleisch, Dr. Georg Brunold, Eleonore Clovis, Prof. Dr. Brigitte Falkenburg, Prof. Dr. Josef Früchtl, Eva Marlene Hausteiner, Jul, Prof. Dr. Markus Krajewski, Alexandre Lacroix, Dr. Martin Meyer, Dr. Rupert Neudeck, Prof. Dr. Philippe Van Parijs, Prof. Dr. Robert Pfaller, Bernd Piringer, Marion Richez, Marion Rousset, Prof. Dr. Philipp Sarasin, Ariadne von Schirach, Gert Scobel, Nicolas Tenaillon, Tomi Ungerer, Dr. Eva Weber-Guskar, Dr. Mai Wegener, Jürgen Wiebicke, Dr. Michael Wunder

Seite 62 >

Seite 20 >

Anzeigen: Jörn Schmieding-Dieck – MedienQuartier Hamburg Tel.: +49 (0)40 / 32 50 745 E-Mail: joern.schmieding-dieck@mqhh.de www.medienquartierhamburg.de Nielsen IV: Markus Piendl – MAV GmbH Tel.: +49 (0)89 / 74 50 83 13 E-Mail: piendl@mav-muenchen.com Anzeigen Buchverlage/Kultur/Seminare: Thomas Laschinski – PremiumContentMedia Tel.: +49 (0)30 / 60 98 59 30 E-Mail: advertisebooks@laschinski.com Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Sabine Schaub Tel.: +49 (0)30 / 31 99 83 40 E-Mail: s.schaub@schwindkommunikation.de www.schwindkommunikation.de Abo-Service: Philosophie Magazin Leserservice PressUp GmbH Postfach 70 13 11 22013 Hamburg Tel.: +49 (0)40 / 41 44 84 63 Fax: +49 (0)40 / 41 44 84 99 E-Mail: philomag@pressup.de Online-Bestellungen: www.philomag.de/abo

>

4

Mit 14 Jahren wurde er nach Auschwitz und Birkenau deportiert. 1975 erschien sein weltberühmter „Roman eines Schicksallosen“ (Rowohlt). Mit dem „Philosophie Magazin“ sprach Kertész, der 2002 den Literatur-Nobelpreis erhielt, über den Einfluss der Philosophie auf sein Leben und Schreiben

Marilyn Yalom Im Zeitgeist diskutiert die Kulturwissenschaftlerin mit dem Philosophen Jean-Luc Nancy über Bedeutung und Symbolkraft des Busens. Yalom ist Professorin für französische Literatur an der Stanford University. Im Herbst erscheint ihr Buch „Wie die Franzosen die Liebe erfanden“ (Graf)

Seite 54 >

Hans-Jörg Rheinberger

Der belgische Philosoph lehrt an der Katholischen Universität Louvain und in Harvard. Im Zeitgeist plädiert er dafür, alle Welt Englisch lernen zu lassen. Am 15. Juli erscheint sein Buch „Sprachengerechtigkeit: Für Europa und die Welt“ bei Suhrkamp

Der Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte spricht im Dossier über die Erzeugung des Unverfügbaren und die Rolle des Zufalls für die Wissenschaft und unser Leben. Publikation zum Thema (u. a.): „Vererbung“ (Fischer, 2009)

Seite 15 >

Mai Wegener

Seite 78 >

Boualem Sansal

Geschäftsführer und Verleger: Fabrice Gerschel Vertrieb: AS-Vertriebsservice GmbH Süderstraße 77, 20097 Hamburg, Deutschland www.as-vertriebsservice.de Litho: tiff.any GmbH Druck: NEEF + STUMME premium printing GmbH & Co. KG, Wittingen

Imre Kertész

Philippe Van Parijs

Titelbild: © Fotografie: Romain Laurent. Assistenten: Marko T. Crawford, Tatsuro Nishimura. Dank an Lisa Maria Cabrera und Bransch NY

Herausgeberin: Anne-Sophie Moreau

Im Titeldossier erhellt die Physikerin und Philosophin die Rolle des Zufalls in der Physik. Zuletzt erschien ihr Buch „Mythos Determinismus: Wieviel erklärt uns die Hirnforschung?“ (Springer, 2012). Brigitte Falkenburg ist Professorin für Philosophie an der Universität Dortmund

Seite 16 >

Übersetzerin (Französisch): Alexandra Beilharz

Verlag: Philomagazin Verlag GmbH Brunnenstraße 143 10115 Berlin, Deutschland Tel.: +49 (0)30 / 60 98 58 219 E-Mail: info@philomag.de

Brigitte Falkenburg

Die Psychoanalytikerin, promovierte Kulturwissenschaftlerin und Mitbegründerin des Psychoanalytischen Salons Berlin argumentiert im Pro & Contra für eine Beibehaltung des umstrittenen Inzestparagrafen. Zuletzt erschien ihr Buch „Neuronen und Neurosen“ (Fink, 2004)

In seinen Romanen setzt sich der algerische Schriftsteller und Aktivist kritisch mit den Verhältnissen in seiner Heimat auseinander. 2011 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Im Autorendossier erläutert Sansal die Bedeutung Camus‘ für Algerien

Seite 76 >

Catherine Camus

Seite 86 >

Johannes Winter

Seite 44 >

Im Autorendossier spricht die heute 67-jährige Tochter und Nachlassverwalterin von Albert Camus über ihre nomadische Kindheit, die Bürde ihres großen Namens und die Beziehung zu ihrem Vater, der ihr ein freies Denken ermöglichte

Unser derzeitiger Praktikant studierte bereits in Potsdam und Bordeaux, nun ist er Philosophiestudent an der Humboldt-Universität Berlin. Für die Buchsektion hat er den Comic „Karl Marx. Philosophie für Einsteiger“ (Fink, 2013) besprochen

Georg Brunold „Fortuna auf Triumphzug. Von der Notwendigkeit des Zufalls“ (Galiani, 2011) heißt das jüngste Buch des promovierten Philosophen, Schriftstellers und Journalisten. Im Dossier zeigt er anhand konkreter Beispiele, wie der Zufall zum sinnstiftenden Element der eigenen Lebensgeschichte werden kann

Die nächste Ausgabe erscheint am 12. September 2013 — Philosophie Magazin

Fotos: Jean-Luc Bertini, Sigfrid Eggers, Alastair Miller/Sipa, Tom Haller/Echtzeit Verlag, Steffen Roth, Ulf Andersen/laif, privat

Seite 51 >

Zweimonatlich Nr. 05 – Sommerausgabe 2013


inhalt

06 07 08 10 12 14 16

> > > > > > >

Zeitgeist Leser fragen Barbara Bleisch antwortet Tomi Ungerer erklärt Kindern die Welt Leserbriefe Sinnbild Radar Pro & Contra Das gesetzliche Inzestverbot abschaffen? Plädoyer Englisch für alle! Die ganze Welt sollte eine Sprache sprechen, fordert der belgische Philosoph Philippe Van Parijs

20 > Dialog Wem gehört der Busen? Der Philosoph Jean-Luc Nancy

spricht mit der Historikerin Marilyn Yalom über die geheimnisvollste Wölbung der Welt

26 > Lockerungen Freier denken mit Robert Pfaller. Diesmal:

Eine Packung für die Freiheit

28 > Grenzgang Vermesse dich selbst! Mittels technischer Geräte

protokollieren Anhänger der Quantified-Self-Bewegung ihren gesamten Alltag: Kalorienverbrauch, Atemzüge, Bewegungsverhalten … Werden sie dadurch zu besseren Menschen? Ein Selbstversuch

32 > Brauchen wir Alkoholsprays?

Markus Krajewski testet ein neues Produkt

Fotos: Kenneth Willardt/Trunk Archive, Du Zhenjun, courtesy of the artist and Galerie RX, Paris, Vincent Bourilhon, Emmanuel Polanco, Torkil Gudnason /Trunk Archive

Dossier 36 >

Entscheidet der Zufall mein Leben? Wie wurde ich zu dem, der ich bin? Hätte nicht alles auch anders kommen können? Habe ich mein Leben wirklich in der Hand – und wäre das überhaupt wünschenswert? Dossier über eine Macht, die alles ändern kann Mit Impulsen von Georg Brunold, Brigitte Falkenburg, Svenja Flaßpöhler, Josef Früchtl, Hans-Jörg Rheinberger und Philipp Sarasin

die philosophen

62 > Das Gespräch Imre Kertész: „Denken ist eine Kunst, die den Menschen

übersteigt.“ Der ungarische Nobelpreisträger und ehemalige KZ-Häftling über seinen Weg von der Philosophie in die Literatur und die bleibenden Abgründe der modernen Existenz

68 > Beispielsweise: Erkennen Sie die Melodie? Für Edmund Husserl offenbart

sich das Wesen der Zeit in einfachen Liedchen

69 > Was soll das? Platon fordert ein „Gesetz gegen die Liebe zu unreifen Knaben“,

allerdings nicht aus moralischen Erwägungen

70 > Camus Politisch und privat versuchte er, in einer absurden Welt die Würde

Dieses Heft enthält eine 16-seitige Sammelbeilage: „Die Krise des Menschen“ von Albert Camus, Originaltext einer Rede, gehalten 1946 in New York

der Existenz zu retten – und wurde damit zur Leitgestalt ganzer Generationen. Mit Beiträgen von Catherine Camus, Martin Meyer, Rupert Neudeck, Marion Richez, Boualem Sansal und Fernando Savater

Bücher

80 > Was es nicht alles gibt Markus Gabriel begründet einen „Neuen Realismus“ 82 > Wo Nomaden träumen Zwei Bücher über das Motel – Ort ohne

Eigenschaften, der umso mehr zur Mythenbildung anregt

85 > Scobel.mag Die Kolumne mit Durchblick 87 > Im Verhör Jürgen Wiebicke lauscht Sisyphos beim Steinewälzen 88 > Der Freigeist Sebastian Kleinschmidt, Chefredakteur von „Sinn und Form“,

im Porträt

91 > Agenda Philosophische Termine 93 > Comic + Spiele 96 > Das Gare ist das Wahre Philosophisch kochen mit Bernd Piringer.

Dieses Mal: Tarte Descartes

98 > Sokrates fragt Nicolas Godin, Sänger der Band Air, antwortet Nr. 05 — august/september 2013

5


zeitgeist plädoyer

>

16

— Philosophie Magazin


Englisch für alle!

Fotos: DU ZHENJUN, Tower of Babel/Old Europe, courtesy of the artist & Galerie RX, Paris; Sigfrid Eggers

Warum die ganze Welt eine gemeinsame Sprache sprechen sollte

Philippe Van Parijs geb. 1951, lehrt ökonomische und soziale Ethik an der Katholischen Universität Louvain und, als Gastprofessor, Philosophie in Harvard. Er ist ein politisch stark engagierter Denker, der unter anderem zu den führenden Stimmen für ein bedingungsloses Grundeinkommen zählt. 2001 wurde ihm der Francqui-Preis, die höchste akademische Auszeichnung Belgiens, verliehen. Am 15. Juli 2013 erscheint in Deutschland sein Buch „Sprachengerechtigkeit: für Europa und die Welt“ (Suhrkamp), das international bereits eine breite Diskussion angestoßen hat

Z

um ersten Mal ist eine Sprache im Begriff, sich als weltumspannende Lingua franca zu etablieren: Englisch. In der gesamten Menschheitsgeschichte gab es noch nie eine Sprache, die von so vielen Nichtmuttersprachlern beherrscht wurde. Am bezeichnendsten vielleicht: Wenn man kein allzu anspruchsvolles Kriterium der Sprachbeherrschung anlegt, dann lässt sich heute feststellen, dass zum ersten Mal in der Geschichte eine Sprache von mehr Menschen jenseits der Grenzen, in denen sie Amts­

Nr. 05 — august/september 2013

sprache ist, beherrscht wird als von Mutter­ sprachlern. Weder auf europäischer noch auf globaler Ebene zeichnet sich eine zweite Sprache ab, die dem Englischen als univer­ seller Lingua franca Konkurrenz machen könnte, und der Schneeballeffekt, der sich gegenwärtig entfaltet, ist von einer solchen Wucht, dass man getrost vorhersagen kann: Dies wird auch keine Sprache je tun. Aber wollen wir überhaupt eine Lingua franca, ob in Europa oder weltweit? Wäre es alles in allem eine wünschenswerte Ent­ wicklung, wenn uns allen – allen Europäern oder allen Menschen – eine Sprache zur Ver­ fügung stünde, in der wir ohne Umschweife miteinander kommunizieren könnten? Meine Antwort auf diese Frage ist ein ent­ schiedenes Ja, weil es nämlich das Streben nach Gerechtigkeit erfordert, dass wir die Ausbreitung einer europäischen und globa­ len Lingua franca befürworten. Um diese Überzeugung zu rechtfertigen, möchte ich die Geschichte einer kurzen Begegnung erzählen, die ich Anfang Novem­ ber 2005 in Owerri (im nigerianischen Bun­ desstaat Imo) hatte.

Während ich dort eine belebte Straße ent­ langging, wuselte eine kleine Schar von Kin­ dern um mich herum und rief wie üblich „Onye Ocha“, „weißer Mann“ – was mich kaum verwunderte, da ich selbst seit Tagen keinen weißhäutigen Menschen gesehen hatte, von einigen Albinos abgesehen. Weit­ aus überraschender war, dass wir uns so leicht über eine Vielzahl von Themen ver­ ständigen konnten, obwohl diese Grund­ schüler noch nie zuvor Muttersprachler irgendeiner europäischen Sprache kennen­ gelernt hatten. Wir unterhielten uns lange genug, damit ich ihnen zu verstehen geben konnte, dass ich aus „Belgien“ kam, was in ihrer Gegend, wie ich bald herausfand, im Allgemeinen als eine deutsche Stadt bekannt ist, aus der Nigerias bessere Gebrauchtwagen importiert werden und die folglich ziemlich reich sein muss. Als ich dann ankündigte, dass ich nun aufbrechen müsse, um meinen Heimflug nicht zu verpassen, sagte einer der Jungen – den ich „Stanley“ nennen werde, da jeder dritte Junge in Igboland so zu hei­ ßen schien –, er wolle mit mir kommen. Seine Mama würde das nie erlauben, entgeg­

17

>


Wem gehört der Busen? Kein anderer Körperteil übt eine vergleichbare Faszination aus: Fruchtbarkeitssymbol, erotisches Schlüsselsignal, feministisches Kampfmittel. Einst Zentrum ältester Mythen, besitzt die weibliche Brust bis heute erhebliches politisches Erregungspotenzial. Die Kulturwissenschaftlerin Marilyn Yalom und der Philosoph Jean-Luc Nancy im Gespräch über die geheimnisvollste Wölbung der Welt Das Gespräch führte Juliette Cerf

>

20

— Philosophie Magazin

Fotos: Kenneth Willardt/Trunk Archive; Frédéric Poletti

zeitgeist dialog


ger, wenn ich so sagen darf, auf die Stelle, wo der Busen gewissermaßen eine Bestätigung, eine Verlockung ist. Doch bezieht sich das auch auf andere Körperregionen; überall besteht der Körper aus Ansätzen, Skizzen, Entwür­ fen, Erhebungen, Ablösungen. Der Körper ist das, was sich erheben, sich entfalten, sich öffnen kann. Das macht ihn so erregend.

Marilyn Yalom ist Professorin für Französische Literatur und Senior Scholar am Institut für Gender Research an der Stanford University. Die Feministin veröffentlichte zahlreiche Werke zu den Themen Geschlecht, Liebe und Weiblichkeit. Sie lebt mit ihrem Mann, dem Bestsellerautor Irvin D. Yalom, in Kalifornien. Im September erscheint ihr Buch „Wie die Franzosen die Liebe erfanden: Neunhundert Jahre Leidenschaft“ (Graf) Jean-Luc Nancy lehrte bis zu seiner Emeritierung Philosophie an der Université Marc Bloch in Straßburg. In seinem Schaffen hat er sich immer wieder mit dem Körper und seiner Erotik auseinandergesetzt. Auf Deutsch erschienen sind (u.a.): „Es gibt Geschlechtsverkehr“ (Diaphanes, 2012) und „Corpus“ (Diaphanes, 2002). Sein Buch „Das nackte Denken“ kommt im Oktober heraus, ebenfalls bei Diaphanes

D

ie weibliche Brust hat ihr Geheimnis bewahrt: von den Amazonen zu den Femen-Aktivistinnen, von der Jungfrau Maria bis zu Angelina Jolie. Höchste Zeit für einen aufklärenden Dialog zwischen Kulturgeschichte und Philosophie. Yalom: In Ihrem Philosophieren über die weibliche Brust, insbesondere Ihrem Buch „La Naissance des seins“ („Der Brustansatz“) vertreten Sie einen poetischen, träumeri­ schen, literarischen Standpunkt. Unsere Herangehens­ weisen sind damit grundverschieden; meine ist viel stär­ ker verinnerlicht, sagen wir, sie ist die einer Frau, die einen Busen hat … Nancy: Ich bin mir nicht sicher, ob mein Buch einen männ­ lichen Standpunkt vertritt. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es überhaupt einen Standpunkt vertritt. Vielmehr ver­ suche ich, etwas über die oder den Busen vorzuführen. Eine Präsenz, die immer wiederkehrt, in der Vorstellungs­ welt wie in der Wirklichkeit, im Symbolischen wie im Fan­ tastischen – hieraus erklärt sich der Titel, „Der Brustan­ satz“. Das Wort „Ansatz“ (frz. naissance) bezeichnet hier die Pubertät, das, was im Werden begriffen ist, und gleich­ zeitig das, was das Dekolleté sehen lässt; es legt den Fin­

Nr. 05 — august/september 2013

Yalom: Der Mann fühlte sich stets vom Busen angezo­ gen. Das Lob des Busens, das sich durch die Jahrhunderte fortsetzt, ist Männersache, und die Frauen waren lange gezwungen, sich mit männlichen Augen zu sehen. Diese Geschichte wird von Männern geschrieben und geschaffen, während ich in meinem Buch „Eine Geschichte der Brust“ herausfinden wollte, was stattdessen die Frauen über den Busen dachten. Darum habe ich in Ihrem Buch einen männ­ lichen Aspekt ausgemacht. Wenn Sie ihn jedoch „mensch­ lich“ nennen wollen, habe ich nichts dagegen. Das Leben beginnt tatsächlich durch die Brust. In dieser Hinsicht bin ich mit Freud einverstanden, der in Bezug auf die Identifi­ zierung schreibt: „Ich bin die Brust.“ Dieses ursprüngliche Verlangen wird auch noch von Philip Roth in seiner Novelle „Die Brust“ ausgedrückt. Das ist die Geschichte eines Man­ nes, der sich in eine riesige Milchdrüse verwandelt hat. Nancy: In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen erzählen, was der Ausgangspunkt meines Philosophierens über die Brust war: ein langes Zitat von Theodor Lipps, dem von Freud am höchsten geschätzten Theoretiker der Ästhetik. Lipps, der die Dynamiken der Einfühlung in andere Körper untersucht, betont im Anhang einen höchst sonderbaren Fall: das Einfühlungsvermögen des Mannes für den weiblichen Busen. Dieser Text von 1903 hat mich tief beeindruckt, und das gerade, weil Lipps nicht von Reiz oder Anziehungskraft, sondern von Einfühlung spricht. Der Mann braucht keinen Busen, um dessen Exuberanz – dieses Wort geht auf das Lateinische uber, also „frucht­ bar“, zurück –, dessen Überschwang und Großzügigkeit zu empfinden. Angesichts des weiblichen Busens verspürt der Mann diese natürliche Schwellung in sich selbst. Yalom: Aber all diese Vorstellungen entstammen der männlichen Fantasie! Sie entwerfen eine Aneignung des weiblichen Busens. Die Frau wird gezwungen, die Bürde all dieser Zuschreibungen, all dieser Bilder zu tragen, wie etwa jenes der Barmherzigkeit, dieser von Ihnen erwähn­ ten Hingabe der Brust. Für die Christen ist die Jesus stil­ lende Jungfrau Maria die Quelle sittlicher und spirituel­ ler Nahrung. Aber was macht die Frau aus alldem? Wem gehören ihre Brüste? Sind wir als Frauen verpflichtet, sie dem Säugling, dem Ehemann, dem Geliebten darzubie­ ten? Wenn wir uns im Augenblick unserer Geburt alle mit der Brust identifizieren, so gibt es doch eine radikal unter­ schiedliche Erfahrung zwischen Mann und Frau. Nur die Frauen „bekommen“ Brüste. Nur die Frau kann sagen: „Ich habe Brüste.“ – „Ich besitze einen Busen.“ Und die

21

>


dossier

Entscheidet der

Zufall mein Leben ?

Foto: Romain Laurent

Kaum ein Mensch, der bei dieser Frage nicht von leichtem Schwindel erfasst würde. Habe ich mein Leben überhaupt im Griff? Hätte nicht alles auch ganz anders kommen können? Oder steckt hinter dem vermeintlichen Chaos doch ein tieferer Sinn? Wo die einen dankbar von Schicksal und Fügung sprechen, erkennen andere nur beliebige Sinnlosigkeit. Der Zufall, das metaphysische Rätsel an sich, steht bis heute für die tiefsten Kränkungen unseres Selbstbilds. Big data, Genanalysen und Sicherheitstechnik — mit immer raffinierteren Methoden versuchen wir den Zufall zu kontrollie­ ren. Aber wäre ein Leben ohne ihn überhaupt wünschenswert?

>

36

Vertiefen Sie sich in unser aktuelles Titelthema auf Deutschlandradio Kultur in der Sendung Zeitreisen, Erstausstrahlung am 17.07.2013 von 19.30 bis 20.00 Uhr. deutschlandradio.de

— Philosophie Magazin


Nr. 05 — august/september 2013

37

>


dossier Entscheidet der Zufall mein Leben?

E

Von Svenja Flaßpöhler

s gibt diese Momente, in denen die Zufällig­ keit der eigenen Existenz schlagartig bewusst wird. Wer schon einmal, dem Tod knapp entronnen, mit pochendem Herzen am Straßenrand stand, weiß, wie sich solche Augenblicke anfühlen: Purer Zufall, dass mich kein Auto überrollt hat, als ich, durch eine plötzlich aufspringende Wagentür vom Rad katapul­ tiert, auf der Straße lag. Auch eine erhabene Naturer­ fahrung lässt uns die Kontingenz des Daseins spüren. Den Ozean wird es noch geben, wenn ich schon längst nicht mehr bin. Was für ein Zufall, dass ich überhaupt existiere! Hätten sich meine Eltern nicht auch verfeh­ len, eine andere Samenzelle schneller sein können? Der Gedanke, dass die Existenz keinerlei Notwendig­ keit besitzt, alles hätte ganz anders kommen können und auch immer noch ganz anders kommen kann, als wir planen, lässt uns schwindeln, enthebt uns aller Seinsgewissheit: Wäre nicht denkbar, dass ich heute in einer anderen Stadt lebte, einen anderen Beruf aus­ übte, mit einem anderen Menschen verheiratet wäre? Habe ich mein Leben wirklich in der Hand?

Vom Gottvertrauen zur Selbstermächtigung Wer sich diese Fragen stellt, hat die beiden wesent­ lichen Fiktionen, mit denen wir uns gemeinhin über die Kontingenz des Daseins hinwegtrösten, hinter sich gelassen. Die erste tröstende Fiktion: der Glaube an Schicksal, an einen übernatürlichen Willen, der alles

Worin liegt der Grund, dass wir dem Zufall feindlicher denn je gegenüberstehen? fügt. Der schicksalsgläubige Mensch vertraut auf die schützende Hand, die er über sich wähnt und die ihn genau dort hingestellt hat, wo er sich gerade befin­ det. Liebe ist Fügung, Krankheit Prüfung – und damit Anlass zu kritischer Selbstbefragung: Warum ich? Warum jetzt? Werde ich für irgendetwas bestraft? Auch Natur- und Umweltkatastrophen stehen die­ sem Glauben zufolge mit einer höheren Macht in Ver­ bindung, werden als „apokalyptisch“ gedeutet. Defi­ nierten Philosophen den Zufall klassischerweise als das, was der Fall ist, aber auch anders sein könnte,

>

38

ist genau dies für den Schicksalsgläubigen unmög­ lich: Nichts geschieht grundlos, nichts willkürlich. Das Leben verläuft exakt nach einem unfehlbaren, im Verborgenen existierenden Plan. Die zweite tröstende Fiktion ist heute weitaus wirk­ mächtiger und scheint die erste mehr und mehr abzu­ lösen: Der Glaube an Selbstbestimmung, an die über­ wältigende Kraft des eigenen Tuns. Niemand anderes als ich selbst führe mein Leben; niemand anderes als ich selbst verleihe ihm einen Sinn; niemand ande­ res als ich selbst bin Urheber meines (Un‑)Glücks. An die Stelle des Gottvertrauens tritt das Selbstver­ trauen; Infektionen sind keine Vorboten des Jüngsten Gerichts, sondern das Resultat mangelnder Hygiene; Dürren und Überschwemmungen menschengemacht. „Wo man sich – modern – nicht mehr darauf verlassen mag, dass die Teilhabe an Gott dem Menschen Abso­ lutheit – zufallsfreies und absolut richtiges Leben – garantiert, muss die Absolutmachung des Menschen zunehmend auf den Menschen selber gegründet wer­ den: auf seine Freiheit, seine absolute Wahl“, schreibt der Philosoph Odo Marquard in seiner „Apologie des Zufälligen“. Gene, Krankheit, Schicksalsschläge: Nichts davon – ist der sich selbstbestimmt wähnende Mensch überzeugt – legt mich in irgendeiner Weise fest. Ich habe immer die Möglichkeit zu werden, der ich sein will. Genau dieses moderne Selbstverständnis – das zweifellos zu den größten Errungenschaften der Geschichte gehört – ist der Grund, dass wir dem Zufall heute feindlicher denn je gegenüberstehen. Unvorstellbar, dass heute ein Kind, nur weil es zufäl­ lig in einem Bäckerhaushalt geboren wurde, ebenfalls Bäcker werden muss. Unvorstellbar, dass heute eine Frau, nur weil sie zufällig schwanger wurde, nicht das Recht hätte, sich auch gegen das Kind zu entscheiden. Wir sind, in unseren Selbstentwürfen, unserer Lebens­ gestaltung, so frei wie nie zuvor. Und gerade deshalb müssen wir den Zufall, der unsere Freiheit einzu­ schränken droht, seiner Macht berauben. Und in der Tat: Ob wir Kinder kriegen, krank werden oder die Liebe fürs Leben finden, scheint längst keine Frage göttlicher Gnade mehr. Je exakter wir Kausal­ zusammenhänge erkennen, die uns bislang verborgen waren, desto größer werden die Möglichkeiten, den Zufall zu tilgen. Mittels gigantischer Datensammlun­ — Philosophie Magazin


Nr. 05 — august/september 2013

39

>

Foto: Jimmie Durham, All That is Solid Melts Into Air, 2008


dossier Entscheidet der Zufall mein Leben?

Aus heiterem Himmel Zufälle durchkreuzen unsere Absichten, machen Pläne zunichte, sind bisweilen sogar lebensbedrohlich. Gleichzeitig aber stiften sie Sinn, strukturieren unsere Lebensgeschichten. Fünf Menschen erzählen, wie sie erst durch einen Zufall wurden, was sie heute sind

D

Georg Brunold ist promovierter Philosoph und arbeitet als Schriftsteller, Journalist und Übersetzer. Buch zum Thema: „Fortuna auf Triumphzug. Von der Notwendigkeit des Zufalls“ (Galiani, 2011). Im November erscheint im gleichen Verlag Brunolds Werk „Nichts als der Mensch. Beobachtungen und Spekulationen aus 2500 Jahren“

>

ie philosophische Betrachtung hat keine andere Absicht, als das Zufällige zu ent­ „ fernen“, sagte Hegel, und dasselbe galt für sämtliche Bestrebungen von 2500 Jahren abendländischer Wissenschaft. Was aber hätte man sich unter einer Welt ohne Zufall vorzu­ stellen? Stets ließ seine Elimination nur die Hor­ rorvision einer Welt übrig, in der mit der abge­ schlossenen Schöpfung oder – wahlweise, was diesbezüglich keinen Unterschied macht – mit dem Urknall alles Übrige bis in alle Ewigkeit festgelegt ist. Wie nicht nur Nietzsche zu beden­ ken gab, ist dies die Vorstellung einer denkbar trostlosen Welt, und „der schwerste aller Gedan­ ken“ in ihr bliebe, sie als Wirklichkeit nicht nur zu akzeptieren, sondern überdies ein Dasein in ihr wollen zu können. So kehrte der Zufall von Aristoteles bis heute stets als denknotwendige Bedingung menschlicher Freiheit und eines freien Willens wieder. Unser Leben, obschon in vielem mit erstaun­ licher Zuverlässigkeit planbar, gleicht in seinen Ergebnissen kaum der Verwirklichung unse­ rer Absichten, sondern zu oft dem Gegenteil davon, ein Hohn auf unsere Ziele und unsere durch diese motivierten Bemühungen. Wie uns die Geschichten der Zwillinge Lisa und Laura Quarg, des Querschnittsgelähmten Michaël Jérémiasz oder auch von Inga S., die eigentlich in einem verunglückten Flugzeug hätte sitzen sollen, zeigen, erweist sich der ebenso erbar­ mungslos wie blind zuschlagende Zufall gleich­ wohl oft als ein sinnstiftendes Element par excel­ lence: Erst der Zufall macht diese Menschen mit ihrer ungewöhnlichen Geschichte zu dem, was sie sind. Ihnen allen gemeinsam ist ein Lebens­

44

gefühl, in dem nichts anzutreffen ist vom Alb­ druck des Determinismus, von dem uns schließ­ lich auch die Wissenschaft der letzten 50 Jahre erlöst hat. Sie alle kümmern sich nicht um das spekulative Dogma von Hirnforschern, für die er weiterhin höchstens eine Grenze unseres Wissens markiert, in unserem Universum kein objektives Vorkommnis ist, sondern nur ein leerer Begriff, nichts als ein anderes Wort für nichts. Ihr neurowissenschaftlicher Determinis­ mus stand und fiel mit seiner mathematischen Vorstellung unendlicher Exaktheit, die sich in der Physik als unhaltbar erwiesen hat (siehe den Beitrag von Brigitte Falkenburg, Seite 54). Dies wissen auch Ronny Schneider beim Poker und der Komponist Matthias Krüger, der sich in den Anweisungen an seinen Saxofonis­ ten nicht lähmen lässt. In unserer neuen Frei­ heit verlassen sie sich auf die kreative Rolle, in die der Zufall wieder eingesetzt ist. Er steht zu den noch immer geltenden Naturgesetzen in keinem Widerspruch. Wie alle Künstler sind sie gut beraten mit Alexander von Aphrodisias, der schon um die Wende zum 3. Jahrhundert unse­ rer Zeit zu bedenken gab: Wer an die Freiheit glaubt, so ein Passus in seinem Aristoteles-Kom­ mentar, und eines Tages von der Wirklichkeit widerlegt werden sollte, irrt nur in der Theorie, das heißt in dem, was er bis zu jenem Tag für wahr gehalten hat. Wer dagegen an den Deter­ minismus glaubt und eines Tages von der Wirk­ lichkeit widerlegt werden sollte, hat sich in sei­ ner ganzen, in Wahrheit freien Praxis von einer grundfalschen Idee leiten lassen. Zwei Lehrmei­ nungen mit Risiken von höchst unterschiedli­ cher Tragweite. — Philosophie Magazin

Fotos: Tom Haller/Echtzeit Verlag; Joachim Gern

Kommentiert von Georg Brunold


Brunold: Verwandte Assoziationen

„Unser Zwillingsdasein ist Schicksal“ Lisa und Laura Quarg, 31 Jahre, eineiige Zwillinge

D

ie Wahrscheinlichkeit, als eineiiger Zwilling geboren zu werden, ist sehr gering. Trotzdem empfinden wir unser Zwillingsdasein nicht als Zufall, son­ dern eher als Schicksal im positiven Sinne. Es ist – trotz des nicht zu leugnenden Abgrenzungsproblems – ein Geschenk, immer jemanden um sich zu haben, dem man sich so nahe fühlt. Wir wissen meis­ tens ganz genau, was die jeweils andere denkt. Oft tun wir sogar exakt das Glei­ che, obwohl wir uns an ganz unterschiedli­ chen Orten befinden. Ein Beispiel: Vor vie­ len Jahren war Laura in Schottland, dort las sie eines Tages ganz spontan ein Kapi­ tel aus „Narziss und Goldmund“. Lisa hat am selben Tag dasselbe Kapitel zu Hause unserer Mutter vorgelesen. Man könnte

Nr. 05 — august/september 2013

das Zufall nennen, wir würden aber lie­ ber von Seelenverwandtschaft sprechen. In manchen Dingen sind wir natürlich auch verschieden: Lisa ist ungestümer und gleichzeitig schutzbedürftiger, Laura dafür vernünftiger, behütender. Dass sie fünf Minuten eher geboren wurde, hat mit dieser Rollenverteilung sicherlich zu tun – schließlich fühlen sich Erstgeborene häu­ fig für kleinere Geschwister verantwort­ lich. Aber auch die frühere Geburt ist für uns kein Zufall: Laura war schon im Bauch die Stärkere. Dass wir wurden, was wir sind, war so gewollt.

Laura und Lisa sagen es: Monozygotische Zwillinge gibt es bedeutend weniger als andere Menschen. Bei aller Gewöhnung daran steckt ihnen ihre Besonderheit zuvorderst im Bewusstsein. Sie werden deshalb manches darauf beziehen, was sonst wenig damit zu tun haben muss, und es zum Beispiel für weniger zufällig halten als andere Menschen, wenn zwei zur selben Zeit an ganz verschiedenen Orten im selben Buch gelesen haben. Stark erhöht ist bei ihnen zudem die Wahrscheinlichkeit, von derlei Koinzidenzen Kenntnis zu erhalten. Zu den Ursachen, wenn solche Vorkommnisse bei ihnen häufiger sind, gehört aber zweifellos, was sie „Seelenverwandtschaft“ nennen: eine Verwandtschaft mithin von Assoziationsmustern, welche die erfahrene Gemeinsamkeit vertieft hat. Auch hat sie ihr Vorleben mit den gleichen Büchern in Berührung gebracht und durch sie verbunden, für die sie beide schon empfänglicher waren. Zwillinge, wie auch manche Eheleute, denken ungleich häufiger aneinander als andere Menschen und mit umso viel größerer Wahrscheinlichkeit hie und da gleichzeitig. Aber nicht dies ist es, was das Vorkommnis unzufällig erscheinen lässt, sondern dessen Auffälligkeit in der unzufälligen Beziehung der Beteiligten. Ein Glück, dass Laura und Lisa diese Form der Zweisamkeit in ihrer Seltenheit als Geschenk empfinden, was sich wohl nicht zufällig, aber auch nicht notwendigerweise so verhält.

45

>


Einfach unberechenbar Gemäß klassischer Physik sollte der Zufall überhaupt nicht existieren. Auch für Historiker war er lange der Feind an sich. Die Evolutionstheorie hingegen verdankt ihm so gut wie alles – wie auch die moderne Kunst. Drei Stimmen zur Notwendigkeit des Zufalls in den Wissenschaften

>

50

— Philosophie Magazin


dossier Entscheidet der Zufall mein Leben?

Der Zufall in der Physik

Brigitte Falkenburg

„Der Zufall geht mit exakten Gesetzmäßigkeiten einher“ Brigitte Falkenburg ist Professorin für Philosophie an der Universität Dortmund. Sie besitzt außerdem ein abgeschlossenes Studium der Physik. 2012 wurde sie in die NordrheinWestfälische Akademie der Wissenschaften und Künste aufgenommen. Zuletzt erschien: „Mythos Determinismus: Wieviel erklärt uns die Hirnforschung?“ (Springer, 2012)

Zufällig ist, was keinem Gesetz unterliegt beziehungsweise nicht notwendigerweise eintritt. Nach der berühmten Definition von Leibniz (1646–1716) ist alles zufällig, was so oder auch anders der Fall sein kann, also nicht mit Notwendigkeit festgelegt ist. Nach Leibniz liegt es an unseren beschränkten Erkenntnismöglichkeiten, dass wir in den meisten Wissensgebieten auf zufällige „Tatsachenwahrheiten“ angewiesen sind, anstatt die notwendigen „Vernunftwahrheiten“, sprich: die wahren, deterministischen Weltgesetze, zu erkennen. Leibniz und die Begründung der mathematischen Physik durch Newton (1643–1727) haben den „rationalistischen“ Glauben geprägt, der Weltlauf sei im Prinzip vollständig berechenbar. Aus der Sicht der Rationalisten beruhen die Zufälle, die uns widerfahren, auf unserer Unkenntnis des Weltganzen. Berühmt ist das Bild des Laplace’schen Dämons, der den Weltlauf von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in alle Zukunft vollständig berechnen könnte, wenn er nur die Orte und Geschwindigkeiten aller Teilchen im Universum zu irgendeiner Zeit und die Naturgesetze vollständig kennen würde. Der Physiker und Mathematiker Laplace (1749–1827) hat nicht nur den Dämon erfunden, der seinen Namen trägt, sondern auch dem Wahrscheinlichkeitsbegriff solide mathematische Grundlagen verschafft. Laplace lehrte, mit dem Zufall zu rechnen. Er stellte allgemeine Rechengesetze für die Wahrscheinlichkeit auf; und er zeigte, wie sich diese Rechenregeln auf so verschiedene Bereiche fehlenden Wissens anwenden lassen wie das Glücksspiel, die komplexen Beziehungen der Planeten und Monde im Sonnensystem oder die Sterblichkeit in der Bevölkerung. Noch Planck (1858–1947) und Einstein (1879–1955) hielten den Weltlauf im Anschluss an Leibniz und Laplace für deterministisch. Die Ironie der Geschichte wollte es, dass beide Physiker kräftig dazu beitrugen, das determi-

nistische Weltbild zu erschüttern. Sie gaben entscheidende Impulse für die Entwicklung der Quantentheorie, die lehrt, dass das subatomare Geschehen vom Zufall geprägt ist. Planck fand heraus, dass die Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie in Portionen von Energie „quantisiert“ ist. Einstein verallgemeinerte diese Entdeckung auf teilchenartige Eigenschaften des Lichts, aufgrund deren das Licht in Zufallsprozessen aus Atomen abgestrahlt wird. In der Quantenphysik waltet nicht einfach nur der blanke Zufall, sondern eine Kombination von Zufall und Gesetzmäßigkeit. Die Einzelprozesse unterliegen dem Zufall, für viele Prozesse gilt ein Wahrscheinlichkeitsgesetz, und darüber hinaus gibt es nichtlokale Korrelationen. Bei dieser Kombination aus Zufall und Gesetzmäßigkeit geht der Zufall mit den exaktesten heute bekannten Gesetzen der Physik einher. Könnte es also nicht doch tiefer liegende Gesetze geben, die den Determinismus retten? Das war die Hoffnung von Planck und Einstein. Doch der metaphysische Preis dafür wäre hoch: verborgene Parameter, die Grundprinzipien von Einsteins relativistischer Physik verletzen; oder Parallelwelten, die bei jeder Messung entstehen. Die meisten Physiker glauben lieber im Anschluss an Nils Bohr (1885– 1962) und Heisenberg (1901–1976): Die Quantenphysik zwingt uns, den strikten Determinismus aufzugeben – und mit ihm das rationalistische Vertrauen, dass der Gebrauch der Wahrscheinlichkeitstheorie nur auf Unwissen beruht. Dummerweise gibt es kein Experiment, mit dem sich feststellen ließe, ob es objektiven Zufall in der Natur gibt oder nicht. Schon die Logik lehrt, dass Aussagen der Form „Es gibt keine Ursache für X“ oder „Es gibt kein Y in der Welt“ unbeweisbar sind. Wir haben es hier mit einer unentscheidbaren metaphysischen Frage zu tun. Offenbar haben wir doch nicht alles im Griff; und vor allem wissen wir nicht genau, wo die Grenzen unseres Wissens liegen.

Fotos: Martin Klimas/Miles Davis: „Pharaoh’s Dance”; privat

Die Quantenphysik zwingt uns, den strikten Determinismus aufzugeben

Nr. 05 — august/september 2013

51

>


dossier Entscheidet der Zufall mein Leben?

ge i d n e w t o n t u l o s en b b a e r L r De h I r fü t s e t r e t k Chara

Wie offen sind Sie für Zufälle?

Fügung oder Zufall, Glückskind oder Pechvogel? Wie gehen Sie mit Situationen um, die kein vernünftiger Mensch beherrschen kann?

✦ Ozeandampfers

✖ Privatjets ✪ Basketballmannschaft

2. Die Wettervorhersage im Radio

meldet für den morgigen Ausflugssonntag an den See eine Gewitterwahrscheinlichkeit von 45 Prozent. Wie reagieren Sie? ✪ Sie fahren in jedem Fall und hoffen einfach das Beste ✖ Sie sagen den Ausflug ab, da Ihnen das Risiko zu hoch scheint ✦ Sie machen sich vor versammelter Familie über die Verlässlichkeit von Wettervorhersagen lustig

3. Sie konnten bei einem Spielbank-

besuch Ihr Startkapital beim Roulette nach einer Stunde verdoppeln, was nun? ✪ Sie beschließen, es gut sein zu lassen, und gehen nach Hause ✖ Sie setzen das gesamte ursprüngliche Startkapital auf Rot bzw. Schwarz ✦ Sie laden Ihre Begleitperson von dem Gewinn zu Essen und Champagner ein

>

58

4.

Auf das Hufeisen über der Eingangstür hin befragt, erklärt Ihr Bekannter, nein, abergläubisch sei er nicht, aber es könne ja schließlich auch nicht schaden! Ihre Antwort: ✖ „Natürlich kann es schaden, zum Beispiel, wenn es sich löst und mir als Gast auf den Kopf fällt!“ ✦ „Mit dem Argument kannst du auch jeden Sonntag in die Kirche gehen!“ ✪ „Richtig so, ein bisschen Aberglaube muss man sich leisten dürfen!“

5. Sie erfahren in den Nachrichten

vom Unfalltod eines bekannten Rennfahrers. Ihre ersten Gedanken: ✖ Selber schuld, hat ihn ja keiner gezwungen, Rennen zu fahren ✦ Das war seine Berufung, er starb bei dem, was er am liebsten tat ✪ Statistisch gesehen ist der Berufsverkehr viel gefährlicher als eine Rennstrecke

6.

Welchem der folgenden Sätze würden Sie am ehesten zustimmen? ✦ Alles, was ist, hätte auch nicht sein können

✖ Alles, was ist, musste genau so sein ✪ Alles, was ist, hätte auch anders sein können

7. Befragt nach seinem Berufswunsch, antwortet Ihr achtjähriger Sohn/ Enkel/Neffe, er wisse noch nicht, was er werden wolle. Sie sagen darauf … ✖ … das sei kein Problem, in seinem Alter müsse man das auch noch nicht wissen ✪ … welches der prägende Berufswunsch Ihrer eigenen Kindheit gewesen ist ✦ … es sei Ihnen egal, was er werden wolle, aber die Antwort „ich weiß es nicht“ wollten Sie nie wieder hören, da Menschen Ziele brauchten

8.

Der Satz „No risk, no fun“ ist für Sie … ✦ … unbedingt zustimmungsfähig ✖ … mit das Dümmste, was an Lebensmot- tos kursiert ✪ … typisch amerikanisch

9. Beim Schlendern über den Trödelmarkt ergreift eine Wahrsagerin ungefragt Ihre Hand und kündet von

— Philosophie Magazin

Foto: Vincent Bourilhon

1. Sie wären gerne Kapitän eines/r


einem Ereignis, das schon sehr bald Ihr gesamtes Leben grundlegend verändern wird. Sie … ✦ … erkundigen sich bei der Dame näher, um was für ein Ereignis es sich handeln mag ✖ … reißen sich ärgerlich los und glauben kein Wort ✪ … fragen sich, weshalb die Alte ausge- rechnet Ihre Hand ergriffen hat

10.

Ein guter Freund offenbart Ihnen, unsicher zu sein, ob er seine Lebenspartnerin heiraten soll oder nicht, was raten Sie ihm: ✦ Die Sache per Münzwurf zu entscheiden, da die Ehe ohnehin ein Lotteriespiel sei ✪ Im Zweifel besser nicht zu heiraten ✖ Sie erklären, in diesen Dingen solle man anderen überhaupt keine Ratschläge erteilen

11. Im Hotel wird Ihnen an der Lobby das Zimmer 666 zugewiesen. Sie …

✦ … erkundigen sich freundlich, ob es möglich wäre, ein anderes Zimmer zu erhalten ✖ … machen dem Portier gegenüber einen Scherz, der sich auf diese ach so teuflische Nummer bezieht ✪ … sind nun besonders gespannt auf Ihren Aufenthalt im Hause

12.

Wenn Sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwarzfahren, sind Sie … ✪ … aus Angst, erwischt zu werden, immer extrem angespannt ✦ … freudig erregt ob des Kitzels, erwischt werden zu können ✖ Sie fahren niemals schwarz

13. Beim Sonnenbad auf der Liege

fällt Ihnen von weit oben Vogelkot auf den nackten Bauch. Ihre Reaktion: ✪ Sie packen Ihre Sachen und wechseln den Liegeplatz ✖ „Komisch, dass mir das noch nie passiert ist“ ✦ „War ja klar, dass das ausgerechnet mir passieren muss“

14. Die Vorstellung, Sie führten in

einem (oder mehreren) von zahlreichen Paralleluniversen derzeit ein völlig anderes Leben, erfüllt Sie mit … ✖ … Neugier und hoffnungsfroher Faszination ✦ … Melancholie und Traurigkeit, Nr. 05 — august/september 2013

dass Sie keinen Zugang zu diesen Parallel-Ichs haben ✪ … tiefer Skepsis, da Sie nicht begreifen, inwiefern diese mutmaßlichen Parallel- Ichs dann noch „Sie“ wären

15.

Wenn Sie sich an das erste Treffen mit Ihrer großen Liebe erinnern, denken Sie: ✖ Wahnsinnszufall, dass wir uns ausge- rechnet dort getroffen haben ✦ Das musste damals so kommen, wir waren einfach füreinander bestimmt ✪ Besser gar nicht erst drüber nachdenken

16. Ihre Fußballmannschaft hat

das wichtigste Endspiel seit 25 Jahren denkbar knapp in der Verlängerung verloren. Wie reagieren Sie? ✖ Sie analysieren die gesamte Partie mehrmals auf Video, um den spielent- scheidenden Fehler zu finden ✦ Sie geben sich überzeugt, es gäbe keine befriedigende Erklärung, letztlich habe man einfach nur Pech gehabt ✪ Sie fordern auf Facebook vehement den Rauswurf des Trainers

17.

Ihnen fällt kurz nach dem Einsteigen auf, dass Ihr Taxifahrer unangeschnallt fährt. Wie reagieren Sie? ✪ Sie weisen ihn bestimmt darauf hin, dass in Deutschland Gurtpflicht bestehe ✦ Sie bitten ihn, sofort anzuhalten, und steigen aus, da Sie fürchten, solch einem Fahrer generell nicht trauen zu können ✖ Sie äußern Zustimmung, denn gerade wer unangeschnallt fahre, neige zu besonderer Vorsicht im Straßenverkehr

18. Bei dem Sprichwort, „Wenn

du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen“, tun Sie Folgendes: ✪ Sie nicken ✖ Sie lachen ✦ Sie weisen darauf hin, Gott sei tot

19. Während des Finnland-Urlaubs

verstehen Sie beim Blick auf die Speisekarte mal wieder kein Wort, und nun? ✪ Sie sehen sich im Saal nach einem Gericht um, das Ihnen schmackhaft erscheint ✦ Sie verlassen das Restaurant und suchen den nächsten McDonalds auf ✖ Sie bestellen nach Nummern auf der Basis Ihres Geburtsdatums

20. Beim Grillabend unter Freunden

kommt man auf das Thema „Krebsvorsorge“ zu sprechen. Sie … ✖ … betonen, wie unverantwortlich es doch sei, diese Untersuchungen auszu- lassen ✪ … geben vor, kurz auf Toilette zu müs- sen, da das Thema Krebs Ihnen aus- nahmslos Angst bereitet ✦ … erklären, diesem gesamten „Vorsor gewahn“ äußerst skeptisch gegenüber- zustehen

21. Bei der Lotto-Annahmestelle

erklärt Ihnen die Verkäuferin, die Wahrscheinlichkeit, von einem Meteor aus dem All erschlagen zu werden, sei höher, als sechs Richtige zu bekommen. Wie reagieren Sie? ✪ Sie zerknüllen den bereits ausgefüllten Schein und verlassen verärgert das Geschäft ✦ Sie entgegnen, das möge ja sein, diesmal aber hätten Sie bei Ihrer Zahlenkombina- tion ein besonders gutes Gefühl ✖ Sie bezweifeln die Richtigkeit der These und füllen zum Trotz gleich einen weiteren Tippschein aus

22. Menschen, die stolz von

sich behaupten, „niemals zu wetten“, erwecken bei Ihnen: ✪ Sympathie ✦ Misstrauen ✖ Mitleid

23. Auf einer Bahnreise läuft ein

guter alter Schulfreund, den Sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben, einen Sitzplatz suchend durch Ihren Wagen. Wie reagieren Sie? ✦ Sie geben sich erfreut zu erkennen und sagen: „Mensch, du hier, was für ein Zufall!“ ✖ Sie blicken neurotisch aus dem Fenster und hoffen, nicht erkannt zu werden ✪ Sie berechnen im Geiste die Wahrschein- lichkeit für solch ein Ereignis

24.

Die Tatsache, dass Sie die vorangehenden 23 Fragen genau so beantwortet haben, wie Sie sie beantwortet haben, halten Sie für: ✖ In Ihrem Charakter begründet ✦ Von Ihrer derzeitigen Stimmung bedingt, die auch anders hätte sein können ✪ Reine Zeitverschwendung

59

>


Die Philosophen

Imre Kertész

„Denken ist eine Kunst, die den Menschen übersteigt“ Nietzsche, Wittgenstein, Camus – es war die Philosophie, die Imre Kertész den Weg zur Literatur wies. Der ungarische Nobelpreisträger blickt in seinem, wie er selbst sagt, „letzten Interview“ zurück auf ein Leben, das sich weder durch Konzentrationslager noch die kommunistische Zensur zum Schweigen verdammen ließ Das Gespräch führte Alexandre Lacroix Fotos von Jean-Luc Bertini

W

issen Sie, ich habe viel über Ihre Fragen nachge­ dacht“, sagt Imre Kertész gleich zu Beginn, als „ er uns in seiner Wohnung in Buda, einem Stadt­ teil von Budapest, empfängt. „Mir liegt daran, mit Ihnen ein schönes Interview zu führen, weil es vermutlich mein letztes sein wird.“ Dieser testamentarische Satz könnte makaber wirken, aber im Gegenteil: Seiner kurzatmi­ gen Stimme zum Trotz leuchtet es in seinen Augen leb­ haft und verschmitzt. Seit gut einem Jahrzehnt kämpft Kertész mit der Parkinsonkrankheit, Ursache zahlloser Schmerzen und Schwierigkeiten, von denen seine ver­ öffentlichten Tagebücher berichten. Diese Krankheit zwang ihn, 2012 offiziell das Schreiben aufzugeben, und lässt ihm täglich nur wenige kurze Momente der Ruhe. Es ist schwer, nicht gerührt zu sein bei der Begegnung mit diesem so geprüften und zugleich so zäh durchhal­ tenden Menschen, der unentwegt über die Paradoxa des Daseins als „Überlebender“ nachgesonnen hat. Imre Ker­ tész wurde 1929 geboren. 1944 wurde er nach Auschwitz deportiert, dann nach Buchenwald gebracht, wo er 1945 die Befreiung des Lagers erlebte. Den wesentlichen Teil seines Lebens hat er daraufhin unter dem kommunisti­

>

62

schen Regime in Ungarn verbracht. Kertész begann Mitte der fünfziger Jahre zu schreiben. Zugleich toleriert vom Regime und sorgsam ferngehalten von der Öffentlichkeit, veröffentlichte er in äußerst überschaubaren Auflagen und kühl aufgenommen von der offiziellen Kritik Meis­ terwerke wie „Roman eines Schicksallosen“ oder „Der Spurensucher“. Erst mit dem Zusammenbruch des Ost­ blocks wurden seine Werke in aller Welt übersetzt und fanden internationale Anerkennung, gekrönt vom Lite­ raturnobelpreis im Jahr 2002. Wenn es eine weniger bekannte Dimension seiner Exis­ tenz gibt, dann ist es das Verhältnis des Schriftstellers zur Philosophie. Aus Leidenschaft, doch auch, um sei­ nen Lebensunterhalt zu verdienen, übersetzte Imre Ker­ tész zahlreiche deutsche Philosophen vom Deutschen ins Ungarische, unter ihnen Friedrich Nietzsche und Ludwig Wittgenstein. Die Lektüre dieser Autoren sowie die von Albert Camus und Jean-Paul Sartre hat unentwegt sein Werk genährt. Vor allem aus dem Wunsch heraus, sich über seine – intensive und beständige – Beziehung zur Philosophie zu äußern, hat Kertész unserer Interview­ anfrage zugestimmt.


Biografie

Imre Kertész

1929: Geburt in Budapest 1944: Deportation nach Auschwitz im Alter von 15 Jahren, später nach Buchenwald, nach Kriegsende Rückkehr nach Budapest 1948–1951: Arbeit als Journalist für eine Tageszeitung, die er aufgrund der Zensur verlässt 1975: Veröffentlichung von „Roman eines Schicksallosen“ 2002: Verleihung des Nobelpreises für Literatur

Nr. 05 — august/september 2013

63

>



Die Philosophen

De r K l a ss i k e r

CAMUS Illustration: Emmanuel Polanco, unter Verwendung eines Fotos von Loomis Dean/Time Life Pictures/Getty Images

Das Glück der Rebellion

Wahrheit braucht Mut. Kaum ein anderer Denker des 20. Jahrhunderts verkörpert diese Überzeugung eindrücklicher als Albert Camus. Journalist, Literat, Dramatiker, Philosoph – in verschiedensten Formen stellte sich Camus der Frage nach dem möglichen Lebenssinn in einer absurden Welt. Anstatt abstrakten Prinzipien oder festgefügten Ideologien zu folgen, fordert er eine Existenz, die im täglichen Kampf gegen das Absurde ihre menschliche Würde gewinnt. Der in Algerien geborene Franzose avancierte zur Leitgestalt einer traumatisierten Nachkriegsgeneration, die in Zeiten des Kalten Krieges nach ideologiefreien Auswegen aus der Krise ihrer Zivilisation suchte. Camus’ philosophischer Appell für ein alltägliches Engagement im Angesicht des Anderen hat bis heute nichts an politischer Relevanz und Aktualität eingebüßt Illustrationen von Emmanuel Polanco

Nr. 05 — august/September 2013

71

>


Das Philosophie Magazin

Ausgabe verpasst? Sammlung vervollständigen !

im ABO Sichern Sie sich Ihre Vorteile!

Bestellen Sie Ihre fehlenden Exemplare.

Mehr Infos auf S. 35

M

A G

A

Z

I

N

MONATLICH NR. 01 / 2012

NEU Interview: JULIAN ASSANGE im Dialog mit dem Philosophen Peter Singer

PRO UND CONTRA Hat die Natur immer recht?

Nr. 01

Sammelbeilage von

Nr. 03

Sammelbeilage von

Nr. 05

Sammelbeilage von

NIETZSCHE

ARISTOTELES

AXEL HONNETH „Das Finanzkapital entmachten“

MARX

Warum haben be en wir Auf der Suche Kinder? nach guten Gründen 16-SEITIGES BOOKLET

ARISTOTELES Das erste Universalgenie

ÜBER DIE FREUNDSCHAFT Deutschland 5,90 €

Die Kultur der Schuld

Österreich: 6 €; Schweiz: 11,80 SF; Luxemburg: 6,40 €. Italien & Spanien: Auf Nachfrage.

„Nikomachische Ethik”, IX. Buch, 9. bis 12. Kapitel

# 01/2012 01 / 2012 Dossier: Warum haben wir Kinder ? Klassiker: Aristoteles

„Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift“ von 1887 (Auszug)

Die Mythen des Marktes „Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“ Aus: „Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie“, Erster Band, Kapitel I, 4

# 03/2012 03 / 2012 Dossier: Sind Frauen moralischer als Männer ? Klassiker: Nietzsche

# 05/2012 05 / 2012 Dossier: Kann iich h mein i Leben ändern ? Klassiker: Marx

# 01/2013 01 / 2013 Dossier: Gott – eine i gute t Idee ? Klassiker: Rousseau

# 02/2013 02 / 2013 Dossier: Leben wir i zu schnell ? Klassiker: Arendt

Nr. 06

Sammelbeilage von

Buddha

Die Lehrrede zur Achtsamkeit

Das Satipatthaˉna-Sutta (Paˉli-Kanon, M I. 55-63)

# 06/2012 06 / 2012 Dossier: Wie viel Tier i l Ti steckt in mir ? Klassiker: Buddha

JUNI/JULI NR. 04 / 2013

Liegt das g gute Leben auf dem

Land?

Sammelbeilage von

Nr. 10

SCHOPEN HAUER

Michael Sandel im Dialog mit Peer Steinbrück

Wie viel Ungleichheit ist gerecht?

Stéphane Hessels Vermächtnis

„Ich wurde im KZ zum Europäer“

Künstliche Befruchtung

Eltern werden um jeden Preis?

ES 16-SEITIG BOOKLET Nr. 10

Sammelbeilage

von

N SCHOPE HAU ER

SCHOPENHAUER S AU UER sinnlos? Ist das Leben und Vorstellung" als Wille 57 „Die Welt Paragraf Buch IV,

# 03/2013 03 / 2013 Dossier: Sind wir dafür i d fü geschaffen, in Paaren zu leben? Klassiker: Montaigne

Deutschland 6,90 € Österreich: 7 €; Schweiz: 12,50 SF; Luxemburg: 7,40 €. Italien & Spanien: Auf Nachfrage.

Die Macht des Willens illeens Ist das Leben sinnlos? 4 192451 806907

0 4

„Die Welt als Wille und Vorstellung" Buch IV, Paragraf 57

# 04/2013 04 / 2013 Dossier: Liegt das gute Leben auf dem Land? Klassiker: Schopenhauer

Die Ausgaben 02/2012 und 04/2012 sind leider schon vergriffen.

Bestellen Sie das Philosophie Magazin >>> online auf www.philomag.de/heftbestellungen>>> telefonisch unter +49 (0)40 / 41 448 463-


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.