Nr. 05 / 2016
August / September
MAGAZIN
Augenblick, verweile Können wir ganz im Moment leben, ohne aus der Zeit zu fallen?
PETER SLOTERDIJK:
„Im Orgasmus schlägt die Natur die Augen auf“
und der Egoismus
Sammelbeilage
Vorwort / Alain Laurent Überblick / Martin Duru
„Der Streik“ (Auszüge)
1 / Ayn Rand und der Egoismus
Ayn Rand und der Egoismus
0 5 4 192451 806907
Ayn Rand Nr. 29
D: 6,90 €; Ö: 7,- €; CH: 12,50 SF; Benelux: 7,40 €
REPORTAGE AUS MAROKKO: Atheist sein in einem islamischen Land
Aus dem Englischen von Hans Freundl. 140 S. Klappenbr. € 12,95 ISBN 978-3-406-69157-7
„Das föderale und demokratische Anliegen von Simms, Zeeb und ihrem ‚Project for Democratic Union‘ verdient alle Sympathie und auch einen kämpferischen Essay.“ Eckart Conze, Süddeutsche Zeitung
Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. 207 S. Geb. € 18,95 ISBN 978-3-406-68863-8
„Ein brillantes Buch. Hans Kundnani hält Deutschland den Spiegel vor und stellt uns Fragen, die wir Deutschen uns schon lange längst hätten selbst stellen sollen.“ Heinrich August Winkler „Wichtiger Diskussionsbeitrag in komplizierter Zeit.“ Klaus-Rüdiger Mai, Cicero
C.H.BECK www.c h be ck .d e
S. 48
S. 60
S. 28
Ariadne von Schirach
Armen Avanessian
Peter Sloterdijk
Im August erscheint ihr neues Buch „Ich und du und Müllers Kuh. Kleine Charakterkunde für alle, die sich selbst und andere besser verstehen wollen“ bei Klett-Cotta. Ariadne von Schirach, Philosophin, Journalistin und Bestsellerautorin kommentiert im Dossier die Erfahrungsberichte von fünf Menschen, die erzählen, wie sie ihr Glück im Jetzt finden.
Der promovierte Literaturwissenschaftler ist Mitbegründer der linken Theorie des Akzelerationismus (dt.: Beschleunigung), die zu einer politischen Aneignung der neuen Technologien aufruft. Im Dossier diskutiert er mit dem Soziologen Hartmut Rosa über die Frage: Wie viel Zukunft verträgt die Gegenwart? Armen Avanessians jüngstes Buch: „Der Zeitkomplex“ (Merve, 2016).
Die Kernthese seines im Herbst erscheinenden Buches „Das Schelling-Projekt“ (Suhrkamp) lautet: Im Orgasmus schlägt die Natur die Augen auf und erkennt sich selbst. Wie das vor sich geht, erklärt er im Gespräch unserem Chefredakteur Wolfram Eilenberger. Peter Sloterdijk ist Professor für Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.
S. 58
S. 1–100
S. 68
Yasuhiko Sugimura
Marie-Luise Goldmann
Michel Serres
Der Professor für Philosophie lehrt an der Universität Kyoto und ist Mitverfasser des Buches „Philosophie japonaise“ (Vrin, 2013). „Im Augenblick erwacht das Selbst“, sagt er. Im Dossier erklärt er uns, inwiefern das japanische Verhältnis zur Zeit von der Vergänglichkeit geprägt ist und warum das dortige Denken die absolute Gegenwärtigkeit als höchste Form des Daseins feiert.
In Berlin und New York studierte unsere Praktikantin Philosophie und deutsche Literatur. Jetzt ist sie PhD-Kandidatin im German Department der New York University. Im Heft geht sie der Frage „Warum heiraten wir?“ nach, analysiert die Situation der arbeitenden Frau in verschiedenen europäischen Ländern und lädt Sie zu dem philosophischen Persönlichkeitstest „Kant im Bikini“ ein.
Der Philosophieprofessor lehrt an der Sorbonne in Paris und an der kalifornischen Stanford-Universität. Im großen Gespräch erklärt er, wie wir uns im Raum des Denkens orientieren und warum wir dafür unsere Füße brauchen. 2013 ist sein Plädoyer „Erfindet euch neu!“ (Suhrkamp) und 2015 „Le Gaucher boiteux“ (Le Pommier), ein Aufruf zum Denken in Umwegen, erschienen.
Die nächste Ausgabe erscheint am 15. September 2016
Fotos: Detlef Eden; Malte Jäger; Mathieu Zazzo/Pasco; privat (2); Serge Picard/VU/laif
Denker in diesem Heft
Intro
Horizonte
Dossier
Ideen
S. 3 Editorial S. 6 Ihre Frage S. 7 Kinder fragen Tomi Ungerer S. 8 Leserbriefe
S. 28 Gespräch „Im Orgasmus schlägt die Natur die Augen auf“ Interview mit Peter Sloterdijk S. 34 Reportage Marokko: Von der Schwierigkeit, Atheist zu sein Von Paul Blondé und Julia Küntzle
Augenblick, verweile
S. 68 Das Gespräch Michel Serres S. 74 Werkzeugkasten Lösungswege / Gedanken von anderswo / Die Kunst, recht zu behalten S. 76 Der Klassiker Ayn Rand und der Egoismus Von Dominique Lecourt + Sammelbeilage: „Der Streik“ Vorwort von Alain Laurent
Zeitgeist
Fotos: Julia Küntzle; Gala Colette; Martin Klimas, ohne Titel (Speak & Spell); John Stanmeyer/National Geographic Creative
S. 10 Sinnbild S. 12 Denkanstöße S. 14 Resonanzen Brexit: Was lief schief? / Ethik: Hirntote wiederbeleben? / 2016: Unsere Idole sterben S. 20 Prêt-à-penser Die Kolumne von Barbara Vinken Diesmal: Der künstliche Uterus S. 22 Erzählende Zahlen Kolumne von Sven Ortoli S. 24 Pro & Contra: Bedingungsloses Grundeinkommen?
S. 37
S. 40 Der Zeit ins Auge sehen Von Svenja Flaßpöhler S. 46 Test Wie läuft die Zeit für Sie? Von Cédric Enjalbert S. 48 Mein Moment Fünf Menschen erzählen Mit einem Kommentar von Ariadne von Schirach S. 54 Genieße deine Dauer Von Michel Eltchaninoff S. 58 Interview mit Yasuhiko Sugimura: „Im Augenblick erwacht das Selbst“ S. 60 Wie viel Zukunft verträgt die Gegenwart? Armen Avanessian und Hartmut Rosa im Gespräch
Bücher S. 82 Buch des Monats Das Café der Existenzialisten S. 84 Thema Effektiver Altruismus S. 86 Scobel.Mag S. 88 Die Philosophie-MagazinBestenliste S. 90 Sommerempfehlungen: Buch dir deinen Urlaub!
Finale
S. 28
S. 54
S. 92 Agenda S. 94 Comic S. 95 Spiele S. 96 Lebenszeichen Von Tieren lernen: Der Flohkrebs / Das Gare ist das Wahre / Impressum S. 98 Sokrates fragt Liv Lisa Fries
S. 60
Philosophie Magazin Nr. 05 / 2016 / 5
Zeitgeist
Denkanstöße
DIE PERSÖNLICHKEIT
Ada Colau
Stadtrebellin
S
DER BEGRIFF
Helikoptergeld
S
tellen Sie sich vor, ein Hubschrau ber wirft Geld über Ihrer Stadt ab! Was der Ökonom Milton Friedman 1969 als Gedankenexperiment entwarf, wird nun unter dem Schlagwort „Heli koptergeld“ diskutiert. Solch eine Ausweitung der Geldmenge seitens der Zentralbanken durch Direktzahlun gen an die Bürger soll die Wirtschaft ankurbeln. Der Philosoph Georg Simmel sprach einst vom Geld als „Gott“, das zum Selbstzweck verkommen sei. Ob er dabei auch jenes im Sinn hatte, das sprichwörtlich vom Himmel regnet? (mlg)
DIE ZAHL
46 000 000 DAS BILD
Rembrandts Durchschnitt
K
ann man einen Computer mit den Pinselstrichen aller Porträts des flämischen Meisters füttern und daraus ein neues Gemälde erstellen? Forscher der Universität Delft haben gezeigt: Man kann. Das per 3-D-Drucker produzierte Bild ist damit ein buchstäblicher Ausdruck dessen, was Adolphe Quetelet, Begründer der modernen Sozialstatistik, den „homme mo-
12 / Philosophie Magazin August / September 2016
yen“ nannte: „ein Individuum, das in einer bestimmten Zeit alle Eigenschaften des mittleren Menschen in sich vereinigen würde, zugleich der Repräsentant alles Großen, Guten und Schönen wäre“. Doch, so fügt Quetelet gleich hinzu, „eine solche Identität ist kaum realisierbar“. Es sei denn als Werk eines großen Künstlers. Oder großen Computers. Oder beides auf einmal. (nm)
„Freiheit (…) ist dieses ein zige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht“, schrieb Kant schon vor 200 Jahren. Trotzdem leben noch heute 46 Millionen Menschen laut einer Studie der australi schen Stiftung Walk-Free in Formen moderner Sklaverei. Das heißt: Ihnen wurde die Kontrolle über ihren Körper oder die Art der Arbeit entzogen. Obschon auch in Ländern wie Indien oder China, wo sie am häufigsten vorkommt, offiziell verboten, ist sie dort gängige Praxis. (nm)
Fotos: Ricardo Patiño/CC BY-SA 2.0; The Next Rembrandt; Denis Sinyakov/Spiegel; CC BY-SA 3.0; Illustration: Bettina Keim
eit einem Jahr ist die 42-jährige Ada Colau amtierende Bürgermeisterin Barcelonas. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte das wohl weder sie selbst noch sonst jemand für möglich gehalten. Warum, zeigt ein Foto aus dem Jahr 2013, auf dem Colau von Polizisten aus einer Bank getragen wird, in der sie mit anderen Aktivisten gegen Zwangsräumungen im Zuge der spanischen Immobilienkrise protestiert hatte. Die gebürtige Katalanin, die Philosophie und Theater studierte, war bis zu ihrer Wahl im Juni 2015 als starke Stimme der Graswurzelbewegung Plataforma de Afectados por la Hipoteca bekannt. Seitdem sie überraschend zum Oberhaupt der 1,6-Millionen-Metropole avancierte, kämpft die ehemalige Hausbesetzerin für bezahlbaren Wohnraum und gegen die negativen Folgen des Massentourismus. Philosophisch leitend scheint für sie dabei das Konzept der „rebellischen Städte“ zu sein, welches David Harvey 2012 in seinem gleichnamigen Buch formulierte. Der amerikanische Philosoph fordert, sich mit marxistischem Rüstzeug gegen die neoliberale Agenda zu richten, unter anderem durch eine transnationale Vernetzung lokaler Räume. Genau das gehörte zu einer der ersten Amtshandlungen Colaus. Barcelona verstärkte nicht nur die Kooperation mit Städten wie Madrid und Valencia, sondern sicherte überdies zwei Gemeinden Unterstützung zu, die eine Schlüsselrolle in der Flüchtlingskrise spielen: Lesbos und Lampedusa. Ob Colau aber auch mit den frisch gewählten Bürgermeisterinnen von Turin und Rom, Chiara Appendino und Virginia Raggi, zu kooperieren vermag, muss sich erst erweisen. Deren Fünf-Sterne-Protestpartei jedenfalls steht nicht gerade für migrationsfreundliche Politik. (nm)
DIE GRAFIK
Emanzipation in der EU 1
„Würde gründet sich nicht auf Panzern, sondern auf gegenseitiger Achtung und Wertschätzung“
island
47% 32% 63%
3
2 finnland
45% 34% 55%
norwegen
50% 35% 60%
legende 1
5
Gleichberechtigung der Geschlechter Rangfolge von 145 Ländern weltweit
irland
11
47% 34% 50%
Alexander Zipko, russischer Philosoph und Vordenker der Perestroika, Der Spiegel, 04.06.2016
deutschland
48% 29% 48%
41
italien
Anteil von Frauen unter Studierenden
H
ier liegt eine soziale Lücke vor“, stellte Simone de Beauvoir 1949 in „Das andere Geschlecht“ fest und markiert somit die Arbeit als das entscheidende Moment im Prozess der weiblichen Emanzipation. Seit der Veröffentlichung ihres feministischen Klassikers sind nun mehr als 60 Jahre vergangen, und es stellt sich die Frage, wie groß jene von der Philosophin konstatierte „soziale Lücke“ auch heute noch ist? Eine Antwort findet sich in dem vom World Economic Forum herausgegebenen „Global Gender Gap Report 2015“. Zur Debatte stehen dabei etwa Kriterien wie: Anteil an Hochschulbildung und Erwerbsquote, Gehaltsunterschiede, Kosten der Kinderpflege, bezahlter Mutterschaftsschutz oder Anzahl an Frauen, die auf höheren Geschäftsebenen oder im Parlament vertreten sind. Das Ergebnis: Seit 2006 ist die Zahl der Frauen auf dem Arbeitsmarkt um rund 250 Millionen gestiegen, ihr durchschnittliches Jahreseinkommen hat sich fast verdoppelt. Das mag zunächst nach einer Erfolgsgeschichte klingen, aber nicht,
wenn man diese Entwicklungen mit denen von Männern vergleicht. Denn obwohl Frauen jetzt mehr verdienen als früher, liegt ihr Durchschnittsgehalt immer noch weit unter dem ihrer männlichen Kollegen. Was Männer vor zehn Jahren im Schnitt verdienten, verdienen Frauen heute. Die Ursachen dafür liegen laut Bericht weniger im Bereich der Bildung – in 97 Ländern studieren heute mehr Frauen als Männer –, sondern sie lassen sich vielmehr im späteren Arbeitsleben verorten, vor allem auf den höheren Stufen der Karriereleiter. Nur in vier Ländern wird die Mehrheit der Führungspositionen von Frauen besetzt. Die größten Fortschritte in diese Richtung haben bisher die skandinavischen Staaten erzielt. Erst auf dem fünften Platz befindet sich mit Irland ein nichtnordisches Land. Deutschland liegt auf Platz 11 von 145 untersuchten Staaten. Weltweit betrachtet hat sich die „soziale Lücke“ im letzten Jahrzehnt erst um 3 bis 4 Prozent geschlossen, womit es rein statistisch gesehen noch weitere 118 Jahre bräuchte, bis sie ganz verschwindet. (mlg)
Philosophie Magazin Nr. 05 / 2016 / 13
Quelle: http://reports.weforum.org/global-gender-gap-report-2015; Illustration: Bettina Keim
Carolin Emcke, Philosophin und Publizistin, 18.04.2016
bildung
37% 26% 59%
“
„Man wartet ja darauf, dass die AfD die Demokratie für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt“
11
Anteil weiblicher Gehälter am durchschnittlichen Einkommen des Landes
Anteil von Frauen in Führungspositionen
frankreich
DER TWEET
gehalt
führungsposition
15
45% 32% 56%
https://twitter.com/ c_emcke
41
Horizonte
Gespräch
Peter Sloterdijk Der Philosoph und Schriftsteller ist einer der einflussreichsten Denker unserer Zeit. Zu seinen wichtigsten Werken zählen „Kritik der zynischen Vernunft“ (1983), „Sphären“ (I–III, 1998-2004) und „Du mußt dein Leben ändern“ (2009, alle Suhrkamp). Im Herbst dieses Jahres erscheint „Das Schelling-Projekt“, ebenfalls bei Suhrkamp
Peter Sloterdijk
»Im Orgasmus
schlägt die Natur die Augen auf« In seinem neuen Roman „Das SchellingProjekt“ erkundet Peter Sloterdijk die Bedeutung der weiblichen Sexualität für unsere Welterkenntnis. Ein Gespräch über farbenblinde Männer, archaische Berührungsängste und den lustvollen Durchbruch in eine neue Lebensform
Foto: Martin Klimas, ohne Titel (Speak & Spell); Autorenfoto: Mathieu Zazzo/Pasco
Das Gespräch führte Wolfram Eilenberger
W
orin liegt der Ursprung der Welt: in der Materie oder dem Geist? Dem Leib oder dem Bewusstsein? Um diese Fragen kreisten die Naturphilosophien von Fichte und Schelling. Ihren Spuren folgend entwirft Peter Sloterdijk in seinem neuen Roman eine eigene Naturphilosophie aus dem Geiste des Orgasmus. Das Handlungsgerüst des Briefromans: Fünf WissenschaftlerInnen beantragen bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Projekt zur Evolution des weiblichen Höhepunkts – von den frühen Hominiden bis ins 21. Jahrhundert. Im Rahmen der phil.cologne 2016 sprach der Autor über sein im Herbst erscheinendes Buch.
Philosophie Magazin: Herr Sloterdijk, wenn zwei zumindest mittelalte, mutmaßlich heterosexuelle Männer sich im Jahre 2016 zusammensetzen, um sich in einem öffentlichen Gespräch über Wesen und Wirkung des weiblichen Orgasmus zu verständigen, scheint das Fiasko vorprogrammiert. Welche Tipps würden Sie diesen beiden Männern geben, das Scheitern irgendwie abzuwenden? Peter Sloterdijk: Diese beiden Männer wären ja unter allen Umständen auch Teilhaber einer sich in der westlichen Zivilisation zunehmend ausbreitenden Großwetterlage, die die erotischen Verhältnisse gegenüber den Zuständen der letzten zwei oder drei Jahrzehnte deutlich derangiert hat. Wir haben eine sehr tief gehende Pornografisierung der visuellen Kommunikation zwischen den Geschlechtern erlebt, meistens im Modus einer erotischen Einbahnstraße. Wir beobachten gleichzeitig – mindestens seit einem Jahrzehnt – das Herauf kommen einer neopuritanischen Grund-
stimmung, in der ein Sachverhalt, den man in der älteren Psychiatrie die „Berührungsangst“ genannt hätte, mittlerweile sogar gesetzlich eingefordert wird. In Amerika etwa müssen Manager, wenn sie einen Vertrag mit einer Firma eingehen, Verpflichtungserklärungen abgeben, dass, wenn sie sich mit einer Frau allein in einem Lift bewegen würden, der Dame den Vortritt lassen, auf die Gefahr hin, zu spät zu einer Sitzung zu kommen. Wir sind in gewisser Weise aus der Zeit gefallen. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass in meiner Lebensgeschichte noch einmal Verhältnisse eintreten, die mich von fern an die Zustände erinnern, die vor dem Einsetzen der großen Liberalisierung in den frühen sechziger Jahren zu beobachten waren. Da ist offenbar ein geschichtlicher Zyklus abgelaufen. Wir sind in einer Phase des Gegenschwungs. Das ist ein Teil der Rechtfertigung, mit der diese beiden älteren Herren sich aus der Affäre ziehen könnten, da man nämlich genau in solch einem Augenblick antizyklisch denken und handeln muss.
>>>
Philosophie Magazin Nr. 05 / 2016 / 29
Horizonte
Reportage
marokko
von der schwierigkeit,
atheist zu sein
Im Anschluss an den Arabischen Frühling strömten 2011 Zehntausende marokkanische Demonstranten auf die Straßen, um mehr Demokratie zu fordern. Unter ihnen zahlreiche Atheisten, die das Recht einklagten, die eigene Religion wählen zu können oder ungläubig zu sein. Doch trotz der Hoffnungen von damals bleibt Marokko, im Mai vom deutschen Bundestag als sicheres Herkunftsland eingestuft, grundlegend durch den Islam strukturiert. Wie schaffen es die dortigen Atheisten, in dieser Welt des Glaubens nicht zu glauben? Texte und Fotos von Paul Blondé und Julia Küntzle
„
O
b du glaubst oder nicht glaubst, ob du deinen Glauben praktizierst oder nicht, in Marokko bist du Muslim, Punkt. Dein Leben lang.“ Kader, freischaffender Fotograf Anfang dreißig, ist Araber und Marokkaner. Was ihn aus der Sicht des Gesetzes, der Verfassung und der Gesellschaft seines Landes zu einem Muslim macht. 2011, einige Monate nach der Kundgebungswelle der Protestbewegung 20. Februar, setzte König Mohammed VI. ein Verfassungsreferendum in Gang. Die herrschende islamistische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) drohte damit, ihm ihre Stimme zu verweigern, sollte die Meinungsfreiheit garantiert werden – was ihrer Argumentation zufolge „ein Angriff auf die islamische Identität des Landes“ sei. So heißt es in der im Juli 2011 revidierten Verfassung nun: „Der Islam ist die Staatsreligion, die allen die freie Ausübung ihres Glaubens garantiert.“ „Dieses Gesetz ist sehr vage“, erklärt die Aktivistin Ibtissame „Betty“ Lachgar, Mitgründerin der Alternativbewegung für intellektuelle Freiheiten (MALI). „Faktisch soll jeder Marokkaner Muslim sein – mit Ausnahme der Juden, die einen besonderen Status haben. Bekennt man sich zu einer anderen Religion, sieht man sich mit einem Verfassungsartikel konfrontiert, der ein Jahr Gefängnis für Proselytismus verhängt, weil man den Glauben eines Muslims erschüttert habe.“ Noch heute kann in Marokko das Essen oder Trinken in der Öffentlichkeit während des Ramadan mit sechs Monaten Haft geahndet werden. Die Moudawana, die marokkanische Gesetzgebung zum Personenstand (die dem Familienrecht entspricht), >>> Philosophie Magazin Nr. 05 / 2016 / 35
ieser Augenblick: Schon vorbei. Das moderne Leben: ein Wettrennen. Umso größer ist das Verlangen, die Zeit anzuhalten. Präsent zu sein, die Welt wieder zu spüren. Kein Wunder, dass buddhistisch inspirierte Achtsamkeitspraktiken derzeit boomen. Meditierend kommt das Selbst zu sich, wird empfänglich für die Schönheit des Hier und Jetzt. Aber was genau bedeutet es eigentlich, ganz und gar im Moment aufzugehen? Bedarf es, um den Augenblick zu genießen, vollendeter Passivität oder eher gezielter Aktivität? Streben wir nach Kontemplation oder vielmehr Ekstase? Denker von Augustinus bis Husserl argumentieren, dass die Erfahrung des reinen Augenblicks für uns eine Illusion bleiben muss. Haben sie recht? Und wenn ja, was bedeutet das für den Traum von der absoluten Gegenwart? Aber nicht nur philosophisch ist die Sehnsucht nach totaler Präsenz problematisch. Was wird aus unserer Zukunft, wenn jeder nur ans Heute denkt? Trägt der neue Achtsamkeitskult ein reaktionäres, gar narzisstisches Moment in sich? Oder wäre es gerade die wache Sorge um jeden einzelnen Augenblick, der einen nachhaltigen Weg ins Morgen weist?
Foto: Joel Robison
Augenblick, verweile D
DOSSIER
Philosophie Magazin Nr. 05 / 2016 / 41
DOSSIER
Augenblick, verweile
Genieße deine Dauer
Der reine Augenblick ist ein abstrakter Traum. Wir hingegen erleben eine Gegenwart, die immer auch Vergangenheit und Zukunft enthält. Denker von Augustinus bis Husserl waren diesem Phänomen der „Dauer“ auf der Spur. Es lohnt sich, ihren großen Erzählungen über die wahre Natur der Gegenwart zu folgen
Foto: Gala Collette
Von Michel Eltchaninoff
W
arum ist es so schwer, den Augenblick zu erfassen? Eines scheint klar: Je mehr wir ihn erwarten, ihn vorbereiten oder sogar gestalten, desto eher entgeht er uns. Der Grund dafür ist eigentlich ganz einfach: Der gegenwärtige Augenblick existiert nicht. Er ist zu kurz, um erfasst zu werden. Außerdem kann man jeden Moment in sich unendlich weiter unterteilen, ohne jemals einen festen Punkt zu erreichen. Muss man sich deshalb damit abfinden, niemals den gegenwärtigen Augenblick zu erleben, sondern entweder stets nach vorn, in die Zukunft, geworfen zu sein oder in der Betrachtung der Vergangenheit zu schwelgen? Nicht zwangsläufig. Es trifft sogar eher das Gegenteil zu. Vorausgesetzt, man bestimmt neu, was ein Augenblick eigentlich ist. Der Erste, der sich mit dem Phänomen des punktuellen Augenblicks beschäftigt hat, ist der christliche Philosoph Augustinus (354–430). In seinen „Bekenntnissen“ zeigt er, dass der gegenwärtige Augenblick keine Beständigkeit hat, wenn man ihn auf einen einzigen Punkt beschränken will: „Die Gegenwart geht mit raschem Flügelschlag von der Zukunft zur Vergangenheit über: Sie hat keine Dauer.“ Sie ist ein bloßer Zwischenraum, ein Übergang zwischen dem, was noch nicht ist, und dem, was nicht mehr ist – also ein Verschwinden. Aber „wie können wir dann sagen, sie sei, da doch der Grund ihres Seins der ist, dass sie nicht mehr ist?“ Augustinus widerspricht jenen, die behaupten, man könne die Nadelspitze des gegenwärtigen Moments erreichen und vor allem auch begriff lich zu fassen bekommen. Seit der Antike ist diese Sichtweise des Augenblicks den Wissenschaften und der Naturbeobachtung entlehnt. Wenn man die Bahn der Gestirne oder den Schatten einer Sonnenuhr untersucht, ermöglicht dies,
die Zeit zu mathematisieren und den Augenblick als einen Punkt oder eine genaue Zahl zu umschreiben. Der heilige Augustinus ist damit nicht einverstanden. Wie er erklärt, „könnte man von Gegenwart nur in dem einzigen Fall sprechen, in dem wir uns einen Zeitabschnitt vorstellen würden, der in keine auch noch so winzigen Augenblicksteilchen zerlegt werden könnte“. Aber man kann eine Minute und sogar eine Sekunde immer noch teilen, und so geht es bis ins Unendliche weiter. Der Augenblick ist unauffindbar. Zweitens wendet sich Augustinus gegen jene, die behaupten, der aus der Zeit gefallene Augenblick gewähre einen Zugang zur Ewigkeit. Seiner Ansicht nach ist dies falsch, denn selbst wenn ich nur in der Gegenwart lebe, so erhalte sich doch nie dieselbe Gegenwart, sondern etwas stets Unterschiedliches. Alles gehe vorüber, alles ermüde: „Wenn die gegenwärtige Zeit immer gegenwärtig wäre und nicht in die Vergangenheit überginge, wäre sie keine Zeit mehr, sondern Ewigkeit.“ Der Augenblick ist kein Punkt und kann auch keine Öffnung zur Ewigkeit sein. So weit, so klar. Aber ist damit jede Hoffnung zunichte, den gegenwärtigen Augenblick bewusst zu erleben? Nein, entgegnet Augustinus. Man solle einfach nur damit aufhören, sich den Augenblick als eine mathematische Funktion oder ein Fenster zur Ewigkeit vorzustellen. Außerdem existieren Vergangenheit und Zukunft, streng genommen, noch weniger als die entschwindende Gegenwart. Ich habe die Vergangenheit nicht mehr vor Augen; sie ist bereits im Nichts versunken. Ich kann nicht mehr zurückholen, was ich schon vollendet habe. Und die Zukunft ist noch nicht eingetroffen. Und sie wird sich vielleicht nicht so ereignen, wie ich es vorausgesehen hatte. Existieren dann weder Gegenwart noch Vergangenheit, noch Zukunft? Das tun sie nach Augustinus durchaus, nur eben „in der Seele, und nirgendwo sonst“. Wir erleben diese drei ZeiPhilosophie Magazin Nr. 05 / 2016 / 55
>>>
DOSSIER
Augenblick, verweile
Wie viel
Zukunft
verträgt die
Gegenwart? Das schnelle Leben schürt unsere Sehnsucht nach voller Gegenwärtigkeit. Wie ist dieses Verlangen zu bewerten? Ist die Konjunktur des Achtsamkeitskultes Ausdruck eines tiefen Resonanzbedürfnisses – oder einer kindlichen Regression? Ein Streitgespräch zwischen Hartmut Rosa und Armen Avanessian
E
Das Gespräch führte Svenja Flaßpöhler
in Frühlingsabend in Köln. Die phil.cologne findet in diesen Tagen statt, heute lädt sie ein in das Theater Comedia. Noch ist der Saal leer. Armen Avanessian, gebürtiger Wiener, ist nervös. Sein Smartphone hat keinen Empfang, dabei wird doch an diesem Tag der neue österreichische Bundespräsident gewählt. Die Technikaffinität Avanessians kann kaum verwundern, schließlich ist der Berliner Philosoph Begründer einer linken Theorie mit Namen Akzelerationismus (dt. Beschleunigung). In der Digitalisierung sieht Avanessian Chancen, die es zu nutzen gilt; Achtsamkeitskult und Gegenwartsfixierung jedoch kritisiert er als zukunftsfeindlich. Gemeint ist mit dieser Kritik auch Hartmut Rosa, der aus Jena angereist ist, wo er eine Professur für Soziologie innehat. In seiner jüngsten Studie „Resonanz“ plädiert Rosa für eine erfüllende Existenzform, in der uns die Welt nicht mehr stumm, sondern antwortend gegenübersteht; die Beschleunigungsdynamiken der Moderne macht er wesentlich für unser entfremdetes Dasein verantwortlich. Langsam füllt sich der Saal. Alle technischen Geräte sind jetzt aus. Das Denken beginnt.
60 / Philosophie Magazin August / September 2016
Philosophie Magazin: Menschen üben sich in Achtsamkeit, versuchen mit aller Kraft, ganz im Moment zu sein. Woher kommt dieses Verlangen nach vollkommener Gegenwärtigkeit? Hartmut Rosa: Der Hauptgrund liegt in der modernen Beschleunigungsdynamik. Transport-, Produktions-, Kommunikationsgeschwindigkeiten haben sich massiv gesteigert, und auch wir erhöhen zwangsläufig unser Lebenstempo. Doch egal wie effizient wir sind, wir müssen im nächsten Jahr noch eine Schippe drauf legen, weil moderne Gesellschaften sich nur durch Steigerung in ihrer Struktur erhalten können. Diesen ständigen Steigerungsdruck spüren wir am eigenen Leib, und das wirkt sich negativ auf unsere Weltbeziehung aus. Je schneller wir leben, desto mehr haben wir den Eindruck, dass die Welt verstummt, sie sagt uns nichts mehr. Das ist der Zustand der Entfremdung. An dieser Stelle kommt nun die Achtsamkeit ins Spiel: Die Menschen wünschen sich, auf andere Weise in der Welt zu sein. Sie wünschen sich Resonanz: die Erfahrung einer antwortenden, schwingenden, singenden Welt.
Foto: John Stanmeyer/National Geographic Creative
PM: Was genau meinen Sie mit diesem Begriff der Resonanz? Und wie stellt sich eine solche Erfahrung her?
Armen Avanessian
Hartmut Rosa
Armen Avanessian ist promovierter Literaturwissenschaftler und hat international Gastprofessuren inne. Er ist Mitbegründer des Akzelerationismus und des Spekulativen Realismus, beides Theorien, die den technischen Fortschritt begrüßen. Soeben ist von ihm das Buch „Der Zeitkomplex“ (Merve) erschienen
Hartmut Rosa ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-SchillerUniversität Jena sowie Direktor des Max-WeberKollegs in Erfurt. Seine Theorie zur gelungenen Weltbeziehung hat der Beschleunigungskritiker nun in seinem Buch „Resonanz“ (Suhrkamp) vorgelegt
Rosa: In meiner Arbeit etabliere ich den Begriff der Resonanz als einen sozialphilosophischen Grundbegriff, der als Gegenbegriff zur Entfremdung eine gelingende Form des In-der-Welt-Seins beschreibt. Er bezeichnet eine Form der Beziehung zwischen Subjekt und Welt. Resonanz erfahren wir immer dort, wo wir von einem Menschen, aber auch von einer Sache, etwa einem Lied oder einem Buch oder unserer Arbeit, intensiv bewegt, vielleicht sogar ergriffen werden. Resonanz ist aber keineswegs nur ein passives Geschehen, sondern bedeutet auch, dass wir auf diese Berührung antworten, dass wir tätig werden und uns als selbstwirksam erfahren. Die Welt erreicht uns und wir erreichen sie. So lassen sich Formen des Gelingens beschreiben, und sie sind etwas anderes
als Autonomie, in der sich ein Subjekt einseitig selbst bestimmt oder verwirklicht. Resonanz stellt sich oft vielmehr da ein, wo wir in der Lage sind, etwas, das uns begegnet und mit eigener Stimme spricht, so zu hören, dass wir davon überwältigt sind. Das tendenzielle Verschwinden dieser Form der Weltbegegnung ist ein Problem, eine Leidensquelle, die Menschen in der Arbeit, in der Familie, sogar in der Politik erfahren und die sie dazu bringt, sich nach Achtsamkeit und Langsamkeit zu sehnen. Armen Avanessian: Das Begehren nach einer vollen und absoluten Gegenwart zieht sich tatsächlich durch alle sozialen Klassen. Anders als Sie glaube ich aber nicht, dass kulturelle Achtsamkeitspraktiken wie Yoga, Meditation, urban gardening oder entsprechend popularisierte Philosophien in irgendeiner Weise helfen, die Probleme des 21. Jahrhunderts zu lösen. Mit dem Pf lanzen eigener Karotten wird sich der Klimawandel nicht beeinf lussen lassen, wie überhaupt lokale Antworten auf sehr abstrakte globale Probleme keine Lösung sein können. Ja, mehr noch: Wer sich ein Wochenendhaus auf dem Land kauft, um sein Leben zu entschleunigen, orientiert sich auf fatale Weise am Vergangenen. Natürlich, schon Epikur hatte das Gärtnern als Rückzugsort und seelisches Heilmittel anempfohlen. Aber bei aller Liebe zum Gärtchen meiner Großmutter glaube ich nicht, dass die aristokratischen Strategien einer Sklavengesellschaft von vor 2000 Jahren heute zur Nachahmung zu empfehlen sind. Entschleunigung hilft überhaupt nicht. Rosa: Da verstehen Sie mich falsch. Ich kritisiere zwar die modernen Beschleunigungsdynamiken, aber ich bin deshalb noch lange kein Entschleunigungspapst. Ich meine sogar, dass es unmöglich ist, in einer auf Steigerung beruhenden Welt einfach mal langsamer zu machen. Wie sollen wir langsamer leben und gleichzeitig Wachstum generieren? Das ist ein struktureller Widerspruch. Ganz abgesehen davon, dass Schnelligkeit auch von immensem Vorteil ist. Noch der Achtsamste wird sich >>> Philosophie Magazin Nr. 05 / 2016 / 61
Ideen
Das Gespräch
Michel Serres
Wer Michel Serres ist? Ein gelernter Seemann, ein wandernder Linkshänder, ein Informationstheoretiker, vor allem aber: einer der originellsten Denker unserer Zeit. Immer in Bewegung, bedeutet Philosophie für ihn vor allem die Kunst, sich im eigenen Leben zu orientieren Das Gespräch führte Martin Legros / Fotos von Serge Picard
Serres Michel
»Ich denke mit den
Füßen« Foto: Serge Picard/VU/laif
W
o bin ich, wenn ich denke?“ So lautet eine der Grundfragen von Michel Serres. Für den 86-jährigen Franzosen, Mitglied der Aca démie française und Philosophie„ professor in Stanford, geht der entscheidende Impuls des Denkens von der Ahnung aus, dass immer mehr als ein Weg, mehr als eine Beschreibung, mehr als eine Methode zum eigentlichen Ziel des Philosophierens führen kann. Dieses lautet: Zu wissen, wo man als Mensch steht und also auch, was von einem gegebenen Punkt der kulturellen Entwicklung aus möglich ist. Serres’ Denken umspannt Systemtheorie und Semiotik ebenso wie Wissenschaftsgeschichte und Ökologie. Kein Wunder, dass er sein Hauptwerk nach Hermes benannt hat, dem Gott des Verstehens, der Reisenden und auch Wegelagerer. Wir tra68 / Philosophie Magazin August / September 2016
fen Serres mitten im Wald von Vincennes, nahe Paris, und ließen uns von diesem begnadeten Fährtenleser neue Wege ins Freie zeigen.
Philosophie Magazin: In seiner „Abhandlung über die Methode“ ermuntert Descartes jene, die sich in einem Wald verlaufen haben, „so geradewegs wie möglich immer in derselben Richtung zu laufen“. Es geht darum, entschlossen eine Linie beizubehalten, selbst wenn man im Zweifel ist. Ein guter Rat? Michel Serres: Wenn man in einem Wald ist, sind ringsum Bäume, Zweige und Laub, die die Sicht behindern, der Boden ist uneben et cetera. Eine gerade Linie führt von einem Baum zu einem nächsten, dann führt eine weitere Linie zu einem dritten Baum und so weiter. Zwischen diesen beiden Linien gibt es zwangsläufig einen Winkel. Doch man kann ihn ein-
76 / Philosophie Magazin August / September 2016
Illustration : Emmanuel Polanco; Bildvorlage : Ayn Rand Archives
Ideen
Der Klassiker
Ayn Rand und der
EGOISMUS In Deutschland ist sie bis heute so gut wie unbekannt.
In den USA hingegen ist sie eine Kultfigur und ein intellektueller Superstar. Die in Russland geborene Schriftstellerin und Philosophin Ayn Rand (1905–1882), später eingebürgerte Amerikanerin, gilt heute als Ikone des Libertarismus und der Tea-Party-Bewegung. Sie wird von Unternehmern im Silicon Valley zitiert und ist auch in der Popkultur omnipräsent. Noch erstaunlicher ist: Ihr Einf luss auf das geistige Klima der USA wuchs mit der Finanzkrise von 2008, die aus europäischer Sicht gerade das Scheitern des Neoliberalismus zu zeigen scheint, noch einmal. Woher rührt diese Begeisterung? In ihren Romanen und Essays verteidigt sie vehement die individuellen Freiheiten und den Kapitalismus und kritisiert staatliches Eingreifen in die Wirtschaft. Ihr Credo: Nieder mit dem Altruismus, es lebe der „rationale Egoismus“, demzufolge man nur für sich selbst lebt. Sie spüren schon, wie sich in Ihnen Widerstand regt? Nehmen Sie sich dennoch die Zeit, Ayn Rand zu lesen. In diesem Dossier wird sie von drei Autoren vorgestellt, die der Denkerin wohlwollend gegenüberstehen: die Philosophen Dominique Lecourt und Alain Laurent sowie der kalifornische Unternehmer Peter Thiel. Danach liegt es ganz bei Ihnen, sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Philosophie Magazin Nr. 05 / 2016 / 77
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